Teil 1 Sexuelle Aufklärung

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Teil 1 Sexuelle Aufklärung
Teil 1: Beziehungen und sexuelle Aufklärung:
Die aktuelle Situation in Spanien, Deutschland, Belgien, Polen und Tschechien
Spanien
Carmen Santamaría-García (Spanien)
Vor der allgemeinen Einführung der Koedukation in den achtziger Jahren wurden Jungen
und Mädchen in getrennten Klassenzimmern unterrichtet, um verfängliche Situationen,
die sich aus der spontanen Interaktion von Kindern entwickeln können zu vermeiden.
Daraus lassen sich Rückschlüsse auf die dadurch bedingten Einschränkungen in der
schulischen Gemeinschaft ziehen, da genderrelevante Themen und Sexualität auf
naturwissenschaftliche Fächer beschränkt blieben. Der Unterricht beschränkte sich auf
die Erklärung der weiblichen und männlichen Fortpflanzungsorgane mit Hinweisen darauf,
wie es zu einer Befruchtung kommt. Sexualität war immer ein heikles Thema, nicht nur
in der Schule sondern auch in der Familie. Jungen und Mädchen waren zumeist auf ihre
eigenen Erkundigungen angewiesen.
In der Schule war es das Fach Religion (beschränkt auf die römisch-katholische Lehre),
wo Kinder etwas über sexuelle Aktivitäten erfahren konnten. Daneben boten noch die
Kirche und kirchliche Aktivitäten Gelegenheiten zur Information, wobei jedoch alles, was
nicht zur Fortpflanzung diente, als sündige und ungesunde Handlungen angesehen
wurde, dazu zählte auch die Masturbation zum Vergnügen. Sex war dazu da, um Kinder
mit göttlichem Beistand zu bekommen, und das sollte nur im Rahmen einer Ehe
geschehen (das heilige Sakrament der Ehe). Heute noch können wir im Lehrplan für den
Religionsunterricht der Sekundarschule Hinweise darauf finden, dass die Seele den
Körper vor den Versuchungen der Lust bewahrt, wie dies unten im Beitrag „Schule und
Geschlecht:
Beziehungen
und
sexuelle
Aufklärung“
dargelegt
wird.
Gemäß
der
bischöflichen Konferenz (2007: 26), auf der der Lehrplan beruht, wird Sexualität als
Mittel zum Zweck der Zeugung mit Gottes Beistand verstanden und muss auf
moralischen Wertanschauungen beruhen. Was sich geändert zu haben scheint ist der
Blickwinkel auf den Begriff der „Sünde“, der aus dem Lehrplan als eine negativ belastete
Auffassung eliminiert wurde.
Wenn wir die Informationsquellen von Jugendlichen in den 70er und 80er Jahren mit
denen vergleichen die uns heute zur Verfügung stehen, können wir die enorme
Veränderung sehen, die stattgefunden hat. Heutzutage ist Jugendlichen eine Fülle von
Informationen zugänglich, in der Familie, bei Freunden, der Schule, den Medien
(einschließlich des Internets) oder Büchern, aber genau daraus ergibt sich ein vermehrter
Bedarf, ihnen behilflich zu sein diese Informationen zu verarbeiten.
Eine wichtige Rolle in der sexuellen Aufklärung spielen verschiedene Organisationen, die
in Schulen kommen und über Beziehungen und sexuelle Aufklärung sprechen. Diese
Organisationen stellen auch von Fachleuten entwickelte Lehrmaterialien zur Verfügung,
und antworten auf alle Fragen, die Jugendliche stellen. Diese Informationen sind auch in
Bibliotheken und auf Webseiten dieser Organisationen verfügbar, das erleichtert es auch
Eltern und Lehrern, auf diese Informationen zurückzugreifen.
