Vermittlung von Medienkompetenz als Mittel zur Digitalen
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Vermittlung von Medienkompetenz als Mittel zur Digitalen
Vermittlung von Medienkompetenz als Mittel zur Digitalen Integration unter besonderer Berücksichtigung der Förderung benachteiligter Jugendlicher Informationswirtschaft Fakultät für Informations- und Kommunikationswissenschaften Fachhochschule Köln vorgelegt von: Susanne Bernsmann Abstract: Durch die rasante Entwicklung und Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologien und des Internets haben sich viele Bereiche innerhalb der Gesellschaft verändert. Dadurch entstehen viele Vorteile und neue Möglichkeiten, von denen allerdings nicht alle Bevölkerungsteile gleich stark profitieren können. Die in der Gesellschaft benachteiligten Gruppen sind auch im Internet unterrepräsentiert, somit werden bestehende soziale Ungleichheiten verstärkt und neue verursacht. Der so genannte ‚Digital Divide’ ist ein ernstzunehmendes Problem der Gesellschaft geworden. Diese Situation verschärft sich dadurch, dass diejenigen, die die modernen Techniken nutzen, bessere soziale und wirtschaftliche Entwicklungschancen besitzen und sich somit immer mehr von den benachteiligten Nichtnutzern entfernen. Durch Maßnahmen der Digitalen Integration können den z.B. durch Alter, Geschlecht, Bildungsstand oder sozialer Zugehörigkeit ausgegrenzten Gruppen Chancengleichheit und mehr Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe gewährt werden. Mittlerweile ist der physische Zugang zu den Medien in Deutschland nicht mehr als Hauptproblem des Digital Divides anzusehen, sondern die fehlende bzw. geringe Medienkompetenz. Der Bildungshintergrund und die soziale Umgebung spielen eine zentrale Rolle für die Nutzung bzw. Nichtnutzung und die Qualität des Internetgebrauchs. In dieser Arbeit soll aufgezeigt werden, inwieweit der nicht vorhandene Zugang zum Internet, bzw. die fehlende oder mangelnde Medienkompetenz sozial benachteiligte Jugendliche in Deutschland beeinträchtigt. Ihnen fehlen oft Grundvoraussetzungen wie ein förderndes soziales Umfeld (Unterstützung von Familie und Freunden) oder die Motivation und Disziplin, sich die fehlende Kompetenz anzueignen. Somit entsteht für sie ein besonderer Unterstützungsbedarf. Unter Berücksichtigung aktueller Studien soll eine gegenwärtige Bestandsaufnahme der quantitativen und qualitativen Nutzung des Internets in Bezug auf die Zielgruppe vorgenommen werden. Es sollen Lösungsansätze aufgezeigt werden, wie die Jugendlichen erreicht und für die Nutzung der Technologien bzw. für die Aneignung der Kompetenzen motiviert werden können. Schlagworte: Digital Divide, Medienkompetenz, soziale Benachteiligung, Jugendliche, Internet Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ......................................................................................................... I Abbildungsverzeichnis ............................................................................................... III Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................. IV 1. Einleitung .................................................................................................................. 1 1.1 Problemstellung und Zielsetzung ......................................................................... 1 1.2 Aufbau der Arbeit.................................................................................................. 3 2. Veränderungen durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ........................................................................ 5 2.1 Informationsgesellschaft....................................................................................... 6 2.2 Entwicklung des Internets..................................................................................... 8 2.3 Chancen und Risiken des Internets...................................................................... 9 2.3.1 Nutzungsspektrum und neue Möglichkeiten durch das Internet.................... 9 2.3.2 Gefahren des Internets................................................................................ 12 2.4 Nutzung des Internets ........................................................................................ 14 2.4.1 Internetnutzung in Deutschland................................................................... 14 2.4.2 Gründe für die Nichtnutzung des Internets.................................................. 15 3. Digitale Integration ................................................................................................. 17 3.1 Wissensklufthypothese....................................................................................... 17 3.2 Digital Divide....................................................................................................... 18 3.2.1 Alter ............................................................................................................. 20 3.2.2 Geschlecht................................................................................................... 20 3.2.3 Bildung......................................................................................................... 21 3.2.4 Einkommen.................................................................................................. 22 3.3 Second Level Divide........................................................................................... 23 3.4. Digital Inequality ................................................................................................ 24 3.5 Projekte zur Digitalen Integration in Deutschland............................................... 26 4. Medienkompetenz .................................................................................................. 28 4.1 Definition............................................................................................................. 28 4.2 Anforderungen an die Nutzer des Internets........................................................ 29 4.3 Vermittlungsstellen von Medienkompetenz ........................................................ 30 4.3.1 Formelle Vermittlungsstellen ....................................................................... 31 4.3.2 Informelle Vermittlungsstellen ..................................................................... 32 5. Anwendungsbeispiel ............................................................................................. 36 5.1 Stiftung Digitale Chancen ................................................................................... 36 5.2 Projekt ‚Chancengleichheit in der Informationsgesellschaft’ .............................. 37 5.2.1 Bürgerschaftliches Engagement.................................................................. 38 5.2.2 Menschen mit Behinderungen..................................................................... 38 5.2.3 Seniorinnen und Senioren ........................................................................... 38 5.2.4 Jugendliche ................................................................................................. 39 5.2.5 Frauen und Mädchen .................................................................................. 39 6. Sozial benachteiligte Jugendliche ........................................................................ 40 6.1 Begriffsbestimmung............................................................................................ 40 6.2 Formen der Benachteiligung .............................................................................. 41 6.2.1 Familie ......................................................................................................... 41 6.2.2 Bildung......................................................................................................... 42 6.2.3 Beruf ............................................................................................................ 43 6.3 Mediennutzung der Jugendlichen....................................................................... 44 6.4 Vermittlung von Medienkompetenz für Jugendliche........................................... 50 6.4.1 Schule.......................................................................................................... 51 6.4.2 Öffentliche Zugangsorte .............................................................................. 54 6.5 Berufliche Relevanz von Medienkompetenz ...................................................... 56 7. Handlungsempfehlungen ...................................................................................... 58 7.1 Steuerungsebene ............................................................................................... 58 7.2 Anbieterebene .................................................................................................... 60 7.3 Nutzerebene ....................................................................................................... 61 7.3.1 Eltern ........................................................................................................... 61 7.3.2 Schule.......................................................................................................... 61 7.3.3 Öffentliche Einrichtungen ............................................................................ 62 7.3.4 Multiplikatoren ............................................................................................. 66 8. Fazit/Ausblick ......................................................................................................... 70 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 72 II Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Transformationsmodell Wissen – Information ........................................... 5 Abbildung 2: Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland ........................................ 8 Abbildung 3: Online-Kommunikation und Massenkommunikation im Vergleich........... 10 Abbildung 4: Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland in Prozent ..................... 14 Abbildung 5: Internetnutzung nach Alter von 2002-2007 in Prozent ............................ 20 Abbildung 6: Internetnutzung nach Geschlecht von 2002-2007 in Prozent.................. 21 Abbildung 7: Internetnutzung nach Bildung 2007 in Prozent........................................ 21 Abbildung 8: Internetnutzung nach Bildung von 2002-2007 in Prozent........................ 22 Abbildung 9: Internetnutzung nach Einkommen von 2002-2007 in Prozent................. 22 Abbildung 10: Bedeutung öffentlicher Internetzugänge für die Internetnutzung........... 34 Abbildung 11: Gerätebesitz Jugendlicher 2006............................................................ 45 Abbildung 12: Internetnutzung:‚Kommunikation’ / ‚Spiele’ / ‚Informationssuche’.......... 47 Abbildung 13: ‚Gezieltes Suchen’ nach Schultyp in Prozent ........................................ 49 Abbildung 14: Verfügbarkeit und Nutzung von Computern von Schülern .................... 51 Abbildung 15: Ausstattung mit Laptops / PCs nach Schulform .................................... 52 Abbildung 16: Anzahl der Schüler pro PC in Europa, 2006.......................................... 53 Abbildung 17: Faktoren für Digitale Integration und Medienkompetenzvermittlung ..... 69 III Abkürzungsverzeichnis Abb. - Abbildung bspw. - beispielsweise bzw. - beziehungsweise d.h. - das heißt € - Euro etc. - et cetera f. - folgende ff. - folgende und weitere ggf. - gegebenenfalls i.d.R. - in der Regel IKT - Informations- und Kommunikationstechnologien IT - Informationstechnik Kap. - Kapitel NRW - Nordrhein-Westfalen o.ä. - oder ähnliches S. - Seite s.o. - siehe oben s.u. - siehe unten u.a. - unter anderem WWW - World Wide Web vgl. - vergleiche z.B. - zum Beispiel z.T. - zum Teil IV 1. Einleitung 1.1 Problemstellung und Zielsetzung Viele Bereiche innerhalb der Gesellschaft haben sich durch die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien1 verändert.2 Durch die immer stärkere Verbreitung des Internets hat der Umgang mit diesem Medium Einzug in das tägliche Leben in beruflichen und privaten Bereichen erhalten. Allerdings sind von dieser Entwicklung nicht alle Bevölkerungsteile gleich stark betroffen und haben nicht die gleichen Zugangsmöglichkeiten. Für die Menschen, welche die neuen Medien nutzen können, bieten diese viele Vorteile und neue Möglichkeiten, wie beispielsweise günstigen Informationsaustausch, Vielfalt und Aktualität von Informationen, Möglichkeit der gezielten Recherche und schnellen Zugang zu Informationen.3 Die in der Gesellschaft bisher benachteiligten Gruppen sind jedoch im Internet ebenfalls unterrepräsentiert. Somit werden bestehende soziale Ungleichheiten verstärkt und neue verursacht.4 Die so entstandene Digitale Kluft (‚Digital Divide’, vgl. Kap. 3) ist ein ernstzunehmendes Problem der Gesellschaft geworden. Es gibt Personengruppen, die aufgrund ihres Alters, Geschlechts, Bildungsstandes, ihrer sozialen Zugehörigkeit o.ä. benachteiligt werden. Diese gilt es mit einzubeziehen und ihnen Chancengleichheit zu gewähren. Die Teilung vergrößert sich zusätzlich dadurch, dass diejenigen, die Zugang zu den modernen Techniken haben, bessere soziale und wirtschaftliche Entwicklungschancen besitzen und sich somit immer mehr von den benachteiligten Nichtnutzern entfernen.5 Die Gruppen, die das Internet nicht nutzen (können), haben zudem eine geringere gesellschaftliche Teilhabe (z.B. im Beruf) und werden dadurch ausgegrenzt. Maßnahmen, diese Bevölkerungsgruppen mit einzubeziehen werden als ‚Digitale Integration’ bezeichnet. Da die bisherige Entwicklung der neuen Medien und Technologien nicht mehr rückgängig zu machen ist, sollte allen Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit gegeben werden, daran teilzuhaben. Eine ledigliche Unterteilung in Nutzer und Nichtnutzer des Internets ist jedoch zu undifferenziert. Es bestehen ebenso Unterschiede darin, wie dieses Medium qualitativ 1 Systeme zur elektronischen Datenverarbeitung und Datenübermittlung, d.h. die Verbindung digitaler Technik mit Telekommunikationssystemen 2 Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005, S. 176 3 Bonfadelli, H., 2000, S. 188 f. 4 Boes, A., et al., 2006, S. 2 5 Norris, P., 2001, S. 7 f. 1 genutzt wird – bspw. informationsorientiert zur Weiterentwicklung des Einzelnen oder passiv zu Unterhaltungszwecken.6 Weiterhin haben z.B. die technische Ausstattung und die vorhandenen Kompetenzen in dem Bereich Einfluss auf die Nutzungsweise.7 Mittlerweile ist der physische Zugang zu den Medien in Deutschland nicht mehr als Hauptproblem des Digital Divide anzusehen, sondern die fehlende bzw. geringe Medienkompe-tenz. Sie setzt sich u.a. zusammen aus der Fähigkeit zur selbstbestimmten Hand-habung und Nutzung der neuen Technologien, zur Bewertung der Informationen und zur Orientierung innerhalb der Informationsangebote.8 Die ehemalige Bundesfamilien-ministerin Renate Schmidt betonte die Wichtigkeit dieser Fähigkeiten (vgl. Kap. 3.5): „Medienkompetenz ist heute die vierte Kulturtechnik neben Lesen, Schreiben und Rechnen“9 Der Bildungshintergrund bzw. die soziale Umgebung spielen eine zentrale Rolle für die Entwicklung von Kompetenzen und die Nutzung bzw. Nichtnutzung des Internets. Der Zugang von Jugendlichen zum Internet ist ungleich verteilt, so entstehen eingeschränkte Bildungs- und Lebenschancen der Einzelnen. In der vorliegenden Diplomarbeit liegt der Fokus auf dieser Gruppe der Jugendlichen, da ihre Förderung sehr wichtig für die gesellschaftliche Entwicklung ist und sich momentan die Berufsanforderungen stark verändern. Dadurch entsteht für sie ein besonderer Unterstützungsbedarf. Die Jugendlichen mit einem bereits erschwerten Einstieg in das Berufsleben haben somit weniger Möglichkeiten, den Anforderungen der Unternehmen zu entsprechen. Oft fehlen ihnen auch Grundvoraussetzungen wie ein förderndes soziales Umfeld (Unterstützung von Familie und Freunden) oder die Motivation und Disziplin, sich die fehlende Kompetenz anzueignen. Es bedarf daher neuer niedrigschwelliger Zugangsmöglichkeiten, die allen Bevölkerungsgruppen ermöglichen, das Internet auszuprobieren, kennen zu lernen und auf Dauer zu nutzen. Die benachteiligten Bevölkerungsgruppen sollten so mit einbezogen werden, dass sie die gleichen Chancen haben und von oben erwähnten Vorteilen profitieren können. Die Steigerung der Medienkompetenz ist ein wichtiges gesellschafts- und bildungspolitisches Ziel. . Wenn sie in der Lage sind, selbstgesteuert Informationen aus dem Internet zu ziehen, ergeben sich Vorteile für sie im Leben 6 Konert, B., 2004, S. 27 DiMaggio, P., Hargittai, E., 2001, S. 9 ff. 8 Kubicek, H., Welling, S., 2000, S. 512 9 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2004 7 2 außerhalb des Internets. Die Jugendlichen benötigen spezielle Unterstützung, damit sie in dem Bereich die gleichen Voraussetzungen haben. Während der Erarbeitung dieser Literaturarbeit durfte die Autorin ein Projekt der Stiftung ‚Digitale Chancen’ namens ‚Chancengleichheit in der Informations- gesellschaft’ begleiten. Dort sind Menschen aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen in Workshops zusammengetroffen, um Erfahrungen der Nutzung bzw. Nichtnutzung des Internets auszutauschen. Somit wurde die gegenwärtige Situation der gesellschaftlichen Teilhabe der einzelnen Zielgruppen in der Informationsgesellschaft in Deutschland abgebildet. Durch das bundesweite Projekt soll eine öffentliche Debatte über die Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe angestoßen werden.10 Die Verfasserin konnte im Rahmen der Workshops viele aktuelle Probleme aufnehmen und wurde währenddessen auf neue Aspekte aufmerksam. Als Ziel dieser Diplomarbeit gilt es aufzuzeigen, inwieweit soziale Benachteiligungen von Jugendlichen in Deutschland ihre Internetnutzung, bzw. ihre zur Verfügung stehende Medienkompetenz beeinträchtigen und welche Möglichkeiten sich ergeben, um diesen Problemen entgegenzuwirken. Es soll herausgefunden werden, wie man die Motivation der Jugendlichen steigern kann, um die nötigen Kompetenzen zu erwerben und ihre Defizite zu überwinden. Unter Berücksichtigung aktueller Studien wird eine gegenwärtige Bestandsaufnahme der quantitativen und qualitativen Nutzung des Internets in Bezug auf die Zielgruppe erfolgen. Diese aktuellen Erhebungen werden mit den theoretischen Grundlagen auf diesem Gebiet verknüpft. Dadurch sollen Lösungsansätze aufgezeigt werden, wie die Jugendlichen erreicht und für die Nutzung der Technologien bzw. für die Aneignung der Kompetenzen motiviert werden können, um so ihre gesellschaftliche Teilhabe zu steigern. Als Ergebnis werden Handlungsempfehlungen für die auf die Medienkompetenz einwirkenden Einflussfaktoren auf verschiedenen Ebenen aufgeführt und aufeinander bezogen, um der aufgezeigten Entwicklung des ‚Digital Divide’ innerhalb dieser Zielgruppe entgegenzutreten. 1.2 Aufbau der Arbeit Nach dieser einleitenden Abhandlung der Problemstellung und Zielsetzung werden im zweiten Kapitel die Auswirkungen der neuen Informations- und Kommunikations10 Vgl. http://www.digitale-chancen.de/gleichheit/ 3 technologien auf die Gesellschaft aufgeführt. Es erfolgt eine Gegenüberstellung der Möglichkeiten des Internets, von denen die Nichtnutzer des Mediums nicht profitieren können und den neuen Gefährdungspotentialen des Internets, welche ein Grund für die Nichtnutzung sein können. Abschließend werden aktuelle Zahlen zur Internetnutzung in Deutschland herangezogen. Kapitel drei widmet sich dem Themenfeld der Digitalen Integration. Ausgehend von der Wissensklufthypothese werden die verschiedenen Formen der Digitalen Spaltung mit aktuellen Daten aus Deutschland vorgestellt. Eine differenziertere Betrachtung beinhalten die Überlegungen zur ‚Digital Inequality’, welche die Unterschiede in der Nutzung des Mediums herausstellen. Im vierten Kapitel werden die verschiedenen Komponenten der Medienkompetenz vorgestellt und welche Besonderheiten für die Nutzung des Internets erforderlich sind. Es folgt eine Auflistung der Vermittlungsstellen, in denen diese Fähigkeiten erworben werden können. Dieser theoretische Teil bildet den Rahmen für die im Folgenden vorgestellten praxisorientierten Projekte und Erhebungen. Kapitel fünf widmet sich dem Projekt ‚Chancengleichheit in der Informationsgesellschaft’ der Stiftung ‚Digitale Chancen’. Im sechsten Kapitel werden die Formen der Benachteiligungen der Jugendlichen aufgeführt und wie diese das Internet nutzen. Anschließend werden die Besonderheiten bei der Vermittlung der Medienkompetenzen für diese Zielgruppe erläutert und welche Relevanz die Fähigkeiten für den beruflichen Bereich hat. Kapitel sieben beinhaltet die Handlungsempfehlungen zur Förderung der Digitalen Integration und Vermittlung von Medienkompetenz auf verschiedenen Ebenen. Dort sollen Lösungsansätze zur Behebung der zuvor aufgeführten Probleme geleistet werden. In Kapitel acht wird das Fazit gezogen und ein Ausblick der Entwicklungen gegeben. Obwohl an manchen Stellen im Text nur die männliche Form aufgeführt ist, soll dies nur einer besseren Lesbarkeit dienen, es ist auch immer die weibliche Form mit eingeschlossen. 