UPDATE - NRW
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E G O UPDATE 19.09.15 – 17.01.16 DIE ZUKUNFT DER DIGITALEN IDENTITÄT LATURBO AVEDON „Selfie“ wurde 2013 zum englischen Wort des Jahres gekürt, 25 Millionen Deutsche machen Selfies. 2014 ergab eine Erhebung des „Time“-Magazins, dass Düsseldorf die Selfie-Metropole Deutschlands ist: Im internationalen Vergleich landete die Stadt auf Platz 136, weit vor Berlin oder Hamburg. Nichts hat die Fotografie so sehr verändert und beeinflusst wie die digitale Revolution: Aus dem „Ich denke, also bin ich“ ist ein „Ich fotografiere, ich dokumentiere, also bin ich“ geworden. Die Frage nach der eigenen Identität ist eine Grundfrage der Menschheit, die sich immer schon in gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Ausdrucksformen materialisiert hat. Auch die sich daraus ableitende Frage „Wer will oder soll ich sein?“ gehört zum Grundrepertoire von Kultur, Philosophie, Wirtschaft, Theologie und Politik, ebenso wie die kollektive Version dieser Frage: „Wer sind wir?“ – als gesellschaftliche Gruppe oder auch als Nation, als Europäer. Das Ausstellungsprojekt „Ego Update. Die Zukunft der digitalen Identität“ möchte erkunden, wie sich diese Fragen unter dem Einfluss digitaler Medien verändern und weiterentwickeln. Wie greift das digitale und technologische Weltgeschehen in die menschliche Identität ein, und was für eine Gesellschaft wird am Schluss dabei entstehen? Wie werden unsere Identitätsvorstellungen und Wünsche durch die digitale Kommunikation geprägt oder erschaffen? ALAIN BIEBER KURATOR Zur Ausstellung erscheint eine Publikation, die das Thema mit Essays von Autoren wie Jerry Saltz, Douglas Coupland, Brooke Wendt, Adam Levin, David Rubinstein und Karen Ann Donnachie weiter vertieft. 2 1 MARTIN PARR AUTOPORTRAITS, 1991–2012 & PHOTOBOOTH, 2015 ROBBIE COOPER ALTER EGO, 2002–2007 & IMMERSION, 2008 * 1952 IN EPSOM, LEBT IN LONDON UND BRISTOL * 1969 IN LONDON, LEBT IN BANGKOK Der britische Magnum-Fotograf Martin Parr gilt als Satiriker des zeitgenössischen Lebens. Seine Fotografien sind schonungslos kritisch, sein unnachahmlicher Blick entlarvt das Banale ebenso wie das Groteske. Charakteristisch für die Aufnahmen sind ihre grellen Farben, die skurrilen Motive sowie die ungewöhnlichen, verdichteten Perspektiven. Wenn Parr reist, lässt er sich in lokalen Fotostudios porträtieren. Ganz bewusst überlässt er dem Beauftragten die freie Wahl bei der Inszenierung und Bildgestaltung. Diese humorvollen Selbst-portraits reflektieren eine globale Soziologie des fotografischen Geschmacks und demonstrieren die nahezu unendlichen Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung. Zur Ausstellung wird der neue Magnum-Fotoautomat präsentiert: Besucher haben die Gelegenheit, sich im Stil Parrs ablichten zu lassen. Der britische Fotograf und Video künstler Robbie Cooper bildet in seiner Serie Alter Ego Online-Spieler und ihre Avatare ab. Avatare sind selbst erstellte Grafikfiguren, mit denen User in der virtuellen Welt auftreten. Das Videoprojekt Immersion zeigt in sich versunkene Computerspieler und ihre Reaktionen aus der Perspektive des Monitors. ROBBIECOOPER.ORG MARTINPARR.COM ROBBIE COOPER: ALTER EGO, 2010 EGO UPDATE 4 FLÜGEL A MARTIN PARR MARTIN PARR: AUTOPORTRAIT, BENIDORM, SPAIN, 1997. © COLLECTION MARTIN PARR / MAGNUM PHOTOS EGO UPDATE 5 FLÜGEL A 4 AMALIA ULMAN EXCELLENCES & PERFECTIONS, 2014 * 1989 IN BUENOS AIRES, LEBT IN LONDON