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Artikel 4 Seite 1 von 5 Vaterseelenallein von Burkhard Oelemann Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Westermann-Verlages, entnommen aus dem Heft:Praxis Schule 5-10, 6/1999, das Heft bezieht sich auf Jungen und Mädchen in der Schule Jungen in der Schule Verfolgt man Gespräche in Lehrerzimmern, so hört man häufig Aussagen wie: "Meine Klasse hat mich heute wieder an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht, ... immer diese pubertierenden Jugendlichen ..." usw. Noch immer wird in vielen Schulen geschlechtsneutral mit Jugendlichen gearbeitet und dabei gekonnt übersehen, dass es eben jene Jugendliche gar nicht gibt. Wenn Sie sich einmal Ihre eigene Sozialisation vor Augen führen, was waren dann die Hauptthemen zu Ihrer Schulzeit als Sie 13 oder 14 Jahre alt waren , mit denen Sie sich auseinander gesetzt haben? In der Grundschulzeit und vielleicht auch noch in der 5. Klasse waren die Jungen und die Mädchen während der Pausen getrennt anzutreffen. Und dennoch haben Jungen über Mädchen und Mädchen über Jungen nachgedacht. Sie waren anders, irgendwie auch spannend und gleichzeitig so fremd. Spätestens ab der 6. Klasse aber ist der geschlechtstypische Unterschied, die eigene Geschlechterrolle zum Mittelpunkt des alltäglichen Interesses geworden. Ich selbst habe mich in der Zeit gefragt: Bin ich schon ein Mann, wirke ich männlich? Wer ist in meiner Jahrgangsstufe für mich attraktiv? Für wen bin ich es? Was möchte ich später machen? Welchen Beruf? Sind meine Berufswünsche etwas für richtige Männer? Wie wirke ich körperlich, vor allem beim Sport? Den ganzen Tag war das Thema Mann-Sein, Mann-Werden mein Hauptbeschäftigungsfeld. Auffälligkeiten als Folge von Orientierungslosigkeit Dass die Institution Schule an sich kein geschlechterpolitisches Neutrum darstellt, wird wenn überhaupt häufig nur von Lehrerinnen gesehen um in der Folge mädchen-spezifische Angebote zu machen. Doch was passiert mit den Jungen? Sie werden in dieser Zeit "zwangsläufig" beschäftigt. Nur bei den besonders auffälligen Jungen denken viele auch an besondere Maßnahmen. Die Jungen sind schwierig, weil sie so auffällig sind. Das ist harte gesellschaftliche Realität. Schlüsselt man nämlich die Probleme von undmit Kindern und Jugendlichen nach ihrem Geschlecht auf, stößt man auf folgende Tatsachen: - Psychische und psychosomatische Störungen sind bei Jungen bis zu achtmal häufiger als bei Mädchen. - Doppelt so viele Jungen wie Mädchen werden in Erziehungsberatungsstellen vorgestellt. - Der Anteil von Jungen in Förderschulen und in Schulen für Verhaltensauffällige beträgt in Hamburg 62 % bzw. 85 %. - In der Kriminalstatistik sind Jungen bis zu 60mal häufiger vertreten als Mädchen. - Der "Klassenkasper" ist in der Regel ein Junge. - Jungen begehen viermal häufiger Selbstmord als Mädchen, während Mädchen viermal so viele Selbstmordversuche machen. - Die Selbstmordrate von Jungen steigt ab dem 14. Lebensjahr im Vergleich zu den Vorjahren um 1000 (!) %. Das zeigt: Die "auffälligen Jugendlichen" sind in Wirklichkeit fast ausschließlich Jungen ohne dass über diese Tatsache nennenswert nachgedacht oder geforscht würde. Die Aufmerksamkeit der Pädagogen, Lehrer und Eltern richtet sich vor allem auf die