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INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG ............................................................................................................ 7 Quellenmaterial und Forschungsstand .......................................................................... 9 Methodik ....................................................................................................................... 9 Aufbau der Untersuchung ............................................................................................ 10 Anmerkungen zu den diskographischen Quellenangaben ............................................ 10 Erläuterungen zu den Transkriptionen ......................................................................... 11 ANALYSEN ................................................................................................................ 13 Einzelstücke ................................................................................................................. 13 (1) Panhandler ........................................................................................................ 13 (2) Ivory Tattoo ..................................................................................................... 20 (3) 29 ..................................................................................................................... 30 (4) Cassidae ............................................................................................................ 39 (5) The Beatles ........................................................................................................ 52 (6) King For A Day ............................................................................................... 58 (7) Protocol .............................................................................................................67 (8) Chester Leaps In ............................................................................................... 76 (9) Dance Me Home ............................................................................................... 85 (10) Flat Out .......................................................................................................... 96 (11) Nocturnal Mission ......................................................................................... 110 (12) Pat Me ........................................................................................................... 115 (13) What They Did ............................................................................................. 123 (14) Flamenco Sketches ........................................................................................ 138 (15) 7th Floor ......................................................................................................... 143 (16) Peculiar ......................................................................................................... 155 (17) Theme For Malcolm ...................................................................................... 170 (18) Et tu, Brute? .................................................................................................. 181 (19) Fez ................................................................................................................. 191 (20) I’ll Catch You ............................................................................................... 203 5 (21) Jungle Fiction ................................................................................................ 218 (22) Watch Out For Po-Po .................................................................................... 232 (23) Julia .............................................................................................................. 251 Chorusvergleiche ....................................................................................................... 260 (1) Air Pakistan ................................................................................................... 260 (2) Why’d You Do It? ........................................................................................... 279 (3) You’re Under Arrest ......................................................................................... 292 (4) Chariots .......................................................................................................... 314 Vergleiche mit anderen Gitarristen ............................................................................. 347 (1) Twister ............................................................................................................ 347 (2) You Speak My Language ................................................................................ 362 (3) Outta Town .................................................................................................... 376 RESÜMEE ................................................................................................................ 393 Verwendete Quellen .................................................................................. Tonträger .................................................................................................................. Audiovisuelle Medien ................................................................................................ Literatur .................................................................................................................... 