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Wie im Roman: Amerikaner trifft Amerikanerin im Dschungel!
Tarzan - In der Gewalt der Leopardenmenschen (1974)
Regie: Benno Schurr, Produktion und Skript: Wolfgang Ecke, mit
Dieter Eppler, Wolfgang Reinsch, Helmut Woestmann, ManfredGeorg Herrmann, Karin Schroeder, Herbert Weissbach u.a.
fontana special/Philips
Von Marc Hairapetian Herausgeber www.spirit-ein-laecheln-imsturm.de
Mit dem unvergleichlichen Schrei des Affenmenschen und der von Elefanten artigen Bläserfanfaren vorwärts getriebenen
Vorspannmusik zur US-TV-Serie "Tarzan" (1966-68) mit Ron Ely in der Titelrolle beginnt das Hörspiel "Tarzan -In der Gewalt der
Leopardenmenschen" (1974), das nicht minder stimmungsvoll übergeleitet wird in die "einzige Bar im Umkreis von 500 Meilen mit
Orchester", wo sich die beiden amerikanischen Großwildjäger wider Willen, Hiram (Helmut Woestmann) und Jerry (Manfred-Georg
Herrmann) ermutigt durch einige hochprozentige Drinks zu einer gefahrvollen Expedition in den schwarzafrikanischen Dschungel
entschließen. Es ist nicht nur das Meisterwerk der achtteiligen"fontana special"-Reihe (in der MC-Auflage als "sonic series" der
deutschen Philips betitelt) von Kinderkrimi-Autor und Schallplattenproduzent Wolfgang Ecke (24. November 1927 - 24. Oktober
1983, "Perry Clifton", "Balduin Pfiff"), sondern auch eine der besten Abenteuer-Adaptionen im Wort-Bereich des Tonträgermarktes
überhaupt.
"Tar-zan", was in Edgar Rice Burroughs fiktionaler Mangani-Sprache der "grossen Anthropoiden" soviel wie "Weiße Haut" heißt,
griff erstmals anno 1912 die literarische Tradition des "Helden, der von Tieren aufgezogen wurde" wie beim sogenannten Wolfskind
auf, ein anderes Beispiel ist Mowgli aus dem Dschungelbuch von Rudyard Kipling, und war eine weltweite Sensation, die seinen
Autoren zum Millionär machte. Burroughs (1. September 1875 - 19. März 1950) kreierte mit Tarzan einen modernen Mythos, der
gerade aufgrund seines messerscharfen Verstands und seiner gewaltigen körperlichen Kräfte immer wieder der Zivilisation den
Rücken kehrt, um im Urwald als König der Flora und Fauna zu leben. Er ist der Sohn eines britischen Lords und dessen Frau, die
von Meuterern an der afrikanischen Küste ausgesetzt werden und sterben, als er gerade ein Jahr alt geworden ist. Tarzan, sein
richtiger Name ist John Clayton III., Lord Greystoke, wird von der Affenfrau Kala gross gezogen und bringt sich später selbst das
Lesen und Schreiben bei, als er in der Hütte seiner Eltern deren Bücher, darunter ein Lexikon für Kinder mit Bildern, entdeckt. Mit
21 rettet er seine grosse Liebe Jane Porter und ihren Vater vor Piraten. Er lernt die modern Welt kennen, kehrt aber später mit
Jane nach Afrika zurück, um unzählige weitere Abenteuer zu bestehen.
