New York Photography 1890 – 1950 Von Stieglitz bis Man Ray 17. Mai

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New York Photography 1890 – 1950 Von Stieglitz bis Man Ray 17. Mai
New York Photography 1890 – 1950
Von Stieglitz bis Man Ray
17. Mai bis 2. September 2012
Wandtexte zur Ausstellung
Einführungstext
New York ist die Hauptstadt der Photographie. Bereits vor 1900 regten die rasant wachsende Skyline und
die Dynamik der Metropole die Pioniere des neuen Mediums an. Sie photographierten Wolkenkratzer, Häfen,
Bahnhöfe und entdeckten die Photographie für die Kunst. Alfred Stieglitz, avantgardistischer Photograph und
Galerist, stellte sie als Erster gemeinsam mit moderner Malerei aus. In seinem Umfeld entwickelte sich der
Piktorialismus von einer impressionistischen Bildauffassung in die beiden Richtungen der amerikanischen
Photographie bis 1950: die street photography und die photographische Abstraktion.
Licht und Schatten sind zentrale Elemente der Schwarz-Weiß-Photographie. Licht und Schatten können aber
auch die hellen und dunklen Seiten der Gesellschaft bezeichnen. Beides springt in New York ins Auge: die
strahlende, zukunftsorientierte Metropole und der Moloch von Armut und Verbrechen. Fasziniert von diesen
Extremen, haben Photographinnen und Photographen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Stadt
New York in ihrer dynamischen Ambivalenz portraitiert. Die Ausstellung versammelt die wichtigsten
Positionen und zeigt, wie Künstler die vielfältigen Anregungen New Yorks für ihre Werke aufnahmen. Sie
dokumentiert auch die Durchsetzung des Mediums Photographie als eigenständige Kunstgattung.
New York Photography 1890–1950. Von Stieglitz bis Man Ray knüpft an die Ausstellungstrilogie zur
amerikanischen Malerei an, die das Bucerius Kunst Forum zwischen 2007 und 2009 gezeigt hat. Die
Leihgaben kommen aus bedeutenden amerikanischen und deutschen Sammlungen.
Camera Work als Zentrum des Piktorialismus
Vor 1900 entwickelte sich mit dem Piktorialismus eine Kunstphotographie, die sich mit ihrer Anlehnung an
die impressionistische Malerei von der in New York ebenfalls bereits verbreiteten Amateurphotographie
absetzte. Die von Alfred Stieglitz und Edward Steichen gegründete Galerie 291 und die Zeitschrift Camera
Work boten jenen Photographen eine Plattform, die künstlerische Ambitionen hatten. Der Piktorialismus
wurde zur Hauptströmung der Photographie im Amerika des Gilded Age. Erst mit den gesellschaftlichen
Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg ging die Epoche der malerischen Photographie zu Ende.
Soziale Dokumentation
Neben dem Piktorialismus entwickelte sich um 1900 eine weitere Richtung der Photographie, die von einem
fundamental anderen Verständnis des Mediums ausging: die soziale Dokumentation. War den Piktorialisten
an künstlerischen Darstellungen stimmungsvoller Augenblicke gelegen, die aller gesellschaftlicher Bezüge
enthoben waren, so wollte Lewis Hine, Begründer der dokumentarischen Photographie, den
Wahrheitsanspruch des Mediums nutzen, um soziale Missstände anzuprangern und notwendige Reformen
anzuregen. Dabei musste die politische Aussage keineswegs auf Kosten des künstlerischen Anspruchs
gehen.
City of Ambition
Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts war New York der Inbegriff der modernen Metropole. Die Dynamik
des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Fortschrittsoptimismus setzten unbändige Energien frei, die sich
auch in den gigantischen Wolkenkratzern manifestierten. Diese Konzentration und Fülle von Willenskraft,
Geld und Macht und die Geschwindigkeit des Wachstums überwältigten Ankömmlinge in der Neuen Welt.
Die Photographen versuchten, eine angemessene Bildsprache für diese City of Ambition zu finden: Sie
hielten Häuserschluchten von oben oder aus der Froschperspektive fest und erfassten die Silhouette mit
Hochhausspitzen und Brücken.
Übergang zur Moderne
Auch nach dem Ende der Zeitschrift Camera Work blieb Alfred Stieglitz der Motor der Entwicklung der
modernen Photographie in den USA. In den zwanziger Jahren stellte er in seiner Galerie abstrakte Malerei
aus, die der jungen Generation der Photographen Anregungen für eine neue Bildsprache gab: Ausschnitte,
Nahsichten und die Betonung graphischer Muster führten die Photographie zur Abstraktion. So wurde auch
in Zeiten des aufkommenden Bildjournalismus der künstlerische Anspruch der Photographie beibehalten,
was 1941 in der Gründung des Department of Photography im Museum of Modern Art seine Bestätigung
fand.
