Nordkorea-Tagebuch Teil II / Philipp Sturm

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Nordkorea-Tagebuch Teil II / Philipp Sturm
Nordkorea-Tagebuch Teil II / Philipp Sturm
Die koreanische Geschichte begann nach der DangunLegende mit dem Jahr 2333 vor Christi (4244 vor Kim Il
Sung) – also richtig früh.
Der König des Himmels Hwan In hatte einen Sohn namens
Hwan Ung, der unter den Menschen zu leben begehrte.
Hwang Ung stieg mit 3.000 Getreuen zum Taebaeksan –
einen Berg im heutigen Nordkorea – hinab und unterwies
das Volk in den Grundsätzen der Moral und verkündete
die Gesetze. Zu dieser Zeit lebten in den nordkoreanischen
Wäldern eine Bärin und eine Tigerin, die den König baten,
er möge sie in Menschen verwandeln. Der König gab den
beiden Tieren Beifuß und Knoblauch mit der Belehrung,
sie sollten diese heilige Nahrung zu sich nehmen und
hundert Tage lang das Sonnenlicht meiden. Die Bärin
folgte den Anweisungen und verwandelte sich in eine
Frau. Die Tigerin aber, die den königlichen Rat nicht
befolgte, blieb, was sie war. Der König heiratete die
Bären-Frau, und sie gebar ihm einen Sohn, der den
Namen Dangun erhielt.
Haiduci oder die des russischen Girlie-Duos tATu auch
nicht.
China Air ist einfach klasse. Im hinteren Teil der Boeing,
dort wo all die Mittags- und Abendessen in den
Metallschränken
aufgereiht
sind,
findet
nachts
Selbstbedienung statt. Man greift zu Erdnusstütchen, holt
sich Bierdosen aus dem Kühlschrank und plaudert mit
anderen Reisenden. Immer mal wieder wuselt sich eine
kleine chinesische Stewardess durch die gesellige Runde.
Leistner und ich lassen uns langsam mit chinesischen
Great Wall Rotwein voll laufen und sind beim „Du“
angelangt. Dieses informelle Beisammensein sollte
international auf allen Airlines institutionalisiert werden,
sei es durch eine schicke Bar oder einfach einen kleinen
Stehtisch in der Mitte. Wenn doch 9/11 nicht gewesen
wäre …
Peking Airport. Nichts Besonderes. Nichts Neues.
Der Chinese ist
nicht ganz dicht.
Kim Jong Il
der alte
Lebemann
Ob Kim Jong Il nun ein Nachfahre Danguns ist oder aus
den Zitzen einer Nachfahrin der Tigerin seine Muttermilch
trank, weiß ich nicht, aber ich kann sagen, Nordkorea ist
um vieles leichter zu begreifen, wenn man die DangunLegende kennt.
07/04/06 _ 08/04/06
Ein Tag, zwei Daten.
Auf gestriger Schirn-Vernissage versprach mir Kim, die
Seoul-Sista aus Tobias´ WG, dass sie mir via Lufthansa
noch gute Plätze bei China Air reservieren wird. Dank Star
Alliance war das auch möglich.
Leistner – der Architekturfotograf der im Auftrag der
Stadt Frankfurt am Main Pjöngjang fotografieren soll –
und ich werden vom Chef zum Fraport gefahren,
eingecheckt und dann wird zum Abschied Bratwurst
gegessen und Bier getrunken. Von den alten Reise
erfahrenen Herren kann ich viel lernen. Zum Beispiel, dass
sich die Attraktivität des Bodenpersonals reziprok zu
seiner
Freundlichkeit,
Geschwindigkeit
und
Professionalität verhält. Wir stehen in einer Schlange von
so einer Bratze, und das Gesetz bestätigt sich nicht. Toll!
Im Flieger – draußen über der kasachischen Steppe
dämmert es – höre ich China-Dance-Pop, schöner und
qualitativ wertvoller ist die Kunst der Rumänen-Boyband
Unzählige Bird Flu Deklarationen und andere Formulare
ausgefüllt. Bei fünf Stunden Aufenthalt ist das kein
Problem. Die Zeit für Cappuccino im Restaurant bleibt
auch. Jetzt fängt das Geknipse an. Der Chinese hat
tatsächlich auf seinen kleinen Restauranttischchen überall
ein Glas (so groß wie ein großes Rotweinglas) mit zwei
Goldfischen drin stehen. Die kucken einem zu beim
Kaffee trinken. Und am nächsten morgen, wenn die
Aschenbecher gesäubert werden und der Tisch von
Krümeln befreit wird, schmeißt der Chinese dann
gegebenenfalls ein paar frische Fischchen nach.
Landing was ok
Am Gate 16 sitze ich und schaue durch die Scheiben auf
die klapprige Air Koryo Iljuschin und den neuen Sir
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Norman Foster-Flughafen im Hintergrund, der 2008 zur
Olympia aufmacht. Langsam tummeln sich wieder kleine
graue Menschen mit schönen roten Kim Il Sung Stickern
auf der Brust um uns.
Kim Il Sung Airport Pjöngjang. Wir steigen mit den
grauen Asiaten und den NGO-Truppen die Stufen hinab
auf den Flugplatz. Die Koffer sind schnell da, das
Sperrgepäck – Leistners Stativ – lässt auf sich warten.
Kim Yong Gum (Gummibärchen) nimmt uns in Empfang
und fährt mit unserem neuen Aufpasser Mister Sung und
natürlich uns in die Stadt. Der Frühling kommt langsam
nach Pjöngjang, alles ist ein wenig bunter als im
November, vor allem gibt es mehr fröhliche Plakate und
Flaggen; bzw. sie werden gerade aufgehängt. Der gesamte
Straßenrand ist voll mit Propaganda mit der Aufschrift
„4.15“ – Führers Geburtstag. Bald ist es soweit.
im Hintergrund:
die Koryo
Twin-Towers
diesmal kaufe ich ein schönes Modell vom Juche-Turm,
das wohl auf meinen Schreibtisch neben die WagenfeldLeuchte gestellt wird.
ein bisschen
phallisch mag der
Führer seine
Monumente
Der nächste Programmpunkt ist das Monument der
Parteigründung von 1995. Drei hoch gemauerte Arme, in
den Händen Hammer, Sichel und Pinsel. Phallisch im
Sonnenlicht, und auf der Sichtachse das Kim Il SungDenkmal mit Historischen Museum, ganz im Hintergrund
das pyramidenförmige Rjugjong Hotel (Baustopp 1995).
