EY - Entrepreneur 2014 risikoprofil
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EY - Entrepreneur 2014 risikoprofil
01/2014 Neues wagen — Goldene Schnitte und Provokationen / Plastikflaschen zu Turnschuhen / Auferstehung eines Mythos / Biotope für Gründer / Mut und Menschlichkeit by EY „Aus der Erkenntnis der Verantwortung erwächst der Mut zur Tat.“ Andreas Kaufmann, Leica Camera AG Magazin für unternehmerische Exzellenz Entrepreneure Report 9 Der traditionsreiche Kamerahersteller Leica schien um die Jahrtausendwende bereits am Abgrund. Doch dann stieg der Salzburger Unternehmer Andreas Kaufmann ein und führte das Traditionsunternehmen mit Mut und neuer Ausrichtung wieder in die schwarzen Zahlen. Die beispielhafte Auferstehung eines Mythos. „Ich habe ein etwas anderes Risikoprofil.“ Am Drücker: Andreas Kaufmann, der selbst leidenschaftlich gern fotografiert, redet in der Firma auch bei Technik und Design mit. Hier erfreut er sich an der neuen Leica M – die dank eines innovativen Sensors mit großem Auflösungsvermögen glänzt. A ndreas Kaufmann blickt leicht amüsiert auf den Schriftzug auf der Kamera, mit der er fotografiert werden soll, und sagt: „Die machen auch ganz gute!“ Was eine Konzession ist, einerseits, aber zugleich deutlich macht, dass die besten Kameras der Welt seiner Meinung nach natürlich von Leica gebaut werden. Wer sich ihm hinter einem Objektiv nähert, begibt sich auf ein Terrain, das Kaufmann verständlicherweise für sich beansprucht. Bei dem er mitreden kann und es auch tut: „Selbst bei der M hätt ich Ihnen jetzt einen Blitz empfohlen!“ Die „M“ ist die neue Schöpfung aus dem Hause Leica, eine digitale Kleinbildkamera, die schärfere Bilder macht als alle ihre Vorgänger in der rund 100-jährigen Firmengeschichte. Der Leica-Aufsichtsratsvorsitzende Kaufmann hat zum Interview eine Sonderanfertigung in Weiß mitgebracht und stellt sie wirkungsvoll vor sich auf den Tisch. Damit der Mythos der Marke sozusagen greifbar wird. Fotos Michael Hudler Es ist Kaufmanns Verdienst, dass dieser Mythos nicht längst Geschichte ist. Dass Leica wieder satte Gewinne einfährt und seit sechs Jahren ein wahres Wachstumswunder erlebt. Dem Kamerahersteller drohte schon die Zahlungsunfähigkeit, als der österreichische Finanzinvestor 2004 über seine Salzburger Beteiligungsgesellschaft ACM in das krisengeschüttelte Unternehmen einstieg und 27,2 Prozent der Anteile kaufte. Ein Jahr zuvor hatte er 01/2014 Entrepreneur Entrepreneure Report 11 „Wir wollen die Leute weiter mit Produkten überraschen, die sie nicht erwarten. Wir machen im nächsten Jahr zum Beispiel Kameras aus einem Material, das man noch nie dafür verwendet hat.“ Andreas Kaufmann Eigentlich hatte ihm nur eine Industriebeteiligung vorgeschwebt, aber dann stellte sich schnell heraus, „damit hat sich’s nicht getan“. „We are in deep shit“, brachte Kaufmann die Sache nach der ersten Aufsichtsratssitzung auf den Punkt. „Wir sind fast vom Stuhl gefallen, als kurz vor Weihnachten 2004, vier Monate nach unserem Einstieg, der damalige Finanzchef sagte, 50 Prozent des Grundkapitals seien aufgebraucht.“ Dass Hermès damals Hauptaktionär war, hatte seinen Einstieg durchaus befördert, aber dann wollte der Luxuswarenproduzent auf einmal seine Anteile verkaufen. Und Kaufmann stand vor der schwierigsten Entscheidung seines Unternehmerlebens. Die Aufstockung seines Anteils auf 96,5 Prozent war der „vermutlich mutigste Schritt“ seines Engagements bei Leica. „Das war nicht billig. Ob es das damals wert war, sei dahingestellt, aber es war der richtige Schritt! Im August 2005 entschieden wir uns zu einer rabiaten finanziellen Restrukturierung.“ Kaufmann setzte Mit ruhiger Hand: Noch werden die Kameras im hessischen Solms gefertigt. Im nächsten Jahr zieht die Traditionsmarke nach Wetzlar um – an den Ort, wo vor rund 100 Jahren die LeicaErfolgsgeschichte begann. bereits die Mehrheit bei ViaOptic Wetzlar, einer ehemaligen Leica-Tochtergesellschaft, erworben und fand, dass das LeicaManagement schlecht verhandelt hatte. „Wir hätten eventuell sogar etwas mehr bezahlt.