FUSSBALL-WM 5 Die Weltmeister der Herzen feiern
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FUSSBALL-WM 5 Die Weltmeister der Herzen feiern
FUSSBALL-WM Mannheimer Morgen Montag, 10. Juli 2006 5 Kommentar Sicher geht vor Von Thorsten Hof Italien also. Zwar stand das Team von Marcello Lippi vor dieser gestern Abend zu Ende gegangenen 18. Fußball-Weltmeisterschaft sicher nicht auf der Mehrzahl der Tippzettel ganz oben, aber die „Squadra Azzurra“ ist ein ebenso würdiger wie logischer Weltmeister. Logisch, weil diese WM entgegen den Erwartungen nicht zu einer Gala des Hochgeschwindigkeitsfußballs wurde, sondern sich die meisten Mannschaften auf das von vielen propagierte Tempospiel vorsorglich mit effektiven Erstickungssystemen gewappnet hatten. Der Rausch fand vornehmlich auf den Rängen statt, auf dem Platz herrschte oft die organisierte Ereignislosigkeit. „Safety first“ – „Sicherheit zu erst“ lautete das Motto und in diesem Bereich war Italien wahrhaft weltmeisterlich. Doch waren 2004 bei der EM in Portugal mit den letztendlich siegreichen Griechen noch die reinen Zerstörer am Werk, hat Italien bewiesen, dass Fußball auf einer defensiven Basis nicht zwangläufig hässlich sein muss. Denn neben der Statistik mit den wenigsten Gegentoren führen die Azzurri auch die Liste der meisten Gegenstöße an, selbst die stürmischen Deutschen stehen dahinter noch zurück. Eine Mannschaft mit einer Weltklasse-Abwehr, aber auch mit der Fähigkeit, durch ständige Rhythmuswechsel ihre Top-Stürmer effektiv einzusetzen, hat sich nach anfänglichen Schwierigkeiten und zeitweise mit ein bisschen Glück verdient durchgesetzt. Dass die Schlagzeilen aus der Heimat dieses Team noch enger zusammengeschweißt haben, war sicher ein weiterer Pluspunkt auf dem Weg zum vierten Titel. Doch Deutschland stürmt . . . Und der Rest der Welt? Asien stagniert in seiner nutzlosen Unermüdlichkeit, aus Ozeanien kam britisch geprägter, frischer Wind, während Afrika wie gehabt sein Talent ebenso fahrlässig wie seine Chancen verschleudert. Auch Nord- und Mittelamerika konnte die Erwartungen nicht erfüllen, insgesamt haben sich die Nationen aus der zweiten Reihe angenähert, die Lücke zu den Viertelfinalisten konnten sie aber nicht schließen. War die WM 2002 noch eine Lotterie mit vielen müden Stars aus Europa, haben sich die Kräfteverhältnisse wieder eingependelt, einzig das frühe Scheitern der Südamerikaner muss überraschen. Im Fall Brasilien vielleicht nicht allzu sehr, weil die Selecao zu viele alternde Individualisten durchschleppte, die zu keiner Zeit eine Einheit bildeten. Argentinien wäre mehr zu gönnen gewesen, aber die „Gauchos“ hatten dann „leider das Pech auf die Deutschen zu treffen“, um mit Miroslav Klose zu sprechen. Denn wenn es eine Überraschungsmannschaft dieser Weltmeisterschaft gab, dann ist es sicher die des Ausrichters. Als prädestinierter Viertelfinalausscheider gestartet, lebte die DFB-Elf vor allem vom Schlüsselerlebnis des späten Tors gegen Polen. Mit diesem Euphorie-Doping war das letzte Gruppenspiel ein Klacks, die Schweden in nur zwölf Minuten erledigt und die Partie gegen Argentinien ein Meisterstück. Zu diesem Zeitpunkt war Jürgen Klinsmanns Konzept, das Publikum