Lernen mit Portfolios in der beruflichen Lehrer/innenbildung

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Lernen mit Portfolios in der beruflichen Lehrer/innenbildung
Wissenschaft
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Lernen mit Portfolios
in der beruflichen Lehrer/innenbildung
Erkenntnisse aus dem deutsch-finnisch-österreichischen EU-Projekt BOBCAT
Univ.-Prof. Dr. Annette Ostendorf
Leiterin des Instituts für Organisation und Lernen
Universität Innsbruck
[email protected]
D
ie Steigerung der Qualität von Bildung ist eines der vorrangigen Ziele der europäischen Bildungspolitik. Um dieses Ziel zu
verfolgen, werden die Anstrengungen der verschiedenen europäischen Länder durch entsprechende Maßnahmen und Aktionen
der EU flankiert. Das hier vorgestellte Projekt BOBCAT nimmt
den Gedanken auf und hat sich die Qualitätsverbesserung im Bereich der beruflichen Lehrer/innenbildung zum Ziel gesetzt. Das
Projekt­akronym BOBCAT steht entsprechend für „Building competence-based learning environments for personalized vocatio­nal
teacher education and training“. Als zentrale didaktisch-methodische Möglichkeit der Personalisierung von Bildungsprozessen in
Lehrer/innenbildungsgängen wird in allen drei beteiligten Ländern
die Portfolioarbeit ins Zentrum der Überlegungen gerückt. Der
Beitrag erläutert die unterschiedlichen Zugänge in der Portfolioarbeit allgemein und vergleicht sie bezogen auf die drei fokussierten
Ausbildungsstandorte. Hierzu ist auch eine grobe Beschreibung
des Bildungssystemkontextes der beteiligten Länder notwendig.
1 Qualitätssteigerung als Ziel der bildungspolitischen
Bemühungen in der EU und Hauptanliegen des
Projekts BOBCAT
Die Zielsetzung des im Rahmen des Leonardo-PartnershipProgramms (http://ec.europa.eu/education/leonardo-da-vinci/doc
1033_en.htm) geförderten Projekts ist es, Lernumgebungen und
beeinflussbare Rahmenbedingungen in der Lehrer/innenbildung
durch den Austausch von Erfahrungen und Vorgehensweisen mit
EU-Partnerländern zu verbessern. Daran knüpft das Hauptanliegen der Arbeiten im Projekt BOBCAT an. Es werden Arbeitsweisen und Verfahren für die Lehrer/innenbildung beschrieben, fortentwickelt und zwischen den beteiligten Partnern in den Ländern
Österreich, Finnland und Deutschland ausgetauscht. Im Fokus
stehen dabei Konzepte und Instrumente, die als „best practices“
zur Erstellung und Entwicklung von kompetenzbasierten und individualisierten Lernumgebungen im Rahmen der Lehrer/innenbildung im berufsbildenden Bereich angesehen werden können.
2Einblick in die Grobstrukturen der Lehrer/innenbildung der BOBCAT-Partnerländer Österreich, Finnland
und Deutschland
2.1 Grobüberblick zur österreichischen Lehrer/innenbildung im
Bereich Berufsbildung
Die Lehrer/innenbildung für den berufsbildenden Bereich in
Österreich vollzieht sich in zwei parallelen institutionellen Set-
Univ.-Prof. Dr. Marc Beutner
Leiter des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik II
Universität Paderborn
[email protected]
tings, die bislang kaum Berührungspunkte aufweisen (vgl. auch
OSTEN­DORF/MATHIES 2008).
Die Lehrkräfte für die Berufsschulen (im dualen System) und
für die höheren technischen Lehranstalten (HTL) werden in den
2005 neu gegründeten Pädagogischen Hochschulen (PH) ausgebildet. Die Pädagogischen Hochschulen bieten ein Bachelorprogramm
für die Berufsschullehrer/innen an, das drei Jahre dauert (früher:
berufspädagogische Akademien). Erst seit Gründung der Pädagogischen Hochschulen ist neben einer Berufsausbildung auch eine
Matura (Studienberechtigung) Voraussetzung für den Einstieg in
die Studienprogramme (vgl. HOCHSCHULGESETZ 2005, § 51
(1)). Berufsschullehrer/innen sowohl des kaufmännischen als auch
des gewerblich-technischen Bereichs (sowie HTL-Lehrer/innen)
werden in Österreich somit auf Bachelor-Niveau ausgebildet.
