WIEDERENTDECKUNG EINES VERGESSENEN LANDES Fotos

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WIEDERENTDECKUNG EINES VERGESSENEN LANDES Fotos
W I E DE R E NT D ECK U NG E I N E S V E RG E S S E N E N LAN DE S
Text: Marco Rüegg
Stähli
üegg und Andi
Fotos: Marco R
In den Siebzigern priesen Reisekataloge Togo als «Perle Westafrikas» an. Und
heute? Luxusresorts sind zu Ruinen zerfallen, Traumstrände von Müll übersät.
Grosswildsafari, markante Berge, tosende Wasserfälle oder anderes spektakuläres Futter für die Kamera? Fehlanzeige! Nach Jahren der Unruhen und
Korruption ist Togo kein Ort mehr für Flitterwochen oder Familienurlaub – und
genau darum ein Fleck Schwarzafrika, wie er schwärzer kaum sein könnte.
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WESTAFRIKA
U
nd hier beginnt es also, dieses Togo. Hinter einer Barriere an der nordöstlichen
Grenze zu Benin – irgendwo im Nirgendwo,
30 Kilometer von der letzten Ortschaft. Weit und
breit bloss verdorrtes Gras, Büsche, kahle
Bäume und die Sandpiste, auf der sich das Motorrad vorwärtspflügt. Ein öder erster Eindruck
von diesem Land, das von der Savanne an der
Grenze zu Burkina Faso bis an den Atlantik
reicht, eingeklemmt zwischen Ghana im Westen und Benin im Osten. Das Land, in dem sich
mein Bruder Pascal verliebt hat. Hier ist seine
Freundin, vielleicht seine Zukunft. Vor fünf
Jahren reiste er einem Arbeitskollegen nach,
um dessen Grossmutter Alice zu besuchen. Die
80-Jährige führt seit 1980 einen Bungalowpark
in Avépozo, im Süden Togos, unten am Meer.
Damals lernte Pascal die Togolesin Mariam
kennen – seitdem verbringt der gelernte Maurer die Winter bei ihr. In der Schweiz, sagt
Pascal, arbeite er. In Togo lebe er.
Bis wir uns in Kpalimé (sprich: Palime), der
viertgrössten Stadt Togos, treffen, liegen allerdings noch ein paar Hundert Kilometer vor
mir, denn ich rolle den Schlauch quasi von
Norden her auf: von der trockenen Subsahara
in den fruchtbaren Dschungel des Plateaus mit
Obst- und Baumwollplantagen. Und schliesslich in die Küstenregion mit dem Lac Togo und
dem urbanen Zentrum, der Hauptstadt
Lomé. Derzeit jedoch scheinen jede Urbanität und selbst die nächste befestigte
Strasse Lichtjahre entfernt. Wir – ich auf
dem Sozius, der 15-Kilo-Rucksack auf
dem Lenker und dazwischen ein Mototaxifahrer, der gerade das Geschäft seines
Lebens macht – passieren einzig noch eine
Tata-Siedlung. In diesen Rundhäusern aus
Lehm mit Strohdach leben Menschen unter einfachsten Bedingungen zusammen
mit Hühnern und Ferkeln.
Nach 60 Kilometern parkt der Fahrer
vor dem Polizeiposten in Kanté. Einreiseformalitäten erledigen. Ein Schweizer Pass
scheint dem Beamten noch nie unter die
schlaftrunkenen Augen gekommen zu sein. In
pflichtbewusster Feinarbeit stempelt er das Visum hinein, überträgt Nummer, Name und
Heimatort in sein Buch. Gemäss der letzten
Datumsangabe blieb dieses die letzten drei Wochen unbenutzt. In der Ecke flimmert ein Röhrenfernseher – das modernste Gerät im ganzen
Revier.
Wildweststimmung. Während ich mir den
Staub aus Haar und Kleidern klopfe, verschwindet mein Fahrer um 10 000 CFA reicher
(etwa 20 Franken) in einer Staubwolke. Lastwagen donnern vorbei, derart überladen, dass
sie in engen Kurven zu kippen drohen. Was
durchaus vorkommt. Die Dorfjugend schleicht
heran. «Yovo, tu vas où?» – Französisch ist
Amtssprache, doch Togolesen kommunizieren
zum müden Fussballspiel im TV, das
die Männer am Tresen verfolgen – jeder ausgerüstet mit einer Buddel des
Nationalbiers Flag. Das stehe für
«Fille libre attend garçon», scherzt der
Barkeeper.