4 2. Veränderungen durch die neuen Kommunikationstechnologien Informations- und Informations- und Kommunikationstechnologien11 dienen der elektronischen Datenverarbeitung und Datenübermittlung und demnach der Kombination von digitaler Technik mit Telekommunikationssystemen. Der Begriff Technologie beinhaltet neben dem Funktionieren und der Anwendung der Geräte auch ihre Einbettung in die Gesellschaft.12 Die rasanten Entwicklungen dieser Technologien haben viele Veränderungen in der Wirtschaft und Industrie, der Wissenschaft und Bildung, aber auch gesellschaftlich für das Leben untereinander hervorgerufen.13 Einleitend soll eine Abgrenzung der Begriffe ‚Information’ und ‚Wissen’ vorgenommen werden, es existieren vielfältige Ansätze, diese zu beschreiben, für vorliegende Arbeit soll jedoch folgende Definition verwendet werden: Rainer Kuhlen sieht Information als eine Teilmenge von Wissen an, das man in einer bestimmten Situation zur Lösung eines Problems benötigt – über das i.d.R. aber nicht verfügt werden kann. Information wird somit akut benötigt und ist somit handlungsrelevant. Er hat Information als aktiv gewordenes Wissen in der Formel „Information ist Wissen in Aktion“ ausgedrückt.14 Abbildung 1: Transformationsmodell Wissen – Information Quelle: Kuhlen, R., 2004, S. 15 11 auch IuK-Technologien, bzw. IKT Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005, S. 176 13 Mandl, H., Reinmann-Rothmeier, 1997, S. 78 14 Kuhlen, R., 2004, S. 15 12 5 Externes Wissen kann nicht einfach in handlungsrelevante Informationen umgewandelt bzw. übernommen werden. Es bedarf dazu eines Transformationsprozesses, bei dem das Wissen eingesetzt (abgerufen) wird, um ein Ziel zu erreichen. Dabei wird es verändert und erhält somit einen Mehrwert. Zu den auf die Transformationsprozesse einwirkenden Rahmenbedingungen (vgl. Abb. 1) zählt Kuhlen die individuelle Befindlichkeit des Individuums, das die Information verwendet. Dazu zählen bspw. sein Wissensstand oder die Gedächtnisleistung (seine Intelligenz) und situative Faktoren (Ressourcen wie Zeit und Geld für die Informationsverarbeitung oder der 15 Verwendungszweck). Diese Ansicht verdeutlicht den Aspekt, dass Informationen für den Alltag benötigt werden, sie nach ihrer Beschaffung in Wissen umgewandelt werden können, was dann wiederum für Entscheidungszwecke gebraucht wird. Wenn man im Umkehrschluss nicht an Informationen herankommt, entstehen für den Einzelnen Nachteile im Gegensatz zu seinen Mitmenschen, die über die Informationen verfügen. Die Begriffe Wissensgesellschaft und Informationsgesellschaft16 werden oft synonym verwendet. Sie schließen einander nicht aus, sondern beschreiben jeweils die Verschiebung der Industriegesellschaft in eine postindustrielle Gesellschaft.17 Wissensgesellschaften gewinnen ihre Lebensgrundlagen aus reflektiertem und evaluiertem Wissen (individuell und kollektiv).18 In dieser Arbeit soll im weiteren Verlauf der Begriff Informationsgesellschaft verwendet werden, da sich dieser auf die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien stützt. 2.1 Informationsgesellschaft Für den Soziologen Daniel Bell ist die Informationsgesellschaft eine nach-industrielle Gesellschaft, die auf dem Anwachsen des Informationssektors gegenüber der Güterproduktion beruht: Die Beschäftigtenzahlen im Bereich der Industrie und Landwirtschaft sinken, im Dienstleistungs- und Informationsbereich nehmen sie zu – die Produktion wird zunehmend abhängig von Informationen. Sie werden zu einer eigenständigen Ressource und einem wichtigen Produktionsfaktor neben Rohstoffen und Energie, wodurch eine Veränderung der Gesellschaft in allen Bereichen einhergeht. In der postindustriellen Informationsgesellschaft spielt die Gewinnung und Verwertung von Wissen eine entscheidende Rolle. Daher nennt er die nachindustrielle 15 ebd. S. 15 in diesem Bereich herrscht kein Konsens über die Begrifflichkeiten, in vorliegender Arbeit sollen die vielfältigen Ansätze weniger berücksichtigt werden 17 Coy, W., 2005, S. 35 18 Mandl, H., Reinmann-Rothmeier, 1997, S. 78 16 6 Gesellschaft auch Wissensgesellschaft, da Innovationen und Veränderungen vermehrt von Forschung und Entwicklung ausgehen und die Gesellschaft den Bereich des Wissens immer mehr in den Fokus rückt.19 Eine weitere Definition veröffentlichte die Groupe de Réflexion20 in einem Bericht. Für sie ist die Informationsgesellschaft die „Wirtschafts- und Gesellschaftsform, welche also hauptsächlich auf der zunehmend interaktiven Gewinnung, Speicherung, Verarbeitung, Vermittlung, Verbreitung und Nutzung von Informationen und Wissen basiert und in welcher der produktive Umgang mit der Ressource Information und die wissensintensive Produktion eine herausragende Rolle spielen.“21 Für Bonfadelli umfasst die Informationsgesellschaft drei Komponenten: die technologische Komponente, die besagt, dass die Gesellschaft auf den neuen Kommunikations- und Informationstechnologien beruht; die ökonomische Komponente (Informations- und Mediensektor als wirtschaftliche Wachstumsbranche) und die soziale Komponente (gesellschaftlich).22 Die Informationsgesellschaft steht demnach für die Produktion und den Konsum von wissensintensiven Produkten und Dienstleistungen, die auf der Nutzung von Informations- und Kommunikationssystemen beruhen. Für das Funktionieren dieser wissensbasierten Gesellschaft sind Forschung und Bildung elementar, da sie durch dynamische Innovationszyklen essentielle Triebkräfte für Fortschritte in Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft darstellen. Die Bildungs- und Forschungspolitik sollten die dazu notwendigen Rahmenbedingungen und Infrastrukturen schaffen.23 Technologischer Wandel bezeichnet den Übergang zu neuen Technologien, wobei die alten Technologien verdrängt werden. Diese Entwicklung kann in die Inventionsphase, (Entwicklung der neuen Technologien), die Innovationsphase (Einführung auf dem Markt) und die Diffusionsphase (zeitlich verteilte Übernahme und somit Verbreitung der neuen Technologien) unterteilt werden.24 Bei der Technologie ‚Internet’ lässt sich ein überproportionaler Diffusionsverlauf feststellen (vgl. folgendes Kapitel). 19 Bell, D., 1979, S. 29 ff. Vom schweizerischen Bundesrat 1996 als verwaltungsunabhängige Gruppe eingesetzt, um Entscheidungsgrundlagen in diesem Bereich zu liefern. 21 Groupe de Réflexion, 1997, S. 14 22 Bonfadelli, H., 2000, S. 187 23 Thomas, U., 2002, S. 99 24 Hüser, G., Grauer, M., 2005, S. 84 f. 20 7 2.2 Entwicklung des Internets Ende der 60er Jahre wurde ein dezentrales Kommunikationsnetz (‚ARPANET’) in den USA für militärische Zwecke eingesetzt. Für den Datenaustausch zwischen den unterschiedlichen Rechnersystemen diente das Transmission Control Protocol/Internet Protocol (TCP/IP) als Basis. Der Durchbruch in der Nutzung entstand durch das World Wide Web (WWW), als es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Durch die Hypertext Markup Language können multimediale Internetseiten erstellt werden, die durch Hyperlinks aufeinander bezogen und verbunden werden.25 Seit Mitte der 90er Jahre hat das Internet ein sehr rapides Wachstum in der Verbreitung vorzuweisen, dieser exponentielle Anstieg an Teilnehmern wurde häufig unterschätzt. Die hohe Steigerungsrate zeigt, welchen enormen Bedeutungszuwachs das Internet als Medium gesellschaftlicher Kommunikation erfährt. Es entwickelte sich zu einem Leitmedium der hoch entwickelten Gesellschaft.26 100 90 Nutzerzahlen in Prozent 1997 (6,5%) bis 2007 (62,7%) 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Abbildung 2: Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland27 Quelle: in Anlehnung an ARD/ZDF-Medienkommission, 2007, S. 1 Für die rasante Entwicklung des Internets sind folgende Faktoren maßgeblich entscheidend gewesen: - Digitalisierung ermöglicht die Speicherung und den Transfer von Informationen über Netze. Damit geht eine Leistungssteigerung einher. - Durch die Verbesserung der Rechen-, Speicher- und Übertragungsleistungen findet eine kontinuierliche Verbesserung des Preis-/Leistungsverhältnisses statt (z.B. Erhöhung der Übertragungsgeschwindigkeit bei gleichzeitigem Preisverfall). 25 Zimmer, J., 1996, S. 112 Boes, A., Preißler, J., 2002, S. 11 f. 27 gelegentliche Onlinenutzung ab 14 Jahren 26 8 - Minituarisierung (Verkleinerung bei Beibehaltung der Funktionen) und - die schnelle Akzeptanz von Standards.28 Durch die neuen Informations- uns Kommunikationstechnologien steigen die Möglichkeiten der Datenübertragung, der Datenspeicherung und der Datenverarbeitung rasant an. Damit einhergehend nimmt die Menge an bereitgestellten Informationen rasant zu (‚Informationsflut’). Die Nutzer der Medien benötigen Unterstützung, um Inhalte selektieren zu können und diese in Wissenszuwachs umzuwandeln. Dieses angehäufte Wissen hat Einfluss auf den sozialen Status, die politische Mitbestimmung und somit auf die gesellschaftliche Teilhabe des Einzelnen.29 Das Internet ist kein weiteres vom Nutzer unbeeinflussbares reines Informations- und Kommunikationsmedium neben Telefon oder TV. Es wird zu einem neuen sozialen Handlungsraum und durch das Zutun seiner Nutzer ständig verändert. Es sind neue Partizipationsmöglichkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen und neue Formen der Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsfindung entstanden – dadurch wird eine weiter reichende Demokratisierung der Gesellschaft erhofft. Die aktive Teilhabe daran entscheidet über die Beteiligung oder den Ausschluss in anderen gesellschaftlichen Bereichen – z.B. größere Auswahl und weiter reichende Informationen im Internet bei der Stellensuche. Klassische Einflussfaktoren sozialer Ungleichheit (z.B. Einkommen, Bildung) bestimmen jedoch auch die Chancen der Beteiligung im Internet.30 2.3 Chancen und Risiken des Internets 2.3.1 Nutzungsspektrum und neue Möglichkeiten durch das Internet Durch die neuen digitalen Infrastrukturen und Kommunikationsmöglichkeiten entstehen neue Potentiale für ihre Nutzung:31 - Interaktivität: Im Internet ist reziproke (interaktive) Kommunikation möglich – im Gegensatz zu traditionellen Medien, bei denen dies einseitig vom Sender zum Empfänger geschieht. - Aktivität: Bei Medien wie dem Fernseher oder dem Radio verläuft die Nutzung eher passiv (Zuhören/-schauen). Die neuen Medien benötigen mehr Eigenaktivität, bspw. bei der Informationssuche oder der Navigation in Multimediaprogrammen. Dies erfordert jedoch mehr Kompetenzen von den Anwendern (vgl. Kap. 4.2) 28 Hüser, G., Grauer, M., 2005, S. 86 Thomas, U., 2002, S. 94 30 Boes, A., et al., 2006, S. 1 31 Bonfadelli, H., 2000, S. 188 ff. 29 9 - Horizontale Kommunikation: Journalismus verläuft traditionell vertikal, d.h. dass der Informationsfluss kontrolliert wird und ausgewählte Themen bereitgestellt werden. Im Internet kann theoretisch jeder Mensch Informationen verbreiten und zum ‚Sender’ werden, was einen ‚herrschaftsfreien’ Kommunikationsraum entstehen lässt. Beispiele hierfür sind Internetforen (virtuelle Diskussionsforen zum Austausch und zur Archivierung von Gedanken und Erfahrungen, die Kommunikation verläuft asynchron, also nicht in Echtzeit) und Chatrooms (Konversation in Echtzeit zwischen zwei oder mehreren Personen im Internet, oft thematisch unterteilt32). - Individual-/Zielgruppenpublika: Im Vergleich zu den traditionellen Massenmedien (z.B. Zeitung, ‚one to many’) ist im Internet ferner parallel auch Individual- bzw. Zielgruppenkommunikation (z.B. via E-Mail) möglich, u.a. daher wird es als Hybridmedium (‚Mischling’) bezeichnet. - Globalität: Die Kommunikation ist räumlich nicht begrenzt und nicht mehr vorwiegend lokal orientiert wie bei den klassischen Medien; dies bezieht sich auf die Angebote und die Nutzer. - Privates wird öffentlich: Bei den herkömmlichen Medien sind die Inhalte eher universell und für die Öffentlichkeit bestimmt. Die o.g. Interaktivität und Horizontalität des Internets machen die Thematisierung von Privatem und sehr speziellen Inhalten für ein breites Publikum möglich. - Multimedialität: Die ursprünglich getrennten Kanäle Bild, Ton und Text können beliebig multimedial online verknüpft werden (da sie digital sind).33 Abbildung 3: Online-Kommunikation und Massenkommunikation im Vergleich Quelle: in Anlehnung an Bonfadelli, H., 2000, S. 189 Weiterhin ist der unmittelbare Zugriff in Echtzeit auf Informationen unabhängig vom Zeitpunkt ein großer Vorteil. Durch die Digitalisierung wird die Verarbeitung und 32 33 Vgl. Meyers Lexikon online: http://lexikon.meyers.de/ Bonfadelli, H., 2000, S. 190 10 Speicherung der Informationen erleichtert. Zudem können Transaktionskosten durch das Internet drastisch gesenkt werden.34 Die Chancen und Vorteile der neuen Technologien liegen in dem schnellen und leichten Zugang zu einer Fülle an (aktuellen) Informationen und vielfältige Informationsverarbeitungsmöglichkeiten. Weiterhin sind der schnelle und günstige Austausch von Informationen und die Möglichkeit der gezielten Recherche zu nennen.35 Die unterschiedlichen Funktionalitäten des Internets kann man auf fünf Bereiche aufteilen, wobei diese nicht gänzlich trennscharf zu sehen sind:36 - Information: Suche nach Informationen (beruflich und privat) im World Wide Web - Kommunikation: Informationsaustausch, soziale Kommunikation (z.B. per EMail, in Chats oder Foren) - Unterhaltung: spaßorientiertes Nutzen, zielloses Surfen, vernetztes Spielen, Filme und Musik - Konsumtion: Transaktionen, bzw. E-Commerce (Waren und Dienstleistungen suchen und kaufen) - Gestaltung: eigene Homepages erstellen (oder z.B. Weblogs) Es entstehen neue globale Interaktionsformen, Gleichgesinnte können sich über große Entfernungen hinweg zusammenschließen und sich über gemeinsame Interessen austauschen.37 Die neuen Technologien können weiterhin im Bereich Bildung und Weiterbildung Einsatz finden. Es existiert eine Vielzahl von Lehr- und Übungsprogrammen, Lernspielen, Experimentier- und Kooperationsumgebungen. Diese können sehr vielfältig im Unterricht eingesetzt werden. Unter ‚E-Learning’ werden Lernprozesse zusammengefasst, bei denen gezielt multimediale und telekommunikative Technologien genutzt werden. Durch die Interaktion mit den Programmen, auditive und visuelle Reize, Rückmeldungen zu Lernaktivitäten, Simulationen oder den Aufbau von Lerngemeinschaften in virtuellen Räumen entsteht die Erwartung an eine lernförderliche Wirkung. Weiterhin wird die Kombinationsfähigkeit und vernetztes Denken durch die Multimedialität und die Navigation gefördert.38 34 Hüser, G., Grauer, M., 2005, S. 95 Mandl, H., Reinmann-Rothmeier, 1997, S. 78 36 Fraas, C., 2004, S. 8 f. 37 ebd. S. 10 38 Herzig, B., 2007, S. 8 35 11 Die vielfach erhofften Erwartungen an das Internet, wie bspw. Mitbestimmung für alle Menschen oder die Nivellierung von sozialen Ungleichheiten39 durch die Anonymität sind ebenso von den Kompetenzen der einzelnen Nutzer abhängig.40 Ökonomisch gesehen wäre die weltweite Vernetzung und Kommunikation zwischen den großen Unternehmen, die global produzieren und verkaufen, in diesem Ausmaß nicht möglich. Für die Erhaltung der Wettbewerbssituation auf dem Markt ist das Internet für die Firmen mittlerweile unverzichtbar. Es entstehen neue Formen der Beschäftigung, wie z.B. Telearbeit, die aufgrund der technologischen Vernetzung nicht im Gebäude des arbeitgebenden Unternehmens verrichtet werden muss. Verbraucher erfahren ebenfalls viele Vereinfachungen durch die neuen Medien: sie können z.B. online weltweit Waren bestellen, bequem von zu Hause Buchungen (z.B. Fahrkarten, Hotels, Flüge) vornehmen oder Bankgeschäfte abwickeln.41 Sie haben somit einen leichteren Zugang zu Konsumgütern und können gegebenenfalls günstigere Angebote wahrnehmen. Somit entstehen für sie materielle oder ideelle Vorteile gegenüber Nichtnutzern des Internets.42 Demgegenüber stehen die Gefährdungspotentiale dieses Mediums: 2.3.2 Gefahren des Internets Da die Inhalte im Internet unmittelbar verbreitet werden und universal, umfassend, ortsund zeitunabhängig und zunehmend mobil nutzbar sind, entstehen neue Risiken und Schwierigkeiten durch das Medium.43 Durch die rasante Entwicklung der Angebote und die Globalität werden Prävention, Kontrolle und Auffinden immer schwieriger.44 Die Regulierungs- und Aufsichtsbehörden stehen vor neuen Herausforderungen in folgenden Bereichen: - Jugendschutz: In Deutschland wirkt das eingeschränkte Verbreitungsgebot von Gewaltdarstellungen45 für unter 18-jährige. Die Ausstrahlung von Pornografie und Gewalt (bzw. Gewaltverherrlichung und -verharmlosung), die die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen, sind im Fernsehen verboten. Im Internet besteht im Gegensatz zum Fernsehen nicht die Möglichkeit der Sendezeitbeschränkungen der jugendgefährdenden Angebote.46 Eltern können den Medienkonsum 39 es existieren bei der Nutzung (z.B. im Chat) keine materiellen Barrieren (oder Benachteiligungen durch Äußerlichkeiten wie Behinderungen oder Hautfarben) für eine gleichberechtigte Teilnahme an gesellschaftlichen Angeboten wie in der realen Welt 40 Kutscher, N., Otto, H.-U., 2004, S. 8 41 Perillieux, R., et al., 2000, S. 8. f 42 Kubicek, H., Welling, S., 2000, S. 512 43 Groebel, J., Konert, B., 2002, S. 7 44 ebd. S. 9 45 § 131 Strafgesetzbuch 46 Groebel, J., Konert, B., 2002, S. 12 f. 12 schwerer kontrollieren und steuern. Die Universalität der Online-Inhalte ruft das Problem hervor, grenzüberschreitende Maßnahmen zur Prävention oder Sanktion entwickeln zu müssen – in den einzelnen Ländern finden verschiedene kulturelle Bewertungen statt.47 Die unüberschaubare Vielfalt der Inhalte und Anbieter erschwert die Erfassung und Bewertung der gefährdenden Angebote. Als Schutzmaßnahmen dagegen können Verifikationssysteme (Abfrage des Alters oder z.B. der Personalausweisnummer) und Filter- und Ratingsysteme (zur Bewertung und Klassifizierung von Internetseiten) eingesetzt werden.48 - Gefährdende Inhalte (wie Pornographie oder Rassismus): Durch die neuen Medien können online viel weiter reichende Verbreitungskanäle genutzt werden. Auf digitalem Wege ist dies in einer viel besseren Qualität und Quantität möglich (z.B. Bilder und Filme), als analog (z.B. Verteilung durch Versand).49 Weiterhin kann das Internet als Propagandaplattform (z.B. für rechtsradikale Inhalte) und als Kommunikationssystem für schnellen Austausch von Informationen (z.B. Aktionen absprechen) genutzt werden.50 Somit entstehen ganz neue Möglichkeiten für diese Anbieter. - Persönlichkeitsschutz: Da die Inhalte im Internet vergleichsweise unübersichtlich und unreglementiert angeboten werden, ist es leicht, diskriminierende Inhalte zu veröffentlichen.51 Dies können moralische, sittliche und strafrechtliche Grenzüberschreitungen sein, die die Menschenwürde verletzen.52 - Werbung: Im Fernsehen muss Werbung klar erkennbar von redaktionellen Beiträgen getrennt sein. Im Internet hingegen ist diese Trennung oft nicht eindeutig auszumachen, z.B. wenn Werbebanner auf einer Internetseite nicht abgegrenzt oder als Anzeige gekennzeichnet sind. Ein weiteres Problem sind ‚Pop-Up-Fenster’, die in neuen Fenstern aufspringen und weggeklickt werden müssen; oft werden die Nutzer dabei zu anderen Internetseiten weitergeleitet. Außerdem kann man bei den OnlineAngeboten die Werbung zeitlich nicht begrenzen. Vor allem bei Kindern muss darauf geachtet werden, dass die Werbung ihnen nicht schadet und ihre Unerfahrenheit in dem Bereich nicht ausgenutzt wird.53 - Computerkriminalität: Dies beinhaltet strafrechtlich relevante Übergriffe auf Internet und Computer, wie z.B. Angriffe gegen die Vertraulichkeit von Computerdaten durch illegalen und unberechtigten Zugang, Abfangen oder Ausspähen von Daten. Weitere Probleme stellen Datenmanipulation und Fälschung von Inhalten oder 47 ebd. S. 7 f. ebd. S. 13 49 ebd. S. 18 50 ebd. S. 21 51 Wie bereits erwähnt kann nahezu jeder Nutzer zum Inhaltsanbieter werden, dies verschärft die Situation. 52 Groebel, J., Konert, B., 2002, S. 23 53 ebd. S. 33 48 13 Systemstörungen (z.B. durch Trojaner54) dar. In Communities55 entstehen neue Risikopotentiale, wenn sich die Teilnehmer dort unkontrolliert über riskante Themen austauschen (z.B. Suizid). In Chatrooms können die Nutzer anonym (mit Spitznamen und ggf. falschen Angaben bezüglich Alter, Geschlecht etc.) verschiedene Identitäten ausprobieren. Dort halten sich jedoch auch viele Kriminelle auf (z.B. Päderasten in Schüler-Chat-Rooms oder Menschen, die sensible Daten, wie z.B. Bankverbindungen erfragen).56 2.4 Nutzung des Internets 2.4.1 Internetnutzung in Deutschland In einer Vorabveröffentlichung der ARD/ZDF-Online Studie57 2007 sind folgende Ergebnisse ablesbar: Abbildung 4: Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland in Prozent Quelle: ARD/ZDF-Medienkommission, 2007, S. 1 Die Anzahl der Internetnutzer58 ist gegenüber dem Vorjahr um 2,2 Millionen neue Anwender auf aktuell 40,8 Millionen Onliner in Deutschland (ab 14 Jahren) gestiegen. Damit wuchs der Anteil der Internetnutzer von 6,5% im Jahre 1997 auf 62,7% in 54 Vermitteln eine sehr große Menge an E-Mails an eine Internetseite und blockieren somit den Zugriff auf sie. (vgl. Groebel, J., Konert, B., 2002, S. 43) 55 Virtuelle Gemeinschaften, Verbindung von Gleichgesinnten (vgl. Groebel, J., Konert, B., 2002, S. 47) 56 Groebel, J., Konert, B., 2002, S. 41 ff. 57 In der seit 1997 jährlich bundesweit durchgeführten Repräsentativstudie wurden für 2007 1.820 Erwachsene befragt 58 Zumindest gelegentliche Nutzung 14 2007.59 Die höchsten Zuwachsraten waren bei den Frauen und den Menschen über 50 Jahren zu verzeichnen. 2007 nutzen 56,9% der weiblichen Bevölkerung das Internet – ein Zuwachs von 1,6 Millionen im Gegensatz zum Vorjahr. 5,1 Millionen der Onliner sind 60 Jahre und älter; sie haben anzahlmäßig erstmals die 14- bis 19-Jährigen (4,9 Millionen) überholt.60 Es sollen an dieser Stelle noch weitere Daten einer anderen Erhebung zum Vergleich aufgeführt werden: Laut den aktuellen Ergebnissen des (N)ONLINER Atlas61 2007 nutzen62 60,2 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahren in Deutschland das Internet, was ca. 39,2 Millionen Personen entspricht63. 