Die Lehrkräfte für die kaufmännischen und wirtschaftsberuflichen mittleren und höheren Vollzeitschulen werden an der Universität in Diplom- und Masterstudien (Wirtschaftspädagogik)
ausgebildet. Insbesondere die berufsbildenden höheren Schulen
gelten in Österreich als „Erfolgsmodell“, absolvieren dort doch
mittlerweile mehr Schüler/innen die Matura (mit voller Studienberechtigung) als an allgemeinbildenden höheren Schulen (Gymnasien). Laut STATISTIK AUSTRIA (vgl. 2009) bestanden im
Prüfungsjahrgang 2008 17 343 Schüler/innen an Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS) und 23 474 an berufsbildenden höheren Schulen (kaufmännische, wirtschaftsberufliche, technische,
land- und forstwirtschaftliche, lehrer- und erziehungsbildende)
die Reife- und Diplomprüfungen.
Im Bobcat-Projekt stand vor allem die Lehrer/innenbildung
für die kaufmännischen und wirtschaftsberuflichen mittleren
und höheren Schulen (Wirtschaftspädagogen/-pädagoginnen) im
Vordergrund.
Herzstück der universitären Ausbildung von Wirt­schafts­
pädagogen/-pädagoginnen ist das sogenannte „große Schulpraktikum“, das am Ende des Studiums 12 Wochen umfasst, in der
Schulpraxis stattfindet (unter der Betreuung von extra geschulten und ausgewählten Lehrkräften, sogenannten Betreuungsleh­rer/innen) und von der Universität organisatorisch und inhaltlich
begleitet wird. Wirtschaftspädagogik ist damit österreichweit der
einzige ein­phasige Studiengang, der (auch) zum Lehramt führt.
Österreichische Wirt­schaftspädagogen/-pädagoginnen absolvieren nach Abschluss des 9-semestrigen Diplomstudiums oder des
5-semes­trigen Masterstudiums (Master of Science – aufbauend auf
einem 6-semestrigen wirtschaftswissenschaftlichen Bachelorprogramm) eine mindestens 2-jährige betriebspraktische Tätigkeit auf
akademischem Niveau, bevor sie (direkt) in den Schuldienst eintreten.
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Die universitäre Bildung der Lehrer/innen für die höheren und
mittleren kaufmännischen Schulen ist polyvalent ausgerichtet auf
die Vorbereitung auf alle Tätigkeitsbereiche, die eine Verschränkung betriebswirtschaftlicher und/oder pädagogischer Qualifikationen erfordern (schulische und außerschulische Felder), und auf
die Entwicklung forschungsorientierter Kompetenzen – auch im
Hinblick auf die spätere Option einer Aufnahme eines PhD- oder
Doktoratsprogramms. Die Weiterbildung der Lehrer/innen aller
berufsbildenden Schulen findet an den Pädagogischen Hochschulen statt.
2.2 Grobüberblick zur finnischen Lehrer/innenbildung im Bereich
Berufsbildung
Die finnische BOBCAT-Partnerinstitution Haaga Helia Applied
University in Helsinki bietet für den berufsbildenden Bereich ein
Lehrer/innenbildungsprogramm an, das ca. 1,5 Jahre dauert und
aufbauend auf eine akademische Bildung (universitärer Studien­
abschluss, Dauer 3–6 Jahre) und umfangreiche Praxistätigkeit
(mind. 3 Jahre) einsetzt (vgl. ALANKO-TURUNEN 2008).
Im Gegensatz zur österreichischen Ausbildung der Berufsschullehrer/innen verfügen die Studierenden der Haaga Helia
Applied University bereits über einen ersten akademischen Abschluss, bevor sie überhaupt (nach Auswahlverfahren) in das
Lehrer/innenbildungsprogramm aufgenommen werden. Die akademischen Abschlüsse sind von Niveau und Art sehr unterschiedlich und machen eine Individualisierung des Bildungsganges unerlässlich.
Die Studierenden sind deutlich erfahrener und im Durchschnitt wesentlich älter als deutsche oder österreichische Wirtschaftspädagogik-Studierende. Schon während dieser 1–1,5 Jahre
arbeiten die Studierenden begleitend in der Schule. Es wechseln
sich Kontakt- und Selbst-/Fernstudienphasen ab. Die maximale Studiendauer beträgt 3 Jahre. Absolventen/Absolventinnen
können an­schließend in Applied Universities, Berufsschulen oder
Erwachsenenbildungseinrichtungen arbeiten. Gesteuert wird
das Studium über 5 sogenannte „assignments“, in denen „work
packages“ festgelegt werden.
