Dieter Bohlen

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Dieter Bohlen
serie / unterhaltung
Dieter Bohlen &
das Gorilla-Gen
Auch in der 10. «DSDS»-Staffel werden die lauten Selbstdarsteller punkten.
Höchste Zeit, ein Plädoyer für die Introvertierten zu halten.
Text: Ursina Ehrensperger
DSDS Castingshow, Start der 10. Staffel
samstag
5. januar 20.15 rtl
W
as hat Dieter Bohlen mit einem
extrovertierten Affen gemein?
Eine ganze Menge, möchte
man meinen. Besonders beeindruckend
ist dabei die Tatsache, dass beide, der
extrovertierte Affe und der affektierte
Bohlen, länger überleben als ihre stillen
Artgenossen – jedenfalls am Bildschirm
(Bohlen) und im Zoo (Affe).
Eine gerade erschienene Studie im
Wissenschaftsmagazin «Proceedings of
the Royal Society» kommt nämlich zum
Schluss: Gorillas, die besonders aktiv
und vorlaut, also extrovertiert sind,
haben bessere Überlebenschancen als
ihre introvertierten Artgenossen. Dies
beobachteten Forscher über einen Zeit­
raum von 18 Jahren in nordamerika­
nischen Tierpärken.
Auch Bohlen überlebt erstaunlich
lang. Der extrovertierte Showman hat
bisher die gesamte «DSDS»-Existenz
mitgemacht. Am 5. Januar geht er mit
«Deutschland sucht den Superstar» be­
reits in die zehnte Runde.
Am Bildschirm
geben Grossmäuler wie
Dieter Bohlen
den Ton an.
Ja, im Scheinwerferlicht überleben die
Lauten, Lustigen, Lässigen. Oder wie
Bohlen sagt: «Nur die Harten kommen
in den Garten.» Gäbe es sie nicht, die ex­
trovertierten Selbstdarsteller, würde wohl
die gesamte Unterhaltungsindustrie zu­
sammenbrechen. Obdendrein zeigen sie
uns, wie der Idealmensch heute zu sein
Leise Menschen –
starke Wirkung Sylvia
Löhken,
Fr. 36.90,
Gabal
Die Autorin
zeigt, wie «die vernachlässigten 50 Prozent aller
Menschen», die Introvertierten, ihre leise Stärken
beruflich wie privat einbringen können.
Schüchtern
Florian
Werner, Fr.
27.90, Nagel
& Kimche
Selbstdarstellung
scheint heute selbstverständlich,
Schüchternheit hingegen
ist passé. Stimmt nicht,
wie der Autor amüsant
anhand eigener Erlebnisse aufzeigt.
Still – Die
Bedeutung
von Introvertierten …
Susan Cain,
Fr. 29.90,
Riemann
Starkes Auftreten und die Beherrschung von Smalltalk
sind nicht alles. Susan
Cain steht in ihrem
Buch für die Qualitäten
der Stillen ein.
Fotos: babiradpicture (2), pd (3)
INFOBOX
hat: schlagfertig, egozentrisch und gern
ein bisschen schamlos. Er punktet mit
schnellen Ideen, kommt mit flockigen
Sprüchen an, imponiert mit lockerem
Mundwerk. Er ist ein Alphatier.
Doch es gibt auch die anderen; jene,
die nur ungern im Mittelpunkt stehen,
mit Smalltalk nichts anfangen können
und Partylaune mit Cüpligeschwätz nur
bedingt ertragen. Die Introvertierten un­
ter uns brauchen zwischen Jubel und
Trubel immer wieder Ruhe und Erho­
lung, um ihre Batterien aufzuladen.
Ganz für sich. Und auch wenn man zu­
weilen einen anderen Eindruck erhält:
Sie sind den Extrovertierten zahlen­
mässig keineswegs unterlegen, sondern
machen fast 50 % der Bevölkerung aus.
Mit ihrem Buch «Leise Menschen –
starke Wirkung» verschafft die deutsche
Autorin Dr. Sylvia Löhken ihnen nun Ge­
hör (vgl. Infobox) – und outet sich gleich
selbst als «leisen Menschen». Auch
die amerikanische Autorin Susan Cain
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EXT
V E R T RO IE RT
«Nur die Harten
kommen in
den Garten.»
Dieter Bohlen, Musikproduzent und
«DSDS»-Juror
© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer Schweiz AG, - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.as-infopool.de/lizenzierung TELE-2013-01-03-tui- ec969383085928004e8336bc3d
serie / unterhaltung
Der typische Extrovertierte …
Der typische Introvertierte …
… tankt Energie durch den Kontakt
mit anderen Menschen.
… tankt Energie durch Ruhe
und Zeit für sich allein.