UND GIJÓN Amalia Ulmans künstlerische Praxis ist eine Mischung aus Malerei, Skulptur, Fotografie und Netzkunst. Sie beschäftigt sich mit weiblichen Stereotypen, Macht, sozialen Ängsten und der Selbstdarstellung im Zeitalter von Social Media und Photoshop. Ulman nutzte ihre Social-Media-Profile für eine detailliert ausgearbeitete Online-Performance: Vier Monate lang erzählte Ulman über Instagram eine fiktive Bildergeschichte, sie unterzog sich körperlichen Veränderungen, spielte mit Klischees und wurde so schnell zu einer InternetBerühmtheit. Die virtuelle Performance hinterfragt die Authentizität sozialer Medien und die Sucht nach Selbstoptimierung. „Excelleces & Perfections ist ein Projekt über unseren Leib als Objekt, über unseren Körper als Investition“, sagt Ulman. „Wie vermarkten wir unseren Leib, wie setzen wir einen Preis für dieses Fleisch fest, und wie lange bleibt es frisch?“ ANDREAS SCHMIDT: ANDY WARHOL AUS FAKE FAKE ART, 2012 3 ANDREAS SCHMIDT FAKE FAKE ART, 2012 & HUMAN RESOURCES I / II, 2014 * 1967 IN WERNECK BEI SCHWEINFURT, LEBT IN BERLIN UND LONDON Der Künstler und Fotograf Andreas Schmidt zeigt 19 Abbildungen, auf denen berühmte Künstler wie Roy Lichtenstein, Andy Warhol und Gerhard Richter neben ihren Arbeiten stehen. Doch der Schein trügt: Die Serie Fake Fake Art zeigt nicht die wahre Szenerie. Schmidt veränderte die Originalaufnahmen der Serie Real Fake Art des Fotografen Michael Wolf, die weltbekannte Kunstwerke und ihre Fälscher ablichtet. Außerdem werden zwei seiner Künstlerbücher gezeigt: In Human Resources I / II sind Screenshots aller FacebookFreunde Schmidts zu sehen, die sich auf ihren Profil- und Titelbildern mit einem Fotoapparat porträtieren. AMALIAULMAN.EU ANDREASSCHMIDT.CO.UK EGO UPDATE 6 FLÜGEL A 5 6 OLIVER SIEBER CHARACTER THIEVES, 2005–2007 DIRK WITEK A.K.A. MC FITTI #SELFIEGOTT, 2015 * 1966 IN DÜSSELDORF, LEBT IN DÜSSELDORF * 1976 IN GIFHORN, LEBT IN BERLIN Dem japanischen Verkleidungstrend Cosplay (Kofferwort aus „costume“ und „play“) widmet sich der Fotograf Oliver Sieber in seiner Serie Character Thieves. Cosplayer tragen die Kostüme von Figuren aus Mangas, Animes, Computerspielen oder Filmen und nehmen auch ihr Verhalten an. Sieber lichtete sie über mehrere Jahre in ihrem zweiten Ich, jedoch in ihrer gewohnten Umgebung ab – und reiste dafür durch Japan, die USA, Kanada und Deutschland. MC Fitti kann zweifelsohne als „lebendes Selfie“ bezeichnet werden. Der deutsche Feel-Good-Rapper mit dem stattlichen Vollbart, der verspiegelten Sonnenbrille und der Snapback knipst, was das Zeug hält und montiert sein markantes Antlitz regelmäßig in abgedrehte Collagen oder Fotos. Für die Ausstellung präsentiert MC Fitti sein erstes museales Kunstwerk: eine Bronze-Büste mit Selfie-Arm, die zunächst über Deutschlands Sommerfestivals tingelte, um dann ihren finalen Bestimmungsort zu erreichen – einen Tempel im NRW-Forum Düsseldorf. Hier fand auch das Performance-Konzert statt, dessen Aufzeichnung in der Installation gezeigt wird. OS66.DE MCFITTI.DE OLIVER SIEBER: HOWL, LEVERKUSEN, 2007, AUS DER SERIE CHARACTER THIEVES EGO UPDATE 7 FLÜGEL A 8 DAFNA MAIMON HUMAN COMMA BEING, 2015 * 1982 IN FINNLAND, LEBT IN BERLIN GUIDO SEGNI: THE MIDDLEFINGER RESPONSE, 2013 Dafna Maimons Video- und Performanceprojekt Human Comma Being beschäftigt sich mit Identitäts-Konstruktionen, die die Definitionen des Selbst und des anderen hinterfragen. Die Arbeit geht davon aus, dass unsere