Überwachungsmessungen zur Bestimmung der Deformationen von
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Überwachungsmessungen zur Bestimmung der Deformationen von
14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 Überwachungsmessungen zur Bestimmung der Deformationen von Kirchtürmen Tobias Scheffler1, Thomas Martienßen2 1 Hochschule Magdeburg-Stendal, Fachbereich Bauwesen 2 TU Bergakademie Freiberg, Institut für Markscheidewesen und Geodäsie ZUSAMMENFASSUNG : Vor fast genau acht Jahren, auf dem 6. Geokinematischen Tag in Freiberg im Mai 2005, stellten die Autoren erste Ergebnisse der Schiefstellungsmessungen am Kirchturm der Oberkirche in Bad Frankenhausen vor (SCHEFFLER & MARTIENßEN, 2005). Seit dieser Zeit wurden die Messungen regelmäßig fortgeführt. Das ursprünglich verwendete Mess- und Auswertekonzept wurde zwar beibehalten, jedoch um terrestrische Laserscannermessungen ergänzt. Durch den Einsatz dieses Messverfahrens wurde es möglich, die Ergebnisse der klassischen Schiefstellungmessung unabhängig zu überprüfen sowie lokale Deformationen des Bauwerkes nachzuweisen. Im vorliegenden Beitrag werden die aktuellen Ergebnisse publiziert. Ergänzend dazu bietet sich ein Vergleich mit dem Kirchturm in Suurhusen an, der 2007 seinen Eintrag in das Guinnessbuch der Rekorde als schiefster Turm gefunden hat. Es werden die Ergebnisse der seit 2009 durchgeführten Schiefstellungsmessungen dargestellt. Die Mess- und Auswertekonzepte zur Bestimmung der Schiefstellungen beider Kirchtürme sind nahezu identisch. ABSTRACT : Almost 8 years ago to the day, on the sixth Geokinematischen Tag at the TU Bergakademie Freiberg back in March 2005 the authors published the results of tilting measurements on the church tower of the Oberkirche in Bad Frankenhausen (Thuringia, Germany). Since then measurements have been taken periodically. The original concept has been maintained, but completed with terrestrial laser scanning. With this measurement method we have been able to verify the results of the classical tilting measurements as well as to detect local deformation of the structure. The paper shows the newest results and the comparison to the leaning tower of the church in Suurhusen (Eastern Friesland, Germany) which has been listed in the book of Guinness World Records since 2007 and measured since 2009. The results are based on the same measurement concept as for the church tower in Bad Frankenhausen. 1 Einleitung und Motivation Die Überwachung hoher Bauwerke stellt besondere Anforderungen an Vermessungs- und Bauingenieure. Das Spektrum der zu überwachenden Bauwerke reicht dabei von kleineren Kirchtürmen bis zu hohen Fernsehtürmen oder auch Büro- und Wohnhäusern. Betrachtet man die 1 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 Liste der weltweit höchsten Bauwerke, ist in den letzten Jahrzenten ein Trend zu immer größeren Höhen zu verzeichnen: Wikipedia zufolge wurden allein in den letzten zehn Jahren vierzehn Bauwerke mit einer Gesamthöhe von über 400 m errichtet – den Spitzenreiter bildet dabei bekanntlich der Burj Khalifa in Dubai mit 828 m Gebäudehöhe. