Allgemeines Verwaltung Allgemeines Verwaltungsrecht

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Allgemeines Verwaltung Allgemeines Verwaltungsrecht
Kommunales Studieninstitut Kaiserslau
Kaiserslautern
Skript zum Unter
Unterricht
im
Unterrichtsfach
Allgemeines Verwaltungs
Verwaltungsrecht
Erarbeitet und zusammengestellt von Stadtoberverwal
Stadtoberverwaltungsrätin
Christina Mayer,
Mayer,
Stellvertr. Direktorin des Referats Recht und
und Ordnung
Das Kopieren, Vervielfältigen usw. dieses Skriptes ist nur mit Zustimmung der Autorin gestattet!
20.05.12 Unterrichtsskript zum AVR.doc
StOVR Christina Mayer
Skript zum Verwaltungsrecht
- Allgemeiner Teil
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Inhaltsverzeichnis
I.
Einführung und Allgemeines
1. Abgrenzung von Privatrecht und Öffentlichem Recht
2. Einführungsfall – Jim Knopf
II.
Standort des Verwaltungsverfahrens
Wo wird das Verwaltungsrecht innerhalb des Öffentlichen
Rechts eingeordnet?
III. Grundsätze des Verwaltungshandelns
1. Allgemeines
2. Überblick über die Handlungsformen der Verwaltung
a. Rechtsverordnungen und Satzungen
aa. Rechtsverordnungen
bb. Satzungen
b. Tatsächliches Handeln der Verwaltung
c. Planendes Handeln der Verwaltung
d. Internes Verwaltungshandeln
aa. Verwaltungsvorschriften
bb. Arten von Verwaltungsvorschriften
cc. Rechtswirkungen von Verwaltungsvorschriften
e. Weisungen
3. Verwaltungsträger
4. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
a. Der Vorrang des Gesetzes
b. Der Vorbehalt des Gesetzes
5. Ermessen der Verwaltung
a. Das Wesen des Ermessens - Grundlagen
b. Voraussetzungen und Arten des Ermessens
aa. Merkmale von Ermessensnormen
bb. Abgrenzung zu artverwandten Erscheinungen
Unbestimmte Rechtsbegriffe
c. Arten des Ermessens
d. Intendiertes Ermessen
e) Bindungen der Ermessensausübung - Ermessensfehlerlehre
aa.
Gesetzliche Bindung und Grenzen des Ermessens
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bb.
Ermessensfehler
aaa.) Ermessensüberschreitung
bbb.) Ermessensnichtgebrauch (teilweise als
Unterschreitung des Ermessens bezeichnet)
ccc. Ermessensfehlgebrauch(-missbrauch)
ddd. Verstoß gegen Grundrechte und allgemeine Verwaltungsgrundsätze
cc. Ermessensreduzierung auf Null
IV. Grundregeln des Verwaltungsverfahrens
1. Was ist das Verwaltungsverfahren?
2. Warum gibt es ein Bundesverwaltungsverfahrensgesetz
und ein Landesverwaltungsverfahrensgesetz?
3. Wo steht im Verwaltungsverfahrensgesetz etwas Grundsätzliches über das Verwaltungsverfahren?
4. Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens
5. Verfahrensgrundsätze des Verwaltungsverfahrens
a. Die Behörde
b. Amtsträger - Ausschluss von Personen
c. Die Beteiligten
aa. Die Beteiligungsfähigkeit - § 11 VwVfG
bb. Handlungsfähigkeit § 12 VwVfG
cc. Beteiligte
d. Vertretung
e. Beginn des Verwaltungsverfahrens
f. Amtssprache
g. Beratung und Auskunft
h. Untersuchungsgrundsatz - Amtsermittlungsgrundsatz
i. Anhörung
j. Beweismittel
k. Akteneinsicht
l. Geheimhaltung
V. Besondere Verfahren
1.
2.
Förmliches Verfahren
Planfeststellungsverfahren
VI. Der Verwaltungsakt
1. Übersicht
2. Hoheitliche Maßnahme
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3. Die Behörde
4. Einzelfallregelung
a. Regelung
b. Einzelfall
5. Öffentliches Recht als Handlungsbereich
6. Rechtsaußenwirkung
a. Außenwirkung
b. Unmittelbarkeit
VII. Arten des Verwaltungsaktes
1. Einteilung nach der Entstehungsform
2. Einteilung nach der Ausdrucksform
3. Einteilung nach der Wirkungsform
VIII. Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes
IX. Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt
1. Bedeutung der Nebenbestimmungen
2. Arten von Nebenbestimmungen
a. Befristung
b. Bedingung
c. Widerrufsvorbehalt
d. Auflage
e. Auflagenvorbehalt
3. Zulässigkeit von Nebenbestimmungen
a. Gebundene Verwaltungsakte
b. Ermessensverwaltungsakte
c. Koppelungsverbot
4. Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen
X. Das Widerspruchsverfahren
1. Die Bedeutung des Vorverfahrens - Die Doppel- bzw. Dreifachnatur des Widerspruchsverfahrens
a. Verwaltungsgerichtliches Vorverfahren
b. Verwaltungsbehördliches Rechtsbehelfsverfahren
c. Filterfunktion für die Verwaltungsgerichte
2. Ablauf des Verfahrens
a. Verfahrensbeginn
b. Die ordnungsgemäße Widerspruchserhebung
aa. Ausgangsbehörde
bb. Rechtsausschuss
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c. Die Voraussetzungen des § 70 VwGO
aa. Schriftlich
bb. Zur Niederschrift
cc. Frist
dd. Bestimmte inhaltliche Anforderungen
XI. Exkurs: Welche formlosen Rechtsbehelfe gibt
es?
1. Allgemeines
2. Die Gegenvorstellung
3. Die (Fach-)Aufsichtsbeschwerde
4. Die Dienstaufsichtsbeschwerde
5. Bürgerbeauftragter
3. Weiterer Verfahrensablauf
zu a. Vorsitzender
zu b. Beisitzer
zu c. Widerspruchsführer und Widerspruchsgegner
4. Der Termin der mündlichen Verhandlung
Zu a. Rücknahme des Widerspruchs
Zu b. Abhilfe
Exkurs : Der Ablauf des Abhilfeverfahrens
Zu c. Vergleich
Zu d. Erledigungserklärung
Zu e. Widerspruchsbescheid
Zu f. Was wird vor Erlass des Bescheides geprüft?
XII. Die Wirksamkeit und die Bestandskraft von
Verwaltungsakten
1. Die Wirksamkeit von Verwaltungsakten
a. Allgemeines
b. Zur Bekanntgabe
c. Die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes
d. Die Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes
2. Die Vorschriften im Einzelnen
a. § 43 VwVfG
b. § 44 VwVfG
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c. § 45 VwVfG
d. § 46 VwVfG
e. § 47 VwVfG
f. § 48 VwVfG Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes
g. § 49 VwVfG Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes
XIII. Der Öffentlich-rechtliche Vertrag
1. Der Begriff des öffentlich-rechtlichen Vertrags - Einführung
2. Begriffsmerkmale des Verwaltungsvertrags
a. Vertragliche Regelung
b. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
3. Die Arten öffentlich-rechtlicher Vertragsbeziehungen - Die
öffentlich-rechtlichen Vertragstypen
a. Zum koordinationsrechtlichen Vertrag
b. Zum subordinationsrechtlichen Vertrag
4. Der Abschluss – das Zustandekommen des öffentlich
rechtlichen Vertrags
5. Rechtsfolgen bei Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsvertrags
6. Anpassung und Kündigung öffentlich-rechtlicher Verträge
7. Die Durchsetzung öffentlich - rechtlicher Vertragspflichten
XIV. Vollstreckung von Verwaltungsakten
1. Überblick
2. Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen
Literaturverzeichnis
Verwendete Literatur :
-
Skript der Bayrischen Verwaltungsschule - Allgemeines Verwaltungsrecht,
-
Skript : Wirtschaftlich wichtige Teile des Öffentlichen Rechts, Begleitskript zur Vorlesung im Wintersemester 2000/2001, 1. Teil, von
Dr. Ralf Müller-Terpitz, Universität Bonn
-
Skript Wolfgang Dahlem – Verwaltungsrecht AT, Angestellten Kurs
II, Verwaltungsschule Mainz, 2001
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-
Skript Marco Wicklein, Allgemeines Verwaltungsrecht, RuprechtKarls-Universität, Heidelberg, Stand November 2001
-
Skript – Verwaltungsrecht AT der Uni Halle, Stand 2002
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Hinweis zum Umgang mit diesem Skript
Das Skript dient zur Unterrichtsbegleitung für die Verwaltungsfachangestellten und die Beamten des mittleren und des gehobenen Dienstes
aber auch Lehrgänge I und II für Angestellte im Öffentlichen Dienst (in
verschiedenen Kursen bzw. Unterrichtseinheiten wird im Unterricht der
eine oder andere Punkt vertieft). Dieses Skript ersetzt nicht die Mitarbeit
im Unterricht und erhebt insbesondere nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Dieses Skript soll aber einen Einstieg in das Verwaltungsrecht geben und beim Einüben und Erlernen der Klausur-LösungsTaktiken helfen.
Sollten Sie Anregungen oder Verbesserungsvorschläge haben, dann
geben Sie diese bitte an das Kommunale Studieninstitut Kaiserslautern
oder direkt an die Autorin (Gerne auch eine Mail: [email protected])
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Das Verwaltungsrecht – Allgemeiner Teil
I. Einführung und Allgemeines
Um ein bestimmtes Rechtsgebiet richtig zu "erfassen" und es einordnen
zu können, muss man sich zunächst mit dem gesamten Rechtssystem
beschäftigen. Bevor hier also in das Gebiet des Verwaltungsverfahrensrecht „eingestiegen“ wird, erfolgen einige grundlegende und einführende Erläuterungen.
Recht im objektiven Sinne ist die Rechtsordnung, d.h. die Gesamtheit
der Rechtsvorschriften, nach denen sich das Verhältnis der Menschen
zueinander, insbesondere in ihren Handlungen, sowie ihre Beziehungen zu den öffentlichen Verwaltungsträgern und deren Rechtsbeziehungen untereinander bestimmen. Diese Rechtsvorschriften können
ausdrücklich gesetzt, d.h. festgeschrieben sein oder sich als Gewohnheitsrecht in langjähriger, teilweise Jahrhunderte langer Übung herausgebildet haben.
Dieses eigentlich sehr naheliegende Phänomen, welches man sich aber in aller Regel nicht vor Augen führt, drückt etwas sehr einfaches
aus: Unser gesamtes Recht – das Rechtssystem - ist kein "Selbstläufer", sondern hat sich in vielen hundert Jahren entwickelt. Eine Gesellschaft braucht einfach bestimmte "Spielregeln" für ihr Zusammenleben.
Diese Spielregeln gibt sie sich in Gesetzen, Verordnungen, Satzungen
usw. Früher waren die Regeln nicht in geschriebener Form vorhanden,
man hat die „Gesetze“ mündlich überliefert; der Fürst oder ein hoher
Vertreter der Kirche (Abt) haben Recht gesprochen. Heute - bei der Fülle der Gesetze und Verordnungen – könnte sich diese niemand merken
(schon gar nicht so genau und präzise, wie dies eben bei der Arbeit mit
Gesetzen der Fall sein muss), weshalb sie auch spätestens seit der
Erfindung des Druckens in größerer Anzahl aufgeschrieben wurden.
Dies dient natürlich nicht nur den Verlagen und Herstellern von Fotokopierern, sondern auch der Rechtssicherheit.
Das Recht im subjektiven Sinne ist die Befugnis, die sich für den Einzelnen aus dem objektiven Recht unmittelbar ergibt (gesetzliches Recht
- z.B. der Anspruch auf Sozialhilfe, wenn bestimmte Voraussetzungen
vorliegen) oder die er aufgrund des objektiven Rechts erworben hat
(erworbenes Recht - z.B. Erbrecht aufgrund eines Testaments (nicht
der gesetzliche Erbanspruch) oder Steuervorteile aus dem Steuerrecht).
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1. Abgrenzung vom Privatrecht und Öffentlichem Recht
Das gesamte Rechtssystem in Deutschland lässt sich in zwei große
Bereiche aufteilen:
Privatrecht
Öffentliches Recht
• ordnet vor allem die
Rechtsbeziehungen
unter Privaten
• setzt eine Gleichordnung
voraus
• steht auch dem Staat
offen
• regelt Grundrechtskollisionen
• Sonderrecht des
Staates
• Ausdruck der Grundrechtsbindung und des
Gesetzesvorbehalts
• regelt insbes. die
Staat-Bürger-Beziehung
bei Eingriffen
Das öffentliche Recht umfasst die Rechtsnormen, welche sich auf das
Verhältnis des Einzelnen zum Staat und zu den übrigen Trägern öffentlicher Gewalt oder auf das Verhältnis solcher Verbindungen untereinander beziehen. Die Rechtsbeziehungen des öffentlichen Rechts
zeichnen sich durch eine Über-Unter-Ordnung von der "übergeordneten" Behörde als Vertreter des Staats zum "untergeordneten" Bürger
aus.
Als Beispiele aus dem Gebiet des Öffentlichen Rechts sind Völkerrecht
(int. Recht), Kirchenrecht, Staatsrecht, Strafrecht und das gesamte Prozessrecht zu nennen.
Das Privatrecht umfasst die Rechtssätze, welche sich auf die Rechtsverhältnisse der Menschen untereinander beziehen. Im Bereich des
Zivilrecht = Privatrecht sind alle Ansprüche von der Gleichordnung der
Beteiligten geprägt. Anspruchsteller und Anspruchsgegner oder Kläger
und Beklagter (nicht Angeklagter, das gibt es nur im Strafrecht) sind
gleichwertig; keiner hat einen „höheren Rang“. Der Bereich des Privatrechts umfasst insbesondere das Familien- und das Vermögensrecht.
Als das zentrale Gesetzbuch der zivilrechtlichen Beziehungen der Menschen untereinander ist das BGB, das Bürgerliche Gesetzbuch zu nennen. Hier wird was man über den Abschluss von Rechtsgeschäften, alle
Arten von Verträgen u.ä. wissen muss, aber auch das Familienrecht
und das Erbrecht geregelt.
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2. Einführungsfall – Jim Knopf
Zur Verdeutlichung der Unterscheidung zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht dient der folgende Einstiegsfall:
Der Verwaltungsfachangestellte bei der Stadtverwaltung Kaiserslautern
Jim Knopf hat einen sehr schlechten Montag vor sich. Er verschläft,
muss deshalb auf sein Frühstück verzichten, sein Auto startet nicht und
deshalb muss er – unerlaubter Weise – den Wagen seines Großvaters,
Lukas – einem pensionierten Lokomotivführer - nehmen, der sich im
Urlaub auf Lummerland befindet. Da es Jim sehr eilig hat, fährt er mit
überhöhter Geschwindigkeit durch die Kaiserslauterer Innenstadt. Es
kommt wie es kommen muss, er wird von einem städtischen Geschwindigkeitsüberwachungsteam „geblitzt“ und das mit 75 km/h. Danach beschließt J, dass es nun ohnehin egal sei und fährt weiter zu
schnell. Er übersieht deshalb ein Stopp-Schild und es kommt mit einem
PKW, der vorfahrtsberechtigt ist, zu einem Zusammenstoss. Bei diesem
Zusammenstoss wird das Auto des Jim (welches ja seinem Großvater
gehört) stark beschädigt. Es wurde nach dem Aufprall auf das andere
Fahrzeug gegen einen Baum, der im Eigentum der Stadt steht, geschleudert und hat diesen abgebrochen. Nachdem das Fahrzeug zum
Liegen kam, ist Motorenöl ausgelaufen. Das Fahrzeug des Unfallgegners Kalle Wirsch hat auch starke Beschädigungen. Der Fahrer des
anderen Wagens, Kalle, hat einen Armbruch und ein Halswirbelschleudertrauma erlitten. Die Polizei nimmt den Unfall auf und befragt zwei
städtische Hilfspolizeibeamten als Zeugen, die zufällig alles gesehen
haben, da sie gerade in dieser Strasse den ruhenden Verkehr überwachen. Außerdem kommt die städtische Feuerwehr mit einem Einsatzfahrzeug und bindet und beseitigt das aus dem Auto des Jim ausgelaufene Motorenöl.
Jim kommt an diesem Tag nicht mehr rechtzeitig zu seinem Arbeitsplatz
– das scheint aber wohl eines der kleineren Probleme zu sein.
Welche Ansprüche können hier auf Jim Knopf zukommen?
(Hier sollten arbeitsrechtliche Überlegungen wegen des zu späten Erscheinens am Arbeitsplatz nicht berücksichtigt werden.)
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Hier ist zunächst der Vorgang der Geschwindigkeitsüberprüfung zu
nennen. Es handelt sich hier um eine Ordnungswidrigkeit, die die
Stadtverwaltung als Ordnungsbehörde verfolgt. Das Verhältnis zwischen Jim und der Stadtverwaltung, bei der er auch angestellt ist, wird
im Rahmen der Geschwindigkeitsüberschreitung durch eine ÜberUnter-Ordnung bestimmt. Die Verwaltung handelt hier quasi von oben
als „strafende“ Behörde. Wenn Jim nicht zahlen wird, wird es zu einer
Verhandlung vor dem Strafrichter beim Amtsgericht kommen.
Als zweiten Punkt, der Ansprüche nach sich ziehen könnte, muss man
bei dem schwarzen Montag des Jim das überfahrene Stoppschild sehen. Dieser Vorgang wurde zwar – wie auch der nachfolgende Unfall –
von zwei Hilfspolizeibeamten der Stadtverwaltung beobachtet; diese
sind jedoch lediglich Zeugen. Die Verfolgung dieser Ordnungswidrigkeit
fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Stadtverwaltung. Hier werden Polizei und Staatsanwaltschaft tätig.
Identisch mit dem ersten Teil dieses Falles ist hier allerdings, dass die
handelnde Behörde im Über-Unter-Ordnungsverhältnis Jim gegenübertritt und den Strafanspruch des Staates hier geltend macht. Das Überfahren eines Stopp-Schildes wird nahezu so geahndet wie die Nichtbeachtung einer roten Ampel. Auf Jim kommt also ein weiteres Ordnungswidrigkeitsverfahren zu, welches natürlich auch – im Fall eines
Einspruchs – vor dem Amtsgericht verhandelt werden würde.
Was den Zusammenstoss der beiden Pkws angeht (hier wird der Überschaubarkeit der Ansprüche wegen nicht auf das Problem eingegangen, dass Jim den Wagen seines Großvaters Lukas fuhr), so hat der
Kalle Wirsch gegen Jim Knopf als Fahrer, den Großvater, Lukas, als
Halter und die Versicherung des PKW einen Anspruch auf Ersatz der
entstandenen Schäden. Hier ist natürlich zu sagen, dass der Kalle
Wirsch diesen Anspruch nicht dreimal hat, sondern nur einen Anspruch,
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den er aber gegen alle drei Parteien geltend machen kann. Diese Ansprüche (Reparaturkosten des Wagens, Kosten eines Mietwagens für
die Zeit der Reparatur, Kosten für einen Rechtsanwalt, Auslagenpauschale (zwischen 20 und 25 €), merkantiler Minderwert, Schmerzensgeld, Erstattung der Behandlungskosten und Verdienstausfall) sind zivilrechtliche Ansprüche, d.h., wenn der Schadensverursacher oder dessen Versicherung nicht oder nicht alles zahlen will, muss man vor dem
Zivilgericht klagen. Es handelt sich hier also um Ansprüche aus einer
Gleichordnung. Hier ist keine Über-Unter-Ordnung gegeben. Die Beteiligten stehen sich gleichgeordnet gegenüber.
Die Frage des zerstörten Baumes führt wieder zurück in den Bereich
der Verwaltung. Es handelt sich um einen städtischen Baum. Diesen
hat Jim zerstört. Der Schadensersatzanspruch, den die Stadt wegen
des Baumes hat, ist aber kein öffentlich-rechtlicher Anspruch, der im
Wege der Überordnung gegenüber Jim geltend gemacht werden könnte. A hat Eigentum der Stadt zerstört. Dies ist nicht anders zu bewerten,
als die Eigentumsbeschädigung gegenüber Kalle Wirsch (siehe oben).
Das Eigentumsrecht der Stadt ist nicht anders einzuordnen als das der
Bürger – Eigentümer bleibt Eigentümer, gleich ob der Eigentümer eine
Kommune (also juristische Person) ist oder eine natürliche Person. Jim
muss den Schaden ersetzen; tut er dies nicht, wird er vor dem Zivilgericht verklagt. Hier ist also - obwohl die Stadt als Kommune in diesen
Anspruch „verwickelt“ ist -, kein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis
gegeben, sondern Jim und die Stadt befinden sich auf gleicher Ebene.
(Dies gilt im übrigen auch für den zwischen Jim und der Stadt geschlossenen Arbeitsvertrag. Streitigkeiten aus diesem Vertrag werden
zwar vor dem Arbeitsgericht und nicht vor dem Amtsgericht ausgetragen; es liegt aber eine Gleichordnung zwischen Jim und der Stadt vor.)
Schließlich ist noch die Frage des Feuerwehreinsatzes zu klären.
Grundsätzlich sind Feuerwehreinsätze kostenlos. Dies gilt aber für ganz
bestimmte, in § 37 LBKG geregelte Fälle nicht; dort sind Ausnahmen
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von der Kostenfreiheit geregelt. Ein Verkehrsunfall ist ein solcher Ausnahmefall. Hier wird im Gesetz eine vom Verschulden unabhängige
Halterhaftung festgeschrieben. Für den vorliegenden Fall heißt das,
dass der Großvater des Jim die Kosten des Einsatzes zahlen muss, da
er der Halter des Fahrzeuges ist. Diese Kosten werden von Lukas, dem
Lokomotivführer nicht mit einer einfachen Rechung angefordert, sondern mit einem Bescheid. Hier handelt die Behörde aufgrund einer Regelung im Gesetz. Die Ermächtigungsgrundlage – also das Recht so zu
handeln – findet sich also im Bereich des Öffentlichen Rechts und deshalb handelt die Behörde hier im Über-Unter-Ordnungsverhältnis. Will
der Großvater des Jim Knopf (er ist ja der Halter des PKWs und nicht
Jim) nicht zahlen, muss er einen Widerspruch einlegen. Je nach Entscheidung des Stadtrechtsausschusses (wieso hier der Rechtsausschuss entscheidet, wird im Laufe des Unterrichts noch geklärt werden)
kann Lukas der Lokomotivführer eine Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben.
Abschließend ist also festzuhalten, dass die Autofahrt des Jim an diesem Morgen eine Reihe von Konsequenzen aus verschiedenen
Rechtsgebieten hatte. Diese lassen sich entweder dem Bereich des
Privatrechts oder des Öffentlichen Rechts zuordnen.
Die Frage, ob etwas zum Zivilrecht oder dem Öffentlichen Recht zugeordnet wird, ist keine rein akademische oder theoretische Frage. Die
Abgrenzung ist wichtig und es ist erforderlich sie vorzunehmen wie dies
im Folgenden erkennbar wird:
-
-
-
-
bei der Bestimmung des Rechtsweges (bei öffentlich-rechtlichen
Streitigkeiten ist grundsätzlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet §
40 VwGO, für privatrechtliche Streitigkeiten ist es der Zivilrechtsweg
§ 13 GVG.
das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ist nur bei öffentlichrechtlicher Verwaltungstätigkeit anwendbar, für privatrechtliche
Maßnahmen gelten demgegenüber die allgemeinen Vorschriften
des BGB, HGB etc.
ein Verwaltungsakt (VA) setzt nach § 35 VwVfG eine Regelung auf
dem Gebiet des öffentlichen Rechts voraus. Entsprechendes gilt für
den öffentlichen-rechtlichen Vertrag (§ 54 VwVfG)
die Verwaltungsvollstreckung dient nur der Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen und Verpflichtungen (§§ 1, 6 VwVG)
bei öffentlich-rechtlichem Handeln richtet sich die Haftung des Staates nach Art. 34 GG, § 839 BGB (sog. Amtshaftung), während bei
privatrechtlicher Tätigkeit die allgemeinen Regeln der §§ 823 ff BGB
gelten.
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Es gibt eine Reihe von Theorien um die Abgrenzung von Privatrecht zu
öffentlichem Recht vornehmen zu können. Wie Sie an den obigen Beispielen erkennen können, ist dies in vielen Fällen sehr wichtig. Insbesondere bei der Frage, ob ein Verwaltungsakt gegeben ist und bei der
Frage, ob das Verwaltungsgericht das zuständige Gericht ist (wichtig
bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Widerspruchs oder einer Klage)
sind diese Theorien von Bedeutung.
Man muss nicht alle Theorien kennen, aber zumindest eine dieser Theorien sollte „man drauf haben“. Als die wichtigsten Theorien sind hier
die Subordinationstheorie, die Interessentheorie und die modifizierte
Subjektstheorie zu nennen.
Nach der Subordinationstheorie geht man von einem öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnis aus, wenn zwischen den Beteiligten ein
Über- und Unterordnungsverhältnis besteht, das sich daraus ergibt,
dass ein mit hoheitlicher Gewalt ausgestatteter Träger öffentlicher Verwaltung daran beteiligt ist.
Die Interessentheorie stellt auf die zugrundeliegende Rechtsnormen
ab und ordnet diejenigen, die überwiegend dem öffentlichen Interesse
dienen, dem öffentlichen Recht zu und die im Individualinteresse liegen,
dem Privatrecht zu. Hierbei stellt man auf die dem Rechtsstreit zugrundeliegende Rechtsnorm ab (achten Sie darauf in Klausuren wird in aller
Regel eine Rechtsgrundlage genannt oder zumindest ein Gesetz angegeben, nach dem sich der Streit richten soll).
Nach der modifizierten Subjektstheorie wird darauf abgestellt, dass
öffentliches Recht gegeben ist, wenn aus dem Rechtssatz ein Hoheitsträger berechtigt oder verpflichtet werden kann, d.h. er gerade in seiner
Eigenschaft als Hoheitsträger berechtigt oder verpflichtet wird.
-
Denken Sie daran, dass Sie eine dieser Theorien beherrschen müssen, um Klausuren lösen zu können. Sie brauchen aber keinesfalls
alle Theorien gleichzeitig. Merken Sie sich also die Theorie, die Ihnen am nachvollziehbarsten erscheint und die Sie am leichtesten
„benutzen“ können.
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II.
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Standort des Verwaltungsverfahrens
1. Wo wird das Verwaltungsrecht innerhalb des
Öffentlichen Rechts eingeordnet?
Nachdem nun also klar ist, dass das Rechtssystem - einfach ausgedrückt - in zwei Bereiche unterteilt werden kann, muss die Einordnung
des Verwaltungsrechts in diesem System genauer beleuchtet werden.
Dass das Verwaltungsrecht zum Bereich des Öffentlichen Rechts zu
zählen ist, wird hier nicht weiter vertieft.
Zur genaueren Standortbestimmung des Verwaltungsrechts im großen
Bereich des Öffentlichen Rechts wird hier zunächst einmal eine Übersicht zu den Funktionen des Verwaltungsrechts herangezogen.
Funktionen des Verwaltungsrechts
• Organisation der Verwaltungsträger
• innere Ordnung der Verwaltung und ihrer Abläufe
• Ausgestaltung der Bürger-Staat-Beziehung in
materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht
Das Verwaltungsrecht mit seinen hier beschriebenen Funktionen wird
also Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. Einen sehr wichtigen Teil dieser Betrachtungen stellt das Verwaltungsverfahren dar.
Wo finden wir „das“ Verwaltungsverfahren ?
Um sich mit dem Verwaltungsverfahren beschäftigen zu können, muss
man zunächst einmal dessen Position im Rechtssystem bestimmen.
Rechtssystem
insgesamt
Öffentliches Recht
Privatrecht
- Verfassungsrecht
- Bürgerliches
Gesetzbuch
- Völkerrecht
- Verwaltungsrecht
- Handelsrecht
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Zum Bereich des Öffentlichen Rechts gehören neben dem Verwaltungsrecht u.a. noch das Verfassungsrecht, das Gemeinde- oder Kommunalrecht (diese beiden Gebiete rechnet man dem Besonderen Verwaltungsrecht zu), das Sozialrecht und das Steuerrecht.
Das Verwaltungsrecht wiederum wird unterteilt in einen Allgemeinen
und einen Besonderen Teil. Diese Aufteilung kann man auch in anderen Rechtsgebieten finden, z.B. im Zivilrecht, im Bürgerlichen Gesetzbuch. Auch dort finden sich allgemeiner Teil neben dem besonderen
Teil; ebenso im Strafgesetzbuch. Mit dieser systematischen Aufteilung
wird erreicht, dass in einem Gesetz oder in einem Gesetzesteil grundlegende Dinge geregelt werden können, die später für eine ganze Reihe verschiedener Bereiche Gültigkeit haben. In der Mathematik würde
man sagen, dass man bestimmte Regelungen „vor die Klammer zieht“,
die dann für alle Angaben in der Klammer Bedeutung haben. So ist das
auch hier. Die grundsätzlichen Regelungen des allgemeinen Teils haben für den gesamten besonderen Teil Bedeutung; es sei denn, dass
dort in den jeweiligen Spezialgesetzen etwas anderes geregelt ist.
Im allgemeinen Verwaltungsrecht wird z.B. geregelt, was ein Verwaltungsakt ist, wie er aufgehoben werden kann, welchen Anforderungen
er entsprechen muss und vieles andere mehr. Diese Regelungen gelten
im Polizeirecht ebenso wie bei Beitragsbescheiden oder im Umweltrecht. Es würde wenig Sinn machen und auch das Rechtssystem nur
noch komplizierter machen, wenn in jedem dieser Spezialrechtsgebiete
eigene Vorschriften über den Verwaltungsakt und seine Wirksamkeit
gelten würden. Soweit ein Spezialgesetz aber gerade wegen seiner
Spezialität eine besondere Regelung braucht, werden diese ganz unproblematisch in das Spezialgesetz aufgenommen – das allgemeine
System kann aber erhalten bleiben.
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III. Grundsätze des Verwaltungshandelns
1. Allgemeines
Bevor wir dann also endlich zum Verwaltungsverfahrensgesetz vorstoßen, ist es sinnvoll sich noch die unterschiedliche Handlungsweisen
bzw. Grundsätze des Verwaltungshandelns anzusehen, die für alle Arten der Handlungen der Verwaltungen Gültigkeit haben.
Wenn wir wissen wollen, in welches Gesetz wir – zur Lösung einer
Klausur aber natürlich auch, um die Aufgabenstellungen im Bereich
unserer dienstlichen Tätigkeit zu lösen - hineinschauen müssen, müssen wir zunächst die unterschiedlichen Arten des Verwaltungshandelns
kennen.
Die Rechtsgrundlagen des Verwaltungshandelns richten sich nach der
jeweiligen Form des Handelns. Je nach der Art der Handlung, liegt auch
eine andere Rechtsgrundlage vor, auf die wir zurückgreifen können.