Familiäres Rendez-vous. Einige
Flag und eine schwüle, mässig erholsame Nacht unter einem defekten
Ventilator später am Ticketschalter
der Busstation: 6.15 Uhr, anderthalb
Stunden zu früh und dennoch zu spät.
Der einzige tägliche Car nach Kpali
è
ê
Mototaxi. Auf dem Sozius unterwegs in den Süden.
Kpalimé. Der einstige koloniale
Glanz ist verblichen.
Provinznest. Lebensader Strasse.
untereinander in Ewe. Yovo bedeutet
wörtlich «roter Hund» – die gängige
Bezeichnung für Weisse. Ich winke
dem nächsten Buschtaxi – so nennen
sie hier die in unseren Breitengraden
ausrangierten Autos mit gelben Nummernschildern (einige noch mit Firmenlogos aus Chur oder Rüschlikon),
die als Sammeltransporte auf den Verkehrsadern des Schwarzen Kontinents ein zweites Leben erhalten.
Diesmal hält ein so bunter wie klappriger Toyota. Destination: Kara, das «Juwel des Nordens».
Kara ist Hochburg der Regierungspartei
«Rassemblement du Peuple Togolais» von Präsident Gnassingbé Eyadéma. Seit über zehn
Jahren stellt sie die Parlamentsmehrheit. Doch
aus dem Lager der Opposition dringen konstant Forderungen nach Reformen und Proteste
wegen Wahlbetrugs. Das läuft nicht immer
friedlich ab: Mutmassliche Aktivisten haben
eben die Markthallen von Lomé und Kara abgebrannt. In Kara verlagert sich der Handel
jetzt in die umliegenden Strassen, ganze Familien auf Grosseinkauf, energisches Feilschen,
gestenreiches Verhandeln… Von der Dachterrasse einer Kneipe aus lässt sich der Trubel
überblicken. Eine unterhaltsame Alternative
mé ist ausverkauft. Bleiben die weniger
komfortablen – weil mit Menschen,
Reissäcken und Hühnern bis unters Dach
vollgestopften – Minivans. Platzmangel
hin oder her, nach einer halben Stunde
Fahrt schlafen alle. Ausser dem Chauffeur
und dem Yovo. Und dem Huhn. Während
die Savanne immer mehr dem Grün des
Plateaus weicht, säumen verunfallte Lkw
und Plakate, die für Kondome mit Bananenaroma werben, die Strasse. Mit Bananenaroma. Der Kampf gegen Aids. Togo
hat ihn, unterstützt durch die UNICEF,
aufgenommen. Die Ansteckungsrate halbierte sich seit 2003 auf drei Prozent.
Im Provinznest Atakpamé rollt der Wagen
aus, Boxenstopp vor einer Werkstatt. Ein mit
Schraubenschlüsseln bewaffneter Mechaniker
legt sich unter den Van. Ich beruhige den knurrenden Magen an einem Snackstand mit Pain
avocat: In das aufgeschnittene Baguette
schmiert die Verkäuferin frische Avocado, rote
Zwiebel und eine Prise der pikanten, Togo-typischen Gewürzmischung Piment.
Sechs Stunden hat die Tortur für das Steissbein insgesamt gedauert, als wir in Kpalimé
einrollen. Hier und im umliegenden Hügelland
haben die Bewohner des 120 Kilometer entfernten Lomé ihre Erholungsoase gefunden. Sie
shoppen, fahren auf den Mont Agou – mit 986
Metern der höchste «Berg» Togos – oder beobachten Schmetterlinge. Den Ortskern dominiert die 2003 renovierte Eglise du Saint Esprit.
