Überstellung nach Polen im Rahmen des Dublin

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Überstellung nach Polen im Rahmen des Dublin
VG Ansbach, Beschluss v. 11.01.2016 – AN 14 S 15.50496
Titel:
Überstellung nach Polen im Rahmen des Dublin-Verfahrens
Normenketten:
AsylG §§ 34a, 27a AsylG
VwGO § 80 VII Dublin III-VO Art. 12
Schlagworte:
poststraumatische Belastungsstörung, Abschiebungsanordnung, Polen, Abschiebung
Tenor
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO wird abgelehnt.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Antragsverfahren unter Beiordnung der
Rechtsanwältin ..., wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind ukrainischer Staatsangehörige und reisten eigenen Angaben zufolge am 16. April
2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 11. Juni 2015 stellten sie Asylanträge.
Nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) - polnische Visa lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr.
604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO).
Die Antragsgegnerin richtete am 9. September 2015 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an
Polen. Die polnischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 21. September 2015 ihre Zuständigkeit für die
Bearbeitung der Asylanträge gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 24. September 2015, zugestellt den Antragstellern am 2. Oktober 2015, wurden die
Asylanträge als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1) und die Abschiebung der Antragsteller nach Polen
angeordnet (Ziffer 2).
Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2015 Klage erhoben mit
dem Antrag, den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. September 2015
aufzuheben.
Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. Oktober 2015 wurde der Antrag nach
§ 80 Abs. 5 VwGO (Az. 14 S 15.50449) abgelehnt.
Im Wesentlichen berufen sich die Antragsteller auf die gesundheitliche Situation des Antragstellers zu 1).
Hierzu wird ein ärztliches Attest vom 29. Oktober 2015 des Facharztes für Allgemeinmedizin, ..., vorgelegt,
woraus sich ergibt, dass bei dem Antragsteller zu 1) eine posttraumatische Belastungsstörung nicht
ausgeschlossen werden könne. Eine Therapie mit ... und ... sei eingeleitet worden. Daneben sei der Patient
auf eine psychotherapeutische Betreuung angewiesen. Der Antragsteller zu 1) sei weiterhin reiseunfähig.
Eine Abschiebung aus dem Lande könne eine Verschlechterung des Krankheitszustandes hervorrufen und
würde aus medizinischer Sicht nicht für vertretbar gehalten werden.
Ergänzend wird mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 6. November 2015 vorgetragen, dass das
Risiko eines erneuten Schlaganfalles bei dem Antragsteller zu 1) bestehe. Bereits im April 2015 hätte er
einen Insult erlitten. Darüber hinaus wird vorgetragen, dass der Antragsteller zu 1) als Asylbewerber einen
erschwerten Zugang zum Gesundheits- und Sozialsystem in Polen hätte.
Die Antragsteller stellen zudem den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der
unterfertigten Rechtsanwältin ...
Die Antragsteller legen mit Schriftsatz vom 11. November 2015 eine ärztliche Stellungnahme der
Gemeinschaftspraxis Dr. med. ..., vom 3. November 2015 vor. Als Diagnosen wurde eine Depression sowie
Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung gestellt. Das durchgeführte EEG war unauffällig.
Zusammenfassend beurteilten die behandelnden Ärzte, dass eine ausgeprägte Angstsymptomatik vorläge,
die dringend psychiatrisch weiterbehandelt werden sollte und verordneten die Einnahme von Medikamenten
(...).