Deutschland
Olaf Schwarze (Deutschland)
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gab es keine theoretischen Ansätze für die sexuelle
Aufklärung. Die Pädagogen Basedow, Oest, Campe und Rousseau werden als Pioniere der
sexuellen Aufklärung (Wawarzonnek 1984) bezeichnet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts
nahm die sexuelle Aufklärung parallel zur Sexualwissenschaft einen bedeutenden
Aufschwung, jedoch ohne theoretischen oder pädagogischen Bezug. Erst nach dem
Zweiten Weltkrieg wurde sexuelle Aufklärung als Wissenschaft und als eine Teildisziplin
der Erziehungswissenschaft etabliert:
Die empirische Pionierarbeit wurde in der alten BRD von Heinz Hunger geleistet. Er
analysierte kritisch die zu dieser Zeit vorhandene wissenschaftliche Literatur über die
sexuelle Aufklärung vor dem Hintergrund seiner eigenen Fragebogen-Erhebung über die
sexuellen Kenntnisse von jungen Leuten (Hunger 1954).
In der ehemaligen DDR entstand damals eine ganze Reihe von Doktorarbeiten, z. B. von
Borrmann (1961), Schillebeeckx (1969) und Bach (1969), die sich in erster Linie auf die
sexuelle Aufklärung in Schulen bezog.
Scarbath, mit seinem Versuch einer „eindeutigen Ausarbeitung grundsätzlicher sexualpädagogischer Fragestellungen und Zusammenhänge“ (Scarbath 1969), und Maskus
(1979) als erster Vorsitzender der „deutschen Gesellschaft für die sexuelle Aufklärung“,
legten damit eine systematisch-humanistische und kulturphilosophische Basis.
Helmut Kentler entwickelte eigene kritisch-emanzipatorische Ansichten, zuerst auf Basis
der Thesen zur sexuellen Aufklärung, die er damals für Pro Familia formulierte, und die er
später vor allem in seinem Buch „Sexuelle Aufklärung“ verbreitete. (Kentler 1970)
Mit seinem selbsternannten „Zentrum der Aufklärung“ schloss sich Norbert Kluge mit
vielen Veröffentlichungen, die sich auf empirische und wissenschaftliche Erkenntnisse
stützten, der Bildungsdebatte über die sexuelle Aufklärung an (Kluge 1976 und 1978).
Die ideologische und sexual-politische Debatte am Ende der 60er und Anfang der 70er
Jahre, die sich auf einer theoretischen Ebene entwickelte, spiegelte sich in gewaltsamen
Zusammenstößen einerseits zwischen der emanzipatorischen sexuellen Aufklärung von
Kentler und der konservativen christlichen Position (Meves, 1992), und andererseits in
den liberalen Sparten der deutschen Gesellschaft für die Sexualerziehung (Maskus 1979)
wider. Kluge bezog eine zentrale Position, frei von jeder Ideologie, - zwischen den
politischen Extremen (Kluge 1984). Damit wurden drei Richtungen der sexuellen
Aufklärung wiederbelebt, die bereits in der Weimarer Republik praktiziert wurden und auf
einigen theoretischen Fragmenten begründet worden waren: die unterdrückerische, die
vermittlungsliberale und die emanzipatorische sexuelle Aufklärung (Barkow 1980).
Wegen der zunehmenden Debatten über die sexuelle Aufklärung und des Realismus,
sowie der sexualwissenschaftlichen Forschungen im Hinblick auf die Probleme gegen
Ende der 80er Jahre (Geschlechter-Verhältnis, AIDS, sexueller Missbrauch, Pornografie),
entwickelte sich eine Reihe theoretischer Ansichten über die sexuelle Aufklärung. Diese
erstreckten sich von christlich-konservativen Konzepten (von Martial 1991) und religiöspädagogisch
motivierten
ganzheitlichen
Ansichten
über
die
„Liebes-Erziehung“
(Bartholomew 1993), über ein wissenschaftlich-neutrales Verständnis „unparteiischer
Positionierung“ (Kluge 1984, S. 19 ff), feministischen Gender-Modellen (Milhoffer 1995)
bis zu Anschauungen, die auf der emanzipatorischen Tradition der sexuellen Aufklärung
beruhen. (Koch und Lutzmann 1989; und Glück, Scholten und Strötges 1990)
In Ostdeutschland waren weder die sexuelle Aufklärung noch die Familienplanung
Themen in der öffentlichen Diskussion. Diese waren „ausschließlich Angelegenheiten der
Regierung und des Gesundheitswesens“, oder vielmehr Erziehungsangelegenheiten. Das
führte zu einer vereinheitlichenden und zentralistischen Vorgehensweise, mit Nachteilen
wie großer Starrheit, Hemmnissen für Neuerungen und inhaltlicher Einengung, aber auch
mit dem Vorteil der Sicherheit und Realisierbarkeit von einmal gesetzlich sanktionierten
Angelegenheiten. Das allgemeine Niveau der Stellungnahmen zu
Problemen wie
Abtreibung oder Homosexualität war niedrig. Zweifellos gab es viele Tabus und
Vorurteile, die gesamte öffentliche Meinung bezüglich sexueller Angelegenheiten wurde
jedoch wenig polarisiert, ihr wurde weitgehend mit Toleranz begegnet. „Das sind gute
Voraussetzungen für weitere Klarstellungen in diesem Themenkomplex“ (Stumpe und
Weller 1995, S. 30).