Den allgemein-erziehungswissenschaftlichen Teil absolvieren
die Studierenden an der Universität von Helsinki. Im Anschluss
an die Lehrer/innenausbildung und die anknüpfenden Erfahrungen im schulischen Alltag erfolgt in Finnland eine kontinuierliche
Weiterbildung der Lehrkräfte.
2.3 Grobüberblick zur deutschen Lehrer/innenbildung im Bereich
Berufsbildung
Um in Deutschland einen Zugang zur Lehrer/innenbildung zu erhalten, bedarf es einer Hochschulzugangsberechtigung, die in der
Regel durch die Allgemeine Hochschulreife, das Abitur, nachgewiesen wird. Die deutsche Lehrer/innenbildung erfolgt anschließend in drei Phasen (vgl. SCHULMINISTERIUM NRW 2010).
Vor der Aufnahme der Berufstätigkeit als Lehrperson sind
die ersten beiden Phasen zu absolvieren. „Die Ausbildung gliedert
sich in Studium und Vorbereitungsdienst.“ (LABG 2009, § 2 (2))
Daran anknüpfend erfolgt die dritte Phase der Lehrer/innenweiterbildung (vgl. LABG 2009).
Es handelt sich um eine universitäre akademische Ausbildung, die sowohl fachliche als auch pädagogische, didaktische
sowie fachdidaktische Aspekte beinhaltet. Die Dauer des Studiums beträgt in der Regel 8 bis 10 Semester und ist damit in 4 bis
5 Jahren abgeschlossen. Die Studierenden schließen ihr Studium
nach den Umstrukturierungen auf Basis des Bologna Prozesses
in der Regel mit dem Master-Abschluss ab, wobei es sich je nach
Bundesland und Universität entweder um einen Master of Science oder einen Master of Education handelt. Der Abschluss des
Master of Science ist dabei durchaus als polyvalenter ausgerichtet
zu betrachten, da er neben dem Zugang zum Lehrer/innenberuf
den Studierenden ggf. auch berufliche Tätigkeitsperspektiven in
der Wirtschaft eröffnet.
Anknüpfend an diese erste universitäre Phase der Lehrer/innenbildung besteht die Möglichkeit, bei erfolgreichem Abschluss
die zweite Phase der Lehrer/innenbildung, den Vorbereitungsdienst, das sogenannte Referendariat, zu besuchen (vgl. SCHULMINISTERIUM NRW 2004, vgl. LABG 2009, § 5).
Bis zum Zeitpunkt des Eintritts in die zweite Phase der Lehrer/innenbildung müssen die Bewerber/innen eine praktische
Berufserfahrung von mindestens einem Jahr nachweisen, die sie
entweder vor der ersten Phase der Lehrer/innenbildung, parallel
dazu oder aber im Anschluss, also nach der akademischen Phase,
absolviert haben müssen.
Die akademische erste und praxisorientierte zweite Phase der
Lehrer/innenbildung bilden in Deutschland zusammen die Lehrer/innen-Erstausbildung. Aufbauend ist zudem die kontinuierliche Lehrer/innenweiterbildung ein fester Bestandteil des deutschen Lehrer/innenbildungssystems.
3 Bildungsvergleiche und kultureller Kontext
Die in den vorangegangenen Abschnitten nur sehr grob skizzierten
Wege der Lehrer/innenbildung für berufsbildende Bereiche bilden
eine Art Hintergrund für Einsatzmöglichkeiten, Wirkungsweisen
und institutionelle Verankerungen didaktisch-methodischer Arrangements.
Allen drei im BOBCAT-Projekt zusammengeführten Ausbildungsinstitutionen geht es um eine zukünftige Stärkung einer
deutlich personalisierten Kompetenzentwicklung. Dies bedeutet,
dass Wege und Ideen gesucht und ausprobiert werden, den Professionalisierungsprozess als Lehrperson nicht mehr so stark an
uniforme, standardisierte und damit auch teils von der Person
entfremdende Ausbildungsprogramme zu binden, sondern die
Lehrer/innenbildung stärker als individualisierten Entwicklungsprozess zu fassen.
