Sonja Zietlow Thomas Schröder Ulrike Feifar Claudia Ludwig Inga

Transcrição

Sonja Zietlow Thomas Schröder Ulrike Feifar Claudia Ludwig Inga
Tierschu
Katharina von der Leyen
Thomas Schröder
Sonja Zietlow
Ulrike Feifar
Claudia Ludwig
Inga Böhm
tz heute
04-201 2 •
experten-talk 59
Hunde retten? Aus dem Heim, dem Ausland, der Tötungsstation?
Etwa eine halbe Million Hunde werden jährlich durch Tierschützer
importiert, in der Hoffnung, ihnen bei uns ein unbeschwertes Leben zu geben.
Gelder sind knapp, die Heime überfüllt – können wir uns das leisten?
fotos: thomas rabsch
Im DOGS-Gespräch:
Thomas Schröder ist Präsident des
Deutschen Tierschutzbundes und vertritt
auch die Interessen angeschlossener Tierschutzvereine, Kooperationspartner und des
Dachverbandes im Ausland.
sonja Zietlow ist Pilotin, Moderatorin
(„Das Dschungelcamp“) und Schirmherrin
des Fördervereins „Beschützerinstinkte“, der
Mensch-Hund-Beziehungen fördern und
unterstützen will und Haltern und Hunden
hilft, die es allein nicht (mehr) schaffen.
claudia Ludwig ist Journalistin,
Buchautorin und moderierte zwanzig Jahre
lang die Sendung „Tiere suchen ein Zuhause“
im WDR. Sie ist Schirmherrin der Frank­
furter Tiertafel und Kuratoriumsvorsitzende
der Stiftung „Alternativer Bärenpark“.
Inga Böhm ist Hundetrainerin in Bayern
(„Waldtraining für Mensch & Hund“), gibt
regelmäßig Erziehungsseminare im In- und
Ausland für Hunde aus dem Tierschutz und
ist Koautorin des Buchs „Windhunde aus
Spanien“.
ulrike Feifar ist seit 35 Jahren im Tierschutz aktiv und arbeitet seit über fünfzehn
Jahren im Auslandstierschutz zusammen
mit privaten spanischen Tierheimen, um die
Situation in Spanien zu verbessern und die
Menschen dort aufzuklären.
Katharina von der Leyen für DOGS:
Tierschutz ist in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Er ist ein eigenes
soziales Netzwerk, das im Internet boomt.
In deutschen Tierheimen werden pro Jahr
etwa 15 000 Hunde vermittelt, annähernd
500 000 Hunde werden importiert. Gehört
es mittlerweile zum guten Ton, einen
Hund aus dem Tierschutz zu haben?
Schröder: Ich bin stolz, dass es nach
130 Jahren Arbeit gelungen ist, die Bevölke­
rung für den Tierschutz stärker zu sensibi­
lisieren. Das Thema hat zum Beispiel beim
Einkaufen größere Relevanz bekommen.
Große Unternehmen fragen bei uns an, wel­
che Projekte sie unterstützen können. Tier­
schutz ist etwas Wichtiges geworden.
Ludwig: Unsere heutige Gesellschaft ist
sehr anspruchsvoll und perfektionistisch.
Die Kinder sollen möglichst schon während
der Schwangerschaft Geige lernen und drei
Sprachen lernen. Auch an Hunde hat man
sehr hohe Erwartungen. Dass gleichzeitig
immer mehr Menschen bereit sind, einem
Hund mit oft unbekannter Vorgeschichte
ein Zuhause zu geben, halte ich für eine
sehr positive Entwicklung.
Schröder: Der Tierheimhund hatte lan­
ge das Image, schwierig zu sein. Dabei sind
sehr viele Tierheimhunde sehr leicht zu ver­
mitteln. Es ist oft sogar von Vorteil, wenn
man die Vorgeschichte kennt.
DOGS: Mittlerweile haben eher die Tierheime das Image, „schwierig“ bei der Vermittlung zu sein und die Bewerber so
gründlich zu prüfen, dass es fast einfacher
scheint, ein Kind zu adoptieren. Werden
bei der Vermittlung Fehler gemacht?