2.Überblick über die Handlungsformen der Verwaltung
Verwaltungshandeln
Mit
Außenwirkung
Privatrechtlich
Öffentlich-rechtlich
Hoheitliche
Handlungen
Verwaltungsakte
Mit
Innenwirkung
Schlicht
Hoheitliche
Handlungen
Rechtsnormen
ÖffentlichRechtliche
Verträge
Nicht unmittelbar
rechterhebliches
Handeln
Ziele des Verwaltungsverfahrens
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Die Art, also die Form des Verwaltungshandelns richtet sich nach dem
Bereich in dem die Behörde tätig ist. Wird die Verwaltung z.B. rein informierend tätig, tut sie das nicht mit einem Verwaltungsakt, sondern
mit dem sogenannten schlichten Verwaltungshandeln.
Schlichtes Verwaltungshandeln ist Handeln der Verwaltung durch Realakt. Realakte wiederum sind solche Verwaltungsmaßnahmen, die nicht
auf einen rechtlichen, sondern nur auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet sind und diesen herbeiführen (z.B. die Bürger über ihre Kehrpflicht
informieren mit Infoblättern).
Ein Verwaltungshandeln mit Innenwirkung (z.B. interne Anweisungen,
bei der Anmeldung zur Müllentsorgung das Formular A oder bei Anmeldung zur Hundesteuer das Formular B zu verwenden – siehe auch im
Einschub zu den Rechtsquellen „Verwaltungsvorschrift“) hat seine
Rechtsgrundlage beispielsweise im behördlichen Organisationsrecht
oder im Beamtenrecht (z.B. der Beamte ist gemäß dem Beamtengesetz
verpflichtet, die dienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzten auszuführen).
Privatrechtliches Verwaltungshandeln findet seine Rechtsgrundlage im
Zivilrecht; insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch und seinen Nebengesetzen oder im (individuellen) Arbeitsrecht. Bitte beachten Sie,
dass die Verwaltung keinesfalls nur im Bereich des öffentlichen Rechts
tätig ist. Denken Sie daran, dass eine Behörde ja z. B. auch Kaufverträge und Mietverträge abschließt.
3. Beispiele und Erläuterungen zu den Begriffen
der Übersicht
a. Rechtsverordnungen und Satzungen
aa. Rechtsverordnungen
Bei Rechtsverordnungen handelt es sich um Gesetze im materiellem Sinne, die von
der Exekutive erlassen werden. Die Exekutive muss hierzu durch ein formelles (parlamentsbeschlossenes) Bundes- oder Landesgesetz ermächtigt worden sein. Dieses
Gesetz muss Inhalt, Zweck und Ausmaß der Verordnungsermächtigung näher konkretisieren (Art. 80 Abs. 1 GG).
Im Unterschied zu parlamentsbeschlossenen Gesetzen werden Rechtsverordnungen
nicht in einem formellen, im Grundgesetz oder in den Landesverfassungen geregelten
Verfahren erlassen. Vielmehr wird die Rechtsverordnung durch den jeweiligen Verordnungsgeber (z.B. ein Bundesministerium, ein Landesministerium, aber auch sonstige Behörden, sofern sie zur Verordnungsgebung ermächtigt wurden) erarbeitet. Der
Verordnungsgeber kann deshalb schneller und flexibler auf sich verändernde Gegebenheiten reagieren. Von daher bietet sich das Verordnungsgebungsverfahren insbesondere dort an, wo es um die Regelung eher technischer (und damit politisch weniger umstrittener) Sachverhalte geht, die einer ständigen Überprüfung und ggf. Anpassung bedürfen. Parlamentarische Gesetzgebung und Verordnungsgebung stehen
damit in einem Verhältnis der Arbeitsteilung zueinander: Der parlamentarische Gesetzgeber regelt Grundsatzfragen, gibt gleichsam den „roten Faden“ vor; der Verord-
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nungsgeber regelt die (meist technischen) Details, die ggf. flexibel an eine sich verändernde Wirklichkeit angepasst werden müssen.
bb. Satzungen
Satzungen sind das gesetzliche Handlungsinstrument der juristischen Personen des
öffentlichen Rechts (= Träger der mittelbaren Staatsverwaltung). Solche juristischen
Personen des öffentlichen Rechts sind 1. Körperschaften des öffentlichen Rechts, 2.
rechtsfähige und nicht-rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts sowie 3. Stiftungen des öffentlichen Rechts.
Die Körperschaften lassen sich dabei in sog. Gebietskörperschaften (Gemeinden,
Kreise, kreisfreie Städte) und Personalkörperschaften (Universitäten, Industrie- und
Handelskammern, Handwerks-, Ärzte- und Rechtsanwaltskammern etc.) untergliedern. Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zeichnet sich durch ihre Struktur aus
Mitgliedern aus, d.h. die Mitglieder wirken an der Erfüllung ihrer Aufgaben mit (z.B.
durch Wahl des Gemeinde- bzw. Stadtrats oder der jeweiligen Gruppenvertreter innerhalb der Universitäten).
Demgegenüber wird die Anstalt des öffentlichen Rechts durch ein Benutzungsverhältnis gekennzeichnet: Man nutz die Anstalt, ohne auf ihre Organisation und Aufgabenerfüllung Einfluss nehmen zu können. Rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts
sind etwa die Sparkassen oder die Rundfunkanstalten (WDR, NDR, MDR etc.). Nichtrechtsfähige Anstalten sind etwa Einrichtungen wie Museen, Schwimmbäder oder
Bibliotheken.
Eine Stiftung des öffentlichen Rechts verfolgt einen am Gemeinwohl orientierten Stiftungszweck (wie etwa die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, deren Stiftungszweck
eben in der Erhaltung des preußischen Kulturbesitzes besteht).
Das Recht zur Satzungsgebung ergibt sich für die genannten juristischen Personen
zunächst aus ihrer Existenz und Zwecksetzung.
b. Tatsächliches Handeln der Verwaltung
Verwaltungshandeln ist nicht immer auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet, sondern kann auch in der Herbeiführung eines tatsächlichen Erfolgs bestehen. In diesem
Kontext spricht man von Realakten, Tathandlungen bzw. schlichtem Verwaltungshandeln.
Solche Realakte lassen sich dabei wie folgt systematisieren: Sie bestehen zum einen
in Wissenserklärungen (z.B. Auskünfte, Warnungen, Berichte etc.), zum anderen in
tatsächlichen Verrichtungen (z.B. Auszahlung eines Geldbetrags, den ein Bürger als
Entschädigung für sein schützenswertes Vertrauen von der Verwaltung erhält; Fahrt
des Bürgermeisters mit dem PKW; Errichtung eines Verwaltungsgebäudes; Straßenreinigung etc.).
c. Planendes Handeln der Verwaltung
Bei zukunftsgerichteten oder komplexen Verwaltungsvorgängen bedient sich die Verwaltung der Handlungsform des Plans. Solche Pläne kommen in der Rechtswirklichkeit vielfältig und in verschiedensten Zusammenhängen vor: Haushaltspläne des Bundes, der Länder und der Gemeinden; Raumordnungspläne (raumordnende Gesamtpläne, Landes- und Regionalpläne, Flächennutzungspläne, Bebauungspläne) sowie
raumbezogene Fachpläne (z.B. zur Durchführung großer Infrastrukturvorhaben wie
Straßen- oder Schienenwegebau).
Der Plan ist keine eigenständige rechtliche Handlungsform, sondern lässt sich in der
Regel unter andere Handlungsformen subsumieren. So wird etwa der Haushaltsplan
des Bundes durch ein formelles Gesetze – das Haushaltsgesetz (vgl. Art. 110 Abs. 2
S. 1 GG) – festgestellt mit der Besonderheit, dass dieses keinen materiellen, d.h. an
den Bürger gerichteten, sondern lediglich einen an die Exekutive gerichteten Regelungsgehalt aufweist. Die Bebauungspläne der Gemeinden werden demgegenüber als
Satzungen erlassen (§ 10 Baugesetzbuch). Raumbezogene Fachplanungen (Straßenund Schienenwegebau) werden regelmäßig im Rahmen eines sog. Planfeststellungs-
StOVR Christina Mayer
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verfahrens (vgl. §§ 72 ff. VwVfG) durchgeführt, das mit einem Planfeststellungsbeschluss (= Verwaltungsakt) endet.
d. Internes Verwaltungshandeln
Verwaltungsvorschriften
Bei Verwaltungsvorschriften (auch als „Erlasse“, „Richtlinien“ oder „allgemeine Weisungen“ bezeichnet) handelt es sich um abstrakt-generelle Anordnungen einer Behörde an nachgeordnete Behörden oder eines Vorgesetzten an die ihm unterstellten
Verwaltungsbediensteten. Dementsprechend lassen sich Verwaltungsvorschriften als
Rechtsregeln des Verwaltungsinnenraums (Innenrechtssätze) charakterisieren.
e. Weisungen
Bei Weisungen handelt es ich um konkret-individuelle Anordnungen einer Behörde an
eine nachgeordnete Behörde oder eines Vorgesetzten an die ihm unterstellten Verwaltungsbediensteten mit dem Inhalt, in einer konkreten Verwaltungsangelegenheit in
einer bestimmten Art und Weise zu verfahren. Beispiele: 1. Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion weist den Landrat L an, die Beseitigung des illegal errichteten Wochenendhauses des A zu verfügen. 2. Bundeswirtschaftsminister Clement weist den
Präsidenten der Regulierungsbehörde an, den Antrag der Deutschen Post AG auf
Genehmigung ihres Briefportotarifs vom 23.2.2003 in einer bestimmten Art und Weise
zu bescheiden.
Die Weisung verhält sich damit zur Verwaltungsvorschrift (Innenrecht) wie der Verwaltungsakt zum Gesetz (Außenrecht).
4. Verwaltungsträger
Träger der Verwaltung ist der Staat. Denken Sie hier an die Dreiteilung
der staatlichen Gewalten.
Staatsfunktionen „Gewalten“
Legislative = Gesetzgebung
Exekutive = Verwaltung
Judikative =
Rechtsprechung
Im Grundgesetz wird unterschieden zwischen der Bundes- und der
Landesverwaltung. Bund und Länder sind juristische Personen des öffentlichen Rechts. Als juristische Person sind sie jedoch nicht so handlungsfähig wie dies für die Verwaltung erforderlich wäre; für sie handeln
Organe. Die Organe, die Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, nennt
man Behörden. Handelt der Staat durch eigene Organe (Behörden), so
spricht man unmittelbaren Staatsverwaltung. Bundesbehörden sind
StOVR Christina Mayer
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z.B. Kreiswehrersatzämter und Landesbehörden sind z.B. ADD und
Polizeipräsidien.
Der Staat muss aber seine Aufgaben nicht stets selbst wahrnehmen,
sondern kann andere rechtlich verselbständigte Organisationen einschalten. Dann spricht man von mittelbarer Staatsverwaltung. Hier
handeln selbständige juristische Personen des öffentlichen Rechts,
nämlich Körperschaften, Anstalten und Stiftungen.
Körperschaften = mitgliedschaftlich verfasste Zusammenschlüsse,
denen öffentliche Aufgaben übertragen sind, bei denen die Mitglieder
wesentlichen Einfluss auf die Willensbildung und deren Bestand vom
Wechsel der Mitglieder unabhängig ist
Beispiele : Gebietskörperschaften, Gemeinden, Ärztekammer, Industrie- und Handelskammer
Anstalten = organisatorisch und rechtlich verselbständigte Zusammenfassung von Sachmitteln und Personal, zur Erfüllung einer öffentlichen
Aufgabe, i.d.R. dem Bürger zur Benutzung zur Verfügung gestellt
Beispiele : öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, Sparkassen
Stiftungen = rechtlich verselbständigte Vermögensmasse, zur Erfüllung
einer öffentlichen Aufgabe
Beispiele : Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Verwaltungsstruktur des Landes (Beispiel)
Unmittelbare
Landesverwaltung
- Finanzministerium
- Oberfinanzdirektion
- ADD
- Landrat als untere staatl.
Verwaltungsbehörde
- Innenministerium
Mittelbare Landesverwaltung
kommunale Selbstverwaltung durch
Gemeinden
Eigengesellschaften
Stadtwerke
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Die Verwaltung kann aber auch durch Privatpersonen handeln; dies
erfolgt jedoch nur ausnahmsweise. Liegt ein solcher Ausnahmefall vor,
dann handeln diese Personen als Beliehene oder Verwaltungshelfer.
Beliehene sind natürliche oder auch juristische Personen des Privatrechts, die durch oder aufgrund eines Gesetzes einzelne hoheitliche
Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen wahrnehmen dürfen.
Beispiele : Technischer Überwachungsverein, Notar, Postdienst
Verwaltungshelfer handeln nicht selbstständig, sondern sie nehmen nur
Hilfstätigkeiten im Auftrag und nach Weisung der sie betrauenden Behörde wahr. Ihr Handeln wird der Behörde zugerechnet.
Beispiel : Abschleppunternehmer, der im Auftrag der Kommune Autos
abschleppt
5. Allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts
Bei der Ausübung ihrer Tätigkeit hat die Verwaltung - gleichgültig auf
welchem Sachgebiet (natürlich im Bereich des öffentlichen Rechts) sie
im Einzelnen tätig wird - eine Reihe von allgemeinen Grundsätzen
des Verwaltungshandelns zu beachten. Diese lassen sich zum Teil auf
allgemeine Rechtsgrundsätze zurückführen, die nicht nur dem Verwaltungsrecht, sondern unserer gesamten Rechtsordnung zugrunde liegen
(z. B. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). Zum Teil können die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungshandelns auch direkt den Grundrechten oder anderen verfassungsrechtlichen Regelungen entnommen
werden.
Allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts
Sind in der Regel Schöpfungen der Rechtsprechung. Teilweise handelt
es sich um Konkretisierungen aus dem Verfassungsrecht
•
•
•
•
•
— Selbstbindung der Verwaltung
— Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
— Verwirkung im öffentlichen Recht
— öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
— Grundsatz des Vertrauensschutzes
StOVR Christina Mayer
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6. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist ein Kernstück
der Rechtsstaatlichkeit; er hebt den Rechtsstaat vom reinen Willkürstaat ab. Verfassungsrechtlich ist er in Art. 20 Abs. 3 GG verankert.
Dem gemäß ist die Verwaltung bei ihrer Tätigkeit an Gesetz und Recht
(auch untergesetzliche Normen, ungeschriebenes Recht) gebunden.
Diese Bindung äußert sich in zwei Erscheinungsformen:
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung –
Art 20 Abs. 3 GG
- Vorrang des Gesetzes - negative Gesetzmäßigkeit
kein Verwaltungshandeln gegen das Gesetz
- Vorbehalt des Gesetzes - positive Gesetzmäßigkeit
dem Handeln der Verwaltung muss eine Norm
zugrunde liegen
a. Der Vorrang des Gesetzes
Der Vorrang des Gesetzes (oder die negative Gesetzmäßigkeit) besagt,
dass kein Verwaltungshandeln im Widerspruch zu Recht und Gesetz
stehen darf. Das Gesetz ist dem Verwaltungshandeln »vorrangig«, d. h.
das Gesetz hat immer Vorrang, muss immer beachtet werden; es bestimmt den Inhalt des Verwaltungshandelns.
Wo Spezialgesetze für ein bestimmtes Verwaltungshandeln bestehen,
muss die Verwaltung diese beachten, im übrigen zumindest allgemeine
Rechtsgrundsätze beachten. Die Nichtbeachtung von Recht und Gesetz hat die Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns zur Folge. Einem rechtswidrigen Verwaltungshandeln braucht der Bürger aber nicht
folge zuleisten.
Beispiel: Das Unterlassen der für einen schriftlichen Verwaltungsakt
gemäß § 37 Abs. 3 VwVfG erforderlichen Unterschrift macht diesen
rechtswidrig (es sei denn, es handelt sich um einen maschinell erstellten Verwaltungsakt); die willkürliche Ungleichbehandlung eines Bürgers
durch die Verwaltung widerspricht dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG) und
führt zur Rechtswidrigkeit des betreffenden Verwaltungshandelns.
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b. Der Vorbehalt des Gesetzes
Der Vorbehalt des Gesetzes (oder die positive Gesetzmäßigkeit) besagt, dass öffentlich-rechtliches Verwaltungshandeln einer rechtlichen
Grundlage bedarf, d. h. den Verwaltungsmaßnahmen des öffentlichen
Rechts muss eine entsprechende Befugnisform zugrunde liegen.
Beispiel: die Möglichkeit, eine Gaststättenerlaubnis zu widerrufen, weil
der Inhaber seinen Betrieb ohne Erlaubnis durch einen Stellvertreter
betreiben lässt, ist in der Gewerbeordnung festgelegt. Es gibt also eine
gesetzliche Regelung, die der Verwaltung beim Vorhandensein der
Voraussetzungen diese bestimmte Handlungsweise erlaubt.
7. Ermessen der Verwaltung
a) Gesetzesbindung und Ermessen - Grundlagen
Der Begriff Ermessen ist vieldeutig, denn er begegnet uns in ganz verschiedenen Zusammenhängen. So ist neben dem Verwaltungsermessen auch vom Ermessen des Gesetzgebers, vom Verordnungsermessen und schließlich vom richterlichen Ermessen die Rede. Handelt es
sich hierbei immer um „die selbe Art von Ermessen“?
Bei dem uns hier interessierenden Begriff geht es nur um das Verwaltungsermessen. Es hat seinen Ort bei der Gesetzesbindung der Verwaltung, denn es stellt eine Lockerung der Gesetzesbindung dar. Das
Ermessen eröffnet der Verwaltung bei Vorliegen eines Gesetzestatbestandes Entscheidungs- und Verhaltensalternativen. Es gibt nicht mehr
eine bestimmte Rechtsfolge und damit Verhaltensform - die Verwaltung
kann vielmehr zwischen mehreren möglichen Verhaltensformen wählen.
Vgl. insoweit die Regelung in § 15 GastG (Rücknahme und Widerruf einer Gaststättenerlaubnis): § 15 Abs. 1 und 2 GastG sehen eine strikte Gesetzesbindung vor („ist
zurückzunehmen“, „ist zu widerrufen“), sofern die dort genannten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind; § 15 Abs. 3 GastG eröffnet der Verwaltung demgegenüber
Ermessen („kann widerrufen werden“).
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Tatbestand A mit Gesetzesbindung - eine bestimmte Rechtsfolge ist
vorgegeben
Tatbestand B mit Ermessen - Verhaltensmöglichkeiten X1 bis X n
Übersicht Ermessen:
Gebundene Entscheidung:
Tatbestand
Rechtsfolge X
Ermessensentscheidung
Rechtsfolge 1
Tatbestand
Rechtsfolge 2
Rechtsfolge 3
Damit ist zugleich eine erste Aussage über die Struktur des Ermessens
gemacht:
Ermessen bezieht sich auf die Rechtsfolgenseite. Es setzt die Erfüllung eines gesetzlichen Tatbestandes voraus. Es gibt kein Ermessen
ohne gesetzlichen Tatbestand. Ermessen bedeutet zugleich: Verlagerung der Verantwortung vom Parlament auf die Verwaltung. Diese besondere Verantwortung bei der Ermessensausübung kommt im Begründungserfordernis zum Ausdruck, denn die Verwaltung muss offen
legen, nach welchen Gesichtspunkten sie ihr Ermessen ausgeübt hat.
Beim Vollzug von Gesetzen ohne Ermessen ist das nicht in gleicher
Weise der Fall. Sein Sinn besteht darin, Einzelfallgerechtigkeit zu ermöglichen. Aufgrund einer Bindung an gesetzliche Tatbestände gibt es
kein völlig freies Ermessen. Das Ermessen der Verwaltung ist immer
gesetzesakzessorisch, d.h. es ist durch die ausdrücklichen Vorgaben
sowie den Sinn und Zweck der Norm begrenzt.
Das auch schon an der Formulierung im Gesetz erkennbar :
§ 40 Ermessen
Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen
entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.
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b) Voraussetzungen und Arten des Ermessens
aa. Merkmale von Ermessensnormen
Äußeres Erkennungsmerkmal von Ermessensnormen ist die Verwendung von Worten wie „kann“, „soll“, „darf“, „ist befugt“ usw.
bb. Abgrenzung zu artverwandten Erscheinungen
Unbestimmte Rechtsbegriffe - Sind einzelne Tatbestandsmerkmale, die
im Wege der Auslegung zu konkretisieren sind. (Beispiele: „öffentliches
Interesse“, „Gefahr“, „soziale Härte“, „Einbruch der Dämmerung“, „geschlossene Ortslage“). Es ist Aufgabe der Verwaltung, die unbestimmten Rechtsbegriffe durch Auslegung zu konkretisieren und auf den Einzelfall anzuwenden. Unbestimmte Rechtsbegriffe unterliegen ohne Einschränkungen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Oft hilft auch die
verfassungskonforme Auslegung weiter. Das bedeutet aber auch, dass
die letztendliche Festlegung, was unter diesem unbestimmten Rechtsbegriff zu verstehen ist, das Verwaltungsgericht trifft.
c. Arten des Ermessens
Entschließungsermessen: bezieht sich auf das OB, d.h. ob die Verwaltung handelt
Gestaltungsermessen: bezieht sich auf das WIE, d.h. den Inhalt der
Entscheidung
Auswahlermessen: ist ein Teil des WIE, z.B. bei der Auswahl des Störers im Polizeirecht
Beispiel aus einer Norm:
„Die Polizei kann (= Entschließungsermessen) die notwendigen Maßnahmen (= Gestaltungsermessen) treffen, um eine im einzelnen Falle
bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren
...“
Fallbeispiel: Die für die Sicherheit des fließenden Verkehrs zuständige
Polizei entdeckt auf einem Radweg eine ungesicherte Baugrube. Wegen der anbrechenden Dunkelheit ist davon auszugehen, dass in absehbarer Zeit ein Radfahrer in diese Baugrube stürzen könnte. Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit kann/muss (was meinen
Sie?) die Polizei nunmehr Maßnahmen ergreifen. Zunächst werden sich
die handelnden Polizeibeamten überlegen, ob sie überhaupt zur Sicherung der Baugrube tätig werden sollen. In Anbetracht der drohenden
Gefahren werden sie diese Frage zweifelsohne bejahen. Sodann überlegen sich die Beamten, wie sie die Sicherung der Baugrube bewerkstelligen. Ihnen bieten sich hierzu mehrere Möglichkeiten an: Sie können die Baugrube selbst sichern, den Bauunternehmer (soweit ermittelbar) zur Grube zitieren und ihm die Sicherung aufgeben oder einen dritten Bauunternehmer mit der Sicherung der Grube beauftragen. Welche
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dieser drei Handlungsalternativen die Beamten wählen, hängt von den
konkreten Umständen des Einzelfalls (Ermittelbarkeit des Bauunternehmers, Zeitfaktor etc.) ab. Die Polizei wird ihre Entscheidung
deshalb nach Effektivitäts- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten treffen.
d) Bindungen der Ermessensausübung - Ermessensfehler
aa. Gesetzliche Bindung und Grenzen des Ermessens
Allgemeine Maßstabsnorm für die Ermessensausübung ist § 40 VwVfG.
§ 40 Ermessen
Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.
Diese Norm begründet die sogenannte Gesetzesakzessorietät des Ermessens. Es darf nur und ausschließlich in Übereinstimmung mit dem
Zweck der gesetzlichen Ermächtigung ausgeübt werden und es müssen die gesetzlichen Grenzen, die ebenfalls aus der Norm abzuleiten
sind, beachtet werden. § 40 normiert also eine positive Zielvorgabe und
eine negative Grenze.
"Zweck der Ermächtigung" meint, dass hier die Überlegungen einfließen müssen, die den Gesetzgeber zum Erlass der Norm veranlasst
haben (welchen Zweck wollte er erreichen? Bei den neuen Gesetzen
unter dem Stichwort „Hartz-IV“ soll die Arbeitslosigkeit abgebaut werden und die Zahl der Sozialhilfeempfänger verringert werden – das ist
der Zweck dieser Gesetze).
Bei den „gesetzlichen Grenzen“ sind an Regelungen aus der Verfassung wie den Gleichbehandlungsgrundsatz u.ä. und an die gesetzlichen
Grenzen also andere Regelungen aus dem jeweils zugrundeliegenden
Gesetz zu denken.
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bb. Ermessensfehler
Ermessensfehler
-Ermessensüberschreitung
-Ermessensnichtgebrauch
-Ermessensmissbrauch
-gewählte Rechtsfolge
hält sich nicht im
Rahmen, der
vorgegeben ist
- die Behörde
verkennt, dass sie ein
Ermessen hat
-falsche Motive oder
unpassende
Gesichtspunkte prägen
die Entscheidung
-Verstoß gegen Grundrecht und allgemeine
Verfahrensgrundsätze
-hier ist insbesondere an Artikel 3 und 5 zu denken
-Ermessensreduzierung auf Null
Wichtig :
Um es nochmals zu betonen: Ein Verstoß gegen die normativen Vorgaben des § 40 VwVfG ist ein Rechtsverstoß. Ermessensfehler sind
deshalb Rechtsfehler (und nicht „Zweckmäßigkeitsfehler“). Als solche
werden herkömmlicher weise unterschieden:
aaa. Ermessensüberschreitung
Die Behörde überschreitet ihr Ermessen, wenn sie eine Rechtsfolge
wählt, die sich nicht im Rahmen der Ermessensvorschrift hält (= Verstoß gegen § 40 Alt. 1 VwVfG). Beispiele:
- Nach einer Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr darf
die Behörde nach ihrem Ermessen für den Einsatz des Vollzugsdienstes eine Gebühr zwischen 200,- und 400,- € erheben. Die Behörde
macht jedoch eine Gebühr von 500,- € geltend.
- Eine landesgesetzliche Regelung sieht vor, dass die Behörde nach
ihrem Ermessen für Gaststätten- und Restaurantbetriebe die Sperrstunde zwischen 23.00 Uhr und 1.00 Uhr anordnen kann. Die zuständige Behörde setzt die Sperrstunde jedoch auf 22.30 Uhr fest.
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bbb. Ermessensnichtgebrauch
Ein Fall des Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn die Behörde überhaupt nicht erkennt, dass ihr ein Ermessen zusteht (= Verstoß gegen § 40 Alt. 1 VwVfG). Dies ist dann der Fall, wenn die Behörde davon
ausgeht, dass sie nur eine ganz bestimmte Entscheidung treffen kann
(muss), dies aber gerade nicht der Fall ist, weil im Gesetz verschiedene
Handlungsmöglichkeiten gegeben sind.
ccc. Ermessensfehlgebrauch (-missbrauch)
Von einem Ermessensfehlgebrauch spricht man, wenn die Behörde ihr
Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausübt,
d.h. sich von sachfremden Motiven leiten lässt oder falsche Gesichtspunkte in ihre Erwägungen einbezieht (= ebenfalls Verstoß gegen § 40
Alt. 1 VwVfG).
Beispiel: Die Versammlungsbehörde löst eine öffentliche Versammlung
auf (§ 15 Abs. 2 Versammlungsgesetz), weil sie ihr „politisch nicht ins
Konzept passt“. Die Ermächtigungsnorm (§ 15 Abs. 2 Versammlungsgesetz) dient allein dem Zweck, die öffentliche Sicherheit und Ordnung
aufrechtzuerhalten, nicht hingegen der Versammlungsbehörde eine
Handhabe gegen politisch unliebsame Versammlungen zu geben.
ddd. Verstoß gegen Grundrechte und allgemeine Verwaltungsgrundsätze
§ 40 Alt. 2 VwVfG ordnet schließlich an, dass die Ermessensausübung
nicht die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreiten darf. Zu
diesen gesetzlichen Grenzen gehören insbesondere die Grundrechte
und die allgemeinen Verwaltungsgrundsätze (siehe die obigen Ausführungen).
Beispiel: In dem obigen Gebührenbeispiel (Gebühren und Maßnahmen
im Straßenverkehr) wäre es ermessensfehlerhaft, wenn der handelnde
Verwaltungsangestellte eine Gebühr von 400,- € (also an der obersten
Grenze des Rahmens) festsetzen würde und von einem Gebührenschuldner verlangen würde, nur weil er diesen persönlich nicht „riechen“
kann. Die Verwaltung hat zwar aufgrund des Gebührenrahmens zwischen 200,- und 400,- € ein Ermessen, wann sie welche Gebührenhöhe
festlegt. Aber in dieser Frage hat sie sich durch die bisherige Verwaltungspraxis und ggf. auch durch verwaltungsinterne Anweisungen
selbst gebunden; sie verstieße durch ein solches Vorgehen gegen Art.
3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlungsgebot).
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cc. Ermessensreduzierung auf Null
Mitunter kann es vorkommen, dass sich der Ermessensspielraum der
Behörde „auf Null reduziert“ („Ermessensreduzierung auf Null“). Dies ist
dann der Fall, wenn dem handelnden Verwaltungsangestellten im
Rahmen seiner Ermessensbetätigung aufgrund bestehender rechtlicher
Bindungen nur noch eine rechtmäßige Handlungsoption zur Verfügung
steht.
Beispiele: Die Verteilung von politischen Handzetteln in der Fußgängerzone ist eine sog. „Sondernutzung“ des öffentlichen Straßenraums, die
nach dem Straßen- und Wegerecht in Rheinland-Pfalz einer Genehmigung bedarf. Die Genehmigung steht dabei im Ermessen der Genehmigungsbehörde. Da das Verteilen von Handzetteln jedoch der politischen
Willensbildung dient (s. Art. 21 und Art. 38 GG), verdichtet sich die Entscheidungsalternative der Behörde (Erteilung oder Nichterteilung) auf
nur eine zulässige Option, nämlich der Erteilung einer Sondernutzungsgenehmigung (es sei denn, die Partei wäre verboten oder würde in den
Flugblättern zu Straftaten aufrufen).
IV.
Grundregeln des Verwaltungsverfahrens
1. Was ist das Verwaltungsverfahren?
Dem öffentlich-rechtlichen Verwaltungshandeln liegen in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts
zugrunde. Dieses öffentlich-rechtliche Verwaltungshandeln soll im Folgenden näher – insbesondere unter dem Aspekt des Verfahrensablaufes - beleuchtet werden.
Das Verwaltungsverfahrensgesetz gilt also nur für die öffentlichrechtliche Verwaltungstätigkeit von Behörden. Das Verwaltungsverfahren ist eine besondere Art des Verwaltungshandelns, die in einem Gesetz, nämlich dem Verwaltungsverfahrensgesetz festgeschrieben,
also kodifiziert worden ist. Wie bereits oben gesehen, wird das Verwaltungsverfahren abgegrenzt von den anderen Arten des Verwaltungshandelns (Realakte, Normsetzung etc.).
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Skript zum Verwaltungsrecht
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Grundzüge und systematische Einordnung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Das Verwaltungsverfahrensgesetz ist in 8 Teile untergliedert.