Eine Möglichkeit, die alle drei Bildungsinstitutionen hierbei
zu nutzen versuchen, ist Portfolioarbeit. Als sehr aufschlussreich
und spannend erwies sich der internationale Vergleich der Verwirklichungsformen von Portfolioarbeit, der aber gerade auch
wieder einen tieferen Zugang zu den Strukturen des gesamten
Berufsbildungswesens der drei Länder als Interpretationsfolie
notwendig macht. Ohne die kulturelle Verankerung der Ziele und
Zugangsweisen zur Berufsbildung zu reflektieren, bleiben z. B.
methodische Vergleiche sehr an der Oberfläche.
Die Problematik interkultureller Bildungsvergleiche hat sich
auch im Projekt gezeigt. Es bedarf einer längeren und intensiven
Phase des Austausches der beteiligten Partner über das jeweils nationalkulturell geprägte Bildungssystem. Dabei wurden verschiedene Wahrnehmungen der Bedeutung, der Ziele und der normativen Zugänge deutlich, die jeweils tief kulturell verankert sind.
Gerade durch internationale wissenschaftliche Begegnung wie
im Rahmen des BOBCAT-Projekts wird das Verständnis für die
jeweils andere Bildungskultur geweckt und gefördert. Gleichzeitig wird dabei auch ein Zwang zur Auseinandersetzung mit den
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eigenen Wurzeln der Bildungsideen provoziert, der zu tieferer
Einsicht in die Gestaltungsbedingungen der eigenen beruflichen
Bildung führt.
4 Portfolioüberlegungen als exemplarischer Einblick
in BOBCAT-Ergebnisse zu qualitativ hochwertigen
Methoden der Lehrer/innenbildung
Portfolios bilden eine Grundlage für eine moderne Form von
Lehrer/innenbildung (vgl. HERTLE 2007). In den verschiedenen
Partnerländern werden Portfolios als eine qualitativ hochwertige
Methode für die Lehrer/innenbildung bewertet und in jeweils spezifischen Varianten umgesetzt. Sie werden von allen BOBCATPartnern eingesetzt, doch erfolgt ihre jeweilige Nutzung stets vor
dem Hintergrund der Lehrer/innenbildungsstruktur des jeweiligen
Partnerlandes. Dabei werden die Portfolios sowohl zur Dokumentation von Lernfortschritten in klassenraum- bzw. seminarbezogenen Lernprozessen als auch zum Festhalten von Lernfortschritten an anderen Lernorten, wie etwa im Rahmen von schulischen
oder betrieblichen Praktika, von Studierenden genutzt (vgl. auch
KREST 1990; PLAMENIK 2001; WHITE 2002 oder SHARP
1997). Hierbei wird dem Praxisbezug in der Lehrer/innenbildung
und dessen Stärkung Rechnung getragen (vgl. FLAGMEYER/ROTERMUND 2007). Trotz der Unterschiede in den Ausprägungen
der Portfolioarbeit an den unterschiedlichen Institutionen lassen
sich deutliche Gemeinsamkeiten über die verschiedenen Länder
nachzeichnen (vgl. z. B. PAULSON 1991, 60ff.).
So findet sich sowohl im österreichischen, im finnischen wie
auch im deutschen Ansatz als Kernfunktion von Portfolios, dass
mit ihnen die persönliche Entwicklung der Lernenden, sprich der
Ersteller der Portfolios, dokumentiert und dargelegt wird.
Im Weiteren wird diese Dokumentation zu verschiedenen
Aspekten herangezogen, die weitere gemeinsame Funktionen von
Praktika verdeutlichen, wie
➤ die Nutzung der Portfolios als Basis für Feedback- und Reflexionsgespräche,
➤ die Nutzung der Portfolios als Instrument zur Prüfung, Beurteilung und Bewertung,
➤ der Einsatz der Portfolios als Unterrichts- und Lernmethode.
In allen Ländern konnte von positiven Erfahrungen, aber auch von
Problemen im Einsatz von Portfolios berichtet werden. Strukturell unterscheiden sich die in Paderborn, Helsinki und Innsbruck
eingesetzten Varianten der Portfolioarbeit wie in der nachfolgenden Tabelle kurz umrissen. Die Kategorien leiten sich aus den Diskussionsschwerpunkten in den BOBCAT-Workshops ab.