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In verfallenen Kolonialbauten stellen Kunsthandwerker Batik, Schnitzereien oder Schmuck
aus. Schmuddelhotels quartieren auch dann
Gäste ein, wenn in den oberen Etagen noch
gebaut wird. Zum Beispiel das Cristal. An dessen Pforte fällt mir Pascal in die Arme. Seine
Mariam fällt gleich hinterher, knutscht mir einen dicken Kuss auf die Backe. Für das quirlige
Mädchen – kaffeebraune Haut, pechschwarze
Augen und eine Frisur, die im Wochenrhythmus ändert – zähle ich quasi als Halbbruder.
Die beiden haben eine ganze Entourage im
Schlepptau: Enrico, der Enkel von Alice, seine
Kumpels Andi und Jeremy, deren afrikanische
Freundinnen sowie unsere «Allzweckwaffe»
Nestor. Der 22-jährige Togolese wuchs in der
Obhut von Alice auf, die vor 40 Jahren aus der
Schweiz nach Togo kam. Mit seiner Frau und
seinen zwei Töchtern wohnt er in einem ihrer
Bungalows, führt sein eigenes Cybercafé, betreut die Website und das Wi-Fi von Alice und
organisiert Ausflüge für die Gäste. Mithilfe

ç
eines Wörterbuchs und des Internets lernte er
binnen eines Jahres Deutsch, spricht dazu Ewe,
Französisch und Englisch und produziert als
Hobbysänger eigene Popsongs im rustikalen
Studio eines Bekannten. Dem wortreichen
Kennenlerndinner bei Schnitzel mit Pommes
und Flag in einem belgischen Restaurant folgt
eine weitere kurze Nacht.
Presslufthämmer aus dem Obergeschoss
des Cristal wecken mich am nächsten Morgen.
Statt uns für die Fahrt zu Alice mit in die Jeeps
zu zwängen, entscheiden Nestor und ich uns
für das Buschtaxi. Davor Frühstück à la togolaise, selbstverständlich ohne Besteck serviert.
Das Fleisch des Aguti – umgangssprachlich
auch Buschratte – erinnert an Kalbsvoressen
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und schwimmt in einer höllisch scharfen
Palmöl-Piment-Brühe. Davon wird sogar
Langschläfer Nestor hellwach. Zum Neutralisieren reicht die Köchin Fufu, den von Frauenhand in kraftintensiver Arbeit gestampften
Brei aus Maniokwurzeln.
Müllkippe Lomé. Immer mehr Betonhäuser
künden die Nähe zu Lomé an. An einer Tankstelle in der Peripherie steigen wir auf Mototaxis um, und fahren via Hauptboulevard zum
Kreisel am Meer. Bis auf einige Nobelhotels
und Night Clubs schlummert der einstige Kolonialglanz unter einer fetten Dreckschicht.
Überall Baustellen, Strassen in desolatem Zustand und überhäuft von Abfall. «Lomé, la plus
Strand von Avépozo. Hier treffen sich
Einheimische und Touristen.
Junge Frauen. Unterwegs ins Dorf.
belle», schwärmten einst die Franzosen. «Lomé,
la poubelle», spotten heute die Sarkasten unter
den 760 000 Bewohnern: Lomé, der Mülleimer.
Vom zentralen Kreisel verkehren Sammeltaxis
in die Umgebung. Normalerweise. Dumm nur,
spielen Togos Fussballer um Nationalheld Emmanuel Adebayor gerade ihre erste Partie am
Africa-Cup. Lomé scheint lahmgelegt, erst nach
einer halben Stunde ist der «Express» nach
Avépozo voll: vier Passagiere auf der Rückbank,
zwei auf dem Beifahrersitz. Ich bin zwischen
Nestor und einem ausladenden «Afrika-Hintern» eingequetscht. Der Toyota tuckert gegen
Osten, vorbei an der Afrikanischen Zentralbank, Zementwerken und dem gigantischen
Areal des Hafens.
