Biografie von Reinold Hagen - Dr. Reinold Hagen Stiftung

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Biografie von Reinold Hagen - Dr. Reinold Hagen Stiftung
Dr. h. c. Reinold Hagen
(Text von 1966)
Wahrscheinlich ist es nur wenigen Menschen bewusst, wie sehr sich die wechselvollen Schicksale, die Kriege und Revolutionen, die Wirtschaftskrise und Wirtschaftsaufstiege unseres Jahrhunderts in den oft so dramatischen Lebenswegen führender
Männer der Wirtschaft spiegeln. In ihren Lebenswegen finden wir in erstaunlicher
Weise bestätigt, wie viel Tüchtigkeit, Tatkraft und ungebrochener Optimismus im
deutschen Volk in Erscheinung treten, wenn es die Zeitläufe erfordern.
Ein klassisches Beispiel hierfür ist Reinold Hagen, der Alleininhaber der KautexWerke in Hangelar/Siegburg bei Bonn. Die Erzeugnisse seiner Fabrik, die verschiedensten Hohlkörper aus Kunststoff samt den dazu notwendigen Maschinen sind
heute in der ganzen Welt bekannt, und die von ihm entwickelten Patente beherrschen den Herstellungsprozess in weiten Bereichen der Kunststoffindustrie. Die
Kautex-Werke sind eine der letzten großen Familienbetriebe in Deutschland. Einst
stellten sie das Rückgrat der mittleren Industrie dar, auf der die deutsche Wirtschaftskraft ruhte. Heute sind sie in einen fast verzweifelten Kampf um Selbstbehauptung gegenüber Großbetrieben und Großkonzernen anonymer Aktiengesellschaften verwickelt, den zu bestehen, von einer gewissen Größenordnung an, fast
nicht mehr möglich ist. Auch Reinold Hagen sieht mit einem spürbaren Anflug von
Resignation dem tag entgegen, an dem er bei weiterer Ausweitung seiner Fabrik, zu
der ihn die Konkurrenz und die gebotene Rationalisierung zwingen, auf Grund des
wachsenden Kapitalbedarfes die bisher gewahrte Unabhängigkeit aufgeben muss.
Seine Lage ist typisch für die unausweichliche Alternative: Bewahrung der Freiheit
als Familienbetrieb und Rückgang der Konkurrenzfähigkeit oder Anpassung an die
technische und industrielle Entwicklung und damit Preisgabe der Souveränität.
Gerade weil die Eigenart von Familienbetrieben innerhalb der deutschen Wirtschaft
immer eine besondere soziale und wirtschaftliche Bedeutung besaß, stellt ihr allmähliches Verschwinden einen schweren Verlust im Bild der Gesamtstruktur unserer Gesellschaft dar. Es charakterisiert Reinhold Hagen, dass er eigentlich ohne
Sentimentalität dieser Wirklichkeit ins Auge blickt; denn über seinem persönlichen
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Schicksal steht im das seines Werkes. Wenn er heute mit berechtigtem Stolz auf sein
leben zurückblickt und auf sein Werk, das er in wenigen Jahrzehnten, und zwar
zweimal, buchstäblich aus dem Nichts heraus geschaffen hat, verweilt er gern bei
den Jahren seiner Jugend, deren Härte und bittere Erfahrungen jene Charakterzüge
in seinem Wesen vertieft haben, die für den Erfolg seiner Arbeit entscheidend waren
und auch heute noch das fast ein wenig patriarchalische Verhältnis bestimmen,
welches man im Arbeitsklima seiner Fabrik spürt.
Ein Jahr vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, am 1. Januar 1913, wurde Reinold
Hagen in Siegburg als Ältester von 8 Geschwistern, 5 Jungen und 3 Mädchen, geboren. Vater Hagen, dessen Vorfahren seit Generationen in Siegburg ansässig
waren, übte den Beruf eines freischaffenden Architekten aus. Mutter Hagen, eine
geborene Goergens, deren Vorfahren aus Schweich an der Mosel und Blankenheim
an der Ahr stammten, zog schon als Kind mit den Eltern nach Krefeld. Als der kleine
Reinold gerade eineinhalb Jahre alt war und der Familie das zweite Kind geboren
wurde, musste Vater Hagen als Soldat in den 1. Weltkrieg, den er vier Jahre lang an
der russischen Front mitmachte. Nach seiner Heimkehr stand er mit der inzwischen
weiter gewachsenen Familie inmitten der Wirtschaftskrise, der Inflation und eines in
sich zerrissenen Deutschlands vor der schweren Aufgabe, sein Architektenbüro neu
aufzubauen. Vielleicht hat sein Sohn Reinold schon in diesen Jahren, in denen er die
Volksschule besuchte, jene wesentlichen Eindrücke empfangen, die sein eigenes,
künftiges leben mitbestimmten. Das Vorbild, das ihm der Vater beim Aufbau einer
neuen Existenz gab, die dafür notwendige eiserne Energie und Sparsamkeit, aber
auch das Beispiel der hilfsbereiten und um ihre Familie besorgten Mutter, die trotzdem noch Zeit fand, sich als Mitglied des Kreistages um die Interessen der Allgemeinheit zu kümmern, übten frühzeitig auf den Sohn großen Einfluss aus. Die
Familie hatte schwere Sorgen. Nicht nur über den Eltern, sondern auch über den
älteren Kindern stand von frühester Jugend an das Gebot harter Arbeit. Sie alle
mussten Entbehrungen auf sich nehmen und mit mancherlei Rückschlägen fertig
werden. Die große Familie, die im christlichen Geist erzogen wurde, war für den
Sohn Reinold eine gute Schule, die ihn lehrte, Verantwortung zu tragen und als
Ältester seinen Geschwistern ein Vorbild zu sein. Acht Kinder aufzuziehen, zu ernähren, zu kleiden und auszubilden, erforderte für alle manchen Verzicht. Auf den
Spuren des begabten Vaters entdeckte der Jüngling Reinold schon früh seine Be2
gabung und Leidenschaft für die Technik und für alles, was mit ihr zusammenhing. In
Siegburg absolvierte er das Realgymnasium. Sein Ziel war es, Ingenieur zu werden.