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich ausschließlich mit Überwachungsmessungen an Kirchtürmen. Für ein umfassendes Bauwerksmonitoring ist in den meisten Fällen eine Kombination von geodätischen und geotechnischen Messsensoren und –verfahren erforderlich. Darüber hinaus ist eine enge Zusammenarbeit von Vermessungs- und Bauingenieuren sinnvoll: Informationen über das statische Verhalten eines Kirchturmes, zu erwartende Größenordnungen seiner Deformationen sowie das Verhalten des Bauwerksuntergrundes sind wichtige Eingangsgrößen zur Erarbeitung eines wirksamen Mess- und Auswertekonzeptes für Überwachungsmessungen. Diese Konzepte können unterschiedlicher Natur sein, denkt man beispielsweise an das vielfältige zur Verfügung stehende Instrumentarium einerseits und an das Ziel der Überwachungen andererseits (beispielsweise den Nachweis von kurz-/langperiodischen Schwingungsbewegungen bzw. von dauerhaften Deformationen, speziell Schiefstellungen). Der vorliegende Beitrag gibt einen Einblick, welche Möglichkeiten die moderne Messtechnik bei der Beantwortung wichtiger Fragestellungen hinsichtlich der Stabilität von Kirchturmbauwerken bieten kann. 2 Zur Auswahl der Überwachungsobjekte Es werden zwei Beispiele für Überwachungsmessungen an Kirchtürmen dargestellt. Der Schwerpunkt liegt auf den geodätischen Messungen am Kirchturm der Oberkirche in Bad Frankenhausen (Thüringen). Darüber hinaus wird auf Schiefstellungsmessungen an der Kirche in Suurhusen (Ostfriesland) eingegangen. 2.1 Die Oberkirche in Bad Frankenhausen Die Kur- und Erholungsstadt Bad Frankenhausen befindet sich am Südhang des Kyffhäusergebirges im Norden von Thüringen, nahe der Grenze zu Sachsen-Anhalt. Eine ihrer wichtigsten Touristenattraktionen ist die im Jahr 1382 erbaute Oberkirche (im Volksmund auch „Äwwerkirche“ genannt), die mit ihrem schiefen Kirchturm ein beeindruckendes Bild bietet und zum Wahrzeichen der Stadt geworden ist (Abb.1). Seit dem Jahr 2001, als man umfassende Sanierungsmaßnahmen am schiefen Turm von Pisa durchgeführt und in diesem Zusammenhang dessen Schiefstellung um ca. ein halbes Grad verringert hat, ist der mit 53 m fast gleichhohe Kirchturm in Bad Frankenhausen schiefer als sein berühmter „Konkurrent“ in der Toskana. Die Ursache für die Schiefstellung des Kirchturms von Bad Frankenhausen ist in den geologischen Untergrundverhältnissen zu sehen. Die Kirche wurde in einem Gebiet von tektonischen Störungszonen, Erdspalten/Erdfällen und Gips-/Karstzonen mit größeren Hohlraumbildungen errichtet. Unmittelbar im nordöstlichen Kirchturmbereich befinden sich zwei nord-süd- bzw. west-ost-streichende Spaltenzonen sowie eine Doline (Karsttrichter). Insbesondere die Gips- und Salzauslaugungen sorgen für einen auch heute noch andauernden Bewegungsprozess des Kirchturmes. 2 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 Abb.1 : Kirchturm der Oberkirche in Bad Frankenhausen 2.2 Die Kirche von Suurhusen Suurhusen ist ein kleiner Ort im äußersten Nordosten Niedersachsens, ca. 5 km nördlich von Emden (Ostfriesland) gelegen. Die in der 1. Hälfte des 13 Jahrhunderts als Backsteinbau errichtete Kirche erhielt ihren nur 26 Meter hohen Turm erst um das Jahr 1450. Suurhusen erlangte spätestens im Jahr 2007 durch den Eintrag seiner Kirche in das Guinnessbuch der Rekorde internationale Berühmtheit (Abb.2). Mit einer Neigung von 5,2 Grad ist der Turm der Suurhusener Kirche Weltrekordhalter und darf sich „most leaning tower“ nennen, was ganzjährig zahlreiche Touristen anzieht. Abb.2 : Kirche von Suurhusen 3 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 Die Ursache für die Schiefstellung des Suurhusener Kirchturmes sind Absenkungen des Grundwasserspiegels infolge von Entwässerungen der umliegenden Ländereien. Diese führten dazu, dass die Eichenstämme, auf denen der Turm an seine Westseite abgestützt war, durch die Luftzufuhr zu vermodern begannen und dem Gewicht des Turmes nachgaben. 