Andererseits, im Hinblick auf die „dunklen Seiten der Sexualität“ und wegen der Debatten
über
sexuellen
Missbrauch,
die
angebliche
„Pornografisierung
der
Gesellschaft“,
Pädophilie und Gewalt in sexuellen Beziehungen, wird die Meinung wiederbelebt, dass
Sexualität wiederum als Gefahr gesehen und sexuelle Aufklärung als „Risiko-Kontrolle in
der Erziehung“ betrachtet wird.
Estland
Meeli Väljaots (Estland)
Im 19. Jahrhundert konnte man in Estland kirchlich heiraten. Vor der Heirat mussten die
Paare einige Seminare über religiöse Grundsätze in der Ehe besuchen. Nur denjenigen,
die des Lesens und Schreibens kundig waren und das voreheliche religiöse Programm
absolviert hatten, wurde erlaubt zu heiraten. In der Sowjetzeit waren Eheschließungen in
der Kirche inoffiziell und das voreheliche religiöse Programm für Jugendliche wurde nicht
gefördert.
Es gibt nicht viele Informationen über die Entwicklung und die Geschichte der estnischen
sexual-hygienischen Aufklärung, abgesehen von der Arbeit des Gynäkologen Kai Part, der
sich
auf
dem
Gebiet
des
Sexualverhaltens
Jugendlicher
und
sexueller
Gesundheitserziehung spezialisiert hat. Der überwiegende Teil des folgenden Textes
beruht auf seinen und den Veröffentlichungen seiner Mitarbeiter.
Während der Sowjetzeit waren die Fächer Psychologie und Familienangelegenheiten ab
dem Jahr 1960 an Gymnasien in Estland Wahlfächer und sind seit 1989 Pflichtfächer.
Darüber hinaus wurde das Fach „Hygiene /Gesundheitserziehung“ in die Lehrpläne der 8.
und 10. Schulstufe aufgenommen. Das ermöglicht den Unterricht über sexuelle
Gesundheitserziehung, aber es reicht nicht aus, um das Gesundheitsbewusstsein der
Menschen zu ändern (Part et al 2011).
Während der Sowjetzeit wurde eine Zeitschrift für Jugendliche, genannt „Noorus“
(Jugend), herausgegeben. Zwischen 1977 und 1986 gab es eine spezielle Redaktion für
Jugendliche mit sexuellen Problemen und Beziehungsproblemen, die es Jugendlichen
ermöglichte, einem Psychologen, der Doktor Noormann genannt wurde, Fragen zu
stellen. Dieser „Arzt für Jugendliche“ gab Ratschläge zu sexuellem Verhalten und
verschiedenen sexuellen Problemen, äußerte sich aber auch zu Werthaltungen und
Einstellungen. Leider wurde diese Sparte der Zeitschrift nach nur 10 Jahren Betrieb
eingestellt. Als Grund wurde angegeben, dass Menschen sowjetischer Abstammung
keinen Rat zu Themen, die die Sexualität betreffen, benötigen (Jõgeda 2012). Die Bücher
über
Sexual-Hygiene
befassten
sich
während
der
Sowjetzeit
hauptsächlich
mit
Statistiken, Diagrammen und Zahlen, und technischen oder biologischen Aspekten
darüber, wie Sex vollzogen wird. Wenig Informationen gab es über Werthaltungen oder
Einstellungen,
oder
wie
man
sich
vor
ungewollter
Schwangerschaft
oder
Geschlechtskrankheiten schützt. Ein Beispiel dafür ist das „estnische kleine Sexualbuch“
(Väike eesti seksiraamat), das im Jahr 1990 veröffentlicht wurde und voll war mit
Statistiken,
Begriffen,
mit
denen
die
Geschlechtsorgane
bezeichnet
werden,
Koituspositionen und technischen oder medizinischen Informationen.