Nach Abgang vom Realgymnasium wurde er zunächst Volontär in einem Eisenhüttenwerk, den Klöckner-Mannstaedt-Werken in Troisdorf. Wenn Reinold Hagen
von jenen Jahren erzählt, in denen er als junger Mann arbeitete, erinnerte er sich
schmunzelnd an jenen Tag, an dem er seine erste Lohntüte erhielt. Es waren genau
10,40 Reichsmark, die dem Volontär in der Woche ausbezahlt wurden. Gut erzogen,
wie er war, nahm er die Tüte in Empfang und bedankte sich höflich bei dem Mann,
der sie ihm überreichte hatte. Erstaunt sah derselbe von seinem Schreibtisch hoch,
schüttelte verwundert den Kopf und sagte streng: „Wozu dankst du für das Geld? Es
steht dir doch zu, du hast es verdient.“
Damals, so meint Reinold Hagen, habe er das erste Mal das Selbstbewusstsein begriffen, das den arbeitenden Menschen erfüllen muss und er habe das Gefühl dafür
erhalten, dass der Lohn für Arbeit kein Almosen oder Geschenk darstelle, sondern
einen stolzen Rechtsanspruch. Etwas von diesem Geist ist auch heute in seinem
Verhältnis zu seinen Mitarbeitern, Angestellten und Arbeitern lebendig, für die er sich
immer mitverantwortlich fühlt. Da der kleine Verdienst des Volontärs dem jungen
Mann Reinold nicht genügte, und er daran denken musste, sich Geld für sein Studium zu ersparen, verwendete er seine Freizeit für verschiedene Bastelarbeiten. Er
baute Radioapparate, Tonverstärker und sogar Weihnachtskrippen. Dann wurde aus
dem Volontär des Hüttenwerkes der fleißige und erfolgreiche Schüler der Höheren
Technischen Lehranstalt in Schwäbisch-Gemünd, an der er 1935 sein Abschlussexamen ablegte. Da für ein weiteres Studium die finanziellen Mittel nicht reichten, trat
er seine erste größere Stellung im Laboratorium für Oberflächentechnik der Firma
Robert Bosch AG in Stuttgart an. Jetzt waren jeden Monat in seiner Lohntüte schon
240,- Reichsmark. Ein Drittel davon sparte er sich vom Munde ab, verzichtete auf die
Freuden der meisten seiner gleichaltrigen Kollegen; denn er wollte vorwärts kommen
und vor allem jenen Traum verwirklichen, dem er schon im Gymnasium angehangen
hatte, nämlich selbständig zu werden. Aufmerksam sah er sich in den Betrieben der
Firma Bosch um, versuchte zu erkunden, welche Herstellungszweige Erfolg versprachen, und wie man eine eigene Werkstatt aufbauen müsse.
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Durch seine Hoffnungen schien das Schicksal jedoch vorerst einen jähen Strich zu
machen. Völlig unerwartet brach das Unglück über die Familie Hagen herein. Der
Vater starb nach einer Gehirntumor-Operation. Das einzige, was er hinterließ, war
das haus der Familie Hagen in Siegburg. Noch drückten sieben Geschwister Reinold
Hagens die Schulbank oder bereiteten sich auf ihren Beruf vor. Die Lage, in der sich
die Mutter befand, war katastrophal. Physisch und seelisch leistete sie Unglaubliches, um ihre Kinderschar durchzubringen, und das verpflichtete alle Kinder, ihr je
nach Möglichkeit dabei zu helfen. Auf Reinold fiel die größte Last. Und nun tat er etwas in dieser Lage ganz Ungewöhnliches, gleichsam den Traum seiner Jugend mit
dem Zwang des Schicksals verbindend, in das der Tod des Vaters die Familie gestürzt hatte. Das bedingungslose Vertrauen der Mutter in den ältesten Sohn half ihm
dabei. Er gab seine sichere, wenn auch karg bezahlte Stellung in Stuttgart auf und
gründete in Siegburg eine kleine Fabrik, die eigentlich höchstens den Namen Werkstatt verdiente. Auf das elterliche Haus wurde eine Hypothek von 10000 Reichsmark
genommen. Sie bildeten das einzige Kapital, das für die Betriebsgründung zur Verfügung stand. Das Risiko, das der junge unerfahrene Mann auf sich nahm, schien am
Anfang erschreckend; denn es war ja nicht nur ein Risiko für ihn, sondern für die
ganze Familie, deren Schicksal vom Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens entschieden wurde.
