IdS - In den Seilen

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IdS - In den Seilen
IdS - In den Seilen
Ungefragte Informationen aus dem Profiboxen. Nummer Zwei, 4.6.2005
I. Editorial
Liebe Leserinnen und Leser!
IdS zieht ebenso erfreuliche wie seltsame Kreise. Nach der letzten Ausgabe
erreichten die Redaktion zwei Anfragen. Die erste kam von einer jungen
Webseitenverschönerin. Sie bot an, den unansehnlichen Textschlauch von IdS zu
renovieren, in ein PdF-Format zu übertragen, vielleicht mit Logo und Bildern zu
versehen. Natürlich wurde das Angebot angenommen. Ab der nächsten Ausgabe
erreichen Sie also nicht nur ungefragte, sondern auch lesbare und optisch
ansprechende Informationen aus dem Profiboxen!
Die zweite Anfrage war noch überraschender. Ein Berliner Nachtclubbetreiber fragte
an, ob IdS als Gastgeber und Veranstalter einer monatlichen „Boxlounge“ in seinem
Etablissement anheuern möchte. Die Verhandlungen laufen, Neues wissen Sie als
erste!
Zum Tagesgeschäft: Die heutige Ausgabe beschäftigt sich mit dem DSF, seiner Suche
nach dem „Boxxstar“ und natürlich dem Sieger der Veranstaltung.
Dazu gibt es die üblichen Rubriken „Bout of the week“ und „Fäuste im Fernsehen“
sowie als Neuerung: „Der große große IdS-Kommentar“.
Nun geht in eure Ecken und kommt lesend zurück!
II. Boxxstar – Wie wird man das eigentlich?
Wie die beiden großen Konkurrenten ARD und ZDF zeigt auch das „Deutsche
Sportfernsehen“ (DSF) regelmäßig Liveberichte von Box-Abenden. Während die ARD
mit dem Kölner Sauerland-Boxstall und das ZDF mit der Universum-Promotion aus
Hamburg zusammenarbeitet, veranstaltet die „Sport Events Steinforth“ (SES) aus
Magdeburg, Deutschlands drittgrößtes Profibox-Unternehmen, rund ein halbes
Dutzend Mal jährlich exklusiv für das DSF. Doch wo die großen Sender mit Regina
Halmich und den Klitschko-Brüdern um Marktanteile buhlen, heißen die Stars des
Sportfernsehens Dirk Dzemski und Marco Schulze – nur hart gesottene Fans kennen
diese Namen. Kein Wunder, dass die Zuschauerzahlen im Jahr 2004 nur selten über
250.000 lagen.
Also erfand man im Januar bei dem Münchner Sender das Format „Deutschland
sucht den Boxxstar“, das sich lose an die vielen Suchen nach dem „Super-“, „Teen-„
oder sonstigen –star der letzten Jahre anlehnte. Jeder Mann durfte sich unter
Einsendung eines Fotos, eines Führungszeugnisses und einer ärztlichen
Unbedenklichkeitserklärung bewerben. Rund 1500 Interessierte folgten diesem
Aufruf. SES uns DEF wählten vier Kandidaten aus, verpassten ihnen Kampfnamen
wie „Der Bomber“ oder „The Dragon“ und ließen sie am 2. April in Velten bei Berlin
gegeneinander antreten. Nach den Kämpfen hatten die Zuschauer per Telefonanruf
die Wahl, welcher der vier Männer der „Boxxstar“ sein sollte.
Serdar Sahin, ein Deutsch-Türke aus Berlin, gewann nicht nur seinen Kampf, sondern
auch die Telefonabstimmung. Weil der Schwergewichtler mit der Erfahrung aus 20
Amateurkämpfen auch im Training überzeugte, darf er am 4.6. in Aschersleben
seinen ersten Profikampf bestreiten. DSF überträgt live ab 22.15 Uhr. Und da die
Boxxstar-Kämpfe dem DSF eine Quote von gut 400.000 Zuschauern brachte, laufen
bereits die Vorbereitungen für die nächste Suche. Schon in diesem Monat soll sie
starten.
III. Boxxstar – und dann?
„Während des Kampfes spüre ich keine Schmerzen. Ich weiß nur: Der andere wird
auf jeden Fall verlieren!“ Serdar Sahin sagt Dinge, die man von einem jungen
Profiboxer erwartet.
Im ersten Moment glaubt man ihm. Der 23 Jahre alte Deutsch-Türke Sahin ist 188
Zentimeter groß und 93 Kilo schwer, das Haar trägt er kurz rasiert. Doch dann fallen
einem seine braunen Augen auf, die den Gesprächspartner freundlich, fast brav
betrachten. Vor allem passt die Umgebung nicht für martialische Sprüche. Serdar
Sahin sitzt im Pausenraum des väterlichen Lebensmittelgeschäfts in Hakenfelde,
einer bürgerlichen Siedlung am nordwestlichen Stadtrand von Berlin. Seine drei
Schwestern und die milde lächelnde deutsche Mutter stehen um die Spüle herum.