Wolfgang Ecke, der sich ansonsten mit seinen Skripten eng an Burroughs Romanvorlagen hielt, liess Tarzan bei den Hörspielen
den Junggesellenstatus geniessen, dies allerdings nicht freiwillig. Im zweiten Teil ("Tarzan und der Piratenschatz") der auf LP und
MC erschienenen Saga, die in jeder Folge mit einer in sich abgeschlossene Geschichte aufwartete, kommt er zu spät nach Europa,
um Jane den einst verlustig gegangenen Schatz ihres nun mittellosen Vaters zurückzubringen. Sie hat kurz zuvor dem Drängen
eines reichen Verehrers nachgeben. Traurig kehrt Tarzan dorthin zurück, wo er hergekommen ist: nach Afrika. "In der Gewalt der
Leopardenmenschen" ist Eckes fünftes Tarzan-Hörspiel Es basiert auf Burroughs 1935 erschienenem Buch "Tarzan and the
Leopard Men" (1955 auf deutsch als "Tarzan und die Leopardenmenschen" erschienen). In der "Fontana"-Fassung, die von
Regieveretran Benno Schurr in Baden-Baden mit seinem bewährten Sprecherensemble aus dem süddeutschen Raum
atmosphärisch dicht inszeniert wurde, leidet Tarzan allerdings nicht unter Amnesie, die ihn in die Hände von kriegerischen
Eingeborenen fallen lässt. Und auch sein Äffchen Nkima taucht genauso wenig auf wie Cheeta, was die Story allerdings
realistischer werden lässt, den eine sprachliche Interaktion mit einem Tier ist bisher nur Dagmar von Kurmin im Hörspielbereich
wirklich überzeugend gelungen - in Jack Londons "Wolfsblut" (1975), in dem sie Raimund Harmstorf einfühlsam, ja, fast zärtlich mit
seinem Hund, der darauf reagiert, sprechen lässt. Ansonsten sind Ecke und Schur ganz nah dran an dem Roman, in dem die junge
Amerikanerin Jessie Jerome (von ihren schwarzen Diener ehrfürchtig "Kali Bwana" genannt) auf der Suche nach ihrem Bruder und
einer der eingangs zitierten Großwildjäger in die Klauen des Menschen opfernden Geheimbundes der Leopardenmenschen um
den Oberpriester Gato Mgungu (im Hörspiel Gatom Gungu) geraten, aus denen sie Tarzan befreien will.
Die Szene, in der Karin Schroeder alias Jessie Jerome und Helmut Woestmann alias Hiram erstmals im dichtesten Dschungel
aufeinander treffen, sprüht bei aller sie umgebenden Gefahr nur so von Charme, weswegen der Dialog hier komplett
wiedergegeben werden soll: .Hiram: "Stop! Lassen Sie Ihre Flinte unten! Bin kein Feind!" Jessie: "Ein Weißer?".Hiram: "Ja, auch,
wenn ich im Moment wie ein Landstreicher aussehe." Jessie: "Sie haben mir einen gewaltigen Schrecken eingejagt." Hiram: "Ja,
das tut mir sehr leid. - Europäerin?" Jessie: "Nein Amerikanerin." Hiram (lächelnd): "Das ist ja wie in einem Roman! Amerikaner
trifft mitten im Urwald Amerikanerin! Ich komme aus New York. Wo stecken denn Ihre Partner?" Jessie: "Sie werden es nicht
glauben, aber ich bin allein". Hiram: "Allein?" Jessie: "Meine schwarzen Boys haben es abgelehnt, mich weiter zu begleiten .Ihrer
Meinung nach sind die Geister auf mich böse." Hiram (entrüstet): "Diese Hundesöhne haben sie allein gelassen. Das ist doch nicht
zu fassen! Wann ist denn das passiert? Jessie: "Vor zwei Tagen. Übrigens. Ich heisse Jessie Jerome." Hiram (verlegen): "Ah,
Entschuldigung, aber im Urwald vergisst man schnell die guten Umgangsformen. Nennen sie mich Hiram und danken sie dem
lieben Gott, dass uns noch keine Elefanten begegnet sind." Jessie: "Sie jagen Elefanten?" Hiram: "Ja, bisher hatten mein Partner
und ich wenig Erfolg. Deswegen haben wir uns auch getrennt, um in verschiedenen Richtungen zu jagen, verstehen sie? Was führt
sie denn nach Afrika?" Jessie: "Ich suche meinen Bruder. Er wurde zuletzt." (Geräusche einer sich durch das Dickicht mit
brachialer Gewalt brechenden Gefahr erklingen, worauf Hiram geistesgegenwärtig einen Schuß abfeuert.) Hiram: "Ich habe ihn
erwischt!" Jessie (verängstigt): "Was war das, Mr. Hiram?" Hiram: "Ein Wildschwein. Das wird 'nen herrlichen Braten geben. Loca,
hols her." Loca: "Ja, Bwana." Hiram: "Und du , Baneko, mach Feuer!" Erzähler (Wolfgang Reinsch): In dieser Nacht schlief Jessie
Jerome ohne Furcht. Als sie erwachte hielt sie vergeblich Ausschau nach Hiram, den sie insgeheim mit Mr. Wunder betitelte. Doch
er hatte ihr Baneko zum Schutz zurückgelassen. Und Baneko erklärte ihr auch, dass Bwana Hiram zu einem Erkundungsgang
aufgebrochen sei und gegen Mittag zurück sein wolle. Jesse war beruhigt. Doch es sollte ganz anders kommen. (Kunstpause.)