Seit 1990 hat sich die sexuelle Gesundheit zu einem eher populären Thema entwickelt,
vor allem weil Ärzte und Lehrer begannen zusammenzuarbeiten. NGO-Organisationen
wurden gegründet und Jugendberatungsstellen vernetzten sich. In Beratungsstellen für
Jugendliche wurden Vorträge über sexuelle Gesundheitsvorsorge für Schüler und
Jugendliche angeboten, die estnische Sexuelle Gesundheitsargentur bereitete Lehrer
darauf vor, im Unterricht Sexualerziehung zu thematisieren. Im Jahr 1996 wurden das
Fach Sozialkunde in die nationalen Lehrpläne integriert, es wurde damit zu einem
Pflichtthema im Verlauf der Schuljahre. Dieses Fach beinhaltet Aspekte der Gesundheit,
der Sozialisation, der Familienplanung und der Psychologie. Auch die Ansicht, in Kindern
Verständnis und Einstellungen hinsichtlich sexueller Gesundheit zu erwecken, gewann
immer mehr an Bedeutung. Vor allem die Verhinderung von Risiken in sexuellen
Beziehungen wurde immer dringlicher. (Part et al 2011).
Im Zusammenhang mit den neuen nationalen Lehrplänen wurde im Jahr 1996 mit der
Ausbildung von Lehrern für den Sozialkunde-Unterricht an der Universität Tartu
begonnen. Im Lauf der Jahre wurden neue Studienmaterialien für Studenten und Lehrer
entwickelt.
Lehrer
erhalten
eine
spezielle
Ausbildung
zu
Themen
der
sexuellen
Gesundheit für den Unterricht an Schulen, wodurch sich die sexualhygienische Aufklärung
an estnischen Schulen verbessert hat. Dennoch hängt die Aufklärung über Sexualhygiene
in den verschiedenen Schulen von den Lehrern ab und findet deshalb auf verschiedenen
Niveaus statt. Die Aufklärung über sexuelle Gesundheit in Estland entwickelt sich weiter,
die Ergebnisse von mehreren Untersuchungen zeigen, dass sich das Verhalten von
Kindern und Jugendlichen und deren Einstellungen bezüglich Sexualaufklärung im Lauf
der Zeit wesentlich verbessert hat (Part et al 2011).
Literatur- und Quellenangaben
Part, K., Haldre, K., Palm, E., Baltussen, R., Ketting, E., Kivelä, J., Kõiv, K., Kull, M. (2011). Kooli
seksuaalhariduse mõjust Eestis. Haridus, 4, 39 - 47.
Church guide. Estonian Evangelical Lutheran Church. (n.d.). (Kiriku teejuht. Eesti Evangeelne
Luterlik Kirik). Aufgerufen am 22. Juni 2013
http://www.eelk.ee/teejuht.html#ptk4=
Estonian Research Information System. (n.d.) Kai Part. Aufgerufen am 22. Juni 2013
https://www.etis.ee/portaal/isikuCV.aspx?PersonVID=39437&lang=et
Jõgeda, T. (2012, April 6). 1977: Can adolescents kiss? 2012: Can I get pregnant from oral sex?
(1977: Kas alaealised tohivad suudelda? 2012: Kas oraalseksist jääb rasedaks?) Eesti Ekspress.