Körper niemals vollkommen sind, sondern verfolgt von den Erinnerungen lebender oder technischer Doppelgänger und fehlender Gliedmaßen. Für das NRWForum Düsseldorf hat die finnischisraelische Künstlerin eine narrative Zweikanal-Videoinstallation geschaffen, Footage von Performances mit fiktiven und dokumentarischen Aufnahmen kombiniert. Die Video arbeit folgt einer komplexen Handlungsabfolge, die das reale Wirken der Mutter der Künstlerin, die sich ein viktorianisches Alter Ego erschaffen hat, das um 1860 lebt, auf das Wirken ihres fiktionalen Sohnes bezieht, eines Künstlers, der sich mit Selbst-Repräsentation beschäftigt. Beide schließen wiederum an die spielerisch-kreative Manier an, in der die Bonobo-Primaten ihre matriarchalische Lebensweise strukturieren. 7 GUIDO SEGNI THE MIDDLE FINGER RESPONSE, 2013 * 1988 IN ITALIEN, LEBT IN INTERNET Der Hacker, Netz- und Videokünstler Guido Segni (alias Clemente Pestelli, Dedalus, Guy McMusker, Angela Merelli, Anna Adamolo, Umberto Stanca, Silvie Inb, Fosco Loiti Celant, Guru Miri Goro, Leslie Bleus, Luther Blissett) arbeitet an der Schnittstelle von Kunst, Pop, Netzkultur, Datenwahnsinn und multiplen Identitäten. Das Zeigen des Mittelfingers gilt in vielen Kulturen als beleidigende Geste. Segni setzt sie in seiner Serie in den Fokus: Er zahlte dem digitalen Proletariat – sogenannten „Crowdworkern“, die auf Plattformen wie Amazon Mechanical Turk digitale Kleinstarbeiten erledigen, die von Computern noch nicht selbst verrichtet werden können – jeweils einen halben Dollar für ein fotografisches Selbstportrait in persönlicher Umgebung – und mit eindeutiger Gebärde. DAFNAMAIMON.COM GUIDOSEGNI.COM EGO UPDATE 8 FLÜGEL A 10 9 DAVID SLATER MONKEY SELFIE, 2014 JONAS UNGER AUTOPORTRAITS, 2010–HEUTE * 1968 IN COLEFORD, LEBT IN CHEPSTOW * 1975 IN CUXHAVEN, LEBT IN PARIS Eine Urheberrechtsdebatte entfesselten die sogenannten Affen-Selfies des britischen Tier-fotografen David Slater, die bei ihrer Veröffentlichung 2011 weltweit für Schlagzeilen sorgten. Als Wikipedia eines der tierischen Selbstportraits in einen englischen Artikel über Primaten einband, legte Slater Beschwerde ein. Die Online-Enzyklopädie weigert sich, das Bild offline zu nehmen und stützt sich auf die US- CopyrightBehörde. In Großbritannien ist die Rechtslage allerdings anders. Dort können Fotografen das Recht auf ihr Bild beanspruchen, auch wenn sie nicht selbst den Auslöser gedrückt haben. Der Ausgang des Verfahrens ist noch offen. In einer Zeit, als Selfies noch kein popkulturelles Massenphänomen waren, lud der Fotograf Jonas Unger Prominente zum Foto-Shooting ein, gab ihnen eine analoge QuickSnapKamera in die Hand und bat sie um ein selbst ausgelöstes Portrait. In der Ausstellung ist zum ersten Mal in Deutschland die gesamte Serie zu sehen, von Supermodel Karolína Kurková bis hin zu Fußball-Bundestrainer „Jogi“ Löw. JONASUNGER.COM DJSPHOTOGRAPHY.CO.UK JONAS UNGER: JOACHIM JOGI LÖW, AUS DER SERIE AUTOPORTRAITS, 2010–HEUTE COURTESY GALERIE DEROUILLON, PARIS EGO UPDATE 9 FLÜGEL A 12 & 20 11 KIM ASENDORF & NETRO SELFIE TEMPLATE, 2015 & TEH LIFE, 2015 EVAN ROTH INTERNET CACHE PORTRAIT, 2015 & SELF PORTRAIT, AUGUST 14, 2015 & IDEAS WORTH SPREDING, 2013 * 1981 IN ACHIM, LEBT IN BERLIN * 1978 IN OKEMOS, LEBT IN PARIS Kim Asendorf studierte Neue Medien an der Kunsthochschule Kassel. Als Konzeptkünstler arbeitet er mit digitalen Medien unter Einbeziehung der Internet-Kultur und -Technik. In seiner