Richtige Balance zwischen ambulant und stationär
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Richtige Balance zwischen ambulant und stationär
/ENTWICKLUNG/NEUAUSRICHTUNG „Unsere Maschinenausstattung ist hochwertig. Das ist wichtig, denn unsere Absolventen müssen später mit neuester Technik zurechtkommen.“ AXEL HILFENHAUS, Thema: Ein Komplexanbieter öffnet sein Angebot ............................................................................ Einrichtung: Nikolauspflege – Stiftung für blinde und sehbehinderte Menschen ............................ Ort: Stuttgart ...................................................................................................................................... LEITER DES BBW Richtige Balance zwischen ambulant und stationär DIE STUTTGARTER NIKOLAUSPFLEGE blickt auf ein stolzes Alter von 156 Jahren zurück. Gegründet wurde sie von der Württembergischen Königin Olga als Einrichtung für blinde Kinder. Den Namen gab sie der Stiftung nach ihrem Vater, dem russischen Zaren Nikolaus I. Heute ist die Nikolauspflege eine diakonische Einrichtung. Ihr hintergründiger Slogan lautet “Den Menschen sehen“. Dreifache Neuausrichtung Der Vorstandsvorsit- zende Dieter Feser hat bei seinem Amtseintritt im Jahr 1996 der altehrwürdigen Stiftung eine dreifache Richtungsänderung verschrieben. Die erste: Die Nikolauspflege sollte sich künftig nicht mehr nur auf die Kinder- und Jugendarbeit beschränken, sondern ihr Angebot auch auf erwachsene Menschen ausdehnen. Die zweite, noch tiefgreifendere Vorgabe: „Ambulant geht künftig vor stationär“, allerdings nicht absolut und ausschließlich, sondern als Richtschnur, die auch Wahlmöglichkeiten zulassen sollte. Die dritte Neuausrichtung: Sehbehinderung sollte künftig nicht mehr isoliert betrachtet, sondern im Zusammenhang mit anderen Behinderungen und Beeinträchtigungen gesehen werden. Damit gehören sehbehinderte Menschen mit primären Lernschwierigkeiten oder psychi-schen Behinderungen ebenfalls zum Klientel. Seinen sichtbaren Ausdruck fand der Wandel in der Verlegung der Zentrale vom Anstaltsgelände oberhalb Stuttgarts in die Innenstadt. Stefanie Krug, Leiterin der Unternehmenskommunikation, fasst die neue Stiftungsphilosophie folgendermaßen zusammen: „Wir verstehen uns als Anbieter, der alle Lebensbereiche begleitet und bedarfsbezo- 20 ENTWICKLUNG: NIKOLAUSPFLEGE STUTTGART gen arbeitet, ohne die Menschen an die Einrichtung zu binden. Unser Angebot besteht aus Bausteinen, die nach Bedarf genutzt werden können und auch einen Wiedereinstieg ermöglichen. Wir sind Experten rund um das Thema Sehbehinderung von der Frühförderung bis zur Sehverschlechterung im Alter.“ Die Teil-Dezentralisierung ist tatsächlich gelungen. Frühförderer und Hilfsmittelberater, Helfer bei der schulischen Inklusion in Regelschulen und Arbeitsplatzberater sind in der Region unterwegs und unterstützen ihre Klienten vor Ort. Stefanie Krug: „Nach 15 Jahren inhaltlichem und räumlichem Umbau in der Ära Feser sind wir nicht mehr der Monolith in der Landschaft, sondern dezentral aufgestellt und erkennbar auf dem Weg zu mehr Inklusion.