Aufgerufen am 22. Juni 2013
http://www.ekspress.ee/news/paevauudised/elu/1977-kas-alaealised-tohivad-suudelda-2012-kasoraalseksist-jaab-rasedaks.d?id=64206123
Belgien (Flandern)
Bart Hempen (Belgien)
Bevor die Diskussionen über die Sexualerziehung in den 1980er Jahren begannen, wurde
das Thema im Religionsunterricht abgehandelt, für den Inhalt waren Nonnen oder
Priester verantwortlich. Koedukation gab es damals noch nicht. Mädchen wurden von
Nonnen und Jungen von Priestern unterrichtet. Für dieses Thema standen nur ein paar
Stunden zur Verfügung, außerdem wurde es sehr oberflächlich behandelt. Schülern
wurden Bilder von weiblichen und männlichen Fortpflanzungsorganen gezeigt und dazu
eine
kurze
Erklärung
gegeben,
wie
der
Geschlechtsverkehr
vollzogen
wird.
Sexualerziehung war ein heikles Thema. Studenten holten sich viele Informationen aus
Büchern und von Freunden oder haben Vieles über eigene Recherchen herausgefunden.
Nach
der
Einführung
der
allgemeinen
Koedukation
in
den
achtziger
Jahren
überschwemmte eine Flut an neuen Lehrbüchern den Markt. Obwohl die Beiträge über
die menschliche Fortpflanzung in diesen Büchern noch sehr zurückhaltend waren, kamen
zum ersten Mal Zeichnungen der äußeren Geschlechtsorgane und Fotografien von
Embryonen
darin
vor.
Seit
Beginn
der
neunziger
Jahre
wird
das
Thema
der
„menschlichen Fortpflanzung“ in Lehrbüchern ausführlicher behandelt. Themen wie der
Bau der weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane werden umfassender besprochen,
neue Themen wie der Menstruationszyklus und unterschiedliche Beziehungen kamen
hinzu. Seither hat sich die Zahl der Unterrichtstunden für das Thema Fortpflanzung und
sexuelle Aufklärung für 13-jährige Schüler von einer einzelnen Stunde auf bis zu acht
Unterrichtseinheiten ausgeweitet.
Die
Themenbereiche
Geschlechtsorgane,
schließen
Pubertät,
heutzutage
den
Schwangerschaft
Aufbau
und
und
Geburt
die
ein,
Funktion
um
der
ungewollten
Schwangerschaften und sexuell übertragbaren Krankheiten (STD, Sexually transmitted
diseases) vorzubeugen. Das Unterrichtsmaterial umfasst auch zahlreiche Illustrationen
und Fotografien. Auch biosoziale Probleme wie Gebärmutterhalskrebs, Akne und Hygiene
werden berücksichtigt. Diesen zuletzt genannten Themen wird heutzutage besonders viel
Aufmerksamkeit geschenkt, nicht nur in der Schule, sondern auch in den Medien.
Darüber hinaus laden Schulen eine steigende Zahl von Berufsorganisationen ein,
Vorträge über Beziehungen und sexuelle Aufklärung zu halten. Diese Organisationen
geben nicht nur Auskunft sondern entwickeln auch Lehrmaterialien, die jederzeit
verfügbar sind, und beantworten alle Fragen der Schüler. Zusätzlich verteilen sie
Lehrmaterialien und Informationsbroschüren, Poster und Präservative kostenlos an
Schulen und Schüler. Lehrer können ebenfalls in diese Organisationen zur Weiterbildung
zum Thema Sexualität und Beziehungen kommen. Alle Informationen sind auch in den
Bibliotheken dieser Organisationen verfügbar. Dort können Bücher, Zeitschriften und
Videos zum Thema gefunden werden. Informationen für Kinder und Jugendliche, deren
Eltern und Lehrer, sind zumeist auch im Internet verfügbar.
Die Art, wie Beziehungen und sexuelle Aufklärung in Belgien thematisiert wurde, machte
im
letzten
Jahrhundert
große
Fortschritte.