Freizeit ist er zudem Creative Director bei der Internetagentur Netro, die er gemeinsam mit dem Künstler Ole Fach und der Fotografin Jana Lange betreibt. Für die Ausstellung produzierte das Trio eine neue Arbeit: Teh Life, eine virtuelle Sitcom, deren erste Episode auf der Website des NRW-Forums Düsseldorf zu sehen ist. Außerdem ist in den Toilettenräumen eine weitere Arbeit zu sehen: Asendorfs Selfie Templates. Als Vorlage dient ein Spiegel-Selfie, aus dem er das Gesicht des Porträtierten herausgeschnitten hat. Evan Roth, Mitbegründer des Graffiti Research Lab und des Free Art & Technology Lab, ist ein US-amerikanischer Künstler und Hacker, dessen Werk das Verhältnis von subversivem Gebrauch und Selbstermächtigung untersucht. Roths Arbeiten werden durch den Missbrauch scheinbar starrer Strukturen und die Anwendung von Philosophien der Hacker-Community auf nicht-digitale Systeme getragen. In der Rauminstallation Ideas Worth Spreading können Besucher ihren eigenen TED-Vortrag halten. Das Internet Cache Portrait ist ein virtuelles Selbstportrait Roths, quasi sein digitaler Fingerabdruck. EVAN-ROTH.COM KIMASENDORF.COM NETRO.CC EGO UPDATE 10 FLÜGEL B 13 KURT CAVIEZEL THE USERS, 2011 * 1964 IN CHUR, LEBT IN ZÜRICH Exhibitionismus und Überwachung: Kurt Caviezels Set ist das Internet, seine Kamera die Webcam anderer. Seit 15 Jahren besucht der Schweizer Künstler im Netz allgemein zugängliche Webcams des öffentlichen wie privaten Raums. Er sammelt diese Bilder, bevor sie wieder überschrieben werden. Bereits über drei Milliarden solcher Einblicke hat er archiviert. „Den User gibt es nicht, zumindest nicht als Bild“, sagt Caviezel. „Ein Paradoxon, denn allgegenwärtig ist der Begriff. Als Individuum zeigt er sich mittels Webcam im Netz. Und dort lässt er sich auch fotografieren. Man muss durch das Medium hindurchschauen, um zu ihnen zu gelangen. Je größer die räumliche Distanz zwischen User und Fotograf, desto näher (im Sinne des Authentischen) ist der Fotograf dem User. Die Arbeit stößt so in Bereiche vor, die bislang fotografisch unerforscht waren.“ ONTHEROOFS: HONG KONG 14 VITALIY RASKALOV & VADIM MAKHOROV A.K.A. ONTHEROOFS HONG KONG, JAPAN, EUROPA, USA, 2013–2015 * 1993 IN KIEW, LEBT IN HONGKONG * 1989 IN NOWOSIBIRSK, LEBT IN NOWOSIBIRSK Ob Kölner Dom, Shanghai Tower oder Cheops-Pyramide: Ontheroofs arbeiten seit fünf Jahren zusammen und haben sich dem Thema der urbanen Erforschung verschrieben, die vor allem darin besteht, auf die höchsten Gebäude der Welt zu klettern und sich dort selbst zu fotografieren. KURTCAVIEZEL.CH ONTHEROOFS.COM EGO UPDATE 11 FLÜGEL B 16 15 ERIK KESSELS MY FEET, 2015 CEDRIC KIEFER & JULIA LAUB ONFORMATIVE GOOGLE FACES, 2013 * 1966 IN ROERMOND, LEBT IN AMSTERDAM * 1982 IN HEIDELBERG * 1980 IN BAYERN, LEBEN IN BERLIN Der niederländische Künstler, Kurator und Gründer der Werbeagentur KesselsKramer gestaltet aus gefundenen Fotos skurrile Bildergeschichten und Installationen. Für My Feet hat Kessels tausende Fuß-Selfies im Netz gesammelt. Zu sehen sind Füße am Urlaubsstrand, mit neuen Schuhen, mit Blasen übersäte Füße und auch Kessels’ eigene Füße. Er suchte im Netz in mehreren Sprachen danach, gab auch „I’m bored“ ein und fand heraus, dass Menschen auf der ganzen Welt Bilder ihrer Füße teilen. Stets geht es ihm auch um den Stand der Fotografie in Zeiten millionenfacher Bilder im Netz: Auch für seine Installation 24 Hrs In Photos druckte er 350.000 Bilder aus, die