1 Erfahrungsbericht Université de Genève von Julia Riedel WS

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1 Erfahrungsbericht Université de Genève von Julia Riedel WS
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Erfahrungsbericht Université de Genève
von Julia Riedel
WS 2013/14
Bienvenue à Genève
Wer mit dem Gedanken spielt, ein oder zwei Semester in Genf zu verbringen, der sollte wissen – hier
ticken die Schweizer Uhren ein wenig anders. Denn Genf ist nicht „typisch“ Schweiz. Dort treffen
Menschen aus allen Ecken der Welt aufeinander, Genf ist rundum multinational und sehr mondän.
Die Vorbereitung: Wissen was auf einen zukommt
Dass ich gerne ein Semester in Genf studieren möchte, wusste ich schon länger. Die dortige
Universität genießt einen ausgezeichneten Ruf und die Stadt selbst lockt mit ihrem internationalen
Flair. Die Université de Genève stand daher auf Platz 1 meiner Bewerbung für einen Erasmus‐Studienplatz. Obwohl der FH Köln nur zwei Plätze in der Schweiz zur Verfügung stehen, konnte ich
mich bald über eine Zusage freuen. Es dauerte dann noch einige Wochen bis die Uni Genf sich bei
mir meldete.
Die Schweiz gehört nicht zur EU, und das sollte man nicht unterschätzen. Denn der bürokratische
Aufwand im Vorfeld war relativ hoch – zahlreiche Dokumente und Anträge mussten gestellt
werden. Im Gegensatz zu meinen Kommilitonen, die sich an Universitäten innerhalb der EU
eingeschrieben hatten, brauchte ich für die Schweiz sogar eine Aufenthaltsgenehmigung. Da war
es immens wichtig, dass die Ansprechpartner in der Université de Genève bei allen Unklarheiten
freundlich und kompetent weiterhalfen.
Die Unterkunft: Zeitige Suche mindert Stress
Was man als potenzieller Student in Genf auf jeden Fall beachten muss? Wohnraum ist knapp und
richtig teuer. Deshalb sollte man zeitig mit der Suche beginnen. Wer dann eines der begehrten
Zimmer findet, muss sich auf Kosten einstellen, die um etliches höher sind, als in unseren
Großstädten. Als vergleichsweise günstige Alternative bietet sich ein Zimmer im
Studentenwohnheim der Cité Universitaire an. Allerdings sind diese Plätze heiß umworben, denn
mit einer Miete von rund 500 CHF zählen sie zu den erschwinglichen Lösungen. Darüber hinaus
kann man bei der Universität in Genf Adressen für Privatunterkünfte und andere Wohnheime
erfragen. Einige meiner Kommilitonen lösten das Problem, indem sie sich für eine Unterkunft im
benachbarten Kanton Vaud oder im 15 Minuten entfernten Frankreich entschieden.
Ich hatte Glück und ergatterte einen Platz in der Cité Universitaire. Rund zwölf Quadratmeter wurden
für die Zeit von Mitte September bis Februar mein Zuhause – etwas eng, aber mit allem, was man
zum Leben braucht – einschließlich eines Waschbeckens im Zimmer. Denn Dusche und Küche
befinden sich auf den Etagen, ebenso wie die Toilette. Waschmaschinen und Trockner sind im
Erdgeschoss untergebracht. Der ganze Wohnkomplex ist zwar etwas in die Jahre gekommen, aber
sauber, mit einer freundlichen Atmosphäre. Hilfreich, insbesondere wenn alles noch neu ist: die
Rezeption. Dort gibt es Antworten und Auskünfte rund um das studentische Leben.
Mehr als 600 Studentinnen und Studenten aus 70 Nationen sind in den insgesamt drei Häusern
untergebracht. Um das Kennenlernen und die Kommunikation untereinander zu unterstützen,
veranstaltet das Wohnheim jeden Freitag eine Party. Die Preise für Getränke sind an den
studentischen Geldbeutel angepasst, und so kann man in lockerer Atmosphäre neue Kontakte
knüpfen.