“ Zum neuen Konzept gehören auch Kooperationen, etwa die mit den Diakoniewerkstätten Rhein-Neckar zur Beschäftigung von Sehbehinderten mit Werkstattberechtigung oder mit der Lebenshilfe Heidenheim im Bereich Wohnen. Die Standorte der Nikolauspflege erstrecken sich über ganz Baden-Württemberg und darüber hinaus. In Mainz gibt es eine neue Beratungsstelle, die ebenfalls in Kooperation mit anderen Trägern geführt wird, und auch am Sächsischen Förderzentrum, das ein Berufsbildungswerk, eine Beschäftigungsgesellschaft und etliche weitere berufliche Bildungsangebote umfasst, ist die Nikolauspflege beteiligt. Differenziertes Angebot Noch immer verfügt die Anna Heinrich... oben links bereitet sie einen Botengang vor Stiftung aber über differenzierte eigene Angebote. Im Schulbereich sind dies eine sonderpädagogische↓ KLARER KURS 02/12 KLARER KURS 02/12 ENTWICKLUNG: NIKOLAUSPFLEGE STUTTGART 21 ↓ In Sachen Vermittlungen können sich die Quoten des BBW sehen lassen. Axel Hilfenhaus: „Sie liegen zwischen 60 und 100 Prozent.“ Die derzeit starke Nachfrage nach qualifiziertem Personal spielt dabei sicher eine Rolle. Dennoch zeigt die Auslastungssituation, dass auch das Stuttgarter BBW um Teilnehmer kämpfen muss. Axel Hilfenhaus: „Es hat Einbrüche in der Belegung aller Berufsförderungswerke und Berufsbildungswerke gegeben. Wir versuchen gegenzusteuern, indem wir die Kostenträger informieren, Schul-Elternabende besuchen und Fachtagungen veranstalten. Unsere wichtigsten Multiplikatoren sind aber zufriedene Absolventen. Wer bei uns eine gute Ausbildung genossen und einen Arbeitsplatz gefunden hat und das anschließend im Netz postet, der ist für uns der wichtigste Werbeträger.“ Michael Klingenstein aus Sigmaringen, Tim Kliemann aus Köln und Marius Willy aus Rottweil sind drei Auszubildende im IT-Bereich. Sie gestalStefanie Krug, Leiterin Unternehmenskommunikation (o.) und Axel Hilfenhaus, Leiter des BBW KONTAKT Stefanie Krug, Leiterin Unternehmenskommunikation Nikolauspflege Stiftung für blinde und sehbehinderte Menschen Fritz-Elsas-Straße 38, 70174 Stuttgart Tel: 0711 / 6564 - 922 [email protected] Axel Hilfenhaus Leiter BBW Stuttgart Am Kräherwald 271, 70193 Stuttgart Tel: 0711 / 6564 - 160 [email protected] www.nikolauspflege.de 22 ↓Beratungsstelle, eine Förder-, Regel- und Berufssonderschule sowie ein Berufskolleg, im Ausbildungsbereich ein Berufsbildungswerk und ein Qualifizierungszentrum für Erwachsene. Hinzu kommt der Wohnbereich sowie unterschiedliche Arbeitsangebote. Das NIKOSehzentrum, angedockt an die Zentrale, rundet mit einer Hilfsmittelberatung die Palette ab. Die Nikolauspflege sucht auch den umgekehrten Weg zur Integration und versteht die aktuelle Diskussion um Inklusion nicht als Einbahnstraße in die Regeleinrichtung. Stefanie Krug: „In unserer Betty-Hirsch-Schule haben wir im letzten Schuljahr einen inklusiven Zweig eingeführt, die Sehbehindertenschule auch für Sehende geöffnet. Die Nachfrage ist größer als das Angebot.“ Die Stiftung ist ein Unternehmen mit einem Personalstamm von knapp 800 fest angestellten Mitarbeitern. Die Zahl der Betreuten liegt, Beratungsleistungen eingeschlossen, bei ca. 2.000. Ein solch großer Tanker ist nur schwer umzusteuern. Stefanie Krug: „Wer Teilhabe ermöglichen will, muss seine Angebote auch finanzieren können.