innerhalb von 24 Stunden auf die Fotosharing-Plattform Flickr geladen wurden. Bilder mittels Codes erzeugen: Mit generativer Gestaltung beschäftigt sich die Berliner Agentur Onformative. Die Projekte reichen von künstlerischen Datenvisualisierungen über generative Skulpturen bis hin zu Rauminstallationen. Google Faces sind durch einen Face-tracking-Algorithmus entstanden. Dieser entdeckte über Google Maps verschiedenste Gesichter in Landschaften. Das Projekt entstand (in Kooperation mit Christian Loclair), um die Pareidolie, das psychologische Phänomen, vermeintliche Gesichter in Dingen und Mustern zu erkennen, maschinengeneriert hervorzurufen. ONFORMATIVE.COM KESSELSKRAMER.COM EGO UPDATE 12 FLÜGEL B 18 17 LATURBO AVEDON UNTEXTURED SELF–PORTRAITS, 2015 & STREAM, 2015 ARVIDA BYSTRÖM MOST COMMENTED. MARCH 2015 & UNTITLED, 2013–2015 * IM WWW, LEBT IM WWW * 1993 IN STOCKHOLM, LEBT IN LOS ANGELES Ohne das Netz gäbe es diese Künstlerin nicht, denn sie existiert nur als weiblicher Avatar. „Meine digitalen Erfahrungen haben meine Identität gebildet. Jedes Mal, wenn ich einen neuen Online-Account anlege, durchlebe ich einen Prozess der Charak tererstellung“, sagt Avedon. Ihre digitalen Skulpturen, Fotografien und Videos ignorieren das Fehlen der Körperlichkeit und betonen stattdessen die Praxis virtueller Urheberschaft. Ihre neue Selbst-portrait-Serie zitiert Jan Vermeer, imitiert das Internet-Meme „Parked Domain Girl“ und huldigt ihrem Idol, der Professorin und Autorin des Cyborg Manifesto, Donna Haraway. Die Themen Weiblichkeit, Sex, Geschlechterrollen und Identitätsfindung finden sich in den Arbeiten der schwedischen Künstlerin, Fotografin und Bloggerin. Arvida Byström foto-grafiert sich oftmals selbst, Glitzer, Pastellfarben und das subversive Moment spielen eine wesentliche Rolle. In der eigens für die Ausstellung produzierten Skulptur (in Zusammenarbeit mit Lauren Mollica) beschäftigt sich Byström mit ihrem meistkommentierten Instagram-Bild. ARVIDABYSTROM.SE TURBOAVEDON.COM ARVIDA BYSTRÖM: UNTITLED, 2013–2015 EGO UPDATE 13 FLÜGEL B EVAN BADEN EVAN BADEN: EMILY AUS DER SERIE TECHNICALLY INTIMATE, 2008–2011 EGO UPDATE 14 FLÜGEL B 19 21 EVAN BADEN TECHNICALLY INTIMATE, 2008–2011 HEATHER DEWEY-HAGBORG STRANGER VISIONS, 2010–2013 * 1980 IN SAUDI-ARABIEN, LEBT IN CHICAGO * 1982 IN PHILADELPHIA, LEBT IN CHICAGO Ein intimer Moment, das Selfie in lasziver Pose ist über das Smartphone schnell an den Partner geschickt. Und wie frivol ist Online-Sex vor der Webcam? Alles geht von einem geschützten Ort zum anderen. Richtig prickelnd wird es, wenn dieses Material weitergeleitet oder in sozialen Netzwerken öffentlich gepostet und geteilt wird. Baden zeigt mit seiner Fotoserie, dass das Gefühl einer Privatsphäre im World Wide Web bloße Illusion ist. Die DNA trägt unsere Erbinformation und definiert uns. Die US-Künstlerin und Bio-Hackerin Heather DeweyHagborg stellt mittels gefundener DNA,beispielsweiseverloreneHaare,ausgespuckte Kaugummis oder weg geworfene Zigarettenstummel, computergenerierte, post-foto-grafi sche 3D-Portraits her. DeweyHagborg befasst sich mit Fragen der genetischen Überwachung und schlägt in einem Nachfolgeprojekt vor, darauf mit einem strategischen Verwischen von DNA-Spuren zu reagieren. Ihre Arbeit stellt virulente politische Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung von forensischer DNA-Phänotypisierung und der Verlässlichkeit ihrer physischen Resultate. EVANBADEN.COM