Eine Beerdigung in Harlem. Ein Interview mit Jörg Becker

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Eine Beerdigung in Harlem. Ein Interview mit Jörg Becker
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Eine Beerdigung in Harlem. Ein Interview mit Jörg Becker
Funeral Service for Paul Robeson am 17. Januar 1976 in der Mother A. M. E. Zion Church
in Harlem, New York
Frage: Du warst im Rahmen eines Stipendienaufenthalts für deine Dissertation über
Rassismusfragen in der westdeutschen Kinderliteratur in New York und bist dort eines
Tages auch nach Harlem gekommen.
Ich bin eines Tages angerufen worden von Norma Rogers, einer Mitarbeiterin der Zeitschrift
Freedomways, mit der ich seit Jahren in Kontakt bin. Nur ganz kurz zu dieser Zeitschrift:
Sie wird seit etwa fünfzehn Jahren herausgegeben und hat eine führende Rolle gespielt in
der Bürgerrechtsbewegung der schwarzen Amerikaner. Sie hat auch zur Politisierung der
Kultur und Literaturkritik beigetragen. Norma rief mich an und sagte: Heute abend ist die
Beerdigungsfeier von Paul Robeson, hast du nicht Lust mitzukommen. Ich sagte ersteinmal
natürlich ja, weil ich keine Ahnung hatte, worum es ging und ich ihr eigentlich trauen kann,
weil wir schon intensive Gespräche geführt hatten. Und ich versprach mir deshalb, dass es
einen Sinn haben müsse, wenn ich da mitkäme.
Sie gab mir als erstes ein Heft zu lesen, über Paul Robeson, das Freedomways vor einigen
Jahren herausgegeben hatte...
... so dass Du informiert warst, bevor Du dorthin kamst?
Glücklicherweise war ich einigermaßen informiert. Ich las dort, dass Paul Robeson einer der
ganz großen schwarzen Bürgerrechtskämpfer gewesen ist, und zwar lange bevor die
schwarze Bewegung in den 50er und 60er Jahren zu einer für das US-System gefährlichen,
politischen Bewegung wurde. Dass Paul Robeson schon in den 30er und 40er Jahren sehr
aktiv war. Auf verschiedenen Gebieten. Er war Schauspieler, Sportler, Sänger, außerdem
war er - und das hat ihm die amerikanische weiße Kritik übelgenommen - er war eben
politisch sehr aktiv; und das in ausgesprochen sozialistischer Richtung. Ich konnte mich also
ein bisschen über Paul Robeson informieren, bevor wir nach Harlem fuhren. Als wir in
Harlem ankamen - es war ein regnerischer Tag, und wir fanden erst gar nicht die Kirche mussten also lange suchen und bemerkten plötzlich Ströme von Menschen, die in eine
bestimmte Richtung gingen, und wir schlossen uns denen an. Wir kamen dann in die
Methodist Zion Church in Harlem und hatten anfangs große Mühe, einen Platz zu finden.
In der Kirche waren fast nur Schwarze. Wir hatten das Glück, dass wir auf die Pressetribüne
durften, weil meine Freundin einen Presseausweis hatte. Dort war ich zunächst verblüfft,
dass die Pressetribüne fast die ganze Empore der Kirche einnahm. Während ich dort saß als einer der ganz wenigen Weißen -, merkte ich, dass es eine starke schwarze Presse in den
USA geben muss, weil eben die ganze Empore voll war mit Presseleuten. Unter den
Schwarzen waren alle vertreten, was Sozialgruppen, Alter, Schichten usw. betrifft. Da
waren uralte Leute da, ganz kleine Kinder, waren Frauen da, Männer, Jugendliche. Das
ganze fing - ganz im Gegensatz zu unseren Kirchen - ziemlich unkonventionell an: die
Leute sprachen lebhaft miteinander, teilweise fielen sie sich in die Arme, weil sie sich
jahrelang nicht gesehen hatten...
... alles vor dem offiziellen Beginn des Gottesdienstes?
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Ja, vor dem offiziellen Beginn. Und während der ganzen Zeit, als die Vorbereitungen
getroffen wurden, spielte man Tonbänder und Schallplatten ab mit Spirituals von Paul
Robeson. Das erfuhr ich während der Gespräche, dass er auch ein großer Sänger gewesen
ist. Zwischendurch hörten die Menschen auf zu reden. Zum Beispiel, als er die berühmte
Version des Ol Man River sang. Ich merkte auch bei fast allen Leuten, dass sie der Tod von
Paul Robeson ungeheuer getroffen hat. Viele weinten schon, bevor sie drin waren in der
Kirche. Man sagte mir nachher, dass man froh war über den Regen. Denn, hätte es nicht
geregnet, wäre die Kirche total überfüllt gewesen. Auch jetzt waren schon, eine Stunde vor
Beginn des Gottesdienstes alle Sitzplätze besetzt. Schließlich konnte man nicht mehr stehen,
so voll war es.
