Vertrauen ist leicht verspielt
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Vertrauen ist leicht verspielt
Manuskriptservice Verkündigungssendungen der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck Hessischer Rundfunk: "Zuspruch am Morgen" Sigrid Glockzin-Bever, Pfarrerin Marburg 10.11.2003 Vertrauen ist leicht verspielt, liebe Hörerinnen und Hörer. Es geschieht jeden Tag zwischen Eltern und Kindern, am Arbeitsplatz, unter Freundinnen und Freunden, selbst unter Liebenden. Und was dann? Wie ist verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen? Manchmal gelingt es wie in dieser Geschichte: Ein alter Reim, von der Mutter dem Sohn mitgegeben, hat Misstrauen in sein Leben gesät: „Mir und dir ist keiner hold, das ist unser beider Schuld.“ Wie soll ein Kind damit umgehen? Schon schlimm genug, sich nicht anerkannt zu fühlen - und dann auch noch selbst schuld zu sein! Das kann nur Selbstzweifel zurücklassen und die verzweifelte Anstrengung, doch noch anerkannt zu werden und dem Leben vertrauen zu können. Der Vater machte es dem Sohn nicht leichter, setzte seine Autorität ein, um die Karriere des Sohnes zu planen und das Ansehen der Familie zu fördern. Zunächst beugte sich der Sohn dem Vater, bis er seinen Weg selbst bestimmte und ins Kloster ging, um unabhängig zu sein. Aber bald merkte er, dass er nun um das Ansehen vor Gott kämpfen musste. Die Selbstzweifel kamen so nicht zur Ruhe, bei aller Anstrengung konnte er doch nicht vertrauen, Vertrauen schien gänzlich verspielt. Aber seine Geschichte geht weiter. Heute ist sein Geburtstag. Es ist Martin Luther, der mit seinem Ringen um Vertrauen die Kirchengeschichte über Jahrhunderte geprägt hat. Nicht die Autorität des Vaters, der die Karriere plante, nicht die Mutter, die das Lied des Selbstzweifels sang, und nicht die Kirche, die für fromme Leistung den Himmel versprach, hatten www.ekkw.de/rundfunk 1 Manuskriptservice Verkündigungssendungen der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck Hessischer Rundfunk: "Zuspruch am Morgen" Sigrid Glockzin-Bever, Pfarrerin Marburg 10.11.2003 das letzte Wort in seinem Leben, sondern die eigene Erfahrung, dass Gott ihm die Treue hält und barmherzig ist. Das hat er sich nicht ausgedacht, sondern durch Depressionen hindurch ist ihm gewiß geworden, dass Gott bedingungslos an seiner Seite steht, und diesen Gott kann er lieben. So hat er sein Vertrauen zurückgewonnen - und seine Freiheit. Auch wenn unsere Konfliktgeschichten heute anders aussehen, so fremd ist uns die Suche nicht nach dem, was vertrauenswürdig ist. Viele Menschen leiden an einer Kultur, in der Vertrauen missbraucht wird, in der Werbung, in der Politik und auch in der Religion. Und so ziehen sich manche zurück in ihr Privatleben. Dort soll ein vertrauensvolles Zusammenleben möglich sein, da wenigstens darf es nicht schief gehen. Und wie groß ist dann die Enttäuschung, wenn auch das nicht gelingt. Vielleicht können wir gelassener sein, wenn unser Vertrauen nicht allein abhängig ist von Menschen. Aber das fällt niemandem in den Schoß. Auch Martin Luthers Erfahrung war keine einmalige Erfolgsgeschichte, sondern ein immer wieder neues hartes Ringen um das, was das Leben trägt. Entscheidend ist dabei bis heute, von falschen Abhängigkeiten frei zu werden. Morgen ist Martin Luthers Tauftag, er wurde auf den Heiligen Martin getauft, einem Menschen, der Gott vertraute. Wenn Martin Luther der Zweifel plagte, erinnerte er sich an seine Taufe: ‚Ich bin getauft’ schrieb er mit Kreide auf den Tisch und konnte sich daran wieder aufrichten – und sein Vertrauen ins Leben zurückgewinnen. Mag sein, dass das für uns alles nicht mehr geht. Und doch ist ein neuer Film bundesweit in den Kinos angelaufen, der sich mit diesem Mann auseinandersetzt: Martin Luther als verletzlicher und doch starker Mensch, der seine Unabhängigkeit aus dem Vertrauen auf Gott gewann. Und solche vertrauenswürdigen Vorbilder brauchen wir. www.ekkw.de/rundfunk 2