“ Insider wissen: Ambulante Hilfen werden deutlich schlechter bezahlt als stationäre, für sie fließen im Durchschnitt nur die Hälfte der stationären Vergütungen. Um alle Angebote zu finanzieren, spielen für die Nikolauspflege Spenden- und Fundraising-Aktivitäten eine wichtige Rolle. Ein anderer Weg liegt in der Nutzung von Synergien. Stefanie Krug nennt ein Beispiel: „Der IT-Zweig unseres BBW wartet unser EDV-System und bildet seine Azubis in der Echtsituation aus.“ Mit der Neuausrichtung auch auf Erwachsene hat der Bereich Arbeit immer mehr an Bedeutung gewonnen. Früher war die Nikolauspflege nur in ENTWICKLUNG: NIKOLAUSPFLEGE STUTTGART ten gerade einen Bildschirmhintergrund neu, „Wer Teilhabe ermögdamit Texte leichter lesbar werden. Bezüglich einer lichen will, muss seine späteren Anstellung sind sie guten Mutes: „Wir Angebote auch finanwerden unsere Praktika im dritten Lehrjahr mögzieren können.“ lichst in unserem Heimatort absolvieren, um unsere Vermittlungschancen zu verbessern.“ Alle drei STEFANIE KRUG, sind überzeugt, im IT-Bereich einen Arbeitsplatz LEITERIN UNTERNEHMENSKOMMUNIKATION zu finden. Während der Ausbildung wohnen sie im Wohnbereich der Nikolauspflege. Axel Hilfenhaus erläutert die Bedeutung des Wohnens: „Hier erwerben die Teilnehmer lebenspraktische Fähigkeiten. Die Wohnangebote sind abgestuft und führen zur Verselbständigung. Das ermöglicht den Jugendlichen, ihren eigenen Lebensweg zu gehen.“ Marvin Mertens absolviert eine Ausbildung zum Metallwerker. Er ist im zweiten Lehrjahr. „Ich komme aus Sinsheim“, berichtet er, „und bin hier auch im Internat untergebracht, allerdings in einer Wohngruppe in der Stadt. Im Moment absolviere ich die Fachpraktikerausbildung, werde aber wohl ↓ der Ausbildung engagiert, heute hilft sie auch bei der Suche nach einem Arbeitsplatz und berät bei der erforderlichen Ausstattung und sie bietet eigene Dauerarbeitsplätze. Stefanie Krug: „Menschen mit Sehbehinderungen sind in der Regel erwerbsfähig und können mit passgenauen Hilfen Arbeit finden.“ Nach dieser Maxime ist das Angebot an Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten bewusst klein gehalten. Die Werkstatt im Limeshof verfügt nur über 80 Plätze. Der Integrationsbetrieb OKIN ist als Sprungbrett in den Arbeitsmarkt gedacht und umfasst 50 Arbeitsplätze. 30 Plätze hat das Haus des Blindenhandwerks in Esslingen (siehe nebenstehende Artikel). Beispiel Berufsbildungswerk Die zentrale Weichenstellung ins Berufsleben übernimmt nach wie vor das 1976 gegründete Berufsbildungswerk. 150 Ausbildungsplätze stehen zur Verfügung, 130 sind derzeit belegt. Neben den Ausbildungsgängen bietet das BBW auch das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) und eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme zur beruflichen Orientierung (BVB). Das Ausbildungsangebot beinhaltet die Bereiche Metall, Gartenbau, Hauswirtschaft und IT, dazu Wirtschaft und Verwaltung sowie die traditionellen Berufe „Bürsten- und Pinselmacher“ und „Flechtwerkgestalter“, also Korbmacher. Die Teilnehmer können wählen zwischen der Vollausbildung und einer theoriereduzierten Ausbildung zum Fachpraktiker. BBW-Leiter Axel Hilfenhaus: „Unsere Maschinenausstattung ist hochwertig. Das ist wichtig, denn unsere Absolventen müssen später mit neuester Technik zurechtkommen. Ob jemand CNC-Maschinen programmieren kann, entscheidet über ↓ den Vermittlungserfolg.