Magazin 5 - Donizetti Society

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Magazin 5 - Donizetti Society
Die vergessene Oper
JohannSimonMayr
EinespäteOpereinesreifenMeisters
Die vergessene Oper (Folge 207)
Fedra
MelodrammaserioindueattivonJohann
SimonMayr
LibrettovonLuigiRomanelli
UA:26.Dezember1820
amTeatroallaScala,Mailand
Personen:Fedra-dramatischerSopran,
Ippolito,ihrStiefsohn-Mezzosopran,Teseo,
GatteFedrasundVaterIppolitos-Tenor,
Atide,AmmeFedras-Sopran,Terameneund
Filocle-Gefolgsleute
Ort/Zeit:GriechischesAltertum
JohannSimonMayristorpheus-LesernkeinUnbekannter.Überseine
„GinevradiScozia“wurdebeiihrermodernenErstaufführunginTriest
2001ausreichendberichtet,seineOpern„MedeainCorinto“und„La
rosabiancaelarosarossa“erfuhren1990und1991Würdigungenin
GestaltvonBeiträgeninderSerieübervergesseneOpern.Derfrühen
„Ginevra“von1801stehtnundie„Fedra“von1820gegenüber,dieim
TheaterBraunschweiginZusammenarbeitmitderMayr-Gesellschaft
IngolstadtebenfallsinmodernerZeiterstaufgeführtwurdeundbei
Drucklegung noch im Repertoire am Staatstheater ist. Simon Mayr
war zweifellos der wichtigste Komponist in Italien vor
Rossini,undseinWirkenaufseineSchülerwieBelliniund
Donizettibestätigtihndarin.Inihmvereintesichdeutsches
musiktechnischesDenkenmititalienischerErfindungund
Melodienführung.Seine„MedeainCorinto“gehörteinItalienundeuropaweitfürlangeJahrezudenmeistgespielten
WerkenundwarstetseinidealesVehikelfürdiePrimadonnenseinerZeit(dankenswerterweisegibtesvonbeiden,
„Ginevra“und„Medea“,Aufnahmen,aufdenensichMayrs
Geniusnachhörenlässt).
Die „Fedra“, Mayrs dritte seiner großen Frauen-Opern,
wurdezueinerZeitgeschrieben,alsseinGeistsicherlich
ehermitdenPflichtenseinesLehramtesinBergamound
seinengeistlichenKompositionenbeschäftigtwar.Abermit
75JahrenwarerimmernochaufderHöheseinerSchaffenskraft.ErhattesicheigentlichvomTheaterweitentfernt,
warunzufriedenunddesillusioniertmitdenPraktikenund
VerirrungendesSystems(KlingtdaseinemHeutigennicht
bekannt?),mitdenIntrigenund„convenienzeteatrali“,die
seineOperbeiihrerPremiereanderScala1820ebenfalls
einholten.WieJeremyCommonsinderBeilagezurOperaRara-LP-AusgabezuSimonMayr1975ausführt,warfürdie
ScalaeineabsolutillustreBesetzungvorgesehen.Eineder
größtenPrimadonnenderZeit,TeresaBelloc,warumjubelt
geradewiederausEnglandnachItalienzurückgekehrt,undderTenor
NicolaTacchinardi,VaterderDonizetti-LucieFannyPersiani-Tacchinardi,standenzurVerfügung.Dazukamdiekometenhaftaufsteigende
AdelaideTosiinderHosenrolledesIppolito(keineKastratenmehrfür
Mayr!)undinihremScalaDebüt,diefürihrepackendeDeklamation
undfescheErscheinunggerühmtwurde.ZudemstammtesieausMailandundhatteeineebensobegeistertewierabiateAnhängerschaft,
waszuTumultenimSaal,RausschmissundöffentlichenAuseinandersetzungenführte.DasgeplanteBallett(nichtvonMayr,aberüblich)
konntenichtaufgeführtwerden,derVorhanggingmehrmalswährend
derMusiknieder–MailandhattemalwiederseinenSkandal(auch
daskommtunsheutebekanntvor,erinnertmansichanAbendeunter
Mutiundanderen...).
WiebeiRameauoderTraettaistFedrasultimativeSzeneunmittelbar
vor ihrem Selbstmord der Höhepunkt dieser konfliktreichen Oper
Johann Simon Mayr zur Zeit seines Italienantritts;
Mayr und sein Lieblingsschüler Donizetti
5+6. 2008 Magazin13
langweiligempfand,warsiefürdie
Belloc,dieTosiundvorallemüber
dieseSzenederFedraenthusiastisch.