Die „Galvanischen Werkstätten Reinold hagen“, die der junge Mann damals in einer
kleinen Halle errichtete, waren der Ursprung der Kautex-Werke von heute, die in der
ganzen Welt ein begriff sind. Neben galvanischen Arbeiten stellte Reinold Hagen
auch Stanz- und Ziehartikel her, deren Produktion bald im Mittelpunkt des Betriebes
stand. 20 Mitarbeiter waren es nach einem Jahr! Zwar gab es in jener Zeit der aufblühenden Wirtschaft in den ersten Jahren des Dritten Reiches kein nennenswertes
Absatzproblem; denn Reinold Hagen fand sofort zahlreiche ständige Kunden, die
dem jungen Unternehmen ihre Aufträge anvertrauten, aber der Betrieb hätte sich
seiner primitiven Anlagen nach und mit seinen traditionellen Herstellungsmethoden
kaum nennenswert weiterentwickeln können, wenn Reinold hagen nicht ein ganz besonderes Gespür für den Fortschritt, für die technische Entwicklung und ihre Zukunftschancen gehabt hätte. Damals, Mitte der dreißiger Jahre, machte erstmals in
Fachkreisen ein neuer Werkstoff von sich reden: der thermoplastische Kunststoff Polyvinylchlorid. Das Zeitalter der Kunststoffe begann, und Reinold Hagen begriff als
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einer der ersten, welche Möglichkeiten es bot. Noch haftete damals in der Vorstellung selbst großer Industriebetriebe dem Kunststoff der Charakter eines Ersatzproduktes an, dem man mit Vorsicht und Zurückhaltung gegenüberstand. Es schien
unvorstellbar, Maschinenteile, Instrumente und Behälter, die bisher aus Metall und
Stahl und festen Werkstoffen gemacht worden waren, plötzlich aus einem Kunststoff
anzufertigen, der seine Bewährungsprobe noch nicht bestanden hatte. Doch der
neue Kunststoff zeichnete sich durch seine Beständigkeit und Unangreifbarkeit gegen Chemikalien aus und war außerdem leicht zu bearbeiten. Die beginnende Rüstungswirtschaft machte Metalle aller Art außerdem zur Mangelware, was der Verbreitung des Kunststoffes entgegenkam. Reinold Hagen gelang es, vielerlei
technische Dinge, wie Dichtungen, Manschetten und Instrumente, für die Chemieindustrie herzustellen, die rasch Anklang fanden, und er entwickelte vor allem die
Herstellung neuartiger Schläuche und Profile aus dem neuen Kunststoff. Der fast
unbegrenzte Absatzmarkt ermöglichte es Reinold hagen, seine ganze Kraft dem
technischen und organisatorischen Ausbau seines Betriebes zu widmen. Schon nach
kurzer zeit war die Mutter aller Sorgen enthoben. Die Geschwister konnten dank der
Tatkraft ihres Bruders eine ungestörte Erziehung und Ausbildung genießen. Da es für
die neuen Herstellungsmethoden mit Kunststoffen keine passenden Maschinen gab,
begann Reinold hagen sie selbst zu konstruieren und mit Hilfe tüchtiger Ingenieure
und Handwerker auch selbst zu bauen. So entstanden die ersten Extruder, in deren
nachfolge heute fast in der ganzen Welt Kautex-Maschinen in Hunderten von Kunststoffwerken im Einsatz sind. Je mehr sich der Betreib entwickelte, desto ausschließlicher konzentrierte sich Reinold hagen auf den technischen Ausbau seiner Fabrik. Er
gab nicht nur selbst die Ideen für die Konstruktion neuer Maschinen, sondern rationalisierte und modernisierte die Produktion, um mit einem Mindestmaß an Arbeitskräften ein Höchstmaß an Herstellung zu erreichen. Offen gesteht Reinold Hagen,
dass er auch heute noch kein Organ für den Verkauf, die Finanzgebarung und Buchführung seines Betriebes habe. Dieser wichtige Zweig seines Unternehmens hat ihn
niemals interessiert. Vielleicht wäre dies für den Aufstieg seiner Fabrik eine schwere
Behinderung gewesen, wenn ihm das Schicksal nicht eine Hilfe gewährt hätte, die
noch heute für ihn und sein Werk wirksam ist. In die kleinen galvanischen Werkstätten des 24jährigen Reinold Hagen trat nämlich schon kurz nach Gründung des
Unternehmens die junge Buchhalterin Aenne Lütz ein. Sie besaß einen sicheren, ja,
fast genialen Blick für das Finanzielle und für alles, was mit Geld und zahlen zu5
sammenhing. Ihr verdankte Reinold Hagen, dass die innere Organisation des Betriebes und seine finanzielle Struktur mit dem technischen Aufstieg und der
wachsenden Produktion Schritt hielten und einwandfrei funktionierten. So wurden
Reinold Hagen und Aenne Lütz fast wie von selbst gute Kameraden, beide in der
gemeinsamen Arbeit aufgehend und beide von der Vorstellung besessen, dem
kleinen Betrieb Format, Umfang und Zukunft zu geben. Beinahe selbstverständlich
führte die Gemeinsamkeit der Arbeit und Unteressen auch zur menschlichen
Bindung, und im Sommer 1938 heirateten sie. Zwei Jungen und drei Mädchen entsprossen der Ehe; eine Familie, die ganz dem Geist des Elternhauses von Reinold
Hagen entspricht. Eltern und Kinder sind in der Sorge um den Betrieb schon heute
miteinander verbunden. Die Söhne bereiten sich darauf vor, an die Seite des Vaters
zu treten.