Schröder: Wir suchen für das Tier im­
mer den „besten Platz der Welt“. Wir müs­
sen lernen, auch kleine Abstriche zu ma­
chen, denn manchmal ist auch eine Lösung,
die vielleicht nicht hundertfünfzigprozentig
ist, eine sehr gute. Die Tiere kamen oft mit
einer sehr traurigen Vorgeschichte ins Tier­
heim, darum ist es, glaube ich, mehr als ver­
ständlich, dass ein Tierheimmitarbeiter
lieber zweimal hinschaut, bis er zu dem In­
teressenten Vertrauen fasst.
Ludwig: Ich halte es für einen Fehler, dass
Tierschützer immer von sich auf andere
schließen. Dass sie es nicht akzeptieren,
wenn Bewerber sagen: Ich möchte einen
unproblematischen Hund. Es ist doch legi­
tim, einen gesunden Hund zu wollen, der
freundlich ist. Es ist wichtig, dass Tierschüt­
zer das verstehen und begreifen, dass nicht
alle Leute grenzenlos belastbar sind.
DOGS: Es gibt im Tierschutz seltsame
Auswüchse. Private Tierschutzgruppen
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sammeln im Ausland alle Hunde ein, ob
die vermittelbar sind oder nicht. Täglich
bekommt man Mails mit Fotos geschundener Kreaturen. Wenn sie nicht innerhalb von zwei Tagen gerettet werden, fühlt
man sich persönlich für ihren Tod verantwortlich gemacht. Auf Facebook werden
ununterbrochen Fotos von misshandelten
Hunden gepostet, und wer sich dagegen
verwahrt, wird misstrauisch beäugt, als
sei er aktiver Tierquäler. Dagegen sind
Katholiken echte Free Spirits. Ist Tierschutz eine neue Religion?
Zietlow: Der private Tierschutz ist zur
Mode geworden. Jeder meint, er muss ein
Tier retten: „Ich habe einen Hund aus einer
Tötungsstation!“ „Und meiner ist aus dem
Mülleimer!“ Je trauriger das Schicksal, desto
mehr wollen ihn retten. Die vielen wunder­
bar einfachen, gesunden Hunde wollen nur
wenige, weil sie nicht „kaputt“ genug sind.
Motto: Je bedauernswerter der Hund, desto
toller fühle ich mich.
Feifar: Es gibt im Tierschutz eine Reihe
von psychisch Verletzten, die glauben, in ih­
rem bisherigen Leben nie etwas „Wertvol­
les“ geleistet zu haben. Sie erfahren durch
den Tierschutz eine neue Aufgabe, Aner­
kennung und ein positives Selbstwertgefühl,
weil sie ein Leben gerettet haben.
Schröder: Die freien Organisationen,
die regelmäßig eine große Anzahl Hunde
aus dem Ausland importieren, sehen wir
auch sehr kritisch. Häufig entstehen Proble­
me aufgrund der mangelhaften Sozialisie­
rung und Krankheiten der Hunde. Tierhei­
me sind hier besonders gefordert, denn
viele der Hunde landen nach Vermittlung
später leider da, weil der eigentliche Besitzer
mit ihnen nicht zurechtgekommen ist.
Ludwig: Ich möchte aber betonen, dass es
viele Tierschutzgruppen gibt, die hervorra­
gende Arbeit leisten, kompetent und pas­
send vermitteln und neue Besitzer anschlie­
ßend beraten und begleiten. Ich habe mit
vielen solcher Vereine zusammengearbeitet.
Feifar: Vielleicht liegt es daran, dass Sie
durch die Arbeit fürs Fernsehen vor allem
mit seriösen Gruppen zu tun haben.
Böhm: Das größte Problem ist doch das
fehlende Verständnis der neuen Besitzer für
den Hund. Auch dafür, wie viel Zeit diese
Hunde brauchen. Die Menschen sind der
Meinung, sie haben einen Hund gerettet,
der dafür eigentlich dankbar sein sollte.
Stattdessen macht er Probleme. Er bellt an­
dere an, beißt oder reißt das Auto auseinan­
der, oder er kann nicht allein bleiben und
jault, sodass die Nachbarn sich beschweren.
