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FORSCHUNGEN ZUR ANTIKEN SKLAVEREI
BEGRÜNDET VON JOSEPH VOGT, FORTGEFÜHRT VON HEINZ BELLEN
IM AUFTRAG DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR
HERAUSGEGEBEN VON HEINZ HEINEN
BEIHEFT 5
________________________________________________________________________________
HANDWÖRTERBUCH DER ANTIKEN SKLAVEREI
IM AUFTRAG DER
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR, MAINZ
herausgegeben von
HEINZ HEINEN
in Verbindung mit
ULRICH EIGLER, PETER GRÖSCHLER, ELISABETH HERRMANN-OTTO,
HENNER VON HESBERG, HARTMUT LEPPIN, HANS-ALBERT RUPPRECHT, WINFRIED
SCHMITZ, INGOMAR WEILER und BERNHARD ZIMMERMANN
Redaktion
JOHANNES DEISSLER
in Zusammenarbeit mit Andrea Binsfeld
und mit dem Kompetenzzentrum für elektronische
Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier
Gefördert mit Mitteln der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung, Köln
LIEFERUNG I-IV
FRANZ STEINER VERLAG · STUTTGART 2012
Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS), hrsg. von Heinz Heinen u.a. CD-ROM-Lieferung I-IV. Stuttgart: Franz Steiner 2012
© Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
Anthropologie / Ethnologie
I. WAS IST SKLAVEREI? II. VERBREITUNG DER SKLAVEREI. III. DIE LEBENSWELT DER SKLAVEN. IV. ARBEIT UND
IDENTITÄT. V. ABSCHAFFUNG UND TRANSFORMATION DER SKLAVEREI
Zum Thema Sklaverei gibt es verschiedene Zugänge. Der Historiker fragt nach der Vielfalt der Formen und
ihrem Wandel in der Geschichte. In einer rechtlichen Perspektive werden Fragen des Eigentums von und an
Sklaven thematisiert. Ökonomen untersuchen die Produktivität der Sklavenarbeit im Vergleich zur freien Arbeit.
Die Anthropologie der Sklaverei stellt die Frage, wie Sklaverei mit der Natur des Menschen vereinbar ist. Dazu
leisten die historische und die philosophische Anthropologie Beiträge. Ein reichhaltiges empirisches Material zu
der kulturellen Vielfalt der Sklaverei liefert vor allem die Ethnologie (Kultur- und Sozialanthropologie). Es ist
vor allem diese Sichtweise, die dem vorliegenden Artikel zugrunde liegt. Andere Perspektiven, die für eine
historische Anthropologie ebenfalls wichtig sind [19], treten dem gegenüber zurück. Der ethnographische Ansatz
hilft auch, die Perspektive der Sklaven selbst ins Zentrum zu rücken. Da Sklaverei in →Afrika erst vor kurzem
abgeschafft wurde und in Resten noch heute existiert, kann dort besser als anderswo mit ethnographischen
Methoden geforscht werden.
I. WAS IST SKLAVEREI?
Lange Zeit dominierte in der Forschung eine juristische Perspektive, bei der der Sklave als Eigentum wie eine
Sache definiert wird. Der Herr kann ihm befehlen, ihn verkaufen, verschenken und vererben. In fast allen
Gesellschaften ist diese absolute Verfügungsgewalt allerdings eingeschränkt; der Sklave besitzt auch Rechte.
Diese juristische Perspektive reicht allerdings nicht aus. Finley wies als einer der ersten darauf hin, dass neben
dem Eigentumskriterium die Entwurzelung des Sklaven ebenso wichtig sei [4, 307]. Dieser ist ein Außenseiter.
