Kleines Filmglossar

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Kleines Filmglossar
R.Eshelman
April 2009
Kleines Filmglossar
1. Die Einstellung (shot, take)
Die Einstellung (engl.: shot [beim Betrachten] oder take [beim Drehen])
ist ein zusammenhängend aufgenommenes, ungeschnittenes Filmsegment.
Einstellungen können bei herkömmlichen Filmkameras aus technischen
Gründen nicht länger als 11 Minuten dauern. Im klassischen Hollywoodstil
(30er-Ende der 50er Jahre) beträgt die Einstellung meist zwischen 8-11
Sekunden; in letzter Zeit 4-6 Sekunden). In der Stummfilmzeit und in
Kunstfilmen ab den 60er Jahren sind Einstellungen oft wesentlich länger.
Der master shot oder scene (Master-Szene) ist eine längere Einstellung,
die als Grundlage für verschiedene Zwischenschnitte dient.
Die Einstellung schafft ein zeitliches Kontinuum und ist gewissermaßen das
Gegenstück zum Schnitt (cut, edit, montage), der einen Bruch erzeugt.
Eng verbunden mit der Einstellung ist das Konzept der Mis en Scène
(Anordnung der Gegenstände oder Menschen in der Einstellung). Merke:
durch die Kamera gesteuerte Tiefenschärfe kann man Gegenstände in
der Mis en Scène dynamisch hervor- bzw. zurücktreten lassen.
Größe der Einstellung und deren Funktionen
Weit (extremely long shot): Mensch in Landschaft kaum sichtbar;
Panorama.
Totale (very long shot): Mensch ist der Landschaft untergeordnet.
Detailverlust bei Videoaufnahmen bzw. im Fernsehformat.
Halbtotale (long shot): Mensch von Kopf bis Fuß; für kleinere
Menschengruppen und körperbetonte Aktionen geeignet. Diese
Größe gilt als optimal für den Fernsehbildschirm und wird in
Videoaufnahmen der Totale vorgezogen, wenn es um Gruppenszenen
geht.
Halbnahe (medium long shot, American knee shot): Mensch von
unterhalb des Knies an; etwas ¾ des Menschen. Zeigt den Menschen
im räumlichen Kontext, oft in Zweier- oder Dreiergruppen. Diese
Größe gilt als optimal bei der Menschendarstellung im Videoformat.
Amerikanisch (medium shot, American shot): Mensch von
Oberschenkel bis Kopf; wichtig ist, dass die Hand gezeigt wird.
Nahe (medium close up): Kopf bis Mitte des Oberkörpers; oft bei
Dialog.
Groß (close up): Kopf; wirkt emotionalisierend und in der Regel
identifikationsstiftend.
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Detail (big close up): Ausschnitt des Kopfes oder eines Gegenstandes;
wirkt bei Menschendarstellungen oft verfremdend (siehe die
verschreckten Augen am Anfang der „Tatort“-Reihe).
Übersicht der Einstellungsgrößen
Panorama, weit
Amerikanisch
Totale
Nahe
Halbtotale
Groß
Halbnahe
Detail
2. Perspektive
Normalsicht (Augenhöhe der Personen)
Aufsicht (Vogelperspektive); verschafft einen Überblick, kann bei leichter
Erhöhung der Kamera einzelne Figuren gewichten.
Untersicht (Froschperspektive) lässt Gegenstände oder Personen größer
wirken.
POV-Einstellung (Point of view shot) zeigt die Perspektive einer Person.
Wird selten lange durchgehalten. Merke auch, dass die Übergänge zwischen auktorialer und personaler (POV) Kamera-Perspektive fließend
sind; es gibt verschiedene Grade der Distanzierung bzw. Annäherung.
Over-the-shoulder-shot (OSS) (Aufnahme „über die Schulter“) Wird
häufig bei bei der Aufnahme von Gesprächen verwendet. Die OSS gibt
die Perspektive der betr. Person nicht ganz wieder, ist aber sehr nahe
daran.
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180°-Regel Der Raum wird wie eine Bühne betrachtet; gefilmt wird nur
innerhalb eines 180°-Kreises um die Personen oder Gegenstände herum.
Abweichungen von dieser Regel verwirren den Zuschauer erheblich,
können aber auch kunstvolle Effekte erzeugen (sowj. Montage-Kino,
nouvelle vague).
Handlungsachse
i.d. Regel
keine
Aufnahmen
aus diesem
Bereich
heraus.
(sog.
Achsensprung)
Kamera 2
Person 2
180°Bereich
Dieses Diagramm
veranschaulicht auch
das sog. CoverageSystem. Kamera 2
erfasst die ganze
Szene und „deckt“ die
eingeschränkte OSSEinstellung von
Kamera 1.
