Risikoadaptierte Therapie des Schlaganfalls

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Risikoadaptierte Therapie des Schlaganfalls
Risikoadaptierte Therapie des Schlaganfalls
114. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)
Risikoadaptierte Therapie des Schlaganfalls
Ingelheim (24. April 2008) – Auf dem Satellitensymposium von
Boehringer Ingelheim im Rahmen des diesjährigen
DGIM-Kongresses (Wiesbaden, 29.3.-2.4.08) präsentierten Prof.
Dr. Martin Grond, Prof. Dr. Roman Haberl und Prof. Dr. Michael
Hennerici aktuelle Daten rund um den Schlaganfall.
Schwerpunktthemen waren die effektive Behandlung älterer
Patienten nach Ischämie, die angemessene
Schlaganfall-Sekundärprävention sowie Prognose und
Management der asymptomatischen Karotisstenose.
Der Schlaganfall ist heute die häufigste vaskuläre Erkrankung in
den west-lichen Ländern, vor allem Menschen über 70 Jahre sind
betroffen. Obwohl jedoch genau diese Altersgruppe aus vielen
Studien ausgeschlossen worden sei, könne das wirksamste
therapeutische Vorgehen aus neuen Studien und
Subgruppenanalysen abgeleitet werden, so Prof. Dr. Martin Grond.
Auch ältere Patienten sollten auf einer Stroke-Unit behandelt
werden
Grond widerlegte zunächst die Ansicht, dass vor allem jüngere
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Schlaganfall-Patienten auf eine Stroke Unit gehören. Aus der
Datenlage müsse man folgern, dass jeder Schlaganfallpatient –
und gerade der ältere Patient – auf einer Stroke Unit behandelt
werden sollte. Dazu stellte Grond eine der neueren Studien (1) mit
11.572 Patienten vor. Sie ergab, „dass signifikant mehr Patienten
überleben, wenn sie nach einem Schlaganfall in einer Stroke Unit
behandelt werden, anstatt in einer konventionellen Klinik.“ Das
Risiko für Tod oder Behinderung (Rankin-Score > 2) wurde um 19
Prozent reduziert. „Die Subgruppenanalyse nach Alter – jünger
oder älter als 75 Jahre – zeigte, dass beide Patientengruppen von
der Stroke-Unit-Behandlung profitieren.“
Ist die Thrombolyse auch bei älteren Patienten sicher?
Als Therapieverfahren nach einem ischämischen Schlaganfall dient
die intravenöse Thrombolyse mit rt-PA innerhalb der ersten drei
Stunden nach Symptombeginn. „Sie müssen sieben Patienten
lysieren, um einen vor Tod oder schwerer Behinderung zu
bewahren – das ist extrem effektiv“, sagte Grond. Hirnblutungen
finde man bei der Thrombolyse des Schlaganfalls in 6,4 Prozent
der Fälle, wobei es sich aber meistens um Einblutungen in den
Infarkt handele. „Die Blutungsrate in gesundes Gehirngewebe bei
der Lyse liegt zwischen ein und zwei Prozent“, so Grond.
Zur Frage, ob man auch ältere Patienten sicher lysieren kann, gebe
es zurzeit nur kleinere Subgruppenanalysen, äußerte Grond. Die
Zulassung gilt nur für Patienten unter 80 Jahren. „Die Datenanalyse
des NINDS (2) konnte keinen Einfluss des Alters auf die
Wirksamkeit der Thrombolyse oder auf die
Blutungswahrscheinlichkeit unter Thrombolyse finden“, erklärte er.
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Warum die Sekundärprävention so wichtig ist
Nach einem Schlaganfall oder einer transitorischen ischämischen
Attacke (TIA) liegt das 5-Jahres-Risiko für ein schweres
Gefäßereignis bei 24,4 Prozent und das 10-Jahres-Risiko bei 44,1
Prozent – so die Ergebnisse einer aktuellen Studie (3), die
verschiedene Meta-Analysen auswertete. „Also erleidet nach fünf
Jahren jeder vierte und nach zehn Jahren jeder zweite
Schlaganfallpatient ein weiteres vaskuläres Ereignis“, sagte Grond.