Auszumachen sind dabei auch verschiedene Portfolio-Grundtypen, die in den jeweiligen Umsetzungen kombiniert werden. Folgende Portfolio-Typen lassen sich unterscheiden (vgl. z. B. auch
PLAMENIK 2001):
➤ Arbeitsportfolio – Working Portfolio
➤ Themenorientiertes/themenerschließendes Portfolio –
Topic-Related Portfolio
➤ Bewerbungsportfolio/Vorzeigeportfolio – Showcase
Port­folio
➤ Entwicklungsportfolio – Time Sequenced or Process
Port­folio
➤ Präsentationsportfolio – Presentation Portfolio
➤ Bewertungs-/Beurteilungsportfolio – Assessment Portfolio
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Ein Schwerpunkt beim Portfolio-Einsatz durch die BOBCATPartnerinstitutionen liegt auf Arbeits- und Bewertungsportfolios.
Beim Arbeitsportfolio handelt es sich um eine ausgewählte
Zusammenstellung von Arbeiten eines/einer Studierenden. Diese
Zusammenstellung hat einen spezifischen Gesamtfokus, sprich
einen speziellen Lerngegenstand in Form einer Thematik, wie etwa
in BOBCAT Praktikums-Portfolios. Ein solches Arbeitsportfolio
enthält in der Regel abgeschlossene Arbeiten. Es ist jedoch auch
möglich, dass solche Arbeiten einbezogen werden, die aktuell
noch in Bearbeitung sind.
Die Kombinationsmöglichkeit mit anderen Portfoliotypen
zeigt sich z. B. darin, dass verschiedene Teile des Arbeitsportfolios
auch in einem Beurteilungsportfolio, einem Präsentationsport­
folio oder einem Bewerbungsportfolio zum Einsatz kommen.
Arbeitsportfolios können zur Beratung herangezogen werden.
Auch können die Ergebnisse der Studierenden bei der didaktischen und organisatorischen Strukturierung von Lernprozessen
benutzt werden und sind daher auch als mögliche Grundlage für
künftige adressatenorientierte Planungen zu verstehen. Da reine
Arbeitsportfolios in der Regel nicht zensiert werden, dienen sie
eher einer Rückspiegelung der Leistungen und als Reflexionsgrundlage. Im Kontext einer Reflexion eines Arbeitsportfolios
können daher auch die Ansichten der Studierenden, sprich deren
Selbsteinschätzungen, und die Ansichten der Lehrenden, sprich
die Fremdeinschätzungen, gegenübergestellt und evaluativ einbezogen werden.
Kategorie
Paderborn
Helsinki
Innsbruck
Erfahrungshintergrund
der Portfolionutzer
Studierende der
berufserfahrene Studierende Studierende der
Wirtschaftspädagogik,
Wirtschaftspädagogik,
Master, geringe Berufserfahrung
Diplom, keine Berufserfahrung
Akzeptanzprobleme
vorhanden
vorhanden
vorhanden
Grad der Strukturierung mittel
mittel
hoch
Äußere Form
Hardcopy
elektronisch
Hardcopy + elektronisch
Zeitliche Referenz
Hardcopy + elektronisch
gesamtes Studium
Schulpraktikum, ein Semester
Evaluation/Betonung
ja
nein
ja
Didaktische Begleitung
Beratung
eher gering, Studien­
mittel
Einbindung in mündliches Kollo- beratung
quium und Studienmodul
Studienberatung
über Handbuch, ecampus
Tabelle 1: Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Portfolioarbeit der drei verglichenen Standorte Paderborn, Helsinki und Innsbruck
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Das themenorientierte Portfolio baut den Grundgedanken des
Arbeitsportfolios weiter aus, indem zwar auch hier eine Sammlung von Arbeiten zu Thema erfolgt, dabei aber die Besonderheit
besteht, dass die Studierenden die Herangehensweise an das Thema selbst strukturieren sollen. Dabei stehen insbesondere die
Entwicklung einer Problemstellung bezüglich des Themas sowie
die Entwicklung von Zielsetzungen und Leitfragstellungen im
Mittelpunkt. Nachdem eine solche Entwicklung erfolgt ist, kann
der/die Studierende die Thematik und Fragestellungen anhand
der eigenen Arbeiten weiter entwickeln. Dies schlägt sich in den
Arbeitsergebnissen nieder, die im themenorientierten Portfolio
eingebunden sind, und eröffnet weitere Reflexionsmöglichkeiten
in Bezug auf den Ausbau der Thematik, der methodischen Vorgehensweise und der Zieladäquanz.
