Reisereportage aus der Schweiz am Sonntag

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Reisereportage aus der Schweiz am Sonntag
46 reisen
Schweiz am Sonntag
11. September 2016
Im Galopp durch
die Weinreben
der Toskana
Wer in der Toskana Urlaub macht, der denkt zuerst an den Schiefen Turm,
an ausgezeichnetes Essen und erstklassigen Wein. Doch dort, wo der Chianti
herkommt, gibt es auch die besten Reitferien.
VON ALEXANDRA FITZ (TEXT UND FOTOS)
A
chtung, Olivenbaum»,
ruft die Reitlehrerin
nach hinten. «Reitet
nicht zu nah an den
Rebstöcken vorbei»,
warnt die junge Zürcherin erneut. Gleichzeitig sollte man darauf achten, dass
die Pferde nicht von den leckeren
Sangiovese-Trauben naschen – schliesslich sollen die mal einen guten Chianti
geben.
Wir sind in der Toskana. 20 Minuten
östlich von Florenz. Mit dem Zug sind
wir im kleinen Ort Pontassieve angekommen. Raimonda – passend in
schwarzer Bluse mit weissen Pferden –
hat uns mit dem Auto abgeholt. Nach
dem Dorf ist sie links abgebogen, um in
ein Tal hochzufahren. Noch eine letzte
scharfe Kurve auf der Schotterstrasse
und wir sind da. Willkommen in Vallebona. Einem Reiterhof mitten in der
Toskana. Ein typisches Landhaus aus
Im typischen Landhaus gibt es Doppel- und Mehrbettzimmer.
Dime holt Pferde, die weiter weg weiden, mit dem Quad zum Stall.
Stein, umgeben von silbergrünen Olivenhainen und Weinreben, so weit das
Auge reicht.
Gibt es eine bessere Fortbewegungsmöglichkeit als ein Pferd, um die malerische Landschaft der Toskana zu entdecken? Bereits bei der Ankunft glauben wir, die Antwort zu kennen. Spätestens als wir im Sattel sitzen und
nach ein paar Instruktionen auf dem
Reitplatz das erste Mal ins Gelände reiten, wissen wir es mit Sicherheit: Nein!
wie sie sagen, im «Pferdesalat» endet.
Und draussen, in den Hügeln und Tälern der Toskana, galoppieren wir viel.
Zweifelsohne die Lieblingsgangart aller.
Bevor es losgeht, dreht sich Esther – eigentlich Veterinärmedizinerin, aber
seit den Ferien in Vallebona als Kind
Fan und nun seit fünf Jahren auf dem
Hof – zur Gruppe um und sagt: «Wir
machen nochmals ein Hoppi Galoppi.»
Dabei hält sie ihren rechten Zeigefinger
in die Höhe und lässt ihn kreisen. Die
Pferde merken das und gehen zügiger.
Die Reiter grinsen vor Freude. «Anschnallen!», ruft sie und meint: Zügel
kürzer, wer will die zweite Hand an das
Sattelhorn. In Vallebona reitet man
Western. Und los gehts: Völlige Konzentration, totales Glücksgefühl.
«Anschnallen, Hoppi Galoppi!»
Hoch den Hügel, runter das Tal, den
Fluss entlang und immer wieder durch
Weinreben und Olivenhaine. Wir sitzen
so hoch, dass wir unsere Arme
strecken und Feigen von Ästen holen
können. Aber immer schön mit dem
Vierbeiner teilen. Die Pferde von Vallebona wissen genau, was los ist, wenn
der Reiter anhält und es im Baum
raschelt.
Sie drehen dann den Kopf nach hinten und warten, bis man ihnen den
Rest der Frucht hinhält. Auf unseren
Touren treffen wir auf Rehe, Wildschweine, Hasen und Fasane. Eine
Gruppe sichtet sogar einen Wolf! Wir
reiten hoch zu einem Aussichtspunkt,
und weil der Himmel an diesem Tag so
klar ist, sehen wir bis nach Florenz.
Ganz weit weg erkennen wir die Kuppel des Doms. Wir kommen an kleinen
Bauernhöfen vorbei, an schönen Gärten und hoffen jedes Mal, dass einer
ruft: «Aperitivo?» Mit dem Pferd einkehren, das hat man uns versprochen.
Wir bestreben das Reitprogramm «Intensiv». 2 Stunden reiten vormittags, 2
abends. Dazwischen Pferde auf der
Koppel holen, striegeln und satteln. Intensiv eben.
In den Reitstunden üben wir richtig
angaloppieren, Richtungswechsel im
Trab und Quadrillen, die vor allem die
Reitlehrer amüsieren, da meist alles,
Geschafft und glücklich
Da wissen wir noch nicht, dass es am
nächsten Tag gar einen «Hoppo Galoppo» gibt. Also eine sehr lange Galopp-
Strecke. Dafür öffnet sie einen hohen
Zaun, der sich einmal rund um einen
Weinberg erstreckt. Wir reiten hinein
und warten auf Anweisungen. Ob man
das darf, fragen wir uns. Aber dafür ist
keine Zeit. Bereit machen. «Kurven
ausreiten, lenkt eure Pferde nach aussen.» Wir schnalzen und drücken unsere Beine fest an den Pferdekörper.
Ein irres Gefühl. Das Herz rast, die
Haare kleben unterm Helm. Abends,
zurück auf dem Hof, sind wir geschafft. Und glücklich.
Schnell pendelt sich auf dem Reiterhof ein Rhythmus ein. Kaum haben wir
die Pferde abgesattelt, mit dem
Schwamm ein wenig ihr Fell geputzt
und sie auf die Weide gebracht, laufen
wir hoch zum Landhaus und holen ein
kaltes Zwei-Deziliter-Fläschchen Birra
Moretti. Was man aus dem Kühlschrank nimmt, trägt man in eine Liste
ein. In der einfachen Herberge herrscht
das Vertrauensprinzip.