Weder sie noch Baneko sahen die vier dunkelhäutigen Männer mit den todbringenden, eisernen Leopardenkrallen an den Händen,
den furchtbar bemalten Gesichtern über denen sie ausgestopfte Leopardenköpfe trugen, während ihre Körper in die Felle dieser
Raubtiere gehüllt waren. Geräuschlos näherten sich die vier Mörder ihren Opfern. Als Jessie Jerome sie erblickte, war es zum
Schießen zu spät.
Wolfgang Reinsch, der ebenfalls unter der Regie von Benno Schurr als sympathisch-gerechter Lehrer Justus in "Das fliegende
Klassenzimmer" und als besonnen-mutiger Kara Ben Nemsi in den Orient-Erzählungen Karl Mays Hörspielgeschichte schrieb,
gelingt es auch als Erzähler Spannung aufzubauen, ohne zu übertreiben. Die mit Afro-Trommel-Rhythmen und mal Bar artigen,
dann wieder unheilvollen Orgel-Klängen gespickte Musik Max Roths tut ein übriges dazu, den Zuhörer regelrecht gefangen zu
nehmen. Und dann ist da natürlich noch Tarzan, der von Dieter Eppler (11. Februar 1927 - 12. April 2008) sehr männlich
gesprochen wird. Dem gebürtigen Stuttgarter merkt man stimmlich seine Herkunft nicht an, während er in "Tarzan und der
Piratenschatz" noch um Worte ringt, intoniert er in "In der Gewalt der Leopardenmenschen" im schönsten Hochdeutsch. Beim
Showdown, indem er mit seinem schwarzen Freund Orando (Ludwig Thiesen, bekannt auch als Eckes Detektiv Perry Clifton und
"Nichtraucher" aus "Das fliegende Klassenzimmer") Jessie und Hiram (von Helmut Woestmann mit mal schnoddrigen, dann wieder
verzweifelten Timbre "verkörpert") aus dem auf einer Krokodilinsel gelegenen Tempel der Leopardenmenschen (teuflisch gut
Herbet Weißbach als Oberpriester Gatom Gungu) befreit wird, hat es in sich: Wieder erklingt als "action" betontes Leitmotiv die
"Tarzan"-Fernsehmelodie des genialen Komponistengespanns Fred Strittmatter und Quirin Amper Junior ("Western von Gestern",
"Paulchen Panther", "Dick und Doof"). Sie hat Max Roths eigens komponierte Titelmelodie der ersten bvier Tarzan-Hörspiele
verdrängt, obwohl diese mit ihren dumpfen Trommelschlaegen und grooviger Schweineorgel ebenfalls sehr wirksam war. Einziges
dramaturgisches Manko eines ansonsten perfekten audiovisuellen Ereignisses, dass sich mehr an jugendliche und erwachsene
Hörer wendet, als an Kinder, ist die Tatsache, dass Jessies verschollener Bruder verschollen bleibt, ja, nicht mit einer Silbe mehr
erwähnt wird. In markanten Nebenrollen sind übrigens der 1996 mit nur 46 Jahren früh verstorbene Enkel des grossen Erich Ponto,
Manoel Ponto, und Eberhard Feik (23. November 1943 - 18. Oktober 1994) der spätere Kollege des von Götz George gespielten
"Tatort"-Kommissar Schimanski, zu hören. Letzterer sogar in drei Rollen mit komplett verstellten Stimmen als schwarzer Kellner,
Träger Loka und salbungsvoller Hohepriester.