3 Überwachungsmessungen an Kirchtürmen 3.1 Gegenstand und Ziel der Überwachungsmessungen In WELSCH (1999) wird gezeigt, dass moderne geodätische Deformationsanalysen über den klassischen Gegenstand von Überwachungsmessungen in Form von der Erfassung geometrischer Veränderungen (d.h. Bewegungen und Verformungen) des Messobjektes hinausgehen. Dabei wird der Begriff der Deformation als ein Element eines dynamischen Prozesses verstanden, bei dem die Deformation das Ausgangssignale (= Ergebnis) darstellt. Darüber hinaus sind die verursachenden Kräfte (= Eingangssignal), deren Übertragung durch das Objekt sowie die Prognose des Objektverhaltens in die Betrachtung zu integrieren (Abb.3). verursachende Kräfte: Eingangssignal Übertragung durch das Objekt Deformation = Ausgangssignal Bewegung und Verformung eines Objektes (Raum und Zeit) Senkungen Hz-Verschiebungen Schiefstellungen … Krümmungen Ausbeulungen Zerrungen/Pressungen … Überwachungsmessungen zur Bestimmung geometrischer Veränderungen Prognose des Objektverhaltens Abb.3 : Deformation als Element eines dynamischen Prozesses (nach W ELSCH, 1999) Es ist offensichtlich, dass die Aufgabe zur vollständigen Beschreibung dieses dynamischen Prozesses eine fachübergreifende Integration von Methoden erfordert. Im Zusammenhang mit der Überwachung von (Ingenieur-)Bauwerken bedeutet es i.d.R. eine enge Zusammenarbeit zwischen Geologen/Geotechnikern, Bauingenieuren und Geodäten/Markscheidern. Für die in diesem Beitrag dargestellten Messobjekte in Bad Frankenhausen und Suurhusen beschränken sich die Autoren weitestgehend auf die Ermittlung geodätischer Veränderungen, wobei 4 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 das Hauptanliegen die Bestimmung der Schiefstellungen ist. Am Kirchturm der Oberkirche in Bad Frankenhausen wurden weiterhin Möglichkeiten untersucht, lokale Verformungen (nicht zuletzt auch in ihrem zeitlichen Verhalten) zu verifizieren. Darüber hinaus gibt es von mehreren Fachleuten zahlreiche Untersuchungen zu den geologischen und geotechnischen Ursachen des Bewegungsprozesses sowie zum Übertragungsverhalten und zur Prognose des Objektverhaltens. Diese würden jedoch den gewünschten Umfang dieses Beitrages weit übersteigen, weshalb fast vollständig darauf verzichtet wird. 3.2 Schiefstellungsmessungen 3.2.1 Kirchturm Bad Frankenhausen Schiefstellungsmessungen am Kirchturm der Oberkirche in Bad Frankenhausen sind seit 1914 bekannt. Zu jener Zeit wurden sie allerdings nur bis zur Höhe des Mauerwerkes (ca. 20 Meter) durchgeführt. Seit 1951 liegen auch Ergebnisse für die Kirchturmspitze vor. Die historischen Messungen und Auswertungen fanden in großen und unregelmäßigen Zeitabständen und mittels unterschiedlichster Verfahren statt. Seit 1997 gibt es regelmäßige Schiefstellungsmessungen im Zweijahresrhythmus, die in Gemeinschaftsarbeit durch den Fachbereich Bauwesen der Hochschule Magdeburg-Stendal und das Institut für Markscheidewesen und Geodäsie der TU Bergakademie Freiberg realisiert werden. Das zugrundeliegende Konzept ist ausführlich in SCHEFFLER & MARTIENßEN (1997) dargestellt. 