Teil I – Regelungen über den Anwendungsbereich des Gesetzes und
die Amtshilfe
Teil II – allgemeine Verfahrensbestimmungen, die sich sowohl auf den
Erlass eine VA als auch auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen
Vertrages beziehen
Teil III – Kernstück des Gesetzes = Regelungen über den VA
Teil IV – ebenfalls Kernstück = Regelungen über den Abschluss eines
öffentlich-rechtlichen Vertrages
Teil V – besondere Verfahrensarten
Teil VI – Rechtsbehelfsverfahren
Teil VII – sehr allgemeine Vorschriften über ehrenamtliche Tätigkeiten
und das Verfahren vor den Ausschüssen
Teil VIII – Schlussvorschriften
2. Warum gibt es ein Bundesverwaltungsverfahrensgesetz
und ein Landesverwaltungsverfahrensgesetz?
Das Verwaltungsverfahren ist sowohl in einem Bundesgesetz geregelt
als auch in eigenen Ländergesetzen. Wie ist dieses Nebeneinander der
Gesetze zu erklären? Das Verwaltungsverfahren ist weder Gegenstand
der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes (Art 73 GG) noch der
konkurrierenden Gesetzgebung (Art 74 GG) d.h. der Bund hat Regelungen für die Bundesbehörden getroffen und die Länder haben eigene
Verwaltungsverfahrensgesetze erlassen (die aber häufig wortgleich mit
der bundesrechtlichen Regelung sind).
Die Landesverwaltungsverfahrensgesetze gehen bei den Aufgaben der
Landesverwaltung vor. Finden sich dort - in den Landesverwaltungsverfahrensgesetzen - keine Regelungen, dann greift das Bundesverwaltungsverfahrengesetz ein.
Hier vorliegend wird auf das Bundesverwaltungsverfahrensgesetz
Bezug genommen; es sei denn, es wird ausdrücklich das Landesverwaltungsverfahrensgesetz genannt.
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3. Wo steht im Verwaltungsverfahrensgesetz etwas Grundsätzliches über das Verwaltungsverfahren?
"§ 9 Begriff des Verwaltungsverfahrens
Das Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes ist die nach außen wirkende
Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung
und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlichrechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder
den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages ein."
Diese Vorschrift ist eine Legaldefinition des Verwaltungsverfahrens.
Es handelt sich hierbei um öffentlich-rechtliche Tätigkeiten der Verwaltungsbehörden, wobei die Definition der Behörde in § 1 Abs. 4 VwVfG
und in § 2 LVwVfG zu finden ist. Die Tätigkeit der Behörde muss nach
außen gerichtet sein. Im Stadium der Vorbereitung kann also nur dann
von einem Verwaltungsverfahren i.S.d. Gesetzes gesprochen werden,
wenn bereits mit den von der Verwaltung getroffenen Entscheidungen
eine Außenwirkung eingetreten ist. Bloße interne Vorüberlegungen reichen also noch nicht aus, um die Regelungen dieses Gesetzes anwenden zu können.
Das ist insbesondere dort wichtig, wo Bürger ihre "Rechte" wie Akteneinsicht und Anhörungsrechte reklamieren, die das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ihnen einräumt. Diese Rechte können erst dann
geltend gemacht werden, wenn tatsächlich ein Verwaltungsverfahren
i.S.d. Gesetzes begonnen hat.
Nicht von § 9 VwVfG erfasst werden also allgemeinverbindliche Anordnungen, Richtlinien, Erlasse, Realakte, Belehrungen und privatrechtliche Handlungen (siehe dazu die obigen Ausführungen zu den Arten
des Verwaltungshandelns). Der Vollzug also die Durchsetzung des
Verwaltungsaktes wird in einem eigenen Gesetz, nämlich dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz geregelt.
4. Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens
"§ 10 VwVfG
Das Verwaltungsverfahren ist an bestimmte Formen nicht gebunden, soweit keine
besonderen Rechtsvorschriften für die Form des Verfahrens bestehen. Es ist einfach,
zweckmäßig und zügig durchzuführen."
Die Behörde bestimmt also durch interne Geschäftsanweisungen und
Verwaltungsrichtlinien den Ablauf des Verfahrens. Eine ähnlich umfassende und genau festgeschriebene Regelung wie in der Zivilprozess-
StOVR Christina Mayer
Skript zum Verwaltungsrecht
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33
ordnung oder der Strafprozessordnung gibt es also nicht. Es handelt
sich hierbei ja auch nicht um einen Prozess!
Allerdings sind im VwVfG einige grundsätzliche Bestimmungen enthalten, die Verfahrensgrundsätze §§ 9 - 30 die anzuwenden und einzuhalten sind.
5. Verfahrensgrundsätze des Verwaltungsverfahrens
Nachfolgend werden einige sehr wichtige Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes besprochen, deren Kenntnis unerlässlich ist
im Bereich der Verwaltungstätigkeit.
Bitte bedenken Sie, dass man Vorschriften nur dann verstehen
und damit auch richtig anwenden kann, wenn man sie aufmerksam
liest!
ALSO LESEN SIE BITTE!!!!!!
a. Die Behörde
Die Legaldefinition, was eine Behörde ist, findet sich in § 2 LVwVfG
bzw. in § 1 IV VwVfG.
Die örtliche Zuständigkeit ist in § 3 VwVfG geregelt; hierbei kommt es
z.B. darauf an, wo sich die Gaststätte befindet, für die man eine Gaststättenerlaubnis beantragt oder aber der Wohnort des Antragstellers ist
entscheidend, wie z.B. bei der Fahrerlaubniserteilung.
Die sachliche Zuständigkeit der Behörden ergibt sich meistens aus den
Fachgesetzen des jeweiligen besonderen Verwaltungsrechts; z.B. § 2
GemO, § 57 LBauO etc.
b. Amtsträger - Ausschluss von Personen
Für die Behörde werden Amtsträger (=Bedienstete) tätig. Für das Verwaltungsverfahren stellen die §§ 20 und 21 VwVfG sicher, dass die jeweilige Amtshandlung nur durch unbefangene Amtsträger wahrgenommen wird.
Bestehen Zweifel über die Unparteilichkeit sollte diese Unparteilichkeit
immer - auch zum Schutz des Bediensteten selbst - angenommen werden und es sind die Konsequenzen daraus zu ziehen.
StOVR Christina Mayer
Skript zum Verwaltungsrecht
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Ausschluss kraft Gesetzes § 20 VwVfG
- hier wird geregelt, wann ein Amtsträger kraft Gesetzes, d.h. ohne weiteren Antrag oder Entscheidung von einem Verwaltungsverfahren ausgeschlossen ist. Wenn z.B. der Bruder des Sachbearbeiters im Bauamt
eine Baugenehmigung beantragt, dann würde ein Angehöriger eines
Beteiligten handeln und dieser ist nach dem Gesetz ausgeschlossen
(Beachten: hier muss kein Vorgesetzter eine Entscheidung treffen. Die
Entscheidung trifft das Gesetz!).
Besorgnis der Befangenheit § 21 VwVfG
§ 21 betrifft den Fall, dass ein konkreter Grund für die Besorgnis der
Befangenheit besteht. Anwendungsfälle sind hier in erster Linie das
Bestehen einer Freundschaft oder einer Feindschaft. Rechtsfolge des §
21 ist, dass der betroffene Amtsträger den Vorgesetzten unterrichten
soll und sich gegebenenfalls - auf dessen Anordnung hin - der Mitwirkung an dem Verwaltungsverfahren zu entziehen hat.
Die Besorgnis der Befangenheit ist dann anzunehmen, wenn objektiv
ein vernünftiger Grund besteht, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine
unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen oder wenn von einem
Beteiligten ein solcher Grund schlüssig behauptet wird (in diesem letzteren Fall muss die also die Besorgnis der Befangenheit nur vorgetragen werden und gerade nicht tatsächlich vorliegen oder ausdrücklich
festgestellt werden.)
- Ein förmliches Ablehnungsrecht des Bürgers geben die §§ 20 und 21
VwVfG nicht, wie etwa die Prozessregeln der ZPO oder der StPO, wo
man Richter (nicht Staatsanwälte!!) wegen der Besorgnis der Befangenheit ablehnen kann. Eine fehlerhafte Mitwirkung im Verwaltungsverfahren kann aber als Rechtswidrigkeitsgrund gegenüber der Endentscheidung geltend gemacht werden.
Beachtlich ist hierbei noch, dass die §§ 20 und 21 nur dort eingreifen,
wo dem Amtsträger ein Entscheidungsspielraum zusteht und er damit
einen nennenswerten Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens nehmen kann; bei reinen Hilfstätigkeiten, z.B. rein manueller Art ist das
nicht der Fall.
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c. Die Beteiligten
aa. Die Beteiligungsfähigkeit - § 11 VwVfG
= die Fähigkeit, Subjekt eines Verwaltungsverfahrens zu sein; hier wird
an die Rechtsfähigkeit angeknüpft, allerdings geht die Beteiligungsfähigkeit weiter, da auch nichtrechtsfähige Behörden beteiligungsfähig
sind.
bb. Handlungsfähigkeit § 12 VwVfG
= die Fähigkeit, ein Verwaltungsverfahren als Beteiligter selbst zu führen.
Sie umfasst die Fähigkeit zur Abgabe von verfahrensrechtlichen Willenserklärungen und zur Vornahme sonstiger Verwaltungshandlungen.
vgl. hierzu die Regeln des BGB:
Rechtsfähigkeit = alle Menschen können Träger von Rechten und Pflichten sein;
ebenso juristische Personen
Geschäftsfähigkeit = ist die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte selbst wirksam vornehmen
zu können.
Die Begriffe aus dem Privatrecht sind zwar sehr ähnlich, aber nicht völlig identisch. So regelt z.B. das Wehrpflichtgesetz, dass ein Wehrpflichtiger 17 jähriger ohne gesetzlichen Vertreter Beteiligter eines Verwaltungsverfahrens sein kann.
cc. Beteiligte
§ 13 VwVfG legt abschließend fest, wer Beteiligter sein kann.
- Antragsteller und Antragsgegner
- Adressat des VA
- die Partner beim Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages
- der Hinzugezogene
d. Vertretung
Im Verwaltungsverfahren ist man nicht gezwungen, jede Handlung
selbst d.h. persönlich vorzunehmen. Gem. § 14 VwVfG kann sich der
Beteiligte auch durch einen rechts- und sachkundigen Vertreter vertreten lassen. Hiermit soll die auch Chancengleichheit mit der Behörde
gewahrt werden, bei der die Fachleute arbeiten.
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Auf Verlangen der Behörde, hat der Vertreter seine Vollmacht schriftlich
nachzuweisen, § 14 III VwVfG. Dies ist keine Schikanevorschrift, sondern dient der Sicherheit, dass die Behörde auch wirklich mit dem richtigen Bevollmächtigten verhandelt. Deshalb ist bei Anrufen absolute
Vorsicht geboten. Am Telefon lässt sich nur sehr schwer prüfen, ob tatsächlich eine Bevollmächtigung (und eine schriftliche Vollmacht kann
man so überhaupt nicht prüfen) vorliegt und ob dieser Gesprächspartner, den man gerade in der Leitung hat, auch identisch ist mit der Person, die bevollmächtigt wurde.
(§ 16 schreibt die Möglichkeit fest, dass die Behörde von Amts wegen
einen Vertreter für einen Beteiligten bestellt. Dies soll in Fällen passieren, in denen der eigentlich vom Verfahren Betroffene dies nicht selbst
kann, weil z.B. krank ist oder sein Aufenthalt unbekannt ist. Hierdurch
soll der Schutz der Beteiligten gewahrt werden.)
e. Beginn des Verwaltungsverfahrens
Die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens liegt - soweit keine andere
Regelung eingreift - im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde und geschieht von Amts wegen; das sogenannte Offizialprinzip § 22 VwVfG.
Im Ermessen der Behörde liegt die Einleitung des Verfahrens dann
nicht, wenn die Behörde
- von Amts wegen tätig werden muss
oder
- auf Antrag hin tätig werden muss bzw. nur auf Antrag hin tätig werden
darf.
f. Amtssprache
Nach § 23 Abs. 1 VwVfG ist die Amtssprache deutsch. Dies spricht zunächst nicht für die Bürgerfreundlichkeit des Gesetzes. Allerdings hat
die Vorschrift nicht nur einen Absatz 1 hat, sondern noch weitere Absätze und insoweit werden Regelungen getroffen, wie mit Anträgen etc
in einer anderen Sprache zu verfahren ist.
StOVR Christina Mayer
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37
Amtssprache
Nach § 23 VwVfG ist die Amtssprache deutsch. Allerdings soll
unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit auch eine
Berücksichtigung von ausländischem = fremdsprachigem
Vorbringen erfolgen können.
(1) Die Amtssprache ist deutsch.
(2) Werden bei einer Behörde in einer fremden Sprache Anträge gestellt
oder Eingaben, Belege, Urkunden oder sonstige Schriftstücke vorgelegt,
soll die Behörde unverzüglich die Vorlage einer Übersetzung verlangen.
In begründeten Fällen kann die Vorlage einer beglaubig ten oder von
einem öffentlich bestellten oder beeidigten Dolmetscher oder Übersetzer
angefertigten Übersetzung verlangt werden. Wird die verlangte
Übersetzung nicht unverzüglich vorgelegt, so kann die Behörde auf
Kosten des Beteiligten selbst eine Übersetzung beschaffen.
Hat die Behörde Dolmetscher oder Übersetzer herangezogen, werden
diese in entsprechender Anwendung des Gesetzes über die
Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen entschädigt.
g. Beratung und Auskunft
§ 25 VwVfG legt fest, dass die Behörde Helfer des i.d.R. unkundigen
Bürgers sein soll. Der Bürger soll beraten werden und über seine Rechte aufgeklärt werden. So soll sichergestellt werden, dass jeder, dem ein
Recht zusteht, dieses auch kennt und weiß, wie er es geltend machen
kann.
Zu dieser Beratung und Aufklärung gehört z.B. auch die Erklärung,
dass ein Verwaltungsverfahren i.d.R. Gebühren = Geld kostet und dass
dies der Bürger im Falle des Unterliegens zahlen muss. Hierbei ist aber
unbedingt auf Neutralität in der Beratung zu achten; es darf nicht der
Eindruck entstehen, dass man den Bürger von der Wahrnehmung bestimmter Rechte abhalten will.
h. Untersuchungsgrundsatz - Amtsermittlungsgrundsatz
Die Behörde kann sich bei ihrer Entscheidung im Verwaltungsverfahren
nicht auf das beschränken, was die Beteiligten vortragen. Nach § 24
VwVfG besteht der sogenannte Amtsermittlungsgrundsatz, d.h. die Behörde ist verpflichtet, für die Grundlage ihrer Entscheidung, den wahren
Sachverhalt zu ermitteln. Dieser Grundsatz entspricht der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, d.h. die Verwaltung muss sich an die geltenden
Gesetze und Vorschriften halten und das kann sie nur dann, wenn sie
den ganzen Sachverhalt kennt und damit auch alle einschlägigen Gesetze anwenden kann (siehe hierzu die obigen Ausführungen zum Vorbehalt des Gesetzes und Vorrang des Gesetzes).
StOVR Christina Mayer
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38
i. Anhörung
Gem. § 28 VwVfG ist die Anhörung der Beteiligten vor dem Erlass eines
belastenden Verwaltungsakten vorgeschrieben. Auch dies entspricht
dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit. Der Beteiligte soll nicht nur das Objekt der Entscheidung der Behörde sein, sondern er soll vor dem "Eingriff" der Verwaltung in seine Rechte hiervon unterrichtet werden und
soll sich hierzu äußern können.
Im § 28 VwVfG sind in den Absätzen 2 und 3 auch Ausnahmen von
dem Grundsatz zur Durchführung einer Anhörung geregelt; also unter
welchen Bedingungen auf eine Anhörung verzichtet werden darf. Hier
ist jedoch Vorsicht geboten und eine genaue und gewissenhafte Prüfung angeraten. Die Ausnahmen des § 28 VwVfG sind eng auszulegen,
da es hier um den Schutz der Bürgerrechte (auch wenn der Begriff hier
nicht 100%ig stimmt) geht. Eine unterlassene Anhörung stellt einen
Verfahrensfehler dar, der jedoch geheilt werden kann (z.B. kann durch
die Durchführung des Widerspruchsverfahrens die Anhörung, die vor
dem Erlass des Ursprungsverwaltungsakt vergessen wurde, nachgeholt
werden, weil der Bürger im Widerspruchsverfahren die Möglichkeit hat,
sich zu äußern – er wird also angehört. Die Frage des Verfahrensfehlers, seiner Heilungsmöglichkeiten u.ä. wird später noch erörtert.)
§ 28 Anhörung Beteiligter.
(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten
eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung
erheblichen Tatsachen zu äußern.
(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des
Einzelfalles nicht geboten ist, insbesondere wenn
1.eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen
Interesse notwendig erscheint;
2.durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist
in Frage gestellt würde;
3.von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder
einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll;
4. die Behörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in
größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen
will;
5.Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen.
(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse
entgegensteht.
StOVR Christina Mayer
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Anhörung nach § 28 VwVfG
Was muss bei der Anhörung erfolgen ?
Es wird Gelegenheit zur Äußerung zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen gegeben
Erforderlich
- bei belastenden
VA
- gegenüber Beteiligten i..S.d. § 13
VwVfG
Entbehrlich
- zwingend im Falle des § 28
Abs. 3 VwVfG
- nach Ermessen bei § 28
Abs. 2 VwVfG, insbesondere bei Gefahr in Verzug,
Allgemeinverfügung, Vollstreckungsmaßnahmen
Was passiert, wenn die Anhörung nicht durchgeführt wurde ?
Es liegt ein Verfahrensfehler vor – was ist dann zu tun ?
Heilung
- Nachholung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG
- Durch die Ausgangs- oder auch die Widerspruchsbehörde
- Bis zum Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens
(§ 45 Abs. 2 VwVfG)
- Dadurch wird die Rechtswidrigkeit des VAs (die durch den
Formfehler entstanden ist) beseitigt
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j. Beweismittel
§ 26 VwVfG normiert den Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel, d.h., dass die Behörde nicht an die klassischen Beweismittel, die man aus dem Zivil- oder Strafprozess kennt, gebunden ist, sondern die Beweiserhebung auch auf andere Grundlagen stellen kann.
Dies ist eine Folge der in § 10 VwVfG normierten Nichtförmlichkeit des
Verwaltungsverfahrens.
Nach § 26 II VwVfG sollen die Beteiligten am Verfahren mitwirken.
Hierbei handelt es sich um eine Obliegenheit. Verletzt ein Beteiligter
diese Obliegenheit, muss er bedenken, dass die Untersuchungspflicht
der Behörde dort endet, wo nur noch der Beteiligte selbst Klarheit
schaffen könnte. Die Behörde kann im persönlichen Bereich eines Beteiligten nur sehr begrenzt ermitteln. Erhält die Behörde aber nicht die
zur Entscheidung erforderlichen Informationen, so kann sie diese auch
nicht berücksichtigen, was wiederum negative Folgen für den Beteiligten haben kann (hier sei auf § 60 SBG X hingewiesen - ein besonderes
Verfahrensrecht für den Bereich des Sozialrechts, dort sind der Behörde ausdrücklich Verfahrensweisen für die mangelnde Mitwirkung an die
Hand gegeben – z. B. die Einstellung der Leistung).
k. Akteneinsicht
§ 29 Akteneinsicht durch Beteiligte.
(1) Die Behörde hat den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren
betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur
Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich
ist. Satz 1 gilt bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht für
Entwürfe zu Entscheidungen sowie die Arbeiten zu ihrer unmittelbaren
Vorbereitung. Soweit nach den §§ 17 und 18 eine Vertretung stattfindet,
haben nur die Vertreter Anspruch auf Akteneinsicht.
(2) Die Behörde ist zur Gestattung der Akteneinsicht nicht verpflichtet,
soweit durch sie die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Behörde
beeinträchtigt, das Bekannt werden des Inhalts der Akten dem Wohle des
Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder soweit die
Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach, namentlich wegen
der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen,
geheimgehalten werden müssen.
(3) Die Akteneinsicht erfolgt bei der Behörde, die die Akten führt. Im
Einzelfall kann die Einsicht auch bei einer anderen Behörde oder bei einer
diplomatischen oder berufskonsularischen Vertretung der Bundesrepublik
Deutschland im Ausland erfolgen; weitere Ausnahmen kann die Behörde,
die die Akten führt, gestatten.
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§ 29 VwVfG schreibt fest, dass dem Beteiligten zur Wahrung seiner
Rechte Einsicht in die Verwaltungsakte gewährt werden soll.
Voraussetzungen sind:
- nur die Beteiligten (und wer „Beteiligter“ ist, haben wir oben schon gehört – welche Vorschrift war es? NICHT GLEICH NACHLESEN – ERST
MAL NACHDENKEN!) sind zur Akteneinsicht berechtigt
- Akteneinsicht nur in "seine" das Verfahren betreffenden Akten (nicht in
Parallelverfahren)
- Akteneinsicht muss zur Rechtswahrung erforderlich sein
- die einzusehende Akte darf nicht nur aus Entscheidungsentwürfen
oder Vorbereitungsarbeiten bestehen
- der Akteneinsicht dürfen keine Geheimhaltungsinteressen der Behörde entgegenstehen
Akteneinsicht kann grundsätzlich nur bei der aktenführenden Behörde
beansprucht werden. Ausnahmen sind hier zulässig.
In § 16 Abs. 6 AGVwGO ist geregelt, dass die Akte, die Gegenstand
eines Widerspruchsverfahrens ist, in die Kanzlei eines bevollmächtigten
Rechtsanwalts geschickt werden darf. Das ist eine erste ausdrückliche
Regelung dahingehend. Vor diesem Datum war es den Behörden überlassen, die Entscheidung zu treffen, ob man dem Rechtsanwalt die Akte
gibt bzw. in seine Kanzlei schickt oder ob er sie nur in der Behörde zu
den üblichen Behördenöffnungszeiten einsehen darf.
Im Rahmen der Akteneinsicht stellt sich immer wieder die Frage, ob die
Ablehnung der beantragten Akteneinsicht vom Bürger angefochten
werden kann und wie (siehe dazu den späteren Fall im Rahmen des
Unterrichts).
l. Geheimhaltung
Der Geheimhaltungsanspruch aus § 30 VwVfG bezieht sich auf Tatsachen (persönliche Daten etc), die nur einem begrenzten Personenkreis
bekannt sind und an deren Geheimhaltung der Beteiligte ein berechtigtes Interesse hat.
§ 30 Geheimhaltung.
Die Beteiligten haben Anspruch darauf, dass ihre Geheimnisse, insbesondere
die zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnisse sowie die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, von der Behörde nicht unbefugt offenbart
werden.
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V. Besondere Verfahren
1.
Förmliches Verfahren
In besonderen, im jeweiligen Gesetz geregelten Fällen führt die Verwaltung sogenannte besondere = förmliche Verfahren durch. Die Regelungen, die zum Verwaltungsverfahren bislang vorgestellt wurden, gelten
hier nur soweit, als keine spezielleren in den Vorschriften der §§ 63 ff
VwVfG zu finden sind.
Das förmliche Verfahren findet aufgrund gesetzlicher Anordnung statt.
Die Vorschriften der §§ 63 ff VwVfG gehen den allgemeinen Regeln vor
(lex specialis vor lex generalis):
- zur Einleitung des Verfahrens ist ein Antrag erforderlich § 64
- Zeugen und Sachverständige sind verpflichtet, bei dem Verfahren mitzuwirken § 65 I
- es gibt ein erweitertes Anhörungsrecht § 66
- es muss eine mündliche Verhandlung durchgeführt werden § 67 I
- es gibt kein Vorverfahren § 70
- § 71 enthält Regeln für ein förmliches Verfahren vor Ausschüssen
2.
Planfeststellungsverfahren
Das Planfeststellungsverfahren §§ 72 ff VwVfG dient der Aufstellung
verbindlicher Pläne zur Durchführung bestimmter raumbedeutsamer
Vorhaben.
Beispiel : Bundesfernstraßen, Flughäfen, Abfalldeponien
Abgeschlossen wird das Planfeststellungsverfahren durch den behördlichen Planfeststellungsbeschluss § 74 VwVfG, der als VA zu qualifizieren ist. Die Besonderheit dieses VA besteht darin, dass er alle nach
anderen gesetzlichen Vorschriften erforderlichen Genehmigungen, Erlaubnisse, Bewilligungen und sonstige Zulassungsakte ersetzt § 75 I
VwVfG (Konzentrationswirkung).
Zentraler Bestandteil des Planfeststellungsverfahrens ist das Anhörungsverfahren § 73 VwVfG. Im Rahmen des Anhörungsverfahrens besteht für die Bürger die Möglichkeit, Einwendungen gegen den Plan zu
erheben und mit der Behörde zu erörtern.
Die Vorschriften des VwVfG über das Planfeststellungsverfahren sind
nur dann anwendbar, wenn
- die Durchführung des Planfeststellungsverfahren gesetzlich vorgeschrieben ist, § 72 Abs. 1, Halbs.2 VwVfG
- und keine Sonderregelungen bestehen, § 1 VwVfG.
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VI. Der Verwaltungsakt
1. Übersicht
Der Verwaltungsakt = VA ist eine ebenso häufige wie typische Handlungsform des Verwaltungshandelns. Er ist das Instrument, mit dem die
Verwaltung dem Bürger aufgrund der öffentlich-rechtlichen Befugnisse
etwas gebietet, verbietet, erlaubt usw.
Die Definition des VA findet sich im Gesetz - § 35 Satz 1 VwVfG
Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere
- 1 - hoheitliche Maßnahme, die
- 2 - eine Behörde
- 3 - zur Regelung eines Einzelfalles
- 4 - auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf die
- 5 - unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.
Nachfolgend werden nun die einzelnen Merkmale genauer dargestellt:
Unmittelbare
Außenwirkung
Behörde
(§ 1 IV
VwVfG)
Einzelfall
VA
zur Regelung
Hoheitlich
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2. Merkmal - Hoheitliche Maßnahme
Maßnahme im Sinn der Vorschrift ist jedes zweckgerichtete Handeln
mit Entscheidungscharakter.
Die Behörde muss mit der Maßnahme einen bestimmten Zweck verfolgen und zur Erreichung des Zwecks eine bindende Entscheidung treffen wollen. Wenn also die Gemeinde durch eine Postwurfsendung oder
durch eine Anzeige in der Zeitung auf die allgemeine Pflicht zur Straßenreinigung hinweist, dann ist das ein Handeln, das zwar durchaus
den Zweck verfolgt, dass die Bürger ihre Kehrpflicht ernst nehmen, aber
zur Erreichung des Zwecks wurde keine bindende Entscheidung getroffen.
Hoheitlich ist eine Maßnahme dann, wenn sie auf die obrigkeitliche Hoheitsgewalt des Verwaltungsträgers gestützt werden muss. Hiermit wird
der gesamte Bereich des Privatrechts ausgeklammert. Auch der Bereich des schlicht hoheitlichen Verwaltungshandelns wird hier ausgeklammert, weil bei ihm keine hoheitlichen bzw. obrigkeitlichen Zwangsmittel zum Einsatz gelangen.
In der Praxis lässt sich daher die Frage, ob eine hoheitliche Maßnahme
vorliegt, am leichtesten dadurch entscheiden, dass man prüft, ob die
Verwaltung als Hoheitsverwaltung tätig geworden ist.
3. Merkmal - Die Behörde
Ein Verwaltungsakt kann gemäß der Definition im Gesetz nur von einer
Behörde stammen. Was eine Behörde ist, findet sich wiederum im Gesetz, in der Legaldefinition im § 2 des LVwVfG bzw. § 1 Abs. 4 VwVfG.
"§ 2 LVwVfG
Behörde im Sinne dieses Gesetzes ist jede Stelle, die Aufgaben der
öffentlichen Verwaltung wahrnimmt."
Damit sind die Behörden von den privaten Verwaltungsträgern abzugrenzen, hier ist an die Verwaltung einer Versicherung oder die Verwaltung einer großen Bank zu denken.
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4. Merkmal - Einzelfallregelung
a. Regelung
Der Begriff der Einzelfallregelung bedeutet zunächst, dass die Maßnahme dazu dienen muss, ein Rechtsverhältnis zwischen der Verwaltung und dem Bürger zu regeln.
Derartige Regelungen sind
die Begründung, Änderung oder Aufhebung von Pflichten und Rechten
die Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung oder Feststellung von Rechten und Pflichten
die Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder des Umfangs von
Rechten und Pflichten.
Regelungen in diesem Sinn dienen also dazu, neue Rechtsverhältnisse
zu schaffen, unklare zu klären bzw. entsprechende Anträge abzuwehren.
Durch seinen Regelungsgehalt unterscheidet sich der VA von anderen
Verwaltungshandlungen ohne Regelungsgehalt z.B.
unverbindliche Hinweise
Auskünfte, Gewährung von Akteneinsicht
Realakte
b. Einzelfall
Der Begriff bedeutet im strengen Sinn die Regelung der Verhältnisse
einer bestimmten Person in einer konkreten Situation, d.h. die Regelung der konkreten Verhältnisse eines bestimmten Individuums also
eine konkret-individuelle Regelung.
Inhaltlicher Gegensatz dazu ist die Rechtsnorm, die generelle Geltung
besitzt und die abstrakt (also losgelöst vom einzelnen Fall) für alle einschlägigen Fallgestaltungen gelten soll - generell-abstrakte Regelung
Eine Nahtstelle zwischen diesen beiden Regelungen ist die Allgemeinverfügung, § 35 Satz 2 VwVfG. Hierbei handelt es sich um einen Regelungstyp, der zwar eine konkret bestimmte Situation oder Sache zum
Gegenstand hat, diese aber im Hinblick auf eine (abgrenzbare) Personenmehrheit regelt. Gem. § 35 Satz 2 VwVfG wird die Allgemeinverfügung ausdrücklich als VA bezeichnet, d.h., dass alle übrigen Merkmale
des VA bei der Prüfung der Voraussetzungen auch bejaht werden müssen.
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Es gibt insgesamt drei Arten der Allgemeinverfügung:
Maßnahmen an einen bestimmten (bzw. bestimmbaren) Personenkreis
Regelung der öffentlich-rechtlichen Eigenschaft einer Sache
Regelung der Benutzung einer Sache durch die Öffentlichkeit
5. Merkmal - Öffentliches Recht als Handlungsbereich
Ein Verwaltungsakt muss aus einer Maßnahme bestehen, die ihre
Grundlage im öffentlichen Recht hat. Die Fragestellung muss also lauten, "wo hat die zu prüfende Maßnahme ihr Rechtsgrundlage?"
Sinn dieser sog. Bereichsklausel (auf dem Bereich/Gebiet des öffentlichen Rechts) ist zunächst die Abgrenzung von Maßnahmen auf den
Gebiet des Privatrechts.