Manche Leute sind so voller Mitleid und
ohne Erfahrung, dass sie manch Fehlverhal­
ten noch verstärken.
„Der private Tierschutz
ist zur Mode geworden.
Je trauriger das Schicksal,
desto mehr wollen einen
Hund retten. Die vielen
wunderbar einfachen,
gesunden Hunde wollen
nur wenige, weil sie nicht
kaputt genug sind“
Sonja Zietlow
Feifar: Bei vielen Leuten, die mit Tier­
schutz tun haben, funktioniert das Herz
sehr gut, aber der Verstand schaltet ab. Es
geht eben nicht von der Tötungsstation di­
rekt aufs Sofa. Da liegt sehr viel Raum da­
zwischen, in dem viel getan werden muss.
DOGS: Viele Hundetrainer scheinen mit
Hunden aus dem Auslandstierschutz tatsächlich auch nicht weiterzukommen.
Böhm: Ich mache meinen Job seit sieb­
zehn Jahren. Es gibt immer mehr Hunde
aus dem Ausland, und mit ihnen treten ver­
stärkt bestimmte Verhaltensweisen auf, mit
denen man als Trainer zuweilen überfordert
ist. Viele der Auslandshunde haben Depri­
vationsschäden, haben Angst, ja, echte
Panik vor allem und jedem, und sind trotz­
dem in ein normales Leben vermittelt wor­
den. Ein anderes Problem sind Rassehunde
mit Verhaltensweisen, die hier nicht ge­
schätzt werden: Ein Galgo beispielsweise
stammt aus der Jagdzeit, in der es keine
Waffen gab. Er jagt still und wurde zum
Hetzen und zum Töten eingesetzt. Bei uns
sind Jagdhunde eher Allrounder, die für die
Arbeit vor und nach dem Schuss, aber nicht
zum Töten gebraucht werden. Wer einen
Galgo gerettet, drei- bis viertausend Euro
Tierarztkosten bezahlt und ihm schönste
Bettchen gekauft hat, reagiert vielleicht irri­
tiert, wenn der Hund im Wald Wild nicht
nur verfolgt, sondern auch umbringt.
DOGS: Ist Tierschutz also eine Sache der
Moral? Wer zugibt, einen Hund vom
Züchter gekauft zu haben, wird geächtet,
weil er einem Tierschutzhund ein schönes
Zuhause weggenommen hat. Aber nicht
jeder ist einem Hund gewachsen, der eine
Vorgeschichte hat, manch einer möchte
genau wissen, worauf er sich einlässt.
Schröder: Ich sage immer jedem, der ei­
nen Hund sucht: Geh zuerst ins Tierheim.
Wenn du da nicht das Tier findest, was für
dich und deine Umstände passt, dann
kannst du immer noch zu einem seriösen
Züchter gehen. Wir haben in den Tierhei­
men so viele Hunde, die zuerst eine Chance
verdient hätten, bevor um des Geldes Wil­
len neue gezüchtet werden.
Zietlow: Wichtig ist doch, dass die
Mensch-Hund-Beziehung im Vordergrund
„Es muss immer wieder
ein paar Verrückte geben,
die bewusst bereit sind,
sich schwieriger Fälle
anzunehmen“
Claudia Ludwig
steht. Aber beim Tierschutz geht es häufig
nicht mehr um diese Beziehung, sondern
ausschließlich um den Hund. Und wenn der
nicht in die Lebensumstände des Menschen
passt, soll nach Meinung mancher Tier­
schützer der Mensch seine Lebensumstände
eben ändern und an den Hund anpassen.
Böhm: Fängt Tierschutz nicht schon viel
früher an als bei den Hunden, die aufgrund
von Falschbehandlung ein neues Zuhause
suchen? Jeder versucht zu retten, wo er ret­
ten kann. Doch damit verstrickt man sich
nur in den Symptomen und geht zu wenig
an die Ursachen heran.
FEIFAR: Für viele Hunde muss es schnell
gehen, weil es ein Wettlauf mit dem Tod ist.