121 .0 . E bE eb e Abb.4 : Grundlagenetz (acht Festpunkte)n en Das Messkonzept basiert auf einem Grundlagenetz von 8 Festpunkten (Abb.4), in dem mittels e Messungen in drei Vollsätzen Vertikal- und Horizontalrichtungsmessungen durchgeführt werden. ( Diese Messungen finden heute fast vollständig automatisiert mit einer Totalstation TS30 der Fa. Leica statt. Darüber hinaus werden in zehn ( horizontalen Ebenen insgesamt 47 U geometriebestimmende Objektpunkte manuell am Kirchturm angemessen (Abb.5), was in der KT späteren Auswertung die Ermittlung eventuell vorhandener Krümmungen und Verdrehungen ermöglicht. Während die Festpunkte aufgrund guter Signalisierung mit hoher Genauigkeit angezielt O werden können, wirken die Messungen zum Kirchturm genauigkeitsbegrenzend: Die Objektpunkte KF u) 5 g e 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 sind von den verschiedenen Standpunkten aus und in den einzelnen Messkampagnen nur mit geringerer Genauigkeit reproduzierbar (Abb.6). Eine Ausnahme hiervon bildet die Unterkante (UK) der Kirchturmkugel, welche von allen Standpunkten gut identifizierbar ist. 1. Ebene (UK Kugel) 2. Ebene 3. Ebene 4. Ebene 5. Ebene 6. Ebene 7. Ebene 8. Ebene 9. Ebene 10. Ebene (Tagesoberfläche) Abb.5 :Ebenendefinition des Kirchturmes in Bad Frankenhausen Abb.6 : Das Problem der Objektpunktidentifizierung 6 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 Die Messauswertung erfolgt mittels hierarchischer Netzausgleichung in zwei Stufen: 1. Dynamische Ausgleichung des Grundlagenetzes (ohne Beobachtungen zu Objektpunkten): Als Näherungskoordinaten werden die ausgeglichenen Festpunktkoordinaten vorherigen Messkampagne verwendet. Neben den ausgeglichenen Koordinaten der Festpunkte des Grundlagenetzes ist die Ermittlung verschiedener GenauigkeitsZuverlässigkeitsmaße sowie eventueller Festpunktverschiebungen möglich. den der acht und 2. Ausgleichung aller Beobachtungen: Hierbei werden die ausgeglichenen Festpunktkoordinaten der 1. Stufe als fixe Näherungswerte eingeführt. Die berechneten Objektpunktkoordinaten bilden die Grundlage für die Berechnung der Kirchturmschiefstellung und dienen dem Vergleich der zehn definierten Ebenen mit dem Ziel, eventuelle Verdrehungen oder Krümmungen des Kirchturmes zu ermitteln. In Abb.7 sind die Horizontalverschiebungsvektoren von vier Grundlagenetzpunkten nördlich des Kirchturmes dargestellt. Die anderen Festpunkte weisen keine signifikanten Bewegungen auf. Darüber hinaus enthält diese Abbildung die trigonometrisch ermittelten Senkungen. Auffällig sind hinsichtlich ihres Bewegungsverhaltens die folgenden beiden Punkte: - Festpunkt 11: Horizontalverschiebung 90 mm, Senkung 16 cm (Zeitraum: 1999 – 2012) - Festpunkt 8: Horizontalverschiebung 74 mm, Senkung 10 cm (Zeitraum: 1997 – 2012) Abb.7 : Horizontalverschiebungen (mm-Angaben) und Senkungen (cm-Angaben) der Festpunkte des Grundlagenetzes Verdrehungen und Krümmungen des Kirchturmes konnten nicht festgestellt werden. Die Ergebnisse für die Auslenkung der Kirchturmkugel sowie für die Schiefstellung sind für den Zeitraum 1997 bis 7 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 2012 in Tab.1 dargestellt. Es ist erkennbar, dass der Kirchturm bis heute in Bewegung ist, wobei sich die Geschwindigkeit in den letzten Jahren verringert hat (ca. 8 cm/Jahr für 2003 - 2005, ca. 3,5 cm/Jahr für 2010 - 2012). Es ist davon auszugehen, dass der Bewegungsprozess nicht gleichförmig verläuft, sondern ungleichmäßigen Schwankungen unterworfen ist, was eine Prognose des Bewegungsverlaufes