Kakao, Kaffee- und Baumwollexport machen fast die Hälfte der Staatseinnahmen aus,
zudem gehört Togo zu den produktivsten
Phosphatherstellern der Welt. Import und Export – auch jene der Nachbarstaaten – laufen
über die Piers von Lomé. Darum wurde kürzlich die ehemals von gemütlichen Gartenlauben gesäumte Schnellstrasse an der togolesischen Küste zur Autobahn aufgemotzt, finanziert vom mit Abstand grössten Handelspartner: China. Eine Mole schützt den Hochseeknotenpunkt zudem vor der Brandung, lenkt
die Strömung gegen Osten. Mit dem Nebeneffekt, dass der Atlantik dort jetzt immer mehr
Land wegfrisst. Schwimmen im Meer ist mässig
vergnüglich, seit ein von Seeigeln bevölkertes
Riff in die Quere kommt. Überreste der alten
Küstenstrasse, meint Nestor.
Schweizer Freunde. Wir brausen über drei-
spurigen Teer. In der prallen Sonne verkaufen
Frauen in farbigen Tüchern Konserven, Billigjeans oder Monsterpapayas. Wenige Hundert
Meter vor der Haltestelle mit dem «Chez
WESTAFRIKA
Alice»-Schild kollabiert der Motor. Nestor und
ich helfen beim Anschieben und retten uns vor
der Nachmittagshitze unter das Strohdach in
Alice’ Restaurant. Dort starrt alles auf den
Grossbild-TV, auf dem elf Togolesen in grünen
Trikots dem Ball und einem 1:2-Rückstand gegen die Elfenbeinküste hinterherrennen.
Pünktlich zum Schlusspfiff rumpelt die übrige
Kpalimé-Fraktion heran.
Mariam insistiert, ich solle mit ihr und Pascal,
etwas weiter im Quartier, bei ihrer Mutter einziehen. Privatsphäre und Strandnähe im «Chez
Alice» scheinen aber verlockender. Die für ihr
Alter erstaunlich vitale Hausherrin führt mich
persönlich durch ihr Reich. Neben einem halben
Zoo – Affen, ein Hunderudel, Katzen, Papageie
sowie die eine oder andere Kakerlake – beherbergt sie vorwiegend Westler, die sich in zwei Kategorien teilen lassen: Abenteuerfreaks und
Stammgäste. Zu den Freaks gehört ein Pärchen
aus Österreich, das einen VW-Käfer um den Erdball steuert. Oder der drahtige Bayer, der mit wenig mehr als einem Zelt und Sandalen den Kontinent durchquert. Unter Stammkundschaft fallen jene, welche sich zu Rösti und Wurstsalat am
Stammtisch versammeln, oft Mundart sprechen
und aus geschäftlichem oder privatem Motiv über
Wochen, Jahre oder ein Leben lang hängen blei
Fetischmarkt Lomé. Hier wird alles
angeboten, was das Voodooherz begehrt.
çç Pain avocat. Frisch und köstlich.
ç Der Kopf trägts. Im Gewühl des Grand
Marché von Lomé.
Wieder mit festem Boden unter unseren
Füssen, entfernt ein Hafenarbeiter mit geübten
Handgriffen die Innereien des Wahoo. Davon
werden die Möwen, von den Filets am Abend
dann 16 Personen mehr als nur satt.
ben. Einer davon ist Herbert aus Frankfurt. Er
hat ein Importgeschäft, eine nigerianische Ehefrau, eine Villa mit ungefähr 17 Schlafzimmern
und ein Motorboot. In diesem lädt er Pascal, Andi,
Jeremy und mich zum Hochseeangeltrip ein.
Beim Auslaufen in den Morgenstunden –
Herberts Kumpel Christian am Steuer – schippern wir um monströse Frachter. Weiter draussen gondeln Pirogen: traditionelle Einbäume,
mit denen einheimische Fischer auf die Jagd
gehen. Über 20 Meilen weiter, die Skyline
längst im Dunst verschwunden, hängen wir
Köder aus, verdrücken Sandwichs, warten.
Zwei Königsfische beissen an. «Kleinkram»,
mault Herbert. Das Spotten vergeht ihm, als an
einer Leine ein 13-Kilo-Wahoo zappelt. Jeremy
schnappt die Rute, ringt dem Brocken in zähem
Kampf Zentimeter um Zentimeter ab. Trotz
heftiger Gegenwehr bringen wir den Prachtkerl ins Trockene. Christian hievt den Fang mit
dem Rettungshaken an Bord, beendet dessen
Leben mit vier, fünf Knüppelschlägen auf die
Kiemen, spült die Blutlache ins Meer. Dann
Bier aus der Kühlbox. Prost, das Nachtessen
wäre besorgt!