… spricht und handelt oftmals
spontan.
… denkt am liebsten nach, bevor
er redet oder handelt.
… braucht wenig persönlichen
Raum.
… schätzt persönlichen Raum (wie
z. B. eigenes Zimmer, räumlichen
Abstand zu anderen Menschen).
… findet Smalltalk anregend
und unterhaltsam. Initiiert
gern neue Kontakte mit vielen
Menschen.
… findet Smalltalk mühsam,
bevorzugt Gespräche mit wenigen
Personen. Wartet oft darauf,
dass andere die Initiative ergreifen
und auf ihn zugehen.
… ist schnell gelangweilt.
… braucht wenig äussere An­
regungen.
… arbeitet gern im Team.
… arbeitet gern allein oder mit nur
einer anderen Person.
… redet lieber, als zuzuhören.
… hört lieber zu, als zu reden.
… fühlt sich in Gruppen,
in unerwarteten Situationen oder
unter Druck in seinem Element.
… hat in Gruppen, in unerwarteten
Situationen oder unter Druck
fast immer ein befangenes Gefühl
und in extremen Fällen Blackouts.
… spricht relativ schnell über
Persönliches und eigene Gefühle.
… teilt Persönliches und eigene
Gefühle vorsichtig dosiert mit.
… wirkt offensiv.
… wirkt eher distanziert.
… nimmt Kritik nicht gleich
persönlich.
… nimmt Kritik schneller
persönlich.
… spricht oft laut, nachdrücklich
und schnell.
… spricht oft leise und mit wenig
Nachdruck.
OinTR ERT
I
V ERT
Schöpferisch
und in sich
gekehrt: Musiker
Bob Dylan.
Auszug aus «Leise Menschen – starke Wirkung» von Sylvia Löhken
Nun, introvertierte Menschen, so die
Definition, sind nicht zwingend schüch­
tern. Doch das Zusammensein mit
andern Leuten ermüdet sie. Und: Sie
geraten schnell ins Abseits. «Wir leben
in einer Welt, in der typisch extrovertier­
te Eigenschaften bevorzugt werden»,
sagt Sylvia Löhken. Stille Menschen wer­
den gezwungen, sich anzupassen – oder
man übersieht sie.
Gerade in der Arbeitswelt geschieht
dies oft. Deshalb, das wissen Arbeitsund Organisationspsychologen eigent­
lich schon lange, taugen Gruppenarbei­
ten wenig. Denn Gruppen neigen dazu,
die Vorschläge der penetrantesten Per­
sonen zu übernehmen. Das ist proble­
matisch, wie Susan Cain betont: «Wenn
wir davon ausgehen, dass stille und laute
Menschen etwa dieselbe Anzahl an guten
oder schlechten Ideen haben, dann sollte
der Gedanke, dass nur die lauteren und
«Wir leben in einer Welt,
in der extrovertierte Eigenschaften bevorzugt werden.»
Dr. Sylvia Löhken, Autorin von «Leise Menschen – starke Wirkung»
energischeren Menschen sich durchset­
zen, uns besorgt aufhorchen lassen.»
Wir brauchen die Stillen. Eine lange
Liste bekannter Namen zeigt, dass viele
der kreativsten Menschen introvertiert
sind: Bob Dylan, Woody Allen, Bill
Gates, Albert Einstein, Prinzessin Diana,
Avril Lavigne und Yves Saint Laurent,
um nur ein paar davon zu nennen.
Introvertierte Menschen sind hervor­
ragende Zuhörer und verfügen über
Eigenschaften wie Geduld und Konzen­
tration. «Zudem wägen sie Risiken ab
und sind vorsichtig, wenn es um un­
kalkulierbare Wagnisse geht», sagt Sylvia
Löhken. «Deshalb bevorzuge ich leise
Piloten, Banker und Ärzte.»
Ja, wir brauchen die Stillen – auch
wenn die schrille Fernsehwelt uns glau­
ben macht, dass nur die Lautesten ge­
winnen. Dem ist offensichtlich nicht so.
Sonst hätte die Evolution die Introver­
tierten längst auch in freier Wildbahn
zur klaren Minderheit gemacht, nicht
nur am Bildschirm und im Zoo.
n
Fotos: keystone, zvg
schreibt über die Stillen unter uns, und
der Autor Florian Werner bekennt sich
sogar als schüchtern: «Es liegt in der
Natur der Sache, dass mich selbst ein
solch unspektakuläres Bekenntnis einige
Überwindung kostet. Mit unbekannten
Menschen ein längeres Gespräch zu
führen, womöglich mit Blickkontakt,
womöglich ohne Alkoholeinfluss, fällt
mir unsagbar schwer.»
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