400 400 405 407 Abstract .................................................................................................................... 409 6 EINLEITUNG Der 1951 geborene amerikanische Gitarrist John Leavitt Scofield gilt als einer der wichtigsten Multistilisten der kontemporären Jazzszene und zugleich als einer der populärsten Jazzmusiker seiner Generation. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit seiner kompositorischen sowie improvisatorischen Stilistik. Betrachtet man die Geschichte des Jazz, so zeigt sich, dass bis zum Anfang der 1970er Jahre jeweils ein bestimmter Stil dominierend war. Danach folgte eine sukzessive Tendenz zu einer stilistischen Vielfalt bzw. Fusionierung. Aus diesem seit Mitte der siebziger Jahre vorherrschenden Stilpluralismus entwickelten sich vermehrt solche Interpreten, die sich nicht nur einem Genre widmen, sondern parallel in mehreren, manchmal sich als disparat erweisenden Stilen kompetent sind. Solche Multistilisten wie etwa Scofield genießen oft große Popularität, weil deren Publikum sich aus mehreren Stildriften rekrutiert. Das Scofieldsche Œuvre umfasst gegenwärtig (2010) rund 200 Tonträger, wovon schon die 40 unter eigenem Namen erschienenen eindrucksvoll seine stilistische Heterogenität demonstrieren. Grundsätzlich bewegt er sich innerhalb einer stilistischen Bandbreite, die von der Blues-Tradition über Genres wie Swing, Soul, Funk, Hard Bop, Fusion und AvantgardeJazz bis hin zur gegenwärtigen Drum’n-Bass-Kultur reicht, womit bisweilen auch die Grenze zwischen Jazz und Pop überschritten wird. Dabei umfasst sein Repertoire überwiegend instrumentale Musik, nur auf zwei seiner rund 40 Soloplatten kommen vokale Stücke vor. Scofields Karriere begann im Jahre 1974, als er als Sideman im Ensemble von Gerry Mulligan und Chet Baker mitspielte. Drei Jahre später erschien sein erstes Solo-Album, wonach er schrittweise ins Zentrum der Jazzwelt geriet und seitdem mit solchen Protagonisten wie Billy Cobham, Charles Mingus, Miles Davis, Herbie Hancock, Joe Henderson, Lee Konitz usw. zusammenspielte. Einen musikalischen Höhepunkt der letzten Jahre bildete seine Zusammenarbeit mit der Trio-Formation Medeski, Martin & Wood. Die Popularität von John Scofield ist nicht zuletzt durch die Leser- und Kritikerumfragen der Jazz-Zeitschrift Down Beat nachvollziehbar: Er wurde in der Kategorie »Guitar« (zwischen den Jahren 1990–1995 als »Electric Guitar«) ungefähr von der Mitte der achtziger Jahre generell an vorderer, in den neunziger Jahren sogar überwiegend an erster Stelle platziert. In den nachfolgenden Tabellen sind jeweils die ersten drei Plätze berücksichtigt (Straka 2008: 70–71; N. N. 2007a: 55; 2007b: 52; 2008a: 54; 2008b: 42; 2009a: 43; 2009b: 42). 7 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2005 2006 2007 2008 2009 2003 2004 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 1984 Platzierungen von Scofield in der Kategorie Guitar (zw. 1990–1995 als Electric Guitar) – Readers Poll 0 1 2 3 4 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 1984 Platzierungen von Scofield in der Kategorie Guitar (zw. 1990–1995 als Electric Guitar) – Critics Poll 0 1 2 3 4 Hinsichtlich der Spielweise Scofields seien zunächst folgende Details erwähnt: 1. Die Besetzungstypen, das Instrumentarium, sein Gitarrensound sind im großen Maße von seiner jeweiligen Gruppe abhängig, die Gruppenbesetzungen in vielen Fällen von der Schallplattenfirma. Beispielsweise finden sich hinsichtlich der Mitmusiker von Scofield auf den von der Firma Gramavision veröffentlichten Alben vorwiegend elektrifizierte Instrumente, bei den von Blue Note herausgegebenen Platten wurden hingegen akustische Instrumente bevorzugt. 2. Bei alledem verwendet Scofield nahezu ausschließlich einen einzigen Gitarrentypus (Ibanez AS-200) sowie einen einzigen Saitentyp (D’Addario) (Cohen 2004: 55). 3. Die Video- und DVD-Aufnahmen belegen, dass Scofield in der Hauptsache mit Plektrum spielt, lediglich die mehrstimmigen Solopassagen werden mit Fingern gezupft. 8 Quellenmaterial und Forschungsstand Unter den Primärquellen haben für die vorliegende Untersuchung Scofields Audioaufnahmen den größten Stellenwert (zur Diskographie seiner Tonaufnahmen siehe Seite 400). Ergänzend dazu sind sechs Videos bzw. DVDs für diese Untersuchung von Relevanz. Dabei handelt es sich um Konzert-Mitschnitte bzw. die folgenden beiden Lehrvideos: John Scofield: On Improvisation (1984; allgemein für Jazz-Gitarristen; mit Tonleiter- bzw. Harmonie-Übungen) sowie die Doppel-DVD John Scofield: Jazz Funk Guitar (2005; widmet sich dem Fusion-Spiel und inkludiert ein Interview mit John Scofield). Unter den unzähligen schriftlichen Materialien zum Thema John Scofield ist der Großteil als journalistisch zu bewerten. In der Hauptsache sind es Zeitschriftenartikel, welche im Wesentlichen Interwiews, Schallplattenbesprechungen sowie biographie- bzw. diskographiebezogene Inhalte bringen. Da sich die vorliegende Arbeit auf musikalische Analyse konzentriert, finden diese Veröffentlichungen wie auch die darauf beruhenden zahlreichen Lexikaartikel kaum Verwendung. Stilanalytisch von Interesse ist einzig eine von Bert Ligon stammende Online-Veröffentlichung, die sich auf Basis einer Transkription einer SoloAnalyse widmet (Ligon o. J.). Darüber hinaus nennenswert sind zwei Transkriptionsbände: John Scofield: Guitar Transcriptions (1987) und John Scofield: Time On My Hands (1990) sowie diverse Transkriptionen im Magazin