DEWEYHAGBORG.COM EGO UPDATE 15 FLÜGEL B 22 Z U R E RÖF F N U NG & FI N ISSAG E : ALISON JACKSON CONFIDENTIAL, 2010–2015 FLORIAN KUHLMANN THE ARTIST IS PRESENT, 2008–2015 * 1970 IN SOUTHSEA, LEBT IN LONDON Bildern mit dem Celebrity-Kult und wirft einen imaginierten Blick in die Privatsphäre der Promis. Oft haben die Bilder die Ästhetik erhaschter Paparazzi-Aufnahmen, sie sind aber aufwendig im Studio konstruierte Fiktionen. „In meinen Arbeiten“, sagt die Künstlerin, „geht es darum, dass wir diese Menschen auf intime Weise zu kennen meinen. In Wirklichkeit aber kennen wir nur Bilder von ihnen und Geschichten, die ausgedacht und konstruiert sind: von Agenten, den Medien oder den Prominenten selbst.“ * 1978 IN HO-CHI-MINH-STADT, LEBT IN DÜSSELDORF Im Herbst 2008 präsentierte Florian Kuhlmann the artist is present erstmals als metamodernen Remix aus Konzeptkunst, Videoinstallation, Netzkunst und Live-Performance am Worringer Platz in Düsseldorf. Das Setting ist denkbar einfach: Kuhlmann sitzt vor der Webcam seines Laptops und überträgt das Videosignal per Livestream in den ansonsten völlig leeren Ausstellungsraum. the artist is present ist zuerst einmal als ironischer Kommentar zu den Kodizes des globalen Kunstsystems und der Wahrnehmung des etablierten Künstlerbildes entstanden. Die Arbeit verfolgt allein dadurch bereits einen anderen Ansatz als die gleichnamige und rührselige Performance, mit der Marina Abramovic im New Yorker MoMA zwei Jahre später für weltweites Aufsehen sorgte. Kuhlmann interessiert sich zwar für die Figur des Künstlers selbst, in diesem Fall aber nur sekundär – dafür umso mehr für die Frage, was Anwesenheit und Abwesenheit in einer zunehmend medial und technovisuell vermittelten Welt für uns bedeuten. ALISONJACKSON.COM FLORIANKUHLMANN.COM THE-ARTIST-IS-PRESENT.NET EGO UPDATE 16 FLÜGEL B ALISON JACKSON ALISON JACKSON: C´EST L´AMOUR, 2013 © COURTESY OF ALISON JACKSON STUDIO EGO UPDATE 17 FLÜGEL B FILMP R O G R A M M EGO UPDATE 18.9. – 11.10.2015 STÉPHANE DEGOUTIN & GWENOLA WAGON WORLD BRAIN, F, 2015, 70MIN Auf der Suche nach dem Weltgehirn: World Brain ist ein essayistisches Transmedia-Projekt der beiden französischen Künstler Gwenola Wagon und Stéphane Degoutin. Der 70-minütige Film und die interaktive Website nehmen den Zuschauer mit auf einen Tauchgang durch die physischen Untiefen des Internets. World Brain versucht eine Untersuchung der Utopien und Ideologien, die mit der Entstehung einer kollektiven Intelligenz und der Hypothese eines weltweiten Netzwerks verbunden sind. Der Film folgt einer Gruppe von Forschern, die versuchen, mithilfe des Internets im Wald zu überleben. Ihr Ziel ist nichts Geringeres als die Schaffung eines alternativen Projekts für das Überleben der Menschheit. 18 FILMPROGRAMM 12.10. – 25.10.2015 26.10. – 8.11.2015 JANEZ JANŠA NICOLAS RITTER MY NAME IS JANEZ JANŠA, SLO, 2012, 68MIN THE CLOUD, D, 2014, 29MIN Im Jahr 2007 treten drei slowenische Künstler in die konservative Partei SDS ein. Alle drei Künstler ändern gleichzeitig ihren Namen offiziell in Janez Janša den Namen des umstrittenen Parteipräsidenten und damaligen Ministerpräsidenten. Die Aktionen aller Janez Janšas stiften schnell Verwirrung. Die Bedeutung des eigenen Namens und die Möglichkeit des Änderns der eigenen Identität werden auf amüsante und informative Weise auf lokaler und internationaler Ebene hinterfragt. Janez Janša (*1970) ist Konzeptkünstler und Leiter des Instituts für