Person 1
Kamera 3
Kamera 1
3. Kamerabewegung
In der Regel bleibt die Kamera unbeweglich (das Gefühl der Dynamik wird
durch Schnitte erzeugt). Tatsächliche Bewegungen sind immer umso
effektvoller. Kamerabewegung ist nicht nur eine Frage des Stils, sondern
auch eine der Technik. In der frühen Stummfilmzeit konnten die schweren
Kameras kaum bewegt werden; in den sechziger Jahren entstanden
handgehaltene 16mm-Kameras und in den 70er Jahren die Steadicam, die
eine flüssige Bewegung der handgehaltenen Kamera ohne Wackler erlaubt.
Schwenk (pan, panning). Ein langsamer Schwenk wirkt beruhigend und
verlangsamend; ein gleitender Schwenk tastet den Raum ab und
liefert neue Informationen; ein schneller Schwenk kann dramaturgische Funktionen übernehmen (Überraschung, dramatische Wechsel,
Dialog verfolgen). Der Reißschwenk (flash pan, swish pan) ist ein
rückartiger Schwenk, dessen Inhalt eigentlich nicht mehr wahrnehmbar
ist: eine neue Einstellung wird damit ohne Schnitt angesteuert. Gleichmäßige Schwenke durchzuführen verlangt ein gewisses Können sowie
den Gebrauch eines Stativs oder einer sog. Steadicam.
Kamerafahrt (tracking shot, travelling shot) erfolgt durch Mensch, Dolly,
Auto, Hubschrauber, Pferd, Kran usw.; wird häufig benutzt, um den
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Zuschauer in einen Handlungszusammenhang hinein zu versetzen
(Annäherung, Entfernung, Verfolgung). Je nach Lage: Ranfahrt, Rückfahrt, Seitfahrt (an mehreren Objekten vorbei), Parallelfahrt (parallel
zu einem sich bewegenden Objekt). Unsere Möglichkeiten, Kamerafahrten durchzuführen, sind auf den Fußweg beschränkt und wegen der
notwendigerweise unruhigen Kamerahaltung zu vermeiden.
Zoom erzeugt durch Fokussierung einen ähnlichen Effekt wie eine Kameraranfahrt, verzerrt aber den abgebildeten Raum.
Bewegungsrichtung kann Parallel zur Bildfläche erfolgen; dies erzeugt
ein eher distanziertes Verhältnis. Wenn Handlungsachse und Blickachse gleich sind (d.h. die Dinge kommen auf uns zu) fühlt sich der
Zuschauer bedroht oder involviert.
4. Schnitt (Montage)
Der Schnitt bezieht sich auf die Zerschneidung und Neuzusammensetzung
des Filmmaterials; kann je nach Montagetechnik synthetisierend wirken
oder Diskontinuitäten erzeugen.
Merke: „Montage“ wird auch benutzt, um das filmtheoretische Programm
der russischen Avantgarde der 10er und 20er Jahre (Kulešov, Eisenstein,
Pudovkin u.a.) zu bezeichnen, die sprunghafte, verrätselte Bildfolgen
bevorzugte.
Die wichtigsten Techniken beim Schneiden:
harter Schnitt (direct, straight cut) direkter Übergang zur nächsten Einstellung. Die von Profis am meisten benutzte Schnitttechnik. Der harte
Schnitt erzeugt potentiell immer Verwirrung und muss durch Kommentar, Handlungslogik, Ton usw. unterstützt werden. Der harte Schnitt
muss im Standard-Hollywoodstil immer außerhalb eines 30°-Winkels
relativ zur letzten Kameraposition erfolgen (siehe jump cut weiter
unten) und soll in der Regel mindestens eine Einstellungsgröße
überspringen (z.B. groß zu halbnahe, aber nicht groß zu nahe).
unsichtbarer Schnitt (matching action, continuity cutting) Schnitte
erfolgen so, dass sie mit der abgebildeten Handlung logisch
übereinstimmen und möglichst wenig auffallen (beim Raum-, BlickWortwechsel usw.). „Sichtbare“ oder „fühlbare“ Schnitte lenken die
Aufmerksamkeit auf das Medium selbst.
Überblendung (cross-fade, dissolve) Filmsegmente werden übereinander
gelegt, um einen Übergang zu schaffen oder einen Bezug herzustellen;
kann u.a. kurz oder weich erfolgen. Bei der Überblendung wird ein
eindeutiger Bezug zwischen den zwei sich überlappenden Einstellungen
hergestellt (im Gegensatz zum harten Schnitt). Der heutige Zuschauer
hat gelernt, harte Schnitte zu „lesen“ und muss nicht ständig durch
Überblendungen „ausgeholfen“ werden.