Er stammt ursprünglich aus einer fremden Gesellschaft, er gehört zu keiner Verwandtschaftsgruppe und kann
keine begründen. Nur in diesem Kontext wird seine juristische Rechtlosigkeit auch wirksam. Neuere Autoren
betonen diesen Aspekt noch stärker. Orlando Patterson spricht schon im Titel seines Buches von „Social Death“
[16]. Am radikalsten formuliert Claude Meillassoux [12] diese Position. Er analysiert Sklaverei im Rahmen
eines Gesellschaftssystems, in dem die Sklaven sich nicht selbst reproduzieren, sondern immer erneut durch
Kriege, Razzien oder Kauf aus der Fremde beschafft werden müssen. Der Sklave ist von seinem Ursprung her
der Fremde schlechthin. Je nach Gesellschaft bezieht sich der Verlust seiner bisherigen Identität auf die
Verwandtschaft, die Ethnie, die politische oder religiöse Gemeinschaft. Damit verliert er auch den Schutz durch
diese Gruppen.
Die Herkunft der Sklaven aus fremden Gesellschaften (externe Sklaverei) ist die verbreitetste Form der
Versklavung. Es gibt aber auch die Herkunft aus der eigenen Gesellschaft (interne Sklaverei), z.B. in Form von
Straf- oder Schuldsklaverei. Für die interne Struktur einer politischen Gemeinschaft ist die Zulassung oder das
Verbot der internen Sklaverei folgenreich [18, 11]. Ist sie zugelassen, dann verschärfen sich die
Klassenunterschiede. Die Kontinuität der Sklaverei in einer Gesellschaft kann im Prinzip auch durch die eigene
Fortpflanzung der Sklaven gesichert werden. Das war zum Beispiel bei der nordamerikanischen Sklaverei im 19.
Jh. der Fall. Aus zwei Gründen ist das allerdings nur selten vollständig möglich. Zum einen ist die Ausbeutung
der Sklavinnen oft so groß, dass sie keinen ausreichenden Nachwuchs haben können oder wollen. Zum anderen
vermindert sich durch die in den meisten Gesellschaften praktizierte Freilassung die Zahl der Sklaven, so dass
immerzu für neuen Nachschub gesorgt werden muss.
In westlichen Gesellschaften bildet heute der Sklavenstatus den größten denkbaren Gegensatz zur Freiheit der
Person. In vielen anderen Gesellschaften besitzt dagegen Freiheit einen geringeren Wert und sind
Abhängigkeiten selbstverständlich. Aber auch wenn Sklaverei in einer Gesellschaft institutionalisiert ist, handelt
es sich um eine problematische Institution. Es bedarf einer besonderen Rechtfertigung, warum andere Menschen
versklavt werden können. Eine solche Rechtfertigung bietet z.B. ein Rassismus, der anderen den Status von
vollwertigen Menschen abspricht. Religionsgemeinschaften wie das →Christentum oder der →Islam verbieten
im Prinzip die Versklavung von Mitgliedern der eigenen Religion, auch wenn sie sich in der Praxis nicht immer
daran halten bzw. bestimmte Gruppen als Häretiker für die Versklavung freigeben. Mitglieder anderer
Religionen und vor allem Mitglieder von „heidnischen“ Religionen bildeten dagegen vor allem in Afrika ein
Reservoir für Sklavenjagden.
Sklaven dienen verschiedenen Zwecken. Sie können Inhaber hoher politischer Ämter oder hochrangige Soldaten
wie im Falle der Mamelucken sein. Frauen werden oft wegen ihrer reproduktiven Eigenschaften als Sklavinnen
gehalten (Konkubinen). In vielen Gesellschaften stehen Frauen ihren Herren sexuell zur Verfügung. Aber in der
weit überwiegenden Zahl der Fälle sind Sklaven und Sklavinnen vor allem zum Arbeiten bestimmt. Sie arbeiten
in der Landwirtschaft, im Gewerbe, in der Antike auch in intellektuellen Berufen. Vor allem die großen
Sklavensysteme wurden primär im Hinblick auf die Arbeit der Sklaven eingerichtet. Dabei lassen sich drei
Grundtypen unterscheiden: Haussklaverei, Plantagensklaverei, Sklaverei mit autonomer Wirtschaft. Beim ersten
Typ, der vor allem in Afrika weit verbreitet war, arbeiten die Sklaven im Rahmen einer Hauswirtschaft. Sie
führen Hausarbeiten und handwerkliche Arbeiten durch, sie bebauen das Land und hüten das Vieh.
Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS), hrsg. von Heinz Heinen u.a. CD-ROM-Lieferung I-IV. Stuttgart: Franz Steiner 2012
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Plantagensklaverei, wie wir sie vor allem aus Amerika kennen, war in Afrika die Ausnahme. Sklaven können
auch autonom als Bauern oder Handwerker arbeiten und ihren Herren eine Abgabe leisten.
II. VERBREITUNG DER SKLAVEREI
Sklaverei ist keine gesellschaftliche Ausnahme. Sie gehörte vielmehr bis zum 19. Jh. zu den weltweit
verbreiteten Institutionen. Nur in Australien und Melanesien fehlte sie völlig; in Amazonien war sie selten.
Afrika war lange Zeit die wichtigste Lieferzone für Sklaven. Am bekanntesten ist der transatlantische
Sklavenhandel. Die Zahl der zwischen 1500 und 1900 exportierten Sklaven wird auf 11-12 Millionen geschätzt.
An Zahlen stand dem aber der islamisch geprägte Transsaharahandel und der Handel über den indischen Ozean
nicht nach oder übertraf ihn sogar [5, 165f.]. Wenn wir von Verbreitung der Sklaverei sprechen, ist nicht nur die
globale Verteilung zu berücksichtigen, sondern auch das Ausmaß innerhalb einer Gesellschaft. Dabei ist zu
unterscheiden zwischen Gesellschaften, in denen Sklaverei marginal existiert (sklavenbesitzende Gesellschaft)
und solchen, in denen sie dominiert (Sklavengesellschaft). Zu den Gesellschaften, in denen Sklaverei die
ökonomische Grundlage bildet, gehörten das antike Griechenland und Rom, die amerikanischen Südstaaten, die
Karibik und Brasilien, und islamisch geprägte Staaten in Afrika und Asien.
Unser Bild von der Sklaverei ist stark von den amerikanischen Sklavengesellschaften geprägt. Inzwischen
wissen wir auch mehr über Sklavengesellschaften in Afrika und der islamischen Welt. In vielen Fällen handelt es
sich um komplexe Staaten. Sklaverei existierte aber auch in Stammesgesellschaften [14. 18]. In diesen
Gesellschaften ist Sklaverei eng mit dem Verwandtschaftssystem verknüpft. Sklaven, vor allem Sklavinnen
dienen nicht nur als Arbeitskräfte sondern vergrößern die Verwandtschaftsgruppe. Das wird durch polygame
Ehesysteme erleichtert. Die Sklaven werden im Lauf der Zeit in die Verwandtschaftsgruppe integriert, so dass
die Unterschiede verschwinden. Der ursprünglichen Desozialisierung folgt eine Resozialisierung. Während in
der modernen westlichen Tradition die auf Gefühl beruhende Familie und die auf Zwang und Ausbeutung
basierende Sklaverei die größten Gegensätze bilden, existiert in den afrikanischen Stammesgesellschaften ein
Kontinuum von Bindungen. Völlige Freiheit bedeutet Schutzlosigkeit und ist kein erstrebenswerter Zustand.
III. DIE LEBENSWELT DER SKLAVEN
Sklaverei wird in der Forschung vor allem aus der Perspektive der Herren betrachtet. Das bedeutet nicht, dass die
Forscher mit den Herren sympathisieren. Aber da Sklaverei von allen als Besitzverhältnis und Zwang gesehen
wird, richtet sich die Aufmerksamkeit zunächst auf dieses System. Die Sklaven selbst erscheinen dabei als Opfer
mit wenig Handlungsmöglichkeiten. Sie müssen das tun, was ihnen befohlen wird. Ihre Situation hängt nicht von
ihnen ab, sondern von der Milde oder Härte des Herrn. Ausführlich werden auch die Rechtssysteme im Hinblick
auf die Rechte des Sklaven beschrieben. Diese sind z.B. im islamischen Recht detailliert festgelegt. Wichtig ist
dort vor allem die Möglichkeit des Freikaufs und das Versprechen der Freilassung nach dem Tode des Herrn.
Diese Herrenperspektive wird neuerdings infrage gestellt. Schon seit langem hatten sich Forscher für den
Widerstand der Sklaven interessiert. Zwar gab es in der Geschichte der Sklaverei nur selten Sklavenaufstände.