Auffälligkeiten als solche, weniger aber auf die nach unseren Beobachtungen dahinter stehende Orientierungslosigkeit von Jungen. Diese Auffälligkeiten sindjedoch nichts anderes als Symptome, die geradezu zwangsläufig aus den Mängeln und Schädigungen durch traditionelle file://C:\NetObjects Fusion 4.0\User Sites\ifm\Preview\hauptteil_vaterseelenallein.htm 19.03.01 Artikel 4 Seite 2 von 5 Jungensozialisation resultieren. Wie aber kommt es, dass Mädchen und Jungen, Frauen und Männer, die in derselben Gesellschaft leben, scheinbar unter denselben Bedingungen aufwachsen, sich hinsichtlich der Anwendung von Gewalt und anderer Auffälligkeiten so sehr unterscheiden? Welche Prozesse gestalten die Sozialisation von Jungen in dieser Gesellschaft? Wie sieht die Lebenswelt eines Jungen aus? (...) Auf der Suche nach männlicher Identität In vielen Seminaren mit Jungen und männlichen Jugendlichen stellten wir fest, dass Jungen vor allem auch die emotionale Anwesenheit von Männern herbeisehnen. Wenn Männer für Jungen nicht anwesend sind, kann sich ein wesentlicher Teil ihrer Realität nicht in einem realen Abbild spiegeln. Auf diese Weise aber wird die Entwicklung eines der Realität angemessenen Selbstbildes verhindert, aus dem eine stabile Identität erwachsen kann. Hier entsteht das häufig zu beobachtende Phänomen, dass Jungen zwar immer wissen, wie ein Mann sein soll (nämlich wie He-man, Rambo oder Bruce Willis oder andere fiktive Helden), aber nichts Genaues darüber sagen können, was einen Jungen wirklich ausmacht. Ein Junge muss "Männlichkeit" also zu großen Teilen in seiner Fantasie bilden. Seine Jungenrealität ist eine "Als-ob-Männerrealität". Ein Junge muss das Männerbild, die "Männerfantasie" immer zu 100 % erfüllen, denn einen Fehlschlag hat er bei erwachsenen Männern nicht erlebt. Dieser Anspruch wiederum ist zum Scheitern verurteilt, bedeutet für ihn eine Erfahrung, mit der er allein bleibt, und stellt für ihn eine tiefere Verletzung und Unsicherheit dar als für einen Erwachsenen, der diesen Prozess aus seiner Lebenspraxis kennt. Eine Variante zur Kompensation dieses Erlebens ist Gewalt oder sonstiges auffälliges Verhalten. Bei so genannten Jugendlichen nehmen die Sozialisationseinflüsse der Eltern oder Lehrer ab, die der "Peer-group", der Gruppe der Gleichaltrigen, dagegen zu. An den beschriebenen Bedingungen ändert sich dadurch jedoch nichts. Treffen mehrere Jungen aufeinander, versuchen sie, sich gegenseitig davon zu überzeugen, dass sie der Mann-Norm entsprechen. Je größer die Unsicherheit und die Angst,je weniger Orientierung jeder Einzelne für sich hat, umso deutlicher müssen sie dieses Versagen vor sich und den anderen verbergen. Was eignet sich da besser, als betont den Werten traditioneller Männlichkeit nachzueifern? So haben wir in unserer Arbeit häufig erlebt, dass Jungen nach einem intensiven und vertrauensvollen Einzelgespräch, in dem sie auch ihre Angst oder ihr Bedürfnis nach Schutz und Anlehnung benennen konnten, sofort ihr Verhalten ins Gegenteil kehrten, sobald ein oder mehrere Jungen aus ihrer Gruppe auftauchten. Kontakt und Vertrautheit, die entstanden waren, mussten nach außen unter allen Umständen verborgen bleiben um vor der Gruppe das Gesicht zu wahren. Verschärfend gilt, dass schon das bloße Gefühl, zum Beispiel Angst, ein