Auf den Straßen
Die street photography entdeckte in den zwanziger Jahren ihre Motive in spontanen Szenen. Anlass des
Photographierens war für sie nicht mehr das rein künstlerische Experiment oder die Absicht,
gesellschaftliche Missstände anzuprangern. Auf der Suche nach dem realen Leben begaben sich die
Photographen auf die Straßen New Yorks und fanden in zufälligen Begegnungen den authentischen
Moment. Sie hielten die Menschen in ihrer urbanen Umgebung fest und zeigten im Vorübergehenden den
Wandel der Stadt. Ein unvorhergesehener Augenblick oder die Spiegelung in einem Schaufenster wurden
zum Ausdruck der modernen Wahrnehmung.
Unter Leuten
Ob Coney Island, Kino, Ballroom oder Metropolitan Opera – für die Photographen New Yorks war das
Publikum immer mindestens so faszinierend wie das Geschehen auf Bühne oder Leinwand. Die endlosen
Möglichkeiten des Entertainments in der Millionenstadt spiegelten die Vielfalt der Gesellschaft wider. Dabei
war auch die Photographie Unterhaltungsmedium und bediente die Sensations- und Schaulust. Eine
wachsende Zahl illustrierter Boulevardblätter und Magazine brachte groß angelegte Photoreportagen zu
populären Themen und machte das Photo zu einem Element der Massenkommunikation.
Schattenseiten
Die photographische Erfassung der sozialen Realität erstreckte sich auch auf die Schattenseiten der
amerikanischen Gesellschaft. Die Photographen griffen die drastischen Folgen von Armut, Rassismus und
mangelnder Sozialfürsorge in unterschiedlichen Herangehensweisen auf: von der beschreibenden
Momentaufnahme eines charakteristischen Augenblicks über die ereignisorientierte Reportage bis zum
dokumentarischen Photoessay. Die Motivation der Photographen konnte ebenso aufklärerisch wie
voyeuristisch sein – sie richteten den Blick auf das menschliche Einzelschicksal in einer Massengesellschaft.
In Bewegung
Als Reaktion auf die Beschleunigung des städtischen Lebens versuchten die Photographen in den dreißiger
und vierziger Jahren, die Photographie um die Dimension der Bewegung zu erweitern und Abläufe
festzuhalten, die das menschliche Auge nicht erfassen konnte. Dazu dienten Langzeit- und
Mehrfachbelichtungen sowie die neu entwickelte Hochgeschwindigkeitsphotographie. Wandernde
Lichtquellen wurden mit offener Blende aufgenommen, wodurch sich der Bewegungsablauf in einem Bild
erfassen ließ. Wissenschaftliche und künstlerische Interessen trafen mit dem technischen Fortschritt
zusammen.
Experiment und Abstraktion
Nach der auf sachliche und formale Klarheit zielenden Photographie der zwanziger Jahre entwickelte sich
eine neue photographische Strömung, die über den Abbildcharakter der Photographie hinausging.
Montagen, Spiegelungen, Verfremdungen und Verzerrungen irritierten den Blick des Betrachters und stellten
die Eindeutigkeit des Bildes in Frage. Photogramme bildeten die Dinge selbsttätig ab. Diese neuartigen
Manipulationen
griffen
auf
psychische
Vorgänge
zurück
und
thematisierten
die
Wahrnehmungsgewohnheiten. Die Surrealisten fanden in dieser Photographie eine Ausdrucksform für ihre
Wirklichkeitsauffassung.
Die Straße neu gesehen
Hatte die street photography der zwanziger Jahre das vielfältige Leben der Menschen eingefangen,
entwickelte sich in den vierziger Jahren ein anderer Blick auf die alltägliche Umgebung. Abseits der
glänzenden Fassaden, der Fortschrittsdynamik und der sozialen Fülle fanden die Photographen ihre Motive
in beiläufigen Spuren gelebten Lebens. Nicht mehr die geometrischen Strukturen der Industriearchitektur,
sondern organische Muster erhielten eine ästhetische Qualität. Abblätternder Putz, rostiges Eisen und
verwitterte Schriftzüge verwiesen auf die vergehende Zeit und warfen existentielle Fragen auf.