Noch immer würde sich Reinold Hagen lieber in den Maschinenhallen und Konstruktionsbüros aufhalten, als in seinem Chefbüro. Er hofft, dies im Jahre 1967 wieder
verwirklichen zu können. Und was macht ihre Frau?
„ Sie ist meine Finanzministerin“, sagt er mit zärtlicher Ironie, „und ich fahre noch
heute sehr gut damit.“
Mit zwei Mann begann Reinold Hagen seinen Betrieb im Jahre 1935, 1936 waren es
zwanzig. Bei Kriegsende beschäftigte er bereits 220 Menschen. Heute sind in seinen
Fabriken 1400 Angestellte und Arbeiter tätig. 2400 qm groß war das Grundstück mit
der alten Fabrikhalle, in die Reinold Hagen vor 30 Jahren seine galvanischen Werkstätten begann. 30,- Reichsmark zahlte er damals Miete dafür. Heute stehen moderne, vielstöckige Fabrik- und Verwaltungsgebäude auf einem Gelände von 40 000 qm.
Da es im bereich von Hangelar/Siegburg keine entsprechende Ausdehnungsmöglichkeit gab, hat reinold Hagen in Duisdorf eine Zweigfabrik errichtet, die nach
den
modernsten
Fertigungsmethoden
arbeitet
und
ein
Musterbeispiel
der
Rationalisierung im bereich der Kunststoffindustrie darstellt. In der Stadt Linden bei
New York hat Reinold Hagen ein eigenes Fabrikgebäude, das als Zentrum für die
Auslieferung seiner Maschinen an amerikanische Kunden dient und gleichzeitig den
Kundendienst an den gelieferten Maschinen versieht. Über ein weitgespanntes Vertreternetz werden heute in fast allen Staaten der Erde Kautex-Maschinen zur Her6
stellung von Kunststoffgegenständen geliefert, während mit der Produktion dieser
Kunststoffprodukte in den deutschen Fabriken Reinold Hagens überwiegend der Inlandsmarkt beliefert wird.
Hinter diesen nüchternen Feststellungen wird allerdings nicht das ganze Ausmaß der
Leistung Reinold Hagens sichtbar, die nur unter schweren Rückschlägen und oft
kaum überwindbaren Widerständen vollbracht werden musste. Das Schicksal hat
Reinold Hagen und seiner Frau kaum etwas von dem erspart, was Millionen Deutschen widerfuhr. Wenige Wochen vor Kriegsende wurden die gesamten Fabrikanlagen bei einem Luftangriff zerstört. Reinold Hagens Lebenswerk war in wenigen
Sekunden vernichtet. Er stand genau dort, wo er 1935 begonnen hatte. Wenige Wochen danach, in den dramatischen Tagen der Kapitulation, 7. mai 1945, wurde sein
jüngster Sohn geboren. Eine Familie mit fünf Kindern, eine vollkommen vernichtete
Existenz, wirtschaftliches und politisches Chaos in Deutschland, das war die Wirklichkeit, der Reinold Hagen und seine Frau im Mai 1945 gegenüberstanden. Das Gespenst der Sorge, das ihm in seinen Jugendjahren so vertraut gewesen war, stieg
wieder vor ihm auf. Um das Unglück vollzumachen, beschlagnahmte die britische
Besatzung das Wohnhaus der Familie Hagen, das einzige, was ihm, wie seinerzeit
seiner Mutter, geblieben war.
Heute kann Reinold Hagen von dieser zeit schon wieder mit einem Anflug von Humor
sprechen und sie in ihren seltsamen Erscheinungsformen, der improvisierten Organisation eines neuen Lebens für alle, beinahe heiter schildern.
„Unsere große Familie musste ein paar Jahre lang wie Zigeuner leben. Wir hausten
in kleinen Räumen, ohne eigene Möbel. Die Fabrik kam schneller in Gang als unser
privates Leben. Wenn Sie mir damals erzählt hätten, dass in 20 Jahren hier die Kautex-Werke stehen und 1400 Menschen beschäftigen würden, hätte ich Sie wahrscheinlich ausgelacht. So trostlos und hoffnungslos war damals unsere private Lage
und die unseres Unternehmens. Was blieb uns anderes übrig, als selbst, und zwar
mit unseren Händen Arbeit, damit anzufangen, womit damals Millionen Menschen
ihre Tage hinbrachten: den Schutt wegzuräumen und die spärlichen Reste der Maschinen oder besser gesagt, der Maschinenteile aus den Trümmern auszugraben,
die noch verwendbar waren. Sieben Getreue meiner Arbeiterschaft fanden sich
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schon wenige Tage nach Kriegsende bei uns ein, und mit ihnen gemeinsam schufen
wir die ersten Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Produktion. Wir kamen
uns vor wie Pioniere in einer Wüste und hatten noch keinerlei Vorstellung, wie wir
das Unmögliche schaffen sollten. Mit Geld konnte man ja nichts kaufen, weder Maschinen noch Rohstoffe. Löhne an Arbeiter zu bezahlen, war beinahe sinnlos, weil
sie sich davon fast nichts kaufen konnten. Nun, meine Frau und ich dachten nur immer daran, dass wir schon einmal mit Nichts begonnen hatten, obwohl es jetzt vielleicht noch schlimmer war, und wir ja außerdem noch für 5 Kinder zu sorgen hatten.
