TCM-Diätik, Bengt Jakoby WIR 4/2012

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TCM-Diätik, Bengt Jakoby WIR 4/2012
Traditionelle Chinesiche Medizin
TCM-DIÄTETIK
Allgemeine
Empfehlungen
der Ernährung nach
den 5 Elementen
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Traditionelle Chinesiche Medizin
Allzu oft kommen Patienten in unsere Praxis die sich „krank gegessen haben“,
ohne es zu merken. Nicht nur Über- oder Untergewichtige, sondern auch
Patienten mit Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Gallensteinleiden
sowie Erschöpfungszuständen, Hauterkrankungen und Blutarmut sind hiervon im engeren Sinn betroffen. Sogar in solchen Fällen, bei denen die Ernährung bei der Krankheitsentstehung keine primäre Rolle spielt, wirkt
sie bei der Aufrechterhaltung der Erkrankung mit. Daher wundert es nicht,
dass sich eine entsprechende Umstellung der Ernährung positiv auf den
Gesundungsprozess auswirkt. Diese Erkenntnis ist zwar wissenschaftlich
eindeutig belegt und auch im allgemeinen Bewusstsein der Bevölkerung
angekommen, nur fehlt hier oft das entsprechende Wissen, dieses praktisch
umzusetzen.
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Die wichtigsten Grundzüge
der Ernährung im Sinne der
Traditionellen Chinesischen
Medizin
8JFGVOLUJPOJFSUFJOFHFTVOEF&SOÊISVOH Reicht es, Orangen im Winter zu essen,
Margarine statt Butter zu verspeisen und
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Antwort ist „nein“! Es bedarf etwas umfangreicherer Kenntnisse, wobei das wichtigste Prinzip dabei der gesunde Menschenverstand ist.
Die moderne Ernährungswissenschaft
versucht, dieser Frage auf den Grund zu gehen und kommt aufgrund der verwendeten
begrenzten Methodik lediglich zu „Teilantworten“. Lebensmittel werden mittels chemischer Analysen und ähnlicher Verfahren
oft nur auf ihre Bestandteile hin untersucht. Das Resultat dieser Untersuchungen
sind Kalorientabellen, Vitaminangaben
und Werte wie der „mittlere Tagesbedarf“.
Da wir unsere Lebensmittel jedoch
meist zubereiten (Kochen, Backen usw.)
und miteinander kombinieren und sich
diese Speisen dann in unserem Verdauungstrakt (Mund, Magen, Darm, Leber)
verändern, sind biochemische Analysen oft
nicht zutreffend. Weiterhin sind wir als Individuen mit ganz verschiedenen Tätigkeiten, Anforderungen und Eigenheiten zu
unterschiedlich, um allgemeingültige
Richtlinien festlegen zu können.
Je individueller die Ernährungswissenschaft vorgeht, desto besser werden die
Empfehlungen sein. In allen Teilen der
Welt gab es sinnvolle überlieferte Ernäh-
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rungsrichtlinien, welche die Gesundheit
der Menschen aufrechterhielten und damit
das Überleben sicherten. Jedoch hat die
moderne Zeit mit ihren globalen Auswirkungen durch wirtschaftliche Interessen
und vermeintliche Zivilisierung und Entwicklungshilfe vieles von diesem Wissen
verschüttet.
In China ist im Rahmen der Chinesischen Medizin ein tiefgründiges Wissen
über die Zusammenhänge der Natur erhalten geblieben. Vielen sind die Prinzipien von
Yin und Yang ein Begriff hierfür, weniger
bekannt sind die 5 Elemente. Die Diätetik
der TCM bietet sowohl allgemeine Richtlinien zur Gesunderhaltung, als auch im Falle
einer Erkrankung individuelle therapeutische
Maßnahmen (siehe Literaturempfehlung).
Und es geht dabei eben nicht darum,
irgendwelche skurrilen asiatischen Speisen
zu sich zu nehmen, wie etwa eingelegte
Qualle zum Frühstück oder Schildkrötenpanzergelee mit Reis und Gemüse ...
Die Besonderheit der gesunden Ernährung nach den fünf Elementen ist ihre Individualität. Deshalb ist nicht jede neue
Diät für jeden gut und nicht jedes Wundermittel – wie etwa Ginseng – bewirkt bei
jedem eine Wunderheilung. Und doch gibt
es einige allgemeine Empfehlungen der
TCM, entsprechend dem gesunden Menschenverstand, die als Basis zur Gesundheitsvorsorge dienen.