mit leidenschaftlichem Offensivfußball zu gewinnen und die Unterstützung im gesamten Land am Rande der Selbsthypnose wieder als positive Energie auf die Mannschaft zu übertragen, schon lange aufgegangen. Eine individualisierte Vorbereitung in allen Belangen hatte dazu den Grundstein gelegt, selten ist eine deutsche Nationalmannschaft körperlich und taktisch besser präpariert in ein Turnier dieser Dimension gegangen. Die Zeit war knapp, fast zu knapp, und einige Dinge, wie etwa die Effektivität bei Standards, kamen bei dem Crash-Kurs WM ’06 zwangsläufig zu kurz, aber mit dem dritten Platz hat sich der Trümmerhaufen aus Portugal schlagartig in die Weltspitze zurückgemeldet. Direkt nach dem kleinen Finale feierten die deutschen Spielern überschwänglich mit den Fans, Philipp Lahm ließ sich abklatschen. Die Weltmeister der Herzen feiern einen dankbaren dritten Platz und den gefühlten Titel ABSCHIED: Auf der Fan-Meile der Hauptstadt bejubeln 500 000 Fans die deutsche Elf / Klinsmann: Gebt mir noch ein paar Tage Aus Berlin berichtet unser Redaktionsmitglied Thorsten Hof David Odonkor, Lukas Podolski und Gerald Asamoah hatten nach Argentinien, Italien und einer kurzen Stuttgarter Nacht noch Kraft für eine weitere Verlängerung. Als sich im Hintergrund der Bühne vor dem Brandenburger Tor die übrigen Nationalspieler und Pop-Held Xavier Naidoo schon gegenseitig Autogramme gaben, legte das Trio mit dem sektseligen Kabinen-Hit „Marmor, Stein und Eisen bricht“ noch mal nach und brachte die 500 000 Fans auf Deutschlands größter Fan-Meile ein letztes Mal in Wallung. Es war der Schlusspunkt nach dem kleinen Finale von Stuttgart, das eigentliche Endspiel schien ohnehin niemanden mehr so richtig zu interessieren. Deutschland feierte seine „Weltmeister“ – ob mit oder ohne Pokal. Außerdem holte Miroslav Klose ja auch noch den „Goldenen Schuh“ als WM-Torschützenkönig. Das Einzige was störte, war vielleicht die TV-Inszenierung, die dem letzten Auftritt der Mannschaft die Spontanität nahm, die sie zuletzt vier Wochen auf dem Platz ausleben durfte. Doch ab und zu brach der unbändige Spaß an der Freude durch. Bastian Schweinsteiger, zweieinhalbfacher Torschütze beim 3:1 am Vorabend gegen Portugal, betätigte sich mit einer „Puck-dieStubenfliege-Sonnenbrille“ als Schlagzeuger, Kapitän Ballack ließ sich in Anspielung auf die Elfmeter-Legende gegen Argentinien einen Zettel aus Jens Lehmanns Stutzen bringen und las vor: „Vielen, vielen Dank. Ihr seid die Geilsten!“ Schon die Ersatzspieler und der gesamte Betreuerstab in den „Danke, Deutschland“-Trikots ernteten stürmischen Applaus für diesen Sommer ’06, die FußballEuphorie kannte dann aber keine Grenzen mehr, als das Trainer- und ManagementQuartett um Jürgen Klinsmann zum Emotionen-Bad im schwarz-rot-goldenen Meer antrat. Mit „Mach et, Klinsi!“ und „Klinsi, bleib“-Plakaten forderten die Fans das „Wunder von Johannesburg“, aber auf das spontane „Ja“ des Bundestrainers, der von seinem Assistenten Jogi Löw („Wir wünschen es uns“) oder Teammanager Oliver Bierhoff („Alle stehen hinter ihm“) ange- schoben wurde, wartete das Fußball-Volk einmal mehr vergeblich. „Tausend Dank, Ihr seid unglaublich“, rief der 41-Jährige in die Menge. „Aber ich kann das alles noch nicht greifen, gebt mir noch ein paar Tage.