Daneben ist auch beachtlich, dass nach der Definition nur Behörden
handeln dürfen und sich das Verwaltungsverfahren nur mit Verwaltungshandeln von Behörden beschäftigt, liegt hier noch eine weitere
Einschränkung vor, nämlich die Beschränkung auf Maßnahmen aus
dem Bereich des Verwaltungsrechts. Die übrigen Materien die des öffentlichen Rechts sind somit von der Bereichsklausel nicht umfasst und
damit auch nicht dem Erlass von Verwaltungsakten zugänglich.
6. Merkmal - Rechtsaußenwirkung
a. Außenwirkung
Der Begriff der Außenwirkung bedeutet, dass die Wirkung der behördlichen Maßnahmen den behördeninternen Bereich verlassen muss.
Eine endgültige behördliche Maßnahme verlässt den behördeninternen
Bereich und wirkt damit nach außen, wenn von der Maßnahme ein von
der Behörde verschiedener Rechtsträger betroffen wird. Diese Rechtsträger müssen nicht nur natürliche Personen sein, es können auch juristische Personen des Privatrechts und des Öffentlichen Rechts sein.
Bei den endgültigen behördlichen Handlungen, die von ihrer Wirkung
her den behördeninternen Bereich nicht verlassen, ist zu unterscheiden
zwischen den Verwaltungsvorschriften und den innerdienstlichen Weisungen. (siehe oben – Rechtsquellen und Handlungsarten der Verwaltung)
b. Unmittelbarkeit
Schließlich muss die Rechtswirkung der Maßnahme nach außen unmittelbar eintreten. Ein lediglich mittelbares Betroffensein Außenstehender
von einer behördlichen Maßnahme erfüllt den Begriff der Außenwirkung
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nicht.
Beispiel: Der Oberbürgermeister weist den Hausmeister an, die Haupteingangstür täglich um 18 Uhr abzuschließen. Hier tritt keine Außenwirkung ein, weil es sich um eine interne Anweisung handelt. Der Bürger
kann von dieser Anweisung zwar betroffen sein, wenn er nach 18 Uhr
das Gebäude betreten möchte; es liegt dann aber nur eine mittelbare
Wirkung vor.
VII. Arten des Verwaltungsaktes
Es gibt die verschiedensten Verwaltungsakte in den verschiedensten
Rechtsgebieten. Man kann sie nach folgenden Kriterien einteilen bzw.
zusammenfassen:
1. Einteilung nach der Entstehungsform
Einseitige und mitwirkungsbedürftige Verwaltungsakte
Bei einem einseitigen VA darf die Behörde allein und von Amts wegen
tätig werden.
Beispiel: Widerruf der Gaststättengenehmigung
Bei einem mitwirkungsbedürftigen VA kann die Behörde - rechtmäßig nur mit der Mitwirkung des Betroffenen tätig werden. Die Mitwirkung
besteht in aller Regel in der Stellung eines Antrages.
Beispiel: Baugenehmigung, Anwohnerparkausweis, Fahrerlaubnis
Einstufige und mehrstufige Verwaltungsakte
Der Regelfall sind die einstufigen Verwaltungsakte, bei denen die zuständige Behörde allein entscheidet. Wenn eine Behörde eine andere
Stelle hören muss oder ggf. mit einer anderen Stelle das Einvernehmen
erzielen muss, dann sind derartige Mitwirkungshandlungen für den Betroffenen keine selbständigen Verwaltungsakte - es ergeht vielmehr ein
einheitlicher VA nach einem verwaltungsintern mehrstufigen Verfahren.
Beispiel : § 36 BauGB
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2. Nach der Ausdrucksform
Schriftliche und mündliche Verwaltungsakte
- der schriftliche Verwaltungsakt stellt den Regelfall dar und wird wohl
auch in der Praxis die häufigste Form sein.
- der mündliche Verwaltungsakt wird dadurch zum Ausdruck gebracht,
dass der Bedienstete ihn mündlich bekannt gibt und der Betroffene ihn
vernimmt.
Die Behörde kann einen mündlich erteilten Verwaltungsakt schriftlich
wiederholen, § 37 II Satz 2 VwVfG; dies dient der Klarstellung und erleichtert die Beweisführung. Bedenken Sie: Einen mündlichen Verwaltungsakt haben Sie nicht in der Akte, können nicht nachprüfen, was
damals genau geregelt wurde und ein Vertreter kann im Fall der Abwesenheit des Bearbeiters nichts zum Sachverhalt sagen. Der schriftliche
Verwaltungsakt ist also auf jeden Fall die sicherere Handlungsform.
Kann sie aus Gründen der Eilbedürftigkeit o.ä. nicht angewendet werden, sollte dem mündlichen Verwaltungsakt der schriftliche zur Klarstellung nachfolgen.
3. Nach der Wirkungsform
Belastende Verwaltungsakte
Belastende Verwaltungsakte greifen in die Sphäre des Betroffenen ein.
Sie
- verlangen ein Tun, Dulden oder Unterlassen von ihm.
Beispiel : Beseitigungsverfügung im Baurecht
- beschränken oder entziehen Rechte.
Beispiel : die nachträglich in den Führerschein aufgenommene Auflage,
ein Fahrzeug nur mit Sehhilfe zu fahren
- lehnen eine beantragte Begünstigung ab.
Beispiel : Ablehnung des Baugesuchs
- treffen ungünstige Feststellungen.
Beispiel : Feststellung der mangelnden Wehrdienstfähigkeit
Begünstigende Verwaltungsakte
Begünstigende Verwaltungsakte erweitern die Rechtssphäre des Betroffenen. Sie
- begründen oder bestätigen Berechtigungen.
Beispiel : Erteilung der Taxikonzession, Gewährung der Sozialhilfe
- beseitigen Belastungen.
Beispiel : Rücknahme eines Erschließungsbeitragsbescheides
- treffen günstige Feststellungen.
Beispiel : Feststellung der Wahlberechtigung
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Ein begünstigender VA ist selbst dann anzunehmen, wenn mit der Begünstigung eine bestimmte Pflicht verbunden ist. Beispiel: mit der Ernennung zum Beamten geht dieser die besondere beamtenrechtliche
Treupflicht (besonderes Pflichtenverhältnis) gegenüber dem Dienstherrn ein.
Verwaltungsakte mit Mischcharakter
Es gibt Verwaltungsakte, die sowohl begünstigend als auch belastend
wirken können.
Beispiel: die beantragte Baugenehmigung wird erteilt mit der Auflage,
dass das Haus 2 Meter weiter westlich auf dem Grundstück gebaut
werden darf
Verwaltungsakte mit Doppelwirkung
Verwaltungsakte mit Doppelwirkung sind dadurch gekennzeichnet, dass
durch den VA an den unmittelbar Betroffenen auch ein Dritter in seinen
Belangen mitberührt wird. Beispiel : Erteilung der Baugenehmigung unter Befreiung von den nachbarschutzrechtlichen Abstandflächenwahrungen
Befehlende, gestaltende und feststellende Verwaltungsakte
Gestaltende Verwaltungsakte regeln Rechte und Pflichten des Betroffenen und gestalten damit das zwischen ihm und der Behörde bestehende Verwaltungsrechtsverhältnis. Beispiel : Ausnahmegenehmigung zum
Befahren der Fußgängerzone
Feststellende Verwaltungsakte
Feststellende Verwaltungsakte stellen bestehende Verwaltungsrechtsverhältnisse zwischen der Behörde und dem Bürger fest, ohne sie in
irgendwelcher Weise zu begründen, zu ändern oder aufzuheben. Beispiel : Feststellung des Besoldungsdienstalters
Befehlende Verwaltungsakte
Befehlende Verwaltungsakte zwingen den Betroffenen zu einem Tun,
Dulden oder Unterlassen. Beispiel: Die Baubehörde ordnet an, dass für
ein bislang noch nicht genehmigtes Bauwerk, Planunterlagen vorzulegen sind.
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4. Besonderheit von Zusage und Zusicherung
Eine Behörde kann dem Bürger eine Zusage geben, ein bestimmtes
Verhalten betreffend. Eine besondere Form dieser Zusage – ein Mehr
als eine Zusage – ist die Zusicherung, die in § 38 VwVfG geregelt ist.
Nach ganz herrschender Meinung wird die Zusicherung wie ein Verwaltungsakt behandelt, denn die Behörde verpflichtet sich einen Verwaltungsakt bestimmten Inhalts zu erlassen oder diesen zu unterlassen
(die Behörde sichert zu, dass sie keine Abrissverfügung wegen der zu
Unrecht errichteten Hütte im Außenbereich erlassen wird; die Behörde
sichert zu, dass sie die Gaststättenerlaubnis für die neu erworbene
Gaststätte erteilt).
Mit der Zusage wird noch keine Regelung getroffen. Zwar liegt ein Bindungswille vor, aber die Regelung wird nur in Aussicht gestellt und eben noch nicht vorgenommen.
Zusage und Zusicherung
-
Zusage:
o ist durch den Willen (rechtlicher Bindungswillen) zur Selbstverpflichtung
gekennzeichnet
o Gegenteil: Auskunft (hat reinen Informationscharakter)
Zusage ist dann anzunehmen, wenn durch Auslegung ermittelt wurde, dass ein rechtlicher Bindungswille der Behörde vorlag
o Rechtsnatur: kein VA, da die Zusage noch keine Regelung enthält, sondern
diese erst in Aussicht stellt
-
Zusicherung:
o ist die Zusage, einen bestimmten VA später zu erlassen oder zu unterlassen
(§ 38 I VwVfG)
o Folge: ist ein Unterfall der Zusage
Zusicherung liegt dann vor, wenn sich die Selbstverpflichtung auf einen VA richtet, ansonsten liegt eine Zusage vor
o Rechtsnatur: wird wie VA, wie sich aus § 38 II VwVfG ergibt, so behandelt
Behördliche Erklärungen
mit rechtlichem Bindungswillen
ohne rechtlichem Bindungswillen
(Auskunft)
gerichtet auf VA
(Zusicherung)
gerichtet auf sonstige Maßnahmen
(Zusage)
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VIII. Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt
Ein Verwaltungsakt kann mit sogenannten Nebenbestimmungen versehen werden. Neben der eigentlichen Regelung des Verwaltungsaktes
wird noch etwas Zusätzliches, was natürlich mit der eigentlichen Verfügung in Bezug steht, geregelt.
Hierzu ein Minifall: Gustav Gastlich erwirbt eine Gaststätte und beantragt die zum ihrem Betrieb nach § 2 GastG erforderliche Erlaubnis. Die
Erlaubnis wird ihm erteilt mit dem „Zusatz“, G habe noch weitere Lärmschutzvorrichtungen anzubringen, um Lärmbelästigungen für die Nachbarschaft zu vermeiden (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG).
1. Bedeutung der Nebenbestimmungen
Bei Nebenbestimmungen handelt es sich um Ergänzungen zu einem
Hauptverwaltungsakt, die unter anderem die Funktion haben, Genehmigungshindernisse tatsächlicher oder rechtlicher Art auszuräumen und
sicherzustellen, dass die genehmigte Tätigkeit in Übereinstimmung mit
der Rechtsordnung ausgeführt wird. Eine Regelung findet sich in § 36
VwVfG.
§ 36 Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt.
(1) Ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, darf mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen
ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des
Verwaltungsaktes erfüllt werden.
(2) Unbeschadet des Absatzes 1 darf ein Verwaltungsakt nach pflichtgemäßem
Ermessen erlassen werden mit
1. einer Bestimmung, nach der eine Vergünstigung oder Belastung zu einem
bestimmten Zeitpunkt beginnt, endet oder für einen bestimmten Zeitraum gilt
(Befristung);
2. einer Bestimmung, nach der der Eintritt oder der Wegfall einer Vergünstigung oder einer Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt (Bedingung);
3. einem Vorbehalt des Widerrufs oder verbunden werden mit
4. einer Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird (Auflage);
5. einem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung
einer Auflage.
(3) Eine Nebenbestimmung darf dem Zweck des Verwaltungsaktes nicht zuwiderlaufen.
Im Ausgangsfall kann die Gaststättenerlaubnis gem. § 2 Abs. 1 i.V.m.
§ 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG nur erteilt werden, wenn von dem Gaststättenbetrieb keine unzumutbaren Lärmbelästigungen für die Nachbarschaft
ausgehen. Nach dem geschilderten Sachverhalt war der Gaststättenbetrieb zunächst offensichtlich nicht genehmigungsfähig. Durch den „Zusatz“ wird diese Genehmigungsfähigkeit jedoch hergestellt.
Nebenbestimmungen geben der Verwaltung damit ein flexibles Hand-
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lungsinstrument an die Hand, um auch im Interesse des Bürgers rechtliche Hindernisse zu überwinden. Die Behörde handelt nach dem
Grundsatz „Ja, aber ...“ und vermeidet damit die aus der Sicht des Betroffenen nachteiligere Entscheidung des „Nein“. Insofern verwirklicht
sich durch die Nebenbestimmung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
2.
Arten von Nebenbestimmungen
Die Nebenbestimmungs-Typen werden in § 36 Abs. 2 VwVfG aufgelistet. Zu ihnen gehören:
a. Befristung
Vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG
Beispiele: 1. Der Einzelhändler E erhält die Erlaubnis, sein im Kurort K
gelegenes Geschäft bis Saisonende (30.9.) auch an Sonntagen am
Vormittag zu öffnen (s. § 10 Ladenschlussgesetz). 2. Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post befristet eine Tarifgenehmigung zugunsten der Deutschen Post AG auf 2 Jahre. 3. Der wissenschaftliche Assistent MT wird für drei Jahre zum Beamten ernannt.
b. Bedingung
Vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG
Danach sind zu unterscheiden: Die aufschiebende und die auflösende
Bedingung. Beispiele: 1. Eine Baugenehmigung wird unter der aufschiebenden Bedingung erteilt, dass eine zivilrechtliche Grunddienstbarkeit, die auf dem Baugrundstück lastet und dessen Bebaubarkeit
entgegensteht, aus dem Grundbuch gelöscht wird. Bevor diese Bedingung nicht erfüllt ist, kann von der Baugenehmigung (durch Ausführung
des Bauvorhabens) kein Gebrauch gemacht werden. 2. Dem Gastwirt
G wird die Gaststättenerlaubnis unter der auflösenden Bedingung erteilt, dass er nicht seine wegen gewerblicher Unzucht und Kuppelei
vorbestrafte Verlobte in der Gaststätte beschäftigt (vgl. § 21 GastG).
Verstößt G gegen diese Bedingung, so erlischt automatisch seine
Gaststättenerlaubnis.
vgl. hierzu die Regelungen aus dem BGB :
Aufschiebende Bedingungen § 158 I BGB: Der Eintritt der Rechtswirkung hängt von
einer Bedingung ab. Diese Rechtswirkung entsteht also erst mit dem Eintritt der Bedingung.
Als Hauptbeispiel kann hier der Eigentumsvorbehalt genannt werden § 455 BGB. Die
Verpflichtung, das Eigentum zu übertragen, tritt erst nach der vollständigen Zahlung
des Kaufpreises ein.
Auflösende Bedingung § 158 II BGB: Der Fortbestand einer Rechtswirkung hängt
von einer Bedingung ab. Die Rechtswirkung endet also mit dem Eintritt dieser Bedingung
Hier ist als Hauptbeispiel der Rückfall einer gewährten Sicherung zu nennen, die nach
der Tilgung einer Schuld erfolgt.
Wie ist nun der Ausgangsfall des Gustav Gastlich zu beurteilen? Bei
dem „Zusatz“ handelt es sich möglicherweise um eine aufschiebende
Bedingung. G könnte deshalb von seiner Gaststättenerlaubnis erst
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53
dann Gebrauch machen, wenn er die Lärmschutzvorrichtungen installiert hat. Ob dies der Fall ist, oder ob nicht vielmehr die Nebenbestimmung einer Auflage gewählt wurde, muss nach den Umständen des
Einzelfalls beurteilt werden (dazu noch nachfolgend d).
c. Widerrufsvorbehalt
Vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG
Beispiel: Beamten Ernennung auf Widerruf (früher wurden z.B. Rechtsreferendare zu Beamten auf Widerruf ernannt. Die Beamten Ernennung
wurde widerrufen, sobald der Rechtsreferendar sein 2. juristisches
Staatsexamen erfolgreich bestanden hatte. Da dieser Zeitpunkt im vorhinein nicht exakt bestimmt werden konnte, wurde die Beamten Ernennung nicht befristet, sondern unter Widerrufsvorbehalt gestellt). Der Widerrufsvorbehalt zerstört Vertrauen! Der Adressat eines Verwaltungsakts, der mit einem Widerrufsvorbehalt versehen ist, kann sich (wie eben der Rechtsreferendar) nicht darauf verlassen, dass ihm eine rechtlich relevante Position (Beamten Ernennung) auf Dauer gewährt wird.
d. Auflage
Vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG
Im Gegensatz zu den Nebenbestimmungen a) bis c), die unselbständige Teile eines Hauptverwaltungsakts sind, handelt es sich bei der
Auflage um einen selbständigen Verwaltungsakt, der sich auf einen bestimmten Hauptverwaltungsakt bezieht.
Auflage und Bedingung unterscheiden sich dabei wie folgt: „Die Bedingung suspendiert, zwingt aber nicht. Die Auflage zwingt, suspendiert
aber nicht.“
Um diesen Merkspruch am Ausgangsfall zu erklären: Handelte es sich
bei dem „Zusatz“ um eine Auflage, so hätte dies zur Folge, dass G von
der Gaststättenerlaubnis sofort Gebrauch machen könnte, da die Auflage (zusätzliche Lärmschutzvorrichtungen) die Wirksamkeit des Hauptverwaltungsakts (Gaststättenerlaubnis) nicht suspendiert (aussetzt).
Kommt G in der Folgezeit der Auflage nicht nach, so kann diese von
der Erlassbehörde zwangsweise durchgesetzt (vollstreckt) werden (z.B.
durch Festsetzungen eines Zwangsgelds oder durch Ersatzvornahme).
Würde es sich demgegenüber bei dem „Zusatz“ um eine Bedingung
handeln, so würde diese, da aufschiebender Natur, die Wirksamkeit des
Hauptverwaltungsakts (Gaststättenerlaubnis) suspendieren mit der Folge, dass G von der Erlaubnis solange keinen Gebrauch machen könnte, bis er dem „Zusatz“ nachgekommen wäre. Eines Verwaltungszwangs bedarf es in diesem Fall nicht; ob G die Gaststättenerlaubnis
ausnutzen darf oder nicht, hängt allein von seinem autonomen Verhalten ab.
Für welches Instrument (Bedingung oder Auflage) sich die Behörde im
Einzelfall entscheidet, ist vom „verobjektivierten Empfängerhorizont“
des Adressaten aus zu bestimmten. Die Behörde hat sich im Zweifel für
die dem Bürger günstigere Lösung entschieden. Dies ist regelmäßig
das Handeln durch Auflage, da sich diese aus Sicht des Bürgers als
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- Allgemeiner Teil
54
das schonender (verhältnismäßigere) Mittel zur Erreichung eines bestimmten Verwaltungszwecks (Lärmschutz) darstellt.
e. Auflagenvorbehalt
Vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG
Abwandlung des Ausgangsfalls: Von der Gaststätte des G gehen im
Genehmigungszeitpunkt keine Lärmbelästigungen aus. Allerdings ist
bereits jetzt damit zu rechnen, dass es aufgrund einer „heranrückender
Wohnbebauung“ in Zukunft zu Nutzungskonflikten zwischen der Gaststätte und der Wohnnutzung kommen wird. In einem solchen Fall erteilt
die Genehmigungsbehörde die Gaststättenerlaubnis unter Auflagenvorbehalt. Im Falle eines tatsächlich entstehenden Nutzungskonflikts könnte dem G sodann eine entsprechende Auflage (zusätzliche Lärmschutzvorkehrung) nachträglich erteilt werden (tatsächlich ist diese
Konstellation allerdings spezialgesetzlich in § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG geregelt; dennoch dürfte Ihnen der Fall Sinn und Zweck eines Auflagenvorbehalts plastisch vor Augen geführt haben).
Abgrenzung von der aufschiebenden Bedingung zur
Auflage
Unterschied:
Die Bedingung suspendiert, zwingt aber nicht
die Auflage zwingt, suspendiert aber nicht.
Das meint folgendes:
(1. Bedingung : Unter der Bedingung, dass dieses und jenes erfolgt, darf
der Bauherr sein Bauvorhaben beginnen – er muss nicht bauen – die
Entscheidung liegt bei ihm, aber wenn er die Bedingungen nicht erfüllt,
darf er nicht bauen;
(2. Auflage : Die Auflage zwingt zu einem bestimmten Handeln, wird es
nicht eingehalten, dann ist man nicht mehr im rechtmäßigen Bereich)
-
-
Es kommt für die Abgrenzung auf den Willen der Behörde an.
Dieser ist aus den jeweiligen Umständen zu ermitteln, soweit er nicht eindeutig erkennbar ist.
Die Bezeichnung durch Behörde ist nicht entscheidend, sie ist vielmehr lediglich ein Indiz.
Kriterien:
o Wichtigkeitskriterium:
War die Nebenbestimmung für die Behörde so wichtig, dass
sie die Wirksamkeit des VAs davon abhängig machen wollte?
Dann Bedingung
Bsp.:
• Nebenbestimmung für Gaststättenerlaubnis mit der
Nebenbestimmung, für die Gäste mindestens eine
Toilette zu bauen Bedingung
• wie vor, jedoch sollen zu schon vorhandenen zehn
eine weitere Toilette hinzugefügt werden Auflage
o Zulässigkeitskriterium:
wenn eine Bedingung unzulässig wäre, ist von einer Auflage
auszugehen (und umgekehrt)
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55
denn es ist davon auszugehen, dass die Behörde rechtmäßig
handeln will
Belastungsintensität: bei Zweifeln ist von Auflage auszugehen, da
diese den Bürger am wenigsten belastet
o
o
Abgrenzungen
-
bei diesen Fällen liegen keine echten Nebenbestimmungen vor
Folge ist dann, dass keine isolierte Anfechtung gegen die Nebenbestimmung
möglich ist, sondern eine Verpflichtungsklage gegen den gesamten Verwaltungsakt erforderlich ist.
bloße Inhaltsbestimmung
o
o
o
dadurch wird nur die Reichweite des Haupt- VA bestimmt
Bsp.: Baugenehmigung enthält genaue Angaben über die überbaubare Grundstücksfläche
Folge: keine isolierte Anfechtungsklage, denn VA könnte ohne Inhaltsbestimmung nicht aufrechterhalten werden, weil er zu unbestimmt wäre
Teilgenehmigung
o
o
o
dabei bleibt das von der Behörde Gewährte hinter dem Beantragten
zurück (Antragsteller enthält nur ein Minus, das aber vom Antrag mit
umfasst ist)
Bsp.: Es wird eine Baugenehmigung für ein 10- stockiges Haus beantragt, es wird aber nur ein 3- stockiges Haus gewährt
Folge: keine Nebenbestimmung, denn es liegt nur eine Regelung vor
Modifizierende Genehmigung
o
o
o
ist eine Genehmigung, aber mit Einschränkungen von essentieller
Bedeutung für die Genehmigung
Folge: Behörde gewährt im Ergebnis etwas anderes – ein sogenanntes Aliud - als beantragt war
das Gewährte wird auch durch Auslegung nicht vom ursprünglich beantragten gedeckt
3. Zulässigkeit von Nebenbestimmungen
Ob und inwieweit es zulässig ist, einen Hauptverwaltungsakt mit einer
Nebenbestimmung zu versehen, entscheidet sich nach § 36 VwVfG.
Dieser unterscheidet zwischen:
a. Gebundene Verwaltungsakte
Vgl. § 36 Abs. 1 VwVfG
Das Gesetz beschreibt den gebundenen Verwaltungsakt als einen solchen, „auf den ein Anspruch besteht“. Nebenbestimmungen zu solchen
gebundenen Verwaltungsakten sind nur in den durch Rechtsvorschrift
zugelassenen Fällen (z.B. § 12 BImSchG; § 33a Abs. 1 Satz 3 GewO)
oder zur Herbeiführung rechtmäßiger Zustände zulässig.
b. Ermessensverwaltungsakte
Vgl. § 36 Abs. 2 VwVfG.
Anders verhält es sich bei Ermessensverwaltungsakten. Dort ist die Erteilung von Nebenbestimmungen grundsätzlich zulässig. Wenn schon
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56
die Erteilung des Hauptverwaltungsakts im Ermessen der Behörde
steht, dann muss es der Behörde erst recht gestattet sein, die Hauptregelung durch Nebenbestimmungen näher zu begrenzen.
c. Koppelungsverbot
Vgl. § 36 Abs. 3 VwVfG
Beispiel: Die Baugenehmigungsbehörde erteilt dem Bauherrn einen
Dispens von den Festsetzungen des Bebauungsplans (z.B. gestattet
sie ihm ausnahmsweise eine zweigeschossige Bebauung, obwohl der
Bebauungsplan für das in Rede stehende Grundstück nur eine eingeschossige Bebauung vorsieht). Ein solcher Dispens steht gem. § 31
Baugesetzbuch im Ermessen der Behörde. Zugleich knüpft sie diesen
Dispens (= Hauptverwaltungsakt) an die „Auflage“, dass der Bauherr
eine Spende in Höhe von 5000,- € an die freiwillige Feuerwehr der Gemeinde X abzuführen habe. Da diese Spende in keinem inneren Zusammenhang zu der Dispens-Erteilung steht, ist sie gem. § 36 Abs. 3
VwVfG unzulässig.
4. Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen
Der Adressat eines begünstigenden Verwaltungsakts (Hauptverwaltungsakt), der mit einer Nebenbestimmung versehen wurde, hat regelmäßig ein Interesse daran, dass im Widerspruchsverfahren oder im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur die belastende Nebenbestimmung kassiert wird. Die Begünstigung möchte er hingegen behalten. Im
Ausgangsfall wird Gustav Gastlich deshalb Rechtsschutz nur dahingehend begehren, dass die ihn belastende Auflage, weitere Lärmschutzvorrichtungen zu installieren, wieder aufgehoben wird. Grundsätzlich ist eine solche isolierte Anfechtung bzw. Teilanfechtung einer
Nebenbestimmung zulässig. Ihre Aufhebung darf nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allerdings nicht dazu führen,
dass der Hauptverwaltungsakt rechtswidrig wird (etwa, weil durch die
Beseitigung der Nebenbestimmung die Genehmigungsfähigkeit des
gesamten Vorhabens entfällt). Setzt sich der Adressat eines Verwaltungsakts, der mit einer Nebenbestimmung verbunden wurde, gegen
diese nicht zur Wehr, dann erwächst die Nebenbestimmung, ebenso
wie der Hauptverwaltungsakt, in Bestandskraft, auch wenn sie rechtswidrig sein sollte.
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57
Vorgehen in Klausur bei Anfechtung von Nebenbestimmungen
-
-
Prüfung der Zulässigkeit: welche ist die statthafte Klageart?
o Schritt 1: Problem aufwerfen, dass gegen VA mit Zusätzen sowohl
Anfechtungs- als auch Verpflichtungsklage in Frage kommt
o Schritt 2: Prüfen, ob eine echte Nebenbestimmung vorliegt ?
o Schritt 3: Rechtliche Einordnung
Eingehen auf Problem der statthaften Klageart (siehe oben)
dann der herrschenden Meinung folgen, nach der grundsätzlich Anfechtungsklage statthaft ist
scheidet eine isolierte Aufhebung offenkundig von vornherein
aus? dann Ausnahme
Problem der Begründetheit: ist die Nebenbestimmung vom Haupt- VA teilbar?
Obersatz: Die isolierte Anfechtungsklage gegen die Nebenbestimmung ist
begründet, wenn die Nebenbestimmung rechtswidrig ist, den Kläger in seinen
Rechten verletzt (§ 113 I 1 VwGO) und der Haupt- VA von der NB materiellrechtlich teilbar ist.
VA ist nicht teilbar, wenn untrennbarer innerer Zusammenhang
Eine Teilbarkeit ist anzunehmen, wenn der Rest- VA ohne die
NB sinnvoller- und rechtmäßiger weise bestehen bleiben
kann
Besonderheiten beim Ermessens- VA
o wenn nicht teilbar: Anfechtungsklage unbegründet, auch wenn Zusatz rechtswidrig
aber Umdeutung der Klage in eine Verpflichtungsklage
Tipp: Im Rahmen der Zulässigkeit sowohl die Voraussetzungen
für eine Anfechtungs- als auch für eine Verpflichtungsklage prüfen. Denn es stellt sich erst innerhalb der Begründetheitsprüfung
heraus, ob der VA von der NB teilbar ist und somit, ob eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage statthaft ist. Sonst müsste
man eventuell nach Klageänderung noch einmal die Zulässigkeit
prüfen!!
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58
IX. Wirksamkeit des Verwaltungsaktes
1. Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 41 VwVfG)
-
Bedeutung der Bekanntgabe : Erst wenn der Verwaltungsakt
bekannt gegeben wurde, erlangt er rechtliche Existenz
-
Wirksamkeit: Bekanntgabe bewirkt die Wirksamkeit (§ 43 I 1
VwVfG) – ist ein VA also noch nicht bekannt gegeben, ist er
auch noch nicht wirksam.
-
wenn VA die Rechte mehrerer Personen berührt:
o VA ist allen Betroffenen bekannt zugeben (§ 41 I 1
VwVfG)
o Wirksamkeit tritt für den Einzelnen erst dann, wenn der
VA ihm bekannt gegeben wurde (§ 43 I 1 VwVfG)
o Folge: VA kann für einzelne Betroffene zu unterschiedlichen Zeitpunkten wirksam werden oder auch nur für einen
Teil
Voraussetzungen der Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes
o Die Bekanntgabe muss amtlich durch die zuständige
Behörde veranlasst worden ein
o Bekanntgabe muss an den Betroffenen selbst erfolgen
o muss in der vorgeschriebenen Form erfolgen
-
notwendig ist stets der Bekanntgabewillen der Behörde
reine Auskunft ist noch keine Bekantgabe
§ 41 III VwVfG: Sonderfall der öffentlichen Bekanntgabe
Drei- Tages- Fiktion des § 41 II VwVfG
„Die Behörde B lehnt den Antrag des A auf Erlass einer Baugenehmigung mit Schreiben vom 04.04.2002 (Donnerstag) ab. Dieses Schreiben geht dem A am 05.04.2002 zu. Er legt am 08.05.2002 (Mittwoch)
Widerspruch ein. Ist der Widerspruch noch rechtzeitig?“
-
Fraglich ist hierbei, wann die Bekanntgabe i.S.d. § 70 VwGO erfolgt ist.
Der A hat den Brief bereits am 05.04.2002 erhalten. Wenn das schon
die Bekanntgabe i.S.d. § 70 VwGO wäre, dann wäre die Frist am
06.04.2002 um 0.00 Uhr los- (Ereignistag = Tag der Zustellung wird
nicht mitgerechnet) und am 05.05.2002 24.00 Uhr (der letzte Tag der
Frist muss in seiner Benennung dem Ereignistag also dem Zustellungstag entsprechen) abgelaufen. Der Widerspruch wäre daher verfristet.