Der Vater ist gerade unterwegs und kommt später dazu. Auf Sahins Platz saß eben
noch seine Großmutter. „Ich bin die Oma. Aber wenn man was von mir will, kann
man auch Omilein sagen“, hat sie sich vorgestellt. Jetzt bringt sie einen Teller mit
paniertem Schnitzel und Nudelsalat. Dass ihr Enkel während des Interviews nicht
essen will, ignoriert sie. Schließlich muss der Junge doch bei Kräften bleiben!
Immerhin ist er Sieger des Wettbewerbs „Deutschland sucht den Boxxstar“, der im
April unter großem Getöse im Deutschen Sportfernsehen ausgetragen wurde. Und
nun bereitet er sich gerade auf seinen ersten Kampf im Profiring vor. Am 4. Juni wird
es soweit sein.
Serdar Sahin schiebt den Teller beiseite. „Meine Vorbilder sind Leute wie Mike Tyson
und Joe Frazier.“ Die großen KO-Könige also? Sahin lacht. „Ja. So einer will ich auch
werden. Heute fightet doch keiner mehr richtig.“
Der Boxxstar ist in Berlin-Wedding groß geworden, einem Problembezirk mit hohem
Ausländeranteil. Vater Muammer, ein kleiner, wortgewandter Mann, wanderte 1969
aus der Türkei ein. Als Amateurboxer suchte er sich gleich einen Verein. Als Serdar
zehn Jahre alt war, meldete Muammer ihn im selben Verein an. „War wie ich. Ein
impulsiver Junge. Besser, dass er Boxen gelernt hat“, sagt sein Vater später, als sein
Sohn gerade nicht zuhört.
Mit 12 Jahren war Serdar Berliner Meister, zwei Jahre später nahm er an der
Deutschen Meisterschaft teil. Danach verschoben sich für einige Jahre seine
Prioritäten. Er machte eine Ausbildung zum Holz- und Bautenschützer. Als ihm die
Arbeit nicht gefiel, besorgte Vater Muammer eine Lehre zum IT-Systemkaufmann.
Doch auch im Computerladen blieb ein Traum: „Wir wollten immer Profi werden.“
Serdar Sahin sagt oft „wir“, wo andere Menschen „ich“ sagen würden. Ein anderes
Stück dieses „wir“ ist sein Vater. Seit wenigen Monaten ist noch ein dritter Teil dazu
gekommen: Der Berliner Boxtrainer Werner Papke.
Papke betreibt ein Profi-Gym in Moabit, dem Stadtteil südlich vom Wedding. Seine
Erfolge als Trainer sind unbestritten. Schon 1977 brachte er mit Jörg Eipel einen
Europameister hervor. Zwanzig Jahre später entdeckte er die Berliner Brüder
Trabant. Der ältere der beiden, Michel, erkämpfte ebenfalls den EuropameisterGürtel. Andererseits wurden die Methoden des mittlerweile 73jährige Papke immer
wieder angezweifelt: Eipel lag nach seiner ersten Titelverteidigung, vom Gegner
schwerstens getroffen, für drei Wochen im Koma und erholte sich davon nie wieder
ganz. Viele Experten sagten: weil der Trainer für den unerfahrenen, erst 20jährigen
Champion nicht das Handtuch warf. Während seiner gesamten Karriere kümmerte
Papke sich vorzugsweise um sehr junge Kämpfer, bei denen er regelmäßig darum
bemüht war, sie aus ihrer familiären Umgebung in seine Privatwohnung umzusiedeln.
Als Serdar Sahin zu Beginn des Jahres mit seinem Vater im Weddinger Gym erschien,
erkannte der Trainer sehr schnell sein Talent. Da der DSF gerade seine „Boxxstar“Kampagne begonnen hatte, telefonierte Papke mit der Magdeburger „Sport Events
Steinforth“, die als Promoter Kampfabende für den Sender veranstaltet. Da Papke
zuweilen als Trainer bei SES-Boxgalas arbeitet, war es kein Wunder, dass Serdar
Sahin unter die vier Kandidaten der Endausscheidung kam.
In der Küche hat sich mittlerweile Sahins kleinste Schwester, ein etwa achtjähriges
Mädchen, neben ihn gesetzt. Ob sie ihren Bruder schon einmal kämpfen sehen hat?
„Nur auf Video“ zieht sie die Nase kraus. Sahin legt ihr den Arm um die Schulter.
