Vertiefung

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Vertiefung
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Sommersemester 2013
1
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Übersicht
I.
§1
§2
II.
§3
§4
§5
§6
III.
§7
§8
§9
Die Voraussetzung: Das Wirken des
Jesus von Nazareth
Zur Geschichte des Problems des
„Historischen Jesus“
Die Quellen der Rückfrage
Stationen urchristlicher Geschichte
Personen und Funktionen in der
Urgemeinde
Hebräer und Hellenisten
Christliche Gemeinden außerhalb
Jerusalems
Die weitere Entwicklung bis zur
Jahrhundertwende
IV.
§10
§11
Die synoptische Frage
Ältere Lösungsversuche
Alternativ-Modelle zur
Zwei-Quellen-Theorie
V.
§12
§13
§14
Das Johannes-Evangelium
Die Eigenart des JohEv
Einleitungsfragen
Zur Theologie des JohEv
Die Briefe des Paulus
Zum Problem der Pseudepigraphie
Der Galaterbrief
Der Römerbrief
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Einleitung in das Neue Testament
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Phasen der Jesusforschung
Die Anfänge
• Hermann Samuel Reimarus unterscheid erstmals grundsätzlich zwischen der Lehre Jesu
und derjenigen der Apostel. Jesus habe in Übereinstimmung mit den religiösen
Überzeugungend es Judentums Moral und das Kommen eines messianisch-politischen
Reiches verkündet (sein Werk wurde 1774-78 von G.E. Lessing anonym herausgegeben)
• In seinem zweibändigen Werk „Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet“ (1835/36) griff David
Friedrich Strauß die Differenz zwischen Jesus und Urchristentum auf. Der Christusglaube
ist für ihn letztlich zurückzuführen auf Ideen, die die Vernunft vom Verhältnis des
Menschen zu Gott hat.
Liberale Leben-Jesu-Forschung (19. Jh.)
Der Versuch, ein Leben Jesu zu schreiben, führte zur Gestaltung des Jesus-Bildes nach dem
je eigenen Persönlichkeitsideal des Forschers. Die Lücken, die die Quellen ließen, wurden
aktualisiert entsprechend den Moralvorstellungen des 19. Jh.
Die „Neue Frage“ nach dem historischen Jesus
suchte nach dem historischen Jesus unter Berücksichtigung des Charakters der Quellen: man
unternahm nicht mehr den Versuch, ein Leben Jesu im Sinne einer Biographie zu schreiben,
sondern strebte eine Rekonstruktion der wesentlichen Elemente des Wirkens Jesu an. Durch
den Glauben der Gemeinde hindurch kann man zum Jesus der Geschichte vorstoßen.
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Einleitung in das Neue Testament
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Die „dritte Runde“ der Rückfrage („third quest“)
(1) Loslösung der Jesusforschung von theologischen Fragen: Es geht nicht mehr darum, das
Bekenntnis zu Jesus Christus beim geschichtlichen Jesus zu begründen.
(2) Einbeziehung sozialgeschichtlicher und Öffnung für interdisziplinäre Fragen.
(3) Einordnung Jesu in das Judentum.
(4) Erweiterung und Verfeinerung der Quellenbasis mit der Berücksichtigung auch
nicht-kanonischer Quellen.
(5) Abschied vom Differenzkriterium als methodischer Grundlage der Rückfrage.
Zur Kritik an der Etablierung der „dritten Runde“
• Nicht alles, was als Neuheit angepriesen wird, ist grundlegend neu (Einordnung
Jesu ins Judentum; Kriterien).
• Verfeinerungen der Methode (in der Aufnahme sozialgeschichtlicher Fragen)
begründen keine neue Forschungsphase.
• In der Quellenfrage ist kein Konsens zu entdecken, der die neuen Arbeiten zu
einer eigenen Phase bündeln könnte.
• Die Behauptung, losgelöst von theologischen Fragen nun historische
Jesusforschung im eigentlichen Sinn zu betreiben, nährt den Verdacht, dass das
Etikett „third quest“ die eigene Position bestärken soll.
• Die „dritte Runde“ lässt sich forschungsgeschichtlich nicht klar abgrenzen.
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Einleitung in das Neue Testament
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Fazit: Sicher hat die Jesusforschung in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten wichtige
neue Impulse erhalten; die grundlegenden Einsichten der „neuen Frage“ sind aber
nach wie vor gültig.
Eine neue Phase wäre erreicht, wenn sich das Konzept des „erinnerten Jesus“ durchsetzen
sollte:
Der Jesus der Geschichte ist nicht hinter den Quellen zu suchen, vergangene Wirklichkeit
lässt sich nicht wiederherstellen. Zugänglich ist Jesus nur in den Erzählungen der
Evangelien, die als Geschichtskonstruktionen ernst zu nehmen sind. Sie sind als
Wirkungen der Ereignisse zu begreifen, auf die sie sich beziehen (Jens Schröter, James
Dunn).
Das Neue läge in der Einschätzung, dass die Suche nach ursprünglichen Schichten der
Jesusüberlieferung aufzugeben ist.
Problem:
Eine kontrollierte Methode, wie unter dieser Voraussetzung ein Bild vom
historischen Jesus zu gewinnen ist, zeichnet sich derzeit noch nicht ab. Die
Zukunft dieses Konzepts ist offen.
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Einleitung in das Neue Testament
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Nichtchristliche Quellen zur historischen Rückfrage
Tacitus, Annales XV,44
Der Name des Christentums „stammt von Christus, der unter Tiberius vom Prokurator
Pontius Pilatus hingerichtet worden war“.
Sueton, Claudius 25
Sueton berichtet von der Vertreibung der Juden aus Rom unter Kaiser Claudius (das sog.
„Claudiusedikt“) und führt als Begründung an, die Juden hätten „auf Antrieb eines Chrestos
fortdauernd Unruhe gestiftet“.
Rabbinische Texte
Entstanden im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Christentum, verwerten die
Äußerungen über Jesus keine zusätzlichen Quellen.
Mara bar Sarapion
Der Brief des Syrers Mara bar Sarapion wird bisweilen in die 70er Jahre des 1. Jh. datiert.
„Was hatten die Juden von der Hinrichtung ihres weisen Königs, da ihnen von jener Zeit an
das Reich weggenommen war?“
Wahrscheinlich hat Mara seine Kenntnisse über Jesus aus dem syrischen Christentum, denn
er bezeugt eine Abhängigkeit von der innerchristlichen Perspektive.
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Flavius Josephus, Antiquitates XVIII 63f/3,3
Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch, wenn man ihn denn
überhaupt einen Menschen nennen darf. Er vollbrachte nämlich ganz
erstaunliche Taten und war Lehrer aller Menschen, die mit Freuden die
Wahrheit aufnahmen. So zog er viele Juden und auch viele Heiden an
sich. Er war der Messias. Und obwohl ihn Pilatus auf Betreiben der
Vornehmsten unseres Volkes zum Kreuzestod verurteilte, wurden doch
seine früheren Anhänger ihm nicht untreu. Denn er erschien ihnen am
dritten Tage wieder lebend, wie gottgesandte Propheten dies und tausend
andere wunderbare Dinge von ihm vorherverkündigt hatten. Und noch
bis auf den heutigen Tag besteht das Volk der Christen, die sich nach ihm
nennen, fort.
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Flavius Josephus, Antiquitates XVIII 63f/3,3 – ursprüngliche Form
Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch,
Er vollbrachte nämlich ganz erstaunliche Taten und war
Lehrer aller Menschen, die mit Freuden die Wahrheit aufnahmen. So zog
er viele Juden und auch viele Heiden an sich.
Und
obwohl ihn Pilatus auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes zum
Kreuzestod verurteilte, wurden doch seine früheren Anhänger ihm nicht
untreu.
Und noch bis auf den heutigen
Tag besteht das Volk der Christen, die sich nach ihm nennen, fort.
→ Außerdem findet sich eine kurze Notiz in Ant. XX 200/9,1: Der Hohepriester Hannas II.
ließ Jakobus, „den Bruder Jesu, des sogenannten Christus“ hinrichten. Josephus bietet
keine nähere Erläuterung zu Jesus. Dies wäre schwer erklärlich, wenn er an dieser
Stelle zum ersten Mal von Jesus sprechen würde – ein Argument für die
Ursprünglichkeit der Passage in Buch XVIII.
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Christliche Quellen zur historischen Rückfrage I
– Neues Testament
Synoptische Evangelien
Sie sind die wichtigste Quelle für die Rückfrage nach Jesus. Zu beachten ist die gegenseitige
literarische Abhängigkeit, so dass folgende Bereiche vorrangig historisch auswertbar sind:
→Mk, Logienquelle Q, Sondergut von Mt und Lk.
Johannes-Evangelium
Es ist noch stärker als die ersten drei Evangelien von theologischer und christologischer
Reflexion geprägt. Dennoch kann das JohEv in Einzelfragen zu den äußeren Daten des
Lebens und Wirkens Jesu Quellenwert besitzen.
Neues Testament außerhalb der Evangelien
Jesusüberlieferung außerhalb der Evangelien wird im NT nur an drei Stellen angeführt (Apg
20,35; 1Thess 4,15; 1Kor 7,10). Auch für den Fall, dass es sich um echte Jesusworte handeln
sollte, wird unser Wissen über Jesus dadurch nicht wesentlich erweitert.