Der Übergang von den Gesprächen zum Beerdigungsgottesdienst war fließend. Es ging
ziemlich spontan los, dass vorne am Altar einige besondere Leute der Schwarzen Bewegung
- ich kann nicht sagen, wer es war - Platz nahmen und ein Bischof der Methodist Church
den Gottesdienst eröffnete mit einer Ansprache. Ich saß oben auf der Empore und konnte
ihn nicht erkennen, dachte mir, komisch, du bist doch hier, um einen Bürgerrechtskämpfer
zu ehren, wieso spricht da als erster ein Weißer. Die Ansprache des Bischofs war anfänglich
sehr liebenswürdig, erzählerisch, steigerte sich aber und wurde kämpferisch. Und als er
dann auf einmal sagte: Wir müssen uns hier erinnern, dass die Kirche, in der wir hier sind,
das Gemeindehaus ist, in dem schon Paul Robesons Vater als Pfarrer tätig war, dass diese
Kirche die allererste Schwarze Gemeinde in den USA vereinigte. Sie ist Ende des 18.
Jahrhunderts gegründet worden, und wir wollen als Schwarzes Volk zusammenhalten und
uns der Unterdrückung bewusst werden, die gegen uns herrscht. Und wir werden nicht
aufgeben, dagegen zu kämpfen. Wir werden weitermachen. Das kam in einer ganz starken
Sprache, voller Emotionalität, und erst in diesem Augenblick, als er sagte, wir als
Schwarzes Volk, da merkte ich, dass dieser Bischof der Methodist Church auch Schwarzer
war. Allerdings mit hellerer Hautfarbe als die meisten Anwesenden.
Hat nun dieser Bischof die Bedeutung von Paul Robeson in seiner Ansprache
herausgehoben ? Oder war das für alle Besucher von vorneherein klar?
Das war sicherlich für die meisten klar. Irgendwo schämte ich mich auch, dabei zu sitzen
und nicht viel von Paul Robeson zu wissen. Deshalb war ich auch so begierig, die
Informationen aufzunehmen, die in der Predigt des Bischofs genannt wurden. Oder - etwas
später - in der Ansprache des Sohns von Paul Robeson.
Bevor Du nach Harlem kamst, hattest Du überhaupt eine Ahnung, wer das war?
Nur recht wenig. Ich hatte eben einige Artikel überflogen, die mir die Redakteure von
Freedomways gegeben hatten. In diesen Beiträgen hatte ich gelesen, dass Robeson öfters in
die Sowjetunion gefahren, in den sozialistischen Ländern gewesen ist; dass aus Anlass
seines 75. Geburtstages eine Festschrift in den USA herausgegeben wurde, mit
Grußbotschaften aus der ganzen Welt. Aus der DDR zum Beispiel, auch aus den anderen
sozialistischen Staaten, auch aus den afrikanischen Staaten, dass aber aus der
Bundesrepublik Deutschland keine einzige Stimme dabei war. Und ich saß da oben, hatte
wenig Ahnung von ihm, merkte auf Grund der Tatsachen, die ich' gelesen hatte und was in
den Ansprachen gesagt wurde - eigentlich müsste ich über Paul Robeson etwas wissen, weil
er enorme politische Arbeit geleistet hatte. Und ich schämte mich irgendwie, dass er in der
Bundesrepublik unbekannt ist. Es gibt hier kein Buch über Paul Robeson. Und dass er
offensichtlich nur in der Dritten Welt und in den sozialistischen Ländern zur Kenntnis
genommen worden ist.
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Wir beschäftigen uns beide speziell mit Kinderliteratur. Mir ist der Name nie aufgefallen. In
den Büchern, Artikeln oder Berichten. Hast Du ihn schon einmal gefunden?
In keinem einzigen Buch. Wohl auf Grund der Tatsache, dass er recht früh erkannt hatte,
warum zur Entwicklung eines Schwarzen Nationalbewusstseins ein internationaler Aspekt
hinzukommen muss, dass es also nicht nur um die Unterdrückung der Schwarzen in den
USA geht, sondern auch um die Unterdrückung von Farbigen in der Dritten Welt; und um
die Unterdrückung des Arbeiters in den industrialisierten Ländern des Kapitalismus. Er hat
das recht früh herausgehoben. Ich erfuhr dann auch durch die Ansprachen in der Kirche,
dass er sich in den 50er Jahren vor dem antikommunistischen Ausschuss für
antiamerikanische Aktivitäten in Washington verteidigen musste. Dass man ihm den Pass
entzogen hatte, dass er in der öffentlichen Diskussion nicht zur Kenntnis genommen und
totgeschwiegen wurde. Peinlich, wie er dann zu seinem 75. Geburtstag, Ende der 60er Jahre,
von der amerikanischen Öffentlichkeit gefeiert worden ist, wiederentdeckt wurde, dass aber