Der Start: Gast in einem unbekannten Land
Zu Beginn des Semesters bot die Université de Genève drei Einführungsveranstaltungen an, um die
wichtigsten Abläufe zu erläutern und weiterführende Informationen zu geben. Die erste
Veranstaltung lieferte Wissenswertes zum Leben in Genf. In der zweiten ging es um Fragen zur
Kurseinschreibung, die richtige Fächerwahl und die Anmeldung zu den Prüfungen. Die letzte der
Einführungsveranstaltung informierte über Angebote zu Sprachkursen.
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Als Universitätsstadt, die nicht in der EU angesiedelt ist, war die Teilnahme an der ersten
Veranstaltung unerlässlich. Denn neben allgemeinen Informationen zum studentischen Alltag ging
es hier auch um jene Dokumente, die von der Stadt Genf zwingend vorgeschrieben sind, etwa den
sogenannten Ausländerausweis. Wie bei den meisten organisatorischen Belangen gab es auch
hierbei hilfreiche Unterstützung und wertvolle Tipps seitens der Universität.
Bei der Einführungsveranstaltung „Kurswahl“ wurde deutlich: Das System der Université de Genève
ist sehr speziell – mit entsprechenden Auswirkungen. Meine Fakultät, die Faculté de traduction et
d’interprétation, ist in sechs Unités aufgeteilt. Abhängig von der Muttersprache findet man sich
entweder in der Unité d’allemand, de français, d’anglais, d’espagnol, d’arabe oder d’espagnol wieder.
Leider wird deutschsprachigen Austauschstudenten ausschließlich die Teilnahme an Fächern
gestattet, die der Unité d’allemand zugeordnet sind. Hierzu gehören Übersetzungskurse ins
Deutsche, ins Französische, Grammatikkurse beziehungsweise sprachwissenschaftliche Vorlesungen.
Zusätzlich eingeschränkt wird die Auswahl durch die Vorgabe der Fachhochschule Köln, die nur
Prüfungen anerkennt, die in Französisch abgelegt wurden. Selbst wenn man wie ich alle Kurse
wählt, die bei dieser Eingrenzung noch möglich sind, kommt man gerade einmal auf fünf Fächer,
also zehn Wochenstunden. Diese Bedingungen habe ich als Manko empfunden, da es die
Möglichkeiten drastisch reduziert, über den Tellerrand zu schauen und in andere Vorlesungen der
Fakultät reinzuschnuppern.
Reizvoll war das Angebot, das in der dritten Veranstaltung vorgestellt wurde: Die Universität bietet
den Erasmus-Studenten kostenlose Sprachkurse an. Für die Dauer eines Semesters, kann man
wöchentlich an zwei jeweils 90‐minütigen qualifizierten Kursen teilnehmen – eine gute Gelegenheit
Grammatik, schriftliche und mündliche Fähigkeiten zu verbessern. Studenten, die während ihres
Aufenthalts Punkte sammeln müssen, profitieren zudem bei bestandener Prüfung von zwei
ECTS-Punkten.
Die Universität: Anders als gewohnt
Die Université de Genève ist keine Campus‐Hochschule sondern verteilt sich auf mehrere Gebäude
innerhalb der Stadt. Meine Fakultät, die Faculté de traduction et d’interprétation ist in einem der
modernen Bau, der Uni Mail, untergebracht – verkehrsgünstig gelegen, nur wenige Haltestellen
vom nächstgrößeren Busbahnhof entfernt. Eine Mensa, wie man es von deutschen Hochschulen
kennt, sucht man hier vergebens. Essen und Getränke kann man sich in zwei Cafeteria besorgen. Die
Preise sind für Genfer Verhältnisse zwar etwas moderater, aber im Vergleich zur Heimatuni deutlich
teurer. Zu meinen Lieblingsaufenthaltsorten gehörte die Bibliothek. Hier konnte man konzentriert
arbeiten und an einem der zahlreichen Computerarbeitsplätze seine Arbeiten direkt am PC
erledigen. Zudem war sie mit ihrer hellen und freundlichen Atmosphäre ein gern genutzter
Treffpunkt.