Beim Mittagessen haben wir einen wunderschönen Blick
auf den Fluss Dädong, trinken Dädonggang-Bier und
schauen zu, wie durch überfüllte und immer wieder
ausfallende Oberleitungsbusse der nicht vorhandene
Verkehr auf der Brücke zum erliegen kommt.
Ankunft im Hotel Koryo. Leistner hat seinen Pass am
Flughafen vergessen. Das fängt ja gut an. Hat Leistner
oder der Aufpasser versagt? Auf keinen Fall ich, und das
ist schon mal gut! Einzug ins Zimmer, besser in die Suite.
Soviel Luxus war noch nie, zumindest äußerst selten.
Im Hotel treffen wir immer wieder dieselben Leute, ein
paar NGOler, irgendwelche äthiopischen Negerfrauen und
eine komische Deutsch-Koreanerin, die hier alles toll,
großartig und sauber findet. Sauber ist es. Sie sagt, ich
müsse noch viel Juche lernen – die Ideologie von Kim Il
Sung. Ein bisschen kann ich ja schon. Leistner fotografiert
gleich drauf los, raus aus dem Zimmerfenster. Das lohnt
sich auch.
Abends Besprechung über unser umfangreiches
Wochenprogramm mit Gummibärchen und der
Politkommissarin Frau Pak. Gummibärchen ist ganz stolz
auf ihr buntes geblümtes mit Word Clipart gestaltetes
Faltprogramm. Regenbogenfarben, alles drin. Wir finden
es auch ganz toll designt.
09/04/06
Unser erster Fototermin startet in den frühen
Morgenstunden am Juche-Turm, der zum siebzigsten
Geburtstag von Papa Kim im Jahre 1982 erbaut wurde, als
noch Kohle satt in der Volksrepublik war. Leistner lernt
jetzt, was ich meine, mit ständiger Gängelung.
Gummibärchen ist schneller als der Wind zur Stelle, wenn
was Unpassendes vor der Linse ist. Mir haut sie auch ab
und an auf den Arm. Es heißt wohl wieder mit viel
Charme, neues Vertrauen bzw. neue Narrenfreiheit
aufbauen.
Die schöne strenge Führerin am Juche-Turm erkennt mich
noch von November. Damals schaute ich nur Aussicht,
Blick auf den
Dädong
Nach kurzer Pause im Hotel geht es weiter zum nächsten
Fototermin. Wir fahren zur Chollima-Straße, einem
großen Boulevard aus den sechziger und siebziger Jahren,
der im vergangenen Jahr renoviert wurde – das heißt über
die Plattenbauten in der ersten Reihe wurde ein bisschen
Pastellfarbe gekippt. Unmengen von Kindern machen mit
roten Fahnen in den Händen auf einem großen Platz
irgendwelche Vorführungen und Kunststücke. Ich darf
nicht fotografieren, ich muss die Menschen vorher fragen.
Ich frage, ob ich jedes der ca. 500 Kinder fragen muss.
Mein Aufpasser Sung kuckt blöd, versteht die Frage nicht.
Ich knipse einfach.
Später frage ich Gummibärchen, ob ich meinen alten
Freund Kang sehen kann, ob wir ihn mal zum Essen
einladen können. Sie will es versuchen, sagt sie.
Weiter gefahren zum big, big Place in der Stadt, dem Kim
Il Sung-Platz – ein riesiger Aufmarschplatz gegenüber des
Juche-Turms, dazwischen nur der breite Fluss Dädong.
Auch hier führen bunt gekleidete Koreaner irgendwelche
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Tänze bzw. zumindest Bewegungen auf. An den
Gebäuden hängen überlebensgroße Gemälde von unserem
Karl Marx, von Lenin und natürlich von Papa Kim.
Ringel-RingelReihe unter
dem JucheTurm
Zum Geburtstag jedenfalls wurde seine Geburtskrippe mit
frischem Schilf neu gedeckt – muss ja alles schick und
edel sein für den großen Führer. Schnell knipsen wir alles
und staunen, und spazieren dann weiter (eine Ausnahme,
weil wir sonst jeden Meter gefahren werden um nicht
unnötig in Kontakt mit den Eingeborenen zu kommen)
zum Mangyong Hügel. Hier haben wir einen
wunderschönen Ausblick ins Umland und auf das ferne
Pjöngjang. Eine Truppe von 30 kleinen achtjährigen
Kindersoldaten wandert auch auf den Berg. Die Jungs sind
neugierig auf die Fotoapparate und uns, aber die Disziplin
ist größer. Sie verweilen in Reih und Glied, mehr als ein
Lächeln ist nicht.
Kwangbok-Str.
Am Abend offizielles Dinner mit der Politkommissarin
Pak im Koryo Hotel. Frau Pak heißt uns herzlich
willkommen, lobt die exzellenten Beziehungen zwischen
Frankfurt und Pjöngjang und freut sich über die Früchte
dieser
Zusammenarbeit
–
den
Frankfurter
Märchenbrunnen und das Fotoprojekt Pjöngjang. Da
Leistner noch weniger und schlechter englisch spricht als
ich, übernehme ich den offiziellen Part und bedanke mich
im Namen der Stadt Frankfurt für die Einladung und freue
mich über die Zusammenarbeit. Mein erstes Mal in
Vertretung der Oberbürgermeisterin, denke ich und finde
daran Gefallen. Nach ein paar Bier zu viel sagt Frau Pak
zu mir, dass sie mich zu meiner Hochzeit nach Pjöngjang
einlädt. Also wer mir das Ja-Wort unter der bronzenen
Kim Il Sung-Statue geben will, soll sich mal melden. Groß
Hochzeitsgäste nach Nordkorea zu karren geht natürlich
nicht, sei vorher gesagt.