Aber zur Tierschutzarbeit gehört auch Auf­
klärungsarbeit. Wenn die dafür sorgt, dass
man es moralisch verwerflich findet, Galgos
totzuschlagen und aufzuhängen, öffnen sich
Türen für vernünftige Lösungen. Den Jä­
gern ihre Galgos abzuschwatzen, sorgt nur
dafür, dass die sich neue anschaffen.
Schröder: Wir vom Tierschutzbund ha­
ben die Philosophie der „Selbsthilfe vor
Ort“. Alle Kraft muss darauf verwendet wer­
den, die Lösung dort zu schaffen, wo die
Tiere leben. Nur so geht es. Jedes Tier, das
ich aus dortigen Gebieten heraushole,
macht Platz für zwei, drei Hunde, die nach­
rücken. Das Leid der Tiere wird dadurch
nicht beseitigt. Abgesehen von den einzel­
nen Notfällen, für die man ein Zuhause su­
chen muss: Wenn jemand wirklich ein Herz
für Auslandstierschutz hat, muss eine Lö­
sung gefunden werden, das Tier kastriert da
zu lassen, wo es ist. Nicht andersherum.
Ludwig: Ich finde, es kann durchaus bei­
de Strategien geben, das Herausholen und
die politische Tierschutzarbeit vor Ort. Das
Tierheim von Olbia auf Sardinien sitzt mit
siebenhundert Hunden da und kann über­
haupt keine Tierschutzarbeit mehr leisten.
Es ist durch die vielen Hunde blockiert, weil
die gesamte Kapazität auf das Versorgen
dieser Hunde ausgerichtet ist. Warum sollen
jetzt also deutsche Vereine dort keine Hun­
de herausholen, wenn sie eine gute Klientel
haben? Einer der italienischen Leiter sagte
mir, wenn die nicht wären, dann hätten sie
dort zweitausend Hunde sitzen.
Schröder: Dennoch muss die Frage
erlaubt sein: Warum sind es überhaupt sie­
benhundert Hunde geworden? Warum
wurde dort kein Hund kastriert und wieder
frei gelassen? Da wurde nicht früh genug
mit der begleitenden Arbeit angefangen.
Ludwig: Das stimmt, man hat nicht früh
genug angefangen. Aber was sollen sie jetzt
machen? Wenigstens machen sie endlich
seit ein paar Jahren etwas.
Schröder: Dass wir uns nicht missver­
stehen: Man muss natürlich sehen, wie man
diesen siebenhundert Hunden helfen kann.
Aber gleichzeitig muss ich es schaffen, mit
aller Politik, die nötig ist, Kastrationsprojek­
te mit anschließendem Freilassen zu instal­
lieren.
Feifar: Es geht beim seriösen Tierschutz
nicht ums regelmäßige Exportieren. Aber
wir haben die Welt voll Drecksregierungen,
die sich um Mitgeschöpfe nicht kümmern.
Schröder: „Mal eben die Welt retten“
geht eben nicht. Man muss sich auf ein Pro­
jekt konzentrieren und es ausbauen, bis es
relativ selbstständig funktioniert. Danach
nimmt man dieses Projekt als Vorbild für
das nächste. An vielen Orten wie Rumänien
oder Neapel klappt die Arbeit schon sehr
gut. Und beispielsweise in Odessa ist der
Bürgermeister bei dem Kastrationsprojekt
dabei. Alle finden es gut, wir haben die Zahl
der Straßenhunde fast halbiert. Jetzt gehen
wir in die Region Odessa und die Stadt
Kiew. Anders als in Odessa, wo wir eine
Million Euro Sonderspenden zur Verfügung
hatten, muss Kiew das selber bezahlen.
Immerhin gibt es genügend Sponsoren der
Fußball-Europameisterschaft, die sich
beteiligen. Der Deutsche Tierschutzbund
hilft, das Konzept zu installieren, und setzt
mithilfe einer Medienkampagne auf Auf­
klärung der Bevölkerung. Der Bürgermeis­
ter wollte ein Tierheim für tausendfünf­
hundert Hunde, ohne ein Konzept zu
haben. Jetzt haben wir ihn schon so weit,
dass er sie anschließend wieder freilässt.
DOGS: Die Zahl der aus dem Ausland importierten Hunde ist unglaublich hoch.