5,7 Prozent (3,7 Millionen Bundesbürger) sind ‚Nutzungsplaner’64, d.h. sie beabsichtigen, in den nächsten zwölf Monaten online zu gehen, sind aber zum Zeitpunkt der Erhebung auch noch nicht im Internet. 22,2 Millionen Deutsche (34,1 Prozent) sind Nicht-Nutzer ohne Anschaffungsabsicht, demnach nutzen insgesamt 39,8 Prozent das Internet nicht. Der Zuwachs an Nutzern hat sich verringert, sind im Jahre 2006 noch 3,1 Prozent neue Onliner hinzu gekommen, so waren es dieses Jahr lediglich 2 Prozent. Die Anzahl der Nutzungsplaner bewegt sich rückläufig, dies könnte auf einen weiteren Rückgang der Zuwachsraten in Zukunft deuten.65 Dies wirft die Frage auf, ob in Zukunft mehr investiert werden muss, damit der Zuwachs wieder ansteigt, oder ob die Entwicklung am Beginn einer Sättigung steht. 2.4.2 Gründe für die Nichtnutzung des Internets Die Motive der Menschen, die das Internet nicht nutzen sind sehr different, sie bedürfen jeweils spezialisierter Maßnahmen, um ihnen entgegenzuwirken. Es haben unterschiedlichste Faktoren einen Einfluss darauf, ob das Medium in Zukunft angenommen und genutzt wird. 66 Neben der fehlenden Infrastruktur werden folgende Gründe für die Nichtnutzung genannt: 59 ARD/ZDF-Medienkommission, 2007, S. 1 ebd. S. 1 f. 61 Deutschlandweit größte Studie zur Internetnutzung mit fast 50.000 Interviews. Seit 2001 werden Nutzungsvergleiche nach Bundesland, Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildungsstand und Beschäftigung angestellt. 62 Definition laut (N)ONLINER-Atlas: Onliner = Nutzer des Internets, unabhängig von Ort und Grund der Nutzung 63 Die unterschiedliche Grundgesamtheiten führen u.a zu variierenden Ergebnissen der Studien 64 Diese Zahl ist kritisch zu betrachten, da sich diese im Laufe der letzten Jahre nie realisiert hat; d.h. es kamen jeweils weniger Nutzer hinzu, als es im Vorjahr geplant hatten. Dort wären die Gründe für die Nichtnutzung interessant herauszufinden, da bei ihnen bereits eine positive Einstellung zum Internet bestand. 65 TNS Infratest, Initiative D 21, 2007, S. 10 66 Gehrke, G., 2004, S. 33 60 15 - Fehlender Nutzen - Kosten - Mangelnde Medienkompetenz67 (Bedienbarkeit von Geräten und Programmen, Schwierigkeit des Auffindens von relevanten Informationen im Internet)68 - Sicherheitsaspekte (Gefährdungen der Privatsphäre, Datenschutz, Datensicherheit, Rechtssicherheit) (vgl. Kap. 2.3.2) - kritische Inhalte (Inhalte wenig glaubwürdig und vertrauenswürdig, Sex und Gewalt)69 Die Nichtnutzer des Internets haben den fehlenden persönlichen Nutzen als höchstbewertete Antwort angegeben und das durch alle soziodemografischen Gruppen hinweg. Dies zeigt, wie sehr die Nutzung von persönlich wahrgenommenen oder erlebten Mehrwerten abhängt. Einzelne Faktoren, wie z.B. Kosten oder die Bedienung der Geräte wurde von einzelnen Bevölkerungsgruppen besonders hoch bewertet, bspw. von älteren, einkommensschwachen oder formal gering gebildeten Menschen. Der von den Experten am wichtigsten angesehene Faktor ‚Sicherheit’ nimmt bei den Offlinern selbst eine weit geringere Rolle ein.70 Je größer die Hinderungsgründe für den Einzelnen sind, desto mehr muss dieser motiviert werden, das Medium dennoch zu nutzen. Dass der fehlende Nutzen einen so hohen Stellenwert einnimmt, erschwert diesen Vorgang.71 67 Diese 3 Argumente wurden in der Reihenfolge nach Wichtigkeit bei der Erhebung ‚NRW online - offline’ angegeben, vgl. Groebel, J., et al., 2003, S. 16 68 ebd. S. 12 69 ebd. S. 6 70 Gehrke, G., 2004, S. 35 71 Groebel, J., et al., 2003, S. 12 16 3. Digitale Integration Maßnahmen zur Überwindung der Digitalen Spaltung72 werden als Digitale Integration bezeichnet. Sie sollen alle Betroffenen dieses Problems zur Verbesserung ihrer Chancengleichheit einbeziehen. Dazu ist eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Zielgruppen zweckmäßig.73 Die Sicherstellung des bürgerlichen Rechts auf umfassenden Informationszugang ist im Grundgesetz (Art. 5, Abs. 1) verankert: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. […]“74 3.1 Wissensklufthypothese Bereits 1970 veröffentlichten die drei Professoren Tichenor, Donohue und Olien die von ihnen entwickelte Wissensklufthypothese (‚Increasing Knowledge Gap’) über die Auswirkungen steigender Informationsvermittlung durch die Medien und die daraus resultierenden Effekte auf verschiedene Segmente der Bevölkerung: “As the infusion of mass media information into a social system increases, segments of the population with higher socioeconomic status tend to acquire this information at a faster rate than the lower status segments, so that the gap in knowledge between these segments tends to increase rather than decrease.”75 Sie vertraten damit die Meinung, dass besser Gebildete sich Inhalte schneller erschließen können und sie eine erweiterte und differenziertere Lebenswelt mit vielen sozialen Beziehungen haben. Sie haben ein erhöhtes Interesse an Politik und Wissenschaft und widmen sich dadurch diesen Themen aufgrund ihres bereits vorhandenen Wissens eher. Somit nutzen sie die Medien effektiver, was ihnen einen Wissensvorsprung verschafft.76 Diese Hypothese bildet seitdem die Grundlage medienpädagogischer Überlegungen. Das immer größer werdende Informationsangebot der Massenmedien (z.B. in Zeitung, Rundfunk und Fernsehen) hat nicht automatisch eine bessere Informiertheit der Bürger zur Folge. Es können nicht alle gleichermaßen von einer Medieninformation zu einem bestimmten Thema profitieren. Die Mediennutzer mit einer höheren Bildung verfügen über eine bessere Medienkompetenz und mehr Vorwissen, nutzen die Medien 72 In der Literatur werden die Begriffe ‚Digitaler Graben’, ‚Digitale Kluft’, ‚Digital Divide’, Digitales Gefälle’ synonym verwendet 73 Kubicek, H., Welling, S., 2004, S. 57 74 Vgl. http://www.bundestag.de/parlament/funktion/gesetze/grundgesetz/gg_01.html 75 Tichenor, P. J., et al., 1970, S. 159 76 ebd. S. 162 17 informationsorientierter und bedienen sich eher informationsreicher Printmedien. Durch sozialstrukturelle Kommunikationsbarrieren, technische Entwicklungen und dem wachsenden Informationsangebot wird die Chancengleichheit im Informationszugang und in der Informationsnutzung vermindert.77 Ettema und Kline modifizierten die Hypothese, die die bestehenden Wissensunterschiede als Defizite der unterprivilegierten Segmente begreift, indem sie die unterschiedlich ausgeprägten Motivationen hervorheben, die existieren, um sich Wissen aus Medieninhalten aneignen zu wollen oder nicht. Diese verschiedenen Grade der situativen Motivation lassen auf Differenzen in der Medienaneignung schließen, die darauf zurückzuführen sind, ob die jeweiligen Informationen subjektiv von Interesse, bzw. funktional sind.78 Untere Bildungsschichten haben ein eingeschränktes Mediennutzungs- und Informationsverhalten (lesen im Offlinebereich z.B. auch seltener Zeitungen), durch die digitale Spaltung verstärken sich diese Unterschiede weiter. Niemand soll aufgrund seines Einkommens oder des Bildungsniveaus der Eltern vom Wissenserwerb ausgeschlossen werden.79 3.2 Digital Divide Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ging daraus mit zunehmender Digitalisierung der Massenmedien die Diskussion um den Digital Divide hervor. Dies soll nicht als weitere Veränderung der Wissensklufthypothese, sondern als eine Ergänzung verstanden werden. Die National Telecommunications and Information Administration80 hat 1995 die erste Studie ihrer Untersuchungsreihe ‚Falling through the Net’ mit Daten über die Verfügbarkeit von Telefonen, PCs und Modems in amerikanischen Haushalten veröffentlicht. Sie stellten erstmals einen Zusammenhang zwischen der Ausstattung der Haushalte mit Computern samt Internetanschluss und dem Einkommen, dem Bildungsniveau, der ethnischen Herkunft und des Wohnorts der Befragten fest. Sie haben eine Spaltung zwischen den Menschen, die Zugang zu den Informations- und Kommunikationstechnologien haben und denen, die nicht darüber verfügen, aufgedeckt.81 Durch sie erfolgte jedoch lediglich eine Unterteilung in ‚Haves’ und ‚Have Nots’ in Bezug auf den Zugang, diese Sichtweise ist allerdings zu einseitig. 77 Bonfadelli, H., Saxer, U., 1986, S. 15 Ettema, J., Kline, G. F., 1977, S. 188 79 Kubicek, H., 2001, S. 373 80 zugehörig zum U.S. Department of Commerce 81 National Telecommunications and Information Administration, 1995 78 18 Bei der Betrachtung der Digitalen Spaltung geht es zunehmend nicht allein um den Aspekt des Zugangs zum Internet, sie sollte um die verschiedenen Nutzungsweisen und soziale Gesichtspunkte erweitert werden. Pippa Norris sieht dies ebenfalls als ein mehrdimensionales Phänomen an: “In this study the concept of the digital divide is understood as a multidimensional phenomenon encompassing three distinct aspects. The global divide refers to the divergence of Internet access between industrialized and developing societies. The social divide concerns the gap between information rich and poor in each nation. And lastly within the online community, the democratic divide signifies the difference between those who do, and do not, use the panoply of digital resources to engage, mobilize and participate in public life.”82 1. Der global divide existiert auf internationaler Ebene und verweist auf die Kluft zwischen Industrieländern und Schwellen- oder Entwicklungsländern. Die fortschrittlicheren Länder verfügen an sich über eine wirtschaftlich bessere Position und können diese durch die neuen Technologien leichter ausbauen und sich somit weiterentwickeln, die weniger entwickelten Länder können dies schwerer aufholen. Da die meisten Industrieländer auf der Nordhalbkugel der Erde liegen, ergibt sich global ein ‚Nord- Süd-Gefälle’.83 In den Entwicklungsländern herrscht die größte ‚digitale Unterversorgung’, dort gibt es jedoch erkennbar viel größere Missstände, wie z.B. Hunger und Durst oder Krankheiten wie AIDS, die das Problem des Digital Divides sofort relativieren. Dadurch hebt es sich allerdings nicht auf. Man kann die Situation in Bezug auf die neuen Technologien nicht ignorieren, nur weil es noch kritikwürdigere Probleme gibt. Die Digitale Spaltung trennt die Bevölkerung von Chancen, die man ihnen nicht vorenthalten darf.84 2. Der democratic divide bezieht sich auf die Partizipationsmöglichkeiten von Nutzern und Nichtnutzern, die die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe über die Medien wahrnehmen oder nicht wahrnehmen.85 3. Der social divide betrifft die Spaltung in Bezug auf die Nutzung der neuen Technologien auf nationaler Ebene innerhalb von Gesellschaften. Hier werden einzelne Bevölkerungsgruppen aufgrund des Alters, des Geschlechts, der Bildung, ihrer Herkunft, des Einkommens, ihrer Kultur oder aufgrund von Behinderungen (Näheres s. Kap. 5) von den Chancen ausgeschlossen. Norris betont, dass diese sozialen Ungleichheiten auch in anderen Bereichen bestehen, sie möchte jedoch die 82 Norris, P., 2001, S. 1 ebd. S. 2 ff. 84 Scheule, R. M., 2005, S. 477 85 Norris, P., 2001, S. 9 f. 83 19 Besonderheiten im Bezug auf die neuen Technologien (Ungleichheiten in der Nutzung, individuelle Barrieren) hervorheben.86 Nachfolgend werden aktuelle Angaben des (N)Onliner-Atlas 2007 bezüglich des social divides, der innerhalb Deutschlands besteht, aufgeführt: 3.2.1 Alter Der Anteil der Internetnutzer fällt mit steigendem Alter. Allerdings steigen die Nutzerzahlen bei den über 50-Jährigen erneut; am stärksten mit 2,8 Prozentpunkten bei den 60- bis 69-Jährigen auf 35,5 Prozent. Damit nutzt mehr als ein Drittel dieser Altersgruppe das Internet. Die über 70-Jährigen können dagegen nur einen Zuwachs von einem Prozentpunkt verzeichnen.87 Internetnutzung nach Alter 100 Anteil in % 80 60 40 20 0 2002 2003 2004 14-29 Jahre 2005 30-49 Jahre 2006 2007 über 50 Jahre Abbildung 5: Internetnutzung nach Alter von 2002-2007 in Prozent Quelle: in Anlehnung an TNS Infratest, Initiative D 21, 2007, S. 12 3.2.2 Geschlecht Bei den Frauen ist die Internetnutzung mit einem Zuwachs von 2,3 Prozentpunkten auf 53,8 Prozent stärker angestiegen als bei den Männern mit einem Plus von 1,7 Prozent auf 67,1 Prozent. Damit beträgt der Abstand zwischen Männern und Frauen 13,3 Prozent, was den geringsten Wert seit der ersten Erhebung in 2001 darstellt. Allerdings hat sich die Differenz seit 2001 (13,7 Prozent) nicht merklich verringert.88 86 ebd. S. 7 f. TNS Infratest, Initiative D 21, 2007, S. 12 88 ebd. S. 13 87 20 Internetnutzung nach Geschlecht 100 Anteil in % 80 60 40 20 0 2002 2003 2004 Männer 2005 2006 2007 Frauen Abbildung 6: Internetnutzung nach Geschlecht von 2002-2007 in Prozent Quelle: in Anlehnung an TNS Infratest, Initiative D 21, 2007, S. 13 3.2.3 Bildung In Bezug auf die Bildung bleiben die Unterschiede nach formellem Abschluss bestehen (vgl. Abb. 7). Die größte Dynamik weist allerdings die Gruppe mit Volksschulabschluss ohne Lehre auf, die einen Anstieg von 6,4 % zu verzeichnen haben. Dies macht den größten Zuwachs aus, allerdings liegen sie noch weit hinter den anderen Gruppen.89 Basis Onliner Nutzungs- Offliner planer Volksschule ohne Lehre 4.871 30,5 5,5 64,0 Volksschule mit Lehre 14.929 45,8 6,7 47,5 Weiterbildende Schule, 16.216 66,3 6,3 27,4 3.867 82,9 3,5 13,6 Abgeschlossenes Studium 4.851 81,2 3,4 15,4 Schüler 2.827 91,6 5,2 3,1 ohne Abitur Abitur, Hochschulreife, Fachhochschulreife Abbildung 7: Internetnutzung nach Bildung 2007 in Prozent Quelle: in Anlehnung an TNS Infratest, Initiative D 21, 2007, S. 14 89 ebd. S. 14 21 Man kann zwar einen Anstieg in allen Gruppen über die Jahre hinweg ablesen, allerdings bleiben die Differenzen zwischen ihnen bestehen, es lässt sich ein recht paralleler Verlauf in allen Bereichen ablesen. Internetnutzung nach Bildung 100 Anteil in % 80 60 40 20 0 2002 2003 Schüler 2004 Abi/Studium 2005 weiterb.Schule/Abi 2006 2007 Volks-/Hauptschule Abbildung 8: Internetnutzung nach Bildung von 2002-2007 in Prozent Quelle: in Anlehnung an TNS Infratest, Initiative D 21, 2007, S. 14 3.2.4 Einkommen Dies kann man auf das Haushaltsnettoeinkommen übertragen: die Internetnutzung hängt von dem zur Verfügung stehenden Geld ab. Die Gruppe der Personen mit unter 1.000€ Einkommen verzeichnet zusätzlich den geringsten Zuwachs an Onlinern.90 Internetnutzung nach Haushaltsnettoeinkommen 100 Anteil in % 80 60 40 20 0 2002 2003 unter 1.000€ 2004 1.000€ bis <2.000€ 2005 2006 2.000€ bis <3.000€ 2007 über 3.000€ Abbildung 9: Internetnutzung nach Einkommen von 2002-2007 in Prozent Quelle: in Anlehnung an TNS Infratest, Initiative D 21, 2007, S. 15 90 ebd. S. 15 22 Weiterhin hat Beschäftigung einen Einfluss darauf, ob das Internet genutzt wird. 75,7% der Berufstätigen (einschließlich vorübergehend Arbeitslose) sind online, dagegen nur 43,7% der nicht Berufstätigen (Rentner, Auszubildende, Schüler, Studenten etc.).91 Es gibt eine flächendeckende Zunahme in allen Bundesländern zu verzeichnen, jedoch bleibt das Ost-West-Gefälle in der Internetnutzung bestehen. In den westlichen Bundesländern ist die Internetnutzung um 2,1 Prozentpunkte angestiegen, in den östlichen Bundesländern um 1,6 Prozentpunkte.92 Castells definierte ergänzend noch folgende Spaltungen innerhalb von Gesellschaften: - ‚Ethnic Divide’, der besagt, dass Menschen mit weißer Hautfarbe traditionell häufiger online sind als Angehörige anderer Rassen. - ‚Geographic Divide’, d.h., dass Stadtbewohner traditionell häufiger online sind als Bewohner ländlicher Gegenden.93 - ‚Technological Divide’ zwischen den Internetnutzern, die einen ISDN-, bzw. Breitband-Zugang besitzen und denen mit analogem Anschluss, wodurch sie manche Angebote im Internet nicht nutzen können oder sehr lange Warte/Ladezeiten während der Nutzung haben.94 Es gibt also auch Unterschiede innerhalb der Gruppe der Internetnutzer, dies wird in den nachfolgenden Betrachtungen mit einbezogen: 3.3 Second Level Divide Hargittai definierte den ‚Second Level Divide’, bei dem die unterschiedlichen Nutzungsweisen innerhalb der Gruppe, die das Internet nutzt, in den Vordergrund rücken: “[…] it is increasingly important to look at not only who uses the Internet, but also to distinguish varying levels of online skills among individuals. Skill, in this context, is defined as the ability to efficiently and effectively find information on the Web.”95 Dies könnte eine Verschärfung der Kluft auf einer zweiten Ebene zwischen denjenigen hervorrufen, die das Internet kompetent und informationsorientiert nutzen und als Chance für ihre persönliche und berufliche Weiterentwicklung ansehen, und denjenigen, die es vorrangig passiv zu Unterhaltungszwecken gebrauchen. 91 ebd. S. 16 ebd. S. 11 93 Castells, M., 2001, S. 249 f. 94 ebd. S. 256 95 Hargittai, E., 2002, S. 1 92 23 3.4. Digital Inequality DiMaggio und Hargittai widmen sich ebenfalls vorrangig dem Nutzungsaspekt und sprechen sich für eine Verlagerung zu dem Begriff ‚Digital Inequality’ (Ungleichheit) aus, der die Qualität der Anwendung fokussiert. Sie vertreten die Meinung, dass die Bereitstellung von Zugängen nicht zwangsläufig zu einer gleichberechtigten Nutzung des Internets führt.96 Die Autoren haben fünf Determinanten von Ungleichheiten herausgearbeitet, die sich stark darauf auswirken, welche Erfahrungen die Nutzer im Internet machen: 1) Inequality in technical apparatus – Die technische Ausstattung (Hard- und Software, Verbindung) wirkt sich auf das jeweilige persönliche Empfinden während der Nutzung aus. Wenn die materielle Ausrüstung nicht angemessen, bzw. minderwertig oder veraltet ist, mündet dies in schlechte Erfahrungen während der Nutzung, da u.a. nicht alle Inhalte erschlossen werden können und die Anwendung unkomfortabler wird (Warte-/Ladezeiten). Dies kann dazu führen, dass das Internet von den Anwendern weniger genutzt wird und sie nicht die Kompetenzen entwickeln, die möglich wären. 2) Inequality in autonomy of use – Es bestehen Unterschiede darin, wie das Internet genutzt wird, je nachdem, wo die Nutzer den Zugang zu dem Medium haben (z.B. zu Hause, im Beruf, in der Schule, in Bibliotheken oder anderen öffentlichen Einrichtungen). Die Nutzer sind außerhalb gegebenenfalls unflexibler in Bezug auf Zeit und Dauer der Nutzung sowie der Inhalte. Der Ort beeinflusst die Eigenständigkeit und Freiheit der Anwender und somit die Qualität der Nutzung.97 3) Inequality in people’s online skills – Unter den Nutzern bestehen Ungleichheiten bezüglich ihrer Internetkompetenz, dies beinhaltet die Fähigkeit, angemessen auf Herausforderungen zu reagieren, um das volle Potential des Internets nutzen zu können. Von diesen Fähigkeiten hängt es ab, ob die Anwender bezüglich der gemachten Erfahrungen befriedigt oder frustriert sind; ob sie es weiterhin nutzen und somit mehr Kompetenzen hinzukommen. 4) Inequality in the availability of social support – Von den persönlichen Fähigkeiten hängt es ebenfalls ab, wie gut neue Informationen erschlossen werden können. Wenn die Nutzer durch schlechte Erfahrungen frustriert sind, müssen sie sozial unterstützt werden, damit sie das Medium in Zukunft nicht meiden. Dabei unterscheiden die Autoren zwischen formaler technischer Assistenz von ausgebildeten Personen (am Arbeitsplatz, Lehrer, Bibliothekare etc.), technischer Assistenz von Freunden und Familie, die bei konkreten Problemen helfen und emotionale Unterstützung von Freunden und Familie, z.B. durch positives Interesse und Beistand bei Misserfolgen. 96 97 DiMaggio, P., Hargittai, E., 2001, S. 4 ebd. S. 9 f. 24 Die Nutzer müssen dies allerdings annehmen können und die Hilfestellungen für sich erschließen können.98 5) Variation in use – Die Ziele und Verwendungszwecke bei der Internetnutzung sind sehr heterogen, wie und wofür es verwendet wird, ebenfalls. Wie bereits erwähnt spielen die persönlichen Interessen und Motivationen in dem Bereich eine große Rolle. Die Autoren nehmen einen starken Zusammenhang zwischen Bildungsstand und dem Zweck der Nutzung des Internets an.99 Zusammenfassend verlangt dies also nach einer differenzierteren Betrachtung der Nutzer und Nichtnutzer bezüglich ihrer soziodemografischen Besonderheiten, ihrer Vorlieben, Bedenken und spezifischen situativen Kontexte. Auch Warschauer vertritt diese Ansicht. Er schreibt, dass sich nur durch ein ‚Rethinking the Digital Divide’ (Überdenken) die Möglichkeit ergibt, mit angemessenen und auf die jeweiligen situativen Bedürfnisse angepassten Maßnahmen und Aktionen erfolgreich gegen das Problem vorzugehen.100 Er fordert eine differenziertere Betrachtung der Bevölkerungsteile, die von der Digitalen Spaltung betroffen sind, da durch eine pauschale Betrachtung sonst die Heterogenität (soziale Schichtungen und gesellschaftliche Segmentierungen) der benachteiligten Gruppen zu wenig berücksichtigt wird. Die bestehenden Benachteiligungen durch den fehlenden Zugang zum Internet können nicht durch das ledigliche Bereitstellen der Technologien aufgehoben werden. Dies muss stets mit einer Einbettung in die jeweils bestehenden sozialen Systeme einhergehen. Nicht die Überwindung der Digitalen Spaltung sollte im Vordergrund stehen, sondern die Analyse der sozialen Strukturen und Probleme, der sozialen Institutionen und Beziehungen der betroffenen gesellschaftlichen Gruppen. Dies ist für ihn wichtige Voraussetzung für politisches Handeln, um den Menschen durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien die Chance zu mehr demokratischer Teilhabe und Gleichberechtigung zu ermöglichen.101 Demgegenüber steht die Auffassung, dass es auch in Zukunft einen stabilen Anteil von Nichtnutzern des Internets geben wird.102 Denn neben den sozial und kulturell benachteiligten Bevölkerungsgruppen existieren viele Nichtnutzer, die technische und nichttechnische Alternativen zum Internet bevorzugen, also andere Medien vorziehen. 