Ein Bewerbungsportfolio ist dadurch gekennzeichnet, dass es
unter Berücksichtigung bestimmter Zielsetzungen (z. B. Erwerb
einer Stelle in einem Unternehmen oder einer Hochschule) eine
abgewogene und begründete Auswahl von Arbeiten erfordert. Es
handelt sich zumeist um die besten Arbeiten eines/einer Studierenden, bzw. um solche, die er/sie als beste Arbeiten ansieht und
mit denen er/sie den höchsten Zufriedenheitsgrad verbindet. Ziel
eines Bewerbungsportfolios ist es, sich und seine Arbeiten besonders positiv zu präsentieren. In ein Bewerbungsportfolio können
auch Lebensläufe und berufliche oder schulische Werdegänge aufgenommen werden. Abschlüsse werden dokumentiert und Arbeiten aufgenommen, die sowohl die Bandbreite von Tätigkeiten aufzeigen und Informationen über die Person des/der Studierenden
geben, als auch seine/ihre Kompetenzen abbilden.
Die Besonderheit eines Entwicklungsportfolios ist darin zu sehen, dass dabei zumeist ein längerer Zeitraum abgebildet wird, um
eine Entwicklung der Person und ihrer Arbeiten nachzeichnen zu
können. Typisch für Entwicklungsportfolios ist es, dass Arbeiten
einbezogen werden, die früh, also etwa zu Beginn eines Lernprozesses erstellt wurden, Arbeiten, die während des fortschreitenden Lernprozesses abgeliefert wurden, sowie Arbeiten, die nach
Abschluss des Lernprozesses entstanden sind, einbezogen werden. Durch die Betrachtung von Gemeinsamkeiten, Unterschieden und Veränderungen kann der Prozess des Lernens mithilfe
des Entwicklungsportfolios nachgezeichnet werden.
Ein Präsentationsportfolio hingegen nimmt Arbeiten nicht
zwingend mit Rücksichtnahme auf den Erstellungszeitraum und
-prozess auf, sondern legt einen auf einen spezifischen Zeitpunkt
bezogenen Blickwinkel fest. Dies ist damit zu begründen, dass
eine Präsentation vorrangig eine stichtagsbezogene Sicht zum
Präsentationstag in den Mittelpunkt rückt.
Bewertungs-/Beurteilungsportfolios wohnen die Ansprüche der
Abbildung, Messung und Bewertung von Leistungen inne (vgl.
auch HARADA 2001, 32f.). Damit ermöglichen Beurteilungsportfolios die Vergabe von Noten auf Basis der vorliegenden Arbeiten
im Portfolio als auch in Bezug auf die Portfoliogestaltung. Um
eine Bewertung anhand von Norm- oder Kriterienorientierung
vornehmen zu können, ist es sinnvoll bzw. im zweiten Fall sogar zwingend notwendig, Bewertungskriterien festzulegen. Diese
werden anschließend zur Beurteilung der vorgelegten Portfolios
angewendet und im Laufe der Zeit fortentwickelt. Neben fachlichinhaltlichen Kriterien werden oftmals auch die gestalterische, die
sprachliche und strukturelle Form des Portfolios herangezogen. In
der Regel werden dabei Mengenkriterien, z. B. quantitativer Umfang des Portfolios sowie die Einhaltung vorgegebener Mengenbegrenzungen, und Qualitätskriterien miteinander kombiniert. Das
Portfolio bezieht sich in der Regel auf einen abgegrenzten Bereich
angestrebter Kompetenzen und Zielsetzungen und/oder auf einen
fixierten Lernzeitraum oder Lernprozess. Aus Transparenzgründen werden den Studierenden die Anforderungen und Kriterien
der Bewertung offengelegt, wobei Nachvollziehbarkeit, Überschneidungsfreiheit und Umsetzbarkeit im Rahmen der Bewertungstätigkeit als Anforderungen an die Kriterien selbst gesehen
werden können. Im Bewertungsportfolio dienen die Arbeiten der
Dokumentation der Bewältigung verschiedener Aufgabenstellungen sowie als Nachweis über Handlungsergebnisse und die dazu
erforderlichen Lernprozesse (vgl. WINTER 2003, 78ff.).