Mit weiterem Schreiben vom 30. November 2015 wird ein ärztliches Attest wiederum des Facharztes für
Allgemeinmedizin vom 26. November 2015 hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Antragstellers zu 1)
vorgelegt. Das nunmehr vorgelegte ärztliche Attest hat den gleichen Wortlaut bzw. Inhalt wie das vormals
eingereichte ärztliche Attest vom 29. Oktober 2015 verbunden mit der Aussage, dass der Antragsteller zu 1)
weiterhin reiseunfähig sei.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. Oktober 2015 (Az. 14 S 15.50449)
abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wieder herzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 11. November 2015 vor, dass das Attest vom
29. Oktober 2015 von einem Allgemeinpraktiker, wenn auch insoweit Facharzt, erstellt worden sei. Im
Hinblick auf die starken angeblichen Bezüge zu psychischen Problemen könnten Zweifel an der
Aussagekraft laut werden. Insbesondere stehe erkennbar noch kein Rückführungsdatum fest bei längerer
Restfrist.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Behördenakten sowie
auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO hat keinen Erfolg. Die Sachlage hat sich nicht zugunsten der
Antragsteller geändert.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 und Satz 2 VwGO kann das Gericht in der Hauptsache Beschlüsse über Anträge
nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben; jeder Beteiligte kann die Änderung oder
Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter
Umstände beantragen. Das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient der Möglichkeit, einer
nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die
Entscheidung ist, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
der Klage geboten ist (vgl. BVerwG, B. v. 25.8.2008 - 2 VR 1/08 - juris; VGH BW, B. v. 16.12.2001 - 13 S
1824/01 - juris; OVG NRW, B. v. 7.2.2012 - 18 B 14/12 - juris).
Das Vorbringen der Antragsteller ist nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des
Bundesamtes, die Antragsteller im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Polen zu überstellen, in Zweifel zu
ziehen und eine Änderung des Beschlusses des VG Ansbach vom 19. Oktober 2015 zu rechtfertigen, denn
es steht mit hinreichender Sicherheit im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest, dass die Abschiebung
der Antragsteller durchgeführt werden kann.
Nach der Rechtsprechung der Kammer und der meisten anderen Verwaltungsgerichte bestehen derzeit
keine hinreichenden Anhaltspunkte für entsprechende „systemische Mängel“ bei der Behandlung von
Asylbewerbern in Polen, (vgl. aus der Vielzahl einschlägiger Entscheidungen nur VG Düsseldorf,
Beschlüsse vom 6. August 2013 - 17 L 1406/13.A - und vom 19. November 2013 - 25 L 2154/13.A -; VG
Köln, Gerichtsbescheid vom 27. März 2014 - 1 K 8004/13.A; OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. April 2014 13 LA 22/14; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10. März 2015, 6a K 3687/14.A; VG Wiesbaden, Urteil vom 19.
Februar 2014 - 5 K 651/13.WI.A; alle juris.).
Die aktuell vorliegenden Erkenntnisse über die Situation von Asylbewerbern in Polen belegen insgesamt,
dass die Aufnahmebedingungen in Polen im Allgemeinen den grund- und menschenrechtlichen Standards
genügen. Dies gilt auch hinsichtlich der medizinischen Versorgung. So wird etwa in der von der Association
for Legal Intervention und von der Helsinki Foundation for Human Rights im Jahre 2013 publizierten Studie
„Migration Is Not a Crime - Report on the Monitoring of Guarded Centres for Foreigners“ ausgeführt, dass in
den polnischen Aufnahmeeinrichtungen die regelmäßige Anwesenheit eines Arztes sichergestellt ist und
dass bei gesundheitlichen Problemen, die eine fachärztliche Behandlung notwendig machen, auch das
Aufsuchen eines Facharztes außerhalb der Einrichtung gewährleistet wird (Seite 23 ff. der Stu-die). Auch
dem „National Country Report: Poland“ von 2013 der vom Europäischen Flüchtlings-rat getragenen „aida“Datenbank ist zu entnehmen, dass eine kostenlose medizinische Versorgung Asylsuchender grundsätzlich
gewährleistet ist (dort Seite 38 f.). Dass die medizinische Versorgung nicht in allen Aufnahmeeinrichtungen
von gleicher Qualität ist und es im Einzelfall Schwierigkeiten bei der zeitnahen fachärztlichen Versorgung
geben kann, führt nicht dazu, dass „systemische Bedenken“ anzunehmen wären. Die in beiden Studien
hervorgehobenen Probleme bei der sprachlichen Verständigung zwischen Ärzten und Asylbewerbern
dürften in Deutschland in ähnlicher Weise bestehen. Den in den genannten Quellen niedergelegten
Erkenntnissen entsprechen schließlich auch die Angaben in der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das
Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 6. Dezember 2013 betreffend die Rücküberstellung nach Polen im
Rahmen des Dublin II-Verfahrens und in der Antwort der Bundesregierung vom 25. September 2013 auf
eine Kleine Anfrage mehrerer Bundestagsabgeordneter zur asylrelevanten Lage in Tschetschenien, die sich
auf den Seiten 5 ff. mit der Behandlung von Asylbewerbern in Polen, namentlich mit deren medizinischer
Behandlung, befasst (Bundestags-Drucksache 17/14795).