Ernährung zur Erhaltung und Steigerung des Wohlbefindens und zur Vorbeugung gegen Krankheiten.
Diese einfachen Ernährungsempfehlungen können leicht in den Alltag integriert
werden.
Gelingt es, diese grundlegenden Tipps
praktisch umzusetzen, kommt es zu mehr
Vitalität, der Mensch fühlt sich allgemein
wohler und rundum gesunder; die Leistungsfähigkeit wird sich steigern, die
Krankheitsanfälligkeit nachlassen und mit
Stress kann besser umgegangen werden.
Bei einer Erkrankung sollte unbedingt versucht werden, diese Empfehlungen einzuhalten, denn weitere Therapieverfahren
einschließlich der individuellen Ernährungstherapie können dann erst dauerhaft
erfolgversprechend eingesetzt werden.
Seit Jahrtausenden gilt in China die
Pflege der „Mitte“ als das Wichtigste der
gesunden Ernährung. Milz und Magen
können aus einer einfachen, milden und
ausgeglichenen Kost Energie und Aufbaustoffe leicht extrahieren. Erst in zweiter
Linie ist die Berücksichtigung der individuellen Konstitution ausschlaggebend.
So wird die Mitte gepflegt
1. Möglichst nur frische, unbelastete und
naturbelassene Lebensmittel verwenden.
2. Den Speiseplan in Anlehnung an die
Früchte der Jahreszeiten und nach dem
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Wie funktioniert eine
gesunde Ernährung? Reicht es, Orangen im
Winter zu essen, Margarine statt Butter zu
verspeisen und einige Vitaminpillen einzunehmen? Die Antwort ist „nein“!
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aktuellen frischen Angebot des Wochenmarktes zusammenstellen.
Auf das Prinzip der Ausgeglichenheit
zwischen Yin und Yang achten. Extreme
vermeiden. Weder zu viel noch zu wenig
essen oder trinken, noch zu heiß oder zu
kalt. Essen soll ausgewogen sein, abwechslungsreich und von allen Geschmacksrichtungen etwas haben. Die
Ernährung sollte hauptsächlich aus Getreide bzw. Hülsenfruchten und reichlich Gemüse bestehen, ergänzt mit etwas Obst und Nüssen. Milchprodukte
und tierisches Eiweiß sollten nur in Maßen verzehrt werden, ebenso Fette,
Milchprodukte, Öle und Süßigkeiten.
Den Wohlgeschmack der Speisen durch
bekömmliche Zubereitung verbessern
sowie durch Verwendung von Gewürzen und frischen Küchenkräutern. Fast
Food, Tiefkühlkost, Mikrowellenzubereitung, Instantgerichte, industriell verarbeitete Nahrungsmittel und auch belegte Brote deutlich reduzieren.
Das Sprichwort „Speise morgens wie ein
Kaiser, mittags wie ein Edelmann und
abends wie ein Bettler“ hat seine Berechtigung. Üppiges Essen nach 19 Uhr
vermeiden.
Zu den Mahlzeiten nur wenig trinken.
Vor der Hauptmahlzeit eine magensaftanregende Speise essen, z. B. eine kleine
Schale würziger Suppe anstelle von Salat. Mit der klassischen süßen Nachspeise etwas zurückhaltend sein und stattdessen etwas Verdauungsförderndes zu
sich nehmen oder einen kleinen Spaziergang machen.
Auf regelmäßige Mahlzeiten in entspannter Atmosphäre mit genügend
Zeit und einer appetitlichen Zubereitung und Darreichung achten, denn das
Auge isst mit!
Einige Erläuterungen zu den
oben genannten Ernährungsempfehlungen:
zu 1.: In Tiefkühlkost, durch die Zubereitung im Mikrowellenherd (und auch schon
in welkem Obst und Gemüse) wird die natürlich enthaltene Lebensenergie vermindert. Nahrungsmittel und Speisen, die wenig Lebensenergie enthalten, können uns
auch wenig Lebensenergie spenden. Frische Lebensmittel sind natürlich am besten
direkt aus dem eigenen Garten oder vom
Wochenmarkt, doch auch in der Frischgemüse- und Obstabteilung im Supermarkt
kann man fündig werden.
> Lebensmittel sind lebendig! Industriell
verarbeitete und isolierte Produkte wie
Weißmehl, weißer Zucker, geschälter
Reis usw. sollten nicht oft verzehrt werden. Vitamin- und Mineralstoffmangelzustände sowie Verdauungsbeschwerden
durch fehlende Ballaststoffe können die
Folge sein.