10/04/06
Am Morgen raus in die grünere Vorstadt zum
Mangyongdae Geburtshaus, dort hat vor nunmehr 93
Jahren und 5 Tagen der große Führer Kim Il Sung das
Licht der Welt erblickt bzw. zum ersten mal die Welt mit
seinem Antlitz erleuchtet. Angeblich zumindest. Sein
Geburtstag ist nämlich zufällig genau während der
christlichen Osterzeit, der seiner Frau ist der 24. Dezember
und Sohnemann Kim Jong Il lässt seinen am 16. Februar,
dem chinesischen Neujahr, feiern …
Die Kwangbok-Straße ist eine zehnspurige Magistrale mit
ungeheuer großen und hohen Häusern an der Seite. Häuser
die in den späten Achtzigern gebaut wurden für neue
Wohnungen und die sozialistischen Jugendfestspiele 1989,
die ein Jahr nach der Olympiade in Seoul stattfanden.
Wenn man die Straße von weitem betrachtet, erinnert sie
an Le Corbusiers frühe Stadtentwürfe. Da die Straße bis
auf Wohnungen und eine kleine runtergekommene
Straßenbahnlinie keine weitere Infrastruktur besitzt, kann
das alles nicht richtig wohnlich sein und funktionieren.
Fotografiert wird gründlich.
Nächster Halt ist die Zongzun-Straße, der Ort an dem sich
die meisten Sportstätten befinden. Eislauf, Ringen,
Pingpong. Interessante Bauten, aber andererseits nicht
außergewöhnliches. Vereinzelt laufen ein paar junge
Sportler/innen herum, in roten Fila-DPRK-Sportanzügen.
Fila sponsert nordkoreanische Sportteams? Oder Fake?
fleißige kleine
Händchen
schrubben den
großen Platz
vor Kim Il Sungs
Statue
schon süß:
die kleenen
Kindersoldaten
Nachmittags zur Chollima-Statue – ein fliegendes Pferd
aus irgendeiner koreanischen Urlegende. Geknipst und
durch kleinen Park spaziert. Über kleine Seitenwege, die
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uns viel Überredungskunst kosten, laufen wir zur großen
Kim Il Sung-Statue vor dem Revolutionsmuseum. Ein
Hochzeitspaar lässt sich vor Papa Kim fotografieren.
Blumen in Zellophan werden niedergelegt. Auf dem
weiten Platz hocken zehn Frauen mit kleinen
Plastikschüsselchen und Stoffläppchen und schrubben die
Steinplatten vor Kim Il Sung. Das sei eine Ehre für die
Frauen, erzählt mir Yong Gum, da die Koreaner sehr viel
Respekt vor dem Befreier und Führer Kim Il Sung haben.
Wir verlassen den Platz und unser Fahrer bringt uns nach
ewigen hin und her und Strecke suchen zum Fernsehturm.
Mehrere Militärkontrollen passieren wir auf dem Weg und
später trägt uns ein äußerst langsamer Fahrstuhl mit
offener Decke sicher in das oben liegende Restaurant. Zu
klassischer europäischer Musik essen wir ein bisschen
Kimchi und genießen den Ausblick. Ich erkläre Yong
Gum, die immer böse schaut, wenn ich nach Cola frage,
dass die Sprite, die sie gerade trinkt ebenfalls zur Coca
Cola-Company gehört. Sie hört das zum ersten Mal und
liest ungläubig die Beschriftung. Zu ihrer Zufriedenheit
entdeckt sie, dass die Dose zumindest in China gefertigt
wurde.
Ich lasse mich ins Hotel fahren, Leistner lässt kitschiges
Tanztheater über sich ergehen. Nach seiner Rückkehr
schimpft er nur.
11/04/06
Wiedervereinigungsdenkmal
Nachmittags in Pjöngjangs Norden zum Wiedervereinigungsdenkmal (2001 erbaut, 30 m hoch, 60 m breit,
dazwischen eine Schnellstraße). Wir bekommen die drei
Chartas zur Wiedervereinigung erklärt: 2 Systeme, eine
Nation usw. Name nach der Wiedervereinigung soll Koryo
sein, wie ganz, ganz früher, dass wollte wenigstens Kim Il
Sung seinerzeit so.
Fußballkinder
vorm Juche-Turm
Später zum Pjöngjanger Schülerpalast – wie im
vergangenen Jahr im Schülerpalast Mangjongdä purer
Kinderdrill, aber angeblich freiwillige Freizeitgestaltung.
Nach zwei Räumen verlasse ich das Ambiente und sage,
ich warte draußen. Aufpasser Sung kommt natürlich mit –
alleine geht ja mal gar nicht – und wir streiten uns
eineinhalb Stunden lang über ständige Verbote für
Ausländer in Pjöngjang und über Kinderdrill. Leistner hat
es natürlich auch nicht leichter, er muss ja das
Kindertheater über sich ergehen lassen.
Zu Abend gegessen und Bier getrunken im Koryo-Hotel
mit Mira und ihrer deutsch-koreanischen Freundin. Auch
hier heftig weiter diskutiert und verbohrte Geschichten der
Deutsch-Koreanerin angehört. Juche scheint schon ganz
schön gewirkt zu haben.
12/04/06
Am Morgen erreiche ich endlich den Botschafter. Date für
den Abend ausgemacht.
Yong Gum und Mr. Sung laden Leistner und mich ins
Auto und ab geht es zum Großen Studienpalast des
Volkes. Eine Fee ist schnell wieder zur Stelle und wir
bekommen von ihr eine Führung durch die großen
Bibliothekssäle des Palastes. An alle Wände sind die
Weisheiten von Papa und Sohn Kim gepinselt. Wir
werden in einen Englischkurs geführt, der von einer
kanadischen Lehrerin unterrichtet wird. Ich soll Fragen
stellen; der Kurs diskutiert gerade die Einnahmen und
Ausgaben des Frühlingsfestes in Pjöngjang. Ich sehe mir
die Plus-Minus-Tabelle an der Tafel an und frage, ob das
der Beginn der nordkoreanischen Marktwirtschaft sei. Es
wird gelacht – ich hoffe, nicht über mein Englisch. Der
vorlaute Englischschüler, der mir antwortet, tut dies
ausweichend.