Versagen vor der MannNorm ist, auch wenn die Angst nach außen gar nicht sichtbar wird. Es gilt nach wie vor der Mythos: "Ein richtiger Mann hat keine Angst!" Da aber jeder Mensch Situationen von Angst erlebt, trifft hier eine Gruppe von "Versagern" aufeinander. Und jeder Einzelne ist bemüht, das vor sich und den anderen zu verbergen. Zugleich entsteht dabei der Eindruck in jedem Einzelnen, er selbst sei der einzige "Versager". Der Wunsch nach Vertuschung und Kompensation hält Einzug. Gewalt und andere Auffälligkeiten dienen dann der Leugnung von eigenen Gefühlen der Unzulänglichkeit und des Mangels. Jungen wachsen orientierungslos in einem Raum ohne Grenzen auf. Schwäche gilt als schwächlich. Weich als weichlich. Diese Leitsätze müssen ein differenziertes und lebbares Vorbild ersetzen. Gewalt und andere jungentypische Auffälligkeiten dienen somit der Schaffung und Erhaltung männlicher Identität. Vor- und Leitbilder Die Frage nach Leit- und Vorbildern, ihren Funktionen und dem Zusammenhang mit Auffälligkeiten stellt sich in der Arbeit mit Jungen von Anfang an. Unter Vorbildern verstehen wir real lebende Personen. Leitbilder sind Abstraktionen von Eigenschaften. Ein Vorbild hat, weil es eine lebende Figur ist, neben seinen Stärken auch Schwächen. Es hat Vor- und Nachteile. Ein Leitbild hingegen verkörpert "nur" positive Seiten und Stärken. Es ist eine Fiktion. Wenn ein Junge zu uns in die Beratung kommt, untersuchen wir, welche Leitbilder für den Jungen wichtig sind und welche Eigenschaften er an ihnen wahrnimmt. Daraus erkennen wir, welche Eigenschaften dem Jungen besonders wichtig sind, welche Unterstützungen er in seinem Alltag braucht, welche Eigenschaften ihm Orientierung geben und daraus folgernd, wo der Junge aktuell Hilfe benötigt. Zumeist werden von Jungen Leitbilder ausgewählt, die eine extrem hohe file://C:\NetObjects Fusion 4.0\User Sites\ifm\Preview\hauptteil_vaterseelenallein.htm 19.03.01 Artikel 4 Seite 3 von 5 Duchsetzungsfähigkeit demonstrieren. Je nach Altersgruppe sind dies He-man, Knightrider oder Wrestling-Stars, aber auch Boygroups mit viel Geld, deren überhöhte Durchsetzungsstärke wahrgenommen wird. Gerade die Absolutheit der Leitbilder macht das Erreichen für jeden Jungen per se unmöglich, sodass sie eher schaden als helfen, wenn der Junge sich als Versager empfindet, weil er dem Leitbild nicht entspricht. Das Leitbild wird so zum Leid-Bild. Ein zweites großes Problem bei allen für die Jungen verfügbaren Leitbildern besteht darin, dass die Durchsetzungsfähigkeit dieser Leitbilder zumeist auf Gewaltbereitschaft und -anwendung beruht. Diese Gewaltanwendung wird in allen Filmen und in sonstigen Zusammenhängen, in denen die Leitbilder auftauchen, durchweg als "berechtigte Gegengewalt" vorgeführt. Für einen Jungen ist es unmöglich, in seinem realen Leben zwischen so genannter "berechtigter Gegengewalt" und so genannter "unberechtigter Gewalt" zu unterscheiden. Er scheitert im Alltag aber nicht durch seine mangelnde Differenzierungsfähigkeit, sondern an der Illusion, dass ein Unterschied zwischen so genannter berechtigter und unberechtigter Gewalt existiert. Zudem werden Jungen im realen Leben mit den Folgen ihrer Gewalttätigkeit konfrontiert, während die "Helden" der Leitbildvorstellungen diese Konfrontation nicht