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Übersichtseinstellung (establishing shot); sorgt in der Standardfilmgrammatik für einen Handlungsrahmen (Beispiel: Gebäude wird von
außen gezeigt; dann wird zu einem Innenraum geschnitten, in dem sich
die tatsächliche Handlung stattfindet.) Der establishing shot ist ein
wichtiger Bestandteil der klassischen Filmgrammatik (Bewegung vom
Allgemeinen zum Besonderen). Die aktuelle Filmgrammatik benutzt
häufig eine Detailaufnahme, schneidet dann zu größeren Einstellungen,
die diese im Kontext zeigen.
weicher Schnitt (soft cut) kurze Überblendung (schwarze oder weiße Stelle)
bzw. Ab- und -Aufblendung erfolgt zwischen Schnitten. Signalisiert u.a.
Unterbrechungen während gefilmter Gespräche.
Seltene Schnitttechniken
Blende (fade, wipe); Übergang, wobei es aussieht, als ob die Kamerablende
schließe. Häufig im Stummfilm; heute selten oder nur augenzwinkernd
gebraucht.
Match cut = Schnitt zwischen zwei Bildern mit gleichem Ausschnitt oder
gleicher Größe (unterstreicht Veränderung in der Zeit). Kommt
vergleichsweise selten vor und erzeugt in der Regel eine symbolische
Gleichsetzung der zwei gegenübergestellten Einstellungen.
Jump cut (Bildsprung). Änderung der Kameraposition innerhalb eines 30%
Winkels relativ zur letzten Kameraposition; wird von Zuschauern
unwillkürlich als „Fehler“ oder „Sprung“ empfunden. Ähnliches gilt auch
für die Einstellungsgröße: wird beim selben Gegenstand von einer
Einstellungsgröße unmittelbar zur nächsten geschnitten (z.B: von
Halbnah zu Amerikanisch), wird dies vom Zuschaher als Sprung
empfunden. Jump cuts werden vor allem im sowjetischen Montage-Kino
und später ab den 60er Jahren effektvoll eingesetzt, im klassischen
Hollywoodstil sind sie tabu.
Digitale Tricks (Blättern, Wellen, Spiralen, pixellierte Auflösung usw.).
Verspielte Übergänge, die meist sehr gezielt bzw. selten eingesetzt
werden.
Andere Begriffe
Die Sequenz ist eine inhaltlich definierte Handlungseinheit in einem Film;
Sequenzen können aus einer oder aus vielen Einstellungen bestehen.
Sequenzprotokoll Genaue Erfassung einiger oder sämtlicher filmtechnischer
Vorgänge (Handlung, Schnittlänge, Ton, Einstellungsgröße usw.) in einer
Sequenz.
Parallelmontage, -schnitt häufig verwendete Technik, in der zwei verschiedene Handlungsstränge abwechselnd aufeinander folgen und somit
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eine Einheit bilden (Beispiel: Verfolgungsszenen, bei denen zwischen
Jäger und Gejagtem hin- und hergeschaltet wird).
Plansequenz (steht im Gegensatz zu Schuss-Gegenschuss, Montage)
längere Einstellung, in der z.B. ein längeres Gespräch durch aufwändige
Kamerabewegungen bzw. durch die Einstellung der Tiefenschärfe erfasst
wird; unterstreicht Kontinuität der Handlung.
Schuss-Gegenschuss-Verfahren (complementary two-shot, reverse-angle
shot) wird bei Gesprächen verwendet; zeigt perspektivisches Hin-undHer zwischen zwei Gesprächspartnern an Hand von zwei sich spiegelnden over-the-shoulder-shots (OSS). Bei Dokumentarfilmen normalerweise nicht gebräuchlich, es sei denn, man will den Interviewer als
gleichwertiger Partner des Befragten zeigen.
slow cutting/fast cutting; langsamer bzw. schneller Bildwechsel. Slow
cutting führt zu längeren Einstellungen; fast cutting zu kürzeren.
Découpage classique oder Hollywoodstil = bezeichnet den klassischen
Hollywoodstil zwischen den 30er und 50er Jahren. Besteht in einer losen
Kombination aus verschiedenen Verfahren: Einführungseinstellung
(establishing shot), Bewegung vom Allgemeinen auf das Detail,
Dialogszene stets im Schuss-Gegenschuss-Verfahren, häufigem Gebrauch von unsichtbaren Schnitten, coverage-System usw. Der
Hollywoodstil wird häufig noch im Fernsehen benutzt.
5. Ton
Der Ton ist fast ebenso wichtig wie das Bild. Film ohne Ton wirkt tot oder
unwirklich (auch „Stummfilme“ wurden begleitet von Musik und Special
Effects).