für die kommenden Jahre quasi unmöglich macht. Tab.1 : Auslenkung der Kirchturmkugel und Schiefstellung (1997 – 2012) durchschnittliche Auslenkungsgeschwindigkeit Auslenkungsbetrag (Kirchturmkugel) Schiefstellung (Turmhöhe: 53 m) 1997 (März) 3,82 m 4,12° 1999 (April) 3,94 m 4,25° 5,8 cm/Jahr 2001 (Februar) 3,94 m 4,25° Sanierungsarbeiten an der Turmhaube 2003 (Juni) 4,08 m 4,40° 6,0 cm/Jahr 2005 (März) 4,22 m 4,55° 8,0 cm/Jahr 2008 (März) 4,41 m 4,76° 6,3 cm/Jahr 2010 (März) 4,45 m 4,80° 2,0 cm/Jahr 2012 (März) 4,52 m 4,87° 3,5 cm/Jahr Messung 3.2.2 Kirchturm Suurhusen Der Kirchturm von Suurhusen ist ähnlich wie der in Bad Frankenhausen seit langer Zeit Gegenstand geodätischer Überwachungsmessungen. Die ältesten bekannten Schiefstellungsmessungen datieren aus dem Jahr 1925. Bis in die heutige Zeit hinein wurde in unregelmäßigen und teilweise großen zeitlichen Abständen der Kirchturm messtechnisch überwacht. Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts fanden an seiner Westseite Sanierungsmaßnahmen in der Art statt, dass man die vermoderten Eichenstämme durch 11 miteinander verzahnte Betonpfähle, die bis zu 14 Metern tief gegründet wurden, ersetzte. Eine Messung im Jahr 1996 brachte den Stabilitätsnachweis des Kirchturmes, der Erfolg der Sanierungsmaßnahmen konnte messtechnisch nachgewiesen werden. Der 2007 erfolgte Eintrag in das Guinnessbuch der Rekorde sowie gewisse Unklarheiten im Vergleich der Schiefstellungen zwischen den Kirchtürmen in Bad Frankenhausen und Suurhusen waren Anlass, letzteren in den Jahren 2010 und 2011 im Rahmen eines Wahlpflichtfaches am Fachbereich Bauwesen der Hochschule Magdeburg-Stendal zu vermessen. Eine zweite Folgemessung ist für das Jahr 2013 vorgesehen. Das zugrunde liegende Mess- und Auswertekonzept ist dabei weitestgehend identisch mit dem im vorherigen Abschnitt dargestellten. Die Basis bildet ein Grundlagenetz mit neun Festpunkten (Abb.8), von denen insgesamt 16 8 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 geometriebestimmende Objektpunkte am Kirchturm in fünf horizontalen Ebenen (Abb.9) beobachtet werden. N Abb.8 : Grundlagenetz (neun Festpunkte) 1. Ebene 2. Ebene 3. Ebene 4. Ebene 5. Ebene (Tagesoberfläche) Abb.9 : Ebenendefinition des Kirchturmes von Suurhusen 9 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 Die hierarchischen Netzausgleichungen (siehe Abschnitt 3.2.1) der beiden Messkampagnen führt zu folgenden Ergebnissen: - Für die Festpunkte des Grundlagenetzes im Bereich der Kirche von Suurhusen konnten keine signifikanten Bewegungen nachgewiesen werden. - Der Kirchturm weist im oberen Drittel einen Knickpunkt auf, in dem sich die Schiefstellung des Turmschaftes von 4,8 Grad auf 5,8 Grad im Dachbereich vergrößert. - Die Gesamtschiefstellung des Kirchturmes beträgt 5,2 Grad und hat sich im Zeitraum 2010 bis 2011 nicht signifikant verändert. - Obwohl sich die ermittelten Werte für die Auslenkung und Höhe des Kirchturmes erheblich von den Ergebnissen der 2007 im Zusammenhang mit dem Guinnessbucheintrag durchgeführten Messungen unterscheidet, wird damit die dort eingetragene Schiefstellung bestätigt. 3.3 Einsatz des Terrestrischen Laserscannings Im Jahr 2008 wurde begonnen, die klassischen Schiefstellungsmessungen am Kirchturm der Oberkirche in Bad Frankenhausen mittels Terrestrischem Laserscanning (TLS) zu ergänzen (SCHEFFLER & MARTIENßEN, 2009). Hierfür gab es zwei wesentliche Gründe: - Ermittlung der Schiefstellung des Kirchturmes durch ein unabhängiges Messverfahren sowie - Quantifizierung lokaler Deformationen insbesondere an der Südwand des Kirchturmes. 