Das Studium: Gute Qualität und hohe Anforderungen
Wer sich für ein Studium in Genf entscheidet, darf sich auf motivierte und engagierte Dozenten
freuen. Gleichzeitig sollte man jedoch wissen, dass die Anforderungen vergleichsweise sehr hoch
sind und einiges abverlangen. Wöchentlich müssen mehrere anspruchsvolle Übersetzungen
eingereicht werden, hinzu kommen zeitintensive Nachbereitungen der Kurse und Seminararbeiten.
Auch wenn diese vom Prinzip her freiwillig sind, sollte man sie unbedingt mitschreiben, da es keine
bessere Vorbereitung auf die Prüfungen gibt. Außerdem kann eine positive Benotung in die
Abschlussnote einfließen. Auch anders als an vielen EU-Universitäten: Erasmus‐Studenten erhalten in
Genf keinen Sonderstatus. Ob bei der Bewertung oder den erlaubten Hilfsmitteln während der
Prüfung: Die einheimischen Studenten geben den Standard vor. So muss beispielsweise bei
Übersetzungen auch die Besonderheit der deutsch‐schweizer Ausdrucksweise beachtet werden.
Fakt ist: Bei diesem wöchentlichen Arbeitsvolumen bleibt relativ wenig Zeit für Unternehmungen.
Wer jedoch den Arbeitsaufwand nicht scheut und die hohen Anforderungen annimmt, wird in Genf
auf jeden Fall eine Menge lernen. Die Übersetzungskurse sind praxisnah und geben einen
interessanten Einblick in die Arbeit eines Übersetzers. Die grammati kalisch angelegten Fächer gehen
auf die Feinheiten der Sprache ein, die ein deutlich besseres Sprachverständnis ermöglichen. Von
Vorteil ist sicher auch, dass die Kurse in der Unité d’allemand immer recht klein sind. So kommt es
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häufiger vor, dass man nur mit fünf Teilnehmern in einer Vorlesung sitzt – klar, dass
Fragestellungen so viel intensiver behandelt werden können. Als nachteilig habe ich es
empfunden, dass nur wenige Vorlesungen ausschließlich in französischer Sprache gehalten
wurden, was den Lerneffekt deutlich schmälerte. Da zudem durch die Vorgaben der Kursbelegung
die Kommilitonen Deutsch‐Muttersprachler waren, wurde nach der Vorlesung ebenfalls nur Deutsch
gesprochen. Der Kontakt zu einheimischen französischsprachige Studenten fehlte leider völlig. Hier
sollte man auf alle Fälle selbst aktiv werden, um beispielsweise mit Hilfe eines Tandem‐Partners
seine Sprachkenntnisse intensivieren und etwas über Land und Menschen zu erfahren. Die Uni hat
speziell hierfür ein Portal eingerichtet, das die Suche erheblich erleichtert.
Die Freizeit: Vieles zu entdecken
Wer in Genf und Umgebung nach Unternehmungen sucht wird sehr schnell fündig. Interessante
Museen, wie das Musée International de la Croix Rouge oder das Musée d’art et d’histoire sowie
zahlreiche internationale Organisationen lohnen sich immer für einen Besuch. Wenn es Wetter und
Zeit zuließen habe ich einen Spaziergang durch einen der sehr schön angelegten Parks
unternommen. Nicht versäumen sollte man den Parc des Bastions beim Hauptgebäude der
Universität mit seiner beeindruckenden Reformatoren‐Skulpturenwand.
Eine ganz besondere Atmosphäre herrscht in Carouge. Mittwoch‐ und Samstagmorgen kann man
sich hier vom Duft des frischen Obstes und Gemüses verführen lassen. Kleine Geschäfte und
reizvolle Ateliers von Künstlern und Handwerkern verleihen dem Ort einen außergewöhnlichen
Charme. Wer ein Winter‐Gastsemester in Genf verbringt, kann sich zusätzlich auf einen schönen
Weihnachtsmarkt freuen.