Der Ton im Film weist fünf Schichten auf:
1. Atmo = Atmosphäre-Aufnahme, Aufzeichnung von Geräuschen in der
Drehumgebung, die als Hintergrund eingesetzt werden. Atmos müssen in
der Regel nicht genau mit Bildinhalten synchronisiert werden.
2. Effekte = künstliche erzeugte Geräusche, die gezielt eingesetzt werden.
3. Geräusche = bedeutungslose Töne
4. Sprache = bedeutungstragende Töne
5. Musik = harmonische Töne
synchron = Ton ist lokalisierbar im Bildraum.
asynchron = Ton ist außerhalb des Bildraums („kommt aus dem Off“), lässt
sich aber in den Kontext einordnen (Übergänge zwischen synchron und
asynchron kommen häufig vor: man hört zuerst ein Geräusch, sieht
dann die Ursache).
Musik erzeugt die verschiedensten Arten von Emotionalisierung und
Rhythmisierung und übt eine starke Wirkung auf das Publikum aus.
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Tonübergänge beim Schnitt
Beim Schneiden kann der Ton eingesetzt werden, um bestimmte Übergänge
zu schaffen oder Effekte zu erzielen. So kann ein gleitender Tonübergang (z.B. Musik) zwei stark kontrastierende Einstellungen miteinander
verbinden. Ton aus dem Off kann räumliche Tiefe suggerieren; durch
einen nachträglichem Schnitt zu einer Tonquelle aus dem Off kann
Spannung erzeugt und abgebaut werden. Effektvolle Übergänge können
auch durch die langsame Ausblendung von Ton oder durch die Mischung
verschiedener Töne geschaffen werden.
6. Beleuchtung
Grundbegriffe:
Führungslicht (key light): Führungslicht liefert den Hauptanteil an Lichtenergie für die Belichtung des Materials. Sie zeichnet das Volumen des
Objekts, dient der Darstellung der Form sowie dem Erkennen der
Oberfläche. Standardposition des Führungslichts bei Menschen ist 40°
Grad in der Höhe (ähnlich dem Sonnenlicht) und 40° Grad seitlich von
der Kameraachse.
Aufhellung (fill light): Bringt das Minimum an Licht, das den Schatten
durchzeichnet bzw. die Fläche „unter dem Schatten“ sichtbar macht; soll
selbst keinen neuen Schatten erzeugen. Die Aufhellung ergänzt und
unterstützt das natürliche Streulicht, das einem im Raum immer umgibt.
Modellierungslicht . Spotbeleuchtung eines Teils der Person, um diesen
genauer zu zeichnen.
Gegenlicht. Hebt die Konturen der betr. Person vom Hintergrund ab. Kommt
aus der Tiefe und ist gegen die Kamera gerichtet.
Hintergrundlicht. Spotbeleuchtung eines flachen, monochromen Hintergrundes, damit die gefilmte Person nicht in der Luft zu hängen scheint.
Beleuchtungsstile
Normalstil Die Szene wird so ausgeleuchtet, dass alle Details deutlich zu
erkennen sind und der Eindruck einer „gleichmäßigen Ausleuchtung“
entsteht. Der Normalfall.
Low-Key-Stil (auch: chiaroscuro style) zeichnet sich durch schroffe HellDunkel-Konfrontationen aus. Zu finden bei Darstellungen dramatischer
Situationen, geheimnisvoller Vorgänge, Verbrechen, psychischer Anspannung und dergleichen. In der Filmgeschichte stark verbunden mit
dem Expressionismus der 20er Jahre und mit dem Film Noir der 40er
und 50er Jahre. Die Phrase „low key“ bezieht sich auf das niedrige
Verhältnis von Aufheller zum Führungslicht („low ratio of fill light to key
light“).
High-Key-Stil bezeichnet eine hell ausgeleuchtete Räumlichkeit, in der alles
genau und überdeutlich zu erkennen ist. High-Key-Ausleuchtung erzeugt
eine freundliche, optimistische Grundstimmung (viele klassische
Hollywood-Komödien sind in diesem Stil ausgeleuchtet).
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Anmerkung: In den populären ZDF-Dokumentarfilmen von Guido Knopp
(Hitlers Helfer, Hitlers Krieger usw.) werden Geschichtszeugen unter
Anwendung der letzten drei Techniken sehr ausdrucksvoll belichtet.
Ein Bild von Knopp selbst veranschaulicht dieses Verfahren:
Führungslicht
von vorne links
und leicht von
oben herab
(vgl.
Kinnschatten)
Modellierungslicht: Spotbeleuchtung
des Haares verleiht den Kopf Konturen
und Glanz (auch im übertragegen
Sinne)
Auffüllicht
von vorne
schwächt
Schattierung
im Gesicht
ab
Hintergrundlicht
hebt Person vom
Hintergund ab