Als Schlussbouquet eskortiert uns eine
Gruppe Delfine zum Pier, aus heiterer See
schies­sen die Tümmler aus dem Wasser.
Fetischmarkt. Knapp 40 Rappen pro Kopf kostet uns – Pascal, Mariam und mich – anderntags das Sammeltaxi zum Sightseeing ins Herz
Lomés. Okay… neben der neugotischen Kathedrale Sacré-Coeur und dem Unabhängigkeitsmonument bleibt gerade noch eine Attraktion – aber was für eine! Benin und Togo gelten als Wiege des Voodookults. Wie der selbst
ernannte Guide vor Ort behauptet, pilgern die
Priester von weit her zum Fetischmarkt von
Lomé, um sich auf dem pausenplatzgrossen
Areal mit Utensilien für ihre Zeremonien einzudecken. Leider ist gerade keiner da. Und
auch sonst niemand ausser einem Briten mit
Safarihelm und Tennissocken. Doch das morbide und bestialisch stinkende Angebot gibt
einiges her: von getrockneten Schlangen und
Eidechsen über tote Vögel, Schrumpfköpfe
oder Holzmännchen mit Riesenpenis bis zu
den Schädeln von Krokodilen, Hyänen, Elefanten. Letztere wären «à promotion», zu haben
für umgerechnet 130 Franken! Exklusive Zollgebühren…
Auf Balkonen ein paar Strassen weiter haben
sich Haarsalons installiert, in den Gassen Stände
mit in Schnapsflaschen abgefüllten Erdnüssen,
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TO GO
BURKINA FASO
INFOS&TIPPS
BENIN
Fläche | 56 785 km²
Hauptstadt | Lomé (760 000 Einwohner)
Bevölkerung | 6,6 Mio.
Sprache | Ewe und Kabiyé, Amtssprache Französisch
GHANA
Religion | Etwa 50 % bekennen sich zu den Natur­
religionen Ga und Yoruba, 30 % Christen, 20 %
Muslime, Voodoo hat auch eine grosse Bedeutung
Unterkünfte | Hotels und Gästehäuser finden sich
in jeder grösseren Ortschaft, in und um Lomé sowie
in Aného auch Luxushotels. In Mittelklassehäusern
bewegen sich die Preise pro Nacht zwischen CFA
7000.– und 20 000.– (CHF 15.– bis 40.–) pro Person.
Im «Chez Alice» kostet ein Bungalow zwischen CFA
3000.– und 10 000.– (CHF 6.– bis 20.–)
www.hartmann-design.com/chezalice/chezalice.html
Transport | Busse und Minivans verkehren vom
Busbahnhof in Lomé in die grösseren nördlichen Städte
wie Kara, Atakpamé oder Kpalimé. Auf allen übrigen
Strecken ist der Reisende auf Sammel- oder Privattaxis
(erkennbar an gelben Nummernschildern) angewiesen.
Essen | Traditionelle Gerichte und Snacks wie Brochettes (Fleischspiesse), Omelette im Baguette, Fufu
oder Pâte mit Sauce sowie Früchte sind an Strassenständen im ganzen Land billig erhältlich. Restaurants
servieren gern Fisch und Meeresfrüchte. In Lomé gibt
es zudem einige westlich orientierte Restaurants und Pizzerien.
Einreisebestimmungen | Visum erforderlich. Es muss auf der Botschaft in Genf
beantragt werden.
Impfungen | Gelbfieberimpfung obligatorisch. Tetanus-, Typhus-, Hepatitis-A- und
Tollwutimpfung dringend empfohlen. Togo ist zudem Malariarisikogebiet.
Reisehandbuch | «West Africa», Lonely Planet, ISBN 978-1-74179-797-8 (Englisch)
Kanté
Kara
farkt erleiden würde. Tätowierer
Benji hat sich sein Handwerk
selbst beigebracht – mit einer
Maschine, gebastelt aus Minimotor, Nähnadel und einem Kugelschreiber.