Im Rückblick von heute muten die Erinnerungen an jene Tage, Wochen und Monate
beinahe gespenstisch an. Die Arbeiter und Angestellte, die allmählich in immer größerer Zahl zu uns zurückkehrten, vertrauten darauf, dass wir ihnen halfen. Mit dem
Lohn konnten sie nur in unzureichender Weise die paar Lebensmittel Und Gebrauchsgegenstände kaufen, für die es Bezugsscheine gab. Mit den Lebensmittelkarten eine Familie zu ernähren, war kaum möglich. Wir haben heute schon vielfach
vergessen, wie groß das Elend damals war und mit welchen Mitteln sich der einzelne
über Wasser halten musste. Diese Mittel musste auch ein Betrieb anwenden, der
wieder hochkommen wollte. Unsre Arbeiter brauchten zum Beispiel Schläuche und
Reifen für ihre Fahrräder, um aus ihren oft weit entfernten Notquartieren zur Arbeit zu
fahren. Sie brauchten Arbeitshosen und feste Schuhe. Aber all dies gab es oft nur im
Tausch gegen eine Packung Zigaretten oder gegen irgendeinen Rohstoff, den der
Tauschpartner brauchte. Es war notwendig, unseren Arbeitern also nicht nur Lohn in
Geld, sondern auch in Natura zu bezahlen. Dabei half uns der Zufall. Wir hatten
außerhalb Siegburgs größere Materialvorräte verlagert; sie waren von Bombenangriffen und auch von den späteren Plünderungen verschont worden. Dieses Materiallager wurde zur eigentlichen Bank und zum Hauptkapital unseres Betriebes. Aus
vorhandenen Kunststoffplatten wurden Schuhsohlen, die wir gegen andere Dinge
tauschten oder zu Geld machen konnten, mit dem wir unsere Löhne bezahlten. Aus
vielen halbzerstörten Maschinen bastelten wir mühsam einige so weit zusammen,
dass wir in der Lage waren, mit der Produktion zu beginnen. Wir isolierten Kupferdraht und fertigten Wasserschläuche an und gaben einen teil unserer Produktion unseren Arbeitern und Angestellten für Tauschzwecke. So konnten sie sich Lebensmittel und Kleidung besorgen und heizmaterial für ihre Wohnungen. Eigentlich
wurden wir, meine Familie und unsere Arbeiter, in diesen Jahren zu einer großen
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Familie, die sich gegenseitig half und mit echter Anteilnahme gemeinsam am Aufbau
unserer Fabrik beteiligt war.
In jenen Tagen des allgemeinen politischen Chaos und der verzweifelten Lage in den
zerbombten und wirtschaftlich ruinierten Gemeinden erinnerte ich mich daran, wie
selbstlos meine Mutter sich bis 1933 trotz ihrer schweren Belastung mit der Familie in
der Kommunalpolitik betätigt hatte. Ihr Beispiel veranlasste mich, dasselbe zu tun.
Ich übernahm die Amtsvertretung unserer Gemeinde und übernahm später ehrenamtlich den Posten des Amtsbürgermeisters von Menden und den des Gemeindebürgermeisters von Holzlar. Auch wenn mir damit sehr viel Arbeit und Verantwortung
aufgebürdet wurde, und ich oft nicht mehr wusste, wie ich den Aufbau der Fabrik und
die Tätigkeit für die Gemeinde zugleich bewältigen sollte, schaffte mir dieser Einsatz
für die vielen notleidenden Menschen meiner Umgebung doch eine tiefe Befriedigung.