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Christliche Quellen zur historischen Rückfrage II –
Außerkanonisches
Agrapha
Unter „Agrapha“ versteht man einzelne Jesusworte, die nicht im NT überliefert und vor allem
bei den Kirchenvätern zu finden sind. Für sie gilt dieselbe Einschätzung wie für die ntl
Jesusüberlieferung außerhalb der Evangelien.
Nichtkanonische Evangelien
Manche Jesusforscher schreiben diesen Evangelien oder den Traditionen, die sie verarbeiten,
Quellenwert für die historische Rückfrage zu. Sieht man von Extrempositionen ab (z.B. J.D.
Crossan), beschränkt sich die Diskussion fast ausschließlich auf das Thomas-Evangelium. Es
kann aber schon aufgrund des begrenzten Materials in der historischen Rückfrage nicht
wirklich mit den synoptischen Evangelien konkurrieren.
In ihm sind 114 Sprüche zusammengestellt, die einfach durch „Und Jesus sprach“
aneinandergereiht sind – ohne erzählerischen Rahmen. Das Werk ist wahrscheinlich in
einer ersten Form im 2. Jh. entstanden und hat erkennbar eine Entstehungsgeschichte
durchlaufen. Es könnte durchaus einzelne alte Sprüche aufbewahrt haben. Neben
Material, das in der Nähe zur synoptischen Tradition steht, gibt es auch Sprüche, die
dieser fremd sind und eher gnostischen Charakter tragen.
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Personen und Funktionen in der Urgemeinde
Petrus und die „Zwölf“
• Sie hatten leitende Funktion, die sich nicht näher bestimmen lässt
• Die Zwölf repräsentieren das Gottesvolk, das endzeitlich wiederhergestellt werden sollte.
• In der Apg verliert sich die Spur der „Zwölf“. Die besondere Bedeutung dieses Kreises
hat wahrscheinlich nicht allzu lang bestanden; sie war zu sehr an eine Symbolik
gebunden, die nur im jüdischen Rahmen verständlich war.
Die Apostel
• Nur für Lukas sind die Apostel mit den Zwölf identisch; ursprünglich ist der Begriff
weiter verstanden worden (vgl. 1Kor 15,3-5; Gal 1,19).
• „Apostel“ bedeutet „Gesandter“: Aufgabe der Apostel ist die missionarische
Verkündigung.
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Einzelpersonen
• Johannes, Sohn des Zebedäus: in den Anfangsteilen der Apg spielt er eine
große Rolle (Apg 3,1ff; 4,13ff; s.a. Gal 2,9). Seine Spur verliert sich wie die des
Zwölferkreises.
• Jakobus, Bruder des Herrn: nach der Apg hatte er eine führende Stellung auf
dem Apostelkonzil; Paulus nennt ihn als eine der drei Säulen der Gemeinde
(Gal 2,9); „Leute des Jakobus“ stiften in Antiochia Unruhe (Gal 2,12); in den
frühen sechziger Jahren wurde Jakobus hingerichtet.
• Josef Barnabas: In Apg 4,36f ist Personaltradition zu ihm überliefert; er war
Abgesandter Jerusalems in Antiochien (Apg 11,22), unternahm mit Paulus eine
Missionsreise von Antiochien aus (Apg 13f), war Abgesandter Antiochiens
beim Apostelkonzil (Apg 15,2; Gal 2,1); später kam es zum Zerwürfnis mit
Paulus (Gal 2,11-14; anders in Apg 15,36-39).
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Hebräer und Hellenisten
Hebräer
Der Ausdruck bezieht sich auf aramäisch sprechende Judenchristen aus Palästina.
Hellenisten
Der Begriff bezeichnet in diesem Fall griechisch sprechende Judenchristen, die
ursprünglich aus der Diaspora stammten.
(1) Apg 6 bezeugt einen Konflikt zwischen beiden Gruppen, Grund: Missstände bei der
Witwenversorgung. Diese Angabe bedeutet wohl eine Verschiebung des Konflikts,
denn: zwei der sieben Diakone, die angeblich für den Tischdienst bestellt werden,
treten in der Folge als Verkünder auf (Stephanus, Philippus).
(2) Außerdem zeigen die beiden Missionare ein bestimmtes Profil:
• Stephanus gerät in einen tödlichen Konflikt mit der jüdischen Obrigkeit (Apg
6,8ff).
• Nach Apg 11,20 ging die Heidenmission von jenen Diaspora-Judenchristen aus,
die im Zuge der Verfolgung nach der Hinrichtung des Stephanus aus Jerusalem
geflohen waren.
• Philippus missioniert in Samaria, verlässt so die Grenzen des Judentums (als
Heiden galten die Samaritaner aber nicht).
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Die Hellenisten zogen aus der Christusbotschaft Konsequenzen,
die für fromme Juden problematisch sein konnten. Diese
Konsequenzen haben wohl, ansetzend am Bekenntnis zum
Sühnetod Jesu, den Tempelkult und damit auch die Tora
relativiert. Wie weit die Hellenisten in diesem Punkt gingen, lässt
sich kaum noch rekonstruieren; doch offensichtlich wurde eine
kritische Marke überschritten.
(3) Dann dürfte der Konflikt mit den „Hebräern“ eher um eine theologische
Frage gegangen sein: toratreue Judenchristen nahmen an den Positionen der
„Hellenisten“ Anstoß. Es musste noch darum gerungen werden, welche
Konsequenzen aus dem Bekenntnis zu Tod und Auferweckung Jesu zu ziehen
waren.
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Christliche Gemeinden außerhalb Jerusalems
• Aus Apg 9 und Gal 1,17 lässt sich schließen, dass es in Damaskus eine
Christengemeinde gegeben haben muss. >
• Über die Ursprünge der Gemeinde von Rom wissen wir nichts. Sie muss in den
40er Jahren schon bestanden haben (das Claudius-Edikt bezieht sich wohl auf
einen Streit in der jüdischen Gemeinde um die Christusverkündigung). Paulus
jedenfalls hat sie nicht gegründet. >
• Am bedeutendsten war neben der Urgemeinde von Jerusalem die Gemeinde von
Antiochien in Syrien. >
- Von ihr ging nach Apg 11,20 die Heidenmission aus.
- Die „erste Missionsreise“ des Paulus mit Barnabas erfolgt im Auftrag dieser
Gemeinde (Apg 13f).
- Sie sendet Barnabas und Paulus zum Apostelkonzil. Das Ergebnis wird nach Apg
15,22-30 der antiochenischen Gemeinde in einem Brief mitgeteilt.
- Der wirkungsvollste Missionar des Urchristentums, Paulus, wurde in der
Gemeinde von Antiochien geprägt.
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Ausbreitung
Im Einflussbereich paulinischer Mission
• Briefe aus späterer Zeit an Gemeinden, die Paulus gegründet hat:
– 1. Clemensbrief: aus Rom nach Korinth
– Polykarp von Smyrna schreibt an die Gemeinde von Philippi.
– Der 1. Petrusbrief wendet sich u.a. an Christen in Galatien.
Es wird z.T. ausdrücklich erwähnt, dass schon Paulus an die Adressaten
geschrieben hat. Die Kontinuität zur Frühzeit wird also bewusst wahrgenommen.
• Briefe an Gemeinden im paulinischen Missionsgebiet, zu denen eine Gründung
durch Paulus nicht bezeugt ist:
– Kolosserbrief
– Briefe des Ignatius von Antiochien sowie die Sendschreiben der Offenbarung
des Johannes an Gemeinden in Kleinasien (Ephesus, Philadelphia, Smyrna –
diese drei sowohl in Ign als auch in Offb –, Magnesia, Tralles, Pergamon,
Thyatira, Sardes, Laodizea).
– Die Pastoralbriefe (1/2Tim, Tit) bezeugen die Verbindung mit Ephesus,
außerdem christliche Gemeinden auf Kreta.
– Der 1. Petrusbrief ist an Christen in verschiedenen Provinzen Kleinasiens
gerichtet (Pontus, Kappadokien, Asia, Bithynien; dazu auch Galatien, s.o.).
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Antiochien
Ob um die Jahrhundertwende die Gemeinde von Antiochien durch die Briefe ihres
Bischofs Ignatius bezeugt ist, hängt von der Authentizität der sieben Briefe ab, die
unter seinem Namen überliefert sind. Dies ist umstritten. Es gibt gute Gründe für
die Annahme, dass diese Briefe erst aus der Mitte oder der zweiten Hälfte des 2.
Jh.s stammen. Auch in diesem Fall wäre freilich zu folgern, dass die antiochenische
Gemeinde in Kleinasien bekannt gewesen sein muss.
Rom
Der 1. Clemensbrief (s.o.) ist Ende der 90er Jahre in Rom geschrieben. Zwar will
der Brief Missstände in der Gemeinde von Korinth beheben; dennoch ist kein
Anspruch auf eine Vorrangstellung unter den christlichen Gemeinden zu erkennen.
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Zur Entwicklung der Gemeindestrukturen
Paulus
bezeugt in 1Kor 12 ein charismatisches Gemeindemodell: alle bringen ihre Gabe zum
Aufbau der Gemeinde ein. Es gibt zwar auch das Charisma des Leitens (1Kor 12,28; s.a.