98 ebd. S. 10 ff. ebd. S. 12 100 Warschauer, M., 2003, S. 6 f. 101 ebd. S. 199 ff. 102 Laut (N)onliner-Atlas 2007 gibt es momentan 22,2 Millionen Menschen in Deutschland, die keine Anschaffungsabsichten für das Internet haben, diese Entscheidung soll nach Riehm/Krings respektiert werden. 99 25 Die Forschung auf dem Gebiet des Digital Divide untersucht bisher vorrangig die Überwindung der Nichtnutzung des Internets und beachtet nicht, dass diese auch Ausdruck einer alternativen Mediennutzung sein könnte. Die Nichtnutzung des Internets wird in jüngeren Studien und Projekten zwar stärker in das Blickfeld genommen, allerdings findet keine Anerkennung der Nichtnutzung als eigene Entscheidung der Nichtnutzer statt.103 Es wird immer schwieriger, Nichtnutzer für das Medium Internet zu begeistern, da sich diese immer kleiner werdende Gruppe zunehmend verfestigt, je mehr sich das Internet verbreitet.104 Dies deckt sich mit den rückgängigen Zuwachsraten an Internetnutzern und der geringer werdenden Anzahl an Nutzungsplanern im (N)onliner Atlas 2007 (vgl. Kap. 2.4.1). Benjamin Compaine vertritt die Meinung, dass sich die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien mit einer zeitlichen Verzögerung flächendeckend in der Gesellschaft verbreiten werden. Er sieht die Digitale Spaltung als ein vorübergehendes Problem an, das bei der Einführung anderer Technologien (z.B. Telefon, Fernsehen, Videotext) auch vorlag.105 3.5 Projekte zur Digitalen Integration in Deutschland An dieser Stelle sollen exemplarisch einige populäre Initiativen aufgeführt werden, um einen Einblick zu geben, was bereits in dem Bereich der Digitalen Integration in Deutschland unternommen wurde. Diese Auswahl stellt keinen Anspruch an Vollständigkeit. Die Enquete-Kommission106 ‚Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft’ beschäftigte sich mit den zukünftigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Informationsund Kommunikationstechnologien. Ihr medienpädagogisches Ziel war, dass die Bevölkerung aktiv und selbstbestimmt mit den neuen Medien umgehen kann, sich aktiv an der Gestaltung der Informationsgesellschaft beteiligt und die vorhandenen Möglichkeiten nutzt. Ergebnis ihrer Arbeit waren u.a. Berichte, Stellungnahmen und Dokumentationen zu den Themen Urheberrecht, Jugendschutz, Datensicherheit und Datenschutz.107 103 Riehm, U., Krings, B.-J., 2006, S. 76 f. Gehrke, G., 2004, S. 39 105 Compaine, B. M., 2001, S. 114 106 Vom Bundestag eingesetzte Arbeitsgruppe in der 13. Wahlperiode (1994-1998) 107 Mandl, H., Reinmann-Rothmeier, 1997, S. 77 104 26 Mit der 1996 gestarteten Initiative Schulen an´s Netz108 sollten Schulen in Deutschland flächendeckend mit Computern und Internetanschlüssen ausgestattet werden. Im Jahr 2001 waren 34.000 Schulen ‚am Netz’. Die ledigliche Bereitstellung der technischen Ausstattung war jedoch zu einseitig ausgerichtet. Für die Vermittlung von Medienkompetenz mussten die Lehrkräfte mussten dementsprechend qualifiziert werden und Lehrmaterialien und Konzepte für die Schüler bereitgestellt werden.109 Daher hat sich die Initiative neu aufgestellt und die Lehrer beim Einsatz der digitalen Medien durch neue Projekte und Materialien unterstützt.110 Im Juni 2004 wurde die Bundesinitiative ‚Jugend ans Netz’111 öffentlich gestartet. Ihr Ziel war es, eine größtmögliche Anzahl von Jugendeinrichtungen mit PCs und Internetanschlüssen technisch auszustatten (durch attraktive Leasingraten). Renate Schmidt112 erklärte dazu, dass Jugendliche ihre Medienkompetenzen weniger in der Schule als über informelle Wege erlangen. Es ist daher wichtig, vor allem den Jugendlichen aus bildungsfernen Familien durch die Jugendeinrichtungen einen freien und sicheren Zugang zu den Medien zu gewähren. Ihr Ziel war, ein umfassendes, außerschulisches elektronisches Informations-, Bildungs- und Beratungsangebot zu schaffen. Es wurden 269 Jugendeinrichtungen mit mehr als 1.000 Computern ausgestattet.113 108 Initiiert vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Deutschen Telekom AG Kubicek, H., Welling, S., 2004, S. 58 110 Vgl. www.schulen-ans-netz.de, Entwicklung des Vereins 111 Vom ‚Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend’ und der ‚Initiative D 21’ initiiert (http://www.initiatived21.de) 112 Bundesfamilienministerin von 2002 bis 2005 113 Das Projekt endete Juni 2006; Nachfolgeprojekt: siehe http://www.jugend.info 109 27 4. Medienkompetenz Im Bereich der Bildung ist Autonomie ursprünglich so aufzufassen, dass alle Menschen durch Aus- und Weiterbildung die Chance haben, sich Wissen anzueignen, welches sie in professionellen, öffentlichen und privaten Bereichen benötigen. Dies hat sich durch die technischen Entwicklungen jedoch grundlegend verändert: Informationelle Autonomie heißt, die Fähigkeit zu besitzen, eigenständig auf die verfügbaren Informationsressourcen im wirtschaftlichen Bereich oder in sozialen Beziehungen zugreifen zu können und diese produktiv zu nutzen. Somit ist dies die Voraussetzung dafür, in aktuellen Situationen wissensautonom zu werden, d.h. über das gesamte Wissen zu verfügen, das zu dieser Problembewältigung benötigt wird. Demnach sollte als zentrales Bildungsziel prinzipiell jedem die Chance für informationelle Autonomie geschaffen werden. Allerdings kann man nur Wissen aneignen, wenn man technisch darauf zugreifen kann, Kenntnis über die vielfältigen Informationsressourcen besitzt und sie in Bezug auf Gültigkeit und Relevanz einschätzen kann.114 Medienkompetenz ist in der Informationsgesellschaft unabdingbar geworden, sie wird auch als ‚Schlüsselqualifikation dieses Zeitalters’ bezeichnet. Mit dem Wandel zur Informations- und Wissensgesellschaft hat das Internet viele Bereiche des täglichen Lebens und der Arbeitswelt durchdrungen.115 4.1 Definition Medienkompetenz (allgemein) beinhaltet für Baacke im Bereich der Wissensvermittlung 1. Medienkritik und 2. Medienkunde. Im Bereich der Zielorientierung, welche das aktiv-gestaltende Handeln des Menschen meint, 3. die Mediennutzung und 4. Mediengestaltung.116 Medienkritik umfasst für ihn, problematische gesellschaftliche Prozesse analytisch angemessen zu erfassen und dieses analytische Wissen dann reflexiv auf sich und sein eigenes Handeln anwenden zu können. Weiterhin beinhaltet die Medienkritik, dass man reflexiven Rückbezug auf sich selbst auf ethischer Ebene zulässt. Die Medienkunde Wissensbeständen teilt über sich in Medien die informative Dimension (Sachkompetenz) und mit die klassischen instrumentell- qualifikatorische Dimension auf, die die Fähigkeit des Bedienens der Geräte beinhaltet. 114 Kuhlen, R., 2004, S. 16 f. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005, S. 176 116 Baacke, D., 1997, S. 98 115 28 Mediennutzung kann rezeptiv anwendend (Programmnutzung) oder interaktiv anbietend (Diskurse) ausgeübt werden. Bei der Mediengestaltung sollten innovativ Weiterentwicklungen oder kreativ ästhetische Varianten betont werden können.117 4.2 Anforderungen an die Nutzer des Internets Im Vergleich zu herkömmlichen Medien hat das Internet andere Anforderungen an die Nutzer. Schon in technischer und finanzieller Hinsicht bestehen weitaus höhere Zugangsbarrieren. Hinzu kommt, dass die Internetnutzung ein höheres Ausmaß an Aktivität und Kompetenz der Bediener voraussetzt. Das Telefon (Hörer abnehmen) oder der Fernseher (einschalten) kann aufgrund von Alltagserfahrungen schnell zufriedenstellend genutzt werden, die Bedienung von Computern, bzw. des Internets ist viel komplexer.118 Dies spricht gegen die Annahme von Compaine (Kap.3), dass sich das Internet nach einer gewissen Zeit von alleine wie die traditionellen Medien (z.B. Telefon, TV) verbreiten wird. Das Internet verfügt zusätzlich oft nicht über eine redaktionelle Aufbereitung der Inhalte, wie dies bei Zeitungen, Zeitschriften und dem Radio der Fall ist; dies müssen die Nutzer aktiv selbst erbringen. Die schwer überschaubare Fülle von Informationen stellt sie bspw. bei Suchmaschinen vor das Problem, einen angemessenen Begriff zu verwenden, um zu dem gewünschten Ergebnis zu gelangen und dieses qualitativ bewerten zu können.119 Die Fähigkeit, Computer technisch bedienen zu können geht nicht zwangsläufig mit der Kompetenz zur intellektuellen Artikulation, Selektion und Evaluation einher. Für eine erfolgreiche Internetnutzung und einer selbstbestimmten Handhabung sind ergänzend zu den oben erwähnten Fähigkeiten folgende Kompetenzen nötig: 1. Der Nutzer braucht Differenzierungs- und Selektionskompetenz, um Informationsgattungen unterscheiden zu können und verschiedene Quellen zu bestimmten Zwecken auszuwählen. Die Informationsflut ist heutzutage sehr groß, daher wird die Selektion relevanter Informationen aus den Massenmedien immer wichtiger. Die Schwierigkeit besteht nicht darin, sich Informationen zu verschaffen (obwohl man auch Kompetenzen zur Generierung von Informationen benötigt), sondern irrelevante Inhalte auszusortieren. 117 ebd. S. 99 Kubicek, H., 2001, S. 374 119 ebd. S. 374 118 29 2. Durch Orientierungskompetenz können die verschiedenen Informationsgattungen adäquat genutzt werden, der Nutzer kann sich durch kompetenten Umgang mit z.B. Suchmaschinen in großen Dokumentmengen gut zurechtfinden. 3. Um die jeweiligen Inhalte durch Urteils- und Kritikfähigkeit bewerten zu können und seine eigene Internetnutzung kritisch zu reflektieren, ist Evaluationskompetenz (Bildung von Kriterien zur Bewertung der Informationen) erforderlich. Man muss dazu eine notwendige Distanz zu den Inhalten aufbauen und die Aussagen nicht einfach hinnehmen. 4. Mit Produktions- und Gestaltungskompetenz können selbst Inhalte erstellt und in eine medienadäquate Form gebracht werden.120 Allerdings ist eine souveräne Nutzung der neuen Technologien nicht möglich, ohne eine gut entwickelte Lesefähigkeit zu besitzen. Somit ist sie eine bedeutende Voraussetzung für die Teilhabe in der Informationsgesellschaft.121 Es entsteht zusätzlicher Handlungsbedarf in dem Bereich, da immer weniger Eltern darauf achten, ihre Kinder an das Medium Buch heranzuführen. Diese sinkende Bedeutung ist ein Problem, da die Lesesozialisation im Vorschulalter von den Eltern ausgeht.122 Für den nutzbringenden Einsatz des Internets müssen zusätzlich inhaltlich-kognitive Fähigkeiten und Rechtschreibkenntnisse vorhanden sein. Die Nutzer müssen in abstrakten Oberbegriffen denken und die Suchbegriffe angemessen formulieren können, um ein zufrieden stellendes Ergebnis zu erhalten.123 Medienkompetenz erfährt auch eine zunehmende volkswirtschaftliche Bedeutung in der Informationsgesellschaft. Die Anbieter haben ein Interesse daran, dass die Nutzer diese Kompetenzen besitzen, damit bspw. das Volumen von E-Commerce ausgeschöpft werden kann. Je weniger Menschen die Geräte bedienen können, desto weniger werden diese Dienste nutzen. Für die Behörden lohnen sich Investitionen in EGovernment (Abwicklung von Verwaltungsvorgängen im Internet) nur, wenn genügend Bürger Gebrauch davon machen können.124 4.3 Vermittlungsstellen von Medienkompetenz In modernen Gesellschaften wird Bildung in Institutionen organisiert, geplant und standardisiert, damit die Gesellschaft funktionsfähig bleibt und das kulturelle Erbe gesichert werden kann. Die Bildungsforschung richtet sich daher traditionell auf formale 120 Kubicek, H., Welling, S., 2000, S. 512 Stiftung Lesen, 2002, S. 11 122 ebd. S. 109 123 Kubicek, H., Welling, S., 2002, S. 110 124 Kubicek, H., 2001, S. 373 121 30 Bildungseinrichtungen. Gleichzeitig verändern sich die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen und des Lernens in der Medien- und Wissensgesellschaft. Somit nehmen die Einrichtungen außerhalb der traditionellen Bildungsinstanzen einen höheren Stellenwert ein.125 An dieser Stelle soll eine Unterteilung in formale und informelle Bildungsangebote vorgenommen werden. Für das ‚informelle Lernen’ besteht bezüglich der Begriffsbestimmung kein klarer Konsens. Dohmen fasst die Bandbreite der zum Teil variierenden Definitionen zusammen: „Das reicht von der Charakterisierung als ungeplantes, beiläufiges, implizites und oft auch unbewusstes Lernen über die Bezeichnung für alle von den Lernenden selbst ohne Bildungs-Unterstützung entwickelten Lernaktivitäten bis zur Gleichsetzung mit dem „non-formal learning“, d.h. der Bezeichnung für alles außerhalb des formalen Bildungssystems (bewusst oder unbewusst) praktizierte Lernen.“126 Weiterhin bezieht er den Begriff ‚informelles Lernen’ auf Selbstlernen, das sich außerhalb des formalen Bildungswesens in unmittelbaren Lebens- und Erfahrungszusammenhängen entwickelt. Dort werden Reizstrukturen, Eindrücke, Informationen, Erlebnisse und Begegnungen unmittelbar zu handlungs- und problemlösungsrelevantem Wissen verarbeitet – gewissermaßen kann man von einem natürlichen Erfahrungslernen sprechen. Dies steht im Gegensatz zu einem arrangierten, didaktisch vorbereiteten, theoretisch verbalen Nachlernen von bestehendem Wissen beim schulartigen, von unmittelbaren Lebenserfahrungen abgegrenzten formalen Lernen.127 Nachfolgend werden verschiedene Orte der Bildung aufgeführt, die für die Vermittlung von Medienkompetenzen eine Rolle spielen: 4.3.1 Formelle Vermittlungsstellen Schule Die Schule hat die zentrale Aufgabe, SchülerInnen bei der Vermittlung der notwendigen Kompetenzen für das weitere Ausbildungs- und Berufsleben die gleichen Chancen zu gewähren. Dafür ist die Förderung benachteiligter Kinder und Jugendlicher ein wichtiger Aspekt. Da der kompetente Umgang mit PC und Internet eine wichtige Voraussetzung für das Berufs- und Alltagsleben darstellt, ist die Vermittlung dieser Kompetenzen – gerade für SchülerInnen ohne außerschulischen Zugang zu den neuen Medien – sehr bedeutsam. Eine große Herausforderung besteht jedoch darin, die sehr heterogenen Kenntnisse der einzelnen Schüler in dem Bereich zu berücksichtigen und 125 Rauschenbach, T., et al., 2004, S. 30 Dohmen, G., 2001, S. 18 127 ebd. S. 25 f. 126 31 darauf einzugehen. Um diese Differenzen nicht zu verstärken, müssen Basiskompetenzen von der Schule für diejenigen bereitgestellt werden, die außerhalb der Schule keinen Zugang zu den Medien haben.128 Zu den formalen Bildungseinrichtungen zählen weiterhin Kindergärten, Hochschulen und Berufsschulen.129 Sie sollen aber aufgrund der Zielgruppe (vgl. Kap. 6) an dieser Stelle nur erwähnt werden. 4.3.2 Informelle Vermittlungsstellen Familie In der frühen Kindheit und in der Schulzeit ist die Familie der erste und wichtigste Ort der Bildung, sie ist die primäre Sozialisationsinstanz für den Habitus der Kinder. Dies entscheidet auch darüber, wie anschlussfähig Kinder an andere Sozialisationsinstanzen sind. Die Familie hat insbesondere großen Einfluss darauf, wie die Kinder in der Schule zurechtkommen und wie stark sie von ihr profitieren können. Die Bildungsprozesse der Kinder und Jugendlichen werden somit direkt und indirekt von der Familie beeinflusst.130 Die Sozialstruktur (insbesondere die Bildung der Eltern) und die Lebensbedingungen innerhalb der Familie beeinflussen den Bildungserfolg der Kinder maßgeblich. Das kulturelle und soziale Kapital (vgl. Bourdieu, Kap. 6), welches die bildungsbenachteiligten Familien vorweisen, entspricht oft nicht den leistungsorientierten Erwartungen im Schul- und Berufsleben.131 Eltern können den Kindern im Umgang mit den Medien mit gutem Beispiel voran gehen und ein Vorbild darstellen. Sie sollten in Bezug auf das Thema sensibilisiert werden, damit ihnen bewusst wird, wie wichtig dieser Einflussfaktor und elterliche Zuwendung sind. Moralische und ethische Werte können den Kindern nur vorgelebt werden. Dabei sollten sie auf die jeweiligen Lebens- und Mediensituationen der Kinder und die Bedeutung der Medien für sie in der Alltagsbewältigung eingehen. Die Kinder vor Allem bewahren zu wollen und nur Warnungen auszusprechen ist dabei der falsche Ansatz. Eltern (bzw. Lehrer, Erzieher) projizieren ihre Ängste oft auf die Kinder, da sie selbst kein Verständnis für den schnellen technologischen Wandel haben; die Kinder selbst gehen damit oft unbefangener und gelassener um. 132 128 Senkbeil, M., 2005, S. 157 Rauschenbach, T., et al., 2004, S. 29 130 ebd. S. 31 f. 131 ebd. S. 313 f. 132 Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, 1997, S. 29 f. 129 32 Gleichaltrigen-Gruppen Durch Freunde, Bekannte und Cliquen (‚Peers’) erfahren Jugendliche während ihrer vielfältigen gemeinsamen Aktivitäten zahlreiche Momente der Interaktion und Kommunikation. Sie sind bedeutend für den Übergang von der Familie in ein eigenes soziales Netz, d.h. der Unabhängigkeit vom Elternhaus. Dieses Erfahrungsfeld ist weiterhin wichtig für ihre Entwicklung und Selbstüberprüfung, da die Interessen und Denkweisen der Jugendlichen dort geprüft, verändert, erweitert oder gefestigt werden. Dies geschieht oft unbewusst, hat jedoch auch eine große Bedeutung für die Erfolge und Misserfolge während des Bildungsverlaufs der Jugendlichen.133 Dort ergeben sich wichtige Lern- und Bildungsgelegenheiten, die durch gegenseitige Unterstützung im schulischen Bereich, aber auch in der Freizeit (Sport, PC-Gebrauch) geprägt ist.134 Sie können also eine wichtige Rolle bei der ‚ungezwungenen’ Weitergabe von Kompetenzen spielen. Öffentliche Einrichtungen Für die Aneignung von Medienkompetenz (insbesondere Internetkompetenz) gibt es vielfältige öffentliche Angebote. Im Folgenden werden Internetzugangs- und Lernorte, Jugendzentren und öffentliche Bibliotheken vorgestellt: Medien sind Erfahrungsgüter, d.h. dass ihr Nutzen erst beurteilt werden kann, nachdem man bereits eigene Erfahrungen mit ihnen gemacht hat. Für die Nutzung des Internets sind die Voraussetzungen dazu recht hoch, da man z.B. einen Computer, einen Internetanschluss und spezielle Fähigkeiten benötigt (vgl. Kap. 4.2). Es ist also wichtig, den bisherigen Nichtnutzern des Internets positive Erfahrungsmöglichkeiten durch beispielsweise öffentliche Zugangsorte (ohne persönliche Investitionen in Technik) zu ermöglichen. Wenn die Menschen die Gelegenheit haben, einen betreuten öffentlichen Internetzugang mit Unterstützung auszuprobieren und dort positive Erfahrungen zu machen, ändert sich gegebenenfalls ihre Einschätzung des Kosten-/ Nutzen-Verhältnisses (vgl. Abb. 10) und sie sind bereit, den Aufwand dafür aufzubringen, was bestenfalls zu einer selbstständigen, befriedigenden Nutzung führt. Dazu sind niedrige Einstiegsschwellen erforderlich, z.B. dass die Zielgruppen ihre Erkenntnisse dort erlangen können, wo sie sich ohnehin aufhalten. Inhaltlich sollte man sich an den für die jeweilige Gruppe relevanten und attraktiven Themen orientieren, damit sie den zu erbringenden Aufwand als lohnend ansehen und sich auf ihre speziellen Vorkenntnisse und Fähigkeiten ausrichten. Je direkter der Nutzen eines Angebots für den einzelnen erkennbar ist und je alleinstellender sich dieser im vergleich zu den klassischen Medien darstellt, umso größer wird die Chance, 133 134 Rauschenbach, T., et al., 2004, S. 32 ebd. S. 318 33 Menschen an das Internet heranzuführen.135 Dazu sollte in einem ersten Schritt herausgefunden werden, worin für die benachteiligten Bevölkerungsgruppen ein konkreter Nutzen in dem Onlinemedium liegen könnte. So kann ein differenziertes Angebot für die Vermittlung von Kompetenzen erstellt werden, was die Nutzer motiviert, die Fähigkeiten zu erlernen. Mangelnde Kompetenz kann zudem ein Problem für Menschen, die das Internet nutzen, bzw. genutzt haben, darstellen. Beispielsweise veralten die Fähigkeiten durch die sich rasant wandelnden Technologien schnell, daher müssen die Nutzer auch laufend um- und dazulernen.136 Abbildung 10: Bedeutung öffentlicher Internetzugänge für die Internetnutzung Quelle: in Anlehnung an Kubicek, H., Welling, S, 2002, S. 111 In Deutschland können ca. 30%137 der Bevölkerung nicht über die klassischen Institutionen des Bildungssystems oder über ihren Arbeitsplatz erreicht werden. Dazu gehören Schulabbrecher, nichterwerbstätige Hausfrauen/-männer, Arbeitssuchende und Senioren/innen. Unter den Berufstätigen existieren allerdings ebenso Personen, die IT-fernen Beschäftigungen nachgehen, dies sind vorrangig niedrig Qualifizierte und gering Verdienende. Diese Bevölkerungsgruppen verlieren schnell den Anschluss an aktuelle technische Entwicklungen. Sie können durch Internetzugangs- und Lernorte als Orte des Austauschs und des Kompetenzerwerbes in diesem Bereich mit einbezogen werden.138 135 Kubicek, H., 2006, S. 111 Kubicek, H., 2001, S. 375 137 Im Jahr 2004 138 Croll, J., 2004, S. 85 f. 136 34 In der offenen Jugendarbeit wirken rechtlich geregelte Institutionen, die freiwillig aufgesucht werden und viele individuelle Gestaltungsmöglichkeiten haben. Sie sind nicht lediglich als Bildungsinstanzen zu verstehen – daneben sind sie für die Vermittlung von sozialen Kompetenzen und für die Persönlichkeitsbildung verantwortlich. Die Überprüfung der erworbenen Kompetenzen nimmt eine untergeordnete Rolle ein: die Jugendlichen finden dort oft weiter reichende oder speziellere Möglichkeiten, sich Wissen und Können anzueignen (z.B. beim Erlernen eines Instruments).139 Es sind Jugendhäuser und Jugendzentren neben Einrichtungen von Jugendverbänden und Jugendorganisationen von Vereinen in diesem Bereich tätig. Die Jugendarbeit umfasst unter anderem außerschulische allgemeine, politische, soziale, gesundheitliche, kulturelle, naturkundliche und technische Bildung neben arbeitswelt-, schul- und familienbezogener Jugendarbeit und Jugendberatung:140 „Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.