> Unbelastete Lebensmittel sind (überwiegend) frei von Düngemitteln, Pestiziden, Konservierungsmitteln, Farbstoffen, Medikamenten, Hormonen, chemischen Zusatzmitteln, Giften (z. B.
Schimmelpilztoxine). Bestrahlung und
sonstige industrielle Verfahren sind
ebenfalls ungünstig für die Lebensmittel
und somit für die Gesundheit.
zu 2.: Der Wechsel der Jahreszeiten spiegelt die Wandlung und die Qi-Bewegung
innerhalb des Körpers wider. Jede Jahreszeit und jede Gegend bieten ihre speziellen
Feld- und Baumfrüchte. Die Natur präsentiert uns also genau das, was wir für unseren Organismus jeweils benötigen.
> Im Frühling sollten mehr Nahrungsmittel mit reinigender, erfrischender und
aufsteigender Wirkung verzehrt werden;
etwas mehr Grünes, Rohkost und Sprossen, weniger Fleisch sowie weniger fette
und energetisch erhitzende Speisen (diese erwärmen subjektiv und beschleunigen den Stoffwechsel, etwa Chili, Pfeffer,
Ingwer, Zwiebelgewächse oder Rotwein).
> Im Sommer bieten sich mehr kühlende
und befeuchtende Nahrungsmittel an
wie Obst, Säfte und Salate. Gleichzeitig
sollte man weniger fettige Lebensmittel
oder solche mit trocknenden oder erhitzenden Eigenschaften essen. Es sollte
also nicht zu häufig gegrillt werden, und
wenn, dann mit genügend ausgleichendem Salat.
> Im Herbst sollte die Nahrung eher harmonisierend oder erwärmend wirken.
Kennzeichen sind beispielsweise die Farben Gelb und Orange, ihre Geschmacksrichtungen sind süß bis neutral, etwa
Möhren, Kürbis oder Kartoffeln. Auch
Speisen, die die Lunge befeuchten, sind
empfehlenswert, beispielsweise Mandeln
oder Birnen.
> Im Winter eignen sich energetisch warme (bis heiße) und gekochte, gebackene,
gebratene Nahrungsmittel mit ernährend-stärkendem Charakter; also mehr
Fleisch, Lager- und Wurzelgemüse, Nüsse, Hülsenfrüchte und Trockenobst. Reduziert werden sollten energetisch kalte
und erfrischende Nahrungsmittel wie
Südfrüchte, Salate und Eiscreme.
zu 3.: Das goldene Mittelmaß ist auch
beim Essen die beste Orientierung. Wenn
Sie in Ruhe essen und ausreichend kauen,
spüren Sie Ihren ganz persönlichen Sättigungspunkt besser, und eventuell genau
dann, wenn es Ihnen gerade am besten
schmeckt. Zu wenig essen ist allerdings genauso ungünstig, auch lange Fastenkuren
werden traditionell nicht empfohlen.
> Westliche Ernährungsforscher empfehlen eine abwechslungsreiche und ausgeglichene Kost. Die TCM empfiehlt
ebenfalls eine Ausgeglichenheit in den
Geschmacksrichtungen und bei der
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energetisch-thermischen Wirkung, um
Einseitigkeit zu vermeiden. Zuviel Süßes
führt z. B. zu einer Überfeuchtung des
Organismus und somit zu Übergewicht.
Zuviel Scharf-Heißes kann zu Bluthochdruck, Zornausbrüchen und Sehstörungen führen. Zuviel Abkühlendes wie
Rohkost, Eiscreme, Tiefkühlkost, Südfrüchte oder Obstsäfte schwächt die Verdauungskraft und macht kälteempfindlich – vor allem im Winter. Ein Übermaß an befeuchtenden Speisen wie
Milchprodukte führt zur Schleimbildung in der Lunge mit Schnupfen, Nebenhöhlenentzündung oder Husten als
Folge. Zuviel Fleisch führt zur toxischen
Feuchte-Hitze in Leber, Galle, Milz und
Lunge mit Arteriosklerose oder Krebs als
Folge.
> Das Prinzip der Ausgewogenheit spielt
auch bei der Temperatur der Speisen und
Getränke eine Rolle für die Aufnahme
der Nahrung. Dies wird besonders bei
eisgekühlten Getränken deutlich, weil
das Verdauungsfeuer dadurch zusätzlich
abgeschwächt wird. Es ist zu bedenken,
dass alles, bevor es verdaut werden kann,
sozusagen im Magen in eine warme Suppe umgewandelt werden muss.