“ KLARER KURS 02/12 Akar Burak...zieht Borsten ein KLARER KURS 02/12 ENTWICKLUNG: NIKOLAUSPFLEGE STUTTGART 23 „Wir sind schlechter subventioniert als ein Integrationsbetrieb.“ JENS GRUBER, PRODUKTIONSLEITER ↓anschließend noch einen Vollabschluss zum Industriemechaniker machen. Ich würde am liebsten hier in Stuttgart arbeiten. Die Anleiter unterstützen uns bei der Bewerbung und gehen mit uns in die Betriebe. Ich bin sicher, dass ich einen Arbeitsplatz erhalten werde.“ Seine Vorstellung von einem selbständigen Leben formuliert der junge Mann so: „Ich will weiterkommen und Geld verdienen, vielleicht auch meinen Meister machen. Ich kann weitgehend selbständig arbeiten und brauche nur gelegentlich Unterstützung. Ich glaube, ich kann mein Leben meistern.“ Auch wohnortnahe Ausbildungen gehören mittlerweile zum Angebot des BBW, allerdings machen sie erst zehn Prozent des Angebotes aus. Stefanie Krug: „Ein solcher Neuaufbau braucht einfach seine Zeit.“ Die Bedeutung der Peer-Group Mit der Umstellung von rein stationären auf gemischte Angebote hat sich die Nikolauspflege auf einen notwendigen, aber schwierigen Weg begeben. Für Blinde und Sehbehinderte gibt es bisher nur wenige ambulante Anbieter. Stefanie Krug: „Sie merken in der Regel schnell, dass dies ein spezifisches Know-how verlangt, über das sie nicht verfügen.“ Die Nikolauspflege mit ihrem breiten Angebotsspektrum sieht damit für sich einen wichtigen Versorgungsauftrag. Stefanie Krug: „Wir sind ein Kompetenzzentrum,↓ Der Handel mit Besen und Bürsten Thema: Traditionelle Arbeitsplätze für Blinde und Sehbehinderte .......................................................................... Einrichtung: Haus des Blindenhandwerks gemeinnützige GmbH ................................................................................ Ort: Esslingen .................................................................... ANDREAS NATTERER hat nichts dagegen, wenn ihn jemand Besenbinder nennt. Dabei hat er Anspruch auf die Bezeichnung „Geprüfter Bürsten- und Pinselmacher“. In diesem Lehrberuf hat er den Gesellenbrief erworben. „Schon seit 23 Jahren stelle ich Besen und Bürsten her“, sagt er nicht ohne Stolz. Er mag es, wenn sich jemand für seine Arbeit interessiert. „Schauen Sie, dieser Besen hat 300 Löcher“, erklärt er dem Besucher, und die Bedächtigkeit seiner Worte steht im Gegensatz zur Schnelligkeit seiner Finger. „Mit der Bündelabteilmaschine portioniere ich die Borsten, nehme das Bündel ab und flechte es in den Draht ein. Dann ziehe ich fest. Das Ganze dreihundert Mal, nach einer Stunde ist der Besen fertig.“ Übernahme durch die Nikolauspflege Andreas Natterer arbeitet im Haus des Blindenhandwerks. Gegründet wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg für Kriegsblinde und für Kriegsversehrte von der Blindengemeinschaft Esslingen. 2005 ging der Betrieb in die Insolvenz und wurde von der Stiftung Nikolauspflege aufgefangen. Sie verkleinerte den Betrieb und siedelte in den Räumen eine Außenstelle der Werkstatt an. Sylvia Prokosch ist die Leiterin des Hauses und organisiert den Vertrieb. „Derzeit haben wir 30 Mitarbeiter“, berichtet sie, „und einige von ihnen sind hier schon 40 Jahre lang tätig.