Aufgrund ihrer heterogenen Herkunft und spezifischen Situation waren Sklaven nur selten in der Lage, sich
kollektiv zu organisieren. Sie bildeten keine Klasse. Sie konnten aber auf andere Weise Widerstand leisten. Sie
konnten langsam oder schlecht arbeiten, manchmal flohen sie. Erst seit einigen Jahrzehnten richtet sich die
Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf den Widerstand der Sklaven, sondern auf die Art, wie sie ihre Lebenswelt
gestalten. Die Forschungen von Eugene D. Genovese [6] bedeuteten einen Bruch mit der bisherigen Literatur
über die amerikanische Sklaverei, die die Sklaven vor allem als mehr oder weniger passive Opfer des
Sklavensystems gesehen hatte. Auch unter extremen Bedingungen versuchen die Sklaven, Würde zu bewahren,
ein Familienleben aufzubauen und ihre eigene Religiosität zu entwickeln. Genovese setzt sich auch mit dem
unter den Sklavenhaltern verbreiteten Klischee des „lazy nigger“ auseinander. Er weist darauf hin, dass im
Rahmen eines Sklavensystems wenig Anreize für eine große Arbeitsleistung bestehen. Wichtiger ist allerdings,
dass die amerikanischen Sklaven aus einem agrarischen Kontext in Afrika stammen. Wie in allen
Agrargesellschaften wird dort zeitweilig hart gearbeitet, aber es fehlen die Stetigkeit und Disziplin der
Industriearbeit.
Die Frage, ob die Sklaven in Amerika ihr afrikanisches Erbe mitbrachten oder eine neue Kultur schufen, wird in
der Forschung seit langem kontrovers diskutiert. Herskovits [9] hatte das afrikanische Erbe im sozialen,
kulturellen und religiösen Leben der amerikanischen Sklaven und ihrer Nachfahren betont. Mintz und Price [15]
stellten dagegen die These auf, dass die kulturellen Bindungen zu Afrika abgeschnitten waren, weil die Sklaven
aufgrund ihrer heterogenen Rekrutierung und ihrer Lage kein kollektives Gedächtnis bewahren konnten.
Stattdessen schufen sie eine neue kreolische Kultur. In den letzten Jahren werden wieder die kulturellen
Kontinuitäten stärker betont.
IV. ARBEIT UND IDENTITÄT
Sklavenarbeit gilt wegen ihres Zwangscharakters nicht nur moralisch als verwerflich, sondern auch als schlechte
Arbeit. Die Arbeitsleistung hängt wesentlich von der Kontrolle der Aufseher ab. Das wiederum verteuert sie und
verringert dadurch ihre Produktivität. Schon Adam →Smith hatte postuliert, dass von freien Menschen geleistete
Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS), hrsg. von Heinz Heinen u.a. CD-ROM-Lieferung I-IV. Stuttgart: Franz Steiner 2012
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Arbeit billiger komme als Sklavenarbeit. Diese These verstärkte im 19. Jh. die Argumentation der
Abolitionisten, die die Sklaverei aus humanitären Gründen abschaffen wollten. Dass Sklavenarbeit lustlos
geleistet wird und wenig produktiv ist, weil sie unter Zwang erfolgt, ist aber nicht so selbstverständlich, wie es
die illustre Reihe der Vertreter dieser Auffassung suggeriert. Es gibt auch eine Gegenposition, die sich auf
→Hegels Kapitel „Herrschaft und Knechtschaft“ in der Phänomenologie des Geistes [7] berufen kann. Die
Beziehung zwischen Herr und Knecht beginnt in Hegels Parabel mit einem Kampf, in dem der Besiegte die
Unterwerfung dem Tod vorzieht. Der letztere muss die Überlegenheit des anderen anerkennen. Er muss für ihn
arbeiten, während der Herr die Früchte der Arbeit des Knechtes genießt. Aber der Knecht wandelt bei der Arbeit
nicht nur die Natur um, sondern sich selbst. Durch die Arbeit gewinnt er ein Selbstbewusstsein, eine Identität.
