Teil 1 Sexuelle Aufklärung
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Teil 1 Sexuelle Aufklärung
Teil 1: Beziehungen und sexuelle Aufklärung: Die aktuelle Situation in Spanien, Deutschland, Belgien, Polen und Tschechien Spanien Carmen Santamaría-García (Spanien) Vor der allgemeinen Einführung der Koedukation in den achtziger Jahren wurden Jungen und Mädchen in getrennten Klassenzimmern unterrichtet, um verfängliche Situationen, die sich aus der spontanen Interaktion von Kindern entwickeln können zu vermeiden. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf die dadurch bedingten Einschränkungen in der schulischen Gemeinschaft ziehen, da genderrelevante Themen und Sexualität auf naturwissenschaftliche Fächer beschränkt blieben. Der Unterricht beschränkte sich auf die Erklärung der weiblichen und männlichen Fortpflanzungsorgane mit Hinweisen darauf, wie es zu einer Befruchtung kommt. Sexualität war immer ein heikles Thema, nicht nur in der Schule sondern auch in der Familie. Jungen und Mädchen waren zumeist auf ihre eigenen Erkundigungen angewiesen. In der Schule war es das Fach Religion (beschränkt auf die römisch-katholische Lehre), wo Kinder etwas über sexuelle Aktivitäten erfahren konnten. Daneben boten noch die Kirche und kirchliche Aktivitäten Gelegenheiten zur Information, wobei jedoch alles, was nicht zur Fortpflanzung diente, als sündige und ungesunde Handlungen angesehen wurde, dazu zählte auch die Masturbation zum Vergnügen. Sex war dazu da, um Kinder mit göttlichem Beistand zu bekommen, und das sollte nur im Rahmen einer Ehe geschehen (das heilige Sakrament der Ehe). Heute noch können wir im Lehrplan für den Religionsunterricht der Sekundarschule Hinweise darauf finden, dass die Seele den Körper vor den Versuchungen der Lust bewahrt, wie dies unten im Beitrag „Schule und Geschlecht: Beziehungen und sexuelle Aufklärung“ dargelegt wird. Gemäß der bischöflichen Konferenz (2007: 26), auf der der Lehrplan beruht, wird Sexualität als Mittel zum Zweck der Zeugung mit Gottes Beistand verstanden und muss auf moralischen Wertanschauungen beruhen. Was sich geändert zu haben scheint ist der Blickwinkel auf den Begriff der „Sünde“, der aus dem Lehrplan als eine negativ belastete Auffassung eliminiert wurde. Wenn wir die Informationsquellen von Jugendlichen in den 70er und 80er Jahren mit denen vergleichen die uns heute zur Verfügung stehen, können wir die enorme Veränderung sehen, die stattgefunden hat. Heutzutage ist Jugendlichen eine Fülle von Informationen zugänglich, in der Familie, bei Freunden, der Schule, den Medien (einschließlich des Internets) oder Büchern, aber genau daraus ergibt sich ein vermehrter Bedarf, ihnen behilflich zu sein diese Informationen zu verarbeiten. Eine wichtige Rolle in der sexuellen Aufklärung spielen verschiedene Organisationen, die in Schulen kommen und über Beziehungen und sexuelle Aufklärung sprechen. Diese Organisationen stellen auch von Fachleuten entwickelte Lehrmaterialien zur Verfügung, und antworten auf alle Fragen, die Jugendliche stellen. Diese Informationen sind auch in Bibliotheken und auf Webseiten dieser Organisationen verfügbar, das erleichtert es auch Eltern und Lehrern, auf diese Informationen zurückzugreifen. Deutschland Olaf Schwarze (Deutschland) Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gab es keine theoretischen Ansätze für die sexuelle Aufklärung. Die Pädagogen Basedow, Oest, Campe und Rousseau werden als Pioniere der sexuellen Aufklärung (Wawarzonnek 1984) bezeichnet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm die sexuelle Aufklärung parallel zur Sexualwissenschaft einen bedeutenden Aufschwung, jedoch ohne theoretischen oder pädagogischen Bezug. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sexuelle Aufklärung als Wissenschaft und als eine Teildisziplin der Erziehungswissenschaft etabliert: Die empirische Pionierarbeit wurde in der alten BRD von Heinz Hunger geleistet. Er analysierte kritisch die zu dieser Zeit vorhandene wissenschaftliche Literatur über die sexuelle Aufklärung vor dem Hintergrund seiner eigenen Fragebogen-Erhebung über die sexuellen Kenntnisse von jungen Leuten (Hunger 1954). In der ehemaligen DDR entstand damals eine ganze Reihe von Doktorarbeiten, z. B. von Borrmann (1961), Schillebeeckx (1969) und Bach (1969), die sich in erster Linie auf die sexuelle Aufklärung in Schulen bezog. Scarbath, mit seinem Versuch einer „eindeutigen Ausarbeitung grundsätzlicher sexualpädagogischer Fragestellungen und Zusammenhänge“ (Scarbath 1969), und Maskus (1979) als erster Vorsitzender der „deutschen Gesellschaft für die sexuelle Aufklärung“, legten damit eine systematisch-humanistische und kulturphilosophische Basis. Helmut Kentler entwickelte eigene kritisch-emanzipatorische Ansichten, zuerst auf Basis der Thesen zur sexuellen Aufklärung, die er damals für Pro Familia formulierte, und die er später vor allem in seinem Buch „Sexuelle Aufklärung“ verbreitete. (Kentler 1970) Mit seinem selbsternannten „Zentrum der Aufklärung“ schloss sich Norbert Kluge mit vielen Veröffentlichungen, die sich auf empirische und wissenschaftliche Erkenntnisse stützten, der Bildungsdebatte über die sexuelle Aufklärung an (Kluge 1976 und 1978). Die ideologische und sexual-politische Debatte am Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre, die sich auf einer theoretischen Ebene entwickelte, spiegelte sich in gewaltsamen Zusammenstößen einerseits zwischen der emanzipatorischen sexuellen Aufklärung von Kentler und der konservativen christlichen Position (Meves, 1992), und andererseits in den liberalen Sparten der deutschen Gesellschaft für die Sexualerziehung (Maskus 1979) wider. Kluge bezog eine zentrale Position, frei von jeder Ideologie, - zwischen den politischen Extremen (Kluge 1984). Damit wurden drei Richtungen der sexuellen Aufklärung wiederbelebt, die bereits in der Weimarer Republik praktiziert wurden und auf einigen theoretischen Fragmenten begründet worden waren: die unterdrückerische, die vermittlungsliberale und die emanzipatorische sexuelle Aufklärung (Barkow 1980). Wegen der zunehmenden Debatten über die sexuelle Aufklärung und des Realismus, sowie der sexualwissenschaftlichen Forschungen im Hinblick auf die Probleme gegen Ende der 80er Jahre (Geschlechter-Verhältnis, AIDS, sexueller Missbrauch, Pornografie), entwickelte sich eine Reihe theoretischer Ansichten über die sexuelle Aufklärung. Diese erstreckten sich von christlich-konservativen Konzepten (von Martial 1991) und religiöspädagogisch motivierten ganzheitlichen Ansichten über die „Liebes-Erziehung“ (Bartholomew 1993), über ein wissenschaftlich-neutrales Verständnis „unparteiischer Positionierung“ (Kluge 1984, S. 19 