Gegenwartskunst Aksioma in Ljubljana. Die Digitalisierung des Alltags ist unaufhaltsam. Was also tun, um Digital Natives das Leben und Digital Immigrants die Integration zu erleichtern? Der Arthur McLuhan Digital Web Campus schafft Abhilfe: Fingerfitness, Multitasking-Training und praktische Hilfe für das reale Leben für die junge Internet-Generation, sachte Heranführung an die Herausforderungen des Informationszeitalters für die weniger Technikaffinen. Das Debüt des Frankfurter Künstlers Nicolas Ritter dokumentiert liebevoll satirisch ein Trainingslager für die digitale Gesellschaft. EGO UPDATE 19 FILMPROGRAMM 9.11. – 22.11.2015 23.11. – 6.12.2015 STÉPHANE CARREL DER BLICK ZURÜCK NACH VORN. VOM SELBSTPORTRÄT ZUM SELFIE, F, 2015 VIDEOKUNST AUS DEM ARCHIV DES IMAI Die ARTE-Dokumentation erzählt die Geschichte des Selbstportraits. Zum Beispiel über den Fotoautomaten, der vor über 100 Jahren erfunden wurde und heute wieder stark im Kommen ist, zum Teil sogar mit nostalgischer Analogtechnik. Oder über den Selfie-Boom, dem nicht einmal der Papst widersteht. Ist dieser Trend ein Zeichen für hemmungslosen Narzissmus? Der Versuch, sich in einer Gesellschaft zu behaupten, die vom Starkult besessen ist? Ein neuer Modezwang oder ein kreatives Ausdrucksmittel der „Generation Internet“? Die Doku beantwortet all diese Fragen und hat sogar ein paar praktische Tipps parat, wie man Selfies macht, ohne sich vor seinen Followern zu blamieren! EGO UPDATE Seit den 1970er Jahren ist Videotechnik eine optimale Möglichkeit für Künstler, um sich selbst zur Schau zu stellen: den eigenen Körper, die eigene Handlung, die eigene Identität. Das Screening, eine Zusammenstellung aus dem Archiv der MedienkunstStiftung imai, versammelt künstlerische Positionen dieser Art. Sie befragen die Präsenz des Einzelnen vor der Kamera und im virtuellen Raum und stellen Videokunst als Gedächtnis dieser performativen und medialen Selbstexperimente und -reflexionen vor. 20 FILMPROGRAMM 7.12.2015 – 3.1.2016 4.1. – 17.1.2016 CHARLIE BROOKER LYNN HERSHMAN LEESON BLACK MIRROR: WHITE CHRISTMAS, UK, 2014, 75MIN, FSK 16 TEKNOLUST, USA, 2002, 79MIN, FSK 16 Teknolust ist einer der bedeutendsten Filme der Künstlerin Lynn Hershman Leeson und ein absurdes, amüsantes und wissenschaftlich hochaktuelles Science-Fiction-Drama über CyberIdentitäten, Biogenetik, Geschlechtskonstruktionen und sexuelle Selbst bestimmung im Zeitalter des Internets. Der Plot kreist um die Wissenschaftlerin Rosetta Stone (Tilda Swinton), die illegal drei Klone von sich herstellt. Da sie zum Überleben auf die Aufnahme des männlichen Y-Chromosoms angewiesen sind, geht Ruby, die Femme Fatale unter den Klonen, regel-mäßig auf Männersuche. Der sexuelle Kontakt mit Ruby führt bei ihren Liebhabern zu Impotenz und einer allergischen Reaktion, durch ein auf Menschen übertragbares Computer virus ausgelöst. Das FBI wird durch die steigende Zahl an infizierten Männern auf die Klonfamilie aufmerksam und beginnt zu ermitteln. Black Mirror ist eine preisgekrönte britische Serie, die sich satirisch mit der digitalen Zukunft auseinandersetzt. In jeder Episode setzt der Autor Charlie Brooker auf neue Charaktere, ein neues Szenario und neue Schauspieler. So erhält jede Folge eine eigene Wirklichkeit, die in einer nicht allzu fernen Realität angesiedelt ist. Soziale Medien, Casting-Shows, Smartphone-Hype, Cybersex und Cyborgs – jede Folge erweist sich als Parabel auf die mediale Neuzeit und