Mittagessen im europäischen Restaurant. Es gibt Pizza mit
koreanischen Pilzen, Paprika und französischen
Camembert drauf. Fremd aber lecker. Die kanadische
Lehrerin taucht schon wieder auf.
freie Fahrt für
freie Bürger
Der Tag beginnt früh am Morgen. Wir fahren weit in
Richtung Westen über zehnspurige Autobahnen. Nicht nur
unser deutscher großer Führer hatte ein Faible für dicke
Straßen. Es trifft mich hart, wenn ich sehe, dass Hitler
nicht perfekt war, denn von Kim Il Sung hätte er
insbesondere im Autobahnbau noch einiges lernen
können. Irgendwann rauschen wir durch die Hafenstadt
Nampo – von hier aus stießen die Brunnenskulpturen vor
einigen Tagen ins Meer. Es wird in der Stadt nicht
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angehalten, nur möglichst schnell durch. Aus den
Autofenstern sehen wir natürlich wieder die
Führerwandgemälde, aber anders als in Pjöngjang sind
viel mehr Menschen auf den Straßen. Irgendwie wirkt das
Leben echter und urbaner, aber vielleicht ist es auch nur
Einbildung. Nach ein paar Tagen in Nordkorea, verändert
sich die Wahrnehmung für alles.
Nachdem wir Nampo hinter uns gelassen haben, erreichen
wir bald den Westmeer-Staudamm. Dieser wurde
zwischen 1981 und 1986 von Kim Il Sung erbaut. Der
Damm soll Pjöngjang vor der tosenden See schützen, was
seither auch recht gut funktioniert, was man wiederum
nicht von allen Ideen Kim Il Sungs behaupten kann. Vor
1986 kam es sehr häufig zu Überschwemmungen in
Pjöngjang, und das Brackwasser war nicht industriell
nutzbar.
Im Auto bekomme ich eine Moralpredigt von Yong Gum.
Ich dächte zu schlecht über das sozialistische System in
der DDR und im allgemeinen. Ich solle als Gast die
Eigenheiten des koreanischen Volkes achten. Muss mich
in den nächsten Tagen wohl mal wieder am Riemen
reißen.
Mittag-essen dürfen wir nicht in Nampo, wir fahren
zurück ins Koryo-Hotel. Angeblich weiß Gummibärchen
nicht, wo in der Hafenstadt ein Restaurant ist …
der böse Aufpasser Sung
Nachmittags fahren wir gleich wieder weit raus, gen
Norden durch die Provinzen mit Passierschein. Ständig
müssen wir an Militärposten anhalten. Und wieder holpern
wir über tolle Autobahnen, diesmal zum Grabmal von
König Dangun. Trotz der zehn Fahrspuren treffen wir
selten eine, auf der man einigermaßen ruhig fahren kann.
Wir haben Danguns Grab erreicht. 1994 – im Jahr seines
Todes – baute Kim Il Sung noch diese heilige Stätte für
Dangun. Die Fee, die uns durch die Gedenkstätte führt,
erklärt uns, wie hoch das pyramidenförmige Grabmal ist,
wie schwer die Steine sind, wie viel Stufen wir gestiegen
sind und was Papa Kim hier alles tolles gemacht. Von
König Dangun erfahren wir nichts. Geschichtsvermittlung
auf Grundschulniveau, wenn überhaupt. Symbolisch für
das ganze Land. Denken und reflektieren ist in Nordkorea
fehl am Platz.
Sieben Uhr abends kommt Botschafter Löhr ins Hotel, um
uns zu holen. Wir gehen mit ihm und einer Frau von der
Deutschen Welthungerhilfe japanisch essen. Die
Mitarbeiterin der Hungerhilfe ist jetzt offiziell für die EU
tätig, da Kim Jong Il die NGOs aus dem Land verwiesen
hat, Hunger gibt es seiner Auffassung nämlich nicht. Der
Botschafter berichtet vom Land, philosophiert über die
koreanische Zukunft, schimpft über die undurchdachte
amerikanische Politik und macht Kalauer über Kalauer. Er
meint, dass nach Kim Jong Il wohl nur noch eine
Militärdiktatur regieren wird und das auch funktionieren
kann. Er vergleicht den religiösen Führerkult um Kim Il
Sung und Kim Jong Il mit den großen Religionen, da gab
es auch keine dritte Generation, sondern nur Gott und
Jesus bzw. Allah und Mohammed. Dass das System hier
schnell zusammenbricht, glaubt er nicht. Das ganze hält
schon zu lang und für das Große Glück und das Ziel des
autarken Juche nimmt der Koreaner auch Hungertode,
Repressionen und Terror in Kauf.
Botschafter beim
Horst KöhlerLook-a-likeContest
Später fahren wir mit den Botschafts-Landcruiser durchs
dunkle Pjöngjang ins Diplomatenviertel zur deutschen
Botschaft. In der riesigen ehemaligen DDR-Botschaft sind
heute die schwedische, britische und deutsche Vertretung
untergebracht. Er schließt stolz alle Räume auf, zeigt uns
die alten DDR-Panzerschränke und die Klotüren, auf
denen für Männer ein Schnitt von Brecht und für Frauen
ein Schnitt von der Weigel abgebildet sind. Anschließend
lässt er sich von Leistner neben Köhler fotografieren.
Schräge Vögel die drei. Nachdem wir die muffigen DDRBüros und die renovierten Veranstaltungsräume verlassen
haben, fahren wir ins größte Hotel der Stadt (Janggakdo)
und feiern weiter mit einem Darmstädter Chor und
beobachten vom Dachrestaurant, wie Punkt elf alle Lichter
der Straßen und Monumente abgeschaltet werden. Auch
die Juche-Flamme flackert nicht mehr. Halb eins bringt
uns der Botschafter ins Hotel.
13/04/06
ich und ein
riesiger Turm
KimjongiliaBlumen
© Leistner
Wie schon im November ´05 fahren wir in den frühen
Morgenstunden zum Mausoleum von Kim Il Sung. Die
größte Pilgerstätte, nicht endende Menschenschlangen und
diesmal Militärparaden auf dem Vorplatz. Aber sie
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marschieren leider gerade von dannen als wir kommen.