StOVR Christina Mayer
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- Allgemeiner Teil
59
Jedoch ist auch § 41 II VwVfG abzustellen, da der Brief nicht förmlich
zugestellt wurde. Danach gilt der VA mit dem dritten Tag nach Aufgabe
zur Post als bekannt gegeben. (Es sei denn er wurde später oder gar
nicht zugestellt.)
o Hier muss vom 04.04.2002 als Aufgabedatum ausgegangen
werden, da der Brief vom selben Tag stammt und dem A bereits am nächsten Tag zuging.
o Folglich gilt der VA als am 07.04.2002 (Sonntag) als bekannt
gegeben, so dass die Widerspruchsfrist am 08.04.2002 0.00
Uhr zu laufen beginnt (§ 187 I BGB).
Problematisch ist dabei, dass das Ende der Drei- Tages- Fiktion auf einen Sonntag fällt.
Dabei könnte nach dem Rechtsgedanken der § 193
BGB, § 31 III VwVfG eine Verschiebung auf den folgenden Montag stattfinden.
Aber diese Vorschriften gelten nur für eine Frist und dort
auch nur für das Ende der Frist und nicht für den Beginn
und nicht auch für eine Fiktion (wie § 41 II VwVfG).
Damit endete die Widerspruchsfrist gem. § 188 II BGB am 07.05.2002 24.00
Uhr. Der am 08.05.2002 eingelegte Widerspruch ist verfristet; eine Möglichkeit
der Fristverlängerung nach §§ 31 III VwVfG bzw. 193 BGB ist nicht möglich,
weil es das Fristende nicht auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen
Feiertag fällt.
-
Bekanntgabe
Grundsatz:
individuell (§ 41 I VwVfG)
Normalfall: formlos
(§ 41 I VwVfG)
Ausnahme:
öffentlich (§ 41 III VwVfG)
Ausnahme: förmlich mittels
Zustellung ( § 41 V VwVfG)
durch Post
(§§ 3, 4 VwZG)
durch Behörde
(§§ 5, 6 VwZG)
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60
X. Die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtwidrigkeit des Verwaltungsaktes
Bei Klausuren muss in der Regel die Rechtmäßigkeit bzw. die
Rechtswidrigkeit von Verwaltungsakten geprüft werden (wie man diese
Prüfung in die Struktur der Klausurlösung einbaut, wird später nach erklärt). Zu dieser Prüfung ist das nachfolgende Schema heranzuziehen.
Bitte beachten Sie aber, dass dieses Schema immer auf Ihren Spezialfall angepasst werden muss, d.h. dass nicht alle Punkte immer in jeder
Klausur auch zu prüfen sind. Manches sprechen Sie nur dann an,
wenn in der Aufgabe Anhaltspunkte hierfür gegeben sind. Dies werden
wird jedoch alles noch genau besprochen werden – Sie sollten dies
aber bereits jetzt bedenken!
Prüfungsschema - Rechtsmäßigkeitsvoraussetzungen des VA
I. Rechtsgrundlage
II. formelle Rechtmäßigkeit
1.Zuständigkeit
2.Verfahren
3.Form
III. materielle Rechtmäßigkeit
Tatbestand der Rechtsgrundlage
Rechtsfolge: gebundene Entscheidung oder Ermessen
Zu I. Rechtsgrundlage des VA
o
o
o
o
Erfordernis einer Rechtsgrundlage (Inhalt Vorbehalt des Gesetzes) Rechtsgrundlage muss auf einem formellem Gesetz beruhen
Die Auswahl der Rechtsgrundlage erfolgt nach dem Spezialitätsgrundsatz, d.h. das Spezialgesetz geht dem allgemeinen Rechtssatz vor wenn mehrere Grundlagen vorliegen, das speziellere heranziehen
VA- Befugnis (Handlungsform – durfte die Verwaltung hier mit einem
Verwaltungsakt handeln?)
Wirksamkeit der Rechtsgrundlage (Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht)
Zu II. Formelle Rechtmäßigkeit
Zuständigkeit
örtliche Zuständigkeit:
• § 3 VwVfG, falls keine spezielleren Regelungen der
örtlichen Zuständigkeit vorhanden
sachliche Zuständigkeit:
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Skript zum Verwaltungsrecht
•
•
•
- Allgemeiner Teil
61
welcher Verwaltungsträger ist zuständig? Bund, Länder Gemeinden\
welches Organ des Verwaltungsträgers zuständig ?
Gemeinderat oder Bürgermeister
Regelungen dazu finden Sie in aller Regel in den
Spezialgesetzen (z.B. Landesbauordnung, Denkmalschutzgesetz, Polizei- und Ordnungsbehördengesetz
etc.)
Verfahren
Anhörung (§ 28 VwVfG)
Bürger muss vorher angehört werden
Bürger soll Subjekt und nicht Objekt sein
• Grundsatz (§ 28 I VwVfG): erforderlich bei belastendem VA
• Ausnahme: Entbehrlichkeit (§ 28 II, III VwVfG)
ggf.: Mitwirkung ausgeschlossener Personen (§§ 20, 21
VwVfG)
ggf.: ordnungsgemäße Beschlussfassung eines Kollegialorgans (Bsp.: Gemeinderat)
ggf.: Mitwirkung zu beteiligender weiterer Behörden (mehrstufiger VA)
Form
Form im engeren Sinne (§ 37 II – IV VwVfG)
• Grundsatz der Formfreiheit (§ 37 II 1 VwVfG)
• ggf.: speziellere Formvorschriften
Begründung (§ 39 VwVfG) – hier ist aber nicht der Inhalt
der Begründung gemeint, sondern die Frage, ob eine solche überhaupt vorliegt!
Zu III. Materielle Rechtmäßigkeit
- Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlage
- Rechtsfolge: gebundene Entscheidung oder Ermessen
gebundene Entscheidung: die Verwaltung muss handeln
Ermessensentscheidung: Es besteht ein Ermessen der
Verwaltung - Einschränkung der gerichtlichen Prüfungskompetenz auf Ermessensfehler (§§ 40 VwVfG, 114 VwGO)
- weitere (allgemeine) Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
Bestimmtheit des VA (§ 37 I VwVfG)
• in Bezug auf: Behörde, Adressat, Regelungsinhalt
tatsächliche und rechtliche Möglichkeit
Unmöglichkeit:
• tatsächliche:
o objektive Gründe (§ 44 II Nr. 4 VwVfG)
o subjektive Gründe: idR nur Rechtswidrigkeit
• rechtliche:
o VA verlangt Begehung einer Straftat oder
Ordnungswidrigkeit (§ 44 II Nr. 5 VwVfG)
o VA nicht durchsetzbar oder vollstreckbar
- Die weiteren besonderen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
richten sich nach der jeweiligen Spezialvorschrift!
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62
3. Die Verwaltungsaktbefugnis
-
-
-
betrifft die Frage, ob die Behörde ermächtigt ist, gerade auch durch VA zu
handeln
Ausgangspunkt ist Art. 20 III GG: Das Prinzip des Vorbehalt des Gesetzes
verlangt für belastende Eingriffe in Freiheit und Eigentum des Bürgers eine
gesetzliche Grundlage
Grundsatz: Gesetzliche Regelungen, in denen öffentlich- rechtliche Pflichten
und Rechte des Bürgers begründet werden, enthalten zugleich – zumindest
implizit – die behördliche Ermächtigung, zur Durchsetzung bzw. Feststellung
dieser Pflichten und Rechte das Instrument des VA einzusetzen
Wichtig nur für folgende Fallgruppen:
o Ansprüche aus öffentlich- rechtlichem Vertrag und anderen
Gleichordnungsverhältnissen: dürfen grundsätzlich nicht mit VA
geltend gemacht werden
nur Klage vor dem Verwaltungsgericht möglich: i.d.R. allgemeine Leistungsklage
Ausnahme: Es besteht eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung, durch VA vorzugehen
o bei privatrechtlichen (Erstattungs-) Ansprüchen
o Subventionen:
Der Erlass eines Leistungsbescheids ist auch ohne gesetzliche VA- Befugnis gewohnheitsrechtlich zulässig in folgenden
Konstellationen:
• durch VA gewährte Leistungen können ohne spezielle Ermächtigung auch durch VA zurückgefordert werden, wenn sie zu Unrecht erbracht worden sind
• im Rahmen eines Über- und Unterordnungsverhältnisses (Bsp.: Beamtenverhältnis)
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63
Das Verwaltungs- und das verwaltungsgerichtliche Verfahren im
Überblick
Verwaltungsverfahren
- Rechtsgrundlage
VwVfG
- Ziel :
VA oder ÖR
Vertrag
Rechtsmittel
Widerspruchsverfahren
- Rechtsgrundlage :
VwGO, AGVwGO
- Ziel :
Widerspruchsbescheid
Widerspruch
gegen VA –
Frist : § 70
VwGO
Verwaltungsgerichtliches Verfahren
- Rechtsgrundlage :
VwGO
Urteil
- Ziel : Urteil
Klage gegen den
Bescheid – Frist
zur Klage § 74
VwGO
Die rechte Spalte der gerichtlichen Überprüfung darf man sich nicht als eine Einheit vorstellen.
Hier gibt es drei Instanzen: Das Verwaltungsgericht (für Kaiserslautern ist das zuständige
Verwaltungsgericht in Neustadt) , das Oberverwaltungsgericht (Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz) und das Bundesverwaltungsgericht (das höchste Verwaltungsgericht
mit Sitz in Erfurt, vorher Berlin).
Man unterteilt hier auch nach dem ersten, dem zweiten und dem dritten Rechtszug :
Erster Rechtszug Verwaltungsgericht :
Klagefrist § 74
VwGO
Zweiter
Rechtszug =
Berufung
Oberverwaltungsgericht :
Klagefrist §
124a VwGO
Dritter
Rechtszug =
Revision
Bundesverwaltungsgericht . Klagefrist § 139
VwGO
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64
XI. Das Widerspruchsverfahren
Gegen einen Verwaltungsakt kann sich der betroffene Bürger (aber natürlich auch eine betroffene Behörde) mit dem Rechtsbehelf des Widerspruchs wehren. Dies ist kein Rechtsmittel, denn ein Rechtsmittel ist
nur gegen gerichtliche Entscheidungen möglich. Erhebt man einen Widerspruch oder legt man den Widerspruch ein (dies ist lediglich ein
sprachlicher Unterschied, nicht aber einer, der sich in der Bedeutung
niederschlagen würde), dann wird das Widerspruchs- oder Vorverfahren durchgeführt. Dies ist eine besondere Form des Verwaltungsverfahrens, es gibt hierfür ein spezielles Gesetz in Rheinland-Pfalz,
nämlich das Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung (abgekürzt AGVwGO). Dieses Spezialgesetz muss in jedem Fall zuerst
heran gezogen werden, bevor man auf allgemeinere Gesetze – wie das
Verwaltungsverfahrensgesetz – zurückgreift.
1. Die Bedeutung des Vorverfahrens - Die Doppel- bzw. Dreifachnatur des Widerspruchsverfahrens
a. Verwaltungsgerichtliches Vorverfahren
Vor der Erhebung verwaltungsgerichtlicher Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen (§ 42 VwGO) hat grundsätzlich ein sog. »Vorverfahren«
(Widerspruchsverfahren) stattzufinden. Das Gesetz – die Verwaltungsgerichtsordnung – schreibt dies verpflichtend vor. Es gibt nur sehr wenige, im Gesetz geregelte Ausnahmen (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Im Rahmen dieses Verfahrens sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines erlassenen Verwaltungsakts (bei der Anfechtungsklage) oder
der Ablehnung eines Verwaltungsakts (bei der Verpflichtungsklage) zu
überprüfen (§ 68 VwGO i.V.m. § 6 AGVwGO).
Eine verwaltungsgerichtliche Klage auf Aufhebung oder auf Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts kann der Bürger also zulässigerweise
nur dann erheben, wenn er vorher ohne Erfolg das Widerspruchsverfahren durchgeführt hat; andernfalls wird seine Klage bereits als unzulässig vom Gericht abgewiesen; eine formelle Voraussetzungen fehlt –
das Gericht prüft die Sache selbst überhaupt nicht. Seinem Wesen
nach ist das Widerspruchsverfahren ein »verwaltungsgerichtliches
Vorverfahren«.
Beispiel:
Ein Bürger möchte die Aufhebung eines gegen ihn gerichteten Erschließungsbeitragsbescheids gemäß dem er 10.000,- € zahlen soll,
erstreiten; eine verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage auf Aufhebung des Bescheids ist erst zulässig, wenn er vorher ohne Erfolg den
Rechtsbehelf des Widerspruchs gegen den Bescheid eingelegt hat.
StOVR Christina Mayer
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65
b. Verwaltungsbehördliches Rechtsbehelfsverfahren
Das
Widerspruchsverfahren
einschließlich
seiner
verfahrensbeendigenden Entscheidungen liegt ausschließlich in der Hand
von Verwaltungsbehörden (vgl. §§ 72, 73 VwGO); im Widerspruchsverfahren findet somit auf das Rechtsschutzbegehren des Bürgers hin eine
Selbstkontrolle der Verwaltung statt. Das Widerspruchsverfahren ist
demgemäss von seinem Wesen her auch ein »verwaltungsbehördliches Rechtsbehelfsverfahren«.
Beispiel:
Die Gemeinde prüft nach dem Eingang des Widerspruchs den Bescheid nochmals und muss feststellen, dass es sich um einen klassischen „Montagsbescheid“ handelt. Sie hebt im Rahmen einer Abhilfeentscheidung (§ 72 VwGO) ihren eigenen (z.B. Sondernutzungsgebühren) Bescheid auf.
c. Filterfunktion für die Verwaltungsgerichte
Schließlich hat das Widerspruchsverfahren auch noch eine Art von Filterfunktion für die Verwaltungsgerichte; nicht jedes Begehren des Bürgers soll die Verwaltungsgerichte beschäftigen. Allein wenn man die
Vielzahl der Baugenehmigungen bedenkt und dann davon ausgeht,
dass auch nur ein Teil davon als Klage direkt zum Verwaltungsgericht
gehen würde, dann bekäme man möglicherweise wegen einer Baugenehmigung einer Garage einen Gerichtstermin erst viele Jahre später.
2. Ablauf des Verfahrens
Bei den folgenden Darstellungen wird – soweit es sich um die rein praktische Durchführung des Verfahrens handelt - immer nur auf die Vorgehensweise bei der Stadtverwaltung Kaiserslautern bzw. bei Stadtrechtsausschuss Kaiserslautern eingegangen.
StOVR Christina Mayer
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66
a. Verfahrensbeginn
Das Verfahren beginnt mit der Einlegung des Widerspruchs durch den
Widerspruchsführer gegen einen Bescheid der Stadt Kaiserslautern.
Teil dieses Bescheides, den der Bürger erhält ist korrekterweise auch
eine Rechtsbehelfsbelehrung, die ihn über die Möglichkeit dieses Verfahrens informiert und ihn davon in Kenntnis setzt, was erforderlich ist,
um diesen Bescheid überprüfen zu lassen. Welche Folgen eine nicht
erfolgte oder unkorrekt erfolgte Rechtsbehelfbelehrung haben, wird
später noch vertieft werden.
b. Die ordnungsgemäße Widerspruchserhebung
Gemäß § 70 Abs. 1 VwGO muss der Widerspruch schriftlich oder zur
Niederschrift bei der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat
(Ausgangsbehörde) oder bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat (Widerspruchsbehörde) eingelegt werden. Dem
Widerspruchsführer kommt insoweit ein Wahlrecht zu. Der übliche Weg
ist die Widerspruchseinlegung bei der Ausgangsbehörde.
Da die VwGO vom Leitbild des in aller Regel rechts- und verwaltungsunkundigen Normalbürgers ausgeht, sind die formellen und inhaltlichen
Voraussetzungen an eine ordnungsgemäße Widerspruchserhebung
nicht allzu hoch anzusetzen.
Die Behörde - entweder der Stadtrechtsausschuss oder die Ausgangsbehörde - bekommt durch ein Schreiben des Bürgers = dem Widerspruchsführer oder aber dessen Vorsprache bei der Geschäftsstelle
des Rechtsausschusses Kenntnis davon, dass dieser mit der Entscheidung (dem ihm zugestellten Verwaltungsakt) nicht einverstanden ist. Je
nachdem, wo der Bürger sich mit seinem Anliegen hingewendet hat,
verläuft jetzt das Verfahren weiter:
aa. Ausgangsbehörde
Wenn sich der Bürger = der Widerspruchsführer an die Ausgangsbehörde, also die Behörde, die den von ihm angefochtenen Bescheid erlassen hat, wendet, erhält diese mit dem Widerspruch die Möglichkeit
durch eine nochmalige Überprüfung ihrer Entscheidung ein verwaltungsbehördliches Rechtsbehelfsverfahren durchzuführen.
Stellt man hierbei fest, dass tatsächlich ein Fehler bei der Entscheidung
gemacht wurde, wird dem Widerspruch abgeholfen.
Zum Abhilfeverfahren der Ausgangsbehörde werden später noch Ausführungen gemacht.
Bleibt die Ausgangsbehörde aber auch nach ihrer Überprüfung noch bei
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67
ihrer Entscheidung, legt sie den Bescheid zusammen mit der Sachakte
(zur vollumfänglichen Prüfung muss in aller Regel mehr als nur der Bescheid geprüft werden) dem Rechtsausschuss zur Prüfung vor.
Auch in diesem Fall der Vorlage des Bescheides an den Rechtsausschuss zur Prüfung sollte die Ausgangsbehörde dem Bürger schriftlich
darüber informieren, dass dem Widerspruch nicht abgeholfen werden
konnte und dieser deshalb dem Rechtsausschuss zur Entscheidung
vorgelegt wird. Sicher könnte man hier argumentieren, dass das der
Bürger ja schon selbst merken wird, da ja aufgrund seines Widerspruchs der Bescheid nicht geändert wird. Dies sollte jedoch im Rahmen der angestrebten Bürgerfreundlichkeit kein Argument sein. Ein sogenanntes Abgabeschreiben an den Bürger kann auch gleichzeitig als
Schreiben an den Rechtsausschuss verwendet werden, mit welchem
dieser in Kenntnis gesetzt wird, um welches Anliegen es vorliegend
geht, was der Bürger wünscht und warum die Behörde diesem Wunsch
nicht nachkommen konnte. Es besteht keinerlei gesetzliche Verpflichtung ein solches Schreiben an den Bürger und/oder den Rechtsausschuss zu erstellen. Da es aber der Klarstellung und Verfahrensverdeutlichung dient und nicht zu einer erheblichen Mehrbelastung führt,
sollte es auf jeden Fall angefertigt werden.
bb. Rechtsausschuss
Spricht der Widerspruchsführer bei der Geschäftsstelle des Rechtsausschusses vor oder erhält diese den schriftlichen Widerspruch, so wird
der Widerspruch zunächst mit einer Geschäftsnummer bzw. einem Aktenzeichen versehen, in die Statistik eingetragen und der Bürger erhält
ein Eingangsschreiben, mit welchem ihm mitgeteilt wird, dass sein Widerspruch unter diesem Aktenzeichen bearbeitet wird. Sodann wird eine Akte angelegt und der Widerspruch - das Widerspruchsschreiben wird der Ausgangsbehörde, die im Verfahren zur Widerspruchsgegnerin
wird, zur Stellungnahme vorgelegt. Die Ausgangsbehörde hat hier die
Möglichkeit, ihre Entscheidung zu überprüfen und sich zu den Argumenten des Widerspruchsführers zu äußern. Nach Eingang der Stellungnahme wird diese an den Bürger weitergeleitet, um diesem die
Möglichkeit der Erwiderung zu geben.
c. Die Voraussetzungen des § 70 VwGO
Zu den einzelnen Anforderungen an die Widerspruchseinlegung findet
sich lediglich im § 70 VwGO eine Regelung. Weitere Anforderungen als
die dort normierten werden nicht gestellt. Insbesondere ist eine Begründung eines Widerspruchs nicht erforderlich oder die ausdrückliche
Verwendung des Wortes „Widerspruch“. Die einzelnen Voraussetzungen werden im Folgenden dargestellt:
StOVR Christina Mayer
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68
aa. - Schriftlich
Schriftlich im Sinne von § 70 Abs. 1 VwGO meint den Normalfall, nämlich das Widerspruchsschreiben in der Form eines Briefes; aber auch
der dem Sachbearbeiter der Ausgangsbehörde (oder der Widerspruchsbehörde) persönlich übergebene, entsprechend beschriebene
Zettel genügt dem Erfordernis der Schriftlichkeit. Auch ein gefaxtes
Schreiben erfüllt die Anforderungen der Schriftlichkeit. Selbst das Fehlen der (Original-)Unterschrift auf dem Widerspruchsschreiben ist unschädlich, wenn sich aus den Umständen hinreichend sicher ergibt,
dass das Schreiben vom Widerspruchsführer stammt und mit dessen
Willen in den Verkehr gelangt ist. Fernschriftliche und telegrafische Widerspruchseinlegung sowie die Verwendung neuer Medien (Teletext,
Telefax, Email) sind unter den gleichen Voraussetzungen ausreichend.
Bei Einsatz von Telefax muss allerdings das in das Sendegerät eingeführte Schriftstück unterschrieben sein. Die Frage der Widerspruchseinlegung per Email ist noch nicht geklärt. Hier lässt sich auch trefflich
streiten, ob eine Email – also eine elektronische Nachricht – als „schriftlich“ im Sinne des Gesetzes angesehen werden kann. Siehe hierzu
auch die Neuerungen durch das Formvorschriftenanpassungsgesetz,
das zum 01.08.01 in Kraft getreten ist (Aufsatz hierzu in der NJW 2001,
S. 2831 ff)
bb. Zur Niederschrift
Zur Niederschrift erfolgt die durch ein behördliches Protokoll belegte
Widerspruchseinlegung. Dabei wird die Erklärung des Widerspruchsführers wörtlich niedergeschrieben, vorgelesen und von diesem durch
seine eigenhändige Unterschrift genehmigt. Die persönliche Anwesenheit des Widerspruchsführers ist erforderlich. Eine telefonische Widerspruchseinlegung „zur Niederschrift“ – also der Anruf des Widerspruchsführers, der den Sachbearbeiter bittet, seinen Widerspruch
schriftlich zu fixieren - ist nicht zulässig. Ebenso ist ein bloßer Aktenvermerk des Sachbearbeiters über eine mündliche Widerspruchseinlegung nicht ausreichend.
cc. Frist
Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe
des Bescheides, den man mit diesem Rechtsbehelf anfechten will, eingelegt werden. Die Einhaltung der Frist stellt häufig – insbesondere in
Klausuren – ein Problem dar. Die genaue Berechnung der Frist ist hierbei ebenso wichtig, wie die Frage der Bekanntgabe, die den Beginn der
Frist markiert. Was hier genau zu prüfen ist, wird später noch (unter
Punkt 4. e.) erörtert werden.
StOVR Christina Mayer
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69
dd. Bestimmte inhaltliche Anforderungen
Die VwGO und auch das AGVwGO stellen an die Widerspruchseinlegung keine inhaltlichen Anforderungen. Beide Gesetze verlangen nicht
ausdrücklich die Verwendung des Wortes „Widerspruch“; sprachlich
gleichbedeutende Wendungen (Einspruch, Beschwerde, Rechtsmittel
etc.) sind ausreichend. Eine Bezeichnung des Begehrens muss nicht
explizit erfolgen; es reicht eine Umschreibung. Es muss also lediglich
aus der abgegebenen Erklärung hinreichend erkennbar sein, dass der
Betroffene sich durch einen bestimmten Verwaltungsakt beschwert fühlt
und eine Nachprüfung und Abänderung der Entscheidung begehrt.
Ein bestimmter Widerspruchsantrag des Widerspruchsführers ist auch
nicht erforderlich. Der Widerspruchsführer muss also nicht wörtlich beantragen, dass er den Abschleppkostenbescheid der Stadt Titiwu vom
31.02.2000 insoweit aufgehoben haben will, als dieser einen Betrag von
20,- € übersteigt. Es reicht aus, dass aus seinem Schreiben erkennbar
wird, welcher Bescheid nicht mit seiner Rechtsauffassung übereinstimmt. Hier muss die Behörde – die Ausgangsbehörde und der
Rechtsausschuss – das Schreiben des Widerspruchsführers auslegen.
Spricht dieser vor und legt seinen Widerspruch zur Niederschrift ein,
dann kann man den Widerspruchsführer nach seinem Ziel fragen; man
kann den Rechtsbehelf dann also schon eingrenzen. Das darf natürlich
nicht so verstanden werden, dass man den Widerspruchsführer hier zu
etwas überreden könnte, was er eigentlich nicht möchte. Als Behörde
(Aufklärungspflicht – siehe oben bei den Grundsätzen des Verwaltungsverfahrens) gibt man dem Willen des Bürgers hier lediglich die
richtige juristische Form – ohne aber den Bürgerwillen zu beeinflussen.
Wird aber ein Widerspruch schriftlich eingelegt und es ist nicht ganz
klar, was der Bürger mit diesem Schreiben erreichen möchte, muss die
Behörde den Willen, der aus dem Schreiben erkennbar ist, auslegen.
Dabei ist genau zu prüfen, ob der Widerspruchsführer nicht – entweder
neben seinem Widerspruch oder anstelle des Widerspruchs – einen
formlosen Rechtsbehelf, der ja gegenüber dem Widerspruch ein Minus
darstellt, einlegen will. Der formlose Rechtsbehelf ist – wie der Name
schon sagt – nicht an bestimmt Formen gebunden und kann sich deshalb „in einem Schreiben verstecken“. Um also sicher zu sein, auch
wirklich das Begehren des Bürgers richtig deuten zu können, muss man
wissen, welche formlosen Rechtsbehelfe es gibt.
StOVR Christina Mayer
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70
XII. Exkurs: Welche formlosen Rechtsbehelfe gibt
es?
1. Allgemeines
Das Recht des Bürgers, sich mit formlosen Rechtsbehelfen an die Behörden zu wenden, ist Ausfluss des verfassungsrechtlich verankerten
Petitionsrechts (Art. 17 GG bzw. Art. 11 der Landesverfassung Rheinland-Pfalz: “ Jedermann hat das Recht, sich mit Eingaben an die Behörde oder an die Volksvertretung zu wenden.”). Mangels spezialgesetzlicher Verfahrensregelungen hat die höchstrichterliche Rechtsprechung allgemeine Verfahrensgrundsätze für die formlosen Rechtsbehelfe entwickelt.
Dementsprechend ist zur Einlegung eines formlosen Rechtsbehelfs
nicht nur derjenige befugt, der von dem gegenständlichen Verwaltungshandeln betroffen ist, sondern jeder Interessierte wie auch Gruppen
Interessierter gemeinschaftlich.
Beispiel:
Im Hohenecker “Burgenland” wird eine neue Autobahn gebaut. Gegen
den Straßenbau können z. B. auch ein Weilerbacher Bürger oder eine
Hamburger Bürgerinitiative formlose Rechtsbehelfe erheben. Es ist
nicht erforderlich, dass die Rechtsbehelfsführer (etwa als Grundstückseigentümer in der Straßentrasse) von dem Autobahnbau in ihren Rechten berührt wären.
Die formlosen Rechtsbehelfe sind weder an eine Form noch an eine
Frist gebunden. Sie können auch neben förmlichen Rechtsbehelfen
erhoben werden.
Das Petitionsrecht verleiht dem Rechtsbehelfsführer nicht nur ein Recht
darauf, dass die angegangene Behörde seinen Rechtsbehelf entgegennimmt die Behörde ist auch verpflichtet, den Rechtsbehelf sachlich
zu prüfen und dem Rechtsbehelfsführer in angemessener Frist schriftlich die Art der Erledigung des Rechtsbehelfs mitzuteilen (sog. Verbescheidung die allerdings keinen Bescheid im Sinne des Verwaltungsaktsbegriffs darstellt).
Einen Anspruch auf Begründung der Verbescheidung besitzt der
Rechtsbehelfsführer nicht. Der Grundsatz des bürgergerechten Verhaltens wird jedoch im Allgemeinen dazu führen, dass die Behörde ihre
Entscheidung auch begründet. Die sachliche Reaktion der Behörde auf
einen formlosen Rechtsbehelf steht im Übrigen in deren pflichtgemäßem Ermessen. Ein Anspruch des Rechtsbehelfsführers auf eine bestimmte Reaktion besteht nicht.
StOVR Christina Mayer
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71
Beispiel:
Im obigen Beispielsfall wird die zuständige Autobahndirektion den Bürgern schriftlich antworten und kann dabei zum Ausdruck bringen, dass
nach genauer Prüfung der vorgetragenen Argumente keine Veranlassung zu irgendwelchen straßenrechtlichen Maßnahmen gesehen wird.
Gröblich beleidigende oder herausfordernde Petitionen können ebenso
unerledigt bleiben wie wiederholte Petitionen der gleichen Person in
gleicher Sache und mit gleichem Inhalt nach erstmaliger ordnungsgemäßer Verbescheidung.
Kosten (Gebühren und Auslagen) werden für Entscheidung über formlose Rechtsbehelfe nicht erhoben.
2. Die Gegenvorstellung
Mit dem formlosen Rechtsbehelf der Gegenvorstellung wendet sich der
Rechtsbehelfsführer unmittelbar an die handelnde Verwaltungsstelle mit
der Bitte, sein Vorbringen zu prüfen und entsprechende Veranlassung
zu treffen bzw. beanstandete Maßnahmen zu ändern oder aufzuheben.
Beispiel:
Ein Bürger aus Kaiserslautern spricht beim Leiter der Straßenverkehrsabteilung der Stadt KL vor und verlangt, dass ein auf dem Kotten
(Stadtteil von Kaiserslautern) aufgestelltes - seiner Meinung nach unsinniges - Haltverbotsschild abgebaut wird. Der Mitarbeiter wird den
Sachverhalt prüfen und den Petenten vom Ergebnis der Prüfung (Abbau oder Belassen des Verkehrszeichens) in Kenntnis setzen.
3. Die (Fach)Aufsichtsbeschwerde
Die Aufsichtsbeschwerde richtet sich an die der zuständigen Behörde
übergeordnete Aufsichtsbehörde. Ziel der Aufsichtsbeschwerde ist ein
aufsichtliches Tätigwerden der Aufsichtsbehörde der handelnden Behörde wegen eines bestimmten Vorgangs. Der Bürger wendet sich also
an die Aufsichtsbehörde mit der Bitte, diese möge die zuständige Behörde anweisen, etwas Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen. Das
aufsichtliche Weisungsrecht der übergeordneten Behörde besteht allerdings nur im Interesse der Allgemeinheit und nicht im Privatinteresse
eines einzelnen. Der Petent besitzt somit keinen Anspruch darauf, dass
StOVR Christina Mayer
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72
die Aufsichtsbehörde auf seine Aufsichtsbeschwerde hin auch tatsächlich eine aufsichtliche Weisung erteilt (selbst wenn eine derartige Weisung vertretbar wäre).