ff), feministischen Gender-Modellen (Milhoffer 1995) bis zu Anschauungen, die auf der emanzipatorischen Tradition der sexuellen Aufklärung beruhen. (Koch und Lutzmann 1989; und Glück, Scholten und Strötges 1990) In Ostdeutschland waren weder die sexuelle Aufklärung noch die Familienplanung Themen in der öffentlichen Diskussion. Diese waren „ausschließlich Angelegenheiten der Regierung und des Gesundheitswesens“, oder vielmehr Erziehungsangelegenheiten. Das führte zu einer vereinheitlichenden und zentralistischen Vorgehensweise, mit Nachteilen wie großer Starrheit, Hemmnissen für Neuerungen und inhaltlicher Einengung, aber auch mit dem Vorteil der Sicherheit und Realisierbarkeit von einmal gesetzlich sanktionierten Angelegenheiten. Das allgemeine Niveau der Stellungnahmen zu Problemen wie Abtreibung oder Homosexualität war niedrig. Zweifellos gab es viele Tabus und Vorurteile, die gesamte öffentliche Meinung bezüglich sexueller Angelegenheiten wurde jedoch wenig polarisiert, ihr wurde weitgehend mit Toleranz begegnet. „Das sind gute Voraussetzungen für weitere Klarstellungen in diesem Themenkomplex“ (Stumpe und Weller 1995, S. 30). Andererseits, im Hinblick auf die „dunklen Seiten der Sexualität“ und wegen der Debatten über sexuellen Missbrauch, die angebliche „Pornografisierung der Gesellschaft“, Pädophilie und Gewalt in sexuellen Beziehungen, wird die Meinung wiederbelebt, dass Sexualität wiederum als Gefahr gesehen und sexuelle Aufklärung als „Risiko-Kontrolle in der Erziehung“ betrachtet wird. Estland Meeli Väljaots (Estland) Im 19. Jahrhundert konnte man in Estland kirchlich heiraten. Vor der Heirat mussten die Paare einige Seminare über religiöse Grundsätze in der Ehe besuchen. Nur denjenigen, die des Lesens und Schreibens kundig waren und das voreheliche religiöse Programm absolviert hatten, wurde erlaubt zu heiraten. In der Sowjetzeit waren Eheschließungen in der Kirche inoffiziell und das voreheliche religiöse Programm für Jugendliche wurde nicht gefördert. Es gibt nicht viele Informationen über die Entwicklung und die Geschichte der estnischen sexual-hygienischen Aufklärung, abgesehen von der Arbeit des Gynäkologen Kai Part, der sich auf dem Gebiet des Sexualverhaltens Jugendlicher und sexueller Gesundheitserziehung spezialisiert hat. Der überwiegende Teil des folgenden Textes beruht auf seinen und den Veröffentlichungen seiner Mitarbeiter. Während der Sowjetzeit waren die Fächer Psychologie und Familienangelegenheiten ab dem Jahr 1960 an Gymnasien in Estland Wahlfächer und sind seit 1989 Pflichtfächer. Darüber hinaus wurde das Fach „Hygiene /Gesundheitserziehung“ in die Lehrpläne der 8. und 10. Schulstufe aufgenommen. Das ermöglicht den Unterricht über sexuelle Gesundheitserziehung, aber es reicht nicht aus, um das Gesundheitsbewusstsein der Menschen zu ändern (Part et al 2011). Während der Sowjetzeit wurde eine Zeitschrift für Jugendliche, genannt „Noorus“ (Jugend), herausgegeben. Zwischen 1977 und 1986 gab es eine spezielle Redaktion für Jugendliche mit sexuellen Problemen und Beziehungsproblemen, die es Jugendlichen ermöglichte, einem Psychologen, der Doktor Noormann genannt wurde, Fragen zu stellen. Dieser „Arzt für Jugendliche“ gab Ratschläge zu sexuellem Verhalten und verschiedenen sexuellen Problemen, äußerte sich aber auch zu Werthaltungen und Einstellungen. Leider wurde