Mit einem Behandlungspaket aus fünf wirksamen Strategien –
Ernährungsum-stellung, Sport, Antihypertensiva, Statin und ASS
oder einer Kombinations-therapie aus ASS und Dipyridamol –
könne man dieses Risiko zumindest rechnerisch um 80 Prozent
verringern, erläuterte Grond. Damit reduziere sich das
5-Jahres-Risiko für ein schweres Gefäßereignis auf fünf Prozent.
Eine an das individuelle Rezidivrisiko angepasste
Sekundärprävention empfehlen die aktuellen Leitlinien von DGN
und DSG. (4) „Gerade alte Patienten haben ein hohes Rezidivrisiko
und müssen besonders geschützt werden“, erläuterte Grond. Bei
erhöhtem Rezidivrisiko empfehlen die Leitlinien zusätzlich zu ASS
Dipyridamol retard. Neurodegenerative und neurovaskuläre
Erkrankungen beeinflussen sich gegenseitig, so Grond
abschließend. Mit Prophylaxe schütze man daher nicht nur vor
Schlaganfall oder Demenz, sondern das Gehirn als Gesamtorgan.
Medikamente und Kombinationstherapien zur
Sekundärprävention
Prof. Dr. Roman Haberl, München, fasste die bisherige Studienlage
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zu Thrombozytenaggregationshemmern in der
Schlaganfall-Sekundär-prävention zusammen. Ein Fazit sei, dass
es kein klinisches Benefit beim Schlaganfall über eine
Thrombozytenaggregationshemmung von 50 bis 60 Prozent hinaus
gebe. Dass Risiko für Blutungskomplikationen steige dann
allerdings deutlich an, so Haberl.
Daher sollten GP-IIb/IIIa-Antagonisten nicht zur
Sekundärprävention des Schlaganfalls eingesetzt werden, da sie
nicht besser wirksam seien, das Blutungsrisiko aber signifikant
erhöhen. Auch bei ASS sei die erzielte mäßige Risikoreduktion
beim Schlaganfall unabhängig von der Dosierung.
Der Thrombozytenaggregationshemmer Clopidogrel schnitt in der
CAPRIE-Studie (5) bei Patienten mit pAVK besser ab als ASS,
nicht bei solchen mit Herzinfarkt oder Schlaganfall. Es sei plausibel,
dass bei einer Erkrankung, die mit starker Atherosklerose
einhergehe, ein potenter Aggregations-hemmer besser wirke als
ASS, erklärte Haberl. „Bei Schlaganfall-Patienten handelt es sich
eher um ein Mischkollektiv; sie haben zwar teilweise
Atherosklerose, aber auch Mikroangiopathie oder kardiogen
embolische Probleme, daher verwundert es nicht so sehr, dass der
Effekt durch Clopidogrel nicht so hoch ist“, so Haberl.
„Für eine Kombination aus Clopidogrel plus ASS haben wir in der
Neurologie keine Indikation mehr, denn es ergibt sich keine
Wirksamkeits-steigerung, sondern nur eine Blutungserhöhung“,
stellte Haberl mit Verweis auf die Studien MATCH (6) und
CHARISMA (7) fest. Eine Ausnahme stelle die Einlage eines Stents
dar, sagte Haberl. Danach empfehlen die DGN-Leitlinien die
Verabreichung von Clopidogrel plus ASS für ein bis drei Monate.
Antithrombotische und anti-atherosklerotische Wirkung von
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Aggrenox®
Im Gegensatz dazu sei die Kombination aus retardiertem
Dipyridamol und ASS (Aggrenox®) bei TIA und Patienten mit
ischämischem Schlaganfall sehr sinnvoll, da hier verschiedene
Wirkmechanismen zusammenspielten, erläuterte Haberl. ASS wirkt
antithrombotisch, indem es die Thromboxansynthese hemmt,
während Dipyridamol über verschiedene Wege die Thrombozyten
im inaktiven Zustand stabilisiert und die endotheliale Schutzfunktion
fördert. „Dipyridamol hemmt beispielsweise Phosphodiesterasen,
was zu einem erhöhten intrazellulären cGMP- und cAMP-Spiegel
führt“, erläuterte Haberl. Dadurch wird die Wirkung von
Stickstoffmonoxid (NO) potenziert und die Prostazyklinfreisetzung
gesteigert, was beides antithrombotisch wirkt.