“141 (§ 11, Jugendarbeit) Eine der Hauptaufgaben von Öffentlichen Bibliotheken ist die Befriedigung von Informationsbedürfnissen der Bevölkerung, indem sie ihnen öffentlichen Zugang zu allen Medien verschaffen. Sie regen zum Lesen an, bieten Unterstützung beim Lernen und stellen vielfältige Gelegenheiten zur kreativen Entfaltung der Nutzer bereit. Somit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung von Mediennutzungskompetenz.142 Öffentliche Bibliotheken bieten ihren Nutzern zudem oft einen niedrigschwelligen öffentlichen Zugang zum Internet. Dort wird ihnen Raum zum Auszuprobieren und Kennenlernen geboten, so dass dies gegebenenfalls in eine dauerhafte Nutzung mündet.143 Häufig stellen sie im Bedarfsfall qualifiziertes Personal zur Unterstützung der Nutzer bereit. Es sollten zielgruppenadäquate Inhalte zur Verfügung gestellt werden, die durch geeignete Orientierungsinformationen aufgefunden werden können.144 An dieser Stelle soll eine tiefergehende Betrachtung der Vermittlung von Medienkompetenz in der Erwachsenenbildung, Weiterbildung, Bildung am Arbeitsplatz oder an Volkshochschulen verzichtet werden. 139 Rauschenbach, T., et al., 2004, S. 33 ebd. S. 214 141 Sozialgesetzbuch VIII, § 11, 1; vgl. http://www.sozialgesetzbuch-bundessozialhilfegesetz.de/ 142 Welling, S., 2000, S. 20 143 ebd. S. 14 144 ebd. S. 21 140 35 5. Anwendungsbeispiel Nachfolgend wird ein aktuelles Projekt zur Digitalen Integration vorgestellt, um gegenwärtige Maßnahmen mit einzubeziehen. Die Verfasserin dieser Diplomarbeit durfte dem unter 5.2. vorgestellten Projekt beiwohnen, was sie auf vielfältige aktuelle Probleme und neue Aspekte der einzelnen Bevölkerungsgruppen aufmerksam gemacht hat. 5.1 Stiftung Digitale Chancen Die Stiftung ‚Digitale Chancen’ hat sich 2002 mit Sitz in Bremen und Berlin gegründet. Sie ging aus einem Projekt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft an der Universität Bremen hervor, in dem ein Informationssystem zum Thema der Digitalen Spaltung und deren Überwindung entwickelt werden sollte. Ihre Stifter sind die Universität Bremen und AOL Deutschland.145 Das Ziel der Stiftung ist, Menschen auf das Internet aufmerksam zu machen und sie bei ihrem Einstieg zu unterstützen. Dadurch können sie die Möglichkeiten dieses Mediums für sich erkennen, woraus sich ggf. der Wunsch entwickelt, es nutzen zu wollen. 146 Wenige Menschen haben Kenntnis über die Angebote und Möglichkeiten in öffentlichen Einrichtungen (z.B. Internetcafés, Bibliotheken), die z.T. eine kostenlose Nutzung des Internets anbieten. Daher wurde von den Mitarbeitern der Stiftung eine Datenbank aufgebaut, in der die Zugangs- und Lernorte mit Angaben über die Ausstattung, Preise, Medienkompetenz vermittelnde Kurse usw. erfasst sind. Dadurch wird den Nichtnutzern ein Zugang zum Internet ermöglicht, und sie werden auf die Chancen des Mediums aufmerksam gemacht. Mittlerweile sind in der Datenbank rund 8.500 Einrichtungen bundesweit erfasst, die telefonisch oder online nach Postleitzahlen abgerufen werden können.147 Ein weiteres Betätigungsfeld der Stiftung ist das Barrierefreie Internet, wodurch die Angebote des World Wide Web für Menschen mit Behinderungen zugänglich gemacht und uneingeschränkt genutzt werden sollen. Die Stiftung betreibt Aufklärungsarbeit auf dem Gebiet und führt Schulungen durch; die besten barrierefreien Internetseiten werden mit einem Award prämiert, um sie bekannt zu machen und Standards zu setzen.148 Zudem werden auf der Internetseite der Stiftung umfassende Informationen für Betreiber und Mitarbeiter von öffentlichen Internetzugangs- und Lernorten bereitge145 Zustifter vgl. www.digitale-chancen.de Stiftung Digitale Chancen, 2003, S. 1 147 Vgl. www.digitale-chancen.de/einsteiger/ 148 Vgl. www.biene-award.de/award/ 146 36 stellt, worauf sie bei der Errichtung und Ausstattung achten sollten. Weiterhin werden Fragen bezüglich der Finanzierung, des Managements und der pädagogischen Angebote in einem ausführlichen Leitfaden beantwortet.149 Auf der Internetseite werden Dokumente und Statistiken zur Internetnutzung in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen aufbereitet und ständig aktuell zur Verfügung gestellt. Somit soll Politikern, Wissenschaftlern und Multiplikatoren150 eine fundierte Basis für ihre Entscheidungen und Maßnahmen zur Überwindung der Digitalen Spaltung geliefert werden.151 5.2 Projekt ‚Chancengleichheit in der Informationsgesellschaft’ Im Rahmen des Europäischen Jahres der Chancengleichheit 2007152 hat die Stiftung eine bundesweite Veranstaltungsreihe mit dem Namen ‚Chancengleichheit in der Informationsgesellschaft’ durchgeführt. Es wurden in der Zeit von April bis September 2007 fünf regional verteilte Workshops organisiert, um eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation verschiedener gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland durchzuführen. Teilnehmer aus verschiedenen Zielgruppen (s.u.) diskutierten bekannte und neue Wege der Teilhabe an der Informationsgesellschaft. Sie befassten sich mit verschiedenen Kommunikationssituationen des Alltags, die von hoher Relevanz für die gesellschaftliche Teilhabe der jeweiligen Gruppe ist. Sie haben dabei u.a. erarbeitet, warum die jeweilige Situation besser online oder offline bewältigt werden kann. Die Workshops wurden zusammen mit Initiativen und Einrichtungen153 organisiert, die sich für die jeweilige Zielgruppe einsetzen und richteten sich daneben an Multiplikatoren, die mit den Zielgruppen arbeiten. Es soll eine öffentliche Debatte über die Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe angestoßen, ein breiteres Bewusstsein der Bevölkerung für die Chancen der Nutzung neuer Medien geweckt und eine gemeinsame Zukunftsperspektive entwickelt werden. Bei der Schlusskonferenz im September 2007 werden die Ergebnisse154 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.155 Die einzelnen Workshops haben sich folgenden Zielgruppen gewidmet: 149 Vgl. www.digitale-chancen.de/service/ Pädagogen in Schule und Jugendarbeit, Bibliothekare o.ä. 151 Vgl. www.digitale-chancen.de/content/ 152 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/eyeq/index.cfm?language=DE 153 Angabe der Vereine und Institutionen siehe unter www.digitale-chancen.de/gleichheit/ 154 Die Ergebnisse werden im Anschluss des Projekts hier veröffentlicht: http://www.digitalechancen.de/gleichheit/content/sections/index.cfm/secid.4 155 Vgl. http://www.digitale-chancen.de/gleichheit/ 150 37 5.2.1 Bürgerschaftliches Engagement Bei diesem Workshop standen tradierte Organisationsformen der Vereinsarbeit und neue Möglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement durch Verfahren im Internet im Mittelpunkt. Ein Ziel sollte sein, herauszufinden, inwieweit das Internet die Verwaltung und Organisation von Vereinsarbeit erleichtern kann, bzw. wo dort die Grenzen liegen. Ein vorgestelltes Online-Tool zur Verwaltung und Organisation von Vereinsarbeit, was bei Terminabstimmungen oder bei der Organisation von Veranstaltungen unterstützen kann, stellt durch die Automatisierungen eine Erleichterung für diese Bereiche dar. Insbesondere, da viele Vereine im ländlichen Raum angesiedelt und die einzelnen Mitglieder häufig räumlich weit voneinander entfernt sind. Unter den oft älteren Vereinsmitgliedern befinden sich allerdings viele Nichtnutzer des Internets, die mit einbezogen werden müssen. Die einzelnen Prozesse sind häufig sehr vielgliedrig bezeichnet und können daher an verschiedenen Stellen online und offline bewältigt werden.156 5.2.2 Menschen mit Behinderungen Dort wurde die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Informationsgesellschaft fokussiert: es fanden Diskussionen darüber statt, wie sie gleichberechtigt an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben können, welche Hindernisse ihnen entgegenstehen und wie die Angebote im Internet gestaltet sein müssen, damit sie gut genutzt werden können. Neben Menschen mit Behinderungen selbst nahmen auch Multiplikatoren und Entwickler von Internetseiten an dem Workshop teil. Das Internet kann für diese Zielgruppe viel zur Selbständigkeit beitragen, z.B. beim Online Banking für blinde Menschen. Außerdem sind z.B. beim Einkaufen im Internet Barrieren wie Treppen oder hohe Regale für Rollstuhlfahrer kein Hindernis. Jedoch existieren noch nicht viele zufrieden stellende barrierefreien Internetangebote in Deutschland.157 5.2.3 Seniorinnen und Senioren Eingeladen waren ältere BürgerInnen, die den Onlinemedien eher skeptisch gegenüber stehen oder bereits Interneterfahrungen haben. Es wurden Kommunikationssituationen thematisiert, die bedeutend für die gesellschaftliche Teilhabe von Seniorinnen und Senioren sind, wie z.B. Beteiligung an lokalen Entscheidungsprozessen oder Behördenkontakte. Das Internet stellt eine gute Alternative für nicht mobile Menschen dar, wenn Senioren bspw. nicht mehr einkaufen gehen können und 156 157 Vgl. http://www.digitale-chancen.de/gleichheit/content/sections/index.cfm/secid.5/secid2.6 Vgl. http://www.digitale-chancen.de/gleichheit/content/sections/index.cfm/secid.5/secid2.7 38 dies online erledigen. Weiterhin kann dies ein Mittel gegen Vereinsamung darstellen, wenn z.B. durch E-Mails mehr Kontakt zu den Enkelkindern besteht.158 5.2.4 Jugendliche159 Dieser Workshop findet in der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen statt. Es werden Jugendliche (Schüler und Auszubildende) und deren Lehrer und Ausbilder vor Ort sein. Es werden vorerst verschiedene Möglichkeiten der Vermittlung von Medienkompetenz in Bezug auf PC und Internet thematisiert, was in die Diskussion mündet, wie Jugendliche motiviert werden können, sich diese Fähigkeiten anzueignen. Danach werden erneut relevante Situationen besprochen, wie z.B. Bildung, Ausbildungsplatzsuche oder Beteiligung an sozialen Netzwerken im Internet und im ‚realen’ Leben.160 5.2.5 Frauen und Mädchen Im Mittelpunkt dieses Workshops wird die Vernetzung und gesellschaftliche Teilhabe von Frauen und Mädchen stehen. Die Teilnehmerinnen werden Erfahrungen zur beruflichen, kulturellen und sozialen Netzwerkarbeit austauschen und diskutieren, inwieweit das Internet zur Vernetzung beitragen kann und wo seine Grenzen liegen.161 Die Autorin hat sich von den Gruppen, die das Bedürfnis nach Digitaler Integration haben auf ‚sozial benachteiligte Jugendliche’ fokussiert, da ihre Förderung wichtig für die gesellschaftliche Entwicklung ist und sie einen besonderen Unterstützungsbedarf haben. 158 Vgl. http://www.digitale-chancen.de/gleichheit/content/sections/index.cfm/secid.5/secid2.8 Die folgenden zwei Veranstaltungen (Jugendliche und Frauen) lagen zum Zeitpunkt der Verschriftlichung noch in der Zukunft (28.8. und 5.9.). 160 Vgl. http://www.digitale-chancen.de/gleichheit/content/sections/index.cfm/secid.5/secid2.9 161 Vgl. http://www.digitale-chancen.de/gleichheit/content/sections/index.cfm/secid.5/secid2.10 159 39 6. Sozial benachteiligte Jugendliche 6.1 Begriffsbestimmung Wenn verschiedenen sozialen Gruppen der Zugang zu gesellschaftlichen Werten und Ressourcen (z.B. Sicherheit, Bildung) verwehrt bleibt oder erschwert wird, spricht man von Benachteiligung. Allerdings sind die erwähnten sozialen Gruppen nicht homogen, die Benachteiligungen treffen nicht auf alle Mitglieder gleichermaßen zu.162 Die unterschiedlichen Ressourcen, die jemandem zur Verfügung stehen, spielen in dieser Beziehung eine große Rolle. Der Soziologe Bourdieu hat in dem Zusammenhang drei unterschiedliche Arten von Kapital definiert: 1. Soziales Kapital beinhaltet alle Ressourcen, die mit sozialen Beziehungen und der Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen zusammenhängen. Sie verschaffen den jeweiligen Individuen Vorteile, da sie in bestimmte Netzwerke eingebunden sind. Darunter fallen gegenseitiges Kennen und Anerkennen, Unterstützung oder Hilfeleistung. Durch gute Vernetzung im Familien-, Freundes- oder Kollegenkreis können Gewinne aus deren Ressourcen gezogen werden.163 Dort werden Normen gebildet und Vertrauen aufgebaut, durch die sozial anerkannte Ziele, Werte und Einstellungen leichter übernommen werden können. Es kann nur durch Einbeziehung der Kinder in ein unterstützendes und forderndes soziales Netzwerk innerhalb der Familie (z.B., dass Eltern sich Zeit für ihre Kinder und Kommunikation mit ihnen nehmen) vermittelt werden.164 2. Kulturelles Kapital spaltet sich in drei Arten auf: - Das inkorporierte (verinnerlichte) Kulturkapital wird von den Familien, die über einen unterschiedlichen Umfang von kulturellem Kapital verfügen, an ihre Kinder weiter gegeben. Dies können Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata, Wertorientierungen und Verhaltensmerkmale (Geschmack, Benehmen, Wissen) sein, die eine Person ausmachen. Es wird in der primären Sozialisation der Familie erworben und in den Bildungsinstitutionen wie Schule und Beruf transformiert. Ein Teil des inkorporierten Kulturkapitals ist das Bildungskapital, was u.a. den Umgang mit Kulturgütern und mit spezifischen Codes für die Kommunikation beinhaltet. Dies bedingt verschiedene Formen der Erwerbung und Vorlieben von kulturellen Angeboten, was eine Verschärfung der gesellschaftlichen Differenzen zur Folge hat. Das Kulturkapital bezieht sich unter anderem auf Kenntnisse und Interessen, wie sie im 162 Niesyto, H., 2004, S. 124 Bourdieu, P., 1983, S. 190 ff. 164 Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen, 2002, S. 12 163 40 Rahmen gemeinsamer Aktivitäten von Eltern und Kindern oder durch das elterliche Vorbild vermittelt werden. - Objektiviertes Kulturkapital umfasst kulturelle Güter wie Bücher, Gemälde, Musikinstrumente, etc. Die Aneignung dieses Kapitals erfordert die kulturellen Fähigkeiten, den Wert dieser Güter zu erkennen und somit erst genießen zu können sprich inkorporiertes Kulturkapital. - Institutionalisiertes Kulturkapital meint akademische Titel und schulische Abschlüsse, etc. Sie begünstigen die Aneignung von ökonomischem Kapital (s. u.), da sie häufig Voraussetzung für bestimmte Berufslaufbahnen (und Einkommen) sind. Es herrscht Ungleichheit in Bezug auf schulische Leistungen von Kindern aus verschiedenen sozialen Klassen. Ihr Erfolg hängt nach Bourdieu nicht nur von den natürlichen Fähigkeiten ab, sondern vom kulturellen Kapital, das die Familie in ihre Kinder investiert hat. Die sozialen Klassen unterscheiden sich durch die großen Differenzen im Besitz des kulturellen Kapitals.165 Die Qualität des kulturellen und sozialen Kapitals, durch das die Kinder von ihren Familien geprägt werden, gilt als die bedeutendste Voraussetzung und wirksamste Grundlage für Lernprozesse.166 3. Ökonomisches Kapital bilden alle Formen materiellen Reichtums wie Einkommen, Grundbesitz sowie Aktien oder Schmuck, welche unmittelbar in Geld konvertiert werden können.167 Für die fokussierte Zielgruppe können die Benachteiligungen aus verschiedenen Bereichen hervorgehen. 6.2 Formen der Benachteiligung 6.2.1 Familie Die Probleme in den Familien von sozial benachteiligten Jugendlichen sind oft überdurchschnittlich hoch, was negativen Einfluss auf ihre Entwicklung nimmt. Der Alltag der Kinder ist von Gewalt, Alkohol- und/oder Drogensucht, Kriminalität, Verlust eines Elternteils oder Arbeitslosigkeit geprägt. Ihre Konzentration in der Schule leidet häufig unter existenziellen Versorgungsmängeln wie schlechter Ernährung, unzureichenden Wohnverhältnisse oder Verschuldung.168 Die Jugendlichen ohne Berufsabschluss haben überdurchschnittlich oft ein Elternhaus mit unterdurchschnittlicher beruflicher Stellung; das ‚Ungelernt-Sein’ vererbt sich quasi 165 Bourdieu, P., 1983, S. 185 ff. Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen, 2002, S. 12 167 Bourdieu, P., 1983, S. 185 168 Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005, S. 15 166 41 weiter.169 Allerdings besteht dort regelmäßig der Wunsch, dass die eigenen Kinder eine Statusverbesserung im Vergleich zur eigenen Position erfahren. Es fehlt jedoch häufig an Netzwerken und Beziehungen, um die Kinder dabei zu unterstützen.170 6.2.2 Bildung Bildungssysteme haben als Ziel den Anspruch, gerechte Chancen für alle Menschen in der Gesellschaft herzustellen. Kinder und Jugendliche wachsen mit sehr unterschiedlichem sozialem, kulturellem und ökonomischem Hintergrund auf und erfahren dadurch in ungleichem Maße Unterstützung. So können sich günstige oder ungünstige Bedingungen aufgrund der Herkunft kumulieren.171 Bei Bildungsbenachteiligung sind die Aussichten im Bildungssystem, ein vorher festgelegtes Ziel zu erreichen, für bestimmte Menschen schlechter als bei anderen. Diese sozialen Gruppen mit weniger sozialen, finanziellen und kulturellen Ressourcen haben geringere Chancen, Bildung zu erwerben.172 Durch die soziale Umgebung erfahren die Jugendlichen recht schnell, dass ihre Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nahezu aussichtslos ist. Somit sehen sie die Schule nicht als sinnstiftend für ihre Zukunft an. Für die Lehrer wird es zunehmend schwieriger, die z.T. teilnahmslosen Schüler zu motivieren. Die betroffenen Schüler bleiben häufig dem Unterricht fern, da ihr Alltag dort von schlechten Schulleistungen, negativen Rückmeldungen und Frustration geprägt ist. Dies wirkt sich sehr negativ auf ihr Selbstwertgefühl und Durchhaltevermögen aus. Auf Unterstützung der Eltern im schulischen Bereich können sie meist nicht zählen, da diese sich selbst überfordert und unterstützungsbedürftig fühlen.173 Dadurch haben die Jugendlichen wiederum einen Nachteil gegenüber den Schülern, die bessere Leistungen erzielen und Hilfe aus dem Elternhaus erfahren. Im internationalen Vergleich liegen die Probleme der Schulen in Deutschland vor allem im unteren Leistungsbereich. Die Kompetenzen der 10% leistungsschwächsten Schüler liegen weit unter den Leistungen schwacher Schüler anderer Staaten. Deutschland zählt weiterhin zu den Ländern, in denen die Kopplung zwischen sozialer Herkunft und Schulleistung besonders eng ist. Im Bereich der Förderung der leistungsstarken Schüler hingegen liegt Deutschland international im oberen Mittelfeld.174 169 ebd. S. 14 Kubicek, H., Welling, S., 2004, S. 64 171 Ehmke, T., et al., 2005, S. 236 172 Niesyto, H., 2004, S. 124 173 Mathern, S., 2003, S. 30 ff. 174 Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006, S. 69 170 42 6.2.3 Beruf Für junge Menschen ist es in den letzten Jahren zunehmend schwieriger geworden, den Übergang von der Schule in eine Ausbildung oder einen Beruf erfolgreich zu bewältigen. Auf der einen Seite steigen die Anforderungen an die Qualifikationen und Leistungen der Schüler – dem gegenüber stehen die unzureichenden Fähigkeiten der BewerberInnen in traditionellen Kulturtechniken und Wissensbereichen. Auf dem Ausbildungsmarkt ist die Situation so schwierig wie noch nie, da viele Ausbildungsangebote abgebaut wurden, die Schulabgängerzahlen hingegen gestiegen sind und es einen großen Bestand an Altbewerbern175 gibt. Davon sind besonders die Jugendlichen mit schlechtem (oder ohne) Schulabschluss und benachteiligte Jugendliche betroffen. Sie haben daher einen besonderen Unterstützungsbedarf.176 Im dritten Sozialgesetzbuch zur Arbeitsförderung (§ 242) sind als Förderungsbedürftige ‚lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte Auszubildende’ definiert. Darunter fallen u.a. Personen, die wegen der in ihrer Person liegenden Gründe ohne die Arbeitsförderung eine Berufsausbildung nicht beginnen, fortsetzen oder erfolgreich beenden können.177 Bzw. nach erfolgreicher Beendigung einer Ausbildung ein Arbeitsverhältnis nicht begründen oder festigen können. Förderungsbedürftig sind auch Auszubildende, bei denen ohne die Förderung ein Abbruch ihrer Ausbildung droht.178 Berufsbezogene Benachteiligung entsteht neben den individuellen Problemen als Folgewirkung eines Mangels an Ausbildungsstellen und Arbeitsplätzen. Je schlechter das Verhältnis von Angebot und Nachfrage ist, desto stärker steigt die Zahl der beruflich benachteiligten Jugendlichen.179 Die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Entwicklung von der Industrie- zur Informationsgesellschaft hatte auch eine enorme Wandlung der Arbeits- und Lebenswelt zur Folge. Wissen ist zu einer wichtigen Ressource geworden. Durch den schnellen technologischen Wandel veraltet vorhandenes Wissen schnell – nur durch lebenslanges Lernen und Weiterbilden ist es möglich ‚mitzuhalten’. Der produzierende Industriesektor, in dem häufig Menschen mit geringer formaler Bildung angestellt waren, verliert immer mehr an Bedeutung. Der Dienstleistungssektor mit neuen beruflichen Anforderungen Vordergrund. 180 und Voraussetzungen rückt immer mehr in den Dies ruft neue Anforderungen und Kompetenzprofile hervor, wie kommunikative Fähigkeiten, Verbalisierungsfähigkeit, Problemlösungsfähigkeiten und 175 ältere Jugendliche aus früheren Schulentlassjahren Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005, S. 9 177 Oder nach dem Abbruch einer Berufsausbildung eine keine weitere Ausbildung beginnen. 178 Vgl. http://www.sozialgesetzbuch-bundessozialhilfegesetz.de/_buch/sgb_iii.htm 179 Mathern, S., 2003, S. 28 180 Dies prägt auch die Erwerbsstruktur: 2004 waren 71% der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor tätig. 