Wechselhafte Geschichte. Der
Ausflug nach Aného, früher
Hauptstadt der deutschen Kolonie
Togoland, führt uns zurück in der
Geschichte. Enrico und Suzy
chauffieren uns die 50 Kilometer
die Küste hoch. Wie der Herzschlag des Ozeans hallen Trommelschläge
über die Sandbank vor
Atakpamé
Aného. Im Takt zerrt eine grosse
Menschenmenge ein Schleppnetz
an Land. Im Wasser draussen pflüKpalimé
cken Taucher die Beute aus den
Maschen. Unterstützung von hellhäutigen Händen kommt gelegen.
Lac Togo Togoville
Jeremy, Andi und ich helfen beim
Aného
Einholen und erfahren, woher AfLomé Avépozo
rikaner ihre Muskeln haben.
Mit europäischen Metropolen
haben schon Lomé und Kara wenig gemein. Aného – es schmiegt sich an die
Lagune, an deren Ende der Lac Togo den Atlantik küsst – ist noch einmal ein anderes Kaliber. Solche Strassenbeläge laufen bei uns unter der Bezeichnung Treibsand. Die Kirche bröckelt, und die einzige passable Unterkunft ist
das Hotel Oasis – dieses jedoch mit Honeymoon-Suiten, skandinavischen Besitzern und
entsprechenden Preisen. Irgendwie skurril,
ç Beinahe surreal. Kirche in Togoville.
ê
dort im Luxus zu schwelgen, von wo Mitte des
Hotel Tropicana. Nur noch Ruinen sind vom
einstigen Ferienparadies übrig geblieben.
19. Jahrhunderts Sklaven verschifft wurden.
Vom damaligen Klein-Popo aus begannen die
von Fliegen bevölkerten Lammspies­sen, Pillen
Deutschen ihre blutige Eroberung des Hintergegen Gedächtnisverlust, Bettnässen, Potenzlands. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs ging
schwäche… Von einer zielsicheren Mariam na- Togo an die Briten über, nach Kriegsende übernahm Frankreich den Osten, womit bis zur Unvigiert, arbeiten wir die Einkaufsliste ab. Pascal
abhängigkeit 1960 ein munteres Hin und Her
und ich als weisse Farbtupfer im schwarzen Gewirr. Jungs mit Schubkarren drängen vorbei,
der Kolonialmächte begann. Anéhos nationale
Relevanz beschränkt sich heute auf den religiFrauen mit Tontöpfen oder zu Bergen aufgeschichtetem, in Halbliter-Plastikbeutel abgefüllösen Kontext: Die grössten Voodoofeste Togos
tem Trinkwasser auf dem Kopf. «Piuata! Piuata!»,
locken ganze Pilgerscharen an.
schreien sie. Komisch, auf Ewe heisst Wasser
Ähnlichen Aufmarsch erfährt Vogan – eine
nämlich «Essi». Tage später realisiere ich: Piuata
halbe Taxistunde landeinwärts – jede Woche
bedeutet eigentlich «Pure Water».
am Freitagsmarkt. Ein Umschlagplatz für, nun
Auf dem Parkplatz hinter
ja, so ziemlich alles. Selbst aus Lomé kurven
dem Grand Marché trifft Pascal
Karawanen von Autos heran. Neben dem übauf einen alten Bekannten:
lichen Sortiment – getrocknetem Fisch und
Grapefruit – verfügt der Marché de Vogan über
Beighy Star, der seinen Turm
eine Metzgerei, einquartiert in einem Rohbau,
von einer Haarpracht in eine
weisse Mütze gezwängt hat. Tosowie eine Open-Air-Fetischecke und eine
gos vielleicht populärster Reg- Auswahl lebender Ziegen.
gaemusiker verkauft eigenhändig seine Alben und raucht das
Abschied. Im Taxi folgen wir der längst ausser
Kraut, das er darauf gern besingt.
Betrieb stehenden Bahnstrecke Aného–Lomé,
Schwer bepackt gucken wir an
dann dem Ufer des Lac Togo nach Togoville.