22 Verknüpfungspunkte 9 Scannerstandpunkte Abb.10 : Lage der Scannerstand- und Verknüpfungspunkte für die TLS-Messung 10 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 Für die TLS-Messungen kam ein terrestrischer Laserscanner LMS Z390 der Fa. Riegl zum Einsatz. Zum heutigen Zeitpunkt liegen die Ergebnisse für drei Messkampagnen (2008, 2010 und 2012) vor, welche im Folgenden zusammengefasst werden. Um die Messungen auf einer einheitlichen geodätischen Grundlage durchführen zu können und einen unmittelbaren Vergleich der ermittelten Schiefstellung aus Totalstations- und TLS-Messungen zu ermöglichen, wurden die TLS-Messungen auf die Festpunkte des in Abb.4 dargestellten Grundlagenetzes bezogen. Die hierfür notwendigen zusätzlichen 22 Verknüpfungspunkte sowie die 9 Scannerstandpunkte enthält Abb.10. Die Kombination der einzelnen Punktwolken ergibt in Summe den Gesamtscan des Kirchturmes (Abb.11). Mit dem Ziel der Schiefstellungsbestimmung wurde der Bereich der Kirchturmkugel mittels eines höherauflösenden Feinscans erfasst. Aus letzterem lässt sich schließlich der Auslenkungsbetrag der Kirchturmkugel berechnen und mit dem Wert der klassisch gemessenen Schiefstellung vergleichen (siehe Tab.2 für die Jahre 2008, 2010 und 2012). Es ist ersichtlich, dass die Differenzen im Bereich von max. zwei Zentimetern liegen. Abb.11 : Gesamtscan des Kirchturmes und Feinscan der Kirchturmkugel Tab.2 : Ergebnisvergleich Totalstations- und TLS - Messung Auslenkungsbetrag der Kirchturmkugel Auslenkungsbetrag der Kirchturmkugel (Messung Totalstation) (TLS - Messung) 2008 (März) 4,41 m 4,43 m 2 cm 2010 (März) 4,45 m 4,45 m 0 cm 2012 (März) 4,52 m 4,51 m 1 cm Messung 11 Differenz 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 Die Softwareprodukte zur Auswertung von TLS-Messungen und zur Bearbeitung der i.d.R. sehr umfangreichen Punktwolken sind inzwischen sehr leistungsstark geworden. Eine Option der verwendeten Software RiSCAN PRO ist die Darstellung sogenannter Differenzenbilder, mithilfe derer verschiedene Messepochen miteinander verglichen werden können. Für die Südseite des Kirchturmes in Bad Frankenhausen ist in Abb.12 ein Differenzenbild für den Zeitraum 2008 bis 2012 zu sehen. In mittlerer Höhe ist deutlich die Vergrößerung einer Ausbeulung erkennbar, was der Vertikalschnitt in Abb.13 verdeutlicht. Allein in diesem Vierjahreszeitraum hat sich die Beule um ca. fünf bis sechs Zentimeter vergrößert. Vergleichbare Aussagen sind durch klassische Überwachungsmessungen mit Totalstationen, denen immer nur eine begrenzte Zahl diskreter Objektpunkte zugrunde liegt, nicht möglich. Hierin sind deutlich die Stärken der heutigen Laserscannertechnik zu sehen: Die Messdatenquantität ist wesentlich größer. Es obliegt dem Auswerter, die von ihm gewünschten Informationen aus der nach der Messung zur Verfügung stehenden Datenflut zu filtern. Abb.12 : Differenzenbild der Kirchturm - Südseite (2008 – 2012) 12 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 Abb.13 : Vertikalschnitte durch eine Ausbeulung an der Südseite 4 Ausblick Es gibt zahlreiche Bauwerke, die eine beeindruckende Schiefstellung aufweisen und dabei stärker geneigt sind, als die beiden in diesem Beitrag betrachteten Kirchtürme. In vielen Fällen