4. Die Dienstaufsichtsbeschwerde
Während Gegenvorstellung und Aufsichtsbeschwerde ein sachliches
Ziel (ein bestimmtes Verwaltungshandeln verfolgen), bezweckt die
Dienstaufsichtsbeschwerde die Überprüfung des persönlichen Verhaltens eines Behördenbediensteten. Die Dienstaufsichtsbeschwerde
wendet sich daher an den jeweiligen Dienstvorgesetzten des beanstandeten Bediensteten. Sie zielt ab auf eine Anweisung an den Bediensteten, sich ordnungsgemäß zu verhalten oder auf eine disziplinarrechtliche (bei Beamten) bzw. dienstvertragliche (bei Arbeitern und Angestellten) Würdigung eines bestimmten Verhaltens.
Ein Rechtsanspruch des Bürgers auf dienstaufsichtliche Maßnahmen
des Dienstvorgesetzten besteht nicht; der Dienstvorgesetzte hat allerdings bei Dienstpflichtverletzungen von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen über die Frage des Einschreitens zu entscheiden.
StOVR Christina Mayer
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73
Beispiel:
Im obigen Beispielsfall (Verkehrsschild auf dem Kotten) hat der Beamte
den Bürger bei dessen Gegenvorstellung grundlos angebrüllt und aus
dem Dienstzimmer hinausgeworfen. Der Bürger wendet sich brieflich an
den Oberbürgermeister als den Dienstvorgesetzten des städtischen
Beamten und verlangt die Strafversetzung des Beamten zur Müllabfuhr.
Der Oberbürgermeister (bzw. in dessen Auftrag der Leiter des Rechtsamtes) wird den Sachverhalt unter Anhörung des Bediensteten ermitteln und ihm (zumal, wenn es sich um eine einmalige Angelegenheit
gehandelt hat) eine formlose Rüge erteilen. Dem Bürger wird mitgeteilt,
dass künftig eine ordnungsgemäße Entgegennahme seines Vorbringens sichergestellt ist. Auf die Versetzung des Beamten hat der Bürger
keinen Anspruch.
5. Bürgerbeauftragter
In Rheinland-Pfalz wurde um den Bürgern im Umgang mit Behörden
eine Anlaufstelle für ihre Sorgen zu geben der Bürgerbeauftragte eingerichtet. Es gibt ein Bürgerbeauftragtengesetz, dessen Lektüre sehr interessant ist. Hier ist genau geregelt, welche Kompetenzen der Bürgerbeauftragte hat, wie das Verfahren abzulaufen hat und welche Rolle der
Petitionsausschuss spielt. – LESEN !! -
Anhand dieser kurzen Darstellung ist erkennbar, welche formlosen
Rechtsbehelfe ein Bürger einlegen kann und wie die Behörde hierauf zu
reagieren hat.
StOVR Christina Mayer
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74
Zurück zum Widerspruchsverfahren :
Geht also ein Widerspruch bei der Ausgangsbehörde ein, der durchaus
auch - oder ggf. nur die Anforderungen eines dieser drei formlosen
Rechtsbehelfe erfüllt, dann muss der Bearbeiter hierauf reagieren- die
Dienst bzw. Fachaufsichtsbeschwerde muss er weiterleiten (natürlich
unter Information des Amtsleiters). Eine Eingabe = Petition kann er
selbst beantworten.
Ist man sich nicht sicher, was genau der Bürger mit seinem Schreiben
bezweckt, sollte man beim Bürger nachfragen oder - besser - im Zweifel
das Schreiben auslegen, dass mehrere Rechtsbehelfe vorliegen. Das
hat zwei ganz entscheidende Vorteile:
Durch eine Nachfrage beim Bürger tritt eine Zeitverzögerung ein, die
bei einem Widerspruch z.B., der an Fristen gebunden ist, zu einer Unzulässigkeit des Widerspruchs führen kann; denn es gilt nur das, was
der Bürger vor Fristablauf ausgedrückt hat. Zweifel sollten hier also
nicht zu Diskussionen über Fristversäumnis führen.
Ist also zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, ob er Widerspruch einlegen will oder nicht und man fragt nach, tritt ggf. durch die Nachfrage die
Fristversäumnis ein. Dies sollte vermieden werden.
Der zweite Vorteil ist eine gewisse Arbeitserleichterung. Will ein Bürger
nicht nur einen Widerspruch, sondern auch noch eine Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen, dann wird er dies auf jeden Fall tun. Eine Zeitverzögerung ist hier nicht hilfreich, weil dies meist den Ärger des Bürgers nur noch erhöht. Man erleichtert sich also Arbeit, wenn man das
Schreiben, das - bei ein wenig Auslegung - als eine Koppelung von
zwei Rechtsbehelfen gesehen werden kann, fotokopiert und ein Schreiben als Widerspruch bearbeitet und eines als Dienstaufsichtsbeschwerde.
Im Zweifel sollte man lieber einen Rechtsbehelf zuviel als einen zuwenig annehmen.
Beispiel aus einem Schreiben eines Bürgers:
Ausreichend ist z.B. folgende Formulierung einer Widerspruchseinlegung: "Hiermit fühle ich mich mit allen mir zustehenden Rechtsmitteln,
unbeschadet der Benennung dieser form- und fristgerecht beschwert.“
Wird jetzt hier noch ergänzt:” Außerdem war die Beamtin Mayer geradezu unverschämt, was Wortwahl und Ton anging. Ich verlange Konsequenzen gegen diese Person”, sollte man hierin – neben dem Widerspruch gegen einen Bescheid auch noch - eine Dienstaufsichtsbeschwerde erkennen und diese weiterleiten.
StOVR Christina Mayer
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75
Eine Begründung des Widerspruchs ist nicht erforderlich, da die entscheidungserhebliche Sach- und Rechtslage im Widerspruchsverfahren
von Amts wegen zu erforschen ist (erinnern Sie sich an die obigen Ausführungen zum Verwaltungsverfahren – der Amtsermittlungsgrundsatz!). Die Widerspruchsbehörde verstößt auch nicht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wenn sie - nach angemessener Zeit - auch
ohne das Vorliegen einer Widerspruchsbegründung entscheidet. Der
Widerspruchsführer ist laut Gesetz nicht zur Abgabe einer Begründung
verpflichtet, also kann die Behörde sie auch nicht von ihm verlangen.
Die Behörde wird zwar zu einer solchen Begründung auffordern, aber
erzwingen kann sie diese nicht.
Diese nicht erfolgte Widerspruchsbegründung birgt für die Mitarbeiter
der Ausgangsbehörde oft größere Probleme. Diese wissen dann nicht
so recht, was der Bürger will, können nicht Stellung zu seiner Kritik
nehmen und sich auch nicht angemessen auf die Sitzung des
Rechtsausschusses vorbereiten. Da aber die Begründung des Widerspruchs nicht verpflichtend ist, kann man den Widerspruchsführer auch
nicht zur Abgabe der Begründung zwingen. Sollte er/sie dann in der
Sitzung des Rechtsausschusses etwas völlig Überraschendes vortragen, dann muss ggf. schnell reagiert und das Verfahren ausgesetzt
werden bis nach der Überprüfung der neuen Tatsachen wird die Verhandlung fortgesetzt werden kann.
3. Weiterer Verfahrensablauf
Nach der Einlegung des Widerspruchs bei der Ausgangsbehörde und
dem Prüfungsverfahren durch diese, kommt der Widerspruch zur Geschäftsstelle des Rechtsausschusses. Wurde er direkt dort – also beim
Rechtsausschuss eingelegt, hat die Ausgangsbehörde den Widerspruch vom Rechtsausschuss zur Kenntnis und zur Stellungnahme erhalten. Zwischen dem Widerspruchsführer und der Widerspruchsgegnerin werden Stellungnahmen ausgetauscht und manchmal kann ein
Verfahren auch durch ein beim Rechtsausschuss geführtes gemeinsames Gespräch beendet werden. Manche Bürger wollen auch einfach
nur „Dampf ablassen“ oder sind nach einer Darstellung der rechtlichen
Situation durch die Geschäftsstelle des Rechtsausschusses bereits zufriedengestellt. (Bitte bedenken Sie, dass ein solches Ausgleichsgespräch weder vorgeschrieben noch irgendwie im Gesetz geregelt ist. Es
wird nach dem Gedanken des § 10 VwVfG durchgeführt, um ein schnelles, einfaches und zweckmäßiges Verfahren mit einem für Bürger und
Behörde gleichermaßen akzeptablen Ergebnis zu erlangen.)
Ist aber eine solche Einigung nicht der Fall, wird die Widerspruchssache terminiert, d.h. es wird ein Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt.
StOVR Christina Mayer
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76
Was zur Vorbereitung dieses Termins alles erfolgen muss, lässt sich
(fast alles) aus dem AGVwGO ablesen:
a. Vorsitzenden bestimmen
b. Beisitzer bestimmen und laden
c. Widerspruchsführer und Widerspruchsgegnerin laden
(d. Saal reservieren, Protokollführer bestimmen etc – wird hier nicht
vertieft und steht auch in dieser Deutlichkeit nicht im AGVwGO – das ist
auch nicht erforderlich, weil es sich hierbei um reine Verwaltungstätigkeiten handelt.)
Um eine mündliche Verhandlung durchführen zu können, benötigt der
Vorsitzende die entsprechenden Akten. Die Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat – bzw. die den vom Bürger begehrten Bescheid nicht erlassen will – muss dem Rechtsausschuss die Sachakten
vorlegen. Dies hat sich in der Vergangenheit teilweise als schwierig
herausgestellt. Häufig dauerte es sehr lange bis der Rechtsausschuss
die Akten erhielt. Auch wenn sich dieses Problem eher bei den Kreisrechtsausschüssen (mit den jeweiligen Verbandsgemeinden) zeigte, hat
der Landesgesetzgeber mit Gesetz vom 21. Juli 2003 (GVBl. S. 212)
den § 6a in das AGVwGO eingeführt. Dieser lautet:
㤠6a Vorlagepflicht
Hilft die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruch nicht ab, ist er mit den einschlägigen Verwaltungsvorgängen innerhalb von 6 Wochen nach dem Eingang bei der Behörde dem nach § 6 Abs. 1 zuständigen Rechtsausschuss vorzulegen. Der Vorsitzende (§ 8) kann die Frist aus wichtigem grund
verlängern.“
zu a. Vorsitzender
§8
Vorsitzender
Der Landrat (Oberbürgermeister) führt den Vorsitz im Rechtsausschuss. Er kann Beamten mit der Befähigung zum Richteramt oder höheren Verwaltungsdienst (§ 174
VwGO) den Vorsitz im Rechtsausschuss übertragen; Ausnahmen sind nur mit Genehmigung der ADD zulässig.
Nach dieser Vorschrift führt in Kaiserslautern der Oberbürgermeister
den Vorsitz. Er ist der geboren Vorsitzende. Da er aber drei Juristen mit
der Befähigung zum Richteramt hat, hat er diese bevollmächtigt, diese
Funktion zu übernehmen - so werden aus diesen Beamten die "gekorenen" Vorsitzenden.
StOVR Christina Mayer
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zu b. Beisitzer
§9
Beisitzer
1) Der Kreistag (Stadtrat) wählt für die Dauer seiner Wahlzeit mindestens sechs Beisitzer. Sie müssen wählbar nach den Vorschriften des Kommunalwahlgesetzes sein.
2) Die Beisitzer bleiben bis zur Neuwahl ihrer Nachfolger im Amt, jedoch nicht länger
als sechs Monate nach Ablauf der Wahlzeit des Kreistages (Stadtrates).
3) Das Amt des Beisitzers ist ein Ehrenamt im Sinne der §§ 12 bis 15 der Landkreisordnung (§§ 18 bis der Gemeindeordnung).
§ 10
Ausschluss vom Beisitzeramt
1. Vom Amt eines Beisitzers sind ausgeschlossen Personen, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden
sind,
2. Personen, gegen die öffentliche Klage wegen einer Straftat erhoben ist, die Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter oder zur Erlangung von
Rechten aus öffentlichen Wahlen zur Folge haben kann,
3. Personen, die durch gerichtliche Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen
beschränkt sind.
§ 11
Abberufung von Beisitzern
(1) Ein Beisitzer ist von seinem Amt abzuberufen,
1. wenn seine Wahl nach § 9 Abs. 1 Satz 2 und § 10 nicht zulässig war oder nicht
mehr zulässig wäre, oder
2. wenn er seine Amtspflichten gröblich verletzt hat, oder
3. wenn er die zur Ausübung seines Amtes erforderlichen geistigen oder körperlichen
Fähigkeiten nicht mehr besitzt, oder
4. wenn er einen wichtigen Grund im Sinne des § 13 Abs. 1 und 2 der Landkreisordnung (§ 19 Abs. 1 und 2 der Gemeindeordnung geltend macht.
(2) Die Entscheidung trifft der Kreistag (Stadtrat) nach Anhörung des Beisitzers. In
dringenden Fällen kann der Landrat (Oberbürgermeister) dem Beisitzer vorläufig die
Ausübung seines Amtes untersagen (Absatz 1 Nr. 1 bis 3) oder ihn vorläufig von seinen Amtspflichten entbinden (Absatz 1 Nr. 4).
(3) War die öffentliche Klage erhoben, so ist die Entscheidung vom Kreistag (Stadtrat)
auf Antrag des Beisitzers aufzuheben, wenn dieser rechtskräftig außer Verfolgung
gesetzt oder freigesprochen worden ist.
§ 12
Ausschluss von der Mitwirkung im Verfahren
(1) Hält sich ein Mitglied des Rechtsausschusses nach § 1 Abs. 1 LVwVfG in Verbindung mit § 20 Abs. 1 VwVfG für ausgeschlossen oder bestehen Zweifel, ob die Voraussetzungen für einen Ausschluss gegeben sind, so entscheidet über den Ausschluss
1. des Vorsitzenden im Falle des § 8 Satz 1 die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, in den Fällen des § 8 Satz 2 der Landrat (Oberbürgermeister),
2. eines Beisitzers der Vorsitzende.
(2) In den Fällen des § 1 Abs. 1 LVwVfG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Satz 1 VwVfG
gilt Absatz 1 entsprechend.
(3) Ein Mitglied des Rechtsausschusses ist nicht nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VwVfG
ausgeschlossen, wenn es die Gebietskörperschaft, bei der Rechtsausschuss gebildet
ist, Kraft Gesetzes vertritt.
§ 13
Reihenfolge der Mitwirkung
(1) Die Beisitzer sind zu den Sitzungen des Rechtsausschusses gleichmäßig heranzuziehen; die Reihenfolge wird vom Landrat (Oberbürgermeister) vor Beginn des Ka-
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78
lenderjahres bestimmt.
(2) Bei unvorhergesehener Verhinderung eines Beisitzers kann der Landrat (Oberbürgermeister) von der Reihenfolge (Absatz 1) abweichen.
§ 14
Verpflichtung
Der Beisitzer ist bei Antritt seines Amtes in öffentlicher Sitzung von dem Vorsitzenden
des Rechtsausschusses durch Handschlag zur gewissenhaften und gerechten Ausübung seines Amtes zu verpflichten. Über die Verpflichtung wird eine Niederschrift
aufgenommen.
Die Beisitzer sind also in der Regel Stadtratsmitglieder bzw. Kreistagsmitglieder, können aber auch Bürgervertreter sein, denn das Gesetz
sagt ja nicht, dass die Beisitzer “aus der Mitte des Stadtrates (Kreistages)" zu wählen sind. Sie müssen lediglich vom Stadtrat (Kreistag) gewählt werden. Da aber in aller Regel Vorschläge nur von den Parteien
gemacht werden, die auch im Stadtrat (Kreistag) vertreten sind, bzw.
nur deren vorgeschlagene Kandidaten auch gewählt werden, sind die
meisten Beisitzer Ratsmitglieder.
Die Beisitzer werden alle in einer Liste aufgenommen und die Geschäftsstelle des Rechtsausschusses überwacht die Anzahl der Einsätze und auch das “Zusammenspiel” der Beisitzer; es wird darauf geachtet, dass nach Möglichkeit nicht zwei Vertreter der gleichen Partei an
einer Sitzung teilnehmen. Allerdings gibt es – wie Sie dem Gesetzestext
entnehmen können – keine Vorgaben oder gar ein Verbot, dass die
beiden Beisitzer nicht der gleichen Partei angehören dürfen.
Wichtig ist noch, dass die Beisitzer in aller Regel keine juristischen
Kenntnisse haben und auch nicht haben müssen. Das ist vom Gesetzgeber so gewünscht, denn die Beisitzer sollen nicht juristischen Sachverstand, sondern gesunden Menschenverstand einbringen; wäre es
anders gewollt, dann hätte der Gesetzgeber andere Voraussetzungen
an das Amt der Beisitzer gestellt. Auch die Akten der zur Verhandlung
anstehenden Widersprüche sehen die Beisitzer vor der Sitzung nicht.
Sie erhalten aber eine Tagesordnung aus der sie Name, Anschrift und
Rechtsgebiet des Widerspruchs erkennen können (z.B. Fritz Mayer,
Katzileinweg 11, Kaiserslautern, wegen Hundesteuer). Anhand dieser
Angaben können die Beisitzer überprüfen, ob sie ggf. den Widerspruchsführer kennen und deshalb nicht über den Widerspruch mitentscheiden sollten (können – dürfen).
Ganz wichtig ist Folgendes:
Beide Beisitzer und der Vorsitzende haben bei der Beratung bzw. der
Abstimmung das gleiche Stimmrecht wie der Vorsitzende. Hier wird
nicht etwa die Stimme des juristisch geschulten Vorsitzenden schwerer
gewichtet, sondern die Beisitzer, die ja gerade nicht juristisch ausgebildet sein müssen, haben „die gleiche Stimmgewalt“ wie der Vorsitzende.
StOVR Christina Mayer
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§7
Bildung der Rechtsausschüsse
Absatz 1 – Wortlaut siehe oben – hier nicht entscheidend
(2) Der Rechtsausschuss entscheidet in der Besetzung von einem Vorsitzenden und
zwei Beisitzern. Alle Mitglieder haben gleiches Stimmrecht. § 1 Abs. 1 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes (LVwVfG) in Verbindung mit den §§ 90 und 91
des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) findet keine Anwendung.
Es kann also durchaus passieren, dass der Vorsitzende überstimmt
wird. Wie in einem solchen Fall mit der Entscheidung verfahren werden
muss, wird später unter dem Schlagwort “Beanstandungsklage” behandelt werden.
Nach dem Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung
(AGVwGO) ist es möglich die mündliche Verhandlung und Entscheidung allein durch den Vorsitzende – teilweise sogar ohne mündliche
Verhandlung, also im schriftlichen Verfahren entscheiden. Dies ist allerdings nur in ganz genau vorgegebenen Fällen möglich. Der Gesetzestext lautet wie folgt:
㤠16 Abs. 1
Der Vorsitzende trifft, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, alle zur Vorbereitung der Entscheidung erforderlichen Maßnahmen.
§ 16 Abs. 5
Der Rechtsausschuss entscheidet durch den Vorsitzenden,
1. wenn der Widerspruchsführer das Verfahren trotz schriftlicher Aufforderung durch
den Vorsitzenden länger als drei Monate nicht betreibt,
2. über die Anordnung und die Aussetzung der sofortigen Vollziehung in den Fällen
des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 4 des § 80a Abs. 1 und 2 VwGO,
3. über den Antrag nach § 19 Abs. 1 Satz 5, sofern der Widerspruch beim
Rechtsausschuss anhängig war.
Der Rechtsausschuss kann auch durch den Vorsitzenden entscheiden, wenn der Widerspruch offensichtlich unzulässig ist oder alle Beteiligten damit einverstanden sind.
In den Fällen der Sätze 1 und 2 bedarf es keiner mündlichen Erörterung mit den Beteiligten.
§ 16 Abs. 6
Wird ein Beteiligter durch einen Rechtsanwalt vertreten, können die Akten dem bevollmächtigten Rechtsanwalt vorübergehend zur Einsicht in seiner Wohnung oder
seinen Geschäfträumen übergeben werden. Im Übrigen bleibt § 1 Abs. 1 LVwVfG in
Verbindung mit § 29 VwVfG unberührt.“
zu c. Widerspruchsführer und Widerspruchsgegnerin
Die Ladung der Parteien versteht sich quasi von selbst, da nach § 16
Abs. 1 AGVwGO einer Erörterung des Sachverhalts mit den Parteien
erfolgen soll und dies nur möglich ist, wenn beide Seiten anwesen sind.
Beachtlich ist hier noch, dass es nicht wie in anderen Prozessordnungen Ladungsfristen gibt. Man versucht aber, die Ladungen ca. 4 Wochen vorher zuzustellen, so dass sich die Parteien auf den Termin einrichten können.
StOVR Christina Mayer
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4. Der Termin der mündlichen Verhandlung
Die wichtigste Vorschrift in diesem Zusammenhang ist § 16 AGVwGO :
§ 16
Verfahren
(1) Vor Erlass des Widerspruchsbescheides ist der Widerspruch mit den Beteiligten
mündlich zu erörtern. Wenn bei der Ladung darauf hingewiesen wurde, kann beim
Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden. Die
Verhandlung ist öffentlich; der Rechtsausschuss kann die Öffentlichkeit aus wichtigem
Grund ausschließen. Mit Einverständnis aller Beteiligten kann von der mündlichen
Erörterung abgesehen werden.
2) Bei der Beratung und Abstimmung dürfen außer den Mitgliedern des Rechtsausschusses nur die bei der Kreisverwaltung (der Stadtverwaltung) zu Ihrer Ausbildung
beschäftigten Personen zugegen sein, soweit der Vorsitzende ihre Anwesenheit gestattet. Das gleiche gilt für die Anwesenheit des Schriftführers. Die Teilnehmer sind
verpflichtet, über die Beratung und Abstimmung Stillschweigen zu bewahren.
3) Die Beteiligten können zur Erledigung des Vorverfahrens einen Vergleich auch zur
Aufnahme in die über die Sitzung zu fertigende Niederschrift schließen. Der Text des
Vergleiches ist den Beteiligten vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen. Ist der
Inhalt der Niederschrift auf einem Tonträger vorläufig aufgezeichnet worden, so genügt es, wenn der Wortlaut des Vergleiches abgespielt wird. Die Zustimmung der Beteiligten zu dem Vergleich ist in der Niederschrift zu vermerken.
(4) Wird durch den Widerspruchsbescheid ein Verwaltungsakt ganz oder teilweise
aufgehoben oder die Behörde zum Erlass eines abgelehnten Verwaltungsaktes verpflichtet, so ist der Widerspruchsbescheid außer den Beteiligten unverzüglich auch
der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion zuzustellen.
StOVR Christina Mayer
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Der erste Absatz beinhaltet eigentlich alles, was das AGVwGO an Verfahrensvorschriften vorgibt. Hier ist zum einen auf das Verwaltungsverfahrensgesetz und auch analog auf die VwGO zurückzugreifen. Gerade
was das Verwaltungsverfahrensgesetz angeht, ist auf die Vorschrift des
§ 10 hinzuweisen:
"§ 10 VwVfG
Das Verwaltungsverfahren ist an bestimmte Formen nicht gebunden, soweit keine
besonderen Rechtsvorschriften für die Form des Verfahrens bestehen. Es ist einfach,
zweckmäßig und zügig durchzuführen."
Der Vorsitzende übt das Hausrecht aus und bestimmt den Ablauf des
Verfahrens. Dabei gilt immer die Maxime, dass das Verfahren vor dem
Rechtsausschuss eine Lösung aufzeigen soll, die Rechtsfrieden herstellt - mit der also beide Parteien leben können – und die rechtlich korrekt sein muss. Der Rechtsausschuss hat ja die Aufgabe, einen Bescheid auf seine Recht- und Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen.
Vor dem Einstieg in die eigentliche Sitzung, die mündliche Verhandlung
und nach dem “Aufruf der Sache” wird jeweils geprüft, ob die Sitzung
öffentlich ist oder nicht. Gem. § 16 Abs. 1 AGVwGO ist die Verhandlung
zwar grundsätzlich öffentlich, ein wichtiger Grund zum Ausschluss der
Öffentlichkeit ist aber z.B. der Schutz von Personendaten in Sozialhilfefällen (interessanterweise wird beim Verwaltungsgericht in Sozialhilfesachen öffentlich verhandelt) oder in Gewerbeuntersagungsfällen, wegen nicht bezahlter Gewerbsteuer.
Zunächst wird vom Vorsitzenden ein kurzer Sachbericht abgegeben
über den zu verhandelnden Sachverhalt, wie er sich aus der Akte ergibt. Dies ist deshalb erforderlich, weil ja die beiden Beisitzer die Akten
nicht kennen. Der Rechtsausschuss muss vor seiner Entscheidung genau klären, welche Tatsachen er seiner Entscheidung zugrunde legen
wird. Diese Aufgabe folgt aus § 24 des Verwaltungsverfahrensgesetzes; der Untersuchungsgrundsatz verpflichtet die Behörde (und das ist
hier der Rechtsausschuss) von Amts wegen genau den Sachverhalt zu
ermitteln. Man kann also nicht – wie etwa das Zivilgericht – seine Entscheidung lediglich auf die Dinge abstellen, die die Parteien (Widerspruchsführer und Widerspruchsgegner) vortragen. Der Ausschuss
muss aus eigenem Antrieb heraus alles ermitteln, was zur Entscheidung erforderlich ist. Dies ist vor allem deshalb wichtig und auch einleuchtend, wenn man sich vor Augen führt, dass an die Widerspruchsbegründung keinerlei Anforderungen gestellt werden; man also einen
Widerspruch einlegen kann ganz ohne Begründung. Dies ist deshalb
möglich, weil die Behörde gerade zur Aufklärung verpflichtet ist. Dies
Aufklärungspflicht gilt auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren; also
auch das Verwaltungsgericht muss von Amts wegen aufklären. Außerdem ist noch ganz entscheidend, dass in § 39 VwVfG vorgeschrieben
ist, aus der Begründung des Verwaltungsaktes der zugrunde Sachverhalt und die Gründe widerzugeben sind. Der Widerspruchsbescheid ist
ein Verwaltungsakt, der diesen Anforderungen entsprechen muss.
StOVR Christina Mayer
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Nach dem Vortrag des Sachverhaltes durch den Vorsitzenden erhalten
beide Parteien, die Möglichkeit sich zu äußern und ihren bereits schriftlich erfolgten Sachvortrag (soweit dieser erfolgt ist) zu ergänzen. Es
können Fragen gestellt werden - dies gilt ausdrücklich auch für die Beisitzer, die ja mit gleichem Stimmrecht mitentscheiden sollen.
Wichtig bei der Sachverhaltsaufklärung im Rahmen der mündlichen
Verhandlung ist die Auslegung des Vortrages der Parteien zur Feststellung des Antrages. Zwar besteht keine Verpflichtung, einen konkreten
Antrag zu stellen; da der Rechtsausschuss ja wissen muss, worüber er
entscheidet und was er letztendlich prüfen soll, muss dies geklärt werden. Schließlich steckt auch eine Kostenfrage hinter diesem Problem,
da sich die Verfahrenskosten an der Höhe dessen, worum gestritten
wird, orientiert.
Ist der Sachverhalt soweit aufgeklärt, erfolgt die Entscheidung.
Diese kann wie folgt aussehen:
a. Der Widerspruch wird zurückgenommen.
b. Der Bescheid wird abgeändert/aufgehoben.
c. Ein Vergleich wird geschlossen.
d. Es erfolgt eine Erledigungserklärung.
e. Es wird ein Widerspruchsbescheid erlassen mit dem entweder
der Widerspruch (ganz oder teilweise) zurückgewiesen wird oder
aber dem Widerspruch (ganz oder teilweise) stattgegeben wird.
Zu a. Rücknahme des Widerspruchs
Der Widerspruchsführer kann den Widerspruch bis zum Erlass des Bescheides zurücknehmen. Dies wird im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Rechtsausschuss im Protokoll aufgenommen, dem
Widerspruchsführer vorgelesen und er muss es genehmigen. Außerhalb des Termins wird die Rücknahme auch schriftlich fixiert – dann
natürlich nicht im Sitzungsprotokoll, sondern in einem normalen Schreiben.
Das Verfahren ist damit beendet. Wenn das Verfahren nicht kostenfrei
ist – dies ist z.B. im Rahmen der Sozialhilfe der Fall – muss der Widerspruchführer noch die Kosten des Widerspruchsverfahrens tragen.
Zu b. Abhilfe
Auch noch in der Sitzung – soweit nicht schon vorher geschehen –
kann die Widerspruchsgegnerin den Bescheid abändern und einen sogenannten Abhilfebescheid erlassen. Damit wird (ganz oder teilweise)
dem Begehren des Widerspruchsführers entsprochen.
StOVR Christina Mayer
Skript zum Verwaltungsrecht
- Allgemeiner Teil
83
Exkurs : Der Ablauf des Abhilfeverfahrens
Das Widerspruchsverfahren ist ein Verfahren der verwaltungsbehördlichen Selbstkontrolle. Durch die Möglichkeit der Abhilfe (§ 72 VwGO)
soll zunächst die Ausgangsbehörde nochmals Gelegenheit erhalten,
ihre Entscheidung, zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.
Das Abhilfeverfahren wird in der Regel dadurch eingeleitet, dass der
Widerspruch bei der Ausgangsbehörde eingeht (vgl. § 70 Abs. 1 Satz 1
VwGO). Wird der Widerspruch ausnahmsweise nicht bei der Ausgangsbehörde, sondern bei der Widerspruchsbehörde eingelegt (vgl. § 70
Abs. 1 Satz 2 VwGO), die im Regelfall die nächsthöhere Behörde ist, so
muss die Widerspruchsbehörde den Vorgang zunächst zur Durchführung des Abhilfeverfahrens an die Ausgangsbehörde zurückreichen.
Im Rahmen des Abhilfeverfahrens prüft die Ausgangsbehörde Zulässigkeit und Begründetheit des Widerspruchs. Hält sie ihn für zulässig
und begründet (z.B. weil es einer dieser typischen „Montagsbescheide“
war), hilft sie dem Widerspruch ab. Beim Anfechtungswiderspruch besteht die Abhilfe in der Aufhebung oder entsprechenden Abminderung
des ursprünglichen Verwaltungsakt (Ausgangsbescheids). Musste der
Widerspruchsführer gemäß dem Ausgangsbescheid 200,- € zahlen,
aber es bestand nur eine rechtliche Verpflichtung zur Zahlung von 100,€, dann wird mit dem Abhilfebescheid der ursprüngliche Bescheid insoweit reduziert. Bestand überhaupt keine Pflicht zur Zahlung, dann wird
der Ursprungsbescheid ganz aufgehoben.