“ So war er auf die Muttergesellschaft Leica aufmerksam geworden. Und auch auf andere Fehler in der damaligen Konzernführung. Obwohl Leica schon seit 1996 Digitalkameras baute, glaubte man dort – wie in der Uhrenindustrie – zu lange an ein Revival des Analogen. Auf der Photokina 2004 wurden fast ausschließlich analoge Kameras ausgestellt und alle Angestellten angewiesen, einen Button mit der Aufschrift „Ich bin ein Filmsaurier“ zu tragen. „Ein Kommunikations-GAU“, sagt Kaufmann in der Nachbetrachtung, denn ausgerechnet das Jahr 2004 markierte den endgültigen Durchbruch der Digitalfotografie. Die alte Leica-Philosophie, Kameras für die Ewigkeit zu bauen, war durch die Entwicklung auf dem digitalen Markt überholt. Mehr Pixel, mehr Speicher, neue Sensoren – Canon, Nikon und Sony warfen in immer kürzer werdenden Abständen immer höher entwickelte Geräte auf den Markt, bei Leica aber häuften sich die Verluste, und für Investitionen fehlte das Geld. Wie viel Mut braucht man zum Investieren? „Ohne ist schwierig!“, sagt Kaufmann, beugt sich auf dem Sofa weit nach vorn, so, als wolle er seine Entschlossenheit auch gestisch unterstreichen. Da er aus einer der reichsten Familien Österreichs stammt, könnte man auf die Idee kommen, dass sein Leica-Investment vergleichs- Entrepreneur 01/2014 Geldspritzen, mit denen die Aufholjagd in Richtung digitale Welt ermöglicht wurde. Früher hatte Leica Kameras hergestellt, aber keine Filme, nun musste dringend neues Know-how her: 20 neue Mitarbeiter wurden eigens für die digitale Bildbearbeitung eingestellt. Partnerschaften mit Kodak, Fujitsu und Panasonic sicherten den Zugang zu den technischen Herzstücken digitaler Kameratechnik – modernen Bildsensoren und Hochleistungsprozessoren. Kaufmann redete bei Technik und Design mit und scheute sich auch nicht, wenn es nötig war, die Vorstände zu wechseln. Ein Jahr lang führte er die Firma sogar selbst. Mit neuen Produkten gelingt im Geschäftsjahr 2009/2010 der Turnaround. Die M9 und die Studiokamera S2 mit extragroßem Sensor werden Verkaufsschlager. Und Leica wartet auch nicht mehr auf die Kunden, sondern geht auf sie zu. Seit 2005 wendet sich das Traditionsunternehmen mit über 100 Mono Brand Stores, teils im Franchise, teils selbst betrieben, direkt an den Endkunden – ein Paradigmenwechsel in der Branche. „Wir sind die einzigen in der Industrie, die so etwas machen.“ Leica verfügt über einen Weltmarktanteil von derzeit 0,16 Prozent. Kaufmann hält eine Verdopplung für durchaus realistisch. „Wir haben eine intelligente, manche würden vielleicht sagen, aggressive Roadmap, die wir in den nächsten drei Jahren umsetzen werden. Ich glaube, die Marke hat viel mehr Potenzial als das, was sich in unserem derzeitigen Marktanteil widerspiegelt!“ Warum holte er sich vor zwei Jahren den US-Finanzinvestor Blackstone mit einer Minderheitsbeteiligung als Partner ins Boot? „Weil ich gern gut schlafe. Ich fühle mich immer wohler mit einem Partner, wir sind ein kleines Family Office in Salzburg, wir haben weise vielleicht gar nicht so mutig gewesen ist, denn selbst bei einem Totalverlust hätte er, wie er sagt, „immer noch die Miete zahlen können.“ Andererseits: „Niemand verliert gern Geld. Niemand, ich kenne keinen.“ Abgeraten haben ihm fast alle. Je weniger ihm die Meinung eines Menschen bedeutet, desto mehr hält er es, wie er sagt, mit Martin Luther: „Was juckt es die deutsche Eiche, wenn sich eine ...“ Aber im Falle Leica war seine gesamte Familie dagegen. Er hat es dennoch gewagt. Vielleicht, weil er, wie er sagt, über ein „etwas anderes Risikoprofil“ verfügt. Weil ihn ein Geschäft oft gerade dann interessiert, wenn andere abwinken. Weil er an die Marke glaubte, sagte er sich: „Diese Firma ist etwas wert und ich kann’s riskieren.