176 43 Medienkompetenz. Diese Veränderungen beeinflussen den Qualifizierungsauftrag von Bildungseinrichtungen nachhaltig.181 Durch die Tendenz zum Abbau von Arbeitsplätzen für Ungelernte sind Jugendliche mit schlechter Schulbildung und ohne Ausbildung von einer dauerhaften Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt bedroht.182 Dies sollte durch entsprechende Maßnahmen verhindert werden, da die Berufstätigkeit sehr ausschlaggebend für die Selbständigkeit und gesellschaftliche Teilhabe der Einzelnen ist. Weniger als 16% der Ausbildungsplätze werden von Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss besetzt. Hierbei besteht eine Entwertung der unteren Schulabschlüsse.183 Der Übergang von der Schule in die Ausbildung (= 1. Schwelle) und von der Ausbildung in den Beruf (= 2. Schwelle) und der damit zusammenhängenden Anforderung, sich flexibel auf schnelle Veränderungen einstellen zu können, bedeuten große Unsicherheiten für benachteiligte Jugendliche.184 Durch ihre eigene Orientierungslosigkeit und/oder Arbeitslosigkeit können die Eltern meist ihre Kinder bei der Berufswahl nicht ausreichend unterstützen.185 Bevor auf die Vermittlung von Medienkompetenz für die untersuchte Zielgruppe als Möglichkeit der Digitalen Integration eingegangen wird, sollen nachfolgend in einem ersten Schritt die Differenzen der Mediennutzung der Jugendlichen vorgestellt werden: 6.3 Mediennutzung der Jugendlichen Der Familienalltag sozial benachteiligter Jugendlicher ist häufig von extensivem Mediengebrauch bestimmt, was sie zusätzlich negativ beeinflusst. Es ist wichtig, dass sie erlernen, Medien selbstbestimmt für sich zu nutzen (vgl. Vorbildfunktion der Eltern, Kap. 4.3.2).186 Es herrschen signifikante Bildungsunterschiede in der Computer- und Internetnutzung (vgl. ‚Digital Inequality’ bzw. ‚Second Level Divide’ in Kap. 3) Dies belegen auch aktuelle Studien für Deutschland: Die JIM-Studie187 des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest stellt seit 1998 jährlich repräsentatives Datenmaterial zur Mediennutzung von 12- bis 19Jährigen Jugendlichen zur Verfügung.188 181 Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006, S. 5 Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005, S. 175 183 Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006, S. 82 f. 184 Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005, S. 10 185 ebd. S. 15 186 Croll, J., Brüggemann, M., 2007, S. 8 187 Jugend, Information, (Multi-)Media-Studie 182 44 In den untersuchten Haushalten bestimmen die Medien den Alltag. Es sind viele Geräte mehrfach vorhanden: durchschnittlich 2,5 Fernseher, 2,1 Computer und 1,3 Internetanschlüsse.189 Bei den Printmedien zeigen sich deutliche Bildungsunterschiede: über zwei Drittel der Gymnasiasten leben in einem Haushalt mit Tageszeitung Abonnement, dies trifft nicht einmal auf die Hälfte der Hauptschüler zu.190 Fast zwei Drittel der 12- bis 19-Jährigen (64,5%) verfügen über einen eigenen Fernseher in ihrem Zimmer, 60% besitzen einen Computer oder Laptop; 38% haben einen eigenen Internetzugang. Auch hier weist die bildungsspezifische Betrachtung deutliche Unterschiede auf (vgl. Abb. 11). Bei fast drei Viertel (72%) der Hauptschüler steht ein eigener Fernseher im Zimmer, dies trifft bei den Gymnasiasten nur auf 55% zu, bei den Realschülern auf 70%. Jedoch steigt mit zunehmender formaler Schulbildung die Wahrscheinlichkeit des Computerbesitzes: Gymnasiasten (65%) verfügen häufiger über einen eigenen Computer als Realschüler (58%) und Hauptschüler (53%); gleiches gilt für die Ausstattung mit einem eigenen Internetanschluss.191 Abbildung 11: Gerätebesitz Jugendlicher 2006192 Quelle: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2006, S. 11 Unter den Gymnasiasten ist die Anzahl der regelmäßigen Buchleser deutlich höher als bei Real- und Hauptschülern. Im Vergleich zur Erhebung des Vorjahres ist die 188 Die Grundgesamtheit umfasst ca. 7 Millionen Jugendliche, davon wurde eine repräsentative Stichprobe von 1.205 Jungen und Mädchen telefonisch befragt. 189 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2006, S. 8 190 ebd. S. 9 191 ebd. S. 10 192 in Prozent, Basis: alle Befragten; n=1.205 45 Computernutzung von 76% auf 83% und die Internetnutzung193 allgemein von 60% auf 69% erneut angestiegen. 194 Bei der Frage, auf welches Medium die Jugendlichen am wenigsten verzichten können, ist der Computer erstmalig als am unentbehrlichsten genannt worden (26%), der Fernseher und das Internet stehen mit jeweils 19% an zweiter Stelle. Hauptschüler haben eine deutlich geringere Bindung zum Internet (12%) als Realschüler (18%) oder Gymnasiasten (23%).195 In einer qualitativen Nachbefragung stellte sich heraus, dass die Jugendlichen an ihren Computern vor allem die Multifunktionalität schätzen. Sie nutzen ihn, um Musik zu hören, Filme zu schauen, Informationen zu suchen, zum Spielen und als Arbeitsmittel für die Schule. Beim Internet steht vor allem der kommunikative Aspekt im Vordergrund, beispielsweise der Kontakt zu Freunden. Die Multifunktionalität und die vielfältigen Informationsmöglichkeiten wurden auch als sehr positiv bewertet.196 Für die Jugendlichen haben sich Computer und Internet in ihrem Alltag zu einer festen Größe etabliert. 97% der Befragten nutzen mindestens einmal im Monat einen Computer. Auch hier ist jedoch das Bildungsgefälle recht eindeutig: unter den Gymnasiasten waren 94% schon einmal online, 90% der Realschüler und 83% der Hauptschüler.197 Das Internet wird von den 12- bis 19jährigen vor allem als Kommunikationsmedium genutzt. 34% nutzen das Internet regelmäßig für die Informationssuche und als Recherchemedium jenseits schulischer Belange, 32% speziell für Schule und Beruf. In Bezug auf den Bildungshintergrund fällt auf, dass Nutzer mit höherer formaler Bildung häufiger Informationen für Schule und Beruf oder zu aktuellem Zeitgeschehen im Internet suchen. Jugendliche mit geringer formaler Schulbildung nutzen es eher zum Chatten oder zum ‚Stöbern’. 198 Die befragten Nutzer wurden gebeten, ihre Zeit im Netz den Bereichen Kommunikation, Spiel und Informationssuche (vgl. Abb. 12) zuzuordnen. Auch bei der Selbsteinschätzung entfällt der größte Teil auf den Kommunikationsaspekt. Bei den Hauptschülern fällt die höhere Bewertung des ‚Spielens’ vor der ‚Informationssuche’ auf. Beim Vergleich der drei Schultypen kann man ablesen, dass die Bedeutung der ‚Informationssuche’ steigt, je höher das Bildungsniveau ist.199 193 Als Internet-Nutzer gelten Jugendliche, die zumindest selten von Internet bzw. OnlineDiensten Gebrauch machen. 194 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2006, S. 11 f. 195 ebd. S. 16 f. 196 Feierabend, S., Kutteroff, A., 2007, S. 86 197 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2006, S. 38 198 ebd. S. 39 199 ebd. S. 41 46 Abbildung 12: Internetnutzung:‚Kommunikation’ / ‚Spiele’ / ‚Informationssuche’200 Quelle: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2006, S. 41 Neben unangenehmen Belästigungen beim Chatten werden die Jugendlichen häufig von Fremden aufgefordert, persönliche Daten (Name, Adresse, Telefonnummer) preiszugeben – es ist bedenklich, dass fast ein Viertel dieser Aufforderung nachgekommen ist. Formal geringer gebildete Jugendliche haben die sensiblen Daten leichtfertiger weitergegeben, unter den Hauptschülern 35%, 24% der Realschüler und 16% der Gymnasiasten.201 Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig die Vermittlung von Medienkompetenz in diesem Bereich ist. Die Jugendlichen sind demnach auch anfälliger für die weiteren Gefahren im Internet (vgl. Kap. 2). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Medien im Alltag der Jugendlichen allgegenwärtig sind. Ein kompetenter Umgang mit den verschiedenen Medien wird durch die Angebotsvielfalt, Verbraucherschutzaspekte und Nutzung der Bildungspotentiale der verschiedenen Medienangebote zu einer wachsenden Herausforderung für Heranwachsende und Jugendliche.202 In einer weiteren (qualitativen) Studie ‚Soziale Ungleichheit im virtuellen Raum’203 besaß ein Großteil der befragten Jugendlichen ein formal niedriges Bildungsniveau (vor allem Sonder- und Hauptschulabschluss, ohne Schulabschluss, häufig mit Migrationshintergrund). Sie hatten kurze Nutzungserfahrungen mit dem Internet und 200 in Prozent, Basis: Internetnutzer; n=1.088 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2006, S. 45 f. 202 Feierabend, S., Kutteroff, A., 2007, S. 95 203 Das Kompetenzzentrum Informelle Bildung an der Universität Bielefeld hat 2003 ca. 50 Leitfadeninterviews zur Erhebung von Daten zu Rahmenbedingungen von informellen Aneignungsstrukturen und Nutzungsdifferenzen von Jugendlichen zwischen 14 und 23 Jahren aus verschiedenen soziodemographischen Kontexten in öffentlich geförderten Jugendeinrichtungen durchgeführt. 201 47 meist keinen Internetzugang zu Hause, sondern nur über Jugendeinrichtungen, Internetcafés oder Freunde. Da es für die Zielgruppe milieubedingt schwierig war, komplexe Zusammenhänge und weit reichende Erkenntnisse in Worte zu fassen, wurden die Jugendlichen während sie das Internet nutzten beobachtet und zu ihren Vorgehensweisen bei der Informationssuche, ihrem Navigationsverhalten auf unbekannten Seiten und dem Erschließen von neuen Kommunikationsräumen interviewt. Aus den Erhebungen ließ sich ableiten, dass der Haupteinstieg sozial benachteiligter Jugendlicher für die Nutzung des Internets das Chatten ist. Dies steht im Widerspruch zu einigen Förderprojekten, die das vorrangige Ziel verfolgen, den Jugendlichen Strukturen für die Job-Suche und die Bewerbung zur Verfügung zu stellen. Für die Förderung von Benachteiligten und Unerfahrenen in der Mediennutzung sind diese Angebote für einen niedrigschwelligen Einstieg jedoch ein guter Anreiz.204 Jugendliche mit formal höherer Bildung erfahren mehr Unterstützung aus ihrem sozialen Umfeld (Freunde, Verwandte, Bekannte), wenn Probleme bei der Nutzung auftreten (z.B. Vorschlag, einen Computerkurs zu besuchen) als formal niedriger Gebildete. Dieser Beistand – online und offline – ist jedoch ein sehr wichtiger Faktor, um weitere Möglichkeiten in der Nutzung zu erschließen. Durch die fehlende Hilfe geben formal niedriger Gebildete bei Nichterfolg eher auf und nutzen die Dienste nicht mehr, anstatt weitere Versuche zu unternehmen. Das Wissen und die Kompetenzen, über die die Helfenden verfügen, sind bedeutend für die Erschließung neuer Bereiche.205 Es konnten stereotype Nutzungsstrategien bei den Jugendlichen mit formal niedrigem Bildungsniveau festgestellt werden: z.B. nutzt ein Großteil von ihnen trotz 1-2-jähriger Erfahrung im Internet nur bevorzugt einen Chatroom und hat kaum andere Internetseiten ausprobiert. Die Heranführung der Befragten an neue Chatangebote mit sehr übersichtlichem Aufbau mündete in gänzliche Orientierungslosigkeit.206 Die formal höher Gebildeten wiesen eine größere Variabilität in der Art ihrer Nutzung auf (weniger Chat, sondern ‚Informationen suchen’, ‚Downloaden’, ‚Eigenes produzieren’ etc.), eigneten sich neue Bereiche im Internet selbständiger an, beteiligten sich mehr (Rückmeldungen, Meinungsäußerungen) und nutzten die Dienste insgesamt reflektierter in Bezug auf ihre Erfahrungen, Strategien und Nutzungsprobleme. Die formal niedriger gebildeten Jugendlichen hingegen haben Probleme oder Grenzen in 204 Kutscher, N., 2003, S. 3 f. ebd. S. 5 f. 206 ebd. S. 8 205 48 der Nutzung kaum wahrgenommen. Dies stellt die Autorin vor die Frage, ob sie überhaupt ein ‚Lost in Hyperspace’207 empfinden. 208 Zusammenfassend sollte man beachten, dass der Anlass und die Ziele der Nutzung je nach soziodemographischer Struktur sehr unterschiedlich sein können. Da die Selbsterschließung und Selbststeuerung der Onlinenutzung je nach Bildungshintergrund sehr verschieden ausfallen kann, sollten unterschiedliche Such- und Strukturierungsmöglichkeiten für die jeweiligen Zielgruppen bereitgestellt werden. Da das soziale Umfeld der Jugendlichen entscheidend für ihre Nutzungsstrukturen ist und soziale Differenzen diesbezüglich bedeutend sind, sollte dies künftig für die Entwicklung von Angebotsstrukturen mit einbezogen werden.209 Im Rahmen der Bundesinitiative Jugend ans Netz210 hat das Kompetenzzentrum Informelle Bildung eine weitere empirische Untersuchung durchgeführt. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Befragten mit einem hohen formalen Bildungsgrad211 häufiger gezielt nach Informationen suchen, als mit einem niedrigeren formalen Bildungsgrad (vgl. Abb. 13).212 Abbildung 13: ‚Gezieltes Suchen’ nach Schultyp in Prozent Quelle: Iske, Stefan, et al., 2004, S. 11 207 Desorientierung bei Hypertextdokumenten im Internet Kutscher, N., 2003, S. 9 209 ebd. S. 10 f. 210 Ein Projekt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit dem Ziel, informelle Bildung Jugendlicher durch den Ausbau außerschulischer Bildungsangebote im Internet zu stärken und somit Chancengleichheit bei der Nutzung zu schaffen. (vgl. Kap. 3.5) http://jugendonline.typepad.com/ 211 Hoher Schultyp = Gymnasium, mittlerer Schultyp = Gesamt- und Realschule, niedriger Schultyp = Haupt- und Sonderschule 212 Iske, S., et al., 2004, S. 11 208 49 Die Gymnasiasten gaben an, häufig oder sehr häufig Informationen zu finden, die sie ‚vorher noch nicht kannten’ und bewerteten Informationen sehr häufig oder häufig als ‚gut zu gebrauchen’. Bei den Haupt- und SonderschülerInnen gab dies jedoch nur circa jede/r Zweite an. Daran ist abzulesen, dass die Wahrscheinlichkeit, im Internet weiterführende und neue Informationen zu finden steigt, je höher der formale Bildungsgrad ist. 79% der Gymnasiasten gaben weiterhin an, im Internet sehr häufig oder häufig ‚Informationen zu finden, ‚die sie sonst nicht bekommen würden’, unter den HauptschülerInnen waren dies nur 34%. Der formale Bildungsgrad ist also als wichtige Einflussgröße für das Erschließen neuer Informationen anzusehen (vgl. Wissensklufthypothese in Kap. 3) – formal niedriger gebildete Jugendliche sind dort benachteiligt.213 Die Bedeutung des Wahrheitsgehaltes der Inhalte im Internet wird ebenfalls sehr unterschiedlich eingeschätzt: wenn die Prozentangaben der Antworten ‚sehr wichtig’ und ‚wichtig’ kumuliert werden, ergeben sich 95% des hohen Schultyps, 85% des mittleren Schultyps und lediglich 42% des niedrigen, die dies als wichtig erachten.214 Sie nutzen das Internet demnach nicht sehr reflektiert und betrachten die Inhalte weniger kritisch, was auch einen wichtigen Teil von Medienkompetenz ausmacht. Durch eine höhere Nutzerzahl von formal niedrig Gebildeten geht keine Auflösung der Bildungskluft in der Bevölkerung einher; Internetnutzung bedeutet nicht automatisch mehr gesellschaftliche Teilhabe. Dazu müssen Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Potentiale des Internets chancengleich genutzt werden können. Für die Digitale Integration ist daher eine alleinige Verbesserung der Zugangsbedingungen nicht ausreichend, es muss vielmehr eine Einbeziehung des Nutzungsfaktors in den jeweiligen Lebenszusammenhang vorgenommen werden. Dazu sollten die öffentlichen Angebote gesteigert werden, zu denen insbesondere benachteiligte Bevölkerungsgruppen leichteren Zugang haben und ihnen zielgruppengerecht Kompetenzen durch geschulte Multiplikatoren vermittelt werden. 215 6.4 Vermittlung von Medienkompetenz für Jugendliche Kinder und Jugendliche brauchen Orientierungsmöglichkeiten und müssen Handlungskompetenz vermittelt bekommen, damit sie selbstbestimmt, reflektiert und ethischmoralisch verantwortungsvoll agieren können. Weiterhin muss ihnen der bewusste Umgang mit Medien näher gebracht werden, damit sie in diesem Bereich kritischer 213 ebd. S. 16 f. ebd. S. 18 f. 215 Konert, B., 2004, S. 27 f. 214 50 werden – auch in Bezug auf den eigenen Mediengebrauch.216 Es ist wichtig, dass sie während der Hinführung zum Internet oder der Vermittlung von Medienkompetenzen gut betreut und unterstützt werden, damit sie bei Misserfolgen nicht aufgeben. 6.4.1 Schule Jugendliche nutzen Computer und erwerben ihre Kenntnisse in diesem Bereich überwiegend außerhalb der Schule. In Deutschland geben nur etwa halb so viele (13,8%) SchülerInnen wie im OECD Durchschnitt (26%) an, sich ihre Computerkompetenzen vorwiegend in der Schule anzueignen. Daher spielt der familiäre Hintergrund eine entsprechend große Rolle für die Computernutzung. Der vergleichsweise nachrangige Stellenwert der Schule in diesem Bereich misst zudem den außerschulischen und informellen Angeboten eine besondere Bedeutung zu.217 Demgegenüber steht allerdings, dass relativ viele Schüler mit geringem Sozialstatus (22%) angeben, dass die Schule der wichtigste Ort für die Aneignung von PCKenntnissen ist, sie verfügen jedoch vergleichsweise über die geringsten Computerkenntnisse (vgl. Abb. 14). Demnach bestimmt der soziale Status der Familie, welche Inhalte wo erlernt werden und wie das Gelernte genutzt wird.218 Abbildung 14: Verfügbarkeit und Nutzung von Computern von Schülern219 Quelle: Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006, S. 62 Weiterhin ist abzulesen, dass es an den Schulen in Deutschland bisher noch nicht gelungen ist, den Defiziten von sozial benachteiligten Jugendlichen entgegenzuwirken. 216 Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, 1997, S. 30 Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006, S. 61 f. 218 ebd. S. 62 219 in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft 2003 in Prozent 217 51 Der förderliche Einfluss von Computern in den Schulen ist recht gering, wenn man die Kompetenzen von Jugendlichen mit rudimentärer häuslicher Computerausstattung und Jugendlichen mit komfortabler häuslicher Computerausstattung vergleicht. Die Schüler, die zu Hause gut ausgestattet sind und bereits Kompetenzen besitzen, profitieren sogar noch mehr vom schulischen Computereinsatz als ihre benachteiligten Mitschüler. Dies lässt vermuten, dass der Unterricht an den Schülern mit besseren Computerkenntnissen orientiert ist, was die schlechter Gebildeten in dem Bereich überfordert und demotiviert.220 Folglich ist die Förderfunktion der Schule vor allem für Jugendliche mit schlechteren Voraussetzungen (z.B. keine Computerausstattung zu Hause) sehr wichtig. Sie egalisiert die sozialen Ungleichheiten allerdings nicht, sondern verstärkt herkunftsbedingte Nutzungs- und Kompetenzunterschiede noch weiter221, da die Schüler mit besseren Startbedingungen 222 profitieren. am meisten von der unterrichtlichen Förderung Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien und mit Migrationshintergrund haben die schlechtesten Bildungschancen in Deutschland.223 Abbildung 15: Ausstattung mit Laptops / PCs nach Schulform224 Quelle: TNS Infratest, Initiative D 21, 2006, S. 8 Hinzu kommt laut der PISA-Studie225 2003 das Problem, dass Computer in Schulen in keinem anderen OECD-Staat226 (Durchschnitt 39%) so selten eingesetzt werden, wie in 220 Senkbeil, M., 2005, S. 165 Vor allem im Vergleich mit anderen OECD-Ländern, siehe PISA-Studie 2003 222 Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006, S. 63 223 Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2005, S. 10 224 Repräsentative Zufallsstichprobe: 1.150 Telefoninterviews mit deutschsprechenden Schüler von 14-24 Jahren 225 PISA = ‚Programme for International Student Assessment’; durch die OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) durchgeführte Studie, misst seit 2000 alltagsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten 15-jähriger Schüler (alle 3 Jahre) 221 52 Deutschland (21%).227 Die Gesamtausstattung mit Computern ist in Gymnasien bereits mehr fortgeschritten, als an Hauptschulen. Die beruflich benachteiligten Hauptschüler benötigen die Unterstützung in dem Bereich jedoch am dringendsten (vgl. Abb. 15).228 Bezogen auf die vorhandenen IT-Kompetenzen haben dies rund 200 Personalentscheider in einer aktuellen Studie bestätigt. Laut ihnen vermitteln Hauptschulen am wenigsten Fähigkeiten in dem Bereich für die BewerberInnen. Von den Befragten gab lediglich 1% an, dass diese Schulform ‚IT-Kompetenzen am besten vermittelt’.229 Im internationalen Vergleich fällt ebenfalls auf, dass es für deutsche Schulen noch Entwicklungspotential in dem Bereich gibt. Es müssen sich rund 11 Schüler einen Computer teilen, was für die Vermittlung von individuellen Fähigkeiten nicht förderlich sein kann (vgl. Abb. 16).230 3,7 Dänemark Norwegen 4,2 4,8 Niederlande 5,0 Großbritannien Schweden 5,9 Finnland 5,9 6,3 Österreich Frankreich 7,7 9,1 EU Irland 10,0 Ungarn 10,0 Spanien 10,0 11,1 Deutschland Italien 12,5 16,7 Polen 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Abbildung 16: Anzahl der Schüler pro PC in Europa, 2006 Quelle: in Anlehnung an BITKOM, 2007, S. 10 Die betroffenen Jugendlichen erfahren, wie bereits erwähnt, wenig familiäre Unterstützung bei der Aneignung von Kompetenzen, demnach auch für PC- und Internetkenntnissen. Hinzu kommt, dass nicht berufstätige Menschen seltener zu den Internetnutzern zählen (vgl. Kap. 3.2.4). Das bedeutet, dass die Eltern diese Fähigkeiten selbst nicht besitzen und somit nicht weitergeben können. 226 Mitgliedsstaaten siehe http://www.oecd.org/ Senkbeil, M., 2005, S. 158 228 TNS Infratest, Initiative D 21, 2006, S. 8 229 Initiative IT-Fitness, 2007b 230 Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, 2007, S. 10 227 53 Wenn man nun zusammenfasst, dass die Unterstützung der Eltern am wichtigsten für die Lernerfolge der Kinder ist, die sozial Benachteiligten diese aber selten erfahren, und die Schulen die Ungleichheiten eher verstärken, steigt die Bedeutung der offenen Jugendarbeit enorm. 