Stattdessen gehen die Vermittlungen
„Alle Kraft muss
darauf verwendet
werden, die Lösung
dort zu schaffen,
wo die Tiere
leben. Nur
so geht es“
Thomas Schröder
aus deutschen Tierheimen zurück. Sind
uns ausländische Hunde näher als Heimhunde, die bei uns ein Zuhause suchen?
Zietlow: Ich weiß, dass viele Leute nicht
ins Tierheim gehen wollen, weil sie sagen,
da kann ich nicht hin, das ist zu traurig. Da­
rum habe ich mir das Münchner Tierheim
vor Kurzem angesehen. Ich war angetan,
weil es da so toll zugeht, so viele Betreuer,
Trainer, Gruppenhaltung, Ausläufe.
Schröder: Es hat sich tatsächlich viel ge­
tan, was die Haltung in großen Tierheimen
betrifft. Die sind keine Verwahranstalten
mehr, auch wenn es immer Optimierungs­
bedarf gibt. Zum Teil ist man dort aber auch
überfordert, wenn Leute mit dem Wohn­
mobil an die Heimtür kommen und sagen,
ich habe in den Ferien zehn Hunde einge­
sammelt, jetzt lasse ich die bei euch.
Feifar: Wir haben in Spanien mit priva­
ten Tierheimen zusammengearbeitet, denn
staatliche mit Unterstützung gibt es nicht.
Es gibt Perreras, aber dort wird getötet. Wir
nehmen die Hunde in unser privates Tier­
heim auf, untersuchen, versorgen und kas­
trieren die Hunde. Und finden dann einen
Weg, sie zu vermitteln. Dagegen sehen wir
diese Leute, die alle Hunde aus den Tö­
tungsstationen zerren und von den Straßen
einsammeln und planlos ins Ausland
schleppen, sehr kritisch. Das geht nicht.
DOGS: Nicht jeder Hund ist in einem
normalen deutschen Haushalt gut untergebracht. Für viele bedeutet unser normales Leben entsetzlicher Stress.
Zietlow: Wir haben in unserer Organisa­
tion auf Mallorca einen wahnsinnig ängstli­
chen Galgo, den alle haben wollen, weil
Martin Rütter mal mit ihm gearbeitet hat.
Ich möchte, dass er bleibt, wo er ist, denn er
hat dort ein riesiges Gehege, es geht ihm gut
dort. Soll der in die Stadt nach Deutsch­
land? Wozu? Da gibt es andere Hunde, die
dafür viel besser geeignet wären.
Feifar: Vor vielen Jahren habe ich einen
absoluten Panik-Galgo übernommen, den
wir schlicht nicht vermitteln konnten. Die­
ser Hund hat sechs Jahre meines Lebens
vollkommen bestimmt. Ich konnte nirgend­
wohin gehen, zu Hause war es nicht mög­
lich, den Fernseher auf Lautstärke drei zu
machen, weil der vor Angst alles umgeris­
sen hat. Ich gebe zu: Die vernünftigste Lö­
sung wäre eine unschöne Lösung gewesen,
aber das habe ich nicht übers Herz gebracht.
Also habe ich ihm diese sechs Lebensjahre
geschenkt. Aber das kann man keinem zu­
muten. Solche Hunde dürfen nicht in nor­
male Familien. Ich bin nicht einmal sicher,
dass dieser Hund je glücklich war. Vielleicht
ganz zum Schluss, als er so senil war, dass er
vieles nicht mehr mitbekommen hat.
„Es geht eben nicht von
der Tötungsstation direkt
aufs Sofa. Da liegt viel
Raum dazwischen, in dem
viel getan werden muss“
Ulrike Feifar
Zietlow: Man muss die Sache von beiden
Seiten beleuchten. Wie ist nach der Vermitt­
lung die Lebensqualität des Hundes und wie
ist die des Menschen?
Ludwig: Stimmt. Aber es muss auch im­
mer wieder ein paar Verrückte geben, die
bewusst bereit sind, sich schwieriger Fälle
anzunehmen. Die müssen wirklich belast­
bar, flexibel und hundeerfahren sein.