erfahren, sondern stattdessen noch eine positive Bewertung dafür erhalten, dass sie gewalttätig geworden sind. Deshalb bieten Leitbilder keinerlei Hilfe in dem Sinne, dass sie eine Halt gebende Orientierung vermitteln. Sie stiften vielmehr Verwirrung und ein Gefühl von eigener Unzulänglichkeit. Die Orientierung an Leitbildern bedingt eine dauerhafte und nicht nur momentane Idealisierung. In schwierigen Situationen des persönlichen Lebens eines Jungen kann er sich jedoch nicht an diesem Ideal orientieren, weil Leitbilder nicht wie wirkliche Menschen oder ein lebbares Vorbild Stärken und Schwächen kennen, nicht zu Kompromissen und dem Abwägen einer Situation in der Lage sind und oft genug nur eine Lösung zulassen. Jungen und Männer scheitern daher keineswegs an irgendwelchen "falschen" Idealen, sondern an der Unerreichbarkeit dieser Ideale. Keine der Idealvorstellungen von Männlichkeit ist jemals für einen Jungen oder Mann realisierbar. Ein Idealbild ist nur zu 100 % ideal. Von Jungen (insbesondere von pubertierenden Jungen), wird aber genau diese Tatsache aufgrund der Perfektionsvorgaben an sich selbst verdrängt. Sie wird auch deshalb beiseite geschoben, weil der Junge sich als den Einzigen wahrnimmt, der dieses Ideal nicht erreicht. Der Junge individualisiert sein Scheitern. Anstatt also zu denken, dass es sehr viel wert ist, sich einem Ideal anzunähern oder ihm nachzueifern und dabei vielleicht zu 70 % dem Ideal zu entsprechen, hat der Junge bei einer Erfüllung unter 100 % das Gefühl, komplett versagt zu haben. Wenn ein Junge erkennen könnte, dass seine Wahrnehmung des Ideals oder Leitbildes nicht objektiv, sondern subjektiv und sehr selektiv ist, dass er also die für ihn bedeutenden Eigenschaften dieser Figur auch selektiv auswählen kann, so bräuchte er die Ansprüche nur teilweise zu erfüllen, dem Ideal also nur punktuell genügen. Genau das kann er aber aufgrund seiner jungentypischen Sozialisation nicht, denn es fehlen ja die lebbaren Vorbilder, und auch männliche Lehrer reden (gewöhnlich) nicht über ihre Schwächen. (...) Ziele und Inhalte einer Pädagogik zur Halt gebenden Orientierung Erlebte Defizite werden von Jungen eher als persönlicher Fehler denn als typisch für die ihnen zugedachten Verhaltensweisen und Eigenschaften wahrgenommen. Männer und Jungen erleben sich als individuelle Wesen, die individuell versagen. Sie suchen deshalb individuelle Lösungswege, scheitern dabei aber häufig und verstärken so eher noch das dysfunktionale männliche Verhalten. Das Erleben von Versagen ist jedoch nicht nur ein Problem des Einzelnen, sondern Teil männlicher Erfahrungen. So betrachtet müsste es nicht vor anderen, den vermeintlich "richtigen", scheinbar nie versagenden Männern und Jungen vertuscht werden, sondern könnte als normaler Bestandteil erfahren werden. Die Einbeziehung und Wahrnehmung des geschlechtertypischen Sozialisationsdrucks erweist sich in der Arbeit mit Jungen als sehr erfolgreich. Stärker noch als bei Mädchen muss am Anfang eine Sensibilisierung für das eigene Geschlecht, die eigene Geschlechterrolle als Teil ihrer Identität stehen. Das vordringliche Ziel unserer Arbeit ist also, Jungen bewusst zu machen, welche Auswirkungen ihr eigenes, zum Teil gewalttätiges Verhalten für sie selbst, für andere Jungen, für Mädchen