„Dipyridamol hat pleiotrope Effekte, wodurch sich in den
entsprechenden Studien (8,9) eine deutliche additive Wirkung von
ASS und Dipyridamol zeigte“, erklärte Haberl. In der
ESPRIT-Studie (9) betrug die relative Risikoreduktion für den
primären Endpunkt (vaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall
oder schwere Blutungskomplikation) durch Dipyridamol plus ASS
im Vergleich zu ASS allein 20 Prozent.
„Die wesentliche Voraussetzung für die pleiotropen Effekte ist
jedoch eine langfristige Wirkung des Medikaments, die nur durch
die retardierte und hochdosierte Formulation von Dipyridamol
erreicht wird“, sagte Haberl. Im Gegensatz zu ASS plus Clopidogrel
mit einer einprozentigen Zunahme der Einblutungen zeigte sich
unter ASS und Dipyridamol eine tendentielle Abnahme der
intrakraniellen und lebensbedrohlichen Blutungen, so Haberl. (9)
Aggrenox® ist das einzige Kombinationspräparat, das eine
Zulassung zur Behandlung nach Sekundärprävention des
ischämischen Schlaganfall und TIA hat. Die Kombination von ASS
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und Clopidogrel zeigte in MATCH (6) und CHARISMA (7) keine
Vorteile gegenüber den Monotherapien. Es wird daher von den
Leitlinien (4) empfohlen, diese Kombination nicht zur
Sekundärprävention von ischämischem Schlaganfall und TIA
einzusetzen.
Was tun bei Karotisstenose?
Prof. Dr. Michael Hennerici, Mannheim, sprach zu Prognose und
dem Management der Karotisstenose. Diese sei nur gelegentlich
Ursache einer TIA oder eines Schlaganfalls: „Es sind vielleicht zwei
bis fünf Prozent hochgradige Karotisstenosen, die in einem
Kollektiv von Schlaganfall-patienten ursächlich verantwortlich sind,
“ sagte Hennerici. Die Bedeutung einer Karotisstenose als
Risikoindikator einer zerebro-kardiovaskulären Erkrankung sei aber
weit größer und werde bislang erheblich unterschätzt.
Die konservative Therapie sei von höchster Bedeutung. „Dazu
gehören die antihypertensive Therapie, die Gabe eines Statins und
eines Thrombozyten-aggregationshemmers und natürlich auch die
Empfehlungen zu gesünderer Ernährung und Sport“, so Hennerici.
Es sei wichtig, diese Behandlungen nicht nur einzuleiten, sondern
sie auch langfristig zu begleiten und regelmäßig zu kontrollieren.
Literatur
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1) Candelise L et al. (2007): Lancet 369: 299–305.
2) NINDS: National Institute of Neurological Disorders and Stroke.
3) Hackam DG, Spence JD (2007): Stroke 38: 1881–1885.
4) Diener HC et al. (2007): Akt Neurol 8–12.
5) CAPRIE Steering Committee. (1996): Lancet 348: 1329-1339.
6) Diener HC et al. (2004): Lancet 364: 331-334.
7) Bhatt D et al. (2006): N Engl J Med 354: 1706-1717.
8) Diener HC et al. (1997), Neurol Sci: 151 (Suppl): S1-S77.
9) ESPRIT Study Group (2006): Lancet 367: 1665–1673.
HINWEIS: Die durchschnittliche ASS-Dosierung lag bei 75mg
(Dosierungen zwischen 30 und 325 mg nach Entscheidung der
Prüfärzte), Dipyridamol wurde in der Gruppe mit
Kombinationstherapie mit je 200 mg zweimal täglich gegeben.
Insgesamt maximal acht Prozent der Patienten dieses Studienarms
wurden mit Aggrenox® behandelt.
Quelle: Presseinformation der Firma Boehringer Ingelheim vom
24.04.2008 (tB).
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