> Sie pflegen Ihre Mitte mit einer einfachen und milden Kost. Am besten geeignet dazu sind neutrale und nahrhafte
Mahlzeiten mit viel Gemüse, Getreide
und Hülsenfrüchten. Getreide und Hülsenfrüchte haben durch ihre süße, milde
und aufbauende Natur eine allgemeine
Erdqualität und unterstützen dadurch
die transformierende Funktion der Milz.
Gemüse, Obst und Nüsse sind aufgrund
ihrer allgemein befeuchtenden und nährenden Natur ideal als Ergänzung zu Getreide. Milchprodukte, tierisches Eiweiß,
Fette, Öle und Süßigkeiten sind zwar alle
sehr nahrhaft, doch sollten sie nur in
kleinen Mengen dazu gegessen werden,
denn sie übersäuern oder verschleimen
sonst den Organismus.
zu 4.: Industriell verarbeitete oder im Mikrowellenherd zubereitete Speisen sowie
Tiefkühlkost schmecken meist fade aufgrund ihres Qi-Verlusts. Deshalb werden
zusätzlich Geschmacksverstärker, Salz, Zucker oder verarbeitete Fette hinzugefügt.
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Der Verzehr solcher Speisen führt zu einer
Überreizung und Abstumpfung der Geschmacksempfindung und zu einem allgemeinen Mangel an Lebensenergie. Erst
durch das bewusste Essen von milden und
mit aromatischen Küchenkräutern gewürzten Speisen merkt man wieder den wohltuenden Eigengeschmack der Lebensmittel,
ihre Bekömmlichkeit nimmt deutlich zu.
Der Mensch fühlt sich, vor allem nach dem
Essen, allgemein vitaler.
zu 5.: Am Morgen während der „Magenstunde“ (Einteilung innerhalb der „Organuhr“) zwischen 7 und 9 Uhr, ist die Verdauungskraft am stärksten, somit eignet
sich diese Zeit für ein üppiges Frühstück,
das Energie für den Tag spendet. Auch eine
gute Mittagsmahlzeit zur „Herzstunde“
zwischen 11 und 13 Uhr – evtl. im Familienkreis – lässt sich gut verdauen. Für die
Abendmahlzeit – vor 19 Uhr – werden nur
leichte Mahlzeiten empfohlen. Danach
aufgenommene Nahrung, also ab der
„Kreislaufstunde“ zwischen 19 und 21
Uhr, bleibt über Nacht im Magen liegen,
was zu Schleimansammlung im Organismus führt, insbesondere bei einer schwachen Verdauungskraft.
zu 6.: Zuviel Trinken beim Essen verdünnt
die Verdauungssäfte und schwächt somit
den Verdauungsvorgang. Deshalb wird zu
den Mahlzeiten nur mäßiges Trinken von
erwärmenden Flüssigkeiten empfohlen.
zu 7.: Sowohl die Vorstellung einer leckeren Speise als auch ein Appetithappen vor
der Hauptmahlzeit bereiten den Körper
auf den Verdauungsvorgang vor. Traditionell wird eine kleine Schale würziger Suppe
vor und nach dem Essen gereicht. Auch ein
kleiner Spaziergang nach dem Essen wirkt
sich günstig auf die Verdauung aus. Ein
täglicher süßer und gar gekühlter Nachtisch führt hingegen zu einer Verlangsamung der Verdauung und Verschleimung
des Organismus, wohingegen ein kleiner
Schnaps oder Espresso hier eher förderlich
wirken.
zu 8.: Regelmäßige Mahlzeiten unterstützen die gute Funktion des Verdauungstraktes, da sich Körper und Stoffwechsel auf
feste Zeiten einstellen und wir uns somit
geborgen fühlen in einem natürlichen Ablauf von Wechsel und Wiederkehr. Traditionell werden Struktur, Rhythmus und Versorgung (wie durch eine gute Mutter) dem
Erdelement zugeordnet. Eine harmonische
und ruhige Atmosphäre beim Essen ist
gleichermaßen für eine gute Verdauung
entscheidend. Streitgespräche, Unruhe
und Hektik hinterlassen das Gefühl von
einem Stein im Magen. Andauernder Stress
bei den Mahlzeiten kann zu Magenschleimhautentzündungen führen.
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Literaturempfehlung:
„Gesünder leben mit den fünf Elementen. Das Yin
und Yang in der Ernährung nutzen“, von Bengt
Jacoby, erschienen im Herder Verlag.
AUTOR
Bengt Jacoby
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