1Thess 5,12); doch ist damit noch keine feste Ämterstruktur verbunden, auch keine
herausgehobene Position gegenüber der Gemeinde.
Die Pastoralbriefe
stellen dagegen den Amtsträger als Leiter der Gemeinde in den Vordergrund. Genannt
werden drei Ämter: Episkopos (Bischof), Presbyter (Älteste), Diakone. Wahrscheinlich
favorisiert der Verfasser den einen Episkopos als Leiter der Gemeinde.
• Die Gemeinde wird geordnet nach dem Modell des antiken Hauses: An der Spitze steht
der Gemeindeleiter, der wie ein guter Hausvater für die Seinen sorgt. Er hat allein das
Sagen, die anderen müssen sich ihm unterordnen. Der Gemeinde kommt also nur noch
eine passive Rolle zu.
• Durch dieses patriarchale Modell werden vor allem Frauen aus leitenden Funktionen
zurückgedrängt. Am deutlichsten wird dies in der Argumentation aus Schöpfung und
Sündenfall (1Tim 2,11-15), aber auch in den Ausführungen zum Witwenamt (1Tim 5,3-16)
und in der Charakterisierung der Frauenrolle in Tit 2,3-5.
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Die Gemeindeordnung der Pastoralbriefe erklärt sich vor allem aus zwei Motiven
heraus:
• Es geht um die Absetzung von gnostischen Vorstellungen über die Rolle der
Frauen in der Gemeinde. Die Past propagieren eine Rolle, die den Vorstellungen
der bekämpften Gegner unmittelbar widerspricht (s. 1Tim 4,3).
• Der Anpassungsdruck im Blick auf die hellenistische Umwelt hat zur Übernahme
der gesellschaftlich sanktionierten Rollenmuster geführt: Es wird unterschieden
zwischen „drinnen“ und „draußen“ (Tit 2,8); man will ungestört leben in einer
Welt, die von den Mächten „draußen“ bestimmt wird (1Tim 2,2); das Augenmerk
ist sehr stark auf das Urteil von außen gerichtet (1Tim 3,7; 5,14; 6,1Tit 2,5).
Presbyter
Außerhalb der Pastoralbriefe begegnen Amtsträger im Neuen Testament nur als
Presbyter, und zwar im 1Petr, dem Jak und der Apg, außerdem auch im 2/3Joh, in
der Selbstbezeichnung des Absenders (Paulus kennt die Begriffe Diakon [Röm
16,1] und vielleicht auch Episkopos [Phil 1,1] – jedoch nicht als Amtsbezeichnung
im eigentlichen Sinn).
• 1Petr 5,1-4 enthält eine Mahnung an Presbyter im Bildfeld von Hirte und Herde.
Genaueres über Aufgaben und Kompetenzen der Presbyter erfahren wir nicht.
Über die Angabe „pastorale Leitungsfunktion“ kommt man kaum hinaus.
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• Jak 5,14 nennt Presbyter im Zusammenhang der Krankensalbung. Sie erscheinen als
Gremium; über ihre Kompetenzen wird nichts deutlich.
• Die Apostelgeschichte erwähnt am häufigsten Presbyter. Dabei dürfte der Autor die
Gegebenheiten seiner Zeit in die Darstellung der Urgemeinde und der paulinischen
Mission rückdatieren.
Gemeindestruktur im Umbruch: die Didache
Diese Gemeindeordnung aus Syrien (gewöhnlich um 100 datiert) zeigt, dass sich die
Strukturen im Umbruch befinden.
• Es wird die Gemeinde als ganze angesprochen, eine Hierarchie ist nicht erkennbar.
• Es gibt aber Funktionsträger, und die Art, wie von ihnen gesprochen wird, zeigt die
Umbruchssituation.
– „Apostel und Propheten“ kommen von außen in die Gemeinde, halten sich dort kurz
auf und ziehen dann weiter. Sie werden nicht von der Gemeinde bestimmt. Es handelt
sich um charismatische Funktionen, die nicht einfach reproduzierbar sind. So können
sich Propheten auch in der Gemeinde niederlassen und werden dann von der
Gemeinde unterhalten. Doch heißt es hierzu: „Wenn ihr keine Propheten habt, gebt
den Armen“ (Did 13,4).
– „Bischöfe und Diakone“ werden dagegen von der Gemeinde gewählt. Sie leisten auch
den Dienst von Propheten und Lehrern (15,1).
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Merkmale pseudepigraphischer Paulus-Briefe
Unter Pseudepigraphie versteht man die fälschliche Zuschreibung eines literarischen
Werkes an eine bestimmte Person, der gewöhnlich besondere Autorität zukommt.
Folgende Merkmale können auf solche Abfassungsverhältnisse deuten:
→ Geänderte geschichtliche Situation
Beispiel Pastoralbriefe:
• Gemeindeordnung: Ämterordnung in den Past; charismatische Struktur bei Paulus.
• Gegnerische Positionen: Eine judenchristlich bestimmte Frühform der Gnosis passt nicht in
die Zeit des Paulus.
• Biographische Angaben zu Paulus scheinen z.T. unvereinbar mit den bekannten Lebensdaten.
→ Unterschiede in der Theologie
Beispiel Kolosserbrief:
• Die Christologie wird in kosmischer Bedeutung entfaltet (2,9f).
• In der Ekklesiologie zeigt sich eine andere Ausrichtung der Leib-Christi-Vorstellung mit der
Bezeichnung Christi als Haupt.
• Eschatologie: Die Hoffnung richtet sich räumlich nach oben, nicht zeitlich in die Zukunft; die
Glaubenden sind durch die Taufe mit Christus gestorben und auferweckt (anders: Röm 6,4f).
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→ Unterschiede in Sprache und Stil
Beispiel Epheserbrief; Pastoralbriefe:
• Begriffe, die in den unumstritten echten Paulusbriefen nicht erscheinen, prägen die
Theologie des Eph (z.B. geistlicher Segen, Nachlass der Übertretungen, der Vater der
Herrlichkeit).
• Begriffe erhalten einen anderen Sinn als in den unumstritten echten Paulusbriefen (etwa
„Glaube“ in den Pastoralbriefen).
• Der Stil der Auseinandersetzung mit Gegnern ist in den Pastoralbriefen anders (scharfe
Abgrenzung, nicht inhaltliche Argumentation).
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Bewertung der Pseudepigraphie I – Hintergründe
Warum entstanden pseudepigraphische Briefe?
Die ntl Pseudepigraphen sind entstanden in einer „Epoche des Umbruchs und der
Neuorientierung“ (U. Schnelle): die Gründungsgeneration war gestorben, feste Strukturen
waren noch nicht entwickelt; neue Fragen kamen auf, die von den überkommenen
Traditionen her nicht zu beantworten waren (Loslösung vom Judentum, Parusieverzögerung,
Verfolgungen, Streit um die Lehre).
In dieser Situation der Autoritätskrise waren nur die Größen der Anfangszeit
unumstritten. Im Hintergrund steht ein Verständnis von Wahrheit, nach dem
Wahrheit mit Alter verbunden ist. Die Vergangenheit wird begriffen als „normative
Vergangenheit“ (N. Brox). Im frühen Christentum kommen als Ursprungsgrößen nur die
Apostel in Frage. So soll die Pseudepigraphie das gegenwärtig als wahr Erkannte, um
dessen Relevanz zu sichern, als Wahrheit des Ursprungs erscheinen lassen.
Im Blick auf das Corpus Paulinum könnten zwei Faktoren das Aufkommen der
Pseudepigraphie begünstigt haben:
(1) Der brieftheoretische Grundgedanke, dass der räumlich getrennte Partner durch den
Brief anwesend ist, musste nur auf die zeitliche Dimension übertragen werden.
(2) Dass Mitarbeiter des Paulus als Mitabsender seiner Briefe fungierten,
konnte die Idee bestärken, in seinem Namen Briefe zu schreiben.
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Bewertung der Pseudepigraphie II – moralische Dimension
Zur moralischen Rechtfertigung der Pseudepigraphie
• Die Fälschung war in der Antike als literarisches Mittel verbreitet, aber keineswegs
problemlos akzeptiert.
• In der Alten Kirche wurde über die Rechtfertigung von Pseudepigraphie nicht
debattiert. Weder pseudepigraph schreibende Autoren noch sonst jemand hatte ein
Interesse an einer solchen Diskussion.
• Nur in einem Fall gibt ein altkirchlicher Autor unmittelbar über seine Motive zur
Verwendung eines falschen Namens Auskunft: Salvian von Marseille (5. Jh.).
- Pseudepigraphe Abfassung streitet er ab: Es sei ihm nicht darum gegangen, sein unter
dem Namen „Timotheus“ geschriebenes Werk dem Paulusschüler zuzuschreiben;
vielmehr habe er darauf angespielt, die Bücher zur Ehre Gottes geschrieben zu haben
(time = Ehre; theos = Gott).
- Das entscheidende Motiv für die Verwendung des falschen Namens ist die literarische
Wirkung: Ein unbekannter Autor wird nicht gelesen.
