Die Ausgangslage

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Die Ausgangslage
Entwicklung qualitativ-inhaltlicher Vorstellungen zu
Konzepten der Analysis durch den Einsatz interaktiver
Visualisierungen
Gestaltungsprinzipien und empirische Ergebnisse
Andrea Hoffkamp, Technische Universität Berlin
Wissenschaftliche Aussprache
4. November 2011
„[..] du hast noch nie den mathematischen Begriff
Funktion gehört? Ein Gegenstand, der etwas kann,
hat eine Funktion. Das ist nicht in Mathe der Fall. [..]“
(Schüler, 10. Klasse, Gymnasium)
Montag, 7. November 2011
Die Ausgangslage
Montag, 7. November 2011
Cinderella .2
Dynamisierung
Programmierschnittstelle
Applikationen
Funktionales Denken
Unterrichtseinsatz
Interaktivität
Montag, 7. November 2011
Funktionales Denken
Montag, 7. November 2011
Aufgabe: Dreiecksfläche
(nach: Schlöglhofer 2000)
Die gestrichelte Linie wird vom Punkte A um die Entfernung x nach rechts gezogen. Der Wert
F(x) gibt die Größe der grau unterlegten Fläche an. Welcher Graph passt? Begründe Deine Wahl!
• Graph-als-Bild Fehler
• Konzepte der Analysis ohne dynamische Sicht
Montag, 7. November 2011
Funktionales Denken und Analysis
• Meraner Reform (1905)
(Krüger 2000)
! „Erziehung zum funktionalen Denken“ als Sonderaufgabe
! gebietsübergreifende Denkgewohnheit (fundamentale Idee)
! Denken in Variationen und funktionalen Abhängigkeiten
! Blick auf Bewegung und Veränderlichkeit
! Propädeutik zur Einführung in die Differential- und Integralrechnung
• Aspekte funktionalen Denkens
(Vollrath 1989)
! Zuordnung, Änderung, Funktion als Ganzes/als Objekt
Montag, 7. November 2011
Begrifflicher Standort meines Ansatzes
Funktionales Denken als Propädeutik
zur Differential- und Integralrechnung
„One purpose of function is to represent how things change. With this
meaning it is natural to move on to consider the calculus concepts of the
rate of change (differentiation) and cumulative growth (integration)
together with the remarkable fundamental theorem of calculus that tells
us that differentiation and integration are essentially inverse processes.“
(Tall 1996)
Montag, 7. November 2011
Schwierigkeiten und Unterrichtsrealität (I)
(Schüler, 10. Klasse , Gymnasium)
Montag, 7. November 2011
Schwierigkeiten und Unterrichtsrealität (II)
(Schülerin, 10. Klasse, Gymnasium)
Montag, 7. November 2011
Schwierigkeiten und Unterrichtsrealität (III)
Eine Funktion ist eine Zuordnungsvorschrift, die jedem Element x einer
Menge genau ein Element y einer (anderen) Menge zuordnet.
! Dirichletdefinition ist abstrakt und sehr allgemein
• Behandlung weniger bestimmter Funktionenklassen
! concept image versus concept definition (Vinner/Dreyfus 1989)
! Epistemologische Hürden (Sierpinska 1992)
• Zuordnungsaspekt und punktweises Lesen dominieren, Tabellen und numerische
Zugänge dominieren und verhindern Objektsicht
(Goldenberg et al. 1992, Sierpinska 1992)
• Analysisunterricht: kalkülorientiert, wenig inhaltliche Vorstellungen
(Blum/Kirsch 1979, Stellmacher 1986, Bender 1991 und viele andere)
Montag, 7. November 2011
Schwierigkeiten und Unterrichtsrealität (IV)
„Bekanntlich enthält die Unendlichkeitsrechnung sehr viel Formeln, die
dem Schüler in Fleisch und Blut übergehen müssen, soll der Unterricht
seinen Zweck erfüllen. Da liegt denn die Gefahr nahe, dass der Schüler
glaubt, das Wesen des Unterrichts liege in diesen Formeln, und es genüge
deren Kenntnis und ihre Anwendung zu seiner mathematischen
Ausbildung.“
(Weinmeister: Unendlichkeitsrechnung in der Schule, 1907)
! Plädoyer für eine stärkere Gewichtung der qualitativen
Anfänge der Analysis
(Meraner Reform 1905, Freudenthal 1973, Hahn & Prediger 2008)
Montag, 7. November 2011
Die Lernumgebungen
Montag, 7. November 2011
Interaktive Lernumgebungen Grundideen und Gestaltungsleitlinien
• Grundidee:
! interaktiv-experimentelle Visualisierung
! Ziele:
- dynamische Komponente funktionalen Denkens
- Inhaltliche Vorstellungen im Hinblick auf Propädeutik zur Differential- und
Integralrechnung
• Verknüpfung Situation - Graph
• Zweistufige dynamische Visualisierung
! Variation innerhalb der Situation
! Metavariation und Objektaspekt
• Sprache als Vermittler, kognitive und kooperative Funktion
(Janvier 1978, Vygotskij 1972/78)
• Kontiguität
• Geringer technischer Overhead und Praktikabilität
Montag, 7. November 2011
Die Studie
Montag, 7. November 2011
Forschungsfragen
1.Welche Vorstellungen im Hinblick auf eine dynamische Sicht funktionaler
Abhängigkeiten werden bei der Arbeit mit den Lernumgebungen
entwickelt?