Die Kameras müssen wir im Auto lassen. Singende
Soldaten und Soldatinnen um uns. Klingt eigentlich ganz
nett, den Text verstehen wir Gott sei Dank nicht. Papa
Kim ruht noch immer bleich im Schneewittchensarg (er
hat sich seit November nicht bewegt) und freut sich auf
seinen Geburtstag übermorgen. Gestern erzählte der
Botschafter, dass ein Freund sich nicht vor dem Sarg
verneigte, sondern erst vor dem ausgestellten Wagen von
Kim Il Sung – ein 600er-Mercedes. Trotz der Begründung,
er habe viel Respekt vor der deutschen Wertarbeit, sorgte
die Geschichte für allerhand Turbulenzen und Ärger. Ob
es nur so eine Botschafter-Mär ist, keine Ahnung. Ich
verbeuge mich weder vor dem einen noch vor dem
anderen. Natürlich müssen wir, wie damals, weiter zum
Soldatenfriedhof – für die Gefallenen im Befreiungskrieg
gegen die Japaner. Terrassen, Stufen, Bronzeköpfe, Wind
und Kälte. Schöner Blick auf die Stadt. Belohnt werden
wir mit Bulgogi (eine Art Barbecue) vom Reh in einem
kleinen, kalten Restaurant.
Kang und Pang
von Mansudä
Fax noch die Email von November erhalten und über
unseren Besuch erst heute Morgen erfahren. Er erzählt,
dass er leider nicht nach Frankfurt kommen kann, da er in
den Senegal muss. Skulpturen für andere Diktaturen
bauen. Wir verabreden uns über Notizen auf Visitenkarten
für Sonntagnachmittag in einer Bar im Koryo-Hotel.
Hoffentlich klappt es, das sei sehr gefährlich, sagt er.
Muss versuchen, das Programm umzustellen oder
gegebenenfalls krank spielen. Nach unserem Essen
machen wir noch großes Gruppenabschiedsfoto vorm
Restaurant und dann werden Leistner und ich wieder ins
Hotel gekarrt.
14/04/06
Am Morgen rufe ich Löhr an wegen eines Termins im
Kulturministerium. Er hat mir gleich seine Unterstützung
zugesagt. Eine halbe Stunde später erfahre ich von Yong
Gum, dass der Termin geplatzt ist. Der Minister ist weg,
wo auch immer.
Wir fahren zu irgendeiner 3-Revolutionen-Ausstellung
und besichtigen dort ein vollkommen stranges, leeres und
ödes Messegelände - 8 klotzige Betonhallen und eine
große metallene Kugel. Gummibärchen versucht von
jedem Telefon, was sich irgendwo auftut, Frau Pak zu
erreichen, damit wenigstens die zu dem ausgemachten
Termin mit dem Botschafter kommt.
Politkommissarin
Pak, ich und
der lustige
Botschafter
Nachmittags ein kurzer Besuch am Heldenmonument über
den Sieg im Vaterländischen Befreiungskrieg (gegen
Amerika 1950-53). Erbaut – natürlich auch von Papa Kim
– im Jahre 1993 zum vierzigsten Jahrestag. Wenig
spektakulär das ganze, halt wieder von der MansudäKunstfabrik gezimmert.
Weiter zum Koryo Air Büro. Tax für den Airport
Pjöngjang muss angeblich noch bezahlt werden, habe ich
zwar schon in Berlin bezahlt, aber was wollen wir machen
– wegen 20 Euro hier bleiben müssen? Nun beginnt der
Fotomarathon von Leistner in der Pjöngjang Metro. Ein
bisschen Prunk (Stationen), ein bisschen Moskau
(Stationen), ein bisschen Berlin (U-Bahn-Wagen).
Zwischenzeitlich kurzer Stromausfall, die Kamera hat aber
Akku.
Abgerundet wird der Nachmittag in der Kwangbok Straße
im Pjöngjang Zirkus. Ein paar Artisten aus Korea und
Russland machen Kunststückchen, eine Frau verbiegt sich
und ein paar irre Clowns fahren mit einem großen, bunten
Gummifahrrad herum und machen dummes Zeug. Die
meist erwachsenen Koreaner freuen sich und klatschen
wie irre. Nach eineinhalb Stunden hat die verordnete
Einfalt ein Ende.
Abendessen im Großen Theater-Restaurant mit
Politkommissarin Frau Pak, Yong Gum und Herr Pang
und Kang von der Mansudä-Fabrik. Kang ist also doch
nicht eliminiert worden, die nordkoreanische Redensart:
„Einer ist keiner – nur nachladen muss man“ hat sich bei
ihm nicht bewahrheitet. Kang freut sich sehr über das
Wiedersehen. Er hat weder das an Mansudä geschickte
© Leistner
Irgendwie schafft sie es auch. Wir sitzen nun zu fünft im
Café des Koryo-Hotels um das Problem Frankfurter
Brunnen zu lösen. Löhrs Englischkenntnisse sind eine
große Hilfe. Scheint alles ganz gut zu laufen. Muss nun
nur noch mit Frankfurt bzw. Sizilien telefonieren und o.k.
vom Chef holen.
Nach Botschaftertreffen mit Leistner und Gum in das
italienisch-schweizerische Restaurant zum Cappuccino
trinken. Dann aufs Land fahren, wieder durch das
Wiedervereinigungsdenkmal zum Grabmal von König
Tongmyong. Geraten mal richtig in die Pampa. Fahren
über kleine Feldstraßen. Richtiggehend schön. Was aber
nur daran liegt, dass sich unser Fahrer Herr Pak ein
bisschen verfranzt hat. Finden das Grab dann doch noch.
Ist ähnlich aufgebaut, wie das von König Dangun. Nur das
Wetter ist besser. Viele Stufen und Bilder von Tongmyong
und alles wurde erdacht und gebaut im Jahre 1993 von
Kim Il Sung. Er besuchte allein die Baustelle fünfzehnmal,
um mit anzupacken und mit geistiger Hilfe zur Stelle zu
sein. Auf die Baustelle des Westmeer-Staudammes kam er
dagegen nur dreimal, ein königliches Grabmal zu bauen,
ist wohl doch um einiges komplizierter.
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Nachdem wir mit gemeinsamem Anschieben unseren
Toyota-Bus wieder flott gekriegt haben, fahren wir zurück
nach Pjöngjang.