“ Weil er es konnte. „Wenn Sie keinen finanziellen Background haben, ist es natürlich schwierig, etwas zu riskieren. Banken verleihen Regenschirme ja nur bei Sonnenschein!“ Kaufmann zieht dabei eine enge Grenze zwischen Mut und Tollkühnheit. Tollkühn wäre es für ihn gewesen, aus Ahnungslosigkeit, nur von persönlicher Leidenschaft getrieben, zu investieren. Er aber sah klare Indizien für das Potenzial der Firma: hatte wahrgenommen, dass japanische Großkonzerne stets deutsche Optiklizenzen verwendeten. Dass ihnen die viel Geld wert waren. Dass Panasonic, damals immerhin mit 400 000 Mitarbeitern, unbedingt die Leica-Lizenz wollte, obwohl der Firmenriese dadurch gezwungen war, jeden optischen Entwurf beim hessischen Mittelständler absegnen zu lassen. Also, war er sich sicher, investierte er nicht in den faden Nachhall einer schwer angeschlagenen Marke, sondern in ihren realen Wert. Auch wenn manche diesen damals nicht sehen wollten. Er würde ihnen die Augen schon öffnen. Aber auch er hatte ja nicht alles gesehen. Schwarz und Rot: Wie Juwelen auf Samt werden die aktuellen Modelle im Foyer der Firmenzentrale präsentiert. Entrepreneure Report 13 verschiedene Beteiligungen, und Leica ist eine relativ große. Es gibt gute Finanzinvestoren, und ich halte Blackstone für einen der besten. Wir entscheiden die wichtigsten Dinge gemeinsam.“ Mit Blackstone war der Weg geebnet, der es ihm erlaubte, Leica Ende letzten Jahres von der Börse zu nehmen – weil eine Finanzierung über den Kapitalmarkt nun nicht mehr notwendig war. Kaufmann, an dessen Revers ein dezenter Button in typischem Leica-Rot aufblitzt, streicht liebevoll über die mitgebrachte Kamera. Die Worte perlen aus ihm heraus: „Designklarheit. Materialechtheit. Die Oberfläche weich wie Seide ...“ Ein Objekt der Begierde für jeden Sammler. Kaufmann spricht mit warmer Stimme, in seinen Augen taucht hin und wieder ein leicht ironisches Flackern auf, das nur dann weicht, wenn man ihm Fragen stellt, die er als überflüssig empfindet. Zum Beispiel nach den Kosten seines Engagements: „Ich spreche nicht über Geld! Das ist ein altes Familienprinzip, Geld hat eine ganz schwierige Dimension, es ist ein Gestaltungsmittel und ein Neidmittel, und das wird häufig verwechselt. 20 Millionen Euro sind einerseits wahnsinnig viel Geld. Wenn ich damit machen kann, was ich möchte. Wenn ich aber eine Firma umstrukturieren will, ist es gerade einmal ein Hebel.“ Natürlich kann man den Büchern entnehmen, dass allein die Entwicklung der Studiokamera S2, des Leica-Flaggschiffs, mit Nachinvestitionen satte 39 Millionen Euro gekostet hat. Aber eine pauschale Frage nach seinen Ausgaben werde er nie beantworten. „Das ist eine Art Philosophie.“ Dr. Andreas Kaufmann Dr. Andreas Kaufmann, 59, stammt aus einer Anthroposophen-Familie und war Gründungsmitglied der deutschen Grünen. Als er 1998 zusammen mit seinen beiden Brüdern die renommierte österreichische Papier- und Zellstofffabrik Frantschach erbt, verkauft er für 1,5 Mrd. Euro und gründet die Beteiligungsgesellschaft ACM. Er legt seinen 15 Jahre lang ausgeübten Beruf als Waldorflehrer nieder und kauft über die Holding vorrangig Anteile von mittelständischen deutschen Unternehmen der Optoelektronik. In diesem Zuge steigt er auch bei Leica ein. Schnell muss er jedoch feststellen, dass die Lage dort schlimmer ist als ursprünglich angenommen: 2005 hat Leica sein Eigenkapital zu mehr als der Hälfte verbraucht, Hermès will seine Anteile verkaufen. Kaufmann stockt den Firmenanteil kurzerhand auf 96,5 Prozent auf. Seit 2010 ist er Aufsichtsratsvorsitzender. Durch sein Engagement schreibt das ehemals defizitäre Unternehmen wieder positive Zahlen: Leica peilt bis 2016/17 einen Umsatz von 500 Millionen Euro an. Das Unternehmen hat seit diesem Frühjahr eine neue Dependance in Portugal und insgesamt rund 1 400 Beschäftigte. Die Firmenzentrale, bisher im hessischen Solms, wird 2014 nach Wetzlar verlegt – an den Ort, wo die Leica-Erfolgsgeschichte vor mehr als 