diese Sparte der Zeitschrift nach nur 10 Jahren Betrieb eingestellt. Als Grund wurde angegeben, dass Menschen sowjetischer Abstammung keinen Rat zu Themen, die die Sexualität betreffen, benötigen (Jõgeda 2012). Die Bücher über Sexual-Hygiene befassten sich während der Sowjetzeit hauptsächlich mit Statistiken, Diagrammen und Zahlen, und technischen oder biologischen Aspekten darüber, wie Sex vollzogen wird. Wenig Informationen gab es über Werthaltungen oder Einstellungen, oder wie man sich vor ungewollter Schwangerschaft oder Geschlechtskrankheiten schützt. Ein Beispiel dafür ist das „estnische kleine Sexualbuch“ (Väike eesti seksiraamat), das im Jahr 1990 veröffentlicht wurde und voll war mit Statistiken, Begriffen, mit denen die Geschlechtsorgane bezeichnet werden, Koituspositionen und technischen oder medizinischen Informationen. Seit 1990 hat sich die sexuelle Gesundheit zu einem eher populären Thema entwickelt, vor allem weil Ärzte und Lehrer begannen zusammenzuarbeiten. NGO-Organisationen wurden gegründet und Jugendberatungsstellen vernetzten sich. In Beratungsstellen für Jugendliche wurden Vorträge über sexuelle Gesundheitsvorsorge für Schüler und Jugendliche angeboten, die estnische Sexuelle Gesundheitsargentur bereitete Lehrer darauf vor, im Unterricht Sexualerziehung zu thematisieren. Im Jahr 1996 wurden das Fach Sozialkunde in die nationalen Lehrpläne integriert, es wurde damit zu einem Pflichtthema im Verlauf der Schuljahre. Dieses Fach beinhaltet Aspekte der Gesundheit, der Sozialisation, der Familienplanung und der Psychologie. Auch die Ansicht, in Kindern Verständnis und Einstellungen hinsichtlich sexueller Gesundheit zu erwecken, gewann immer mehr an Bedeutung. Vor allem die Verhinderung von Risiken in sexuellen Beziehungen wurde immer dringlicher. (Part et al 2011). Im Zusammenhang mit den neuen nationalen Lehrplänen wurde im Jahr 1996 mit der Ausbildung von Lehrern für den Sozialkunde-Unterricht an der Universität Tartu begonnen. Im Lauf der Jahre wurden neue Studienmaterialien für Studenten und Lehrer entwickelt. Lehrer erhalten eine spezielle Ausbildung zu Themen der sexuellen Gesundheit für den Unterricht an Schulen, wodurch sich die sexualhygienische Aufklärung an estnischen Schulen verbessert hat. Dennoch hängt die Aufklärung über Sexualhygiene in den verschiedenen Schulen von den Lehrern ab und findet deshalb auf verschiedenen Niveaus statt. Die Aufklärung über sexuelle Gesundheit in Estland entwickelt sich weiter, die Ergebnisse von mehreren Untersuchungen zeigen, dass sich das Verhalten von Kindern und Jugendlichen und deren Einstellungen bezüglich Sexualaufklärung im Lauf der Zeit wesentlich verbessert hat (Part et al 2011). Literatur- und Quellenangaben Part, K., Haldre, K., Palm, E., Baltussen, R., Ketting, E., Kivelä, J., Kõiv, K., Kull, M. (2011). Kooli seksuaalhariduse mõjust Eestis. Haridus, 4, 39 - 47. Church guide. Estonian Evangelical Lutheran Church. (n.d.). (Kiriku teejuht. Eesti Evangeelne Luterlik Kirik). Aufgerufen am 22. Juni 2013 http://www.eelk.ee/teejuht.html#ptk4= Estonian Research Information System. (n.d.) Kai Part. Aufgerufen am 22. Juni 2013 https://www.etis.ee/portaal/isikuCV.aspx?PersonVID=39437&lang=et Jõgeda, T. (2012, April 6). 1977: Can adolescents kiss? 2012: Can I get pregnant from oral sex? (1977: Kas alaealised tohivad suudelda? 