Die Weiterarbeit in der Fabrik wurde besonders erschwert durch die Tatsache, dass
die Besatzungsmächte die Herstellung von Kunststoff verboten und die Zulieferung
an Fabriken streng rationierten. Mit einiger List und aus heutiger Sicht mit recht abenteuerlichen Methoden besorgten wir uns Rohstoffe aus der französischen Zone, von
dort, wo die von uns benötigten Rohstoffe schon in kleinen Mengen hergestellt wurden.“
Wenn Reinold Hagen über diese Zeit der Improvisation berichtet, spürt man, wie sehr
er in jenen Jahren in seinem Element als genialer Initiator und Improvisator war und
sich in seinem Wirken die Leidenschaft für die Bewältigung technischer Aufgaben mit
der Sorge für die ihm anvertrauten Menschen verband. Der eigentliche Wiederaufbau
nach den Aufräumungsarbeiten auf dem alten Grundstück in Siegburg vollzog sich
jedoch in Hangelar, dem heutigen Sitz der Kautex-Werke, wo Reinold Hagen schon
1940 ein geeignetes Grundstück, das entsprechende Ausdehnungsmöglichkeiten
erlaubte, mit dem Gebäude einer ehemaligen Keramikfabrik erworben hatte. Da diese Fabrik jedoch bis Kriegsende von der Luftwaffe belegt war, konnte dort nur in den
letzten Kriegsmonaten eine kleine Produktion mit wenigen Maschinen in Gang gebracht werden, die nun zusammen mit den aus den Trümmern in Siegburg geborgenen Maschinenresten die Grundlage für den Aufbau einer neuen Produktion
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bildeten. Dabei war Reinold Hagen ganz auf sich selbst gestellt. Weder neue
Maschinen, noch Rohstoffe waren zu erhalten. Die großen Kunststofferzeugungsstätten lagen fast alle in der russisch besetzten Zone, die wenigen Herstellerwerke in
Westdeutschland deckten kaum 10% des Bedarfes. Für den Laien ist es schwer vorstellbar, welcher Anstrengungen, welcher Erfindergabe und welcher oft grotesken
Improvisation es bedurfte, um trotzdem eine Produktion größeren Umfangs in Gang
zu bringen. Es war erforderlich, sich jede einzelne Maschine selbst herzustellen und
sich hinter dem Rücken der Besatzungsbehörden all das zu beschaffen, was für den
Betrieb und seine Belegschaft notwendig war. Bereits 1947 konnte Reinhold Hagen
wieder 47 Mitarbeiter beschäftigen. Nach der Währungsreform 1948 setze dann mit
der Normalisierung der Rohstofflage und mit der Wiederherstellung der normalen
Kaufkraft des Geldes der rasche und unaufhaltsame Aufstieg des Unternehmens
ein. Er erfolgte nicht nur im Rahmen des allgemeinen Wirtschaftswunders der
Bundesrepublik,
sondern
erforderte
auch
einfallreiche
Initiativen
und
neue
Produktionsprogramme, die der Konkurrenz überlassen waren. Der allgemeinen
technischen Entwicklung und dem Siegeszug der Kunststoffindustrie gemäß, verstand es Reinold Hagen, auch hierin beispielgebend voranzugehen. Auf der Suche
nach immer neuen Verarbeitungsmethoden kam er als erster auf die Idee, KunststoffFlaschen und Kunststoff-Behälter aller Art, wozu neben Verpackungsflaschen für die
Waschmittel und Parfümindustrie vor allem auch Bremsbehälter und Behälter für die
Scheibenwaschanlagen der Autoindustrie gehörten, im Blasverfahren herzustellen,
wobei im Prinzip ähnlich verfahren wurde, wie beim Blasen einer Glasflasche. Damit
erschloss Reinold Hagen technisches Neuland, auf dem es bisher weder Vorbilder
noch Erfahrungen gab. Für die Kunststoff-Fachleute war es eine Sensation, als die
Firma Kautex als erste Firma der Welt 1949-1950 ein zehn Liter fassenden geblasenen Kunststoff-Ballon herausbrachte. Ein patentiertes Verfahren, nach dem
heute fast in der ganzen Welt Kunststoff-Behälter angefertigt werden. Hinter diesen
Erfolgen standen jeweils langwierige und kostspielige Entwicklungsarbeiten in
eigenen Maschinenwerkstätten und Laboratorien, zu denen Reinold Hagen die
wichtigsten Anregungen gab. Heute besitzt das Unternehmen in 30 Ländern mehr als
120 Patente, die für das Kunststoff-Blasverfahren von grundsätzlicher und größter
wirtschaftlicher Bedeutung sind.
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Das führte zu einer Erschließung neuer Absatzgebiete und zu einer gewaltigen Produktionserweiterung. Allein in jenem Jahr stieg die Zahl der Beschäftigung von 180
auf 300. Umfangreiche Erweiterungsbauten bildeten in den nächsten Jahren das
Hauptproblem Reinold Hagens und erforderten erhebliche finanzielle Aufwendungen.
1959 erzeugte das Werk mit über 1000 Beschäftigten bereits viele tausend Tonnen
an Fertigprodukten aus Kunststoffen und wurde damit zum größten Produzenten für
geblasene Hohlkörper auf dem europäischen Kontinent. Die Entwicklung überstürzte
sich; denn die Fertigung konnte mit der steigenden Nachfrage nicht Schritt halten.
Das Gelände in Hangelar ließ weitere Neubauten nicht zu. Daher entschloss sich
Reinold Hagen, eine ehemalige Porzellan-Fabrik in Duisdorf zu erwerben und baute
den Betrieb nach modernsten Gesichtspunkten aus. 1960 wurde die gesamte Hohlkörperproduktion dorthin verlegt. In dem neuen Werk stehen, in äußerster Rationalisierung durchdacht, lange Reihen von Kautex-Automaten in Reih und Glied und stoßen pausenlos täglich Millionen von Kunststoff-Flaschen, Tuben und Ampullen aus.