Die konvulsivischen Leiden, die
Selbstzerfleischung,dieTodesnähe
rückenauchdieseOpernfigurindie
NähederanderengroßenHeroinen
wieMedeaoderNormaundliefern
einVorbildfürletztere.DasEndeder
Operist,wieJeremyCommonsausführt,vonbesonderemInteresse.Der
ToddesIppolito(deraufderFlucht
vorseinemVatervonseineneigenen
Pferden zu Tode geschleift wird)
findetinalterTheatermaniernicht
auf der Bühne statt, sondern wird
alsBotenberichtgeliefert.Fedrahat
Giftgenommen,stirbtabernichtmit
demAktschluss,sondernnimmtvom
PublikumAbschiedmitdenWorten
„verzweifelt,werdeichmeinEnde
anderswo erleben“. Dies in einer
langen und abwechslungsreichen
Szene,inderMayrseineganzemelodischeKunstausbreitet.Nichtfür
einenMomentrutschtdieMusikin
fußwippendeUnterhaltungab,sondernspiegeltundmotiviertjenach
Inhalt die jeweilige Situation, die
GemütslagedertragischenHeldin.
DieLiniebleibtflüssig,dazukommt
Zwei Sängerinnen der Mailänder Premiere: Adelaide Tosi im Kostüm des Ippolito und Teresa Belloc,
einesubtileStimmungsveränderung
Mayrs Fedra, hier als seine Medea (Opera Rara);
beiFedrasVerwendungdesWortes
unten: Mayr im Kreise seiner Komponisten-Kollegen in Bergamo
„ombra“ (Schatten) mit einer Hin(orpheus-LesernwirdsicherdiegriechischeSagevonTheseusinEr- wendungzumDunklen,Geheimnisvollen,auchdurchVerwendung
innerungsein).„Sefiero,Ippolito,mifostiinvita...“(„Vielleichtwird vonHornundFagottimeinleitendenRitornellunddemvölligenFehlen
deineimHadeswanderndeSeelevonmeinenTränenberührtundzu- derStreicherimOrchester.Oboe,HornundFagottsorgenfürdietraurig
friedengestellt...“)istderganzbedeutendeMomentderOper,dieAxis gestimmteemotionaleFärbung.Violen,CelliundDoppelbässeschafderHandlung,diesichinRomanellisLibrettofestimtragisch-griechi- fendafürdendunkeltextiertenUnterbau–einegroßeundbedeutende
schenFahrwasserbewegt.WährenddiezeitgenössischeKritik(vielleicht OpernszenemittranszendierendemAnspruch.
EsistdiesesorgfältigeVorbereitung,dieaufdeutschermusikalischer
zuRecht)dieerstenzweiDritteldesWerkeseheralsschwachund
ErziehungbasierendeKunst(auchimSinnevonKönnen,
BeherrschendesMetiers),dieMayr–ausDeutschlandmitgebracht–nocheinmalvorführt.MagauchdieeineHälfte
derOper(wiebei„Ginevra“oderauchder„Medea“)eher
trocken-uninspirierterwirken,dieSchluss-Szenereißtdas
WerkinolympischeHöhen.Mayrhattestets–wohlauch
zuRecht–beiseinenZeitgenossenderenMangelansolider
Grundierung,anschieremtechnischemKönnenkritisiert.
SeineMusikiststetsprofunde,würdig,schlichtundwirkungsvollohneMätzchen,vielleichtwenigertheaterwirksam
alsdievonRossini,derabersichertechnischüberlegen.
MayrsgroßeLiebejedochgaltderKirchenmusikunddem
Unterrichten, und auch darin hat er bedeutende Spuren
hinterlassen,weitüberdieeigentlicheAufführungsdauer
seinerOpernundderenVerschwindennach1850.Erwar
einerdergroßenSchöpferderitalienischenOperdes19.
Jahrhunderts.
DerKomponist
Dazu Rainer Rupp, Präsident der Johann-Simon-MayrGesellschaftinIngolstadt:
JohannSimonMayr,am14.Juni1763alsSohneines
LehrersinMendorfbeiAltmannsteininBayerngeboren,
warum1800einerderberühmtestenOpernkomponisten
seinerZeitInBergamo,woervon1802biszuseinemTod
am2.Dezember1845alsLeiterderCappelladerKircheS.
MariaMaggioreunddesKonservatoriumswirkte,entdeckte
undförderteerDonizetti.WegenseinesgroßenEinflusses
aufdessenMusikwieauchaufRossiniundVerdiwurdeer
14Magazin
5+6. 2008
Die vergessene Oper
Oper„L’amoreconjugale“ausLondon1973bislang
nichtaufCDherausgekommen,dafürdieausWildbad2006beiNaxos.Ebenfalls„schmoren“einpaar
Rundfunkaufnahmenwie„LuigiGonzaga“(München
1987undTurin2001),ebensowenigoffiziellerschienenwie„SanSamuele“ausLecco1986.BeiGuild
sind zahlreiche Mayr-Kompositionen erschienen,
darunterwichtigeOratorien(„Atalia“sowie„Sisara“)
undoperebuffe–meistimZusammenhangmitder
IngolstädterMayr-GesellschaftundihremmusikalischenKopf,demDirigentenHauk.DerMitschnittder
BraunschweigerAufführungder„Fedra“kommtjetzt
beiOehmsheraus.