Was sagt die Forschung über Sklaverei zu dieser These? Sie hat sich für das Thema lange Zeit wenig interessiert.
Hier haben die beiden Historiker Berlin und Morgan [2] Pionierarbeit geleistet. Sie zeigen, wie in Amerika die
Arbeit im Zentrum des Lebens der Sklaven stand. Dazu gehörten nicht nur die ständigen Auseinandersetzungen
mit ihren Herren über die Arbeitsbedingungen und die Früchte der Arbeit, sondern auch die Arbeit selbst. Die
Arbeit, auch wenn sie auf Ausbeutung beruht, ist ein kreativer Akt. Die Sklaven können sich damit ihrer
Menschlichkeit versichern, die ihnen durch den Sklavenstatus abgestritten wird [2, 1]. Sklaven arbeiten nie
ausschließlich für ihre Herren, sondern haben auch einen eigenen Arbeitsbereich. Hier arbeiten sie sorgfältiger
als auf den Feldern des Herrn. Sie haben größere Wahlfreiheiten im Konsum, sie lernen eine Welt außerhalb
ihrer Plantage kennen, sie erwerben Eigentum, das sie an ihre Nachkommen weitergeben.
Auch für Afrika gibt es Hinweise auf eine spezifische Arbeitsethik der Sklaven. Diese konnte sich zwar zu
Sklavenzeiten nicht voll entfalten, aber nach der Freilassung. Ein neuer Sammelband [3] enthält dazu mehrere
Beiträge. Detailliert wird das Thema von Christine Hardung in einer Forschungsarbeit über ehemalige Sklaven
der Fulbe in Benin untersucht [8]. Wenn die ehemaligen Sklaven und ihre Nachkommen über die Sklavenarbeit
erzählen, dann schildern sie das als ihre Welt, in der die Herren kaum vorkommen. Zu diesem Eigenleben
gehörte auch eine Autonomie, die Neugier und Kreativität ermöglichte. Sie sicherte ein von den Herren
unabhängiges Wissen. Mit der Aneignung der materiellen Welt schufen die Sklaven auch eine immaterielle
Gegenwelt. Sie erzählen Geschichten, in denen die Schwäche und Wehleidigkeit der Fulbe und, im Gegensatz
dazu, ihr eigener Umgang mit den Widrigkeiten des Alltags thematisiert wird. Arbeit ist hier „ein selbstreflexiver
Akt der Befreiung mit eben jenem Mittel, das zugleich die Bestimmung der Sklaven war, ihrer Arbeitskraft“ [8,
420].
V. ABSCHAFFUNG UND TRANSFORMATION DER SKLAVEREI
Kritik an der Sklaverei als Institution gab es vereinzelt immer, auch in der Antike und im Islam. Aber eine breite
abolitionistische Bewegung entstand erst im 17. Jh. bei protestantischen Minoritäten, dann als politische
Bewegung in England, Frankreich und den USA. Spätestens im 19. Jh. wurde die Sklaverei überall im Westen
abgeschafft. Heute ist Sklaverei in allen Staaten der Welt illegal, wenn auch nicht überall in der Praxis
abgeschafft. In →Afrika wurde die Sklaverei erst während der Kolonialzeit im 20. Jh. verboten. Was ist aus den
Sklaven in Afrika geworden? Die Literatur erweckt den Eindruck, dass bis heute die Abhängigkeitsverhältnisse
weiter bestehen. Dabei gerät leicht aus dem Blick, dass die meisten derjenigen, deren Vorfahren Sklaven waren,
heute wie die anderen Freien leben. Sie zogen teils als freie Arbeiter in die Städte, teils kehrten sie in ihre alte
Heimat zurück oder siedelten sich anderswo an, teils blieben sie als Freie in ihren Dörfern. Im westafrikanischen
Sokotokaliphat gab es um 1900 2,5 Millionen Sklaven. Das war ein Viertel der Bevölkerung. Im Emirat Kano
war es sogar die Hälfte [11]. Die Aufhebung der Sklaverei während der Kolonialzeit im 20. Jh. war ein
langsamer, aber letztlich erfolgreicher Prozess. Die Nachkommen der Sklaven wurden nach der Abolition in die
Hausagesellschaft integriert [10. 17]. Soziale Diskriminierungen der Sklaven bestanden aber noch lange weiter.