DOGS: Viele Tierschutzgruppen formulieren ihre Anzeigen so, dass Schuldgefühle beim Leser aufgebaut werden, um sie
über Mitleid zur Aufnahme eines Hundes
regelrecht zu manipulieren.
Böhm: Alle, die zu mir ins Training kom­
men, frage ich: Weshalb haben Sie sich für
den Hund entschieden? Bei Tierschutzhun­
den spielt Mitleid immer eine übergeordne­
te Rolle, aber aus Sicht des Trainers muss
ich sagen: Mitleid ist eine schlechte Motiva­
tionsgrundlage für eine Mensch-HundBeziehung. Wer von Mitleid bestimmt ist,
kann keine Führung übernehmen.
DOGS: Problematisch wird es vor allem,
wenn diesen Hunden aus Mitleid keine
Struktur gegeben wird. Der Hund bleibt
dann völlig ungelenkt in seiner neuen
Welt und wird verunsichert. Gerade Straßenhunde haben gelernt, sich entweder
auf sich selbst oder auf die Souveränität
eines Anführers zu verlassen. Wenn der
Mensch ihnen die nicht gibt, verlassen sie
sich wieder auf sich selbst. Und dann wird
es schwierig im Zusammenleben.
Böhm: Meine Erfahrung ist, je schlechter
es den Leuten psychisch oder physisch geht,
desto schwächer, kränker und bedauerns­
werter sind die Hunde, die sie sich anschaf­
fen. Und zwar, um sich – das klingt jetzt
sehr hart – besser zu fühlen.
Ludwig: Das ist auch meine Erfahrung.
DOGS: Wie kann man Leuten, deren Leben völlig vom Tierschutz bestimmt wird,
helfen? Wie rettet man Tierschützer?
Schröder: Wir als Deutscher Tier­
schutzbund arbeiten sehr an einer Profes­
sionalisierung der Arbeit in Tierheimen
und bieten Seminare zu Sachkunde oder
Kommunikationstraining. Es ist sehr wich­
tig, dass man darüber redet und sich nicht
mit seinen Problemen zurückzieht. Es ist
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„Bei Tierschutzhunden
spielt Mitleid immer eine
übergeordnete Rolle. Aber
aus Sicht des Trainers muss
ich sagen: Wer von Mitleid
bestimmt ist, kann keine
Führung übernehmen“
Inga Böhm
eigentlich Coaching-Arbeit, die wir da leis­
ten, aber es gibt finanzielle Grenzen. Eigent­
lich müssten wir jedem, der im Tierschutz
tätig ist, einmal im Jahr eine Supervision
gönnen oder eine Burn-out-Beratung. Doch
das können wir leider nicht leisten.
DOGS: Welche Probleme mit Hunden aus
dem Tierschutz werden unterschätzt?
Böhm: Mittlerweile sind etwa siebzig Pro­
zent Tierschutzhunde unter meinen Kun­
den, weil ich zu meiner normalen Ausbil­
dung als Hundetrainer auch die Ausbildung
von Jagdgebrauchshunden anbiete und
mich dabei von ursprünglichen Trainings­
methoden mit Peitsche, Kettenwurf oder
Tele-Tac distanziere. Ein normaler Hunde­
platz kommt mit solchen Hunden nicht
zurecht, weil diese Hunde oft nicht gelernt
haben, ein Kommando anzunehmen und
umzusetzen. Darauf wurden auch diese
Rassen nie selektiert. Karin Dohrmann, mit
der ich zusammen das Buch „Windhunde
aus Spanien“ geschrieben habe, hat mal ei­
nen Jäger in Spanien gefragt, wie man dort
den Hunden das Jagen eigentlich beibringt,
also das Hetzen und das Apportieren. Der
Jäger grinste nur und sagte: Wenn ich denen
etwas beibringen müsste, dann hätte ich die
nicht. Und das ist genau der Punkt: Es sind
Hunde, die eben nicht dafür gezüchtet wur­
den, sonntags im Park mit anderen Hunden
spazieren zu gehen und zu spielen.