15 Jahre lang offizielles Schweigen herrschte in den USA.
In der letzten Zeit heißt es in der offiziellen Presse, die wir so bekommen, es sei ruhig in den
Ghettos geworden, es sei ruhig unter den Schwarzen. Was war denn da die Reaktion in
dieser offensichtlich völlig überfüllten Kirche unter den Schwarzen, als diese Dinge noch
einmal beim Namen genannt wurden? Als man McCarthy erwähnte, die Botschaften hörte
aus den sozialistischen Ländern - was gab es da für eine Reaktion?
Da war alles andere als Ruhe. Für mich war es der zweite Gottesdienst in Harlem. Ein paar
Tage vorher hatte ich einen erlebt, bei den Black Muslims. Bei beiden Gottesdiensten hatte
ich erlebt, wie bei der Hinwendung zu politischen Themen in den Ansprachen der Priester
beim Publikum eine starke Reaktion vorhanden war. Als man die Repressionen gegen Paul
Robeson in der McCarthy Ära erwähnte, kam es zu spontanen Zwischenrufen in der Kirche,
die man auf den Nenner bringen könnte: Das ist unmöglich! Schweinerei! Es ist auch heute
noch so! Überhaupt war dieses Feedback zwischen Prediger und Gemeinde ein Beweis für
die Lebendigkeit der Kommunikation.
Wie schlecht das Gewissen der offiziellen Öffentlichkeit in den USA immer noch ist, wurde
auch in einigen Punkten der Ansprachen deutlich. Paul Robeson war einer der ersten
Schwarzen gewesen, der studiert hat, an der Rutgers University bei New York. In den
Annalen der Rutgers University taucht der Name von Paul Robeson überhaupt nicht auf,
obgleich er einen der besten wissenschaftlichen Abschlüsse zu seiner Zeit gemacht hatte.
Nun verkündete der Bischof, Rutgers University habe sich entschlossen, Livingston College
umzubenennen in Paul-Robeson-College. Da gab es kein großartiges Klatschen in der
Kirche, sondern eher betretenes Schweigen, über die Tatsache, dass so etwas erst jetzt
geschieht. Sie schwiegen über das ekelhafte und schlechte Gewissen des offiziellen Weißen
Amerikas.
Auch die Tatsache, dass Robeson ein großer Football-Spieler war, wurde verschwiegen.
Schließlich gibt es in den USA in fast allen Kinderbüchern einen Kult mit den FootballStars: Robeson wurde ausgespart. Erst in jüngster Zeit kommen diese Dinge wieder herein.
Das ist interessant auf dem Hintergrund der Tatsache, dass Football in den USA unter
Kindern vielleicht noch eine größere Rolle spielt als Fußball bei uns. Paul Robeson war
jedenfalls das Beispiel dafür, wie man sämtliche aktive Schwarzen in dem Augenblick, wo
sie politisch unangenehm für die Herrschenden tätig werden, systematisch ausgeklammert
hat.
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Zurück zu dem Gottesdienst. Was für Kommunikationsformen,
Gemeinschaftseinrichtung ist diese Art Kirche?
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für
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Ich hab das bei beiden Gottesdiensten bemerkt, die ich besucht habe, obgleich bei den Black
Muslims und den Methodisten verschiedene Traditionen vorliegen. Es ist natürlich klar,
dass ich zunächst mit dem Wort Kirche erst mal das verbinde, was ich in der
Bundesrepublik erfahre. Selbst wenn ich einiges gelesen habe über die Bedeutung der
Kirche für die Schwarze Bewegung, komme ich erst mit Gefühlen der Vorsicht herein,
teilweise auch mit Abneigung und dem Vorurteil gegenüber Kirchenarbeit. Ich war aber
sowohl bei dem Gottesdienst der Methodisten als auch bei dem der Black Muslims ziemlich
überrascht gewesen über die Intensität der Teilnahme von selten der Gottesdienstbesucher.
Es werden Lieder gemeinsam gesungen, ohne dass der Priester vorne sagen würde: Wir
schlagen jetzt das Gesangbuch auf Seite sowieso auf. Das kommt spontan, und alle singen
mit. Und alle kennen alle Strophen. Es ist auch ein starkes Gefühl der Solidarität zu spüren.
Ich habe das so erlebt, ohne es genau erklären zu können, wie enorm wichtig die Schwarze
Kirche in den USA war und ist - für die Schwarze Befreiungsbewegung. Und dass man
recht vorsichtig sein muss, wenn man mit Maßstäben der eigenen Sozialisation hier aus
Europa herangeht und von daher die Bedeutung der Schwarzen Kirche in den USA
unterschätzt und kritisiert.