Um 22 Uhr holt uns der Botschafter ab, wir fahren in das
Diplomatenviertel. Am Eingang des Stadtgebietes stehen
riesige Scheinwerfer, die in die Autos leuchten, und vor
jeder Botschaft ist noch mal eine Hütte mit Scheinwerfer
und nordkoreanischen Militärposten. Kein Normalbürger
soll nur im Ansatz hierher gelangen.
rausgeschmissen hat, denn Hunger gibt es ja keinen mehr.
Früher sei hier mehr los gewesen, sagt der Botschafter.
Trotzdem
ist
der
Dancefloor,
wie
in
der
kambodschanischen Botschaft voll.
der rumänische
Botschafter
Nationalfeiertag in der
Botschaft von
Kambodscha
Es wird viel getrunken, Botschafter Löhr lädt ein zum
Bier. Es ist null Uhr, es ist 4.15, es ist Papa Kims
Geburtstag – der Chef des World Food Program steigt auf
den Tresen und tanzt, die ganze restliche Welthungerhilfe
feiert ihn, und aus dem CD-Player singt Pink „The Party
started“. Selten so einen schrägen Abend erlebt.
15/04/06
NGO-Party
World Food
Program
94 Jahre
Kim Il Sung
Zuerst gehen wir zur Party in der Botschaft von
Kambodscha. Im Partyraum hängen an der Wand fünf
Bilder: Kim Il Sung, Kim Jong Il, der aktuelle
kambodschanische König, Prinz Sihanouk und seine Frau.
Kambodscha pflegt engste Beziehungen zu Nordkorea.
Papa Kim hat seinerzeit dem Prinzen Sihanouk eine
Residenz in den Bergen von Nordkorea geschenkt, in
denen das Ehepaar die kambodschanische Winterzeit
verbringt. Irgendwie befinde ich mich schnell auf der
Tanzfläche zwischen vielen Kambodschanern und der
High Society Nordkoreas. Während des Tanzens deutet
der Botschafter auf zahlreiche Gesichter und stellt mir so
den vietnamesischen, den libyschen, den ägyptischen, den
russischen und den kambodschanischen Botschafter vor.
Ständiges Handshaking, ständiges „Nice to meet you“ –
ich bin dann doch irgendwie überfordert. Ich tanze mit
dem deutschen und dem ägyptischen Botschafter und
Leistner sitzt im Sessel und knipst. Na toll. Eine andere
Welt in einer anderen Welt.
Wir fahren zur nächsten Party in die ehemalige
bulgarische Botschaft. Dort sitzt heute das World Food
Program und feiert den Abschied seines amerikanischen
Chefs. Der Chef ist ein langhaariger Freak und sieht eher
nach Mexiko als nach USA aus. Die ganzen NGOler sind
da, jedenfalls die, die Kim Jong Il noch nicht
Heute ist endlich Papa Kims großer Geburtstag. Früh am
Morgen fahren wir ins Historische Revolutionsmuseum
gleich hinter der großen Kim Il Sung Statue. Wir suchen
Bilder vom historischen, vom zerstörten und vom wieder
aufgebauten Pjöngjang, und werden in ein unglaublich
muffiges Gruselkabinett unzähliger Kim-Porträts geführt.
Wann das letzte mal diese Türen geöffnet wurden,
interessiert mich ja schon. Gemalt, fotografiert, gestellt,
gefälscht – historische Arbeit in Nordkorea. Zahlreiche
Autos, Uniformen und Eisenbahnwagen von Papa Kim
sind ausgestellt. Ein ganzes Team des Museums begleitet
uns durch die sonst geschlossenen Räume. Wir werden
mehrmals darauf hingewiesen, dass das etwas Besonderes
sei, und bedanken uns natürlich artig. Später werden wir in
eine Art Konferenzsaal gebracht. Dort kriegt Leistner acht
alte Fotoalben auf den Tisch gelegt und kann sich aus
winzigen, schlecht eingeklebten Schwarz-Weiß-Fotos
welche heraussuchen und abfotografieren. Dafür, dass es
am Anfang hieß, totales Fotografierverbot, zeigen sich
jetzt alle äußerst großzügig. Die ganze Arbeit dauert drei
Stunden und ich darf das reflektierende Sonnenlicht
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abhalten. Später schauen wir vor dem Museum an der Kim
Il Sung Statue zu, wie die Koreaner ehrfürchtig Blumen
vor ihren Untoten legen.
coole Pioniere
am Dädong
eigenes Blümchen haben und ließ sich irgendetwas Rotes
zusammenkreuzen, das zumindest auf Plakaten das ganze
Land verschönert.
Abends fahren wir zur deutschen Botschaft. Es spielt der
Darmstädter Chor auf. Angeregt mit einer (Ost)deutschen
unterhalten, die schon 15 Jahre in Nordkorea im
diplomatischen Viertel lebt und hier versucht eine Art
Internet aufzubauen. Die Technik steht bereits und nun
arbeitet sie seit Jahren daran ein Bewusstsein für das
ganze aufzubauen. Ergebnislos. Sehr interessantes
Gespräch. Unsere Frankfurter Zusammenarbeit sollen wir
möglichst aufrechterhalten, fordert sie mich auf. Ich bin
auch dieser Meinung. Der Reisebus, der die Darmstädter
in ihr Hotel bringt, schmeißt Leistner und mich am KoryoHotel raus.
ich vor Kims
Mausoleum
Am Dädong sehen wir, wie am großen Feiertag
gepicknickt und sogar getanzt wird. So etwas habe ich hier
noch nie gesehen, richtiggehend ausgelassen würde ich
das nennen. Eine Gruppe ruft mich zu sich und möchte
mich einladen. Herr Sung pfeift mich sofort zurück. Ich
gebe den Leuten mit Handzeichen zu verstehen, dass ich
nicht zu ihnen darf, dass mich mein Aufpasser festhält. Sie
lachen und plötzlich erlaubt Herr Sung es doch und tut so,
als sei es nie verboten gewesen. Blöder Kauz. Die alten
Männer laden mich zu Kimchi und Schnaps ein. Die
eklige fette Wurst und den undefinierbaren Reiskuchen
lehne ich umständlich ab. Ich bin begeistert, die sind
begeistert – mit Gewalt ist so eine Zusammenkunft also
doch möglich. Hoffe nur, dass die nicht morgen alle im
Arbeitslager sind. Herr Sung nervt tierisch, behandelt uns
wie kleine Kinder. Ich sage ihm das und dass er mich nicht
immer am Arm festhalten braucht, ich sei kein
Krimineller. Er wird richtig aggressiv. Yong Gum erzählt
mir später, Herr Sung sei betrunken. Nun denn, wenn alle
Erklärungen nichts taugen, dann hilft noch immer der
Alkohol. Aber vielleicht hat sie ja recht, trinken tut er
wirklich viel.