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Schweiz am Sonntag
11. September 2016
Zypressen, Olivenbäume und Weinreben kennt man von berühmten Gemälden. Wir durchreiten die malerische Landschaft hoch zu Ross. Die roten Teufelskappen sind gegen die lästigen Bremsen und Fliegen.
Fotopause auf dem Ausritt. Sarah (das Pferd!) tanzt aus der Reihe.
Nach dem Reiten mit Bierchen chillen. Das Hochzeitspaar mit Cowboy-Hut.
Nachmittags erholt man sich. Zugegeben, man merkt es auch an der einen
oder anderen Stelle und ist froh um ein
Mittagsschläfchen. Zwei Kilometer entfernt kann man sich am Privatpool mit
atemberaubendem Blick erholen. Wer
eine Auszeit vom Reiten will, kann die
Städte Florenz, Siena oder Arezzo besichtigen – alle nicht weit entfernt. Oder
Chianti im bekannten Rufina degustieren. Schliesslich ist die Gegend auch
kulturell und kulinarisch ein Juwel.
ist so Vallebona-verliebt, dass es am
Tag nach der Hochzeit ins Auto gestiegen und in die Toskana gefahren ist. Ja,
auch der Mann findet das super. Er reitet jeden Tag aus – «er ist infiziert», sagt
seine Frau. Franco hat den Hof seit 36
Jahren. Die Leute kommen vor allem
wegen ihm und seiner Frau Raimonda.
Viel Pasta und viel Chianti
Auch wir werden mit toskanischer Küche verwöhnt. An den langen Holztischen unter der Pergola essen alle gemeinsam. Franco, der Patrone des
Hofs, spielt vor jedem Essen auf der Gitarre. Das ist ein Ritual. Dann erklingt
die Glocke, das Zeichen für: zu Tisch!
Luisa, die Köchin, zaubert zweimal am
Tag Pasta. Lecker! Nicht gerade optimal
für die Figur. Aber man reitet ja auch
viel, und das macht hungrig. Pasta in
allen Variationen oder Panzanella, ein
typischer Brotsalat aus der Region, sind
nur Primi Piatti. Danach gibt es Fleisch
mit Gemüse und Salat. Auch mal von
den eigenen Schweinen. Auf dem Tisch
steht immer hauseigenes Olivenöl.
Abends immer noch ein Dessert. Beim
selbst gemachten Apfelkuchen können
wir nicht mal die Servietten abwarten.
Auf den Tischen steht immer reichlich
Chianti. Und zwar in der typischen
Korbflasche, «Fiasco» genannt. Die
strohummantelte Flasche ist der Inbegriff italienischer Weinseligkeit.
Es herrscht familiäre Stimmung auf
dem Reiterhof. Beim Essen reden alle
miteinander. Die Gäste sind Freunde,
Familien oder auch Mutter mit Tochter,
die im Mai schon hier waren und denen es so gut gefallen hat, dass sie
gleich noch einmal hergefahren sind.
Nach Vallebona kommen viele Stammgäste. Das Hochzeitspaar aus Freiburg
Die Pferdebibel von Vallebona
Nach jedem Essen holt Franco seine Bibel. Die Reit-Bibel. Ein grosses Buch, in
Leder eingebunden. Dann geht er von
Gast zu Gast und fragt: «Do you ride tomorrow?», «Lezione o passeggiata?»
(Reitstunde oder Ausritt?). Er notiert
die Wünsche und setzt sich wieder hin.
Dann ist er still und macht sich ans
Werk. Die Gäste warten gespannt.
Welches Pferd passt zu welchem Reiter? Welche wurden morgens schon bewegt? Welche eigenen sich für die Stunde? Welche harmonieren beim Ausritt
zusammen? Franco, der Pferdeflüste-
rer. Man darf auch Wünsche abgeben,
ihm sagen, welches Pferd man gerne
einmal reiten möchte. Pferde-Hopping,
nennt man es in Vallebona, wenn Gäste
einmal auf dem grossen Schimmel Zorro reiten wollen und dann wieder auf
dem kleinen Braunen, auf dem es sich
sitzt wie auf einem Sofa. 40 Pferde gibt
es in Vallebona. Egal, ob Anfänger oder
Fortgeschrittner, das Beste ist: Auf diesem Hof darf man gleich ins Gelände.
Francos Pferde sind bestens geschult.
Wir kommen wieder. Denn man hat
uns versprochen, dass wir mit den Pferden auf einen Aperitivo gehen. Wie toll
muss es sein, die Pferde draussen an
zubinden wie in den Western-Filmen,
imaginär durch eine Saloontüre zu gehen und einen Drink zu bestellen. Und
dann noch zu sagen: «Ich bin mit dem
Pferd hier, und du?»
Unsere Autorin reiste auf Einladung von
Eurotrek AG nach Vallebona.
Chef Franco an der Gitarre.
Reitwoche Toskana
Eurotrek bietet von März bis Oktober
Reitferien in Vallebona an. Übernachtung im Mehrbett- oder Doppelzimmer mit Halb- oder Vollpension. Beim
Intensivprogramm ist Vollpension zu
empfehlen, da der Hof ziemlich abgelegen ist. Mindestalter 10 Jahre, Kosten: ab 655 Franken. Bis 16 Jahre Vergünstigung. Anreise mit Auto oder
Flugzeug via Florenz. Ausrüstung:
Helme kann man ausleihen, Trekking-/
Wanderschuhe eignen sich am besten.
www.eurotrek.ch
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