- Salvian stellt sich als „Skrupulant der Wahrhaftigkeit“ dar (N. Brox) – möglicherweise
auch, weil er unter Rechtfertigungsdruck stand. Immerhin gibt er einen Ansatzpunkt für
das Urteil, ein im Geist eines anderen geschriebenes Werk könne diesem zugeschrieben
werden (ausdrücklich sagt er das aber nicht).
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• Es gab in der patristischen Tradition die (umstrittene) Überzeugung, Lüge und
Täuschung könne gerechtfertigt sein, wenn dies zum Heil der Getäuschten dient
(ansetzend an der „Medizinerlüge“ Platons und an biblischen Beispielen).
Dieser Gedanke ist auf die Pseudepigraphie nicht ausdrücklich angewendet
worden. Doch könnte er den Schlüssel für die Frage liefern, wie ein
pseudepigraph schreibender Autor, der täuschen wollte, sein Unternehmen
rechtfertigen konnte (N. Brox).
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Galaterbrief I – Historische Verortung
Verfasser, Zeit und Ort der Abfassung
• Die Abfassung durch Paulus ist unbestritten.
• Der Gal dürfte nach dem 1Kor geschrieben sein: Er nennt die Kollektenvereinbarung auf
dem Apostelkonzil (2,10), im Brief selbst ist aber nicht die Rede von der Kollekte; sie dürfte
also abgeschlossen sein. Nach 1Kor 16,1 scheint dies noch nicht der Fall zu sein.
Wie groß die Zeitspanne zwischen beiden Briefen ist, lässt sich nicht mehr näher
bestimmen. In Frage kommen die Jahre 54-55/56; in jedem Fall ist der Gal vor dem Röm
entstanden.
• Der Ort ergibt sich aus der Abfassungszeit. Wer den Brief näher an den 1Kor rückt, nimmt
Ephesus an; denkbar ist auch Makedonien oder eine Station auf der Reise von Ephesus nach
Makedonien.
Adressat(en)
• Der Brief richtet sich an die „Gemeinden der Galatia“. Die Deutung des Ausdrucks ist
strittig:
– Die Landschafts- oder nordgalatische These bezieht den Begriff „Galatien“ nur auf einen
Teil der Provinz, die im Norden gelegene Landschaft Galatien.
– Die Provinz- oder südgalatische These deutet auf die römische Provinz Galatien, die auch
die Landschaften Pisidien, Lykaonien und Isaurien einschließt. >
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Das Argument, Bewohner der Provinz hätten sich kaum von der Bezeichnung
„Galater“ angesprochen gefühlt, lässt sich wohl nicht aufrechterhalten: Auch für
die Bevölkerung im Norden der Provinz ist kein überwiegend keltisch bestimmter
Anteil nachzuweisen (P. Pilhofer).
Für die südgalatische These wird angeführt, dass für diesen Raum in Apg 13f
Gemeindegründungen belegt sind. Aber:
– Sollte Paulus in der Zeit seiner selbständigen Mission der entscheidende
Ansprechpartner für Gemeinden aus seiner antiochenischen Zeit sein?
– Warum erwähnt Paulus beim Rückblick in 1,21 nicht ausdrücklich die
Gründung der Adressatengemeinden, die in diese Zeit gefallen sein müsste,
wenn die südgalatische These zutrifft?
So bleibt eine Entscheidung schwierig. Aufgrund der zuletzt genannten Einwände
könnte sich ein leichtes Plus für die nordgalatische These ergeben.
• Die galatischen Gemeinden waren heidenchristlich, wie sich aus dem Grundproblem ergibt,
das Paulus im Gal behandelt.
• Wann die Gemeinden gegründet wurden, ist nicht sicher zu entscheiden: entweder noch vor
der Europa-Mission (s. Apg 16,6) oder auf der „dritten Missionsreise“ von Ephesus aus (s.
Apg 18,23).
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Anlass und Zweck
• Paulus hat von dem Wirken judenchristlicher Missionare gehört: Sie verlangen von den
Galatern die Verpflichtung auf die Tora. Außerdem wurde wohl die Autorität des Paulus
als Apostel in Zweifel gezogen.
• Paulus antwortet mit dem biographischen Rückblick in Gal 1f und theologischer
Argumentation v.a. in Gal 3f.
Die Gegner
• Die Gegner sind von außen in die Gemeinde gekommen und haben mit ihrer
Verkündigung Erfolg gehabt:
– Die Galater sind verwirrt (1,7; 5,10).
– Sie wurden verhext (3,1) und aufgewiegelt (5,12). >
• Es handelt sich um christliche Missionare, denn sie verkünden „ein anderes
Evangelium“(1,6).
• Ihre Botschaft ist auf die Tora bezogen:
– Paulus fragt in seiner Gegenargumentation, ob die Galater den Geist etwa aus Werken
des Gesetzes empfangen hätten (3,2).
– Er kennzeichnet ihre jetzige Position dadurch, dass sie „unter dem Gesetz sein
wollen“ (4,21) und durch das Gesetz gerechtfertigt werden wollen (5,4).
– Die Gegner haben von den Galatern die Beschneidung verlangt (5,2; 6,12f).
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Einleitung in das Neue Testament
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Alle Beobachtungen zusammengenommen weisen also auf judenchristliche Missionare.
Sie akzeptieren das gesetzesfreie Evangelium des Paulus nicht, sondern verlangen auch
von den Heidenchristen die Übernahme der Tora-Verpflichtung.
• Wahrscheinlich haben die Gegner auch die Autorität des Paulus als Apostel
angezweifelt. Deshalb bietet Paulus in Gal 1f Ausschnitte aus seiner Biographie und
betont seine Berufung durch Gott und seine Unabhängigkeit von menschlichen
Autoritäten.
Aus dieser Darstellung lässt sich folgern: Paulus wurde von den Gegnern als
untergeordneter Missionar gekennzeichnet, der keine göttliche Legitimation besitze
und sich mit den maßgeblichen Autoritäten nicht messen könne.
• Das Verhältnis der Gegner zu Jerusalem lässt sich nicht bestimmen.
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Vertiefung
Galaterbrief II: Inhalt und Aufbau
Briefanfang
1,1-10
1,1-5
Präskript
1,6-10
Briefanlass (Proömium als Tadel über
die Abwendung vom Evangelium)
Briefkorpus
1,11-6,10
Autobiographischer Rückblick: 1,11-2,14
1,11-24
Berufung zum Apostel und erstes
missionarisches Wirken
2,1-10
Das „Apostelkonzil“
2,11-14
Der „antiochenische Zwischenfall“
Das gesetzesfreie Evangelium: 2,15-5,12
2,15-21
Die These: Niemand wird gerechtfertigt
aus Gesetzeswerken
3,1-5
Hinweis auf die Geisterfahrung
3,6-18
Erster Hinweis auf die Schrift: Abraham
3,19-4,11 Freiheit vom Gesetz und Warnung vor
Rückfall in den Götzendienst
4,12-20
Erinnerung an das Verhältnis des Paulus
zu den Adressaten
4,21-31
Zweiter Hinweis auf die Schrift: Hagar
und Sara
5,1-12
Aufruf zur Wahrung der Freiheit
Der Wandel im Geist (Mahnungen): 5,13-6,10
5,13-15
Gegenseitige Liebe
5,16-26
Wandel im Geist gegen Wandel im
Fleisch
6,1-10
Einzelmahnungen
Briefschluss
6,11
6,12-15
6,16-18
6,11-18
Eigenhändigkeitsvermerk
Abschließende Absetzung von den
Gegnern
Postskript: Friedenswunsch,
Mahnung, Gnadenwunsch
30
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Galaterbrief III – „Gerechtigkeit“ als biblischer Begriff
„Gerechtigkeit“ ist ein Verhältnisbegriff: das Verhalten oder der Zustand, der einem gegebenen
Gemeinschaftsverhältnis entspricht – in der biblischen Tradition zumeist bezogen auf das
Verhältnis Gott-Israel.
Gottes Gerechtigkeit bezeichnet
• seine Heilstaten für Israel, für sein Volk oder einzelne Fromme (z.B. Ps 40,10f; 89,17; 145,6f).
Gerecht ist Gott, weil er rettend eingreift, nicht weil er belohnt und bestraft;
• seinen Zustand der Zugewendetheit zu seinem Volk. Gott wird angerufen „in seiner
Gerechtigkeit“ (z.B. Ps 5,9; 31,2). Sie ist die Instanz, an die sich der in Not geratene Beter
wendet; sie verbürgt Gottes rettendes Eingreifen – anrufbar sogar als Gnadeninstanz
(Ps 143,1f).
Menschliche Gerechtigkeit bezeichnet
• das Tun der Weisung Gottes, das Erfüllen der Gebote (z.B. Ps 15,2-5; Jer 33,15; Ez 18,5-9;
Spr passim);
• den Zustand, der aus solchem Tun erwächst: in den Psalmen kann die Rede sein von „meiner
Gerechtigkeit“, wenn sich der Beter ausgezeichnet hat durch „Gerechtigkeitstun“, ohne
einzelne Taten zu nennen (Ps 7,9; 18,21; auch 37,6; 112,9);
• nicht Fehlerlosigkeit. Der Gerechte ist nicht perfekt; er kann auch scheitern an den Geboten
Gottes – wenn er sein Leben nur weiter an Gott ausrichtet (vgl. z.B. PsSal 13,5f; vgl. auch
69,6.29ff; Ps 31,11.19).