(qualitative Beschreibung lokaler/globaler Funktionseigenschaften im
Hinblick auf Konzepte der Analysis)
2.Welche Interaktionsprozesse (Schüler-Schüler, Schüler-Computer) lassen
sich beschreiben, und welche Rolle spielen dabei die Möglichkeiten der
Applikationen (Variation, Metavariation)?
3.Welche epistemologischen Hürden lassen sich identifizieren?
Montag, 7. November 2011
Forschungsfragen
1.Welche Vorstellungen im Hinblick auf eine dynamische Sicht funktionaler
Abhängigkeiten werden bei der Arbeit mit den Lernumgebungen
entwickelt?
(qualitative Beschreibung lokaler/globaler Funktionseigenschaften im
Hinblick auf Konzepte der Analysis)
2.Welche Interaktionsprozesse (Schüler-Schüler, Schüler-Computer) lassen
sich beschreiben, und welche Rolle spielen dabei die Möglichkeiten der
Applikationen (Variation, Metavariation)?
3.Welche epistemologischen Hürden lassen sich identifizieren?
Conceptual-Change-Ansatz
Montag, 7. November 2011
Qualitative Studie - Studiendesign
• Interaktive Lernumgebungen: Dreiecksfläche, Einbeschriebene Rechtecke, Die Reise
• Ende der 10. Klasse an zwei Berliner Gymnasien im propädeutischen
Analysisunterricht (Kurvendiskussionskalkül noch unbekannt!)
• eine Doppelstunde pro Lernumgebung (90 Min.) + eine Einzelstunde (45 Min.)
• Auswertungsmaterial:
! Videoaufnahmen von 3-4 Schülerpaaren pro Lernumgebung
(Schülergespräch und Bildschirmaktivität)
Hauptauswertungsmaterial!
! Videoaufnahmen der Unterrichtsgespräche
! Arbeitsbögen und Fragebögen
Montag, 7. November 2011
Methodische Aspekte und theoretischer Rahmen
• Hauptziel: Verstehen
• Theoretischer Rahmen: Interpretative Unterrichtsforschung (Maier/Voigt)
! Grundannahmen:
Lehren und Lernen von Mathematik sind Momente eines sozialen Prozesses
Aushandlung und interaktive Konstituierung von mathematischer Bedeutung
! Ziel:
Re-Konstruktion der Bedeutungen aus Texten (Transkripte, Arbeitsbögen)
! Art der Ergebnisse:
Erfassung von Ähnlichkeiten, Regelmäßigkeiten, Typizität
Vielgestaltigkeit im Einzelfall:
Sensibilisierung im Hinblick auf didaktisches Handeln und Wahrnehmung
Schlüsse auf Gestaltung von Lernarrangements
Montag, 7. November 2011
Ausgewählte Ergebnisse
• begriffliches „Ringen“ um Bestand und Änderung
in Situation und Graph
! Videoausschnitt: Warum hat der Graph diese Gestalt?
- Behauptung von S1:
Graph steigt zunächst, und er sinkt, sobald C überschritten ist.
- Beschreibung des Änderungsverhaltens in Situation
- Metavariation
Montag, 7. November 2011
Ausgewählte Ergebnisse
Montag, 7. November 2011
Ausgewählte Ergebnisse
Montag, 7. November 2011
Ausgewählte Ergebnisse
• begriffliches „Ringen“ um Bestand und Änderung
in Situation und Graph
• Beschreibung des Änderungsverhaltens in der Situation ist schwerer als im
Graphen
• Visualisierung und Metavariation:
informelle visuelle Kommunikation (Siehste, dass das da genauso ist?)
Überprüfung von Vermutungen
Verdeutlichung von Grapheneigenschaften (Siehste, dass das da genauso ist?)