Es war eine Kommunikation vorhanden, die besonders deutlich wurde, als der Gottesdienst
zu Ende war. Die Leute gingen gar nicht raus. Sie blieben stehen und riefen ins Parkett
hinunter: Ich will dich noch einmal sprechen. Ich hatte erst einmal das Bedürfnis
rauszugehen, in die frische Luft. Ich hatte während des Gottesdienstes geheult, teilweise aus
Scham, dass ich über Robeson nichts wusste, teilweise weil ich merkte, wie ergriffen die
anderen Menschen waren. Und ich wollte eigentlich allein sein. Bei den anderen war das
nicht das Gefühl, die wollten miteinander reden. Unter ihnen waren Mitkämpfer von Paul
Robeson, ihre Erinnerung war noch wach. Sie blieben auch draußen im prasselnden Regen
vor der Kirche stehen und gingen dann gemeinsam weg. Stundenlang muss das gedauert
haben. Aber nicht nur die Alten untereinander, auch die Jungen redeten mit den Älteren, die
mehr Bürgerlichen und die Einfacheren. Die Kommunikation schien ideal zu sein, möchte
ich fast sagen.
An einem Menschen wie Paul Robeson wurde deutlich, dass die Unterschiede innerhalb der
Schwarzen Bewegung, die es politisch natürlich gibt, nur relative Bedeutung haben.
Ganz unterschiedliche Leute waren da vertreten: Zum Beispiel Harry Belafonte als einer der
Sargträger, daneben radikale junge Black Panthers - man erkennt das daran, wie sie sich
kleiden -, ich erfuhr dann auch, für welche Zeitungen sie arbeiten. Jedenfalls war es
deutlich, wie enorm die Integrationskraft von Paul Robeson war.
Bei uns gibt es gegenwärtig die Vorstellung „Black is beautiful", das scheint stärker zu
werden, auch in der Werbung. Waren unter den Besuchern Schwarze, die den
Modestandards der Weißen kapitalistischer Kultur entsprachen, oder zeigte sich vor allem
eine eigenständige Kulturerscheinung? Auch bei den Frauen?
Das war sehr unterschiedlich. Es war alles vertreten. Auch diese Sache Black-is-be-autiful
ist kompliziert, schwer einzuschätzen. Wenn man darüber liest und sich darüber orientiert,
erhält man die Eindrücke von Vermarktung und Modejournal, von Mannequin und
Dressman. Wenn man aber sieht, wie Journalisten oder Journalistinnen auftreten, teilweise
in afrikanischer Kleidung und mit Hüten, die in unseren Augen extravagant groß sind, aber
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gleichzeitig merkt, wie selbstsicher sie das tragen, wie egal es ihnen ist, ob irgendein
Weißer ihnen nachgafft, merkt man, dass sie eine starke Identität entwickelt haben. Man
muss also vorsichtig sein, wenn man die Sache mit den Kategorien Vermarktung erklären
will, mit modischem Schick und Eleganz. Ich hatte, gerade bei dieser Sache, das Gefühl,
Mensch, was steckt da für eine Kraft dahinter.
Als Du bei dieser Beerdigung warst, hattest Du da die Möglichkeit herauszufinden, ob
solche Anlässe, wie der Tod eines Schwarzen Führers, diese Kommunikation in der Kirche
herstellt oder ob das eine alltägliche Umgangsform ist, beispielsweise in Harlem?
Die Umgangsformen, die ich vielleicht unbeholfen beschrieben habe, sind, wie ich das in
New York erlebt habe, ganz normale und gängige Erscheinungen unter den Schwarzen. In
der Möglichkeit spontan zu reagieren, unkompliziert miteinander zu sprechen, sich
gegenseitig anzugreifen, ohne dass es für den anderen automatisch eine Beleidigung sein
muss, miteinander auch ohne Worte zu kommunizieren, sich anzufassen, sich zu streicheln,
gemeinsam zu singen oder laut und stark zu lachen, nichts Außergewöhnliches ist, das ist
normal. Das sind Dinge, bei denen ich ohnehin meine Schwierigkeiten habe, hier vielleicht
noch mehr als sonst, weil ich merkte, dass es unter diesen Menschen normal ist. Ich war
unsicher, weil ich merkte, hier sitzt eine Gruppe von Menschen zusammen, die viele Dinge
kann, die ich nicht kann. Ich schämte mich über meine eigene persönliche Unfähigkeit,
nicht so kommunizieren zu können.
Quelle: Kürbiskern. Literatur, Kritik und Klassenkampf, Nr.3/1976, S. 141-145.
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