und Frauen hat. Die Jungen erfahren dabei auch, dass ihr Scheitern nicht ihr individuelles Versagen ist, sondern dass alle Jungen diese Probleme haben. Auf dieser Grundlage kann dem Selbstkonzept der Jungen durch das Infrage-Stellen überzogener traditioneller "Männlichkeitstugenden" mit positiven männlichen Eigenschaften, Emotionalität und Verhaltensweisen begegnet werden. Unsere Arbeit mit Jungen ist daher parteilich: Wir solidarisieren uns als Männer mit den Problemen der Jungen, bieten ihnen eine Orientierung durch transparente Präsenz, entsolidarisieren uns aber unmissverständlich von gewalttätigem Verhalten. Auf der Ebene der Wissensaneignung sollen Jungen beispielhaft folgende Erkenntnisse gewinnen: - Geschlechtstypisches Verhalten ist nicht angeboren, sondern anerzogen. - Es ist gelernt und kann verändert werden. - Das vorherrschende Bild vom Mann, dem alle Männer nachstreben, ist eine "Idealisierung", die kein Mann je erreicht. Selbst "Rambo" ist privat nur Sylvester Stallone. file://C:\NetObjects Fusion 4.0\User Sites\ifm\Preview\hauptteil_vaterseelenallein.htm 19.03.01 Artikel 4 Seite 4 von 5 So genannte "männliche Tugenden" wie Selbstbeherrschung, Gelassenheit (Coolsein), Festigkeit, Distanziertheit, Stärke, Überlegenheit, Neigung zu Gewalt, Strenge usw. machen in ihrer männlichen Idealisierung eine Panzerung des Gefühlslebens und des Körpers notwendig, sodass sich der Junge/Mann täglich selbst Gewalt antun muss, um diese Fassade aufrechtzuerhalten. Arbeit mit Jungen, so wie wir sie verstehen, stellt dagegen einen Raum zur Verfügung, in dem Jungen - lernen können, das alltägliche Gefühlsleben bewusst in die eigenen Hände zu nehmen; auch sie können für eine angenehme Atmosphäre im Umgang miteinander sorgen; - sensibler werden können für fremde und eigene Bedürfnisse, überhaupt für den zwischenmenschlichen Umgang; im psychologischen Sinne meint dies "Kontaktfähigkeit", sich selbst und gleichzeitig das Gegenüber wahrnehmen zu können; - erfahren können, dass auch Männer mit Gefühlen und Wärme begabt sind, dass Beziehungen unter Männern nicht geprägt sein müssen von nüchterner Sachlichkeit und Rivalität, sondern auch von Sympathie, die den ganzen Menschen einbezieht; sie können dann erkennen, dass emotionale Männer nicht "schwul" oder "Weichlinge" sind; - durch Abbau der typisch männlichen Gefühlsabwehr neue Erfahrungen mit allen Sinnen, mit dem eigenen Körper machen können um sich selbst besser wahrzunehmen. Eine solche Arbeit steht ineinem permanenten Spannungsfeld zwischen Empathie und Konfrontation, von Beziehungsangebot und eindeutiger Distanzierung von auffälligem oder gewalttätigem Verhalten. Diese Arbeit muss sinnvollerweise von Männern geleistet werden, die dem Jungen auch und besonders auf der emotionalen Ebene ein transparentes Gegenüber anbieten, um die Entwicklung einer realitätsbezogenen, positiven Geschlechtsidentität zu ermöglichen und zu fördern. Frauen können diese Arbeit nicht leisten. Ein positives Männerbild könnensie Jungen nicht vorleben. Jungen brauchen zu ihrer Entwicklung Mütterlichkeit und Väterlichkeit, nicht aber scheinbar geschlechtslose Pädagogen und Elternteile. Dann können auch konkrete Vorbilder an die Stelle unrealistischer Leitbilder treten. Eine Frage der Haltung Arbeit mit Jungen ist