Die Gefäße reichen von der kleinsten Medikamenten-Phiole bis zum 200-Liter-Faß
aus Kunststoff. Im Gepäckraum von über einer Million europäischer Autos liegen die
Benzin-Kunststoff-Reservekanister aus den Automaten der Kautex-Werke. In den
meisten Haushalten stehen die Kunststoff-Flaschen für Wasch- und Reinigungsmittel
und Kunststoff-Verpackungen von Kosmetikas aller Art aus den Kautex-Werken. Im
Maschinen- und Automobilbau werden die Produkte der Kautex-Werke als technische Bauteile verwendet. Flakons und Spritzflaschen für alle Zwecke und Konstruktionselemente für den Apparate- und Gerätebau fast aller Fabrikationsbranchen
stammen aus der Fertigung der Kautex-Werke. Die Maschinen für diese Produktion
sind nach eigenen Konstruktionen in der Maschinenfabrik in Hangelar gebaut. Hier,
in dem eigentlichen Hauptwerk, das Reinold Hagen besonders ans Herz gewachsen
ist, entstehen nicht nur technisch ausgereifte Blasautomaten verschiedenster Typen
und Druckmaschinen zum Bedrucken der mannigfaltigsten Hohlkörper, sondern auch
Maschinen für die Bearbeitung und Aufbereitung der Kunststoffe: Beflammungsanlagen, Granuliermaschinen und Mischer. Diese Maschinen, Grundlage der eigenen
Produktion, gehen heut in fast alle Länder der Erde. Viele Millionen Hohlkörper, wie
oben aufgezählt, werden heute in Amerika und Japan, in fast allen Ländern Europas,
Asiens und Australiens auf den Automaten und Maschinen der Kautex-Werke täglich
hergestellt und tragen dazu bei, den Ruf der deutschen Technik und seiner Maschinenindustrie in der Welt zu stärken.
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Es ist ein reizvolles Erlebnis, mit Reinold Hagen durch die Montagehallen, die Versuchsstationen, die Konstruktionsbüros der Fabrikanlagen in Hangelar zu wandern.
Für den Aussenstehenden scheint es ein Chaos an Maschinen, Ersatzteilen, Gussformen und technischen Wundern zu sein. Reinold Hagen entwirrt das Chaos mit ein
paar sicheren Sätzen und Erklärungen und zeigt es in seinen wohldurchdachten Zusammenhängen auf. Es ist erstaunlich, wie sehr er bis zur letzten Schraube über jede Einzelheit Bescheid weiß, wie er jede Weiterentwicklung und Neukonstruktion verfolgt und oft seinen Ingenieuren durch einen Einfall den Weg zur Lösung eines technischen Problems weist, das bisher unlösbar schien. Diese Übersicht und Vertrautheit mit allem, was ein Betrieb von 1400 Mitarbeitern mit sich bringt, sind nur möglich,
wenn man selbst mit Herz und Seele dem Unternehmen verbunden ist und es von
Anfang an aufgebaut und gestaltet hat. Dass ein derartiger Großbetrieb auf den
Schultern des Mannes ruht, ist heute sehr selten geworden. Die Mitarbeit seiner Frau
mag der Ausgleich dafür sein, dass für das Leben in der Familie bei dieser Arbeitsfülle und den täglichen Sorgen und Anforderungen noch Raum bleibt.
Unmittelbar gegenüber dem Eingang des Werkes, in wenigen Schritten erreichbar,
betritt man einen kleinen Park mit alten Bäumen, in dessen Mitte das fast bescheiden
zu nennende Haus der Familie Hagen liegt. Auch wenn Reinold Hagen abends mit
Gästen oder seinen schon fast erwachsenen Kindern bei Kerzenlicht und einem guten Wein auf der Terrasse seines Hauses sitzt, kann er zwischen den Bäumen hindurch die Front der Fabrikgebäude sehen, und diese Nähe zu seinem Lebenswerk ist
wohl nicht nur äußerlich.
„ Wie in allen großen Betrieben“, gesteht Reinold Hagen, „ gibt es neben dem Erfolg
Widerwärtigkeiten und Enttäuschungen, Die mir anvertrauten Menschen erfordern
Verständnis, Fürsorge und menschliche Anteilnahme. Seit Jahren habe ich eine Sozialhelferin eingestellt, die nur dazu da ist, sich um die Sorgen und Nöten meiner Mitarbeiter und vor allem ihrer Familien zu kümmern und mir darüber zu berichten, wenn
Not oder unlösbare Probleme Hilfe erfordern. Mein Verhältnis zu den Gewerkschaften ist von wohltätigem Abstand bestimmt; denn das, was in den Sozialgesetzen heute verwirklicht wurde oder erst für die Zukunft gefordert wird, praktiziere
ich schon seit vielen Jahren in den Kautex-Werken. Unser Prämiensystem gilt als
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vorbildlich. Im Krankheitsfall zahlen wir bereits freiwillig in seinem Umfang Vergütungen, die selbst die Forderung der Gewerkschaft übertrifft. Ein eigener
Unterstützungsfond besorgt die Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall bei verheirateten Männern oder verwitweten Frauen mit Kindern.
