Deutsch: Gesellschaft und Sprache in Huxleys „Schöne neue Welt

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Deutsch: Gesellschaft und Sprache in Huxleys „Schöne neue Welt
Deutsch: Gesellschaft und Sprache in Huxleys „Schöne neue Welt“
Analyse eines Romanausschnitts (14. Kapitel)
1.
2.
3.
4.
Inhaltsangabe
Die Bedeutung der Familie in der Schönen neuen Welt
Die Bedeutung der Familie in unserer Tradition und Idealvorstellung
Kritische Stellungnahme: Die Bedeutung der Dystopie in unserer Realität
1. Inhaltsangabe
2. In der schönen neuen Welt hat der Tod keinen emotionalen Wert. (These)
In der Schönen neuen Welt werden die Sterbenden in eine Moribundenklinik gebracht. Moribund
bedeutet so viel wie sterbend oder dem Tod beziehungsweise dem Untergang geweiht. Diese Klinik
ist ein „primelgelber Kachelturm“ (Seite 198). Sowohl von außen, als auch von innen, strahlt die
Klinik eine bunte, „angenehme Atmosphäre“ (Seite 198) aus. Sie ist „eine Art Mittelding zwischen
einem Luxushotel und einem „Fühlfilmpalast“ (Seite 198). Die Räume, die jeweils 20 Betten
enthalten, sind ausgestattet mit Duftverteilern, die jede Viertelstunde ein neues Parfüm abgeben,
Fernsehapparaten, die von morgens bis abends laufen und „Supervox-Orgeln“ (Seite 203), die
„synthetische Weisen“ (Seite 198) spielen. Alles in der Moribundenklinik dient der Ablenkung und
Benebelung der Patienten. Den Sterbenden wird Soma verabreicht, damit sie nicht leiden müssen,
sondern in einem angenehmen, kindlichen Traum verharren, bis ihr Ende gekommen ist.
Wenn die Menschen gestorben sind, werden sie mit „bunten Leichenflugzeugen“ (Seite 198) zu
einem Krematorium geflogen und dort später zu Phosphor weiterverarbeitet. Ihre Körper dienen
auch zuletzt noch der Gesellschaft, ganz nach dem Leitspruch: „Jeder ist seines Nächsten
Eigentum“. In der Schönen neuen Welt ist ein Menschenleben nicht „der Rede wert“ (Seite 205)
und das zeigt sich sehr deutlich in der Tatsache, dass die Sterbenden keine Namen mehr haben,
sondern nur noch Nummern. Dieses ist in unseren Augen eine Respektlosigkeit und eine
Degradierung des individuellen Lebens. Doch in der Schönen neuen Welt gibt es keine Individuen
und deshalb ähnelt der Todesturm in der „Schwanenallee“ (Seite 198) einer Fabrik des
Massensterbens. Da die Menschen der Schönen neuen Welt während des Lebens keine emotionalen
zwischenmenschlichen Beziehungen aufgebaut haben, gibt es für sie auch keinen Grund, jemanden
in der Moribundenklinik zu besuchen (vergleiche Seite 199). Die Menschen sterben also in
Gruppen, aber dennoch einsam. Privatsphäre oder persönliche Anteilnahme gibt es für die
Sterbenden nicht.
Schon von klein auf werden die Menschen an die Nichtigkeit des Todes gewöhnt. Die Kinder
werden in der Moribundenklinik darauf genormt, den Tod als etwas Positives zu sehen. Die „ganze
gesunde Sterbenormung“ (Seite 205) sieht vor, dass der Tod nicht zu vergifteten Gemütern
(vergleiche Seite 205) und zu unsozialem Verhalten führt. Die Kinder der Schönen neuen Welt
begegnen dem Tod in einem Gebäude, das Frohsinn und Luxus ausstrahlt. Hier spielen sie lustige
Spiele und bekommen „Schokoladentorte“ (Seite 206). Ihnen begegnet hier nichts Negatives, kein
Leid, kein Altern, keine Schmerzen. Die „sterbenden Sechzigerinnen sahen aus wie
Sechzehnjährige“ (Seite 201). Das alles trägt dazu bei, dem menschlichen Leben seinen
individuellen Wert zu nehmen. Emotionen und Leidenschaften würden die Beständigkeit des
Systems gefährden. Schmerz und Trauer sind Gefühle, denen der Mensch in der Schönen neuen
Welt nicht begegnen soll.
Der Autor unterstreicht die Richtigkeit dieses Verhaltens mit den Worten „jugendfrisch“,“faltenlose
Gesichter“ (Seite 199) und stellt diese Begriffe denen gegenüber,die Filine und somit unsere
Realität widerspiegeln: „Ausdruck verblödeter Seligkeit“ (Seite 199), „Ausgeburt von
Greisenhaftigkeit und Entstellung“ (Seite 201).
3. Der Tod hat in unserer Idealvorstellung einen großen emotionalen und individuellen Wert.
(These)
In unserer Idealvorstellung ist das Sterben etwas Ernsthaftes, etwas, dem man mit Respekt
begegnet. Die Menschen sollen Zuhause, in einer persönlichen, familiären Atmosphäre sterben. Der
Sterbende und die Angehörigen haben ein Recht auf Stillstand, sie sollen sich auf den Tod
konzentrieren können und sich aktiv mit ihm auseinandersetzen.