2012: Kas oraalseksist jääb rasedaks?) Eesti Ekspress. Aufgerufen am 22. Juni 2013 http://www.ekspress.ee/news/paevauudised/elu/1977-kas-alaealised-tohivad-suudelda-2012-kasoraalseksist-jaab-rasedaks.d?id=64206123 Belgien (Flandern) Bart Hempen (Belgien) Bevor die Diskussionen über die Sexualerziehung in den 1980er Jahren begannen, wurde das Thema im Religionsunterricht abgehandelt, für den Inhalt waren Nonnen oder Priester verantwortlich. Koedukation gab es damals noch nicht. Mädchen wurden von Nonnen und Jungen von Priestern unterrichtet. Für dieses Thema standen nur ein paar Stunden zur Verfügung, außerdem wurde es sehr oberflächlich behandelt. Schülern wurden Bilder von weiblichen und männlichen Fortpflanzungsorganen gezeigt und dazu eine kurze Erklärung gegeben, wie der Geschlechtsverkehr vollzogen wird. Sexualerziehung war ein heikles Thema. Studenten holten sich viele Informationen aus Büchern und von Freunden oder haben Vieles über eigene Recherchen herausgefunden. Nach der Einführung der allgemeinen Koedukation in den achtziger Jahren überschwemmte eine Flut an neuen Lehrbüchern den Markt. Obwohl die Beiträge über die menschliche Fortpflanzung in diesen Büchern noch sehr zurückhaltend waren, kamen zum ersten Mal Zeichnungen der äußeren Geschlechtsorgane und Fotografien von Embryonen darin vor. Seit Beginn der neunziger Jahre wird das Thema der „menschlichen Fortpflanzung“ in Lehrbüchern ausführlicher behandelt. Themen wie der Bau der weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane werden umfassender besprochen, neue Themen wie der Menstruationszyklus und unterschiedliche Beziehungen kamen hinzu. Seither hat sich die Zahl der Unterrichtstunden für das Thema Fortpflanzung und sexuelle Aufklärung für 13-jährige Schüler von einer einzelnen Stunde auf bis zu acht Unterrichtseinheiten ausgeweitet. Die Themenbereiche Geschlechtsorgane, schließen Pubertät, heutzutage den Schwangerschaft Aufbau und und Geburt die ein, Funktion um der ungewollten Schwangerschaften und sexuell übertragbaren Krankheiten (STD, Sexually transmitted diseases) vorzubeugen. Das Unterrichtsmaterial umfasst auch zahlreiche Illustrationen und Fotografien. Auch biosoziale Probleme wie Gebärmutterhalskrebs, Akne und Hygiene werden berücksichtigt. Diesen zuletzt genannten Themen wird heutzutage besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt, nicht nur in der Schule, sondern auch in den Medien. Darüber hinaus laden Schulen eine steigende Zahl von Berufsorganisationen ein, Vorträge über Beziehungen und sexuelle Aufklärung zu halten. Diese Organisationen geben nicht nur Auskunft sondern entwickeln auch Lehrmaterialien, die jederzeit verfügbar sind, und beantworten alle Fragen der Schüler. Zusätzlich verteilen sie Lehrmaterialien und Informationsbroschüren, Poster und Präservative kostenlos an Schulen und Schüler. Lehrer können ebenfalls in diese Organisationen zur Weiterbildung zum Thema Sexualität und Beziehungen kommen. Alle Informationen sind auch in den Bibliotheken dieser Organisationen verfügbar. Dort können Bücher, Zeitschriften und Videos zum Thema gefunden werden. Informationen für Kinder und Jugendliche, deren Eltern und Lehrer, sind zumeist auch im Internet verfügbar. Die Art, wie Beziehungen und sexuelle Aufklärung in Belgien thematisiert wurde, machte im letzten Jahrhundert große Fortschritte. Das