Wolfgang Ecke, der in seinen Bearbeitungen jeglichen Rassismus, dem man (nur bedingt) den Verfasser der Originalbüchern
vorwerfen kann, der ja im Zeitalter des Kolonialismus ebenfalls schon Zivilisationskritik übte und dessen Helden wie Schurken er
aus Schwarzen wie Weissen wie Mischlingen rekrutierte, war während der Tonaufnahmen nicht im Studio. Dies weiß Sprecher
Helmut Woestmann (geboren am 1. Juli 1931 in Osnabrueck) zu berichten: "Er war nie dabei, schickte Benno Schurr nur die
Manuskripte. Dieser durfte Hörspiele für Schallplatten nur am Samstag/Sonntag in einem Gebäude, wo das Studio für die Werbung
dem Rundfunk angeschlossen war, aufnehmen, da er in der Woche als festangestellter Rundfunk-Regisseur bei Südwestfunk
Baden-Baden genug ausgelastet war." Woestmann, einer der letzten lebenden Schauspieler des Schurr-Ensembles erinnert sich
gerne an die Tonträger-Produktionen der 1960er und 1970er Jahre zurück: "Benno war ein äußerst liebenswürdiger Mensch, der
besonders gut Witze, in allen Dialekten erzählen konnte, besonders beliebt bei Kindern. Meinen Sohn setzte er damals auch
häufiger ein. Nach den Aufnahmen saßen wir erwachsenen Sprecher mit ihm noch häufig bei einem Glas Bier oder Wein in einer
Baden-Badener Kneipe zusammen."
Den Geheimbund der Leopardenmenschen, auch Anioto genannt, gab es übrigens wirklich und er war sogar bis in die Mitte des
letzten Jahrhunderts tätig: Dem Kult liegt die Vorstellung zugrunde, dass sowohl ein Mensch von einem Tier, als auch ein Tier von
einem Menschen Besitz ergreifen kann. Zum Verbreitungsgebiet gehörten bis ins 20. Jahrhundert die Kolonien Belgisch-Kongo,
Französisch-Afrika, Sierra Leone, Nigeria, Goldküste, Liberia, Tanganjika und Angola. Die Mitglieder des Bundes verwandeln sich
ihrer Auffassung zufolge in Leoparden. Sie glauben Raubkatzen zu sein, so wie es beispielsweise bei Werwölfen der Fall ist. Sie
töten mit eisernen oder hölzernen Leopardenkrallen Menschen und verwenden Blut, Fett und Fleischteile zu magischen Zwecken.
Zwischen 1850 und 1950 wurden etwa 1.000 Menschen bei den sogenannten Leopardenmorden getötet. Sogar der langjährige
Diktator des Kongo, Mobutu Sese Seko (14. Oktober 1930 - 7. September 1997) nutzte den Mythos des Leoparden bei seiner
Selbstdarstellung. In Filmen wie Kurt Neumanns "Tarzan and the Leopard Woman" (1946, mit Johnny Weissmüller als "Weiße
Haut") wurde die Thematik, die die Kolonialmächte vor grosse Probleme stellte, immer wieder aufgegriffen, doch keine dieser
Produktionen ist auf so schaurige Weise realistisch dargestellt wie im bisher noch nicht auf CD wiederveröffentlichten HörspielKlassiker "Tarzan - In der Gewalt der Leopardenmenschen"!
Marc Hairapetian für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de am 4. Juni 2014

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