Die Individualität des Verstorbenen soll um jeden Preis erhalten bleiben und deshalb ehrt man ihn in
Gottesdiensten, Grabreden und erinnert an ihn in Todesanzeigen. Der Name des Toten wird auf
seinem Grabstein verewigt und das Grab selbst wird geschmückt und gepflegt. Er wird niemals
vergessen und lebt in unseren Gedanken weiter.
Viele Religionen sprechen von einem Leben nach dem Tod, ein Leben im Paradies, ein Existieren
auch wenn der Körper längst nicht mehr existiert. Man spricht von einer unsterblichen Seele und
gibt dem Menschenleben somit einen unglaublich hohen Wert.
In unseren Idealvorstellungen lernen bereits die Kinder ehrfurchtsvoll und respektvoll mit dem Tod
umzugehen. Wir lehren sie den Umgang mit dem Tod und wir bringen ihnen bei, Trauer aktiv zu
verarbeiten.
4. In der Realität hat der Tod viele Gesichter. (These: Herr Grundhoff kritisiert: Stärker Position
beziehen)
Jeden Tag konfrontieren uns die Medien mit unzähligen, grauenhaften Todesfällen, denen wir
mittlerweile mit Gleichmut begegnen. Wir bauen eine emotionale Distanz zu den Schreckensbildern
dieser Welt auf, um uns ein sorgloses Leben zu erhalten. In Videospielen können wir sogar selbst
zum Mörder werden, ohne dass uns der Tod emotional berührt. Unser Verhalten im Umgang mit
dem Tod nimmt krankhafte Züge an, wenn man unsere Reaktion auf die Katastrophe in Japan und
unsere Reaktion auf den Tod von „Knut“ miteinander vergleicht. Der Tod tausender Menschen
scheint uns nicht halb so sehr zu berühren, wie das Ableben eines Eisbären. Wir brauchen eine
emotionale Beziehung zu dem Lebewesen, welches verstorben ist, um wirklich um es trauern zu
können.
Nur wenn wir eine gesunde, zwischenmenschliche Beziehung zu einem Verstorbenen hatten,
existieren unsere Idealvorstellungen, die den Tod betreffen, auch in der Realität.Wenn wir einen
Angehörigen oder Freund an den Tod verlieren, könnte kein Leid größer sein, es ist für uns nicht zu
begreifen. Den Individuen, die im Sterben liegen, begegnen wir mit Respekt und versuchen ihm ein
möglichst schmerzfreies Restleben zu ermöglichen.
Doch schließt unser Leben unsere Idealvorstellungen auch aus. Häufig ist es uns nicht möglich,
unsere Angehörigen Zuhause zu pflegen. Die Alten leben im Altenheim, die Kranken im
Krankenhaus und die Sterbenden im Hospiz. Hier behandelt man sie nicht mehr wie Menschen,
sondern wie Gegenstände der Arbeit. Altenpfleger und Krankenschwestern haben keine Zeit, sich
ausreichend um die Alten und Kranken zu kümmern, nur die Grundbedürfnisse werden befriedigt.
Dabei gibt es vorgeschriebene Zeiten, in denen die Menschen gewaschen, gefüttert oder gedreht
werden müssen. Niemand kann sich noch um die persönlichen Sorgen der Kranken und Sterbenden
kümmern und so stirbt man am Ende doch einsam.
Auch der Trend seinen Körper nach dem Tod der Forschung zur Verfügung zu stellen, steht im
Widerspruch zu unseren Idealen. Der Körper dient der Wissenschaft und in gewisser Weise der
Allgemeinheit. Man ist kein Individuum mehr, sondern ein biologisches Material. Hier haben wir
starke Ähnlichkeiten mit der Dystopie von Aldous Huxley.
Häufig wird dieser Körperspende zugestimmt, weil eine Bestattung für viele einfach finanziell nicht
mehr zu tragen ist. Das Geschäft mit dem Tod boomt. Es muss ein Sarg gekauft und ein Grab
gemietet werden. Blumen und Kränze gehören zur Standard-Ausstattung einer Beerdigung. Die
ärmeren Menschen können sich das nicht mehr leisten, auch wenn ihnen viel daran liegen würde,
ihre Angehörigen würdevoll zu bestatten.
Entweder fehlt uns das Geld oder die Zeit, unsere Idealvorstellungen in der Realität umzusetzen.
Doch auch wenn unser System einen Umgang mit dem Tod, so wie wir ihn uns vorstellen, beinahe
unmöglich macht, unterscheidet sich unsere Realität stark von der der Schönen neuen Welt. Für uns
ist es selbstverständlich, unsere Angehörigen in Krankenhäusern und Hospizen zu besuchen. Wir
versuchen die menschliche Würde zu erhalten und begegnen den Toten und Sterbenden mit
Respekt. Wir trauern und leiden und lassen die Toten in unserem Gedächtnis unsterblich werden.
Die Gesichter des Todes sind verschieden, doch sie sind allgegenwärtig und nicht verschlossen in
primelgelben Kacheltürmen.