100 Jahren begann. Eleganz, die sich rechnet: Der selbst entwiIkonen der Reportage-Fotografie: ckelte Regional-Triebzug ist das Hinter Glas blitzen „Flirt“ Exponate aus erfolgreichste der Stadler Rail Group. rundProdukt 100 Jahren Firmengeschichte. Kaufmann ist in einem Anthroposophen-Haushalt aufgewachsen. Sein Vater Topmanager beim Naturkosmetik- und Arzneimittelkonzern Weleda, sein Schwager hat die Biomarktkette Alnatura gegründet. Kaufmann sagt, er habe die Theorien Rudolf Steiners im Wesentlichen als „eine Art Meditationsmethode“ für sich genutzt, „einfache Anweisungen, die einem helfen, als Mensch etwas gefestigter zu werden und bestimmte Dinge ruhiger und gelassener zu sehen. Weil Sie auch klarer entscheiden.“ Auch seinem Traumleben gebe er, der anthroposophischen Lehre gemäß, eine gewisse Bedeutung. „Nicht unbedingt im freudianischen Sinne, aber doch als kreative Quelle.“ Nicht dass Leica eine Träumerei gewesen sei, aber „zwei, drei Entscheidungen“ sind tatsächlich durch traumgespeiste Intuition angestoßen worden, zum Beispiel die Leica Monochrom, eine Kamera, die ausschließlich schwarzweiß fotografieren kann. Aber das besser als jede andere. Gibt es eine anthroposophisch gespeiste Form des Mutes? Kaufmann zitiert Rudolf Steiner: „Aus dem Ernst der Zeit muss geboren werden der Mut zur Tat.“ Das hatte jener zu Beginn des Ersten Weltkrieges gesagt, was er in diesem Zusammenhang sehr gut verstehen könne. Übertragen auf die heutige Zeit, würde er es jedoch anders formulieren: „Aus der Erkenntnis der Verantwortung erwächst der Mut zur Tat.“ Auch wenn Leica heute sozusagen über dem Markt thront wie ein mächtiger Felsen in seichtem Wasser, gibt es natürlich Angriffe von Mitbewerbern: Fuji und Sony bezeichnet Kaufmann als „ehrenwerte Konkurrenten“. Dass die Fuji-X-Serie zuweilen als „Leicas für Arme“ bezeichnet wurde, schmeichele ihm. Das Problem sei nur: „Was für einen Brandname hat Sony im Bereich der Kameras?“ Das habe Leica den japanischen Firmen voraus: „Mit einer Leica taucht man direkt in die Geschichte der Fotografie ein.“ Obwohl sich die Kleinbild-Fotografie seit Erfindung der Ur-Leica vor 100 Jahren rasant entwickelt hat, pflegt Kaufmann sehr gezielt den Mythos der Firma. So will er auch die Kooperation mit der berühmten Fotoagentur „Magnum“ wiederaufleben lassen, die bis auf deren Gründungsmitglieder, die Fotografen-Legenden Henry Cartier-Bresson und Robert Capa zurückgeht. Beide fotografierten mit? „Sie ahnen es ...“, sagt Kaufmann. 01/2014 Entrepreneur Impressum Herausgeber: Georg Graf Waldersee Gestaltung und Realisation: Anzinger | Wüschner | Rasp, München Art Direction: Markus Rasp Projektmanagement: Annette Rau Bildnachweise: S. 4 links: TASCHEN, S. 6: Hess Family Wine Estates, S. 32 / 33: Michael Paukner, substudio, S. 53 / 54 / 56 / 57 / 59: Sebastiao Salgado / Amazonas Images / Agentur Focus, S. 55: Ricardo Beliel, S. 60: J. Olczyk, S. 62: Justin Hession, S. 63 Lichtbilder: James Turrell, Foto von Florian Holzherr; Ausführliche Information im Sammlungskatalog: Hess Art Collection, Verlag Hatje Cantz 2009, 372 Seiten, 49,80 Euro, S. 63 Porträt Turrel: Grant Delin / Corbis Outline Adresse der Redaktion: Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Mittlerer Pfad 15 70499 Stuttgart [email protected] Druck: Druck- und Verlagshaus Zarbock Frankfurt am Main EY | Assurance | Tax | Transactions | Advisory Die globale EY-Organisation im Überblick Die globale EY-Organisation ist einer der Marktführer in der Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Transaktionsberatung und Managementberatung. Mit unserer Erfahrung, unserem Wissen und unseren Leistungen stärken wir weltweit das Vertrauen in die Wirtschaft und die Finanzmärkte. Dafür sind wir bestens gerüstet: mit hervorragend ausgebildeten Mitarbeitern, starken Teams, exzellenten Leistungen und einem sprichwörtlichen Kundenservice. 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