• Stoffdidaktische Analyse:
Ebenen- und Aspektwechsel (Hahn & Prediger 2008):
Änderung im Bestandsgraph entspricht Bestand im Änderungsgraph
! im Unterricht produktiv aufgreifen!
Montag, 7. November 2011
K APITEL 5. Q UALITATIVE S TUDIE – A NALYSEN UND E RGEBNISSE
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Ausgewählte Ergebnisse
Montag, 7. November 2011
Ausgewählte Ergebnisse
• Epistemologische Hürde „Steigung in einem Punkt“
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S1: [..] ich würde sagen ‚der Anstieg der Funktion’ ändert sich
S2: Ne,ne, der Anstieg, die Funktion hat keinen Anstieg, weil, wenn
sie einen Anstieg hätte, wäre sie gerade
Abbildung
5.5: Dreiecksfläche: Einige erfolgreiche Antworten auf den Arbeitsbögen.
S1: [ Verschieb
mal.
S2: (verschiebt C horizontal ein paar Mal hin und her) Der guck mal, weil der das ääh, da gibt es
keinen Anstieg, weil der Anstieg ist überall unterschiedlich. Es gibt keinen genauen Anstieg und
schon gar nicht hier (schiebt C in die Mitte über AB)
- „Anstieg“ nur bei Geraden
- Metavariation:
visueller Eindruck führt zu
„da gibt es keinen Anstieg, weil der Anstieg ist überall unterschiedlich“
„Es gibt keinen genauen Anstieg und schon gar nicht hier“
! Notwendigkeit der Konzepterweiterung
Montag, 7. November 2011
Weiterführung
Montag, 7. November 2011
Bestand und Änderung - Aufgabe: Downloadverhalten
Stelle Dir vor, Du bist Manager(in) einer Band, die ihre neue Single auf iTunes
veröffentlicht hat. Release war am 1. Januar 2009.
Was Du im Graphen siehst, sind die Downloads pro Tag vom Release bis Mitte
Juni 2009.
Name:
Aufgabe: Downloadverhalten
Datum:
d) Beschreibe die Änderung
der täglichen Downloads über die Zeit und
Stelle Dir vor, Du bist Manager(in) einer Band, die ihre neue Single auf iTunes
veröffentlicht hat. Release war am 1. Januar 2009. Was Du im Graphen siehst, sind
versuche einen Graphen
zu
der
die Änderung bzw. Zunahme
die Downloads pro
Tag zeichnen,
vom Release bis Mitte
Juni 2009.
wiedergibt!
Montag, 7. November 2011
a) Beschreibe und interpretiere den Graphen!
b) Wann ungefähr ist die Anzahl der Downloads am größten?
c) Wann ungefähr ist die Zunahme der täglichen Downloads am größten?
Downloadverhalten - Schülerlösungen
K APITEL 6. F ORTSETZUNGSIDEEN UND W EITERF ÜHRUNG
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4. Welche Form könnte zu den folgenden Flächeninhaltsgraphen gehören?
Schau Dir die Unterschiede zwischen den Graphen genau an und zeichne
eine passende Form.
Montag, 7. November 2011
K APITEL 6. F ORTSETZUNGSIDEEN UND W EITERF ÜHRUNG
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4. Welche Form könnte zu den folgenden Flächeninhaltsgraphen gehören?
Schau Dir die Unterschiede zwischen den Graphen genau an und zeichne
eine passende Form.
Steigung in einem Punkt - qualitativ
Welche Form könnte zu den folgenden Flächeninhaltsgraphen gehören? Schaue
DirÜHRUNG
die Unterschiede zwischen
den Graphen genau an und zeichne eine passende
UNGSIDEEN UND W EITERF
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Form.
önnte zu den folgenden Flächeninhaltsgraphen gehören?
Unterschiede zwischen den Graphen genau an und zeichne
Form.
Abbildung 6.4: Arbeitsbogen: Weitere Formen und Flächeninhaltsgraphen (Seite 2).
Montag, 7. November 2011
Konklusion und Ausblick
- Aufgreifen der interaktiven Visualisierungen zur Theorie- und Kalkülentwicklung
- Nutzung von „mentaler Simulation“ im Sinne des Prinzips der Kompression
(Tall 1994)
- Verschiebung der Balance zwischen kalkülhaften und qualitativ-inhaltlichen
Anteilen
- Entwicklung weiterer Lernarrangements
(Mathematikdidaktik als Design Science (Wittmann))
- Diskurs zur Relevanz der Inhalte (Gesellschaft, Schüler, Hochschule)
Montag, 7. November 2011