zugleich als erschreckende Dystopie. White Christmas, die Sonderfolge zu Weihnachten mit dem US-Schau spieler Jon Hamm, erzählt von digitalen Klonen, Cyber-Crime und erweitterter Realität. EGO UPDATE 21 FILMPROGRAMM PERFORMANCES SCI E NCE + FICTION : CYBORG - M ESS E 19.9.2015 #SELFIEGOTT: PERFORMANCE MIT MC FITTI 6. – 8.11.2015 Die welterste Cyborg-Messe versammelt Aussteller aus den Bereichen Wissenschaft, Kunst, Medien, Körpermodifikation, Prothetik und IT. Zusätzlich tragen Künstler, Philosophen, Wissenschaftler und Hacker wie Tim Cannon, M. Darusha Wehm, Anja Bagus, Stefanie Rembold, Enno Park und Ellfriede Nerdinger ihre Sicht auf die Zukunft des Menschen vor. Organisiert von Cyborg e.V., der Gesellschaft zur Förderung und kritischen Begleitung der Verschmelzung von Mensch und Technik. 12.12.2015 HUMAN COMMA BEING: SELFIE-BALLETT-PERFORMANCE MIT DAFNA MAIMON FÜHRUNGEN Jeden Freitag um 20 Uhr findet eine kostenlose deutschsprachige Führung statt, jeden letzten Freitag im Monat, 20 Uhr, eine kostenlose englischsprachige Führung. Private Führungen für Erwachsene, Jugend liche und Kinder sowie Familenführungen buchen unter: +49 (0)211 – 89 266 84 oder [email protected]. KONFERENZ 15. – 17.1.2016 STREAMING EGOS: DIGITALE IDENTITÄTEN IN EUROPA Streaming Egos ist ein Projekt der Goethe-Institute in Südwesteuropa in Kooperation mit dem Slow Media Institut Bonn und dem NRW-Forum Düsseldorf. Es sollen Diskurse und künstlerische Ausdrucksformen von digitaler Identität in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien, Portugal und Spanien angeregt, kreativ entwickelt, untersucht und präsentiert werden. Nationale Diskurse gehen in transnationale Themendiskurse über und ermöglichen eine europäische Perspektive auf individuelle und kollektive Identitäten und wie sich diese in Zukunft mit den Potenzialen digitaler Kultur weiter entfalten können. EGO UPDATE 22 BEGLEITPROGRAMM NRW-FORUM DÜSSELDORF Ehrenhof 2 D - 40479 Düsseldorf www.nrw-forum.de +49 (0)211 – 89 266 90 TITELBILD ARVIDA BYSTRÖM: UNTITLED, 2013–2015 Direktor: Alain Bieber Kaufmännische Leiterin: Elke Menikheim Assistenz: Nicola Funk Kasse: Sabine Brenner, Kornelia Linden Haustechnik: Waldemar Maciossek, Rüdiger Stramm, Jörg Thur (F) AUSSTELLUNG: Kurator: Alain Bieber Ausstellungsdesign: Louisa Georg & Sadrick Schmidt Assistenz: Nikolaj Tkatschenko Publikation: Sina Michalskaja, Thomas Artur Spallek, Shahin Zarinbal Produktion: Nicola Funk Presse: textpr+, Viviana Kleinert, Christine Peters Kooperationen: coomedia, Henning Schnittcher Art Direction: KesselsKramer Web: V2A.net, Lars Wöhning Druck & Rahmung: Grieger AUSSTELLUNGSPARTNER: Skateboard-Rampe: Donald Campbell, Tobias Springborn (Pavel-Skates) AUSSTELLUNGSBOOKLET Herausgeber: NRW-Forum Düsseldorf Texte: Alain Bieber, Viviana Kleinert Lektorat: Gian-Philip Andreas Übersetzung: Jennifer Taylor Art Direction: KesselsKramer Gestaltung: Thomas Artur Spallek MEDIENPARTNER: GEFÖRDERT DURCH: EGO UPDATE 23 IMPRESSUM KIM ASENDORF FLORIAN KUHLMANN LATURBO AVEDON LYNN HERSHMAN EVAN BADEN LEESON CHARLIE BROOKER DAFNA MAIMON ARVIDA BYSTRÖM NETRO STÉPHANE CARREL ONFORMATIVE KURT CAVIEZEL ONTHEROOFS ROBBIE COOPER MARTIN PARR STÉPHANE NICOLAS RITTER DEGOUTIN EVAN ROTH HEATHER DEWEY- ANDREAS SCHMIDT HAGBORG GUIDO SEGNI MC FITTI OLIVER SIEBER IMAI DAVID SLATER ALISON JACKSON AMALIA ULMAN JANEZ JANŠA JONAS UNGER ERIK KESSELS GWENOLA WAGON EGO UPDATE DIE ZUKUNFT DER DIGITALEN IDENTITÄT