Im Hinblick auf die auf Personalisierung gerichtete Perspektive im BOBCAT-Projekt sind folgende Aspekte in den eingesetzten Portfolios von besonderem Interesse (vgl. HÄCKER 2002,
204ff.):
➤ Darlegung, Analyse und Reflexion des Entwicklungs- und
Lernprozesses
➤ Aufzeigen der persönlichen Wissensstrukturen und des Kompetenzprofils
➤ Portfolio als Instrument für metakognitive Aktivitäten
➤ persönliche Reflexionsbasis auf Grundlage gemeinsam geteilter
Vorgaben und Kategorien, um einen Austausch zu erleichtern
In den verschiedenen Partnerländern wurden Portfolios als Methode zur individuellen Förderung in der Lehrer/innenbildung
genutzt. Über die verschiedenen Ansätze hinweg sind individualisierende Förderaspekte in der Portfolioarbeit dadurch charakterisiert, dass sechs wesentliche Aspekte dabei berücksichtigt
werden:
➤ Potenzial- und Kompetenzreflexion, hinsichtlich der Personen,
die sich in der Lehrer/innenbildung befinden
➤ subjektorientierte Beratung und Unterstützung des/der Portfolio-Erstellers/-Erstellerin
➤ Ganzheitlichkeit im Rahmen der Situations-, Chancen- und
Problembetrachtung
➤ Stärkenorientierung, da die Portfolio-Ersteller/innen eigene
Aufgabenbearbeitungen und eine entsprechende Auswahl ihrer Ergebnisse vorlegen
➤ Personalisierung, sprich die Ausrichtung von Portfolios auf ein
Individuum, jedoch innerhalb sozialer Kontexte z. B. Praktikumssituationen
➤ Lebens- und Berufsweltbezug durch Einbindung von persönlichen Positionen und Einstellungen zu diesen Welten sowie
den dort gemachten Erfahrungen
5Fazit
Insgesamt kann festgestellt werden, dass Portfolioarbeit in der
Lehrer/innenbildung in den verschiedenen Ländern stark durch
Beratungsaspekte tangiert ist.
Weitere Merkmale sind die starke didaktische Einbindung und
Verzahnung sowie organisatorische Einbindung bis hin zur Nutzung von E-Portfolios. Zudem sind eingesetzte Materialien wie
Leitfäden oder Portfoliohandbücher von Bedeutung, die jedoch in
den drei BOBCAT-Partnerländern durch einen unterschiedlichen
Konkretisierungsgrad gekennzeichnet sind. Wesentliches Ziel der
Portfoliomethode in den Lehr-Lernarrangements der BOBCATPartner ist es, die Verbindung von Theorie und Praxis in einer
spiralförmigen Bewegung zwischen Erfahrung und Reflexion zu
fördern.
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Beratung und
Betreuung durch
Peergroups und
Lehrende
Portfolio
Studierende sammeln und dokumentieren Aufgaben
aus ihren schulischen und betrieblichen Praktika.
Wissenschaft
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Handbuch
oder
Leitfaden
als Basis
Portfolios dienen als Reflexionspapiere und
Bewertungsgrundlage.
Die Studierenden nehmen die Rolle
forschend Lernender ein!
Dokumentation,
Reflexion,
Interpretation
Verbindung von
Theorie und Praxis
Didaktische
Einbindung und
Verzahnung
Organisatorische
Einbindung
Abbildung 1: Einbindung von Portfolios in die Lehrer/innenbildung
Diese in der Abbildung zusammengefassten Eckpunkte der Portfolioarbeit bilden auch den Ausgangspunkt für eine weitere Kooperation der beteiligten (und neuer) BOBCAT-Partnerinstitutionen,
für die bei der EU um Förderung angesucht wurde. BOBCAT hat
zur Bildung eines Netzwerkes geführt, das nunmehr im Rahmen
eines „Knotworking“ operieren möchte. Ein „Knotworking“, wie
es auch im Rahmen eines Vortrags im BOBCAT-Projekt durch
ENGESTRÖM erörtert wurde (vgl. z. B. auch ENGESTRÖM
2004, 152ff.) ist nicht zu verwechseln mit einem (eher lockeren)
Networking. „It is a temporal and spatial trajectory of successive task-oriented combinations of people and artifacts.“ (ENGESTRÖM 2004, 155)
Ein wesentlicher „Knot“ ist dabei die Entwicklung und Erforschung von Portfolioansätzen. Diese werden als eine wesentliche
methodische Möglichkeit zur Individualisierung von Lehrer/in­nen­bildungsgängen betrachtet. Damit einher geht auch die Vorstellung einer Lehrkraft als reflektierend Erforschende ihrer
Praxis. Y
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