Mariams Arbeitsort vorbei: ein
Afrikaforscher Gustav Nachtigal schloss dort
Piercing- und Tattoostudio, an- 1884 den Vertrag ab, der Togo zum deutschen
Schutzgebiet erklärte. Neben Spinnweben horgesichts dessen jeder Schweizer
tet das Ortsmuseum einige von den Deutschen
Hygieneinspektor einen Herzin-
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GLOBETROTTER-MAGAZIN SOMMER 2014
WESTAFRIKA
é
ì
Frische Ware. Vieles wird auf dem Markt
angeboten.
Familientreffen. Autor Marco Rüegg,
Mariam, Pascal (v.l.n.r.).
è Fussballfieber. Marco mit Fans in Lomé.
ê
Lac Togo. Passagiertransport übers Wasser.
Togo gegen Algerien. Als der Gegner nach
90 Minuten 2:0 gebodigt ist, schäumen die
Emotionen über. Der Highway wird zur Feiermeile, auf Motorrädern rasen Fahnen schwingende Fans herbei, Trillerpfeifen schrillen in
der Nacht, Trommler heizen die Spontanparty
an. Vor Schweiss und Bier glänzende Körper
tanzen, viele Schwarze, einige Weisse, Kinder
wie Grosseltern. Von den Tambouren angeführt, zieht die Menschentraube vor die Quartierdisco Gros Bébé. Auf Innenhöfen sind
Soundsysteme installiert, aus überforderten
Lautsprechern dröhnen Reggaebeats. Zu
Dutzenden gehen Shots des Palmschnapses
Sodabe über die Theken.
In den frühen Morgenstunden taumelt die
Fete aus. Licht brennt um diese Uhrzeit nur in
den Friseursalons – auf Plakaten preisen sie die
Schnitte von Prominenten wie Will Smith,
Mr. T. oder David Beckham an – sowie bei der
ominösen 24-Stunden-Tankstelle. Zapfsäulen
gibt es dort keine, erklärt Pascal, sondern
Drinks und Snacks rund um die Uhr. Er ordert
ein Schlummer-Flag, ich beschliesse meine
letzte Nacht in Togo mit Omelett und Soda.
Nestor und Mariam schlürfen Malzbier mit
Kondensmilch. Wie können sie nur, um vier
Uhr in der Früh?
Am Flughafen wäre der Plan: einchecken,
Adieu sagen, abfliegen. Nur hat der Zöllner etwas dagegen: «Non, retour!», meint er, als mein
Rucksack auf dem Förderband davonfährt und
ich zurück an die frische Luft will. Und er meint
es verdammt ernst. Wie absurd… Pascal und
Mariam stehen kaum 30 Meter entfernt vor der
Halle. Ich völlig konsterniert im sterilen, klimatisierten Duty free, das so gar nichts zu tun
haben will mit diesem Land, dieser Welt da
draussen. Auf dem Handy tippe ich Pascals Togonummer ein. Das ist es dann wohl, was man
einen unwürdigen Abschied nennt.
[email protected]
© Globetrotter Club, Bern
zurückgelassene Gegenstände: Werkzeuge,
Landkarten, eine antike Flasche Sodawasser.
Der historischen Bedeutung entsprechend, besteht der aktuelle Dorfhäuptling darauf, uns
während einer skurrilen Zeremonie zu begrüssen – von der wir trotz Übersetzungsversuch eines Gefolgsmannes kein Wort verstehen.
Wir zotteln dem Dolmetscher hinterher,
durch den wie eine Geisterstadt anmutenden
Ort – überall zerbrochene Voodooschreine,
verwaiste Ziegen. Von den 7500 Menschen, die
hier wohnen, begegnen wir nur ein paar Kindern auf dem Schulhof. Als Kontrast zur Tristesse ragt die prunkvolle Notre-Dame du Lac
Togo in den Himmel. Da, wo einst die Jungfrau
Maria erschienen sein soll, hat Papst Johannes
Paul II ein Denkmal gestiftet, nachdem er 1985
in Togoville eine Messe gelesen hatte.
Per Einbaum setzen wir über den See, anschliessend per Taxi ins «Chez Alice». Rechtzeitig zur Übertragung des Fussballmatchs
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