Die Abhilfe des Verpflichtungswiderspruchs führt zum Erlass des beantragten, aber zunächst abgelehnt Verwaltungsakt. Der Widerspruchsführer hat Sozialhilfe beantragt, diese wurde aber abgelehnt. Die nochmalige Überprüfung hat ergeben, dass doch ein Anspruch auf Hilfe zum
Lebensunterhalt besteht, weshalb diese Hilfe gewährt wird. Auch die
Teilabhilfe ist denkbar, wenn die Ausgangsbehörde den Widerspruch
nur für teilweise begründet erachtet.
Die (Teil-)Abhilfe erfolgt durch einen Abhilfebescheid, der einen Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) darstellt. Die inhaltlichen Anforderungen an einen Abhilfebescheid entsprechen deshalb denen eines Ausgangsbescheids (Kopf, Tenor, Gründe, Rechtsbehelfsbelehrung, Unterschrift,
ggf. Dienstsiegel).
Durch den Abhilfebescheid wird auch über die Kosten des Abhilfeverfahrens entschieden (§ 72 VwGO); diese trägt in aller Regel die Ausgangsbehörde, denn sie hat diese ja auch verursacht.
Beispiel eines Abhilfebescheides:
Die Stadt X hat einen Bescheid wegen Sondernutzungsgebühren erlassen. Der Betroffene hat hiergegen durch einen Rechtsanwalt Widerspruch einlegen lassen. Die
Stadt will dem Widerspruch nach Überprüfung des Bescheides voll abhelfen.
„1. Der Bescheid der Widerspruchsgegnerin vom 5. 6. 1996, AZ.: III/SN 4711/96 wird
aufgehoben.
2. Die Widerspruchsgegnerin hat die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch den Widerspruchsführer war notwendig.
3. Dieser Bescheid ergeht kostenfrei.“
StOVR Christina Mayer
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- Allgemeiner Teil
84
Hält die Ausgangsbehörde im Rahmen des Abhilfeverfahrens den Widerspruch für unzulässig oder für zwar zulässige aber unbegründet,
wird sie ihm nicht abhelfen.
Für diesen Fall verlangt § 72 VwGO weder eine förmliche Entscheidung
über die Nichtabhilfe noch eine entsprechende Mitteilung, an den Widerspruchsführer (wobei eine solche Mitteilung in der Praxis gelegentlich üblich und bisweilen auch sinnvoll ist – siehe hierzu die obigen Ausführungen zum Abgabeschreiben).
Im Falle der Nichtabhilfe wird das Abhilfeverfahren dadurch abgeschlossen, dass die Ausgangsbehörde den Widerspruch (samt Verfahrensakten) mittels eines sogenannten Vorlageschreibens oder Abgabeschreibens der Widerspruchsbehörde zum Erlass des Widerspruchsbescheids vorlegt. Das Vorlageschreiben sollte - auch ohne dass eine
entsprechende gesetzliche Verpflichtung besteht - die Gründe der
Nichtabhilfe darlegen. Bitte beachten Sie, dass Sie als Ausgangsbehörde nicht einen Widerspruch nur deshalb nicht bearbeiten dürfen/müssen, weil er nach ihrer Einschätzung verfristet ist. Die Entscheidung über eine Verfristung oder zu einem anderen Prüfungspunkt der
Zulässigkeit obliegt genau wie die Prüfung der Begründetheit dem
Rechtsausschuss und nur diesem. Die Ausgangsbehörde hat die Entscheidungskompetenz nur soweit sie abhilft. Tut sie dies nicht, dann
fällt die alleinige Entscheidungsbefugnis an den Rechtsausschuss (was
natürlich nicht bedeutet, dass Sie in Ihrer Stellungnahme an den
Rechtsausschuss nicht auf – nach Ihrer Ansicht vorliegende – formale
Fehler hinweisen dürfen.).
Im Falle der Teilabhilfe wird der Widerspruch lediglich insoweit der Widerspruchsbehörde vorgelegt, als ihm nicht abgeholfen wurde.
Beispiel:
Eine Gemeinde erlässt einen Erschließungsbeitragsbescheid in Höhe
von 10.000,- €. Der Beitragsschuldner erhebt hiergegen in vollem Umfang Widerspruch.
Im Abhilfeverfahren kommt die Gemeinde zu der Auffassung, dass die
Beitragsschuld richtigerweise nur 8.000,00 € beträgt. Durch Teilabhilfebescheid wird die Gemeinde den Ausgangsbescheid teilweise (hinsichtlich einer Summe von 2.000,00 €) aufheben.
Im Übrigen (hinsichtlich einer Summe von 8.000,00 €) wird sie den Widerspruch der Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vorlegen.
Zu c. Vergleich
Hier ist auf die Vorschrift des § 16 Abs. III AGVwGO zu verweisen. Der
Vergleich ist verfahrensbeendend. Er wird schriftlich abgefasst und
muss genau bestimmen, was zwischen den Parteien vereinbart wird. Er
muss auch eine Regelung über die Kosten enthalten. Beide Parteien
StOVR Christina Mayer
Skript zum Verwaltungsrecht
- Allgemeiner Teil
85
müssen dem Vergleich zustimmen nachdem er vorgelesen wurde. Im
Protokoll steht dann, "vorgelesen und genehmigt". Der Vorsitzende des
Rechtsausschusses kann auch (bereits bei der Vorbereitung der Sitzung als auch aufgrund der Beratung mit seinen Beisitzern - dann also
nach einer Sitzung des Rechtsausschusses -) den Parteien einen Vergleich schriftlich vorschlagen. Diesen müssen beide Parteien unterzeichnen - wie einen Vertrag. Das Widerspruchsverfahren ist mit dem
Abschluss des Vergleiches beendet.
Zu d. Erledigungserklärung
Dies betrifft Fälle, in denen sich der streitige Sachverhalt etwa durch
Zeitablauf erledigt hat. Wird z.B. Widerspruch gegen die Baugenehmigung für einen Carport erhoben und der Carport wird noch vor der Entscheidung des SRA beseitigt, dann hat sich dieser Widerspruch erledigt. Ähnlich liegt der Fall einer Bewerbung zum Oktobermarkt 2001
eines Fahrgeschäftbetreibers, der eine ablehnende Entscheidung (also
keine Zulassung zu dem Markt) erhalten hat und hiergegen Widerspruch eingelegt hat. Findet die Sitzung des Rechtsausschusses und
damit die Entscheidung nach dem Oktobermarkt 2001 statt, dann ist die
Frage der Zulassung zu diesem Markt durch Zeitablauf erledigt. Egal
wie der Rechtsausschuss entscheidet würde, der Bewerber kann sein
Fahrgeschäft nicht mehr zum Oktobermarkt 2001 aufstellen, weil dieser
vorbei ist.
Der Rechtsausschuss darf auch nicht mehr über die Sachfrage entscheiden. Es würde sich insoweit um einen sogenannten Fortsetzungsfeststellungswiderspruch handeln, der unzulässig ist. Nur die
Verwaltungsgerichte können feststellen, ob dieser erledigte Verwaltungsakt rechtmäßig gewesen ist oder nicht.
Allerdings ist beachtlich, dass auch im Falle des Widerspruchsbescheides bei einer Erledigung auf die Sachlage eingegangen werden muss.
§ 19 Abs. 1 Satz 5, 2. HS AGVwGO besagt nämlich, dass man bezüglich der Kostenentscheidung auf die bisherige Sachlage des Prozesses
zurückgreifen soll.
Zu e. Widerspruchsbescheid
Die Entscheidung, ob dem Widerspruch stattgegeben wird oder nicht
ergeht nach einer geheimen Beratung am Ende der Sitzung (Abs. 2)
und den Parteien wird die schriftliche Entscheidung zugestellt.
Diese Entscheidung ist ein Verwaltungsakt. Der Widerspruchsbescheid
wird zwar aufgrund der gemeinsamen Entscheidung des gesamten
Rechtsausschusses erstellt, aber nur vom Vorsitzenden alleine - ohne
Beisitzer – angefertigt (also ausformuliert) und unterzeichnet.
Der Vorsitzende berücksichtigt bei der Anfertigung die Zulässigkeit des
Widerspruchs und auch die Begründetheit. Im Einzelnen bedeutet dies
folgende Prüfungspunkte:
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86
Zulässigkeit
- Ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben?
(Weil das Widerspruchsverfahren ein verwaltungsgerichtliches Vorverfahren ist, muss man hier prüfen, ob der Verwaltungsrechtsweg
gegeben ist.) Dazu wird § 40 VwGO geprüft. Dieser hat drei Voraussetzungen, nämlich
a. öffentlich-rechtliche Streitigkeit
b. nicht verfassungsrechtliche Art, die
c. keinem anderen Rechtsweg durch Bundesgesetz zugewiesen ist
- Die Statthaftigkeit des Widerspruchs
(Ist der Widerspruch auch der richtige Rechtsbehelf? – nur gegen
einen Verwaltungsakt kann man sich mit einem Widerspruch wehren.)
Hier werden also § 68 i.V.m. § 42 VwGO geprüft – und zwar ob hier
ein Verwaltungsakt § 35 VwVfG angefochten wird.
- Die Widerspruchsbefugnis
Die Widerspruchsbefugnis wird anhand von § 42 Abs. 2 VwGO analog geprüft. Hier wendet man die Möglichkeitstheorie und die Adressatentheorie an. Die Möglichkeitstheorie besagt, dass die Möglichkeit der Verletzung von Rechten des Widerspruchsführers gegeben
ist – sie ist möglich. Die Adressatentheorie beruht auf der Überlegung, dass der Adressat eines Verwaltungsaktes befugt ist, sich mit
einem Rechtsbehelf gegen diesen Verwaltungsakt zu wehren.
- Form des Widerspruchs § 70 VwGO – schriftlich oder zur Niederschrift. Diese Vorschrift enthält die einzige Formvorschrift für
das Widerspruchsverfahren. Nach § 70 Abs. 1 VwGO muss der
Widerspruch schriftlich eingelegt werden oder er erfolgt zur Niederschrift bei der Ausgangsbehörde (also der Behörde, die den
angefochtenen Bescheid erlassen hat) oder bei der Widerspruchsbehörde. Diese Niederschrift muss das enthalten, was
der Widerspruchsführer vorgetragen hat; sie muss auch das Datum der Widerspruchseinlegung und die Unterschriften des Widerspruchsführers und des aufnehmenden Mitarbeiters der Behörde enthalten.
- Frist § 70 Abs. 1 VwGO ein Monat ab der Bekanntgabe, wenn
eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung vorgelegen hat.
Die Anforderungen an eine Rechtsbehelfsbelehrung sind
Begründetheit
Hier werden Rechtswidrigkeit oder Unzweckmäßigkeit des angegriffenen VA und dadurch Verletzung des Widerspruchsführers in seinen
Rechten, §§ 68 I 1, 113 I 1 analog VwGO geprüft.
Der Widerspruch ist dann begründet, wenn der angefochtene VA
rechtswidrig ist und den Widerspruchsführer in seinen Rechten verletzt.
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- Allgemeiner Teil
87
Hierzu ist zunächst die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides zu prüfen. Diese ist gegeben, wenn Zuständigkeit, Form und Verfahren des
angefochtenen VAs korrekt sind; also die richtige = zuständige Behörde
gehandelt hat, keine formellen Fehler aufgetreten sind (wie z.B. eine
nicht durchgeführte Anhörung oder ähnliches) und die Anforderungen
an die Form eines VA erfüllt sind.
Die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheides richtet sich nach Spezialvorschriften, die sich meist aus dem Sachverhalt ergeben; die Voraussetzungen dieser Spezialvorschrift (der Ermächtigungsgrundlage)
müssen hier geprüft werden.
Gegen den Widerspruchsbescheid kann Klage zum Verwaltungsgericht
erhoben werden. Mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides ist
das Widerspruchsverfahren oder Vorverfahren beendet.
XII. Allgemeine Anmerkungen zur Wirksamkeit
und Bestandskraft von Verwaltungsakten
Der Verwaltungsakt ist der zentrale Begriff des Verwaltungsverfahrens.
Er ist das Mittel der Verwaltung, um einen bestimmten Einzelfall rechtsverbindlich zu regeln. Damit ist der Verwaltungsakt zugleich das wichtigste Instrument zur Konkretisierung der Rechtssicherheit, bzw. der
Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsgedankens
innerhalb des Verwaltungsverfahrens.
Diese Tatsache wird noch durch den Titel des zweiten Abschnitts des
VwVfG »Bestandskraft des Verwaltungsaktes« untermauert. In diesem
Abschnitt werden die Voraussetzungen für die Bestandskraft von Verwaltungsakten ebenso definiert wie die Frage der Wirkung bestimmter
Fehler und die Möglichkeit der Aufhebung von Verwaltungsakten, die
bereits bestandskräftig geworden sind. Dabei sind die folgenden Begriffe zu unterscheiden:
1. Die Wirksamkeit von Verwaltungsakten
a. Allgemeines
In § 43 VwVfG wird bestimmt, dass ein Verwaltungsakt gegenüber
demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist, zu
dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem er bekannt gegeben worden ist.
Ferner wird der Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird. Er bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf bzw. andere Art und Weise erledigt ist. Nur ein nichtiger Verwaltungsakt ist von vornherein unwirksam.
StOVR Christina Mayer
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88
b. Zur Bekanntgabe
Der § 43 VwVfG nimmt noch einmal eine Klarstellung zur Wirksamkeit
des Verwaltungsaktes vor, die sich bereits den Vorschriften zum Verwaltungsakt - hier insbesondere § 37 VwVfG- ergeben. In § 37 VwVfG
ist die formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit Verwaltungsaktes
geregelt. Aus Gründen der Rechtssicherheit kann ein Verwaltungsakt
erst dann wirksam werden, wenn er vom Rechtskreis der erlassenden
Behörde in den Rechtskreis des Adressaten zu dessen Kenntnisnahme
gelangt ist.
Der Zeitpunkt der Bekanntgabe ist darüber hinaus für den Beginn der
Rechtsbehelfsfrist (Klage, Widerspruch) entscheidend. Dabei gibt es
folgendes zu beachten:
Ein bekannt gegebener Verwaltungsakt ist grundsätzlich wirksam und
muss im Rechtsverkehr beachtet werden.
Ein wirksamer Verwaltungsakt ist die Voraussetzung für eine Anfechtung durch einen Rechtsbehelf (vgl. hierzu Widerspruch nach §§ 68 ff
VwGO und Klage nach §§ 42 ff VwGO).
Eine erfolgte Anfechtung verändert alleine noch nicht die Wirksamkeit
des Verwaltungsaktes, da dieser weiterhin zu beachten ist. Die Anfechtung hat grundsätzlich – bis zur abschließenden Klärung des Sachverhaltes lediglich aufschiebende Wirkung.
Die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes sagt nichts darüber aus, ob
der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann zunächst wirksam sein, es sei denn die
vorliegenden Gründe sind so offensichtlich und gravierend, dass sie zur
sofortigen Nichtigkeit führen. Dieses wird aber eher die Ausnahme sein.
c. Die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes
Ein Verwaltungsakt ist dann bestandskräftig, wenn er nicht mehr angefochten werden kann. Die Gründe für eine solche Unanfechtbarkeit
können Fristablauf, Ausschöpfung der Rechtsbehelfsmöglichkeiten oder
der Verzicht auf Rechtsbehelfsmöglichkeiten sein. Die Bestandskraft
darf hier nicht mit der Wirksamkeit verwechselt werden, weil ein bestandskräftiger Verwaltungsakt zunächst immer einen wirksam gewordenen Verwaltungsakt voraussetzt. Bestandskraft bedeutet allerdings
auch nicht, dass ein entsprechender Verwaltungsakt nicht unter bestimmten Voraussetzungen von der erlassenden Behörde wieder aufgehoben werden kann (vgl. hierzu § 44 VwVfG).
d. Die Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes
Ein Verwaltungsakt wird nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist oder nach
einem – aus der Sicht des Adressaten - erfolglos durchgeführten
Rechtsbehelf (Widerspruch, Klage) unanfechtbar.
Ein weiterer Rechtsbehelf gegen den unmittelbaren Verwaltungsakt ist
StOVR Christina Mayer
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89
dann von der Verwaltung ohne weiteres zurückzuweisen. Ein unanfechtbar gewordener Verwaltungsakt ist für den Adressaten gleichzeitig
auch immer bestandskräftig.
2. Die Vorschriften im Einzelnen
a. § 43 VwVfG
Absatz 1 - Grundsatz zur Wirksamkeit des VA
Absatz 2 - Zeitraum, in welchem der VA wirksam bleibt
Absatz 3 - Rechtsfolge der Nichtigkeit
b. § 44 VwVfG
Absatz 1 - Definition der Nichtigkeit des VA
Absatz 2 - VA ist auch nichtig, ohne unter die Definition des Abs. 1 zu
fallen, wenn
- erlassende Behörde nicht erkennbar
- Formfehler
- Zuständigkeitsverletzung
- von niemandem ausgeführt werden kann (Bsp.: Errichtung eines Hauses auf dem Mars)
- Verlangen einer Straftat
- Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 BGB)
Absatz 3 - Nichtigkeit des VA liegt nicht schon vor, weil
Verletzung der örtlichen Zuständigkeit vorliegt
ein vorgeschriebener Beschluss nicht gefasst wurde
vorgeschriebene Mitwirkungen einer anderen Behörde fehlt
Absatz 4 - Teilnichtigkeit (siehe hierzu § 139 BGB)
Absatz 5 - Feststellung der Nichtigkeit
In § 43 Abs. 3 VwVfG sagt der Gesetzgeber ganz lapidar, dass ein
nichtiger Verwaltungsakt unwirksam ist. Ein nichtiger Verwaltungsakt
entfaltet von Anfang an keine Rechtswirkung, weshalb es von ganz erheblicher Bedeutung einen solchen Verwaltungsakt als nichtigen im
Sinne des Gesetzes zu erkennen. Der Begriff »Nichtigkeit« wird dann
ausführlich in § 44 VwVfG (»Nichtigkeit des Verwaltungsaktes«) definiert. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schweren Fehler leidet und dieses bei verständiger Würdigung
aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist, nichtig. Ganz
allgemein kann man sagen, dass diese relative Nichtigkeit immer dann
gegeben ist, wenn einem Durchschnittsbürger auf dem ersten Blick klar
ist, dass die angestrebte Entscheidung auf keinen Fall rechtlich und
tatsächlich nachzuvollziehen ist.
StOVR Christina Mayer
Skript zum Verwaltungsrecht
- Allgemeiner Teil
90
Wegen der schwerwiegenden Folgen, die sich durch Nichtigkeit für die
Rechtssicherheit ergeben können, müssen zwingend die beiden Voraussetzungen:
• besonders schwerer Fehler und
• Offensichtlichkeit der Fehlerhaftigkeit vorliegen.
Was hierunter zu verstehen ist, lässt sich aus dem vom Gesetzgeber in
§ 44 Abs. 2 VwVfG aufgestellten Katalog ablesen.
Der zur Nichtigkeit führende Verstoß gegen die guten Sitten, lehnt sich
eng an die diesem Begriff zugrunde liegende Definition aus dem Bürgerlichen Recht an und bezieht sich auf einen allgemeingültigen
Rechts- und Sozialkodex.
§ 138 BGB - Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher
(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.
(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung
der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung
Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zur der Leistung stehen.
Fehler, die nicht so erheblich sind, dass sie grundsätzlich zur Nichtigkeit
eines Verwaltungsaktes führen könnten, sind vielmehr Verfahrens- oder
Formfehler, die in der Regel gem. § 45 VwVfG unerheblich und damit
heilbar sind. Unerhebliche Fehler führen damit nicht zur Unwirksamkeit
des Verwaltungsaktes.
Weiter gibt es zu berücksichtigen, dass die Nichtigkeit zu einem Teil
des Verwaltungsaktes immer nur dann zur vollständigen Nichtigkeit des
gesamten Verwaltungsaktes führt, wenn der nichtige Teil so wichtig für
den Verwaltungsakt ist, dass der Verwaltungsakt ohne diesen Teil nicht
erlassen worden wäre.
Fazit:
Nichtigkeit liegt bei äußerst schwerwiegenden Fehlern eines Verwaltungsakts vor. Die Nichtigkeit führt dazu, dass die angestrebte Regelung von Beginn an unwirksam ist und diese nicht zu einem rechtlichen
Ergebnis führen kann. Die Systematik der Vorschrift des § 44 VwVfG
lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Abs. 1: Nichtigkeit – wann ist sie gegeben
Abs. 2: ohne Rücksicht auf Abs. 1, liegt Nichtigkeit vor, wenn.....
Positivkatalog
Abs. 3: Nichtigkeit ist nicht schon deshalb gegeben, weil....
Negativkatalog
Abs. 4: Teilnichtigkeit – was passiert?
Abs. 5: Feststellung der Nichtigkeit – beachte: Satz 1 „kann“ - Vorschrift
und Satz 2 „muss“ - Vorschrift
StOVR Christina Mayer
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- Allgemeiner Teil
91
c. § 45 VwVfG
Allgemeines :
Nur nichtige Verwaltungsakte, d.h. solche die unter schweren Formfehlern leiden sind nicht heilbar. Das Vorliegen eines einfachen Form- oder
Verfahrensfehlers betrifft nicht die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes,
weil eine so schwerwiegende Folge für das Verfahren in der Regel nicht
in einem vernünftigen Verhältnis zur Bedeutung des einfachen Fehlers
und seiner Heilbarkeit stehen würde.
§ 45 VwVfG enthält daher einen Katalog von Verfahrens- und Formfehlern, die unbeachtlich sind bzw. die ohne weitere Folgen nachträglich
»heilbar« sind. Danach ist es für die Wirksamkeit unerheblich,
- wenn der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag
nachträglich gestellt wird,
- wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird
- wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird,
- wenn der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den
Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird,
- wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt
wird.
Versäumt ein Betroffener die für die Anfechtung geltende Rechtsbehelfsfrist deshalb, weil der Verwaltungsakt nicht die erforderlich Begründung besitzt oder weil eine erforderliche Anhörung Beteiligter durch
die handelnde Behörde versäumt worden ist, hat er das Recht zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Das Versäumen der Rechtsbehelfsfrist ist in diesem Fall unverschuldet und damit unschädlich.
Der Verwaltungsakt, der wegen der in Abs. 1 Nr. 1-5 abschließend aufgeführten Mängel fehlerhaft ist, wird durch die Nachholung der unterlassenen Handlung rechtmäßig, falls die Frist des Abs. 2 eingehalten
wurde. Abs. 3 gibt dem Betroffenen in den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 und
3 Anspruch auf Wiedereinsetzung, wenn er wegen fehlender Begründung oder unterlassener Anhörung den Verwaltungsakt nicht rechtzeitig
angefochten hat, was der Betroffene glaubhaft zu machen hat.
d. § 46 VwVfG
Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung ist, dass ein
Verstoß gegen eine formell-rechtlich Vorschrift vorliegt, die keine Nichtigkeit (44 Abs. 1 und 2) ausgelöst hat und auch nicht nach § 45 geheilt
worden ist. Weiter darf auch bei Vermeidung des Fehlers keine andere
Sachentscheidung möglich sein. (sog. gebundener VA).
Zu den in Satz 1 genannten Vorschriften gehören nicht nur die im
StOVR Christina Mayer
Skript zum Verwaltungsrecht
- Allgemeiner Teil
92
VwVfG enthaltenen, sondern auch Bestimmungen über das Verfahren,
die Form und die örtliche Zuständigkeit in anderen Rechtsvorschriften.
Aus der besonderen Erwähnung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit ergibt sich im Umkehrschluss, dass die Regelung nicht auch
für Verstöße gegen die Vorschrift betreffend die sachliche Zuständigkeit
gilt.
Die Frage, ob keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen
werden können, ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen.
Unerheblich ist ein Verstoß, wenn er seiner Art nach jedenfalls im konkreten Fall nicht kausal für die Entscheidung sein, d.h. keinen Einfluss
darauf haben konnte, außerdem auch dann, wenn aus anderen Gründen die Entscheidung im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden ist.
e. § 47 VwVfG
Absatz 1 - Grundsatz der Umdeutung, Voraussetzung
Absatz 2 - Ausnahme, wann darf die Umdeutung nicht erfolgen ?
Absatz 3 - Ermessensentscheidung kann nicht zu einer gebundenen
Entscheidung werden
Absatz 4 - Anhörung § 28 VwVfG, also vor der Umdeutung anhören,
wenn in Rechte eingegriffen wird
Hier kann der Gedanke des § 140 BGB herangezogen werden.
Voraussetzungen für die Umdeutung sind:
-
-
gleiches Ziel
die erlassende Behörde den Verwaltungsakt hätte erlassen können (wenn rechtmäßiger Verwaltungsakt möglich ist und keine
ungünstigen Rechtsfolgen eintreten)
und die Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsaktes
vorliegen
f. § 48 VwVfG
Rücknahme eines RECHTSWIDRIGEN Verwaltungsaktes
Absatz 1
Satz 1 - Grundsatz der Rücknahmemöglichkeit auch nach Unanfechtbarkeit
Satz 2 - Sonderregelungen für begünstigende Verwaltungsakte
Absatz 2
Satz 1 - rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte, die eine einmalige Geldleistung o.ä. gewähren, dürfen nicht zurückgenommen werden,
wenn auf die Leistung vertraut wurde und dieses Vertrauen im öffentlichen Interesse schutzwürdig ist.
Satz 2 - wann liegt die Schutzwürdigkeit vor?
StOVR Christina Mayer
Skript zum Verwaltungsrecht
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93
Satz 3 - wann darf der Begünstigte nicht vertrauen?
- Täuschung
- unrichtige Angaben
- die Rechtswidrigkeit war bekannt oder hätte bekannt sein müssen
Absatz 3
Satz 1 - Ausgleich des Vermögensnachteils, soweit das Vertrauen
schutzwürdig
Satz 2 - Absatz 2 Satz 3 findet auch hier Anwendung
= wann darf der Begünstigte nicht vertrauen? (Täuschung, unrichtige
Angaben, die Rechtswidrigkeit war bekannt oder hätte bekannt sein
müssen)
Satz 3 - Beschränkung des Ausgleichs der Höhe nach
Satz 4 - Behörde setzt den Betrag fest
Satz 5 - Befristung
Absatz 4
Satz 1 - Rücknahme innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der
Kenntnisnahme
Satz 2 - gilt nicht bei Täuschung
Absatz 5 - Zuständigkeit für die Rücknahme
g. § 49 VwVfG
Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes
Absatz 1 - Grundsatz des Widerrufs bei rechtmäßigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakten
Absatz 2
Satz 1 - ein begünstigender Verwaltungsakt darf für die Zukunft zurückgenommen werden, wenn
- durch Rechtsvorschrift zugelassen
- Verwaltungsakt mit einer Auflage verbunden war und diese nicht eingehalten wurde
- nachträglich Tatsachen eintreten, bei deren Kenntnis der Verwaltungsakt nicht erlassen worden wäre
- Rechtsvorschriften sich geändert haben
- schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhindern sind
Satz 2 - Hinweis auf § 48 Absatz 4 - Zeitpunkt der Kenntnis
Absatz 3
Satz 1 - Widerruf eines Verwaltungsaktes für die Vergangenheit, der
eine einmalige Geldleistung (o.ä.) gewährt hat, ist möglich wenn
die Leistung nicht zu dem bestimmten Zweck verwendet worden ist
StOVR Christina Mayer
Skript zum Verwaltungsrecht
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der Verwaltungsakt mit Auflagen verbunden war und diese nicht eingehalten wurden
Satz 2 - Hinweis auf § 48 Absatz 4 - Zeitpunkt der Kenntnis
Absatz 4 - Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs
Absatz 5 - Zuständigkeit
XIII. Der Öffentlich-rechtliche Vertrag
1. Der Begriff des öffentlich-rechtlichen Vertrags - Einführung
Während im 19. Jahrhundert die Vorstellung, der Staat könne per Vertrag mit den Bürgern „paktieren“, noch undenkbar erschien, ist der Verwaltungsvertrag mittlerweile eine voll etablierte Handlungsform der
Verwaltung, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Der Vorteil des
Verwaltungsvertrags besteht darin, dass er ein flexibles, auf einen bestimmten Sachverhalt zugeschnittenes Handeln der Verwaltung ermöglicht.
Der Stellenwert des Verwaltungsvertrags für das Verwaltungshandeln
sei an folgendem Beispiel verdeutlicht: Der Verwaltungsvertrag spielt
mittlerweile im Umweltrecht eine herausragende Rolle. In einigen Umweltgesetzen der Länder wurde zwischenzeitlich sogar der Vorrang
verwaltungsvertraglichen Handelns vor dem Handeln durch Verwaltungsakt festgeschrieben. Der Vorteil eines Handelns durch Verwaltungsvertrag besteht darin, dass durch die vertragliche Einbeziehung
des Bürgers eine größere Akzeptanz für umweltpolitische Zielsetzungen
erreicht werden kann und damit insgesamt der Vollzug des Umweltrechts verbessert wird. Aus der Sicht eines Landwirts etwa ist es von
psychologischer Bedeutung, ob er bloß Adressat einer einseitigen hoheitlichen Verfügung (Verwaltungsakt) wird, die ihm aufgibt, eine bestimmte, in einem Naturschutzgebiet liegende Wiese statt viermal nur
noch zweimal im Jahr zu mähen (damit sich dort bestimmte Insektenpopulationen in Ruhe entwickeln können) oder ob er diese Entscheidung durch Vertrag mit der Umweltschutzbehörde freiwillig ausgehandelt und akzeptiert hat. Der Vorteil eines Vertrags bestünde zugleich
darin, dass in diesem eventuelle Entschädigungsleistungen (wenn der
Landwirt weniger mäht, muss er ggf. Futter für seine Tiere zukaufen)
und sonstige Nebenleistungen (z.B. Installation von Bruteinrichtungen,
das Anlegen von Tümpeln etc.) geregelt werden könnte.
Die nach wie vor wichtigste Handlungsform für Hoheitsträger zur Gestaltung öffentlich-rechtlicher Rechtsverhältnisse ist der Verwaltungsakt.
In zunehmendem Maße also führen Behörden jedoch verwaltungsrechtliche Rechtsfolgen nicht mehr einseitig herbei, sondern legen diese einvernehmlich und auf partnerschaftlicher Ebene mit den Beteiligten fest.
StOVR Christina Mayer
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95
Als weiteres Beispiel sie hier die Festsetzung der Abluftwerte und
Schutzvorkehrungen eines chemischen Betriebs genannt, die nicht
durch immissionsschutzrechtliche Auflagen festgesetzt werden, sondern zwischen Genehmigungsbehörde und Betreiber einvernehmlich
besprochen und festgelegt.
Die Beteiligten handeln dann zwar auf dem Gebiet des öffentlichen
Rechts, regeln ihre Rechtsbeziehungen aber vertraulich, nämlich durch
öffentlich-rechtlichen Vertrag. So verstanden, bedeutet der öffentlichrechtliche Vertrag die Setzung von Rechtsfolgen des öffentlichen
Rechts durch Einigung von mindestens zwei Rechtssubjekten.