6.4.2 Öffentliche Zugangsorte Wie bereits in Kap. 4.3 erwähnt können Einrichtungen der offenen Jugendarbeit einen wichtigen Beitrag zur Bildung und Vermittlung von sozialen Kompetenzen für die jugendlichen darstellen. Jugendsozialarbeit bietet jungen Menschen, die aus individuellen oder sozialen Gründen in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt sind, Unterstützung. Sie richtet sich bspw. an Jugendliche in Problemsituationen, mit Migrationshintergrund, ohne Schul- oder Ausbildungsabschluss, Schulverweigerer oder Ausbildungsabbrecher. Neben der Unterstützung im Bereich der schulischen und beruflichen Qualifikationen (um Anschlüsse wiederherzustellen) stehen vor allem die Identitätsund Persönlichkeitsentwicklung und die Entfaltung von sozialen Kompetenzen der Jugendlichen im Mittelpunkt. Dies ist für eine selbständige Lebensweise und in Bezug auf die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt wichtig.231 „Jungen Menschen, die zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind, sollen im Rahmen der Jugendhilfe sozialpädagogische Hilfen angeboten werden, die ihre schulische und berufliche Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern.“232 (§ 13, Jugendsozialarbeit) Für HauptschülerInnen haben öffentliche Zugangsorte für das Internet eine besondere Bedeutung, da sie in ihrem familiären Umfeld zu wenig Anregung und Unterstützung erfahren.233 Gegebenfalls finden die Jugendlichen in ihren z.T. problematischen Familien- und Wohnsituationen nicht die nötige Ruhe, um sich den Computer (sofern ein Gerät im Haushalt zur Verfügung steht) zu nutzen. In diesen Fällen können öffentliche Einrichtungen ein Zufluchtsort sein, wo die Jugendlichen eine angenehme Atmosphäre vorfinden und sich zusätzlich neben der Möglichkeit zur Aneignung von Kompetenzen über ihre privaten Probleme austauschen können. Um die Qualifikation und Motivation der Jugendlichen zu steigern, sollte bei der internetgestützten Jugendarbeit das spielerische Erlernen des Umgangs mit dem Medium eingesetzt werden, bei dem die Teilnehmer beispielsweise eine Disco-Abend in ihrer Stadt planen oder Informationen über ihren Fußballverein herausfinden sollen. Durch den persönlichen Bezug zu dem Thema sind sie engagierter und durchhalte231 Rauschenbach, T., et al., 2004, S. 283 Sozialgesetzbuch VIII, § 13, 1; vgl. http://www.sozialgesetzbuch-bundessozialhilfegesetz.de/ 233 Niesyto, H., 2004, S. 122 f. 232 54 fähiger; sie neigen weniger dazu, bei Nichterfolg abzubrechen. Die erworbenen Fähigkeiten können dann auf ‚offiziellere’ Themen, wie z.B. die berufsrelevante Nutzung übertragen und angewendet werden.234 Allerdings scheitert die Vermittlung von berufsrelevanten Nutzungsformen und deren Anwendung oft an der fehlenden Zukunfts- und Zielorientierung der Jugendlichen. Im Alter von 13-17 Jahren handeln sie grundsätzlich eher gegenwarts- statt zukunftsbezogen und eher prozess- statt ergebnis-/bzw. zweck-orientiert. Die entwicklungstypischen Enttäuschungs- und Negationsphasen sind bei den Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten oft sehr stark ausgeprägt.235 Den Jugendlichen fehlen häufig wichtige Grundvoraussetzungen wie traditionelle Kulturtechniken, Lernmotivation bzw. -disziplin oder ein förderndes Umfeld. Daher können Maßnahmen der digitalen Integration nur wirken, wenn sie in soziale Integration eingefasst sind. Dies gilt auch für die Vermittlung von Medienkompetenz für berufliche Belange, sie kann durch die Einbettung von technisch orientierten Projekten in soziale Integrationsmaßnahmen verbessert werden. Diese sollten jedoch sinnvoll zwischen den verschiedenen beteiligten Organisationen abgestimmt werden.236 Auf der einen Seite sollte Medienbildung gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung abbauen und verhindern. Auf der anderen Seite dürfen durch vorrangig instrumentelle und auf Wissenserwerb ausgerichtete Konzepte die sozial- kommunikativen Aspekte nicht in den Hintergrund rücken. Die Jugendlichen müssen beim Umgang mit den Medien beobachtet und begleitet werden, um auf ihre jeweiligen zielgruppenspezifischen Bedürfnisse eingehen zu können.237 Die öffentlich geförderten Bildungsprojekte sind in einem doppelten Dilemma: 1. ist es sehr schwer, überhaupt sozialen Zugang zu den Personengruppen mit Lernbarrieren zu finden, da sie über institutionalisierte Lernorte (KiTas, Schulen, Ausbildungsstätten, Hochschulen, Arbeitsplätze) nicht mehr erreichbar sind; 2. sind die Erfolgsaussichten schwer abzuschätzen und schwer messbar.238 Weiterhin finden Jugendliche im Internet viele Beratungsangebote zur Seelsorge, bei denen sie sich per E-Mail, im Chat oder in Foren Rat holen können oder Hilfestellungen bekommen. Vorteilhaft dabei ist, dass die Jugendlichen ‚da abgeholt’ werden, wo sie sich gerade befinden (z.B. zu Hause). So müssen sie keine Beratungsstelle aufsuchen (und sind zeitlich uneingegrenzt), was eine Barriere darstellen könnte. Weiterhin äußern sie ihre Probleme gegebenenfalls eher oder 234 Kubicek, H., 2006, S. 46 ebd. S. 50 ff. 236 ebd. S. 53 ff. 237 Niesyto, H., 2004, S. 125 238 Winkelmann, M., 2004, S. 53 235 55 offener, da dies im Internet anonym geschehen kann, was zusätzlich Schwellenängste abbaut.239 Allerdings sind die Jugendlichen mit niedrigem Bildungsniveau bei den Nutzern stark unterrepräsentiert, obwohl gerade sie durch ihre zum Teil schwierigen Familienverhältnisse o.ä. die Klientel der Seelsorge sind. 240 6.5 Berufliche Relevanz von Medienkompetenz Das Internet wird in vielen Berufen zu einem wichtigen Arbeitsmittel. Die kompetente Nutzung der neuen Medien kann Einfluss auf die Wettbewerbsposition der einzelnen Bewerber haben. Daher bedarf es der Vermittlung von Medienkompetenz in der Schule und der Berufsausbildung, um sich an die veränderten Anforderungen anpassen zu können.241 In einer aktuellen Befragung von rund 200 Personalverantwortlichen kam heraus, dass unter ihren Auszubildenden hat fast die Hälfte (46%) keine ausreichenden Computerund Internetkompetenzen besitzen. Dies ist jedoch für zwei Drittel (66%) der befragten Personalentscheider aus Handwerk und Industrie sehr wichtig. Die Berufsanforderungen steigen in dem Bereich zudem stetig an.242 Auch in den traditionellen Handwerksberufen (z.B. Zimmerer, Betonbauer, Bäcker) wird der sichere Umgang mit Computer und Internet vorausgesetzt.243 Es ist allerdings auch schwer für die Arbeitgeber einzuschätzen, über welche IT-Kompetenzen die Bewerber verfügen, da sie selten Zeugnisse oder Zertifikate darüber besitzen. Dies ist aber ein sehr wichtiger Bestandteil von Qualifikationen. Allerdings gaben 61 % der Befragten aus Unternehmen mit bis 50 zu Mitarbeitern (und 45 % der Befragten aus Unternehmen ab 50 Mitarbeitern) ebenfalls an, dass in ihren Abteilungen keine ausreichende Ausbildung für die Computer- und Internetkompetenz geleistet wird.244 Es ist also auch wichtig, dass in den Unternehmen Mitarbeiter vor Ort sind, die die Kompetenzen vermitteln können. Auf dem Arbeitsmarkt gelten diese Kompetenzen inzwischen als ‚unverzichtbare Schlüsselqualifikation’. Über 80% der Befragten gaben an, dass vorhandene ITKenntnisse ein wesentlicher Faktor sind und Jugendliche mit diesen Fähigkeiten somit bei der Ausbildungs- und Berufssuche mehr Chancen haben. In fast jedem Arbeitsund Geschäftsprozess (auch in nahezu jedem Beruf des Handwerks) werden 239 Andererseits ziehen manche Jugendliche vielleicht ein direktes Gespräch unter vier Augen und eine persönlichere Atmosphäre bei der Besprechung und Bewältigung ihrer Probleme vor. 240 Klein, A., 2005, S. 236 f. 241 Kubicek, H., 2001, S. 373 242 Aktuelle und veränderte Berufsanforderungen vgl. Berufenet: http://infobub.arbeitsagentur.de/berufe/index.jsp 243 Initiative IT-Fitness, 2007a, S. 1 244 Initiative IT-Fitness, 2007c, S. 1 56 heutzutage Computer und Internet genutzt, daher wird dies bei den Auswahlverfahren so stark berücksichtigt.245 Die Jugendlichen mit Hauptschulabschluss, die das Internet nicht nutzen, sind für den Ausbildungs- und Berufsmarkt aufgrund ihrer formal niedrigeren Bildung und der fehlenden Medienkompetenz doppelt benachteiligt. Realschüler und Gymnasiasten, die meist bessere Internetkenntnisse mitbringen, haben somit unter vielen Bewerbern für eine Stelle bessere Chancen.246 Um die Chancen von Auszubildenden für einen erfolgreichen Einstieg in ihr Berufsleben zu verbessern, wurde das Internetangebot www.lehrlingegehenonline.de247 entwickelt. Somit wird den Lehrlingen die Möglichkeit verschafft, den Umgang mit gängiger Software selbst im Internet erlernen können, worüber sie nach einer Prüfung ein Zertifikat für Bewerbungen erhalten. Die Auszubildenden können sich dort untereinander austauschen und gegebenenfalls unterstützen und sich über Neuigkeiten im handwerklichen Bereich informieren.248 Es werden zudem mittlerweile zahlreiche Stellenangebote im Internet offeriert. Vor allem hoch qualifizierte potentielle Arbeitnehmer nutzen es als zentrales Medium bei ihrer Arbeitsplatzsuche und um sich auf dem Markt zu orientieren. Zudem nutzen es viele Firmen, um nach geeigneten Fachkräften für ihre ausgeschriebenen Stellen zu suchen. Die Bewerber und Unternehmen erfahren bei ihren Suchen somit eine Erleichterung, mehr Service und Komfort.249 Weiterhin sind vielfältige Karriere-Portale entstanden, mit Angeboten wie MatchingVerfahren (Abgleich von Angebot und Nachfrage), Suchassistenten, persönlichen JobAgenten, Mail-Service, Karriereberatung und Weiterbildungsangeboten. In bestimmten beruflichen Segmenten ist es mittlerweile üblich, sich über das Internet für offene Stellen zu bewerben.250 Die bedeutet einen weiteren Nachteil für die Jugendlichen, die das Internet nicht nutzen. 245 Initiative IT-Fitness, 2007a, S. 2 Kubicek, H., Welling, S., 2004, S. 58 247 Von der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH), dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und Microsoft 248 Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk, 2007, S. 1 249 Boes, A., Preißler, J., 2002, S. 34 250 ebd. S. 35 246 57 7. Handlungsempfehlungen Nachfolgend werden Handlungsempfehlungen für die Förderung der Digitalen Integration und der Vermittlung von Medienkompetenz für eine selbstbestimmte Nutzung aufgeführt. Dies geschieht in Anlehnung an Gehrke auf der Steuerungsebene, der Anbieterebene und der Nutzerebene (allgemein und auf Jugendliche fokussiert). Diese Empfehlungen sind nicht isoliert zu betrachten, sondern sich immer einander ergänzend.251 7.1 Steuerungsebene Die Empfehlungen richten sich an Institutionen und Organisationen, die die Rahmenbedingungen schaffen. Dazu sind weitere Untersuchungen notwendig: Wie bereits erwähnt, rückt zunehmend die Frage danach, wie das Internet genutzt wird, in den Vordergrund. Für einen kontinuierlichen internationalen Vergleich sollte man sich nicht mehr lediglich quantitativ auf die Nutzung konzentrieren. Zur Analyse der möglichen Entwicklungen muss die Verschiedenheit der Nutzer und Nichtnutzer untereinander mit einbezogen werden.252 Es bedarf weiterer staatlicher Unterstützung für die Erhebung neuer differenzierterer Daten, bspw. nicht über eine Alterstufe allgemein sondern explizit über Hauptschüler, damit spezifischere Maßnahmen ergriffen werden können.253 Hier kann die Forderung von Warschauer aufgeführt werden, welche die Untersuchung der sozialen Strukturen und Probleme der differenten gesellschaftlichen Gruppen beinhaltet (vgl. Kap 3.4). Weiterführende ausführliche Untersuchungen zu den Differenzen der Internetnutzungsweisen der Jugendlichen könnten ihnen einen an ihren sozialen Kontext angepassten Zugang zu informeller Bildung gewähren. Dazu müssen die verschiedenen informellen Aneignungs- und Bildungsstrukturen der einzelnen Zielgruppen analysiert werden, um soziodemographische Einflussfaktoren identifizieren zu können.254 Insgesamt gilt es, Formen der medienpädagogischen Praxisforschung im Bereich von Hauptschul- und Migrationsmilieus deutlich zu verstärken, um noch mehr Erkenntnisse für die Entwicklung lebenswelt- und subjektorientierter Arbeitsformen zu erhalten. Es ist wichtig, mehr in die Entwicklung von methodisch-didaktischen Konzepten in der Medienpädagogik zu investieren, um dort bessere Angebote und Fortschritte zu 251 Gehrke, G., 2004, S. 37 ff. ebd. S. 42 253 Kubicek, H., 2001, S. 376 254 Kutscher, N., Otto, H.-U., 2004, S. 18 252 58 erzielen. Wichtige Impulse in dem Bereich könnte der verstärkende Dialog zwischen schulischer und außerschulischer Medienbildung geben.255 Nach Meinung der Autorin ist es im Nachhinein schwierig zu beurteilen, woran es lag, dass bisherige Nichtnutzer das Internet neuerdings gebrauchen. Wenn Befragungen der neu hinzugekommenen Onliner durchgeführt würden, um herauszufinden, warum sie das Medium nun nutzen, könnten diese Bereiche in Zukunft mehr gefördert werden. Allerdings spielen dabei viele subjektive Faktoren der einzelnen Befragten eine Rolle, die nicht auf die Masse zu übertragen sind. Außerdem kann die rasante Entwicklung in dem Bereich nur eine Momentaufnahme sein, die nach kurzer Zeit vielleicht schon wieder anders bewertet würde. So lassen sich jedoch ggf. richtungsweisende Tendenzen ablesen. Die Bereitschaft und der Wunsch, das Internet zu nutzen, steigen, wenn Menschen im persönlichen Umfeld (Bekannten- und Freundeskreis) dies auch tun; Netzwerkeffekte sind daher von enormer Bedeutung. Dazu sollten Initiativen zur Verbreitung von Netzwerkeffekten auf lokaler und regionaler Ebene unterstützt werden, vor allem bei Gruppen, die nutzungsfern, bzw. nicht technikaffin sind.256 Für Offliner, die keinen persönlichen Nutzen durch den Gebrauch des Internets sehen, sollten die Mehrwerte besser beworben werden.257 Nutzer und Nichtnutzer äußern erhebliche Bedenken in Bezug auf die Datensicherheit, den Datenschutz und die Glaubwürdigkeit von Informationen im Internet. Ein verlässlicher Rechtsrahmen (vertragliche Vereinbarungen, gesetzlicher Rahmen), der für alle Teilnehmer verbindlich gilt, ist dazu erforderlich.258 Um eine gleich verteilte gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen zu erreichen, ist es nötig, die Ungleichheit fördernden gesellschaftlichen Strukturen zu verändern.259 Initiativen zur stärkeren Teilhabe der Bevölkerung sollten jedoch auch immer mit ökonomischen Innovationsinitiativen kombiniert werden. So werden gesellschaftspolitisch wünschenswerte und wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen verbunden.260 Allerdings können die kulturellen, sozialen und ökonomischen Ungleichheiten durch politische Maßnahmen nicht schlagartig aufgehoben werden.261 255 Niesyto, H., ebd. S. 126 Gehrke, G., 2004, S. 37 257 ebd. S. 33 f. 258 ebd. S. 41 259 Boes, A., et al., 2006, S. 2 260 Gehrke, G., 2004, S. 39 261 Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen, 2002, S. 35 256 59 Es kommen besondere Herausforderungen auf den Bildungsbereich zu. Neben mehr Investitionen in Bildung bedarf es inhaltlicher und struktureller Reformen des Bildungssystems, da die Bildung neben der Entwicklung individueller Persönlichkeit und Teilhabe der Einzelnen an der Gesellschaft auch über die Zukunftsfähigkeit einer demokratisch konstituierten Gesellschaft entscheidet.262 7.2 Anbieterebene Diese Empfehlungen richten sich an diejenigen, die die Dienstleistungen und Produkte für die Nutzung der neuen Technologien bereitstellen. Sie sind eher allgemein gehalten und beschränken sich auf die Digitale Integration: Die Verbesserung der Handhabbarkeit und Nutzerfreundlichkeit von Geräten und Programmen (auch in Bezug auf Barrierefreiheit) sollte auf der Anbieterseite stets mit einbezogen werden. Es bedarf kompatibler Plattformen für die Vielzahl der unterschiedlich genutzten Medien, damit ein unkomplizierter Austausch von gespeichertem Wissen und der einfache Transfer von digitalisierten Informationen gewährleistet werden kann.263 Attraktive Zugangs- und Nutzungsmodelle könnten die Nutzerzahlen, Nutzungsformen und -intensitäten positiv beeinflussen. In dem Bereich spielen die Kosten des Zugangs und der Nutzung bzw. die Bandbreite (für die Übermittlung großer Datenmengen u.a.) eine große Rolle. Weiterhin müssen die Angebote spezifischer und bedarfsgerechter auf die differenten Zielgruppen ausgerichtet sein, um den jeweiligen individuellen Mehrwert herauszustellen. Gegen Vorbehalte der Nichtnutzer können weiterhin vertrauenswürdige und glaubwürdige Angebote als Orientierungshilfe geschaffen werden – bspw. durch die Angabe von Quellen oder eine gut ersichtliche Trennung von Werbung und Informationen.264 Aus Nutzersicht ist es sehr schwer, aus der Vielfalt der Angebote ein geeignetes und passendes für sich zu finden.265 Dazu ist es wichtig, mehr Transparenz zu bieten, z.B. durch die Bildung von Standards. Einerseits benötigen die Nichtnutzer einen besseren Überblick, wie sie in das Internet einsteigen können. Andererseits können sich die neuen Nutzer somit besser in der Fülle der Informationen zurechtfinden. Dazu sind Linksammlungen, Portale und Glossars hilfreich. 262 Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2003, S. 40 263 Gehrke, G., 2004, S. 39 264 ebd. S. 40 265 Kubicek, H., 2001, S. 376 60 7.3 Nutzerebene Auf dieser Ebene existieren diverse Einflussfaktoren auf die Internetnutzung und die Aneignung von Medienkompetenz, für die jeweils individuelle Empfehlungen aufgeführt werden: 7.3.1 Eltern Bei der Elternbildung werden gerade die ‚problematischeren’ Familien (in schwierigen und benachteiligten Lebenssituationen, Eltern mit geringer Sensibilität für die eigene Vorbildfunktion) nicht erreicht. Um dem entgegenzuwirken müssen neue Bildungskonzepte erarbeitet werden. Ein Ansatz wäre die stadtteilorientierte Arbeit (Kontaktaufnahme zu Streetworkern, Familienverbänden oder sozialpädagogischen Familienhilfen). Die medienpädagogischen Informationsmaterialien müssen mehr auf die Zielgruppe ausgerichtet sein – meist sprechen sie eher diejenigen an, die sich bereits mit der Materie auseinandergesetzt haben.266 7.3.2 Schule In den Schulen ist die technische Ausstattung Grundvoraussetzung für die Kompetenzvermittlung. Die Verbreitung von Computern und Internetanschlüssen an Schulen in Deutschland ist recht zufrieden stellend (es wurde in dem Bereich schon viel unternommen, vgl. z.B. Projekt ‚Schulen an´s Netz’, Kap. 3.5). Jedoch ist dies im Vergleich zu anderen Ländern (vgl. Kap. 6, Abb. 16) noch ausbaufähig. Um dies zu erreichen, sollten weitere Sponsoren (z.B. Unternehmen, aber auch Eltern) und Hilfsmittel herangezogen werden.267 Die Unternehmen suchen gut ausgebildete Bewerber, daher könnten sie auch schon früh etwas dafür investieren. Es käme ihnen später wiederum zu Gute. Die Lehrer sollten sich nicht darum kümmern müssen, wenn technische Probleme auftauchen. Sie müssen in dem Bereich durch technischen Support von Experten entlastet werden.268 50% der Lehrlinge haben laut den befragten Personalentscheidern keine Motivation, sich die IT-Kompetenzen eigeninitiativ anzueignen.269 In dem Bereich könnten sie also 266 Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, 1997, S. 31 Thomas, U., 2002, S. 96 268 Kubicek, H., Welling, S., ebd. S. 118 269 Initiative IT-Fitness, 2007a, S. 2 267 61 noch Unterstützung erfahren. Beispielhaft kann dazu die Hauptschule Körbecke270 als Vorbild aufgeführt werden: Zusätzlich zu seinem Zeugnis bekommt jeder Schüler eine ‚Kompetenzmappe’, die seine Stärken aus allen Lebensbereichen beinhaltet. Durch die Hervorhebung ihrer Talente erfahren die Schüler positive Anerkennung und entwickeln mehr Motivation, diese auzubauen. Die Schule hat weiterhin ein umfassendes Konzept zur Berufsorientierung ab der fünften Klasse eingeführt. Die Schüler können sich auch nach dem Unterricht, an Wochenenden, in den Ferien, sogar nach dem Schulabschluss an ein ‚Zentrum für die Berufswahlorientierung’ wenden. Dort geben u.a. ehemalige Schüler ihre bisherigen Lebens- und Berufserfahrungen an die Schüler weiter. Die Quote der Schüler, die in eine Ausbildung übergehen, liegt bei 64 %.271 Weiterhin sollten verstärkt Konzepte und Aktivitäten für die Vermittlung von Medienkompetenz in Schulen gefördert werden, um diejenigen zu erreichen, die die informellen Angebote nicht nutzen. Die Lehrpläne müssten mehr auf die Anforderungen der Arbeitgeber eingehen, um die Jugendlichen darauf vorzubereiten. Wenn die neuen Technologien mehr in den Unterricht eingebunden werden, würden sie sich zu einem selbstverständlichen Standard entwickeln. Es wäre sehr vorteilhaft, wenn es in den Schulen möglich wäre, kleinere Lerngruppen einzurichten, da es sich gerade für die weniger lernbereiten Schüler begünstigend auf ihre Teilnahme und Aufmerksamkeit und somit den Lerneffekt bzw. -erfolg auswirkt.272 Dies ist allerdings aufgrund des fehlenden Personals und den unzureichenden Räumlichkeiten schwierig umzusetzen. Die Schulen müssten sich künftig enger mit den Familien verbinden, um an die Lernvoraussetzungen der Kinder anknüpfen zu können.273 So könnten Schüler, Eltern und Lehrer in einen engeren Dialog treten. Durch die Kooperation zwischen Schulen und Jugendarbeit könnte den Jugendlichen ein umfassenderes, aufeinander abgestimmtes Bildungsangebot geboten werden. 