© Leistner
16/04/06
Am Ostersonntagmorgen rauschen wir mit dem weißen
Toyota Landcruiser des Botschafters und der Frau von der
Deutschen Hungerhilfe durch Pjöngjangs Diplomatenviertel und Central District – auf dem Weg zur
katholischen Kirche, zum Ostergottesdienst. Nur noch die
Mercedes mit dem 2.16-Kennzeichen rasen schneller an
uns vorbei. 2.16 ist der Geburtstag vom kleinen Kim, und
die Mitglieder des Zentralkomitees besitzen die Stuttgarter
Wagen mit diesem Nummernschild, berichtet der
Botschafter. Es sei für alle Mitglieder des ZKs ein
Geschenk vom Geliebten Führer gewesen, so die Mär.
bad guys
im Hinterhof
Ringelreihe mit
Leistner
Wir besuchen die große Kimilsungia-KimjongiliaBlumen-Messe
in
einem
überdimensionierten
Gewächshaus. Die Kameraden Kim Il Sung und Kim Jong
Il lächeln von vielen Gemälden und dazwischen unzählige
Blumen. Ihre Blumen. Die rosafarbene Kimilsungia (eine
eigene Orchideenzüchtung) wurde dem Präsidenten in den
Siebzigern vom indonesischen Präsident geschenkt. Ein
paar Jahre später wollte Sohnemann natürlich auch ein
Die Kirche steht hinter bewachten Toren. Innen sind wie
immer die gleichen Gesichter. Man kennt sich bereits von
den Diplomatenpartys, auch der Darmstädter Chor singt
wieder –diesmal Christliches. Und kalt ist es.
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Mittags dann wieder mit den Koreanern unterwegs. Ich
bekomme
meine
nach
nordkoreanischem
Stil
geschneiderte Anzugsjacke. Sie sitzt recht gut, meint
selbst der Botschafter, der sich mit Anzügen ja ein
bisschen auskennt. Dann aber zieht er von dannen, er kann
sich ja nicht nur um Frankfurt und Darmstadt kümmern.
Andererseits zu den Sechs-Parteien-Gesprächen wird er ja
auch nicht eingeladen …
Allein mit den Aufpassern und der Politkommissarin Frau
Pak fahren wir zum Moranbong-Park und picknicken
Mitgebrachtes. Frau Pak hat gar hausgemachtes Kimchi
dabei. Perfekt, schön rot, schön scharf. Im Park feiern alle
Menschen fröhlich und ausgelassen. Am zweiten Feiertag
zu Ehren von Kim Il Sung. Die Fröhlichkeit ist echt und
nicht inszeniert. Es wird gesungen, gelacht, getanzt,
zugerufen und gar angesprochen. Leistner muss mit
irgendwelchen Korea-Girls Ringel-Ringel-Reihe tanzen,
ich verstecke mich erfolgreich hinter der Kamera. Schade
nur, dass das alles nur ein- oder zweimal im Jahr
stattfindet, und sich dann wieder Traurigkeit und graue
Tristesse über das Land wölbt.
rockendes
Nordkorea-Girl
Den Nachmittag habe ich mir für Kang freigeschaufelt,
mit dem ich mit beim Abendessen vor ein paar Tagen via
Notizen auf Visitenkarten in einer Bar im Koryo-Hotel
verabredet hatte. Unseren Aufpassern erzähle ich etwas
von Bericht für den Chef schreiben und einen Anruf mit
dem Chef tätigen. Ich gehe auf mein Zimmer und hoffe,
dass die Aufpasser nicht im Foyer verweilen. Um vier bin
ich in der Bar verabredet, Kang kommt um halb fünf und
meint schon wieder, dass hier sei alles ziemlich gefährlich.
Inwieweit das stimmt vermag ich nicht zu sagen, ob es
eventuell übertrieben ist. Jedenfalls schaut er immer
ängstlich und Kamera suchend an die Decke und flüstert
nur. Er freut sich, mich zu sehen. Von mir bekommt er
noch eine Flasche Aldi-Wodka und ich erzähle ihm von
einem Gespräch mit dem Botschafter: Kang solle sich über
die Botschaft bei der Naumann-Stiftung für einen
Wirtschaftskurs bewerben. So etwas wird ohne
Komplikationen von deutscher Seite genehmigt. Doch
Kang sieht hierfür keine Chance, da das ganze von
koreanischer Seite nicht genehmigt würde. Ich sage, er
solle mit dem Rat der Stadt Frankfurt argumentieren, da ist
vielleicht das größte Vertrauen momentan da. Ansonsten
sieht es schlecht für ein Wiedersehen aus, vielleicht kann
ich ihn morgen noch mal zum offiziellen Abschiedsessen
einladen. Wann ich dann aber mal wieder in dieses
abstruse Land fahre, steht nun wirklich in den Sternen,
und das er überhaupt mal europäische Gefilde betreten
kann, halte ich für nahezu ausgeschlossen. Wir
verabreden, er ruft mal aus dem Senegal an, da fährt er im
Sommer mit 300 anderen Koreanern hin, um eine 50 m
hohe Statue aufzubauen, und dort sei ein freies Land, dort
könne man machen, was man wolle. Nunja, ein gutes
Beispiel dafür dass alles relativ ist. Dann verabschieden
wir uns und ich gehe wieder auf mein Zimmer.
ein bisschen Antiamerikanismus
Schon wieder holt uns am Abend Botschafter Löhr ab. Er
mag uns irgendwie, glaube ich. Er schimpft über seine
Mitarbeiter, erzählt uns viel aus Berlin, aus der Botschaft
in Peking und viel über Klatsch und Tratsch der winzig
kleinen diplomatischen Welt von Pjöngjang. Der
Botschafter hatte zu Beginn seiner Amtszeit in Pjöngjang
für einen kleinen Eklat gesorgt, als er seinen libyschen
Kollegen, der vorher Fischerei-Minister in Tripolis war,
fragte, ob der neue Posten in Korea eine Beförderung
gewesen sei. Es war ja nicht zu ahnen, dass man so wenig
Spaß auf der nordafrikanischen Seite versteht, klagt er.