Das
Problem
erhält
nun
viel
mehr
Aufmerksamkeit und wird in den letzten Jahrzehnten in der Schule und im Alltag offener
diskutiert. Es muss sichergestellt sein, dass Jugendliche genaue Informationen über
dieses Thema erhalten. Die Medien „sexualisieren“ Vieles. Beispielhaft deutlich wird dies
in vielen TV-Shows und Werbungen zu diesem Thema. Alles scheint für jeden
verhandelbar; das aber ist eine bloß scheinbare Aufgeschlossenheit. Für viele Jugendliche
wird es immer noch als Tabu betrachtet, offen über Beziehungen und Sexualität zu
sprechen. Das Bildungssystem in Flandern misst Beziehungen und der sexuellen
Aufklärung jedoch immer mehr Bedeutung zu.
Polen
Justyna Ratkowska-Pasikowska (Polen)
Die Gesellschaft für Familienplanung hat bereits im Jahr 1957 eine öffentliche Debatte
über die sexuelle Aufklärung in Polen entfacht. Die politischen Veränderungen, die
damals stattfanden, erfolgten in zwei unterschiedlichen Phasen: die erste zwischen 1973
und 1990 und die zweite von 1990 bis heute (Szymańczak, 2002).
Im Jahr 1973 hat das Bildungsministerium das Fach „Vorbereitung auf das Leben in einer
sozialistischen Familie“ eingeführt. Der Name wurde später (1975) in „Vorbereitung auf
das Familienleben“ abgeändert.
Seit dem Jahr 1986 ist Sexualerziehung von der 4. bis zur 8. Schulstufe ein Pflichtfach in
der Grundschule. Zuvor war es in andere Fächer wie Biologie usw. integriert. Weitere
Änderungen waren mit der Einführung von entsprechenden Lehrbüchern verbunden. Im
Jahr 1987 schrieb Wieslaw Sokoluk ein Buch mit demselben Titel zu dem Thema.
Diskussionen über den Inhalt halten es eher für ein Hilfsmittel als für ein elementares
Lehrbuch. Der Grund dafür ist, dass seine Ideen für die damalige Zeit in Polen zu gewagt
waren.
Heutzutage ist der Unterricht über die Erziehung zum Familienleben nicht verpflichtend,
die Kinder, die den Kursen für Sexualerziehung fernbleiben, müssen jedoch eine von
einem der Elternteile unterschriebene Bestätigung erbringen.
Im Jahr 2009 führte die Autorin eine Untersuchung an einer Schule in Slupsk mit 153
Schülern durch. Der Fragebogen enthielt acht Fragen zum Fach „Erziehung für ein gutes
Familienleben“, mit Fragen, ob Schüler dieses Fach wählen würden, die Gründe dafür,
welche Informationsquellen die Schüler verwenden, wenn sie etwas über Sexualität und
damit im Zusammenhang stehende Dinge erfahren wollen (Ratkowska-Pasikowska,
2011). Daraus konnten folgende Schlüsse gezogen werden: Die Schule spielt eine
wichtige Rolle in der Aufklärung. 31 % der Schüler bekommen nur in der Schule
Informationen über das Sexualleben, weniger als 16 % erhalten diese von ihren Eltern.
Junge Menschen wollen Aufklärung, aber ihr Hauptanliegen ist, zwischen normalem
sexuellen Verhalten und einem krankhaften unterscheiden zu lernen.
Tschechien
Otakar Fleischman (Tschechien)
Im tschechischen Bildungssystem haben während der letzten Jahre viele Veränderungen
- hauptsächlich nach dem Eintritt in die EU - stattgefunden. Diese Änderungen sind eine
Reaktion auf die Veränderungen in der Gesellschaft, die als beschleunigte Lebensweise
zusammengefasst werden können, ausgerichtet auf Erfolg und Nutzen, mit einem neuen
Kommunikationsverhalten.
