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Faun oder Clown?
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rüher waren die Fußballer wie Götter. Oder wenigstens wie götterähnliche
Mischwesen. Diego Maradona glich in seinen frühen Jahren einem
neckischen Mittelfeld-Faun und der italienische Torhüter Dino Zoff
erschien vielen als Gigant von furchteinflößender Physis, auch wenn seine
Oberschenkel nicht wie bei den Giganten der griechischen Sagenwelt mit
Schlangenschuppen bedeckt waren. Aber er wurde noch mit vierzig
Jahren Weltmeister. Selbst der deutsche Abwehrspieler Hans-Peter Briegel
erinnerte trotz seines wenig mythentauglichen Vornamens an eine enorm
bemuskelte Fabelfigur und stellte seinen zentaurischen Körper der Mannschaft von Hellas
Verona zur Verfügung. Und wenn Fußballer keine entrückten Fantasy-Figuren darstellten,
dann erwiesen sie sich wenigstens als Springteufel oder Paradiesvögel wie George Best, Ente
Lippens oder Sepp Meier.
Der starke Eindruck, den sie hinterließen beruhte darauf, dass man im Grunde genommen
wenig von ihnen wusste. Es gab mal ein Poster hier oder einen kurzen Fernsehbeitrag dort.
Wenn man den versäumte, erfuhr man nicht, wie es zuhause bei Uli Hoeneß aussah. Man
projizierte also als Junge wer weiß was in diese Fußball-Gestalten und manche von ihnen
müssen bis heute hart schuften, um ihr überirdisches Image im Alter abzustreifen. Lothar
Matthäus zum Beispiel unternimmt jede Anstrengung, sich endlich von der Unterstellung zu
befreien, er sei ein göttliches Genie.
Heute ist das alles völlig anders. Die Mythenbildung bei den aktuellen Nationalspielern
will nicht Recht in Gang kommen, weil man einfach viel zu viel von ihnen weiß. Und das
macht sie klein. Ununterbrochen posten sie Bildchen von sich in die sozialen Netzwerke.
Lukas Podolski muss für seine viereinhalb Millionen Facebook-Anhänger stündlich ein Selfie
mit erigiertem Daumen veröffentlichen, weil er: Mit Mesut auf einem Festwagen durch
London fährt, in Österreich eingetroffen ist, mit Schweini auf einem Zimmer schläft und
Schuhe mit seinem Namen drauf besitzt. Aber vielleicht macht das auch alles ein Sponsor
und Lukas Podolski weiß in Wahrheit nichts von der Existenz des Internets. Das ist aber auch
egal. Denn wenn die Stars sich nicht durch ständige Präsenz selber entzaubern, dann
erledigen das eben ihre Fans. Das Internet ist übervoll mit blitzartig ventilierten Bildern,
Einschätzungen und Meinungen zu öffentlichen Personen aus Film, Funk, Fernsehen, Sport
und Politik. Es ist für die Betroffenen nicht einfach, damit zu leben.
Ein Beispiel: Da sitzt ein Ehepaar zuhause vor dem Fernseher und sieht Sigmar Gabriel.
Sagt der Mann: „Wahrscheinlich ist der Gabriel total übersäuert. Der sieht aus als würde er
ständig aufstoßen.“ Früher blieb es dabei und diese Bewertung verließ das Wohnzimmer
nicht. Heute hingegen wird das sofort ins Tablet getippt und bei Facebook von jenen
Personen geliked, die Sigmar Gabriel ebenfalls übersäuert finden. Oder jemand anderen.
Praktisch niemand kann mehr ungehindert zu einer Gottheit wachsen, nicht einmal
Christiano Ronaldo, von dem es auf Facebook hieß, er habe zwar für einen Fußballer einen
guten Körper, sei aber ein Muskelzwerg im Vergleich zu echten Bodybuildern und letztlich
also gescheitert. Ronaldo ist für eine gerechte Beurteilung einfach dreißig Jahre zu spät auf
die Welt gekommen.
Aber selbst als real existierendes Fabelwesen hätte man es heute nicht leicht. Mal
angenommen, man wäre tatsächlich als sagenhaftes Mischwesen geboren worden, zum
Beispiel als Einhorn, dann hätte man heutzutage nicht viel zu lachen. Während man in
seligen Zeiten der gedruckten Bilderbücher friedlich vor sich hin fliegen und sanft und
hübsch sein konnte, würde heute ständig irgendwer seinen Senf zur Länge des Horns, dessen
gedrechselter Form oder der Farbe des Fells loswerden. Man hätte dauernd Unterstellungen
und Lügengeschichten zu dementieren. Immer müsste man sich wegen seines dicken
Pferdehinterns rechtfertigen. Ganz sicher fände sich jemand, der rumerzählt, dass man in
seiner Eigenschaft als Einhorn neulich an einem Kölner Dönerstand mit Essen geworfen oder
in eine Hotellobby gepinkelt habe. Es macht überhaupt keinen Spaß mehr, etwas Besonderes
zu sein. Das Internet ist schuld daran, dass es keine Götter mehr gibt. •
2. JUNI 2014