ist die Neigung gewollt und bauseits bedingt, wie zum Beispiel beim 160 Meter hohen Capital Gate in Abu Dhabi, der 2010 fertiggestellt wurde und laut Wikipedia eine Schiefstellung von 18 Grad aufweist (WIKIPEDIA – „CAPITAL GATE“). Er ist als „farthest manmade leaning building“ ebenso wie der Suurhusener Kirchturm im Guinnessbuch eingetragen. Seinen Eintrag als „tallest manmade leaning tower“ hat der bereits 1987 fertiggestellte und mit sogar 45 Grad Neigung angegebene 175 Meter hohe (bzw. lange?) Montreal Olympic Stadium Tower (WIKIPEDIA – „MONTREAL TOWER“). Für die beiden Beispiele ist davon auszugehen, dass die Statik der Bauwerke eine Langzeitstabilität gewährleistet. Diese Annahme ist auf die Kirchtürme in Suurhusen und v.a. in Bad Frankenhausen nicht ohne weiteres übertragbar, womit die durchgeführten Überwachungsmessungen unter einem gewissen Sicherheitsaspekt gesehen werden müssen. Aus diesem Grund sind zukünftig folgende Messungen geplant: 13 14. GEOKINEMATISCHER TAG Freiberg 2013 - Durchführung von Schiefstellungsmessungen mit Totalstation und terrestrischem Laserscanner im Zweijahresrhythmus am Kirchturm in Bad Frankenhausen (ergänzt durch Präzisionsnivellements und Deformationsmessungen im Grundlagenetz). Der Messzyklus sollte eventuell an die geplanten Sanierungsmaßnahmen angepasst werden. - Fortführung der Schiefstellungsmessungen am Kirchturm von Suurhusen, wobei der zeitliche Abstand zwischen den Messkampagnen verlängert werden könnte. - Durchführung von zusätzlichen TLS-Messungen am Kirchturm von Suurhusen. Wie nachgewiesen werden konnte, sind momentan keine signifikanten Bewegungen des Kirchturms in Suurhusen zu verzeichnen. Anders ist die Situation in Bad Frankenhausen. Hier ist auch zukünftig mit einer zunehmenden Schiefstellung zu rechnen. Das wirft die Frage auf, bei welchem Neigungsbetrag es zu einem Kollaps des Kirchturmes der Oberkirche kommen würde. Diese Frage muss letztlich der fachkundige Bauingenieur beantworten – und das auch nur bei gleichzeitiger Definition zahlreicher Annahmen und einem Sicherheitsfaktor. Im Gegensatz zu ihm hat der Vermessungsingenieur mit seiner Beschreibung des Status quo im vorliegenden Fall eine vergleichsweise einfache Aufgabe. 5 Quellen MARTIENßEN, T. und SCHEFFLER, T. (2009): Schiefstellungsmessungen an der Oberkirche Bad Frankenhausen mittels terrestrischem Laserscanner. Vortrag auf den 8. Oldenburger 3D-Tagen (2009), In: Luhmann/Müller (Hrsg.): Photogrammetrie, Laserscanning, Optische 3DMesstechnik. Beiträge der Oldenburger 3d-Tage 2009, Herbert Wichmann Verlag 2009, Heidelberg SCHEFFLER, T. und MARTIENßEN, T. (1997): Ein modernes Verfahren zur Bestimmung von Schiefstellungen hoher Bauwerke. In: Der Vermessungsingenieur 48 (1997), Heft 6/97, Verlag Chmielorz GmbH, Wiesbaden. SCHEFFLER, T. und MARTIENßEN, T. (2005): Bergkirche vs. Pisa – Geodätische Messungen am Turm der Oberkirche zu Bad Frankenhausen. Vortrag aus dem 6. Geokinematischen Tag an der TU Bergakademie Freiberg. WELSCH, W. (1999): Fortgeschrittene geodätische Deformationsanalyse. In: Krumm, F. und Schwarze, V.S. (Eds.): Quo vadis geodesia...? Festschrift für Erik W. Grafarend, S. 505-514. Geodätisches Institut der Universität Stuttgart. WIKIPEDIA – “CAPITAL GATE”: http://de.wikipedia.org/wiki/Capital_Gate (Stand: Februar 2013) WIKIPEDIA – “MONTREAL TOWER”: http://en.wikipedia.org/wiki/Olympic_Stadium_(Montreal) (Stand: Februar 2013) 14