Länger als rechtliche und ökonomische Abhängigkeiten konnten Ehrvorstellungen einen unterschiedlichen
Status begründen. Sie zeigen sich zum Teil bis heute bei der Heirat.
Die Auswirkungen der Sklaverei halten sich dort am längsten, wo diese mit Rassismus verbunden ist. Das gilt
nicht nur für Nordamerika, sondern auch für Afrika. Dort wo hellfarbige Herren über schwarze Sklaven
geherrscht hatten, bestand die Sklaverei in mehr oder minder abgeschwächter Form auch im 20. Jh. weiter. Das
gilt für Araber, Mauren, Tuareg und Fulbe. Besonders dort, wo die früheren Herren auch die politische Macht
ausüben (Mauretanien, Sudan), gibt es trotz staatlicher Verbote noch Reste von Sklaverei. Dort bildeten sich
auch Bewegungen und Parteien ehemaliger Sklaven, die mit internationaler Unterstützung gegen die Sklaverei
kämpfen.
Im Zentrum der Kritik stehen heute weltweit weniger diese traditionellen als neue Formen von „Sklaverei“. Zu
ihnen werden Zwangsarbeit, Zwangsprostitution, Zwangsheirat, Menschenhandel und Kinderarbeit gerechnet [1.
13]. Deren Zuordnung zur Sklaverei ist umstritten, da die betroffenen Personen rechtlich frei sind. Von Sklaverei
wird insofern gesprochen, weil sie sich in einer Zwangssituation befinden und ausgebeutet werden.
Problematisch wird die Zuordnung dann, wenn sie von westlichen Gruppen vorgenommen wird und sich auf
Praktiken wie Kinderarbeit und arrangierte Heiraten bezieht, die in den kritisierten Gesellschaften als normal
angesehen werden.
Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS), hrsg. von Heinz Heinen u.a. CD-ROM-Lieferung I-IV. Stuttgart: Franz Steiner 2012
© Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
Unabhängig von der Frage, ob die Verwendung des Begriffes „Sklaverei“ für die Charakterisierung moderner
Phänomen angemessen ist oder nicht, weist der verbreitete Gebrauch des Wortes darauf hin, wie groß der
Abscheu gegen Sklaverei ist. Auch wenn die historischen Formen obsolet geworden sind, bleibt die Erinnerung,
und man kann Menschen mobilisieren, wenn man heutige Formen der Abhängigkeit mit dem Etikett
„Sklaverei“ versieht.
Dies zeigt aber auch, wie wichtig die kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Phänomenen ist,
die in der Geschichte und heute als Sklaverei bezeichnet werden.
(1) ALBER, E.: Kinderhandel in Westafrika? In: Heinz Heinen (Hrsg.): Kindersklaven – Sklavenkinder. Schicksale zwischen
Zuneigung und Ausbeutung in der Antike und im interkulturellen Vergleich. Beiträge zur Tagung des Akademievorhabens
Forschungen zur antiken Sklaverei (Mainz, 14. Oktober 2008). Stuttgart 2012, 43-61. --- (2) BERLIN, I., MORGAN, P.:
Cultivation and Culture. Labor and the Shaping of Slave Life in the Americas. Charlottesville 1993. --- (3) BOTTE, P. (Ed.):
Esclavage moderne ou modernité de l’esclavage (Cahiers d’Etudes Africaines 179/180, 2005). --- (4) FINLEY, M.: Slavery.