„Familie am Ring würde mich auch nur nervös machen!“ Bald wird er eine eigene
haben. Seine Frau Derya, die er 2004 heiratete, ist im achten Monat schwanger.
Auch am 2. April, als in Velten die vier Kandidaten zum Boxxstar-Endausscheid
aufeinander trafen, waren Papke und Muammer in Serdar Sahins Ecke. Er zeigte
einen guten Fight. Mutig, mit schnellen Reflexen und einer harten Rechten
beherrschte er seinen Gegner drei Runden lang. Damit war klar, dass er der Sieger
des Abends sein würde. Denn der andere Kampf, zwischen einem Tankwart und
einem ortsansässigen Felgenveredler, war eine Art Wirthausschlägerei. Rund um den
Ring wurde gemunkelt, welche Substanzen sich der Felgenveredler wohl vor dem
Kampf zugeführt hatte. Und wie viel davon. Als Preis bekam Sahin eine schmucklose
Urkunde und die Möglichkeit, bei SES in Magdeburg eine Woche lang zu trainieren.
Und einen Profivertrag zu erhalten, falls er sich dort bewährte.
Sahin bewährte sich. Und zwar so gut, dass SES ihn bei der nächsten Boxgala wieder
ins Programm genommen hat. Unmittelbar vor dem Hauptkampf am 4. Juni im
brandenburgischen Aschersleben wird er sein Profidebüt geben. Vier Runden gegen
Andreas Günther aus Halle, der ebenfalls den ersten Berufskampf bestreitet. Wieder
wird man ihn live im DSF sehen können. Wenn er gewinnt, ist er in den Wochen
danach für zwei weitere Kämpfe über vier Runden gebucht. Der ganz normale Alltag
eines Berufsboxers.
Serdar Sahin zieht nun doch den Teller zu sich. Ist er zufrieden mit dem bisherigen
Verlauf seiner Karriere? „Auf jeden Fall“ nickt er. „Ich will meinem Vater etwas
zurückgeben. Und dem Trainer. Der möchte noch einmal einen Champion raus
bringen.“ Dabei schaut er wieder so treuherzig, dass man die wichtigste Frage fast
vergisst. Was ist eigentlich für ihn das Schönste daran, Boxxstar geworden zu sein?
Er überlegt. „Geld ist nicht so wichtig. Aber viele Freunde kommen zu mir und sagen,
dass sie das toll finden. Ja, berühmt sein ist gut.“
Nach kurzem, eindrücklichem Nicken sagt Serdar Sahin noch eine Sache, die man
von einem jungen Profiboxer erwartet.
„Der Deutsche Meister 2006 heißt in meiner Gewichtsklasse Serdar Sahin! Zwei Jahre
später habe ich einen internationalen Gürtel“. Und wenn das nicht klappt, wird seine
Oma ihm bestimmt trotzdem noch Schnitzel mit Nudelsalat servieren.
(Beide Texte erscheinen zuerst in der NZZ am Sonntag)
IV. Der große große IdS-Kommentar
Heute: Dariusz Michalczewski tritt zurück
Hä! Hä! Hä!
V. Fäuste im Fernsehen
Sa, 11.6. Die ARD überträgt ab 22.40 Uhr eine Sauerland-Veranstaltung aus
Kempten.
Sinan Samil Sam (Tür) vs. Peter Okhello (Uganda) - WBC International Heavyweight
Title
Timo Hoffmann (D) vs. Michael Sprott (UK) – Vacant European Heavyweight Title
VI. Bout of the Week
Sa, 11.6. MCI Center, Washington DC, USA:
Mike Tyson (USA) – Kevin McBride (Irl) – No-Title-Fight, 10 Rounds
(könnte ja jedes Mal der letzte sein…)
VII. Vorschau
Für die nächste Ausgabe bemüht sich IdS um zwei Themen. Entweder Sie lesen ein
Gespräch zwischen Jeannette Witte - Ex-Europameisterin und WM-Herausforderin im
Super-Leichtgewicht - und der Schweizer Journalistin Susann Sitzler über den Film
„Million Dollar Baby“. Hochinteressant wäre das, weil Jeannette Witte gegen eine der
Protagonistinnen des Films um die WM gekämpft hat!
Oder IdS schafft es, ein Porträt über Roman Greenberg, die neue israelische
Hoffnung im Schwergewicht, an Land zu ziehen.
Die ungefragten Informationen werden zusammengetragen von Knud Kohr. Er ist
erreichbar unter [email protected]
Wenn Sie ihm eigene Informationen zuschicken wollen - gern! Aber seien Sie bitte
sparsam mit voluminösen Bildern. Knud Kohr ist ein einfacher Mann mit einem
einfachen ISDN-Anschluss. Die nächste Ausgabe von IdS erscheint irgendwann.

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