31
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Galaterbrief IV – Zur Rechtfertigungstheologie im Gal
Der Mensch wird nicht gerechtfertigt aus Werken des Gesetzes, sondern
durch Glauben an Jesus Christus (2,16).
Also: Dem Verhältnis zu Gott kann der Mensch nicht entsprechen, indem er die Vorschriften
des Gesetzes einhält, sondern nur dadurch, dass er das Handeln Gottes in Jesus Christus zu
seinem Heil annimmt.
Grundthese:
Wesentlicher Ansatzpunkt dieser Aussage ist
• nicht eine Analyse des Menschen oder des Gesetzes,
• sondern der Glaube an Christus: Käme Gerechtigkeit aus dem Gesetz, wäre Christus umsonst
gestorben (2,21).
Begründung dieser Aussage über
• die Geisterfahrung der Galater (3,1-5)
• das Zeugnis der Schrift über Abraham und das Gesetz (3,6-14)
(1) Die Schrift bezeugt in Abraham, dass Gerechtigkeit aus Glauben kommt und die Heiden
als Glaubende Nachkommen Abrahams sind und gesegnet und gerechtfertigt werden
von Gott. Gewonnen wird dieses Zeugnis durch eine Kombination von Schriftworten
(Gen 15,6; 12,3/18,8), die mit entscheidenden interpretativen Einleitungen versehen
werden. >
32
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
(2) Die Schrift bezeugt außerdem den Zusammenhang von Gesetz und Fluch (Zitat Dtn
27,26 in Gal 3,10) und die Tatsache, dass durch das Gesetz niemand gerechtfertigt
wird (Zitate von Hab 2,4 und Lev 18,5 in Gal 3,11f). >
(3) Durch Christus ist diese Existenz unter dem Fluch des Gesetzes beendet; der Segen
Abrahams konnte zu den Heiden kommen, der Geist empfangen werden durch
Glauben (3,13f). >
Folgefrage nach der Funktion des Gesetzes (3,19):
Im Gal begegnen nur negative Aussagen über das Gesetz (3,21.23.24f).
Das Gesetz wurde „hinzugefügt um der Übertretungen willen“:
– um Übertretungen hervorzurufen
– oder um aufgrund der Übertretungen zu verdammen.
Es übt eine versklavende Herrschaft aus, die den Menschen festhält in der Sünde, ohne
aus dieser Situation befreien zu können. Denn Gott wollte die Menschen durch Christus
retten.
33
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Römerbrief I – Historische Verortung
Verfasser, Zeit und Ort der Abfassung
• Die Abfassung durch Paulus ist unbestritten.
• Hinweise auf Korinth als Abfassungsort:
– Übereinstimmung zwischen der Situation in Röm 15 und Apg 19f.
– Phoebe, Diakonin der Gemeinde von Kenchreae (Vorhafen Korinths), war wohl
Briefüberbringerin.
– Paulus befindet sich im Haus des Gaius (Röm 16,23; vgl. 1Kor 1,14).
– Er richtet einen Gruß des „Stadtkämmerers“ Erastos aus (16,23). Ein hoher Beamter
dieses Namens ist in Korinth inschriftlich bezeugt.
• Wenn der Röm vor der Kollektenreise nach Jerusalem in Korinth geschrieben ist, gehört er
in den Winter des Jahres 55/56 oder 56/57 oder in das jeweils nachfolgende Frühjahr. >
Anlass und Zweck
• Bei der Bestimmung von Anlass und Zweck sind verschiedene Besonderheiten des Röm zu
berücksichtigen: Paulus kennt die Gemeinde nicht; er schreibt einen weithin grundsätzlichtheologischen Brief; er deutet sein baldiges Kommen an.
Der Röm ist nicht nach dem üblichen Modell der Paulusbriefe zu verstehen als
pastorales Sendschreiben, mit dem Paulus auf konkrete Gemeindeverhältnisse reagiert
hätte.
34
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
• Röm 15,23f: Paulus bereitet mit dem Brief seine Ankunft bei den Christen Roms vor, in
der Hoffnung hier einen Stützpunkt für seinen missionarischen Vorstoß nach Spanien zu
finden. Die Verbindung mit dem Besuchswunsch in 1,11.13 bestätigt dieses Anliegen.
• Dieser praktische Zweck kann durchaus die inhaltlichen Besonderheiten des Röm
erklären. Angesichts der zurückliegenden Konflikte kann Paulus nicht davon ausgehen,
dass sein gesetzesfreies Evangelium fraglos anerkannt ist. Will er die römische
Gemeinde als Stützpunkt gewinnen, hat er Grund, seine Verkündigung grundsätzlich
darzulegen.
• Möglicherweise bereitet sich Paulus mit den Überlegungen im Röm zugleich auf die
Kollektenreise nach Jerusalem vor. Er fürchtet nämlich, dort auf Schwierigkeiten zu
stoßen (Röm 15,31). >
Die Adressaten: die Christengemeinden von Rom
• Die Anfänge des Christentums in Rom liegen im Dunkeln. Es gibt keine Zeugnisse über
den Ursprung des christlichen Glaubens in der Adressatengemeinde.
• Das Claudius-Edikt reagierte auf Streit zwischen Juden und Judenchristen in Rom. Die
Ausweisung der judenchristlichen Wortführer in diesem Streit führte zu einer
Schwächung des judenchristlichen Elements in Rom (s.a. Apg 18,2).
35
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
• Paulus spricht die Adressaten mehrheitlich als Heidenchristen an (11,13; s.a. 1,5.13). Judenchristen sind zwar auch in Rom, wie die Grußliste zeigt; sie waren aber eine Minderheit.
• Die Christen in Rom waren wohl in verschiedenen Hausgemeinden organisiert. Es gibt keine
Hinweise auf eine gemeinsame Gemeindeversammlung. Die Briefadresse gebraucht den
Begriff „Gemeinde“ nicht.
• Zur sozialen Schichtung lässt sich sagen: Die Mehrheit der Christen besaß wohl nicht das
römische Bürgerrecht (darauf weist die Kreuzigungsstrafe bei der Verfolgung unter Nero).
13 von 24 Namen aus der Grußliste in Kap. 16 lassen sich schichtenspezifisch auswerten.
Zwei Drittel deuten auf unfreie Abstammung (Sklave oder Freigelassener). Auch die
Formulierungen in 16,10.11 weisen auf Sklaven, die einem bestimmten Haus zugehören.
• Zum Verhältnis Frauen-Männer: Unter den 26 zur Gemeinde gehörenden Personen, die in
Röm 16,3-16 genannt sind, finden sich 9 Frauen und 17 Männer (16,7 heißt es recht sicher
Junia, nicht Junias). Gemeindebezogene oder missionarische Tätigkeiten werden sechs
Frauen bescheinigt (Mitarbeiterin, Apostolin, „sich abmühen“). Zu fünf Männern macht
Paulus entsprechende Angaben.
• Nach Kap. 14 hat es unter den Christen Roms einen Konflikt gegeben. Es geht um erlaubte
Speisen und Einhaltung von bestimmten Tagen. Der genaue Hintergrund lässt sich nicht
mehr rekonstruieren, weil Paulus sehr offen formuliert. Vielleicht hatte er keine genaueren
Informationen. Dass jüdische Traditionen eine Rolle gespielt haben, ist denkbar (14,14.20:
„rein“/„unrein“), aber nicht sicher. >
36
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Römerbrief II: Inhalt und Aufbau
Briefanfang
1,1-7
1,8-15
1,1-15
Präskript
Proömium
Briefkorpus 1,16-15,13
1. Lehrhafter Teil: 1,16-11,36
Das Thema: Das Evangelium für Juden u. Heiden:
1,16f
Die Menschen unter dem Zorn Gottes: 1,18-3,20
1,18-32
Die Heiden unter dem Zorn Gottes
2,1-29
Die Juden unter dem Zorn Gottes
3,1-8
Zwischenfragen
3,9-20
Die Menschheit unter der Sünde
Die Gerechtigkeit aus Glauben: 3,21-4,25
3,21-31
Grundlegung der
Glaubensgerechtigkeit
4,1-25
Abraham als Vater der Glaubenden
Das Leben der Gerechtfertigten: 5,1-8,39
5,1-11
Die Heilszuversicht der Glaubenden
5,12-21
Die Adam-Christus-Typologie
6,1-7,6
Freiheit von Sünde und Gesetz
7,7-25
Sünde und Gesetz
8,1-17
Unter der Herrschaft des Geistes
8,18-39
Hoffnung auf künftige Vollendung
Das Evangelium und das Heil Israels: 9,1-11,36
9,1-5
Die Vorzüge Israels
9,6-29
Treue Gottes, Erbarmen und Verstockung
9,30-10,4
Israel und die Glaubensgerechtigkeit
10,5-21
Die Botschaft des Evangeliums,
Israels Ungehorsam
11,1-10
Der Rest Israels
11,11-15
Der Sinn von Israels Ungehorsam
11,16-24
Das Ölbaumgleichnis
11,25-36
Die Rettung Israels
2. Mahnender Teil: 12,1-15,13
12,1-8
Die verschiedenen Gnadengaben
12,9-21
Die Liebe als Maßstab: Mahnungen
13,1-7
Das Verhältnis zu staatlichen Obrigkeit
13,8-10
Die Nächstenliebe als Erfüllung des
Gesetzes
13,11-14
Mahnung angesichts der nahen Vollendung
14,1-15,13
Schwache und Starke in der Gemeinde
Briefschluss 15,14-16,27
15,14-33
Epilog: Reisepläne (Rom und Jerusalem),
fürbittender Segenswunsch
16,1-27
Postskript: Empfehlung für Phoebe,
Grüße (Warnung vor Irrlehrern;
Lobpreis Gottes) >
37
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Zum Gedankengang von Röm 1-4
1,16f Thema: Das Evangelium – Kraft Gottes zur Rettung
von Juden und Heiden; Gerechtigkeit Gottes aus Glauben.