Trotzdem hat Löhr letzte Woche seinen Dienst in Korea
um ein Jahr verlängert, das machen die wenigsten. Er fragt
mich, ob ich trotz aller Probleme und Widrigkeiten am
Ende meiner zwei Besuche einen besseren Eindruck von
dem Land bekommen habe. Ich denke und sage, dass auch
ich diplomatisch antworten könnte, aber eigentlich ganz
klar sagen müsste: nein! Trotzdem würde ich jederzeit
gerne wieder kommen, um das Land weiter und besser
kennen zu lernen.
4.15
geschmückter
Hauptbahnhof
Als Ausländer – bei meinem zweiten Trip mehr, als bei
meinem ersten – hat man die gute Möglichkeit beide
Parallelwelten zu entdecken: die Welt der Aufpasser, die
mich durch das potemkinsche Dorf Pjöngjang leiten und
gängeln und die diplomatische Welt, die sich zwar in viel
engeren Grenzen bewegt, als überall sonst, die aber
einfach gewisse Freiheiten und Luxus bietet. Freiheit und
Luxus den sonst nur der kleine Kim hat, und das satt. Die
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dritte Parallelwelt, die der Eingeboren, kennt weder die
diplomatische Szene geschweige denn wir.
Im Diplomaten Club in der City empfängt uns heute der
ägyptische Botschafter. Er hat ein paar Derwische und
Bauchtänzerinnen zu Gast, welche er vorführen möchte.
Alles eher schlecht als recht. Musik klingt nach
ausgeleierter Kassette vom Basar in Alexandria und die
Tänzer und Tänzerinnen so naja … Leistner und der
Botschafter unterhalten sich Kaugummi kauend über die
wohlgenährten Bauchtänzerinnen.
stehen emsig herum. Unsere in Euro bezahlte Ausbeute ist
dünn.
Am Nachmittag fahren wir zusammen mit unseren
Aufpassern und dem Botschafter zur Mansudä-Fabrik.
Kucken und knipsen ein bisschen, treffen Herrn Pang und
Herrn Sin (der große, alte Brunnen-Skulpteur). Am Ende
bekommen wir alle schwere Vasen geschenkt.
Gruppenfoto
unscharf: ich,
Botschafter,
Leistner, Yong
Gum und Frau
Pak
trauriger
Soldat
In der Nacht mit Leistner Fotos sortiert. Wir haben eine
ganz gute Ausbeute, ist das Resümee am vorletzten Tag.
17/04/06
Letzter Tag, letzte Fototermine. Es regnet und schneit,
gestern und vorgestern Sonnenschein. Kein Wunder, dass
das ganze Volk an den Gott Kim Il Sung glaubt.
fliegender
Kran über
never ending
Hotel
Abends gibt die Stadt Frankfurt ein Abschiedsessen im
japanischen Restaurant hinter dem Koryo-Hotel. Der
Botschafter kommt – of course –, die Politkommissarin
Frau Pak, Yong Gum und die Herren Pang und Sin von
Mansudä. Kang kann nicht kommen, sagt Frau Pak. Muss
ich wohl glauben. Wir essen und trinken ordentlich.
Stoßen an auf den Frankfurter Brunnen und Leistners
Bildchen. Eine erfolgreiche Reise neigt sich dem Ende.
Dem Ende, an dem uns noch einige gemalte
Geschmacklosigkeiten geschenkt werden. Zumindest der
quietschbunte Adler aus Porzellan für meinen Chef passt
wenigstens. Der lustige Botschafter verschenkt sein zehn
Jahre altes Notebook an Frau Pak und einen grünen
Gummiball an Yong Gum für ihren Sohn und alle freuen
sich. Ich frage den Botschafter, ob die Nummer mit den
Glasperlen verschenken in Korea noch zieht? Natürlich,
sagt und lacht er, hier müssen wir eben noch mit anderen
Mitteln arbeiten. So haben wir auch den letzten Tag gut
über die Bühne gebracht. Jetzt packen und ein bisschen
schlafen.
18/04/06
Den Triumphbogen (Triumph über die Befreiung von den
Japanern) schnell geknipst. Das gleiche passiert mit dem
unfertigen Pyramiden-Raketen-Hotel Rjugjong. Dann
fahren wir zur technischen Universität. Ein ganz neuer
Kasten, der auch recht gut mit Technik ausgestattet ist. An
einen großen Haufen Acer-Computern und Flatscreens
hocken die Studenten und surfen durch das lokale Internet.
Die Zeit für das echte Internet ist noch nicht reif, erzählt
Yong Gum. Ich sage, ich weiß, da drin steht noch zu viel
Böses über Korea. Sie lacht. Süß. Kurz vor dem
Mittagessen bei unserem Italiener shoppen wir noch
schnell in so einem potemkinschen Laden. Erstmal muss
das Licht angeknipst werden, dann schlüpfen aus
irgendwelchen Türen die Verkäuferinnen hervor und
In den frühesten Morgenstunden, am Tag der Abreise geht
immer alles ganz, ganz schnell und ist ein bisschen traurig.
Die Aufpasser und Frau Pak verabschieden sich am
Pjöngjang Airport, die Herren von Mansudä sind leider
nicht da. Müssen wohl Figuren bauen. In der Air KoryoMaschine öffnet unsere Freundin von der deutschen
Welthungerhilfe eine Flasche Sekt. Wir stoßen an und
tauschen Karten. In Peking verliert sich wieder alles. Das
Nordkorea-Erlebnis verschwimmt. Sand vom gestrigen
Sturm (Wüste Gobi) trübt den Blick. Verspätet heben wir
in Richtung Frankfurt ab.
Man möchte meinen, dass in einer China Air-747 von
Peking nach Frankfurt vor allem deutsche Architekten und
neureiche chinesische Geschäftsleute sitzen. Aber es sind
mal wieder die Lehrer. Sie kommen zurück vom
organisierten Bildungsurlaub zum Drei-Schluchtenstaudamm, zur chinesischen Mauer und in die verbotene
Stadt.
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