7.3.3 Öffentliche Einrichtungen Elementare Grundvoraussetzungen für die Vermittlung von Medienkompetenz an die Jugendlichen sind die technische Ausstattung (und ihr Zustand, z.B. Breitbandanschluss) sowie personelle und materielle Ressourcen.274 270 Gewinner des ‚Hauptschulpreises 2007’ Gemeinnützige Hertie-Stiftung, 2007, S. 1 272 Mathern, S., 2003, S. 273 273 Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen, 2002, S. 36 274 Croll, J., Brüggemann, M., 2007, S. 142 271 62 Es wäre fatal, wenn potentielle Nutzer aufgrund des Zustandes der technischen Ausstattung schlechte Erfahrungen machen würden und daher keinen Drang verspüren, die Medien zu nutzen (vgl. ‚Inequality in technical apparatus’ Kap. 3.4.). Weiterhin ist für den erfolgreichen Betrieb der Einrichtungen ein umfassender Support für die Hard- und Software sehr wichtig. Die MitarbeiterInnen vor Ort besitzen diese Kompetenzen und die Zeit dazu oft nicht, daher sollten sie durch Experten im Bereich der Wartung entlastet werden.275 Die kontinuierliche Beschäftigung qualifizierter Mitarbeiter ist ebenfalls elementar. Der Alttag in öffentlichen Einrichtungen ist jedoch oft von Personalmangel, starker Fluktuation und befristeten Arbeitsverhältnissen geprägt. Es sollten weitere Ressourcen für sie zur Verfügung gestellt werden, damit neue Mitarbeiter eingestellt oder vorhandene längerfristiger beschäftigt werden können. In dem Rahmen sollte auch eine Förderung von ehrenamtlichem Engagement einhergehen.276 Öffentliche Einrichtungen sind oft nicht dauerhaft finanziert und unterstehen keinem professionellen Management. Dort müssten mehr Infrastrukturen und Ressourcen geschaffen werden, damit der Betrieb nicht mehr so improvisiert verläuft. Nur nur langfristige und auf Kontinuität angelegte medienpädagogische Maßnahmen sind erfolgsversprechend. Es sollte auf mehr Kooperation und Erfahrungsaustausch unterhalb der Einrichtungen gesetzt werden.277 Die Vermittlungsstellen sollten weiterhin Kompetenzen entwickeln, Finanzmittel aus Förderprogrammen (und Spenden, Sponsoring) einzuwerben und Eigenmittel zu erwirtschaften. So können sie der oft vorherrschenden Planungsunsicherheit entgegenwirken.278 Kooperationen und Zusammenarbeit verschiedener Institutionen in regionalen oder lokalen Netzwerken sind ebenfalls elementar.279 Für die sozial integrative Jugendarbeit ist es bereits anerkannt, dass die verschiedenen beteiligten Einrichtungen sich intensiver gegenseitig unterstützen müssen.280 Die technische und kognitive Medienkompetenz, die für eine mehrwertige Internetnutzung benötigt wird, kann bei sozial- und bildungsbenachteiligten Menschen nicht vorausgesetzt werden. Die öffentlichen Einrichtungen sollten im sozialen Umfeld der Betroffenen angesiedelt sein. Multiplikatoren dieser Institutionen kennen meist die Probleme ihrer Zielgruppen und können somit kontextrelevante Medienkompetenz vermitteln. Diese Bildungsangebote können die praktische Nutzbarkeit und die 275 Kubicek, H., Welling, S., 2002, S. 118 ebd. S. 118 f. 277 Kubicek, H., 2001, S. 376 278 Kubicek, H., Welling, S., 2002, S. 119 279 Croll, J., Brüggemann, M., 2007, S. 138 280 Niesyto, H., 2004, S. 129 276 63 persönliche Nützlichkeit für den Einzelnen herausstellen, so dass die Nutzer positive Erfahrungen machen und die allgemeine Akzeptanz gesteigert wird. Sie können dadurch einen entscheidenden Beitrag zur gezielten Förderung der effektiven Nutzung durch alle Bevölkerungsgruppen leisten.281 Es ist wichtig, den Jugendlichen dezentrale Zugangsformen zu bieten, auf sie zuzugehen und aktiv Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Dies kann über aufsuchende Medienarbeit, mobile Angebote, schulische und außer-schulische Kooperation oder Schnupperangebote geschehen. Allgemeine Ausschreibungen oder der Versuch, Jugendliche über ihre Eltern zu erreichen, sind oft nicht förderlich.282 Das Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen sollte in einem ungezwungenen Rahmen geschehen.283 Wenn ihnen die Zeit gegeben wird, ‚Experimentieren’ und Erfahrungen zu sammeln zu dürfen, geraten sie weniger unter Leistungsdruck und können trotz z.T. vorhandener Aufmerksamkeits- bzw. Konzentrationsschwäche produktiv etwas erarbeiten. Außerdem kann diese Freiheit mehr Kreativität fördern. Es ist weiterhin wichtig, dass die Inhalte der Fortbildungen möglichst transparent gehalten werden, damit sie gut nachzuvollziehen sind.284 Man sollte konkrete Fragestellungen und Probleme aus dem sozialen Umfeld der Jugendlichen (und anderen Zielgruppen) in den Mittelpunkt der Projekte stellen. So können sie bei den thematisch ausgerichteten Veranstaltungen exemplarisch lernen und es ggf. sinnvoll für ihren Alltag nutzen.285 (vgl. Ettema/Kline, Kap. 3.1) Durch die Orientierung an den Bedürfnissen und der Erfahrungs-, und Lebenswelt der Jugendlichen, werden ihnen Möglichkeiten zum Selbstausdruck geboten.286 Es ist wichtig, die Stärken der Jugendlichen herauszustellen und sich an ihren Fähigkeiten und Interessen zu orientieren. Im Schulalltag werden ihnen ihre Defizite oft genug bewusst. (vgl. Kap. 6.2.2) Die Erfolgserlebnisse können ihre Motivation enorm fördern.287 Zudem ist es wichtig, dass die Jugendlichen einen persönlichen Gebrauchs-, bzw. Mehrwert erfahren. Durch kreativ-gestalterischen Selbstausdruck mit Medien zu persönlichen Interessen sind sie bereit, etwas zu investieren. Durch die multimedialen digitalen Techniken ergeben sich für sie zudem neue Aneignungs- und Ausdrucksformen – im Vergleich zu den analogen Medien. Wenn sie z.B. die audio281 Croll, J., 2004, S. 88 Niesyto, H., 2004, S. 129 283 Fr. Croll u. Fr. Brüggemenn haben dieses Projekt als nicht repräsentative Stichprobe und daher nicht allgemeingültig für NRW bezeichnet. 284 Croll, J., Brüggemann, M., 2007, S. 144 f. 285 Winkelmann, M., 2004, S. 54 286 Niesyto, H., 2004, S. 129 287 Croll, J., Brüggemann, M., 2007, S. 145 282 64 visuellen Möglichkeiten entdecken, begegnen sie den Aufgaben oft mit Interesse, Neugier und Spaß.288 Neben technischen Erfahrungen spielt die Entwicklung einer reflexiven Nutzung und die kommunikative und soziale Interaktion eine große Rolle. Dies ist im Gruppenverband gut möglich. Es ist wichtig für sie, mit ihren Freunden zusammen Dinge zu erlernen, sich gegenseitig zu unterstützen und Spaß dabei zu haben. Jugendliche, die sich in anderen Kontexten engagieren (z.B. in Jugendverbänden), gehen mit den Strukturen im Internet auch differenzierter um.289 Daher sollte dieses Engagement im Offlinebereich zusätzlich gefördert werden. Es mangelt den Jugendlichen aus sozial schwierigen Verhältnissen oft an Schlüsselqualifikationen wie fehlender Verbindlichkeit. Auf die Computerarbeit bezogen ist es daher wichtig, Fähigkeiten im sozialen Bereich zu vermitteln. Für die Jugendlichen ist es oft wohltuend, einen geregelten Tagesablauf zu haben und es geschafft zu haben, mehrere Stunden konzentriert zu arbeiten, sich mit anderen abzustimmen und produktiv gewesen zu sein. Das erhöht ihr Aktivitätsniveau und steigert ihr Selbstbewusstsein.290 Eine wichtige Voraussetzung für die Nachhaltigkeit der vermittelten Kompetenzen ist die Bereitschaft der Jugendlichen, sich auch über das Projekt hinaus mit den Inhalten zu beschäftigen. Daher müssen zusätzlich Selbstlernaktivitäten gefördert werden.291 Es ist wichtig, alle einstiegsfreundlichen Projekte, welche die Möglichkeit von Primärerfahrungen fördern, zu unterstützen. Allerdings muss dabei die lebensweltliche Differenz der Offliner viel stärker in die Programme und Aktionen einfließen (zielgruppenspezifisch), da sie zum Teil sehr unterschiedliche Ansprüche an die Nutzung des Internets haben. 292 Öffentliche Internetzugangsorte sollten in Zukunft nicht mehr lediglich als Ersterfahrungsorte verstanden werden, sondern andere Nutzungsorte ergänzen. Indem sie bspw. Bedürfnisse befriedigen, die die Nutzer zu Hause oder am Arbeitsplatz nicht befriedigen können.293 288 Niesyto, H., 2004, S. 126 Kutscher, N., 2003, S. 8 290 Niesyto, H., 2004, S. 127 291 Welling, S., Brüggemann, M., 2004, S. 2 292 Gehrke, G., 2004, S. 37 293 Kubicek, H., 2006, S. 60 289 65 7.3.4 Multiplikatoren Multiplikatoren spielen eine Schlüsselrolle als Informationsvermittler bei der Förderung von Medienkompetenz. Durch Sensibilisierung und Stärkung der Multiplikatoren können die einzelnen Zielgruppen durch situations- und kontextgerechte Wissensvermittlung besser erreicht werden. Vor allem durch diejenigen, die sich abseits der institutionellen und etablierten Bildungswege engagieren und so auch Nutzungsferne erreichen.294 Für die Lehrpersonen sind zu o.g. Medienkompetenzen zusätzlich folgende Fähigkeiten nötig: sie müssen die Bedeutung der Medien und Technologien für die Bildung und Erziehung einschätzen und sie in Bezug auf ihre Wirkung auf die Kinder und Jugendlichen beurteilen können. Weiterhin sollten sie bei der Gestaltung der Lernprozesse die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten und -weisen mit einbeziehen, damit sie einen gleichberechtigten Zugang gewährleisten können. Ihre Innovationsbereitschaft muss hoch sein, damit sie bei den technischen Entwicklungen ‚mithalten’ können.295 Die Lehrer müssen besser qualifiziert und entlastet werden. Z.B. sollten sie sich nicht um technische Probleme kümmern müssen, dies sollte ein umfassender Support leisten. Bei der Vermittlung von Medienkompetenzen könnten sie ggf. von Ehrenamtlichen oder Eltern unterstützt werden. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die Schüler sich gegenseitig untereinander unterstützen (ggf. Ältere ihre Kenntnisse an Jüngere weitergeben). So ist die Gewährleistung der Qualität der Vermittlung und Aneignung jedoch schwierig. In Bezug auf die angehende Lehrergeneration kann man von einer sehr zufrieden stellenden Verbreitung der Computer- und Internetnutzung sprechen: Fast alle befragten Lehramtstudierenden einer Studie296 (98,2 %) nutzen einen Computer und 78,5 % das Internet.297 43 % der Befragten sind motiviert, in Zukunft den Unterricht mit neuen Medien zu gestalten, jedoch fühlen sich mehr als drei Viertel nicht gut genug vorbereitet, dies praktisch anzuwenden und zu vermitteln.298 Dort gibt es nach Auffassung der Autorin also noch Förderbedarf. Die Einstellung der Studierenden ist vorrangig positiv zu den neuen Medien. Sie besitzen selbst die 294 Gehrke, G., 2004, S. 38 Schulz-Zander, R., 1997, S. 107 296 Laut einer Befragung von 1.052 Lehramtstudierenden im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und der Heinz Nixdorf Stiftung, die 1999 an sieben deutschen Hochschulen durchgeführt wurde. 297 Baacke, D., et al., 1999, S. 2 298 ebd. S. 5 295 66 Kompetenzen, sie zu bedienen, haben jedoch Bedenken, diese Fähigkeiten umfassend weitergeben zu können. In dem Bereich könnten künftig Übungen angeboten werden, in denen die Studierenden dies für die Unterrichtspraxis trainieren können. Vielleicht könnte man die Studenten für ehrenamtliches Engagement (z.B. in den Semesterferien) in offenen Jugendeinrichtungen gewinnen, die oft unter Personalmangel und unter gering zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln leiden. Dort könnten die angehenden Lehrer ihre Kompetenzen in dem Bereich erweitern und die Einrichtungen könnten besser betreute Projekte anbieten. Dem gegenüber steht allerdings, dass wie gesagt befristete Arbeitsverhältnisse kontraproduktiv für kontinuierliche Programme sind. Nach der Phase der Einarbeitung, des ‚sich Aneinander gewöhnens’ und dem Aufbau von Vertrauen verlässt die jeweilige Person die Einrichtung wieder (um weiter zu studieren). Die Jugendlichen benötigen jedoch ein Beständigkeitsgefühl und Gewohnheiten. Die Wichtigkeit der Medienpädagogik verlangt danach, dass Medienkompetenzvermittlung in der Ausbildung von Lehrern, Erziehern und Sozialpädagogen berücksichtigt wird.299 Während der Projekte in öffentlichen Einrichtungen sollten die Vermittelnden nicht nur thematisch pädagogisch-funktional vorgehen, sondern sich auch Zeit dafür nehmen, einen persönlichen Bezug zu den Teilnehmern herzustellen. Das Gefühl zu haben, ernst genommen, akzeptiert und wertgeschätzt zu werden, ist gerade für die Jugendlichen wichtig. Es ist in den häufig kleineren Gruppen (als z.B. im Klassenverband) auch viel einfacher, individuell auf sie einzugehen. Für die Jugendlichen ist die zwischenmenschliche Kommunikation, die Möglichkeit zu fragen und um Unterstützung zu bitten, sehr bedeutend.300 Dazu ist ernsthaftes und glaubwürdiges Interesse nötig. Durch das Abweichen von klassischen Lehr-/ und Lernsituationen, können Jugendliche mit Abneigungen gegen die Schule positiv beim Lernprozess beeinflusst werden.301 Häufig entstehen Differenzen zwischen den Erwartungen der MitarbeiterInnen an die Jugendlichen und den Handlungspraxen, die sie im Endeffekt durchführen. Dies beeinflusst den Projekterfolg und die Zufriedenheit meist negativ.302 Die MitarbeiterInnen in den Jugendeinrichtungen sind selbst oft hohen beruflichen Belastungen ausgesetzt, was ihre Arbeit auch beeinflusst. Die Beschäftigungs- 299 Croll, J., Brüggemann, M., 2007, S. 158 Niesyto, H., 2004, S. 132 301 Croll, J., Brüggemann, M., 2007, S. 148 302 Welling, S., Brüggemann, M., 2004, S. 1 300 67 verhältnisse sind häufig eher unsicher oder befristet. Die finanziellen und zeitlichen Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen sind oft gering.303 Es ist sehr wichtig, dass die Mitarbeitenden sicher und vertraut mit den eingesetzten Medien umgehen können. So entsteht für sie während der Vermittlung die Möglichkeit, kreativ und experimentell vorzugehen und auf individuelle Probleme und Situationen zu reagieren.304 Sie sollten sich weiterhin mit den Vorlieben und benutzten Diensten der Jugendlichen auseinandersetzen (z.B. Chat), damit sie sich besser auf ihre Bedürfnisse einlassen können.305 Die eingeschränkte Lebensweltorientierung der MitarbeiterInnen in den Einrichtungen offener Jugendarbeit kann die computerunterstützte Arbeit behindern. Wenn sie nicht in der Lage sind, die Perspektive der Jugendlichen zu übernehmen, mündet dies schnell in Unverständnis. Sie müssen versuchen zu verstehen, welche Bedürfnisse und Themen die Jugendlichen mit den Medienangeboten verbinden. Oft stehen sie Anwendungen wie Computerspielen oder dem Chatten kritisch gegenüber. Meist sind diese jedoch ein guter Einstieg bei der Erlangung von Medienkompetenzen.306 Für MitarbeiterInnen ist häufig das Endprodukt (z.B. Erstellung einer Internetseite) eines Projektes sehr wichtig. Die Jugendlichen legen jedoch mehr Wert auf das Handeln selbst – unabhängig vom Ergebnis. Die Freiwilligkeit der Teilnahme steht oft im Gegensatz zu der ‚Erzwingung’ von Anwesenheit oder bestimmter Medienpraxen. Dies schränkt die Entwicklung vielfältiger Anwendungen (durch Ausprobieren) ein.307 Die Wort- und Schriftsprache der Pädagogen steht häufig im Gegensatz zu den Ausdrucksformen der Jugendlichen. Daher sollten bei den Qualifizierungsmaßnahmen für die Mitarbeitenden auch das Hinterfragen von Vorurteilen und das Einbeziehen von anderen Perspektiven eine Rolle spielen.308 Außerdem sollte die Thematisierung von jugendgefährdenden Inhalten Bestandteil der Qualifizierung sein, damit sie während ihrer Arbeit diesem Problem nicht unvorbereitet gegenüberstehen.309 Mitarbeiter und Jugendliche können sich auch gegenseitig unterstützen und austauschen. Wenn die Jugendlichen in manchen Bereichen mehr Kenntnisse besitzen als die Mitarbeiter, können sie diese weitergeben. Die Auflösung der klassischen Rollen kann die Motivation und das Selbstwertgefühl der Jugendlichen steigern.310 Es ist wichtig, den Jugendlichen einen gewissen Rahmen vorzugeben, jedoch sollte auch genug Zeit und Flexibilität zum Ausprobieren eingeräumt werden. Es ist ein 303 Croll, J., Brüggemann, M., 2007, S. 150 ebd. S. 150 305 ebd. S. 153 306 Welling, S., Brüggemann, M., 2004, S. 1 307 ebd. S. 1 308 Croll, J., Brüggemann, M., 2007, S. 153 309 ebd. S. 158 310 ebd. S. 155 304 68 freundschaftlicherer Austausch möglich, als im schulischen Unterricht. Die Präsentation der erarbeiteten Ergebnisse ist auch wichtig für das Selbstbewusstsein der Einzelnen. Sie erlernen dabei Schlüsselkompetenzen, wie z.B. Kritik anzunehmen und darauf einzugehen oder zum eigenen Produkt zu stehen.311 Steuerungsebene Anbieterebene Technische Infrastruktur Eltern Schule öffentliche Einrichtungen relevante Inhalte Qualifizierung Jugendliche Abbildung 17: Faktoren für Digitale Integration und Medienkompetenzvermittlung Quelle: eigene Abbildung (in Anlehnung an Kap. 7) Die einzelnen Wirkfaktoren sind in obiger Abbildung nocheinmal zusammengefasst: Die Steuerungsebene schafft die Rahmenbedingungen für alle Teilnehmenden, die Anbieter stellen die benötigten Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung. Die technische Infrastruktur (und ihre Güte) ist die Grundvoraussetzung, um Nutzer für das Internet zu gewinnen bzw. Medienkompetenz vermitteln zu können. Dies geschieht in der Familie und über die Multiplikatoren in der Schule und den öffentlichen Einrichtungen. Sie benötigen eine gute Qualifizierung in dem Bereich und sollten über relevante Inhalte verfügen, um an die Jugendlichen herantreten zu können. 311 Niesyto, H., 2004, S. 129 ff. 69 8. Fazit/Ausblick Zusammenfassend kann man aufführen, dass sich die Wissenklufthypothese (vgl. Kap. 3.1) in den aktuellen Studien für die Internetnutzung heutzutage bestätigt hat. Je höher das Bildungsniveau der Nutzer ist, desto vielfältiger und anspruchsvoller wird das Internet genutzt. Bezogen auf die Zielgruppe der sozial benachteiligten Jugendlichen lässt sich festhalten, dass sie im Gegensatz zu höher gebildeten Schülern seltener Zugang zum Internet haben und es weniger informationsorientiert nutzen. Sie sind unbedarfter in Bezug auf Sicherheitsaspekte (geben z.B. eher sensible Daten preis) und bewerten die Inhalte unreflektierter. Bei ihnen steht eher ein Fernseher im eigenen Zimmer, als ein Computer. Außerdem werden in ihren Familien seltener Tageszeitungen abonniert und sie lesen seltener Bücher (vgl. Kap. 6.3). Die häufig fehlende Unterstützung des Elternhauses und der an kompetenteren Schülern ausgerichtete Unterricht in der Schule verstärken dies zusätzlich. Wie bereits erwähnt sollte die Digitale Integration auch immer mit sozialer Integration einhergehen. Die Benachteiligungen sollten in allen Bereichen ausgeräumt werden. Allerdings ist in Deutschland bspw. durch das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit und der weiterhin gestiegenen Kinderarmut312 keine Entspannung der momentanen Lage in nächster Zeit zu erwarten. Es könnte ein Ansatz sein, in Zukunft zu versuchen, die Initiativen mehr auf die (eher bildungsfernen) Bevölkerungsteile auszurichten, die nicht über die Schule oder den Beruf erreicht werden können. Die Förderungsmaßnahmen konzentrieren sich momentan eher auf Schulen und öffentliche Einrichtungen. Die Unternehmen können Weiterbildungen für ihre Mitarbeiter anbieten, in der Erwachsenenbildung werden gerne öffentliche Bibliotheken und Volkshochschulen aufgesucht. Doch die Menschen, die diese Angebote nicht nutzen und keine Eigeninitiative für die Aneignung der Kompetenzen aufweisen, werden so nicht erreicht. Dazu wäre es nötig, sie in ihren Alltagsstrukturen aufzusuchen, wo sie sich ohnehin aufhalten und ihnen dort die Möglichkeit zu bieten, erste Erfahrungen mit dem Medium zu machen (ggf. beim Einkauf, in Arztpraxen, in Behörden etc.). Allerdings herrscht dort nicht die nötige Ruhe und Zeit, dies zu vertiefen. Dazu könnte man sie an ortsansässige Internetcafés o.ä. verweisen. 312 Der Paritätische Wohlfahrtsverband, 2007, S. 1 70 Es besteht in diesem Bereich noch weiterer Forschungsbedarf, wie in Kapitel 7 näher erläutert wurde. Wenn man allerdings die staatliche Fördermaßnahmen aufgrund von Analysen zu sehr auf einzelne benachteiligte Gruppen ausrichtet, besteht die Gefahr, dass die Unterschiede sich in manchen Bereichen angleichen, in anderen jedoch vergrößern. Momentan die Qualifizierung der Multiplikatoren für die fachkundige Weitergabe der Medienkompetenzen ein sehr wichtiges Anliegen. Denn nur so können den aktuell und nachwachsend benachteiligten Kindern und Jugendlichen mehr Chancen für die Teilhabe eingeräumt werden. Die Jugendlichen sollten auch heute schon im Bereich der Mediennutzung sensibilisiert werden, da sie ggf. bald auch Kinder haben und dies dann weitergeben können. Jedoch ist die momentane Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht gerade förderlich für die Motivation der Schüler mit niedrigem Bildungsniveau. Es ist sehr frustrierend für die, dass sie nach Aneignung von Kompetenzen doch abgewiesen werden, da es zu wenige Stellen gibt, oder ihnen höher Gebildete vorgezogen werden. Das Ziel von Digitaler Integration ist nicht, alle Menschen zu Internetnutzern zu machen, sondern, dass alle Menschen die Chance dazu haben. In Bezug auf einzelne Dienste, z.B. bei Bankgeschäften, ziehen manche Menschen den persönlichen Kontakt am Kundenschalter vor. Wird die bisherige Entwicklung der Technologien fortgeschrieben, ist von einer Verschärfung der gegenwärtigen Situation auszugehen. Es ist vorstellbar, dass viele Dienste zukünftig lediglich online oder nur gegen Aufpreis am Schalter angeboten werden. Daher ist es einmal mehr wichtig, allen Menschen die Möglichkeit zu geben, dies nutzen zu können. Dies wäre jedoch auch das ‚andere Extrem’, man würde die Bevölkerung zwingen, bestimmte Handlungen nur noch online durchführen zu können und ihnen so die Chance nehmen, offline zu bleiben. 71 Literaturverzeichnis ARD/ZDF-Medienkommission, 2007: Erste Ergebnisse der Onlinestudie 2007. http://www.daserste.de/service/onlinestudie-2007-vorab.pdf. [10.08.2007] Baacke, Dieter, 1997: Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer. Baacke, Dieter, Kai-Uwe Hugger, et al., 1999: Neue Medien im Lehramtsstudium. Hochschulnetzwerk Lehrerausbildung und neue Medien. Bertelsmann Stiftung, Heinz Nixdorf Stiftung. Bell, Daniel, 1979: Die nachindustrielle Gesellschaft. Reinbek: Rowohlt. Boes, Andreas, Anne Hacket, et al., 2006: Wer die digitale Spaltung beenden will, muss in der realen Gesellschaft anfangen. In: Das Parlament. Aus Politik und Zeitgeschichte 17-18. http://www.bundestag.de/dasparlament/2006/17-18/Thema/031.html [04.07.2007] Boes, Andreas, Josef Preißler, 2002: Berichtsgegenstand Digitale Spaltung. 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