DOGS: Manch private Tierschutzgruppe
kennt sich wohl auch zu wenig mit Hunden aus. Da wird ein großer schwarzer,
schlappohriger Hund als Labradormix angeboten und kommt zu Leuten, die genau
das suchen. Und dann stellt sich heraus, er
ist zwar schwarz, aber ein Wachhund, der
jeden anfällt oder verbellt, den er nicht
kennt. Die Leute sind verzweifelt.
Ludwig: Dabei kommen wir zurück zu
dem Punkt, den wir zuvor schon angespro­
chen haben: Ein Fehler in der Vermittlung
ist häufig, dass die Tierschutzorganisationen
nur den Hund sehen und dessen Chance auf
ein Zuhause – und nicht, ob er in das Leben
der Interessenten passt.
Feifar: Das ist eine der wichtigsten Vo­
raussetzungen: Wenn ich mich heute als
Tierschützer betätige, muss ich die Verant­
wortung so tragen, dass ich sie im Fall einer
Fehlvermittlung wieder auf mich nehme –
also den Hund zurücknehme und nicht an
die deutschen Tierheime abschiebe.
DOGS: Gibt es eine Zusammenarbeit der
Tierheime und Vereine untereinander?
Schröder: Es gibt bei uns Mitgliedsver­
eine, mit denen die Tierheime kooperieren,
weil zum Beispiel ein Retriever über spezia­
lisierte Nothilfevereine oft schneller und
vielleicht besser vermittelt werden kann.
Wir richten uns immer danach, wo das Tier
die beste Vermittlungschancen hat. Auch
Tierheime tauschen sich untereinander aus,
gerade bei den sogenannten Listenhunden,
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die in manchen Bundesländern einfach
nicht mehr vermittelbar sind, auch wenn sie
sehr freundlich und sozialverträglich sind.
DOGS: Guter Züchter, schlechter Züchter,
darauf achten Hundekäufer. Aber bei
Tierschutzorganisationen ist man offenbar bereit, etwas Chaos hinzunehmen.
Woran erkennt man seriösen Tierschutz?
Zietlow: Ist nicht gerade da der Deut­
sche Tierschutzbund ein guter Ansprech­
partner? Gibt es kein Zertifikat?
Schröder: Es gibt eine Tierheimordnung
des Deutschen Tierschutzbundes, die öf­
fentlich ist. Ihr ist jeder Tierschutzverein im
Grundsatz verpflichtet. Die Tierheime sind
stark im Umbruch begriffen, weil die Kom­
munen lange Zeit ihre Aufgaben abgescho­
ben, aber ihre finanziellen Pflichten nicht
ausreichend erfüllt haben. Gleichzeitig bre­
chen die Spenden weg. Wir haben ein Güte­
siegel eingeführt, beraten unsere Mitglieds­
vereine intensiv bei Fragen. Wir haben in
München eine wissenschaftliche Akademie
mit zwei Tierärztinnen, die als Tierheim­
berater durch die Republik reisen. Aber wir
sind kein Inspektoren-, sondern ein Bera­
tungsteam. Jeder, der glaubt, dass es in ei­
nem Tierheim nicht vernünftig läuft, sollte
uns schreiben. Wir überprüfen das dann.
Ludwig: Es ist superwichtig, dass Tierhei­
me und -vereine kontrolliert werden. Trotz
erkennbarer Missstände kann das Tier aber
durchaus das Richtige sein und man sollte
es gerade deswegen mitnehmen. Und sich
gegebenenfalls hinterher beklagen.
Schröder: In der seriösen Tierschutz­
arbeit sollte es immer Kontrollinstanzen ge­
ben. Der Appell an die seriösen Gruppen
ist, sich an einem seriösen Dachverband an­
zuschließen. Bei einem vernünftigen Züch­
ter erwarte ich, dass er in einem großen, gut
organisierten Dachverband Mitglied ist,
durch den es eine Kontrollinstanz gibt.
DOGS: Auch weil man mithilfe eines
Dachverbands stärker ist und effizienter
arbeiten kann denn als Einzelkämpfer?
Feifar: Die Dachverbände, die es zurzeit
gibt, sind wohl für viele nicht das Richtige.
Aber ich denke auch, es gehört eine Kont­
rollinstanz her. Wer seriös arbeitet, lässt sich
auch kontrollieren.
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