1,18a Offenbarung des Zornes Gottes
1,18b-32 Der Ungehorsam
der Heiden
3,9 Zielsatz: alle, Juden und Heiden, stehen unter der Macht der Sünde.
2,1-3,20 Der Ungehorsam
der Juden
3,21-31 Offenbarung der Gerechtigkeit
Gottes: ohne Gesetz, aus Glauben.
Ausgangspunkt und Mitte
des Gedankengangs
4,1-25 Bestätigung der Glaubensgerechtigkeit
aus der Schrift: Abraham
38
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Übersicht zu Röm 9-11
(1) Das Problem: Scheitert das
erwählte Volk in seiner
Gottesbeziehung? Erweist sich
Gott als treu? (9,1-5)
(2) Antwort als Minimalziel:
Vorstellung von Israels Rest.
Gott erweist seine Treue in
jedem Fall dadurch, dass er
einen Rest aus Israel rettet
(9,6-29; 11,1-10).
(3) Israels Ungehorsam:
begründet im Festhalten am
Gesetz; prinzipiell war
Gerechtigkeit aus Glauben
Israel zugänglich (9,3010,21).
(4) Der verborgene Sinn von
Israels Ungehorsam: Rettung kam zu den Heiden.
(5) Die endzeitliche Rettung
ganz Israels: nicht durch
Glaube, aber doch
vermittelt durch Christus.
39
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Ältere Lösungen des synoptischen Problems
Urevangeliums-Hypothese
Die synoptischen Evangelien sind entstanden auf der Grundlage eines aramäischen
Urevangeliums, das ins Griechische übersetzt und mehrere Male bearbeitet wurde.
Problem: Bezug auf eine hypothetische Größe; die Behauptung mehrerer
Bearbeitungen ist willkürlich; die Unterschiede zwischen den Evangelien in
Inhalt und Aufbau werden nicht erklärt.
Ertrag: Den Evangelien ist ein längerer Traditionsprozess auch literarischer Art
vorausgegangen.
Fragmenten-Hypothese
Die synoptischen Evangelien gehen zurück auf eine Sammlung von Einzelaufzeichnungen
(zu Wundern, Worten Jesu, zur Passion); sie sind das Endstadium dieses
Sammlungsvorgangs.
Problem: Die Übereinstimmungen zwischen den Synoptikern werden nicht wirklich
erklärt, wenn man sich auf eine Vielzahl von Texten bezieht.
Ertrag: In den Evangelien ist Traditionsgut verschiedener Herkunft verarbeitet.
40
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Traditions-Hypothese
Den synoptischen Evangelien ging ein mündlich überliefertes Urevangelium voraus,
ursprünglich aramäisch, dann ins Griechische übersetzt und in zwei verschiedene
schriftliche Formen gebracht.
Problem: Die Übereinstimmungen zwischen den Synoptikern werden nicht wirklich
erklärt, vor allem nicht die Übereinstimmungen in der Reihenfolge des Stoffs.
Ertrag: Den Evangelien ging eine längere Phase mündlicher Überlieferung voraus.
Benutzungs-Hypothese
Die synoptischen Evangelien sind untereinander direkt literarisch abhängig. Augustinus:
Mk benutzt Mt, Lk benutzt Mt und Mk. J.J. Griesbach: Lk benutzt Mt, Mk benutzt Mt und
Lk.
Problem: Mk kann im Blick auf Stoffumfang und sprachliche Gestalt kein Auszug aus
einem der längeren Evangelien sein (erst recht nicht aus beiden).
Ertrag: Die Übereinstimmungen sind durch Benutzung zu erklären.
41
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Alternativmodelle zur Zwei-Quellen-Theorie
Unter Voraussetzung der Mk-Priorität
• Deutero-Markus: Mt und Lk sind abhängig von einem überarbeiteten und stark
erweiterten MkEv.
• Mt benutzt das MkEv, Lk benutzt das Mk- und das MtEv
• Lk benutzt das MkEv, Mt benutzt das Mk- und das LkEv
Neo-Griesbach-Hypothese (Two Gospels Hypothesis)
Lk benutzt das MtEv, Mk benutzt das Mt- und das LkEv
42
42
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Deutero-Markus
Mt und Lk sind abhängig von einem
überarbeiteten und stark erweiterten
MkEv.
Vorteile:
• Erklärung des Stoffes der Doppeltradition
• Erklärung der minor agreements
Problem:
• Welcher Plan steht hinter der Überarbeitung
des MkEv?
• Deutero-Mk ist nicht weniger hypothetisch
als Q.
• Warum ist Deutero-Mk aus der handschriftl.
Überlieferung verschwunden, obwohl er doch
dem Mt- und LkEv viel ähnlicher gewesen
sein müsste, also der Tendenz nach
Harmonisierung entgegenkam?
43
43
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Mk – Mt – Lk
Mt benutzt Mk, Lk benutzt Mt und
Mk.
Vorteile:
• Keine hypothetische Größe wird
vorausgesetzt.
• Erklärung der minor agreements
Probleme:
• Warum gibt es außer den minor
agreements keine Spuren der
Verwendung des MtEv bei der
Bearbeitung des Mk-Stoffes?
• Ist ein überzeugender Plan bei der
Zerschlagung der mt Redekomplexe
zu erkennen?
• Warum ist der Einfluss des MtEv in
Kindheitsgeschichten und
Ostertraditionen so gering?
44
44
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Mk – Lk – Mt
Lk benutzt Mk, Mt benutzt Lk und
Mk.
Vorteile:
• Keine hypothetische Größe wird
vorausgesetzt.
• Erklärung der minor agreements
Probleme:
• Warum gibt es außer den minor
agreements keine Spuren der
Verwendung des LkEv bei der
Bearbeitung des Mk-Stoffes?
• Warum hat Mt so viel Stoff von Lk
ausgelassen, während er Mk fast
umfassend verarbeitet?
• Warum ist der Einfluss des LkEv in
Kindheitsgeschichten und
Ostertraditionen so gering?
45
45
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Mt – Lk – Mk
Lk benutzt Mt, Mk benutzt Mt und
Lk.
Vorteile:
• Keine hypothetische Größe wird
vorausgesetzt.
• Einzelne Textstellen könnten als
Verbindung von Mt und Lk erklärt
werden.
Probleme
• Warum sollte Mk so viel Stoff nicht
übernommen haben (Doppeltradition
Mt/Lk, Sondergut)?
• Warum sollte er seine Vorlagen
sprachlich verschlechtert haben?
• Die minor agreements sind ein noch
größeres Problem als für die ZweiQuellen-Theorie.
>
46
46
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Das Johannesevangelium I –
Vergleich mit den synoptischen Evangelien
Gemeinsamkeiten
• Joh betreibt, wie die Synoptiker, Christusverkündigung als Erzählen der Geschichte
Jesu. Näherhin zeigt sich eine Übereinstimmung in der Struktur: vom Auftreten
Johannes des Täufers über das Wirken in Galiläa und Judäa/Jerusalem bis zur
Passion.
• Inhaltliche Gemeinsamkeiten:
– gemeinsame Worte (z.B. Jes 40,3 in Joh 1,23; Joh 2,19/Mk 14,58)
– vergleichbare Erzählungen (Tempelreinigung, Heilung des Sohnes eines
königlichen Beamten, Speisung der Fünftausend, Seewandel Jesu, Salbung in
Bethanien, Einzug in Jerusalem, Passionsgeschichte).
– ähnliche Erzählmotive (Bekenntnis des Petrus Joh 6,68: vgl. Mk 8,29; Erscheinung
vor Maria von Magdala: vgl. Mt 28,8-10 u.a.m.).
47
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Unterschiede
• Topographische und chronologische Struktur:
– Im JohEv wirkt Jesus in Jerusalem und Galiläa (Schwerpunkt eher Jerusalem).
– Die Dauer des Wirkens Jesu beträgt nach dem JohEv mindestens zwei Jahre (drei
Pascha-Feste sind erwähnt).
– Der Todestag Jesu ist nach Joh der Rüsttag zum Pascha.
• Nur wenige Wundererzählungen sind vergleichbar (Speisung der 5000; Seewandel;
Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten).
– Vier Geschichten haben keine Entsprechung bei den Synoptikern (Hochzeit zu Kana
2,1-11; Heilung eines Gelähmten am Teich Bethesda 5,1-9; Heilung eines
Blindgeborenen 9,1-7; Auferweckung des Lazarus, 11,1-45).
– Das JohEv kennt keine Exorzismen und Aussätzigenheilungen.