Der Abschiebung stehen auch keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse entgegen. Die von dem
Antragsteller zu 1) geltend gemachte Reiseunfähigkeit vermag das Gericht weder in dem Sachvortrag noch
in den beigefügten ärztlichen Schreiben bzw. Attesten zu erkennen. Aus der beigefügten ärztlichen
Stellungnahme der Gemeinschaftspraxis Dr. med. ... und Dr. med. ... vom 3. November 2015 ergibt sich,
dass hinsichtlich der ausgeprägten Angstsymptomatik der Antragsteller zu 1) Medikamente einzunehmen
habe. Das EEG war unauffällig und eine Suizidgefahr konnte zudem ausgeschlossen werden. Eine weitere
psychiatrische Weiterbehandlung sei laut den Ärzten dringend erforderlich. Diese kann nach Auffassung
des Gerichts und mit den oben angeführten Hinweisen zu den einzelnen medizinischen
Versorgungsmöglichkeiten in Polen dort durchgeführt werden. Es liegen auch dem Gericht keinerlei
Hinweise dahingehend vor, dass die einzunehmenden Medikamente nicht auch in Polen erhältlich wären.
Als Asylbewerber stehen dem Antragsteller zu 1) bei Bedarf insbesondere auch Fachärzte zur Verfügung. In
der ärztlichen Stellungnahme der Gemeinschaftspraxis vom 3. November 2015 ergeben sich darüber
hinaus keinerlei Hinweise zu einer möglichen Reise- bzw. Transportunfähigkeit des Antragstellers zu 1).
Lediglich in den beiden gleich lautenden ärztlichen Attesten des Facharztes für Allgemeinmedizin, ..., vom
29. Oktober 2015 bzw. vom 26. November 2015 findet sich pauschal der Hinweis ohne nähere Begründung,
dass der Antragsteller zu 1) „weiterhin reiseunfähig“ sei.
Eine Reiseunfähigkeit ist nur dann anzunehmen, wenn sich der Gesundheitszustand der Asylbewerberin
unmittelbar durch die Ausreise oder als unmittelbare Folge davon voraussichtlich wesentlich oder
lebensbedrohlich verschlechtern würde. Dafür liegen mangels konkreter Angaben in den ärztlichen Attesten
des Facharztes für Allgemeinmedizin keine näheren Anhaltspunkte vor. Es wurde weder vorgetragen,
welche konkrete Therapie bei dem Antragsteller bevorsteht noch um welche medizinische Versorgung es
sich handelt, die nicht gleichermaßen auch in Polen medizinisch behandelbar wäre. Die Einnahme der
Medikamente als medikamentöse Therapie ist - wie oben bereits dargestellt - ohne weiteres auch in Polen
möglich.
Seitens der Antragsteller wurde darüber hinaus nicht vorgetragen, dass der Antragsteller zu 1) die vom
Facharzt ... sowie seitens der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie, Dr. med. ..., vorgeschlagene
psychotherapeutische Betreuung bzw. Weiterbehandlung bereits angefangen bzw. wahrgenommen hat.
Von einer Reise- bzw. Transportunfähigkeit des Antragstellers zu 1) ist daher nach Überzeugung der
Einzelrichterin nicht auszugehen.
Aufgrund dessen ist keine Änderung zugunsten der Antragsteller hierin zu erkennen.
Mangels Erfolgsaussichten des vorliegenden Antragsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO ist auch der
Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwältin ..., abzulehnen, § 166
VwGO, § 114 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.

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