“ Das hörte sich immerhin nach einer schnelleren Entscheidung als bisher angekündigt an, Klinsmann hatte aber auch Zweifel, „ob sich das alles noch toppen lässt“. Für die Fans am Brandenburger Tor gar keine Frage: Sie grölten „54, 74, 90, 2010“ der „Sportfreunde Stiller“, und auch der zum DFB-Hofsänger aufgestiegene Mannheimer Soul-Star Naidoo hatte den PoesieAutomaten angeworfen. „2010 könnt ihr Weltmeister sein, denn diese Nation steht hinter euch – und zwar sehr“, holperte der neue Refrain von „Dieser Weg“ zwar noch etwas, doch der Background-Chor, mit Ballack, Podolski und all den anderen glich das problemlos aus. Dass diese Mannschaft dann nach einem kurzen Abstecher im Hotel „Adlon“ tatsächlich auseinander ging – es war angesichts dieser scheinbaren National-Wohngemeinschaft der vergangenen sieben Wochen kaum vorstellbar. Doch Philipp Lahm hatte Trost für seine Kollegen. „Das Gute ist, dass wir in vier Wochen schon wieder ein Länderspiel gegen Schweden haben“, grinste der Verteidiger. Und das hörte sich irgendwie nach der nächsten Verlängerung an. Vierter WM-Triumph: Italien holt den Goldpokal DAS FINALE: Sieg im Elfmeterschießen / Zidane sieht Rot Von unserem Redaktionsmitglied Thorsten Hof . . . in die Herzen der Fans Den Anteil, den daran der Bundestrainer trägt, redet in erster Linie Jürgen Klinsmann selbst gerne klein, doch niemand kann die Augen davor verschließen, dass es eben doch sein Projekt ist. Er hatte die Richtlinienkompetenz, er lenkte die Blicke neu auf Vertrautes, er erkannte die Dimension des Heimvorteils, er stand wie kein anderer für das Zutrauen in einst belächelte Visionen. Selbst im Spiel um den keinesfalls undankbaren dritten Ehrenplatz löste Klinsmann sein Versprechen ein und schickte eine völlig neu gestaltete Formation von Siegertypen auf den Platz, die den Fans nichts schuldig blieb. Die Party im Daimler-Stadion und der triumphale Abschied aus Berlin mit einer Art „gefühlten Weltmeisterschaft“ waren der Lohn für das Team, für den gesamten Betreuerstab und natürlich auch für Klinsmann. Was ihn nun immer noch zögern lässt, ist sein Wille zur Unabhängigkeit und die Tatsache, dass die momentane Euphorie keine Garantie für die Zukunft ist. Schon im September beginnt eine schwere Qualifikationsserie, bei der sich der Wind schnell drehen könnte. Diese neue Aufgabe ist aber zugleich die Chance, 2008 die nächste Stufe zu erklimmen. Jürgen Klinsmann sollte sie nutzen und bleiben. Bild: ddp Unrühmliches Ende einer großen Karriere. Für Zinedine Zidane war der WM-Pokal zum Greifen nah, am Ende jubelten aber die glücklicheren Italiener. Bild: dpa Exakt um 19.55 Uhr lief Zinedine Zidane achtlos am Goldpokal des kommenden Weltmeisters vorbei, als scheute er den Blick auf die Geschichte. Und das Märchen sollte sich im WM-Finale von Berlin, am Abend seines letzten Spiels, tatsächlich nicht erfüllen. Der Weltmeister von 1998 traf zwar zum zwischenzeitlichen 1:0 (7.) und hatte in der Verlängerung den Sieg auf dem Scheitel (104.), schwächte dann aber sein Team mit einer Roten Karte, das gegen ein nach der Halbzeit klar unterlegenes Italien das Elfmeterschießen