Problem erhält nun viel mehr Aufmerksamkeit und wird in den letzten Jahrzehnten in der Schule und im Alltag offener diskutiert. Es muss sichergestellt sein, dass Jugendliche genaue Informationen über dieses Thema erhalten. Die Medien „sexualisieren“ Vieles. Beispielhaft deutlich wird dies in vielen TV-Shows und Werbungen zu diesem Thema. Alles scheint für jeden verhandelbar; das aber ist eine bloß scheinbare Aufgeschlossenheit. Für viele Jugendliche wird es immer noch als Tabu betrachtet, offen über Beziehungen und Sexualität zu sprechen. Das Bildungssystem in Flandern misst Beziehungen und der sexuellen Aufklärung jedoch immer mehr Bedeutung zu. Polen Justyna Ratkowska-Pasikowska (Polen) Die Gesellschaft für Familienplanung hat bereits im Jahr 1957 eine öffentliche Debatte über die sexuelle Aufklärung in Polen entfacht. Die politischen Veränderungen, die damals stattfanden, erfolgten in zwei unterschiedlichen Phasen: die erste zwischen 1973 und 1990 und die zweite von 1990 bis heute (Szymańczak, 2002). Im Jahr 1973 hat das Bildungsministerium das Fach „Vorbereitung auf das Leben in einer sozialistischen Familie“ eingeführt. Der Name wurde später (1975) in „Vorbereitung auf das Familienleben“ abgeändert. Seit dem Jahr 1986 ist Sexualerziehung von der 4. bis zur 8. Schulstufe ein Pflichtfach in der Grundschule. Zuvor war es in andere Fächer wie Biologie usw. integriert. Weitere Änderungen waren mit der Einführung von entsprechenden Lehrbüchern verbunden. Im Jahr 1987 schrieb Wieslaw Sokoluk ein Buch mit demselben Titel zu dem Thema. Diskussionen über den Inhalt halten es eher für ein Hilfsmittel als für ein elementares Lehrbuch. Der Grund dafür ist, dass seine Ideen für die damalige Zeit in Polen zu gewagt waren. Heutzutage ist der Unterricht über die Erziehung zum Familienleben nicht verpflichtend, die Kinder, die den Kursen für Sexualerziehung fernbleiben, müssen jedoch eine von einem der Elternteile unterschriebene Bestätigung erbringen. Im Jahr 2009 führte die Autorin eine Untersuchung an einer Schule in Slupsk mit 153 Schülern durch. Der Fragebogen enthielt acht Fragen zum Fach „Erziehung für ein gutes Familienleben“, mit Fragen, ob Schüler dieses Fach wählen würden, die Gründe dafür, welche Informationsquellen die Schüler verwenden, wenn sie etwas über Sexualität und damit im Zusammenhang stehende Dinge erfahren wollen (Ratkowska-Pasikowska, 2011). Daraus konnten folgende Schlüsse gezogen werden: Die Schule spielt eine wichtige Rolle in der Aufklärung. 31 % der Schüler bekommen nur in der Schule Informationen über das Sexualleben, weniger als 16 % erhalten diese von ihren Eltern. Junge Menschen wollen Aufklärung, aber ihr Hauptanliegen ist, zwischen normalem sexuellen Verhalten und einem krankhaften unterscheiden zu lernen. Tschechien Otakar Fleischman (Tschechien) Im tschechischen Bildungssystem haben während der letzten Jahre viele Veränderungen - hauptsächlich nach dem Eintritt in die EU - stattgefunden. Diese Änderungen sind eine Reaktion auf die Veränderungen in der Gesellschaft, die als beschleunigte Lebensweise zusammengefasst werden können, ausgerichtet auf Erfolg und Nutzen, mit einem neuen Kommunikationsverhalten. Diese Veränderungen können auch ein Risiko für einen gesunden Lebensstil und die moralische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen darstellen (zum Beispiel Internetmissbrauch, HIV, venerische Erkrankungen, sexueller Missbrauch von Kindern usw.). Das Bildungsministerium in Tschechien reagiert auf diese Fakten und ihre Bedeutung für den Entwicklungsprozess besonders im Hinblick auf die sexuelle Aufklärung. Die Bedingungen für die sexuelle Aufklärung werden vom Bildungsministerium im „Rahmenausbildungsprogramm“ festgelegt. In der Vergangenheit war sexuelle Aufklärung Bestandteil der Fächer Biologie und Familienbildung. Nach einer Schulreform wurden Probleme der sexuellen Aufklärung in Fachbereiche wie Mensch und Natur (Bereich Humanbiologie) und Ethik integriert, vor allem in dem Bereich Mensch und Gesundheit, wo die allgemeinen Bildungsziele lauten: Erwerb von Kenntnissen über den menschlichen Körper, um die grundlegenden Funktionen der eigenen Organsysteme zu verstehen und dadurch einen gesunden Lebensstil zu fördern. Unterschiede zwischen den einzelnen Lebensabschnitten des Menschen Kenntnisse über die Entwicklung eines Kindes vor und nach der Geburt. und Rücksicht gegenüber dem anderen Geschlecht, Vertrautheit mit sicheren Methoden, und an das Alter angepasstes Sexualverhalten zwischen Jungen und Mädchen. Allgemeine Themen im Zusammenhang mit der sexuellen Aufklärung: Der menschlicher Körper - Voraussetzungen für und Erhalt eines gesunden Körpers, Aussehen und Funktionen, sexuelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen, Grundlagen der menschlichen Fortpflanzung, individuelle Entwicklung des Menschen. Partnerschaft, Elternschaft, grundlegende Sexual-Aufklärung - Familie und Partnerschaft, biologische und psychische Veränderungen in der Pubertät und dem Heranwachsen, ethische Aspekte der Sexualität, HIV/AIDS (Übertragungswege). In den folgenden Abschnitten wird detailliert auf die Lehrpläne im Rahmen der sexuellen Aufklärung in verschiedenen Bildungsbereichen eingegangen. Bildungsziele im Fach Mensch und Natur, Humanbiologie: Der Schüler soll …..…können: Die Lage der Organe und Organ-Systeme des menschlichen Körpers kennen, ihre Struktur und Funktion beschreiben und die Beziehungen zwischen ihnen erklären können. Die grundlegenden Entwicklungsstufen der menschlichen Abstammung verstehen. Die Entwicklung neuen Lebens von der Empfängnis bis ins hohe Alter erklären können. Ursachen und/oder Symptome von häufig auftretenden Krankheiten identifizieren, Vorkehrungen zu ihrer Verhütung anwenden und Maßnahmen zu ihrer Behandlung ergreifen können. Inhalte im Fach Mensch und Natur, Humanbiologie: Abstammung des Menschen und Ontogenese (Entwicklung des Individuums von der Eizelle zum geschlechtsreifen Zustand )- menschliche Fortpflanzung. Anatomie und Physiologie - Aussehen und Funktionen der einzelnen Körperteile, der Organe, Organ-Systeme (Stütz- und Bewegungsapparat, Blutzirkulation, Atmungs-, Verdauungs-, Ausscheidungsorgane, Fortpflanzung und Nervensystem), erhöhte Nervosität, psychische Gesundheit. Krankheiten, Verletzungen und deren Vorbeugung - Ursachen, Symptome, wesentliche Kenntnisse und Methoden in der Behandlung von häufig auftretenden Krankheiten; ernst zu nehmende Verletzungen und lebensbedrohliche Zustände. Lebensführung- positive und negative Einflüsse auf die menschliche Gesundheit. Das in der Humanbiologie erworbenen Wissen bildet die Basis für die Sexualerziehung in anderen Fächern und Bildungsbereichen.