Diese Veränderungen können auch ein Risiko für einen gesunden Lebensstil und die
moralische
Entwicklung
von
Kindern
und
Jugendlichen
darstellen
(zum
Beispiel
Internetmissbrauch, HIV, venerische Erkrankungen, sexueller Missbrauch von Kindern
usw.). Das Bildungsministerium in Tschechien reagiert auf diese Fakten und ihre
Bedeutung für den Entwicklungsprozess besonders im
Hinblick auf die sexuelle
Aufklärung.
Die Bedingungen für die sexuelle Aufklärung werden vom Bildungsministerium im
„Rahmenausbildungsprogramm“ festgelegt.
In der Vergangenheit war sexuelle Aufklärung Bestandteil der Fächer Biologie und
Familienbildung. Nach einer Schulreform wurden Probleme der sexuellen Aufklärung in
Fachbereiche wie Mensch und Natur (Bereich Humanbiologie) und Ethik integriert, vor
allem in dem Bereich Mensch und Gesundheit, wo die allgemeinen Bildungsziele lauten:
 Erwerb von Kenntnissen über den menschlichen Körper, um die grundlegenden
Funktionen der eigenen Organsysteme zu verstehen und dadurch einen gesunden
Lebensstil zu fördern.
 Unterschiede
zwischen
den
einzelnen
Lebensabschnitten
des
Menschen
Kenntnisse über die Entwicklung eines Kindes vor und nach der Geburt.
und
 Rücksicht gegenüber dem anderen Geschlecht, Vertrautheit mit sicheren Methoden,
und an das Alter angepasstes Sexualverhalten zwischen Jungen und Mädchen.
Allgemeine Themen im Zusammenhang mit der sexuellen Aufklärung:
 Der menschlicher Körper - Voraussetzungen für und Erhalt eines gesunden Körpers,
Aussehen und Funktionen, sexuelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen,
Grundlagen der menschlichen Fortpflanzung, individuelle Entwicklung des Menschen.
 Partnerschaft,
Elternschaft,
grundlegende
Sexual-Aufklärung
-
Familie
und
Partnerschaft, biologische und psychische Veränderungen in der Pubertät und dem
Heranwachsen, ethische Aspekte der Sexualität, HIV/AIDS (Übertragungswege).
In den folgenden Abschnitten wird detailliert auf die Lehrpläne im Rahmen der sexuellen
Aufklärung in verschiedenen Bildungsbereichen eingegangen.
Bildungsziele im Fach Mensch und Natur, Humanbiologie:
Der Schüler soll …..…können:
 Die Lage der Organe und Organ-Systeme des menschlichen Körpers kennen, ihre
Struktur und Funktion beschreiben und die Beziehungen zwischen ihnen erklären
können.
 Die grundlegenden Entwicklungsstufen der menschlichen Abstammung verstehen.
 Die Entwicklung neuen Lebens von der Empfängnis bis ins hohe Alter erklären können.
 Ursachen und/oder Symptome von häufig auftretenden Krankheiten identifizieren,
Vorkehrungen zu ihrer Verhütung anwenden und Maßnahmen zu ihrer Behandlung
ergreifen können.
Inhalte im Fach Mensch und Natur, Humanbiologie:
 Abstammung des Menschen und Ontogenese (Entwicklung des Individuums von der
Eizelle zum geschlechtsreifen Zustand )- menschliche Fortpflanzung.
 Anatomie und Physiologie - Aussehen und Funktionen der einzelnen Körperteile, der
Organe, Organ-Systeme (Stütz- und Bewegungsapparat, Blutzirkulation, Atmungs-,
Verdauungs-,
Ausscheidungsorgane,
Fortpflanzung
und
Nervensystem),
erhöhte
Nervosität, psychische Gesundheit.
 Krankheiten, Verletzungen und deren Vorbeugung - Ursachen, Symptome, wesentliche
Kenntnisse und Methoden in der Behandlung von häufig auftretenden Krankheiten;
ernst zu nehmende Verletzungen und lebensbedrohliche Zustände.
 Lebensführung- positive und negative Einflüsse auf die menschliche Gesundheit.
Das in der Humanbiologie erworbenen Wissen bildet die Basis für die Sexualerziehung in
anderen Fächern und Bildungsbereichen.

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