• Der Redestoff ist bei Joh in Form großer Offenbarungsreden und Dialoge gestaltet, nicht
mehr in relativ knappen aneinandergereihten Logien.
• Der Inhalt der Botschaft Jesu wird im JohEv konsequent christologisch gefasst. Jesus
verkündet nicht das Reich Gottes, sondern sich selbst. >
Joh hat wahrscheinlich eines oder mehrere der synoptischen Evangelien gekannt, er hat
sie aber nicht als Quelle benutzt. Eine literarische Abhängigkeit im eigentlichen Sinn
besteht nicht.
48
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Das Johannesevangelium II – Aufbau
Prolog:
Der Logos-Hymnus (1,1-18)
1. Hauptteil:
1,19-51
2,1-3,36
2,1-22
2,23-3,21
3,22-36
4,1-6,71
4,1-42
4,43-54
6,1-71
5,1-7,24
5,1-47; 7,15-24
7,1-11,54
7,1-14.25-8,59
9,1-41
10,1-21
10,22-42
11,1-45
11,46-54
Die Offenbarung des Sohnes vor der Welt (1,19-12,50)
Das Zeugnis des Täufers und die ersten Jünger
Der Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa und Jerusalem
Hochzeit von Kana, Tempelreinigung
Nikodemus
Noch einmal: Zeugnis des Johannes
Rückkehr nach Galiläa (ohne Kap. 5)
Jesus in Samaria
In Galiläa: Heilung des Sohnes des „Königlichen“
Speisung der 5000, Seewandel, Brotrede; Abfall von Jüngern
Wirken und Botschaft in Jerusalem (ohne Kap. 6; 7,1-14)
Heilung eines Gelähmten und Offenbarungsrede
Aufenthalt in Galiläa und Rückkehr nach Jerusalem
Auseinandersetzungen beim Laubhüttenfest
Heilung des Blindgeborenen
Rede vom guten Hirten
Konflikt mit „den Juden“
Auferweckung des Lazarus
Der Todesbeschluss gegen Jesus
49
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
11,55-12,50
11,55-12,11
12,12-19
12,20-36
12,37-50
Rückzug und Rückkehr nach Jerusalem
Suche nach Jesus in Jerusalem; Salbung in Bethanien
Einzug in Jerusalem
Die „Hellenenrede“
Abschließende Kommentare
2. Hauptteil:
13,1-17,26
13,1-30
13,31-14,31
15,1-16,33
17,1-26
18,1-20,31
18,1-19,42
20,1-29
20,30f
Die Offenbarung des Sohness vor den Seinen (13,1-20,31)
Das letzte Mahl mit den Jüngern
Fußwaschung und Ansage des Verrates
Abschiedsrede I
Abschiedsrede II
Das Gebet Jesu für die Seinen
Passion und Ostern
Die Passion Jesu
Die Erscheinungen des Auferstandenen
Ursprünglicher Buchschluss
Nachtrag:
Erscheinung in Galiläa; Buchschluss (21,1-25)
50
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Das Johannesevangelium III – Verfasser
• Die altkirchliche Tradition hält Johannes, den Bruder des Jakobus, zugleich der
„Jünger, den Jesus liebte“, für den Verfasser des JohEv.
• Diese Tradition lässt sich am Werk selbst nicht erweisen:
– Dass der „Lieblingsjünger“ das Evangelium geschrieben hat, wird erst im
Nachtragskapitel gesagt (21,24), nicht im ursprünglichen Text.
– Dieser Jünger wird im JohEv nicht identifiziert. Die Gleichsetzung mit dem
Zebedaiden Johannes beruht auf einer harmonisierenden Kombination mit
Angaben aus den synoptischen Evangelien.
• Gegen diese Tradition spricht auch der Vergleich mit den Synoptikern. Wenn aus
diesen die Botschaft Jesu zu rekonstruieren ist, kann man den anderen Inhalt und
die andere Sprache der Predigt des johanneischen Jesus nicht auf einen
Augenzeugen der Geschichte Jesu zurückführen.
51
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Das Johannesevangelium IV – Adressaten
• Die Sonderstellung der joh Literatur lässt sich am besten mit der Annahme erklären,
dass das JohEv und die drei Joh-Briefe aus einem relativ selbstständigen
Gemeindeverband stammen.
• Ursprünglich kommen diese Gemeinden aus dem Judenchristentum. Die früher
bestehende Verbindung zur Synagoge wurde durch den Ausschluss gekappt (Joh
9,22; 12,42; 16,2). Zu Täufergruppen scheint eine Rivalität bestanden zu haben.
• Hinter 6,60-66; 8,31ff könnte ein kritisches Ereignis aus der joh Gemeindegeschichte
stehen: das Abwandern von Gemeindemitgliedern, vielleicht nach dem
Synagogenbann.
• Aus den Joh-Briefen lässt sich das Wirken von Gegnern erschließen. Deren genauere
Rekonstruktion ist strittig; es wird auch grundsätzlich Kritik an solchen Versuchen
geübt. Überwiegend aber rechnet man wohl mit einem konkreten Konflikt und sieht
diesen in einer gnostisierenden Interpretation der joh Christologie begründet (zur
Gnosis s.u.).
52
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Das Johannesevangelium V – Einheitlichkeit
Hinweise auf nachträgliche Bearbeitung
• Kap. 21 erweist sich recht deutlich als Nachtrag: Die Formulierung in 20,30f kann nicht
anders denn als Schluss des Evangeliums gedacht gewesen sein; das erneute Einsetzen
mit Erscheinungstradition wirkt deplatziert. Die Aussage in 21,24 stammt nicht vom
Autor des Werkes.
• Als späterer Zusatz können auch die Kapp. 15-17 gewertet werden. 18,1 schließt
nämlich unmittelbar an 14,31 an, dagegen befremdet die Fortsetzung der
Abschiedsrede nach 14,31 („steht auf, lasst uns von hier fortgehen“) in 15,1 („Ich bin
der wahre Weinstock“).
Einwand: der Redaktor hätte durch die Einfügung vor 14,30 „alle Schwierigkeiten
umgehen können“ (U. Schnelle).
Aber: Der Redaktor wollte die Abschiedsreden mit dem Gebet Jesu beschließen
und vom vorgegebenen Textbestand nicht wegnehmen. Wäre der Text von Anfang
an auf das Gebet Jesu ausgerichtet gewesen, dann hätte 14,30f anders gelautet.
• Als weitere Einschübe werden diskutiert: 3,31-36; 5,28f; 6,51b-58; 10,1-18 u.a.
• Die Redaktion dürfte im Rahmen der joh Gemeinde erfolgt und nicht als Korrektur des
Evangeliums verstanden worden sein.
53
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Die Reihenfolge von Kap. 5-7
• Mehrere Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass die überlieferte Reihenfolge
der Kapp. 5-7 nicht ursprünglich ist: >
– Die Aussage von Joh 6,1 passt schlecht als Fortsetzung von 5,47.
– Kap. 7 folgt besser auf Kap. 5 als auf Kap. 6.
– Innerhalb von Kap. 7 sind VV.15-24 besser vor 7,1-14 zu lesen. Kap. 4 folgt Kap. 6,
dann Kap. 5 und 7,15-24.1-14.25ff.
• Die Blattvertauschungshypothese rechnet mit einem Versehen beim Originalkodex
(daher in allen Handschriften die schlecht passende Reihenfolge) und hat dies durch
die durchschnittliche Buchstabenmenge auf einem Papyrusblatt zu begründen
versucht. Eine bessere Erklärung des Befundes ist nicht in Sicht.
7,53-8,11 (Jesus und die Ehebrecherin) ist in den besten Handschriften nicht bezeugt,
also aus textkritischen Gründen unsicher. Meist gilt die Geschichte als sekundär, doch
wird auch ihre Ursprünglichkeit vertreten: die nachgiebige Haltung zum Ehebruch sei
später anstößig gewesen und habe zur Tilgung geführt.
54
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Das Johannesevangelium VI –
Religionsgeschichtlicher Hintergrund
Die Eigenart des JohEv in Sprache und Theologie provoziert die Frage nach
besonderen religionsgeschichtlichen Einflüssen.
Judentum
• Vertrautheit mit jüdischen Verhältnissen zeigt Joh in der Kenntnis der jüdischen Feste,
der Ortskenntnis in Jerusalem, der Bezugnahme auf pharisäisch-rabbinische Tradition
(Sabbat; Messiaserwartung; Synagogenbann) und weisheitliche Überlieferung (1,1-18).
• Strittig ist die Frage, ob der joh Dualismus auf die jüdische Apokalyptik im Allgemeinen
oder Qumran im Besonderen zurückzuführen ist. Zu beiden Größen gibt es neben
Übereinstimmungen auch Unterschiede.
– Das JohEv betont, anders als die Apokalyptik, dass das Heil im Glauben an Jesus
Christus bereits in der Gegenwart zugänglich ist.
– In Qumran steht der Dualismus nicht in Zusammenhang mit der Messiaserwartung,
sondern dem rechten Verständnis der Tora.
Das JohEv ist judenchristlich geprägt, doch bleibt fraglich, ob seine Besonderheit allein
aus dieser Prägung erklärt werden kann.