allerdings keine Frage der Methodik, sondern eine Frage der Haltung. Haltung heißt, den Kontakt zu dem kleinen Jungen in sich selbst wieder zu finden, denn diese Nähe ist bei den meisten Männern verschüttet, sodass sie sich häufig nicht (mehr) in die Jungenwelt einfühlen können. Es erfordert ein hohes Maß an Selbsterfahrung um den ehemaligen Jungen aus dem Hintergrund hervorzuholen und in den Vordergrund zu stellen, als "biografischen" Jungen, der dem anderen Jungen als "Gleicher" zu begegnen weiß. Der Junge trifft auf einen erwachsenen Mann, der Orientierung bietet und ihn gleichzeitig als Junge anspricht. Durch den Kontakt zu dem "biografischen" Jungen kann der männliche Pädagoge die Innenwelt des Jungen begreifen lernen, das heißt er hört etwas anderes in dem, was der Junge sagt, eine andere Botschaft oder eine andere Frage, als zuvor. Das ist die entscheidende Fähigkeit, der entscheidende Umgang in der Arbeit mit Jungen. Natürlich ist der männliche Betreuer immer beides: der kleine Junge und der Erwachsene. Als Erwachsener verfügt er über eine Sprache, die es ihm ermöglicht, bestimmte Dinge zu thematisieren, die von dem Jungen nur indirekt geäußert werden oder die er ausagiert. Der männliche Pädagoge kann auch von sich selbst erzählen, wie es ihm als Junge ging. Dadurch entsteht eine Solidarität zu dem Jungen und er greift zudem Themen auf, die den Jungen beschäftigen, ohne dass der sie benennt. Es entsteht eine Entlastung für den Jungen, wenn der erwachsene Mann Themen anspricht, die für Jungen als Tabu gelten. Wenn der Mann ihm zum Beispiel deutlich macht, dass er selbst als Junge Angst hatte und auch heute als erwachsener Mann Angst kennt und dies nur ungern erzählt, dann bricht damit für den Jungen einerseits ein Weltbild ("Ein Mann kennt keine Angst.") zusammen, andererseits ist er dadurch von einem Druck befreit. Er muss nicht mehr ein Ziel anstreben, von dem er selbst befürchtet, es nicht zu schaffen. Ist der männliche Pädagoge durchschaubar und authentisch, öffnet sich auch der Junge. In dieser Dynamik entsteht eine unschätzbare Beziehungsqualität und Bereicherung für den Mann und den Jungen. Literatur Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung: Befragung der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung, Pressereferat, durch den Autor.Hamburg 1996 Lempert, J./Oelemann, B.: Lieber gewalttätig als unmännlich. Hamburg o. J. (Hrsg.: "Männer gegen Männer-Gewalt", Mühlendamm 66, 22087 Hamburg) Dies.: " ... dann habe ich zugeschlagen". Hamburg 1995 Dies.: Das Leiden mit den Leitbildern Leitbilder aus der Perspektive der verstehenden Jungenarbeit. In: Sturzenhecker, B. (Hrsg.): Leitbild Männlichkeit?! Was braucht die Praxis der file://C:\NetObjects Fusion 4.0\User Sites\ifm\Preview\hauptteil_vaterseelenallein.htm 19.03.01 Artikel 4 Seite 5 von 5 Jungenarbeit. Münster 1996, S. 6874. Dies.: Selbstbewußt statt Gewalttätig Gewaltverhinderung und Gewaltabbau in der Schule (Lehrbrief für Berufsschullehrer). Göttingen (Institut für berufliche Bildung und Weiterbildung e.V.) 1996 Schnack, D./Neutzling, R.: Kleine Helden in Not. Reinbek 1990 Bei Fragen oder Kommentaren: e-mail oder Telefon 0171 - 4943000 oder 0171 - 1255525 file://C:\NetObjects Fusion 4.0\User Sites\ifm\Preview\hauptteil_vaterseelenallein.htm 19.03.01