Die zum Lohn gewährten Prämienzulagen, um eine weitere Sozialleistung unseres
Betriebes zu nennen, werden auf der Grundlage der Produktivität des Betriebes bezahlt. Sie beträgt derzeit 6% des Jahresverdienstes. Unsere Prämiensystem ist auf
das Ziel gerichtet, die Leistungen zu steigern und arbeitsfreudige und verantwortungsbewusste Mitarbeiter zu fördern. Meine besondere Fürsorge gilt auch der
Erziehung und Ausbildung der Lehrlinge, die für gute Leistungen ebenfalls Prämien
erhalten. Mein Augenmerk habe ich auch auf besonders preiswerte und gute Leistungen unserer Kantine und Werksküche gerichtet, die für das leibliche Wohl unserer
Mitarbeiter sorgt. Trotz der Größe des Betriebes bemühe ich mich, das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Betriebsangehörigen zu stärken und allen Mitarbeitern das
Gefühl zu geben nicht nur eine Arbeits-Interessengemeinschaft, sondern eine große
Werksfamilie zu sein. Betriebsfeiern, die unser seit zehn Jahren bestehender Werkschor verschönt und die Mitarbeit der Jugend daran, sind, wie ich glaube, für alle Höhepunkte unserer Zusammenarbeit. Mitarbeiter, die unserem Unternehmen 5 Jahre
angehören, werden mit einem 14tägigen kostenlosen Ferienaufenthalt in einem unserer Vertragshäuser belohnt. Wie in den meisten großen Betrieben ist auch bei uns
der Wechsel der Arbeitskräfte groß, doch besitzen wir eine Stamm von Mitarbeitern,
die oft schon mehr als ein Jahrzehnt unserem Unternehmen angehören und ihm in
echter Mitverantwortung verbunden sind. „Sogar eine kleine Reihe von Mitarbeitern
sind 25 Jahre und länger als Facharbeiter und Meister in dem noch jungen Unternehmen tätig.
Auch für Reinold Hagen gehört es bei dem Umfang seiner Verantwortung zu den wesentlichen Problemen, diese Verantwortung auf tüchtige Mitarbeiter zu verteilen.
Hierin sieht auch er die Hauptaufgabe einer Betriebsführung von heute, die für so
viele Menschen zu sorgen hat. Trotz der Überfälle seiner Arbeit, die ihm kaum noch
Zeit lässt für ein persönliches, privates Leben, steht er in tätiger Anteilnahme den
politischen und geistigen Aufgaben unserer Zeit aufgeschlossen gegenüber. Er ist
Mitglied des Bundes katholischer Unternehmer und fühlt sich verpflichtet, dessen
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sozialethische Grundsätze in seinem Arbeitsbereich zu verwirklichen. Aus der Mitarbeit an den Interessenverbänden der Arbeitgeberverbände hat er sich zurückgezogen. An ihrer Tätigkeit bemängelt er auf Grund eigener Erfahrungen das
fehlende Mitspracherecht der kleinen und großen Privatbetriebe und beklagt das
Diktat, das als Ergebnis der Verhandlungen von Funktionären oft ohne Rücksicht auf
regionale Besonderheiten ausgeübt werde. Er will auch hier seine Selbstständigkeit
bewahren, die Notwendigkeiten des Werkes in wirtschaftlicher Beziehung und unter
Berücksichtigung der Rentabilität und Produktion in Einklang mit sozialpolitischen
Forderungen bringen, da er die Ansicht vertritt, dass nur ein in dieser Hinsicht
gesunder Betrieb, auf die Dauer gesehen, die Sicherheit aller Mitarbeiter gewährleistet.
Reinold Hagens Welterfahrung, die er auf vielen Reisen rund um den Erdball gewonnen
hat,
und
vor
allem
die
Einsicht
in
die
Probleme
notleidender
Entwicklungsländer haben bei ihm ein außerordentliches Verständnis für alle Fragen
der Entwicklungshilfe, der Missionsarbeit, des Bildungs- und Erziehungswesens in
diesen Ländern geweckt, und er fühlt sich verpflichtet, in dieser Beziehung auch
einen persönlichen Beitrag zu leisten, in dem er dafür erhebliche Mittel an Spenden
aufwendet. Wofür er sie gibt, und wozu sie verwendet werden, das verfolgt er mit
kritischem Interesse. Für ihn ist diese Hilfe nicht Ausdruck sentimentaler oder
romantischer Wohltätigkeit, sondern der Erkenntnis, dass mit dieser Hilfe Projekte
gefördert verwirklicht werden sollen, die strukturell und soziologisch sinnvoll und
wirksam sind. Er sieht darauf , dass die Mittel, die er dafür spendet, gezielt eingesetzt
und nicht in kleinen Aktionen verzettelt werden.
In Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste in der Wirtschaft, seiner internationalen Arbeit und seiner Förderung humanitärer Aufgaben in Übersee hat ihm
die San-Carlos-Universität der Philippinen die Würde des Ehrendoktors verliehen.
Wohltuend empfindet man die Bescheidenheit der Lebensführung und die persönliche Bedürfnislosigkeit Reinold Hagens und seiner Familie. Beinahe abgeschieden
und ohne jeden gesellschaftlichen Ehrgeiz ist er fast ausschließlich für sein Lebenswerk tätig. In seinem Arbeitszimmer, das ebenfalls ganz ohne Prunk als nüchterne
Stätte der Arbeit wirkt, entdeckt der Besucher an der Wand einen Spruch, der für
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Reinold Hagen, für seine Persönlichkeit und sein Wirken charakteristisch ist. Er lautet: „ Kraft macht keinen Lärm. Sie ist da und wirkt.“
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