Vom zivilrechtlichen Vertrag unterscheidet sich der öffentlich-rechtliche
Vertrag dadurch, dass sein Gegenstand dem öffentlichen Recht angehört.
Beispiel: Die Gemeinde kauft von einem Bürger ein Grundstück zum
Neubau einer Ortsumgehungsstraße Der Kaufpreis wird durch zivilrechtlichen Vertrag vereinbart (§ 433 Abs. 2 BGB).
Bei Veränderung des Falles: Gemeinde und Bürger können sich zunächst nicht einigen, die Gemeinde beantragt die Enteignung des
Grundstücks. Im Zuge des Enteignungsverfahrens (förmliches Verwaltungsverfahren) einigen sich die Verfahrensbeteiligten über die Höhe
der Enteignungsentschädigung. Die Einigung über diese öffentlich-rechtlich geregelte Entschädigung (d. h. über einen Gegenstand
des öffentlichen Rechts) ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag.
Während die Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge vor Erlass der
Verwaltungsverfahrensgesetze durchaus umstritten war, normieren
heute die §§ 54 ff VwVfG den öffentlich-rechtlichen Vertrag als eine
mögliche Form des Verwaltungshandelns. Er ist neben dem Verwaltungsakt zulässiges Endprodukt eines Verwaltungsverfahrens, § 9
VwVfG. Damit gelten auch die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsverfahrens für den öffentlich-rechtlichen Vertrag.
Beispiel:
Auch für den öffentlich-rechtlichen Vertrag ist die Amtssprache deutsch
(§ 23 VwVfG); beim Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags
kann sich der Bürger durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen (§
14 VwVfG) etc.
Allerdings regelt das Verwaltungsverfahrengesetz den öffentlich-rechtlichen Vertrag nicht vollständig und abschließend. Es setzt
vielmehr den Begriff des Vertrags als aus dem Zivilrecht her bekannt
voraus und verweist auch im Hinblick auf das allgemeine Vertragsrecht
ergänzend auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Beispiel:
Das Zustandekommen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags setzt Angebot und Annahme voraus (§§ 145 ff. BGB); grundsätzlich anwendbar
sind ferner die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Erfüllung,
Unmöglichkeit, Verzug und sonstige Leistungsstörungen sowie die Re-
StOVR Christina Mayer
Skript zum Verwaltungsrecht
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geln über Schadenersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss und positiver Vertragsverletzung.
2. Begriffsmerkmale des Verwaltungsvertrags
Die Begriffsmerkmale des Verwaltungsvertrags ergeben sich aus § 54
VwVfG. Im Wesentlichen sind dies:
a. Vertragliche Regelung
Die Parteien müssen eine vertragliche Regelung anstreben, d.h. sie
müssen aufeinander bezogene Willenserklärungen abgeben, die auf die
Setzung einer Rechtsfolge gerichtet sind. Entscheidend für den vertraglichen Charakter ist dabei, dass die Vertragsparteien auf den Inhalt des
Vertrags Einfluss nehmen können. In diesem Merkmal unterschiedet
sich der Verwaltungsvertrag vom sog. „mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt“: Hierbei handelt es sich um eine einseitige Regelung, die lediglich von bestimmten Mitwirkungshandlungen des Betroffenen (z.B.
einer Antragstellung) abhängt, ohne dass der Betroffene auf den Inhalt
des Verwaltungsakts Einfluss nehmen könnte.
b. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
Hierbei handelt es sich um ein Merkmal, das uns bereits im Rahmen
des § 35 VwVfG (Begriff des Verwaltungsakts) begegnet ist. Der Gegenstand des Verwaltungsvertrags muss sich folglich auf einen Sachverhalt beziehen, der einem öffentlich-rechtlichen Bereich zu zuordnen
ist. Ob sich ein Verwaltungsvertrag auf einen öffentlich-rechtlich geregelten Sachverhalt bezieht, kann mitunter schwierig zu bestimmen sein.
Probleme bereiten in diesem Kontext vor allem die sog. „gemischten
Verträge“.
3. Die Arten öffentlich-rechtlicher Vertragsbeziehungen – Die
öffentlich-rechtlichen Vertragstypen
Vertragsfreiheit und Rechtsstaatsprinzip
Der tragende Grundsatz des zivilen Vertragsrechts ist die Vertragsfreiheit. Zivilrechtspartner können grundsätzlich frei entscheiden. ob sie
Verträge abschließen (Abschlussfreiheit) und welchen Inhalt die Verträge haben (Inhaltsfreiheit). Für den Hoheitsträger wird dieser allgemeine
vertragsrechtliche Grundsatz durch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20
Abs. 3 GG), insbesondere den Gesetzmäßigkeitsgrundsatz beschränkt.
Daher sind gemäß § 54 Satz 1 VwVfG öffentlich-rechtliche Verträge nur
zulässig soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen.
Der Vorbehalt des Gesetzes verbietet öffentlich-rechtliche Verträge, die
wegen ihrer Form oder ihres Inhalts der Rechtsordnung (einfache Gesetze, Verordnungen, Satzungen) zuwiderlaufen.
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Bespiel:
Beamtenrechtliche Ernennungen und Einbürgerungen können nicht
durch öffentlich-rechtlichen Vertrag geregelt werden, da in beiden Fällen gesetzlich zwingend als Handlungsform die Aushändigung einer
Urkunde vorgeschrieben ist. Die Gemeinde darf sich nicht durch öffentlich-rechtlichen Vertrag verpflichten, einen Bebauungsplan mit einem
bestimmten Inhalt zu erlassen, da § 2 Abs. 3 BauGB ausdrücklich Ansprüche einzelner auf Bauleitplanung ausschließt.
Das Rechtsstaatsprinzip bedeutet ferner, dass auch die sonstigen allgemeinen Grundsätze des Verwaltungshandelns beim Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge beachtet werden müssen (z.B. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Übermaßverbot, Gleichbehandlungsgrundsatz,
Willkürverbot).
Beispiel:
Die Gemeinde darf für ihr Einvernehmen zu einem Bauvorhaben vom
Bauherrn im Rahmen eines auch ansonsten zulässigen Nachfolgelastenvertrags keine höheren Leistungen verlangen, als ihr an Folgekosten
für Infrastrukturmaßnahmen entstehen.
Innerhalb der genannten Grenzen steht es jedoch im pflichtgemäßen
Ermessen (§ 40 VwVfG – siehe insoweit auch die Ausführungen zum
Ermessen) der Behörde, ob, mit wem und mit welchem Inhalt sie einen
öffentlich-rechtlichen Vertrag schließt.
In den Grenzen des Rechtsstaatsprinzips gilt auch für den öffentlich-rechtlichen Vertrag der Grundsatz der Typenfreiheit. Anders als das
Bürgerliche Gesetzbuch, das in seinem schuldrechtlichen Teil einige
wesentliche Vertragstypen nach dem jeweiligen Vertragsinhalt unterscheidet (Kauf, Miete, Pacht, Dienst- oder Werkvertrag etc.), differenziert das VwVfG keine öffentlich-rechtlich Vertragstypen nach ihrem
Inhalt.
In der verwaltungsrechtlichen Literatur werden die öffentlich-rechtlichen
Verträge zumeist nach dem Verhältnis eingeteilt, in dem die Beteiligten
zueinander stehen. In diesem Sinne unterscheidet man den koordinationsrechtlichen Vertrag und den subordinationsrechtlichen Vertrag.
Zum koordinationsrechtlichen Vertrag :
Dies ist derjenige öffentlich-rechtliche Vertrag, bei dem die Beteiligten
gleichgeordnet sind. In der Regel handelt es sich dabei um öffentlich-rechtliche Vereinbarungen unter Verwaltungsträgern.
Beispiel:
Die Stadt KL und die Stadt Otterberg schließen eine Zweckvereinbarung nach dem Zweckverbandsgesetz über die Mitbenutzung des städtischen Klärwerks.
b. Zum subordinationsrechtlichen Vertrag :
Dieser liegt vor, wenn sich die Vertragspartner normalerweise im Verhältnis der Über-/Unterordnung gegenüberstehen. In der Regel handelt
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es sich dabei um öffentlich-rechtliche Verträge zwischen Verwaltungsträger und Bürger.
Beispiel:
Vertrag zwischen Staat und Privatunternehmer über Subventionen zur
Betriebsansiedlung; Vereinbarung über die Vorauszahlung von Erschließungskosten.
§ 54 Satz 2 VwVfG umschreibt diesen Vertrag wie folgt: „Insbesondere
kann die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst
den Verwaltungsakt richten würde.“
Unterfälle des subordinationsrechtlichen Vertrags sind der Vergleichsvertrag (§ 55 VwVfG) und der Austauschvertrag (§ 56 VwVfG).
Aus der möglichen Fülle subordinationsrechtlicher Verträge regeln die
§§ 55 und 56 VwVfG also zwei besonders häufte Fallkonstellationen:
Die typische Situation des Austauschvertrags (§ 56 VwVfG) besteht
darin, dass die Verwaltung auf die Leistung eines Bürgers hin eine Gegenleistung erbringt.
Um in diesen Fällen ungerechtfertigte Begünstigungen des Bürgers
auszuschließen (»Gefahr des Ausverkaufs von Hoheitsrechten«, amtliche Begründung zu § 56 VwVfG), aber auch um den Bürger davor zu
schützen, dass ihm Leistungen abverlangt werden, zu denen er rechtlich nicht verpflichtet ist, gelten für subordinationsrechtliche Austauschverträge gemäß § 56 VwVfG folgende einschränkende Regelungen:
Die Leistung des Bürgers muss im Vertrag ausdrücklich benannt sein,
zur Erfüllung der öffentlichen Aufgaben der Behörde dienen, angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der Behördenleistung
stehen; im Vollzug zwingender Normen müsste die Behörde auch berechtigt sein, die Leistung des Bürgers durch Nebenbestimmung zu einem entsprechenden Verwaltungsakt zu fordern.
Beim Vergleichsvertrag (§ 55 VwVfG) legen Verwaltung und Bürger
tatsächliche oder rechtliche Ungewissheiten dadurch bei, dass sie im
Wege gegenseitigen Nachgebens eine Kompromisslösung erzielen.
Dies kann dem Rechtsfrieden dienen und langwierige Rechtsbehelfsverfahren vermeiden.
Beispiel:
Zwischen der Gemeinde und dem Bürger ist streitig, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe eine öffentlich-rechtliche Geldforderung der
Gemeinde fällig geworden ist. Zur Vermeidung eines Widerspruchsverfahrens einigen sich die Beteiligten auf einen Betrag, der in vergleichbaren Fällen gefordert und bezahlt worden war.
Der Prozessvergleich vor dem Verwaltungsgericht (§ 106 VwGO) ist in
materiell-rechtlicher Hinsicht ein öffentlich-rechtlicher Vertrag. Über den
Abschluss eines Vergleichsvertrags kann die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 40 VwVfG) entscheiden. Dabei muss sie einerseits den Verfahrensaufwand und das mögliche Prozessrisiko, anderer-
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seits aber auch den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Willkürverbot
beachten.
4. Der Abschluss – das Zustandekommen des öffentlich
rechtlichen Vertrags
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Verwaltungsvertrag zustande kommt, wenn dem Abschluss des Vertrags keine sog. Handlungsformverbote entgegenstehen und der Vertrag bestimmte formelle
und materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen beachtet.
In analoger Anwendung der §§ 145 ff BGB kommt auch der öffentliche
Vertrag durch Angebot und Annahme zustande. Dabei ist es gleichgültig, ob sich die Behörde in der Rolle des Anbietenden oder des Annehmenden befindet.
Handlungsformverbote sind im § 54 Satz 1 VwVfG normiert, nämlich
dass ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden kann, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Hierbei handelt es sich
um eine Ausprägung des Grundsatzes vom Vorrang des Gesetzes (Art.
20 Abs. 3 GG). Selbstverständlich muss die Verwaltung bei Vertragsabschluß Rechtsvorschriften, die einem Vertrag entgegenstehen könnten, beachten. Hierzu gehören insbesondere Handlungsformverbote,
die es der Verwaltung untersagen, eine Verwaltungshandlung durch die
Handlungsform „Verwaltungsvertrag“ umzusetzen. Gesetzlich explizit
geregelte Handlungsformverbote ergeben sich etwa aus dem Beamtenrecht: Dieses sieht vor, dass Ernennungen, Beförderungen, Gehaltserhöhungen oder sonstige Zusagen nicht durch Vertrag festgelegt werden
dürfen. Das Beamtenrecht ist insofern formstreng und sieht in der Regel
ein Handeln durch Verwaltungsakt vor (der Beamte wird durch Verwaltungsakt ernannt bzw. befördert; Fragen des Gehalts bzw. der Gehaltserhöhung sind abschließend durch Gesetz geregelt).
In zahlreichen Rechtsgebieten sind solche Handlungsformverbote allerdings nicht ausdrücklich geregelt, sondern ergeben sich aus dem gesetzlichen Gesamtzusammenhang. Dies gilt insbesondere für das
Steuer- und Abgabenrecht: Es dürfte einleuchten, dass die Steuer- und
Abgabenlast gesetzlich für jedermann in gleicher Weise festgesetzt
werden muss und nicht zwischen der Abgabenverwaltung und dem Abgabenschuldner individuell vertraglich ausgehandelt werden kann. Dies
würde potente Steuerschuldner über Gebühr begünstigen. Der Grundsatz der Steuergleichheit wäre durch eine solche Handlungsform gefährdet. Auch im Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungsrecht kann
nur durch Verwaltungsakt, nicht hingegen durch Verwaltungsvertrag
gehandelt werden. Ob jemand Bürger dieser Republik ist oder wird, ist
kein tauglicher Gegenstand einer vertraglichen Abrede.
Die Behörde muss für den Gegenstand des öffentlich-rechtlichen Vertrags sachlich und örtlich zuständig sein. Die sachliche Zuständigkeit
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ergibt sich dabei in der Regel aus den betreffenden Bestimmungen des
besonderen Verwaltungsrechts, die örtliche Zuständigkeit aus § 3
VwVfG, soweit nicht spezialgesetzliche Regelungen vorgehen.
Der zivilrechtliche Vertrag ist grundsätzlich formfrei. Für den öffentlich-rechtlichen Vertrag ist gemäß § 57 VwVfG jedoch die Schriftform
erforderlich. Für den Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge gelten
neben den analog anzuwendenden Vorschriften des Zivilrechts die allgemeinen Verfahrensgrundsätze des VwVfG. Wenn ein öffentlich-rechtlicher Vertrag allerdings in Rechte Dritter eingreift, wird er erst
wirksam, wenn der Dritte schriftlich zustimmt (§ 58 Abs. 1 VwVfG).
Beispiel:
Mit öffentlich-rechtlichem Vertrag kann eine Baugenehmigung, die
nachbarschützende Rechte berührt, erst wirksam vereinbart werden,
wenn die schriftliche Zustimmung des Nachbarn vorliegt.
Dasselbe gilt, wenn im Verwaltungsverfahren vor Vertragsabschluß die
Mitwirkung einer weiteren Behörde erforderlich ist (§ 58 Abs. 2 VwVfG).
Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen: Diese werden in den
§§ 57, 58 VwVfG geregelt und sind aus sich selbst heraus verständlich.
Materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen: Zunächst einmal muss ein
wirksamer Vertragsschluss zwischen den Parteien vorliegen. Dies regelt sich gem. § 62 Satz 2 VwVfG nach den Bestimmungen des BGB
(s. oben). Darüber hinaus statuieren der § 55 VwVfG (Vergleichsvertrag) und der § 56 VwVfG (Austauschvertrag) weitere Rechtmäßigkeitsanforderungen für die dort geregelten Vertragstypen.
5. Rechtsfolgen bei Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsvertrags
Wie sich aus § 54 Satz 1 VwVfG ergibt, muss die Behörde den Vorrang
des Gesetzes beachten. Dementsprechend stellt sich die Frage, welches rechtliche Schicksal dem Verwaltungsvertrag zuteil wird, wenn
gegen diesen Grundsatz verstoßen wird. Wie wir bereits gesehen haben, ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt grundsätzlich wirksam, kann
allerdings unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. in einem Widerspruchs- oder Klageverfahren) aufgehoben werden. Lediglich der nichtige Verwaltungsakt ist gem. § 43 Abs. 3 i.V.m. § 44 VwVfG unwirksam.
Ähnlich wie beim Verwaltungsakt sind formelle und materielle Fehler
denkbar.
Beispiel:
Der öffentlich-rechtliche Vertrag wird nicht schriftlich geschlossen (formeller Fehler); die Behörde lässt sich eine unzulässige Gegenleistung
versprechen (§ 56 VwVfG, materieller Fehler).
Während jedoch beim Verwaltungsakt der Rechtsfehler verschiedene
Folgen nach sich ziehen kann (Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit), hat der
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Rechtsfehler beim öffentlich-rechtlichen Vertrag entweder überhaupt
keine Folge (der Vertrag ist trotzdem voll wirksam) oder er führt zur
Nichtigkeit des Vertrags (der Vertrag ist unwirksam). Wann ein Rechtsfehler zur Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags führt, regelt §
59 VwVfG.
Aus dieser Regelung lässt sich entnehmen, dass ein Verwaltungsvertrag unter den dort genannten Voraussetzungen nichtig (unwirksam)
und damit für die Vertragspartner unbeachtlich ist. Ein Verwaltungsvertrag, der gegen eine gesetzliche Bestimmung verstößt, ohne nichtig im
Sinne des § 59 VwVfG zu sein, ist damit wirksam. Im Gegensatz zum
Verwaltungsakt fehlt es allerdings an einer gesetzlich vorgesehenen
Möglichkeit, einen rechtswidrigen (aber nicht nichtigen) Verwaltungsvertrag aufzuheben. Die Vertragspartner müssten sich deshalb einvernehmlich auf eine Aufhebung einigen; ggf. haben sie für diesen Fall
einen Kündigungsgrund zum Vertragsinhalt erhoben.
Nichtig ist also ein öffentlich-rechtlicher Vertrag in denjenigen Fällen, in
denen auch ein zivilrechtlicher Vertrag nichtig wäre, § 59 Abs. 1 VwVfG.
Beispiel:
Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 BGB); Vertrag auf eine objektiv unmögliche Leistung (§ 306
BGB); angefochtener Vertrag (§§ 119 ff. BGB); Vertrag, der nicht in der
gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform geschlossen ist (§ 125 BGB, §
57 VwVfG). Typischerweise sind dies die oben bereits beschriebenen
Handlungsformverbote. Beispiel: Der Behördenleiter einigt sich mit einem seiner Beamten darauf, diesem ab dem 1.1. mehr Gehalt zu zahlen. Da dieser Vertrag gegen ein gesetzlich normiertes Handlungsformverbot des Beamtenrechts verstieße, wäre er gem. § 59 Abs. 1 i.V.m.
§ 134 BGB nichtig.
Der subordinationsrechtliche Vertrag ist darüber hinaus nichtig, wenn
einer der in § 59 Abs. 2 VwVfG abschließend genannten Nichtigkeitsgründe vorliegt.
Öffentlich-rechtliche Verträge sind nur zum Teil nichtig, wenn der wirksame Teil des Vertrags noch dem Willen der Beteiligten entspricht (§ 59
Abs. 3 VwVfG).
Weitere Nichtigkeitsgründe normiert § 59 Abs. 2 VwVfG. Von Interesse
ist hier etwa § 59 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG: Die Behörde lässt sich eine nach
§ 56 VwVfG unzulässige Gegenleistung versprechen (Koppelungsverbot!). Beispiel: In einem Vertrag einigen sich die Baugenehmigungsbehörde und der Bauherr darauf, dass die Baugenehmigungsbehörde eine Baugenehmigung erteilen wird und der Bauherr der Behörde dafür
einen Teil seines Grundstücks abtritt. Die Gegenleistung, die der Bauherr versprechen muss, ist gem. § 56 Satz 2 den gesamten Umständen
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nach unangemessen und steht in keinem sachlichen Zusammenhang
zur Leistung der Baugenehmigungsbehörde (Erteilung der Baugenehmigung). Ein solcher Vertrag wäre folglich gem. § 59 Abs. 2 Nr. 4
VwVfG nichtig und damit unbeachtlich.
6. Anpassung und Kündigung öffentlich-rechtlicher Verträge
Auch für den öffentlich-rechtlichen Vertrag gilt der Grundsatz der Vertragstreue; die Beteiligten sind an den einmal geschlossenen Vertrag
zunächst gebunden (»pacta sunt servanda«, lateinisch, d. h. »Verträge
sind einzuhalten«). Gerade bei langfristigen Vertragsbeziehungen oder
Verträgen auf unbestimmte Zeit können sich aber die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so weitgehend verändern, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen Regelung nicht mehr
zuzumuten ist.
Beispiel:
Eine Stadt regelt mit einer Nachbargemeinde durch Zweckvereinbarung
die Übernahme des gemeindlichen Abwassers zur Behandlung im städtischen Klärwerk. Nach 20 Betriebs- und Vertragsjahren ist das Klärwerk hoffnungslos überaltert und kann auch die zwischenzeitlich gestiegenen abwasserrechtlichen Anforderungen nicht mehr erfüllen. Es
ist eine kostenintensive Generalsanierung erforderlich. Die in der seinerzeitigen Zweckvereinbarung festgelegten Betriebskostenzuschüsse
der Gemeinde decken nur einen verschwindenden Bruchteil der Sanierungskosten.
Gemäß § 60 Abs. 1 VwVfG kann der Grundsatz der Vertragstreue bei
wesentlicher Veränderung der vertraglichen Grundlagen durchbrochen
werden, um untragbare, mit Recht und Gerechtigkeit unvereinbare Ergebnisse im öffentlichen Interesse zu vermeiden. Dabei ist zunächst
nach Möglichkeiten zu suchen, den Vertrag an die geänderten Verhältnisse anzupassen.
Ist eine Anpassung des Vertrags rechtlich oder tatsächlich nicht möglich
oder einem der Beteiligten nicht zuzumuten, kann der betreffende Beteiligte den Vertrag kündigen.
Über § 60 Abs. 1 VwVfG hinaus können im öffentlich-rechtlichen Vertrag Anpassungs- und Kündigungsregelungen vereinbart werden.
Beispiele:
Preisgleitklauseln; Festlegung von Kündigungsgründen und -fristen.
Die Kündigung des öffentlich-rechtlichen Vertrags bedarf der Schriftform, sie soll ferner begründet werden (§ 60 Abs. 2 VwVfG). Die Kündigung ist eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Sie besitzt nicht den
Charakter eines Verwaltungsakts.
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7. Die Durchsetzung öffentlich - rechtlicher Vertragspflichten
Im Regelfall erfüllen die Beteiligten ihre öffentlich-rechtlichen Vertragspflichten freiwillig. Damit erlöschen die gegenseitigen Verpflichtungen in
entsprechender Anwendung der §§ 362 ff. BGB.
Will ein Beteiligter erforderlichenfalls seine Rechte aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag zwangsweise durchsetzen, muss er Klage erheben, um sich durch das Urteil einen Vollstreckungstitel zu verschaffen; insbesondere steht der Behörde in diesem Kontext kein Vollstreckungsprivileg per Verwaltungsakt zu. Für die Klage (allgemeine Leistungsklage) ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben (§ 40 VwGO).
Insbesondere ist es der Behörde nicht möglich, öffentlich-rechtliche
Vertragspflichten durch Verwaltungsakt (Leistungsbescheid) geltend zu
machen. Urteile, die zu einer Leistung aus öffentlich-rechtlichem Vertrag verpflichten, können nach den normalen Vollstreckungsregeln der
Verwaltungsgerichtsordnung (§§ 167 ff. VwGO) vollstreckt werden.
Bei subordinationsrechtlichen Verträgen können sich die Beteiligten
gemäß § 61 VwVfG im Vertrag auch der sofortigen Vollstreckung unterwerfen.
XIV. Vollstreckung von Verwaltungsakten
1.
Überblick
Die Verwaltung genießt ein sog. „Vollstreckungsprivileg“: Steht der
Verwaltung gegen einen Bürger ein Geldzahlungsanspruch zu oder
kann sie vom Bürger ein Handeln, Dulden oder Unterlassen fordern, so
darf sie im Falle der Nichtbefolgung diese Verpflichtungen im Wege der
Verwaltungsvollstreckung zwangsweise durchsetzen. Das Finanzamt
etwa könnte eine Steuerschuld, die dem Bürger durch einen Steuerbescheid auferlegt wurde, zwangsweise beitreiben; die für die Gewerbeaufsicht zuständige Behörde (die nicht mit dem Gewerbeaufsichtsamt
zu verwechseln ist) könnte eine Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO
zwangsweise durchsetzen.
Da die zwangsweise Durchsetzung eines Verwaltungsakts zu einem
belastenden Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers führt, bedarf sie
einer gesetzlichen Grundlage. Wird ein Verwaltungsakt durch eine Behörde des Bundes vollstreckt, so gilt das Bundesverwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG), wird der Verwaltungsakt durch Landebehörden
vollstreckt, gilt das jeweilige Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz.
Die Vollstreckung von Polizeiverfügungen, insbesondere der „finale Todesschuss“, ist teilweise in den Polizeigesetzen der Länder geregelt.
Die Verwaltungsvollstreckungsgesetze der Länder und des Bundes haben im Wesentlichen den gleichen Inhalt. Insbesondere unterscheiden
alle Vollstreckungsgesetze zwischen der Vollstreckung öffentlich-
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rechtlicher Geldforderungen und der Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen. Auf den letztgenannten Vollstreckungstypus soll nachfolgen näher eingegangen werden:
2. Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen
Verwaltungsakte, die ein Handeln, Dulden oder Unterlassen vorschreiben, gibt es in nahezu allen Lebensbereichen.
Dem Eigentümer eines baufälligen Hauses wird der Abriss befohlen
(Handeln). Dem Grundstückseigentümer wird aufgegeben, Messungen
seitens des Umweltamts auf seinem Grundstück zu dulden, da dort Altlasten vermutet werden. Dem Betreiber einer Spielhalle ohne die erforderliche Konzession (s. § 33c GewO) wird aufgegeben, seinen Betrieb
einzustellen (Unterlassung).
Feststellende Verwaltungsakte sind demgegenüber kraft ihrer Natur
nicht vollstreckbar; es mangelt ihnen an einem vollstreckungsfähigen
Inhalt. Vollstreckungsmaßnahmen sind erst zulässig, wenn der „Titel“,
also der Verwaltungsakt, vollstreckbar geworden ist. Dies ist dann der
Fall, wenn er unanfechtbar ist, seine sofortige Vollziehung angeordnet
wurde (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) oder wenn einem Rechtsmittel keine
aufschiebende Wirkung zukommt (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO). Ob
der zu vollstreckende Verwaltungsakt dabei rechtmäßig oder rechtswidrig ist, spielt im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich keine Rolle. Siehe hierzu auch die Ausführungen oben zur Wirksamkeit des Verwaltungsaktes.
Das Vollstreckungsverfahren selbst ist dreistufig: Zunächst muss dem
Bürger, der dem vollstreckbaren Verwaltungsakt keine Folge leistet, ein
bestimmtes Zwangsmittel angedroht werden (man zeigt ihm quasi die
„gelbe Karte“). Wenn der Betroffene auch danach der Rechtsfolgenanordnung des Verwaltungsakts keine Folge leistet, muss die Vollzugsbehörde in einem zweiten Schritt das angedrohte Zwangsmittel festsetzen
(„rote Karte“). Sowohl bei der Androhung als auch bei der Festsetzung
handelt es sich um selbständige Verwaltungsakte. Nach der Festsetzung wird das angedrohte Zwangsmittel sodann angewendet (= Realakt).
Es gibt allerdings auch Fälle, in denen die Verwaltung ein Zwangsmittel
anwenden kann, ohne zuvor eine vollstreckbare Gebots- oder Verbotsverfügung erlassen zu müssen. Dieser sog. „sofortige Vollzug“ ist dann
zulässig, wenn dies zur Abwendung einer drohenden Gefahr notwendig
ist und die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse
handelt.
Beispiele:
Der PKW des A, der unbekannten Aufenthalts ist, versperrt die Feuerwehreinfahrt zu einem brennenden Haus. Die Polizei lässt seinen PKW
daraufhin umsetzen.
Die Bauaufsichtsbehörde beauftragt einen Unternehmer mit dem sofortigen Abriss eines Schornsteins auf dem Hause des E, da dieser jeder-
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zeit einzustürzen droht.
Der Verwaltung steht dabei ein numerus clausus an Zwangsmitteln zur
Verfügung, die sie unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auszuwählen hat : Handelt es sich um eine vertretbare Handlung (= Handlung, deren Vornahme durch einen anderen möglich ist), so kann die
Vollzugsbehörde einen Dritten mit der Vornahme der Handlung auf
Kosten des Pflichtigen beauftragen (sog. Ersatzvornahme – vgl. hierzu
das „Schornstein“-Beispiel). Sie kann gegen den Betroffenen aber auch
ein Zwangsgeld verhängen; zum Beispiel gegen den Spielhallenbetreiber S, weil dieser sich nicht an die Gewerbeuntersagung hält. Die Behörde kann nun – Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung vorausgesetzt – gegen den Gewerbetreibenden ein Zwangsgeld androhen,
festsetzen und beitreiben. Diese Zwangsgeldandrohung und Zwangsgeldfestsetzung wird solange wiederholt, bis S den Betrieb endlich aufgibt. Handelt es sich um eine unvertretbare Handlung (z.B. die Abgabe
einer Willenserklärung), so kann die Vollzugsbehörde nur das Zwangsmittel des Zwangsgeldes zum Einsatz bringen. Das schärfste Zwangsmittel, das den Vollzugsbehörden zu Gebote steht, ist der sog. Unmittelbare Zwang. Führt die Ersatzvornahme oder das Zwangsgeld nicht
zum Ziel oder sind sie „untunlich“, so kann die Behörde den Pflichtigen
zur Handlung, Duldung oder Unterlassung auch durch unmittelbaren
Zwang zwingen.
Beispiele: 1. Die Polizei erteilt dem am Holocaust-Denkmal in Berlin
„pöbelnden Glatzkopf“ G einen Platzverweis, da er die Würde und Andächtigkeit des Denkmals stört. Leistet G dieser Anordnung keine Folge, so kann er von der Polizei mit physischer Gewalt (= unmittelbarer
Zwang) aus dem Denkmalsbereich entfernt werden. 2. Der Geiselnehmer G wird nach mehrfacher polizeilicher Aufforderung, seine Geisel
freizulassen und sich zu ergeben, durch einen „finalen Todesschuss
unschädlich gemacht“, da die Einsatzkräfte befürchten müssen, dass er
eine ernsthafte Bedrohung für das Leben der Geisel darstellt.
- Achtung – Text nicht vollständig – wird fortgesetzt – bei Gelegenheit!!!

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