“ Anerkannte Blindenwerkstatt Das Haus des Blindenhandwerks ist eine anerkannte Blindenwerkstatt mit einer Vielzahl privater und gewerblicher Kunden. Anders als der Name vermuten lässt, arbei- 24 ENTWICKLUNG:NIKOLAUSPFLEGE STUTTGART tet eine Blindenwerkstatt nicht unter den Bedingungen einer WfbM. „Wir sind schlechter subventioniert als ein Integrationsbetrieb“, sagt Produktionsleiter Jens Gruber, „denn wir gelten als ein Unternehmen am freien Markt. Die gewerblichen Kunden können lediglich ihre Rechnungsbeträge auf die Ausgleichsabgabe anrechnen, Zuschüsse erhalten wir nicht.“ Natürlich muss deshalb ein Besen, den Andreas Natterer in Handarbeit fertigt, teuerer sein als ein Produkt aus dem Baumarkt. „Wir liegen fünf- bis zehnmal über den Preisen aus der maschinellen Fertigung“, bestätigt Jens Gruber. „Damit wir uns von der Massenware abheben, haben wir den Markennamen NIKOManufakt kreiert. Er steht auf jedem Stück, das unsere Fertigung verlässt und ist ein Synonym für Qualität.“ Neue Produkte Um die Produktpalette attraktiv zu machen, geht der Produktionsleiter auch neue Wege. „Wir kooperieren mit der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch-Gmünd“, berichtet er, „und einige der Design-Entwürfe finden sich in unserem aktuellen Katalog.“ Zu den Vertriebswegen gehört unter anderem ein Online-Shop. Das Haus des Blindenhandwerks ist auch auf Verbrauchermessen und Weihnachtsmärkten vertreten. „Manchmal versuchen wir uns an völlig anderen Produkten“, verrät Jens Gruber. „Wir haben zum Beispiel aus Rosshaar Springmatten für die Feuerwehr hergestellt und die Bürsten einer Reinigungsmaschine für eine Kläranlage gefertigt. Solche Aufträge dienen auch der Profilierung.“ Wir-Gefühl Die 30 Mitarbeiter fühlen sich als eine enge Gemeinschaft. „Wir sind kein normaler Betrieb“, beschreibt es Andreas Natterer, „hier wird das Miteinander groß geschrieben. Am deutlichsten wird das zu Weihnachten, wenn Hochbetrieb herrscht.“ Er geht dann mit auf die Märkte, um seine Arbeit zu demonstrieren: „Ich unterhalte mich gerne mit den Leuten und sie sind auch interessiert. Wie man auf traditionelle Art Besen bindet, weiß kaum noch jemand.“ Jens Gruber ergänzt: „Viele mögen diese Vorführungen. Zu zeigen, was man kann, stärkt das Selbstbewusstsein.“ ↓ KLARER KURS 02/12 ↓das alle Hilfebereiche und Maßnahmeformen abdeckt, im Ambulanten wie im Stationären.“ Nicht nur Umstellungsprobleme lassen die Nikolauspflege an den stationären Angeboten festhalten. Stefanie Krug: „Integrative Angebote beinhalten für manche Betroffene auch eine Ausgrenzungserfahrung. Sie können unter Sehenden weniger gut kommunizieren und Sehende können sich oft schwer in ihre Situation hineinversetzen. Deshalb wünschen sich viele den Kontakt zu Menschen mit derselben Beeinträchtigung. Die Nikolauspflege wird nie ganz auf stationäre Angebote verzichten, weil sie unserer Klientel wichtig sind. DB ❚ Samuel Burghardt, Leiter der Außenstelle, Sylvia Prokosch, Betriebsleiterin, und Jens Gruber, Leiter der Produktion Eine Blindenwerkstatt unter Druck ↓Unlauterer Wettbewerb Bis zum Trägerwechsel wurden die Mitarbeiter nach Stückzahlen bezahlt. Heute erhalten sie einen Grundlohn und eine Prämie. „Mit dem Blindengeld kann ich davon gut leben“, versichert Andreas Natterer, ohne Zahlen zu nennen. Die meisten Beschäftigten sind mittlerweile über 50, Nachwuchs ist Mangelware. „Interessenten gäbe es“, erläutert Betriebsleiterin Sylvia Prokosch, „aber wir müssen den Personalstamm der Auftragslage anpassen. Schon 30 Menschen in Lohn und Brot zu halten, ist ein hartes Geschäft.