In: International Encyclopedia of the Social Sciences. Bd.14. New York 1968, 307-312. --- (5) FLAIG, E.: Weltgeschichte der
Sklaverei. München 2009. --- (6) GENOVESE, E. D.: Roll, Jordan, Roll. The World the Slaves Made. New York 1974. --- (7)
HEGEL, G. W.: Phänomenologie des Geistes. Bamberg 1807. --- (8) HARDUNG, C.: Arbeit, Sklaverei und Erinnerung. Köln
2006. --- (9) HERSKOVITS, M.: The Myth of the Negro Past. New York 1941. --- (10) HILL, P.: From Slavery to Freedom: the
Case of Farm-slavery in Nigerian Hausaland. In: Comparative Studies in Society and History 17 (1976) 395-426. --- (11)
LOVEJOY, P.: Slavery, Commerce and Production in the Sokoto Caliphate of West Africa. Trenton 2005. --- (12)
MEILLASSOUX, C.: Anthropologie der Sklaverei. Frankfurt/M. 1989 (fr.: Anthropologie de l’esclavage. Paris 1986). --- (13)
MIERS, S.: Slavery in the Twentieth Century. Walnut Creek 2003. --- (14) MIERS, S, KOPYTOFF, I. (Edd.): Slavery in Africa.
London 1977. --- (15) MINTZ, S., PRICE, R.: An Anthropological Approach to the Afro-American Past. Philadelphia 1976. --(16) PATTERSON, O.: Slavery and Social Death. Cambridge 1982. --- (17) SMITH, M.: Slavery and Emancipation in Two
Societies. In: Social and Economic Studies 1954,3, 239-290. --- (18) TESTART, A.: L’esclave, la dette et le pouvoir. Paris
2001. --- (19) WINTERLING, A. (Hrsg.): Historische Anthropologie. Stuttgart 2006.
Gerd Spittler
Das Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS) ist ein Projekt des Mainzer Akademievorhabens Forschungen zur antiken Sklaverei (http://www.sklaven.adwmainz.de/). Es soll die Ergebnisse der internationalen Sklavereiforschung erfassen, auswerten, konzise darlegen und der Fachwissenschaft für spätere Untersuchungen ein bisher fehlendes Grundlagenwerk für den alltäglichen Gebrauch bereitstellen. Als alphabetisch geordnetes Nachschlagewerk wird es ca. 1.000
Stichwörter (Personen, Sachen und Begriffe) in unterschiedlicher Gewichtung beinhalten, der
Gesamtumfang ist auf ca. 840.000 Wörter angelegt. Neben den klassischen Formen der Sklaverei werden auch andere Arten der Unfreiheit, die übrigen Kulturen des Mittelmeerraumes (Alter
Orient, Ägypten, Karthago etc.) sowie Abhängigkeitszustände in außereuropäischen Zivilisationen (Indien, China etc.) Berücksichtigung finden – allerdings nur zum Zwecke des Vergleichs
und nicht als eigenständige Schwerpunkte. Beiträge zur Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte runden das HAS ab. Die Beiträge werden zunächst elektronisch in fünf CD-ROMLieferungen veröffentlicht, wodurch eine rasche, zitierfähige und urheberrechtlich geschützte
Präsentation gewährleistet ist. Nach Vorliegen aller Artikel und der Aktualisierung älterer Beiträge
ist eine herkömmliche Buchversion (2.400 Spalten) geplant. Publikationssprache ist Deutsch,
Artikel in englischer, französischer, italienischer und spanischer Sprache sind ebenfalls vertreten.
Bezugsbedingungen/Bestellungen:
Franz Steiner Verlag
Postfach 101061
70009 Stuttgart
+49 (0)711 – 25820
FAX +49 (0)711 – 2582390
http://www.steiner-verlag.de
[email protected]
ISBN-13: 978-3-515-08919-7
Systemvoraussetzungen
PC ab 1 GHz; 256 MB RAM; MS Windows
2000, XP, Vista oder Windows 7
MAC ab G3; 256 MB RAM; Mac OS X 10.4
oder höher
Zitiervorschlag:
Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS) hrsg. von Heinz Heinen in Verbindung mit Ulrich
Eigler, Peter Gröschler, Elisabeth Herrmann-Otto, Henner von Hesberg, Hartmut Leppin, HansAlbert Rupprecht, Winfried Schmitz, Ingomar Weiler und Bernhard Zimmermann. Redaktion:
Johannes Deissler. CD-ROM-Lieferung I-IV. Stuttgart: Franz Steiner 2012, s.v. „xxx“ (N.N.)
Kurzform:
Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS) I-IV (2012), s.v. „xxx“ (N.N.)

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