zulassen musste. Dort setzte sich die „Squadra Azzurra“ nervenstark mit 5:3 durch und holte zum vierten Mal den Weltmeistertitel. „Es gewinnt die Mannschaft, die den größeren Hunger hat“, sagte Italiens Coach Marcello Lippi vor dem Spiel und keine Mannschaft machte vom Start weg den Eindruck, als ob sie vor dem Anpfiff nochmals üppig geschlemmt hätte. Dass sich die Partie aber viel offener entwickelte als bei diesem Duell der Defensivkünstler erwartet wurde, war vor allem dem frühen Strafstoß-Tor von Zinedine Zidane zu verdanken (7.). Malouda war unsanft gebremst worden, und der „blaue Engel“, wie ihn das französische Sportblatt „L’Equipe“ vor seinem letzten Flug taufte, schlenzte den Ball an die Unterkante der Latte, von wo aus die Kugel hinter die Linie tropfte. Doch dann spielte nur noch Italien, der 1:1-Ausgleich durch den baumlangen Verteidiger Materazzi (19.) war die logische Folge, weil die Franzosen einfach kein Mit- tel gegen die Ecken Pirlos von der rechten Seite fanden. Vieira kam hier zu spät, Toni hätte später fast für eine Kopie gesorgt, doch hier stand die Latte im Weg (36.). Die Franzosen kamen aber entschlossen aus der Kabine. Henry spielte sich im Minutentakt in den italienischen Strafraum, Malouda fiel wieder elfmeterverdächtig (53.), und erneut Henry prüfte Buffon (63.). Italien rettete sich in die Verlängerung, wo Zidane das 2:1 auf dem Kopf hatte. Doch Zizous kahles Haupt sollte das Finale noch nicht beendet haben. Nach einer Provokation Materazzis ließ sich der französische Kapitän zu einem Kopfstoß hinreißen und sah Rot (112.). Ein unrühmliches KarriereEnde, zudem musste Zidane in der Kabine zusehen, wie David Trezeguet in der Lotterie Elfmeterschießen an der Unterkante der Latte scheiterte, während alle italienischen Schützen sicher verwandelten. Italien – Frankreich 6:4 n.E. (1:1,1:1,1:1) Italien: Buffon (Juventus Turin/28 Jahre/67 Länderspiele) – Zambrotta (Juventus Turin/29/58), Cannavaro (Juventus Turin/32/100), Materazzi (Inter Mailand/32/ 32), Grosso (US Palermo/28/23) – Camoranesi (Juventus Turin/29/26 – 86. Del Piero/Juventus Turin/31/79), Gattuso (AC Mailand/28/47), Pirlo (AC Mailand/27/ 31), Perrotta (AS Rom/28/31 – 61. Iaquinta/Udinese Calcio/26/17) – Totti (AS Rom/29/58 – 61. De Rossi/AS Rom/22/20) – Toni (AC Florenz/29/24). Frankreich: Barthez (Olympique Marseille/35/87) – Sagnol (Bayern München/29/45), Thuram (Juventus Turin/34/121), Gallas (FC Chelsea/28/47), Abidal (Olympique Lyon/26/14) – Vieira (Juventus Turin/30/ 94 – 56. Diarra/RC Lens/24/11), Makelele (FC Chelsea/ 33/50) – Ribéry (Olympique Marseille/23/10 – 100. Trezeguet/Juventus Turin/28/66), Zidane (Real Madrid/ 34/108), Malouda (Olympique Lyon/26/19) - Henry (FC Arsenal/28/85 – 107. Wiltord/Olympique Lyon/32/87) Tore: 0:1 Zidane (7./Foulelfmeter), 1:1 Materazzi (19.) Elfmeterschießen: 1:0 Pirlo, 1:1 Wiltord, 2:1 Materazzi, Trezeguet verschossen, 3:1 De Rossi, 3:2 Abidal, 4:2 Del Piero, 4:3 Sagnol, 5:3 Grosso. – Schiedsrichter: Elizondo (Argentinien). – Zuschauer: 69 000 (ausverkauft). – Rote Karten: - / Zidane (110./Tätlichkeit). – Gelbe Karten: Zambrotta / Sagnol, Malouda, Makelele. – Beste Spieler: Cannavaro, Materazzi / Makelele, Malouda.