Ein absolutes Muss sind natürlich die obligatorischen Fotos vor der l'Horloge Fleurie, direkt am
Seeufer gelegen. Über 6500 Pflanzen geben bei dieser Komposition die Zeit an. Da die Bepflanzung
regelmäßig erneuert wird, lassen sich immer wieder neue Kreationen bewundern. Bei der
Blumenuhr fällt sofort ein anderes gigantisches Wahrzeichen von Genf ins Auge: der Jet d’Eau. Die
140 Meter hohe Wasserfontäne wird allerdings bei aufkommendem Wind und Temperaturen um
den Gefrierpunkt abgeschaltet. Dafür kann man sie mit etwas Glück nachts beleuchtet sehen.
Einmal am See lohnt sich auf jeden Fall eine Fahrt mit dem Wassertaxi, zumal diese Fahrten im
Monatsticket für Studenten enthalten sind. Das Ticket kostet etwa 45 CHF und rechnet sich, denn
mit geschickter Fahrtenplanung kann man sehr gut die Stadt erkunden. Schön fand ich es, dass die
Université de Genève als Willkommensüberraschung für alle ausländischen Studenten eine
Bootsfahrt über den Lac Léman organisiert hat. Ich würde auch immer einen Ausflug auf den MontSalève im benachbarten Frankreich empfehlen. Mit dem Bus ist man von der Innenstadt in circa 30
Minuten am Fuß des Berges und kann dann eine Seilbahn nach oben nehmen. Der Blick auf Genf
und den See ist einfach fantastisch. Wer gut zu Fuß ist, kann noch bis zu einer Aussichtsplattform
hochlaufen. Bei schönem Wetter sollte man unbedingt ein Picknick einplanen.
Das Fazit: Ja und Nein
Ja: Genf war eine Herausforderung, die ich nicht missen möchte. Und als Station in meinem
Lebenslauf kann ich mit diesem Auslandssemester sicher punkten.
Nein: Sprachlich hat mich der Aufenthalt nicht so gepuscht, wie ich es erhofft hatte. Und als
Universitätsstadt ist Genf, auch nach Ansicht der Schweizer Kommilitonen, nicht gerade typisch – zu
mondän, zu teuer und zu wenig laissez faire.
Ja: Insgesamt war es eine interessante Erfahrung, die Schweizer Kultur und die vielen größeren und
kleineren Eigenheiten der Schweizer kennenzulernen. Von den Öffnungszeiten der Geschäfte, die
sich selten länger als bis 18 Uhr ausdehnen, und samstags meist um 14 Uhr schließen bis hin zu der
Leidenschaft für Schokolade, Macarons oder Käsefondue. Der Nationalstolz, der sich bei vielen
Gelegenheiten zeigt, etwa in dem Meer von Schweizer Flaggen oder dem Escalade de Genève,
einem Fest zur Erinnerung an die erfolgreiche Verteidigung der Stadt gegen Karl Emanuel von
Savoyen. Nachhaltig beeindruckt hat mich die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Schweizer. Ob
auf der Suche nach dem passenden Busanschluss oder dem richtigen Brot fürs Fondue: Stets habe
ich eine nette Auskunft erhalten.
Nein: Ein zweites Mal würde ich für mein Auslandssemester Genf wohl nicht wählen. Und unter dem
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Aspekt der Zuwanderungsabstimmung vom 9. Februar 2014 kann es auch durchaus sein, dass diese
Möglichkeit für Studenten der FH Köln zukünftig nicht weiter besteht. Denn die bilateralen
Abkommen betreffen auch den Erasmus‐Austausch
Ja: Ich bin ich sicher, dass es nicht mein letzter Besuch in der kleinsten der großen Metropole bleiben
wird. Denn die Stadt hat auf jeden Fall einen besonderen und einzigartigen Charme.
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