“ Zudem müssen sich die Verantwortlichen mit unseriöser Konkurrenz auseinandersetzen. Sylvia Prokosch: „Es gibt viele Geschäftemacher, die unseren Namen als Türöffner verwenden, um überteuerte Waren zu verkaufen. Gegen die Drückerkolonnen kommt man nur schwer an. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit besteht in der Aufklärung.“ Die Außenstelle des Limeshofs Die WfbM-Mitarbeiter im Haus des Blindenhandwerks sind nicht direkt in die Herstellung der Besen und Bürsten eingebunden, sondern bearbeiten vorwiegend eigene Aufträge. Außenstellenleiter Samuel Burckhardt: „Wir übernehmen vor allem Verpackungs- und Montagearbeiten. Beispielsweise kuvertieren wir für den baden-württembergischen Energieversorger EnBW. Außerdem sind einige Mitarbeiter als Boten eingesetzt. Ein Mitarbeiter hat einen Außenarbeitsplatz im NIKOManufakt-Laden in Stuttgart, andere arbeiten in unserem Tante-Emma-Laden mit dem Namen Schwarzmarkt bei der Stuttgarter Nikolauspflege am Kräherwald .“ Auch die Werkstattbeschäftigten fühlen sich in diesem Betrieb wohl. Kleine Einheiten haben ein besonderes Flair. Andreas Natterer bestätigt das: „Für mich ist es wichtig, Kollegen zu haben, die ich mag und mit denen ich mich verstehe. Dafür fahre ich gern jeden Tag aus Kornwestheim hierher.“ ❚ KONTAKT Haus des Blindenhandwerks gemeinnützige GmbH, Sylvia Prokosch, Jens Gruber Fritz-Müller-Straße 99, 73730 Esslingen, Tel: 0711 / 93 92 16- 13, [email protected] KLARER KURS 02/12 SPEZIALISTEN GESUCHT Ein kleines Modelabel aus Paris setzte es sich im vergangenen Jahr in den Kopf, ein Kleid aus Bürsten zu kreieren, und die Designer suchten Fachleute, mit denen sie die Idee realisieren konnten. Sie stießen auf das Haus des Blindenhandwerks in Esslingen. Produktionsleiter Jens Gruber berichtet: „Eine Woche war die Designerin mit ihrer Assistentin bei uns und hat mit den Beschäftigten an der Umsetzung gearbeitet. Unsere Handwerker waren den Designern in ihrer Geschicklichkeit natürlich weit voraus und setzten ihre ganze Routine ein. Das Kleid wurde schließlich bei einer Modenschau in Paris vorgeführt. Es war ein Unikat. Eigentlich sollte noch ein zweites, extravaganteres Modell entstehen, aber das war technisch nicht machbar. Mit einer kleinen Abordnung haben wir an der Modenschau in Paris teilgenommen.“ Ein weiterer Sonderauftrag kam vom Stuttgarter Renitenz-Theater. Das vergibt jedes Jahr den „Stuttgarter Besen“, eine Auszeichnung für Nachwuchskabarettisten. Es gibt ihn in Gold, Silber und Holz. Im Jahre 2012 wurden die Besen von der Nikolauspflege gefertigt und zwar in einer XL-Variante für das Podium und als Preis für die Gewinner, zerlegbar und mit Koffer. Produktionsleiter Jens Gruber schmunzelt: „Ganz zum Schluss musste ich schnell noch die farbigen Stile fertigen, damit das Ganze passend aussah.“ Die Aufzeichnung der Show war zu Ostern im Südwest-Fernsehen zu sehen. Künftig werden die Stuttgarter Besen wohl regelmäßig Produkte aus dem Haus des Blindenhandwerks sein. ENTWICKLUNG: NIKOLAUSPFLEGE STUTTGART 25