Inhalt:
schonzuseinenLebzeitenals„VaterderitalienischenOper“bezeichnet.
VerdihieltanseinemGrabdieTotenrede.
1787,imAltervon24Jahren,verließer,nacheinerMusikausbildung
inRegensburgundFörderungdurchdenAbtdesheimischenKlosters,
wegenseinerVerbindungzumKreisderdurchdenbayerischenKurfürstenverbotenenIlluminatenseineHeimatundgelangtemitHilfeseines
Illuminaten-FreundesundFörderersThomasdeBassusüberdieSchweiz
nachItalien.NacheinemerstenkurzenStudienaufenthaltinBergamo
gingernachVenedig,woerbeiFerdinandoBertoni,demKapellmeister
vonSt.Marco,seinemusikalischeAusbildungfortsetzte.Anschließend
unterrichteteeralsMaestrodicoroaneinemMädchen-Konservatorium.MitseinenerstenOratorien,dieerfürdiesesKonservatorium
komponierte, aber auch mit ersten Opern für dasTeatro La Fenice
erregteerAufmerksamkeitüberVenedighinaus.EinesteileKarriereals
Opernkomponistschlosssichan.
1802wurdeSimonMayrzumMaestrodiCappellaanderBasilica
S.MariaMaggioreinBergamogewählt,einAmt,demertrotzanderer
verlockenderAngebote,unteranderemdemdesOperndirektorsin
Paris,biszuseinemLebensendetreublieb.InseinergeliebtenBasilica
isterauchanderSeiteseinesSchülersDonizettibegraben.Dessen
musikalischeBegabunghatteerandervonihmselbst1806gegründeten
Musikschulefürmittellose,aberbegabteKinderBergamosentdecktund
entscheidendgefördert.NebenseinemHauptamtalsKirchenmusiker
undseinerTätigkeitalsLehrerimFachKompositionschriebMayrzahlreicheOpernundKantatenfürdieberühmtestenOpernhäuser,vorallem
fürdieMailänderScalaundfürdasdamalsnochbedeutendereTeatro
SanCarloinNeapel.SeinRuhmdrangaberweitüberItalienhinaus.
AllegroßenTheateringanzEuropaspieltenseineWerke.
SimonMayrskompositorischesWerkumfasstetwa60Opern,rund600
KirchenmusikwerkeundzahlreichekammermusikalischeKompositionen
undLieder.NureinBruchteildavonliegtheuteimDruckvor.
DerLibrettistRomanellifolgtnochstärkeralsRacine
inseiner„Phèdre“ganzengderklassischenVorlage.
TheseushatzumzweitenMalegeheiratetundeinen
SohnausersterEhe,Ippolito.EristgeradeinderUnterwelt,umseinenFreundHerkulesausPlutosReich
loszueisen.Fedra,seinezweiteFrau,entbrenntinLiebe
zuihremStiefsohn,dersiezurückstößt.Verletztund
hoffnungslosdenunziertsie(bzw.ihreVertrauteAtide)
ihnbeiTheseus,erhabesievergewaltigenwollen.AußersichvorZorn
verfluchtundverbanntTheseusseinenSohn,dersichaufseinemWagenmitdemFußinderLeineverfängtundvondenrasendenPferden
mitgeschleiftundzerrissenwird.FedrasVernarrtheitwirdhier–wie
inderantikenVorlage–durchIntrigenvonVenushervorgerufenund
vielleichtauchdamitentschuldigt,undinsofernistsieebensoOpfer
wiediebeidenMänner.
-GeerdHeinsen-
MayraufCD:
BeiOperaRaraistdieehemalsalsLPherausgekommeneMayr-AnthologieinTeilenindenCD-Boxenderleiderimmernochunvollendet
gebliebenenSerie„AHundredYearsofItalianOpera“enthalten,darin
istJeremyCommons’AufsatzzulesenundauchdiegroßeArie/Szene
derFedrazumindestineinemAusschnittmitPenelopeWalkeralsFedra
zuhören.MayrsOper„GinevradiScozia“istwie„MedeainCorinto“
beiOperaRaraherausgekommen,eineweitere„Medea“gibtesbei
Vanguard(mitderfulminantenMarisaGalvanyunterNewellJenkins,
demwahrenPionierweitvoreinerallgemeinenMayr-Renaisance),„La
rosabianca“erschienbeiRicordi/FonitCetra.Leideristdie„Fidelio“Bühnenbild zur Mailänder „Fedra“-Uraufführung
Altersbild des Komponisten aus der Bergamasker Spät-Zeit
(Fotos OBA/Heinsen)
5+6. 2008 Magazin15

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