55
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Gnosis
• Mit „Gnosis“ (= Erkenntnis) wird eine religiöse Strömung bezeichnet, deren
charakteristisches Merkmal Erlösung durch Erkenntnis ist. Der Mensch muss (durch
Offenbarung) erkennen, dass er ein aus der oberen Lichtwelt gefallener Lichtfunke ist,
gefangen in der materiellen Welt, bestimmt zur Rückkehr in die Lichtwelt.
• Das JohEv ist in einigen Punkten mit dem Denken der Gnosis vergleichbar (v.a. der
individuellen Ausrichtung der Erlösung), dennoch bleiben Unterschiede:
– Der Dualismus der Gnosis ist ohne Einschränkung durchgeführt; das JohEv sieht die
Schöpfung nicht negativ.
– Die Menschheit Jesu und die Bedeutung seines geschichtlichen Wirkens, auch der
Wundertaten, wird von Joh nicht in Zweifel gezogen.
• Für den inneren Zusammenhang mit der Gnosis spricht die Rezeption des JohEv bei
Gnostikern. Dagegen lässt sich nicht die Tatsache anführen, dass literarische Zeugnisse
der Gnosis erst aus dem 2. Jh. stammen.
Das JohEv ist im Milieu einer beginnenden Gnosis entstanden. Es übernimmt manche
Denkstrukturen, aber nicht das ganze „System“.
56
Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Das Johannesevangelium VII – Theologie: Der Gesandte
Der Motivkreis von senden, kommen, zurückkehren
• Jesus wird im JohEv wesentlich dadurch bestimmt, dass er der vom Vater gesandte
Sohn ist (z.B. 13,3; 16,5.28). Er ist also nicht als Gestalt dieser Welt zu sehen. Die
Bedeutung dieses Motivkreises zeigt sich
– in der Häufigkeit der entsprechenden Aussagen,
– in der Tatsache, dass die Sendung Gegenstand des Glaubens sein kann (z.B.
11,42; 17,8; s.a. das negative „Gegenstück“ 8,14),
– darin, dass Gott durch die Sendung Jesu bestimmt wird (5,24.30 u.ö.).
• Die Sendung des Sohnes ist Ausdruck der Liebe Gottes zur Welt; die Welt soll
gerettet, nicht gerichtet werden (3,16f).
• In der Sendung des Sohnes ereignet sich das endzeitliche Gericht, in der Stellung
zu Jesus entscheidet sich Heil und Unheil (3,18). >
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Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Die Ich-bin-Worte
• Nur im JohEv wird die Bedeutung Jesu ausgedrückt durch Ich-bin-Worte, die um ein Bild
erweitert sind: Brot des Lebens (6,35); Licht der Welt (8,12); Tür (10,9); guter Hirt (10,11);
Auferstehung und Leben (11,25f); Weg, Wahrheit und Leben (14,6); (wahrer) Weinstock
(15,1.5).
• Die Bilder und Begriffe sind durchweg als Heilsbegriffe geprägt.
• Die Ich-bin-Worte bringen zum Ausdruck, dass Jesus in seiner Person das Heil ist. Geber
und Gabe des Heils sind identisch (deshalb hat Jesus im JohEv nichts anderes zu verkünden
als sich selbst).
Christologische Titel
• Der wichtigste Titel ist das absolut gebrauchte der Sohn. Er steht in Korrespondenz zur
Rede vom „Vater“ oder „meinem Vater“.
• Die Sohn-Christologie wird zum einen im Blick auf die Sendung zur Welt entfaltet (s.o.),
zum andern im Blick auf das Verhältnis Jesu zu Gott. Dabei steht der Gedanke der Einheit
von Vater und Sohn im Vordergrund. Die Einheit zeigt sich als
– Einheit des Wirkens (z.B. 5,19.30; s.a. 8,29.38.40; 12,50);
– Einheit des „Seins“ (z.B. 10,30), nicht gedacht als innertrinitarische Spekulation. Es geht
um die Eröffnung des Wegs zu Gott (14,9). So sind die Glaubenden in die Einheit
einbezogen (14,20) – doch bleibt dies geöffnet auf die Welt und ihre Rettung hin
(17,21.23).
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Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Das Johannesevangelium VIII – Theologie:
Weg und Wirken des Gesandten
Die Zeichen
• Im JohEv begegnet die Rede von Zeichen nicht nur im negativen Horizont der
Zeichenforderung (vgl. Mk 8,11-13). Der Begriff ist positiv besetzt und bezeichnet die
Wundertaten Jesu, die in einzelnen Geschichten erzählt oder summarisch erwähnt
werden (z.B. 2,23; 6,2).
• Joh bevorzugt den Begriff „Zeichen“, weil er so den Verweis-Charakter des
Geschehens deutlich machen kann: Die Wundertaten verweisen auf Jesus selbst.
Deshalb ist die angemessene Reaktion der Glaube an Jesus.
• Der symbolische Sinn der Wunder kann durch Jesusworte eigens geklärt werden
(Brotrede; 9,5; 11,25f).
• Als Teil der Geschichte Jesu sind die Zeichen Vergangenheit, gebunden an die
„Fleischwerdung des Logos“. Insofern aber in den Zeichen die Bedeutung Jesu
grundsätzlich aufscheint, ist die Dimension des Vergangenen auch überstiegen und
eine Botschaft entfaltet, die in die Gegenwart der Glaubenden reicht.
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Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Die Passion Jesu
• Der Beginn der Passionsgeschichte ist nicht eindeutig zu bestimmen. In einem
weiteren Sinn kann man an 13,1 denken (letztes Mahl), in einem engeren Sinn an
18,1 (Verhaftung Jesu).
• Joh beschreibt die Passion als Siegeszug, als den von Jesus selbst bestimmten
Hingang zum Vater. Die gegen Jesus antretenden Mächte haben keine wirkliche
Gewalt über ihn. Dieses Verständnis von Jesu Leiden wird
– vorbereitet durch entsprechende Hinweise im Evangelium (7,30.44; 8,20; 10,18);
– ausdrücklich gesagt im Verhör vor Pilatus (19,11);
– inszeniert in den einzelnen Abschnitten. Beispiele:
die Gefangennahme geschieht auf die Initiative Jesu hin;
im Verhör vor Pilatus bleibt Jesus souverän, während der Gerichtsherr
ängstlich ist, schwankt und schließlich auf Druck der Ankläger hin das Urteil
fällt;
Jesus scheint den Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen.
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Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Das Johannesevangelium IX – Theologie:
Glauben und Leben
Die Bedeutung des Glaubens
• Das Thema des Glaubens spielt bei Joh eine viel größere Rolle als in den übrigen
Evangelien (98 Belege; 34 bei allen Synoptikern zusammen).
• Inhaltlich ist der Glaube christologisch bestimmt. Im Glauben wird Jesu Anspruch
anerkannt, endgültiger Offenbarer Gottes und Heilbringer zu sein („an Jesus
glauben“). Das Moment des Vertrauens ist nicht betont.
• Der Glaube ist außerdem soteriologisch bestimmt. Im Glauben ist die Rettung des
Menschen begründet, der Glaube führt zum Leben (z.B. 3,14f; 5,24; 11,25; 20,31).
Dieser Grundzug des Glaubens ergibt sich aus der Einheit von Geber und Gabe
des Heils, die für Joh kennzeichnend ist. Indem sich der Glaube auf Jesus richtet,
hat er das Leben.
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Einleitung in das Neue Testament
Vertiefung
Johanneische Eschatologie
• Eine apokalyptische Endzeitrede wie Mk 13parr fehlt im JohEv. Ansatzpunkte für solche
Vorstellungen (wie 5,28f oder 14,2f) könnten Zusatz sein oder werden im JohEv in einen
neuen Verständnis-Rahmen gestellt.
• Die Eschatologie des JohEv ist individuell ausgerichtet. Im Zusammenhang mit dem Aufruf
zum Glauben, der an Einzelne ergeht, ist vom Lebensgewinn die Rede (z.B. 11,25: mit Blick
auf den je eigenen Tod).
• Die Eschatologie des JohEv ist präsentisch ausgerichtet. Im Glauben gewinnt man das
Leben: Wer glaubt, hat das ewige Leben (5,24). Eine futurische Dimension des Heils folgt
zwar aus der individuellen Lebensspanne bis zum Tod. Der Akzent liegt aber ganz darauf,
dass man im Glauben jetzt das Leben gewinnt, um im Tod nicht zu vergehen.
• Angesichts dieser starken Akzente sind die Bezüge auf die „Auferweckung am letzten Tag“
rätselhaft (in Joh 6; 12,48). Alle Notizen stehen am Ende von Sätzen, zumindest einige sind
schlecht in den Zusammenhang eingebunden – so kann man an sekundäre Zusätze denken.
Ginge es darum, jetzt im Glauben das Leben haben, um am letzten Tag auferweckt zu
werden, stellt sich die Frage, was der Lebensgewinn in der Gegenwart bedeuten soll.
• Durch den Paraklet (der Herbeigerufene, auch: der Beistand im Gericht, Fürsprecher,
Tröster), den heiligen Geist, wird die Welt bleibend mit der Jesus-Offenbarung konfrontiert.
Der Aufruf zum Glauben bleibt durch das Zeugnis der Jünger über das Wirken des irdischen
Jesus hinaus erhalten.
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