Jazz Research News. Methodik Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, auf Basis von musikalischer Analyse die Stilistik Scofields zu benennen. Derart wird in der Beschäftigung mit seiner Kompositions- und Improvisationsweise von einem pragmatischen Stilbegriff ausgegangen, und Stilkategorien bzw. -merkmale, wie man sie in aktueller Zusammenfassung etwa bei Seidel (1998: 1744) findet, sind für die vorliegende Arbeit von lediglich zweitrangiger Bedeutung. Die primäre Absicht dieser Untersuchung liegt in der systematischen Beschreibung der Stilmittel (vgl. Duden 2007: 992), und diesem erklärten Ziel widmen sich die nachfolgenden Ausführungen. Die Summe des Erklingenden (Tonaufnahmen) wie auch des analytisch Erfassten (Scofields Gitarrenspiel und teils die Gestaltungsweisen seiner Mitmusiker) bildet das, was hier unter Stilistik verstanden werden soll. Die vorliegende Untersuchung fokussiert ausschließlich Primärquellen, wobei, um Re dundanzen zu minimieren, letztendlich 35 Stücke ausgewählt wurden. Dieses Sample ergab sich aus stilistisch markanten Einzelstücken unterschiedlichen Charakters, aus Vergleichen von Improvisationen derselben Stücke unterschiedlicher Sessions, aus Gegenüberstellungen mit anderen Gitarristen sowie aus dem Bestreben, einen weiten chronologischen Bereich abzudecken. So erstreckt sich der Untersuchungszeitraum auf die gesamte Schaffensperiode Scofields ab 1974 bis heute (Frühjahr 2010). 9 Alle Transkriptionen wurden vom Autor unter Verwendung der Software »Transcribe!« (Version 7.50) angefertigt. Die Transkriptionen stellen das Fundament der Analyse dar, deren Methoden dem Fundus der klassischen Musikanalytik entstammen. Da in der Regel unterschiedliche Gestaltungsweisen immer wieder erscheinen, wurden diese lediglich bei deren markantestem Auftreten verbalisiert. Darüber hinaus richten die Analysen das Augenmerk in erster Linie auf die sich als besonders stilprägend erweisenden Merkmale. Aufbau der Untersuchung Die Arbeit besteht in ihrem analytischen Hauptteil aus drei Abschnitten: – Im ersten werden 23 Einzelstücke in chronologischer Reihenfolge (soweit bekannt) untersucht, wobei – nach den einleitenden Quellenangaben – die Kompositions- und Improvisationsweise dargestellt wird. Stammt ein Stück nicht von Scofield, wird bezüglich der Komposition nur das Wesentliche erörtert und der Fokus primär auf die Themeninterpretation sowie auf die Improvisation gerichtet. – Der zweite Abschnitt hat Chorusvergleiche derselben Stücke von unterschiedlichen Sessions zum Inhalt. Konkret geht es um vier Stücke mit jeweils mehreren Einspielungen. – Der letzte Teil beinhaltet drei Stücke, bei denen neben Scofield auch je eine weitere Hauptfigur der Jazzgitarrenszene, namentlich Bill Frisell, Pat Metheny sowie Mike Stern, mitwirkt. Jeweils im Anschluss an die Analyse findet sich die dazugehörige Volltranskription. Anmerkungen zu den diskographischen Quellenangaben Die Quellenangaben beinhalten, teils in Klammern gesetzt bzw. in Kursivschrift, folgende Informationen: Stücktitel (Komponist) Titel der LP (Labelnummer) Mitwirkende Musiker Aufnahmeort und -datum Live eingespielte Stücke werden von jenen, die im Studio aufgenommen wurden, dadurch unterschieden, dass die Spielstätten in Anführungszeichen gesetzt werden. In manchen Fällen sind bei Live-Einspielungen mehrere Tage wie auch Orte angegeben, und die exakten Daten für die Einzelstücke müssen ungenannt bleiben. In größeren Besetzungen kommt es vor, dass einem Musiker mehrere Instrumente zugeschrieben werden, es aber nicht nachvollziehbar ist, ob er all diese Instrumente gespielt hat. 10 (21) Jungle Fiction Quellenangabe Jungle Fiction (John Scofield) The John Scofield Band: überjam (Verve 589 356-2) John Scofield (g), Avi Bortnick (g/samples), Jesse Murphy (b), Adam Deitch (d) Avatar Studios, New York City, 30. Juli – 1. Aug., 29.–30. Aug. und 6. Sept. 2001 Komposition In diesem in Jungle-Stil komponierten Drum ´n´ Bass-Stück werden dem achttaktig angelegten Thema nach und nach Schlagzeug-Interpolationen, Interludien sowie eine relativ lange Coda hinzugefügt (Tab. 20). Tabelle 20: formaler Aufbau Formteil Taktanzahl Anmerkung Schlagzeug-Pick-Up Intro 4 Thema 8 Interpolation 4 Thema 8 Interludium 8 Thema‘ 4 Interpolation 4 nur Schlagzeug Improvisation 16 Pendelharmonik (2 Chorusse) 8 nur vom Schlagzeug begleitet (1 Chorus) 16 Pendelharmonik (2 Chorusse) Interludium‘ 20 nur Schlagzeug und Bass Thema 8 Coda 16 Trommelwirbel nur Schlagzeug Die Harmonik der Themenkomposition besteht aus Pendelakkorden mit Upper Structures. Der erste dieser Akkorde setzt sich aus zwei simultan erklingenden Durdreiklängen – in einem gewissen Sinne aus zwei Ebenen – zusammen, die einen Quintabstand haben (G und 218 D). Diese werden in jedem zweiten Takt um eine kleine Terz aufwärts gerückt (Bb und F), woraus sich der zweite Pendelakkord ergibt. Bemerkenswert ist, dass der Bass abwechselnd einmal den Grundton der unteren, nachher jenen der oberen Ebene spielt (siehe Kursivschrift in der nachfolgenden Tabelle). Tabelle 21: Basstöne Takt 1 Takt 2 Takt 3 Takt 4 Ebene 1 D F D F Ebene 2 G Bb G Bb Das Schlagzeug bringt die für Jungle typische double-time-artige, hektische Begleitung. Die Melodie umfasst hauptsächlich Akkordzerlegungen – Bruchstücke der zugrunde liegenden Harmonik, größtenteils auf Off-Beat platziert. Über den zweiten der Pendelakkorde (Bb und F) wird unkonventionelle Dissonanz erzeugt, indem in der Melodie das fis2 erscheint (Nbsp. 161). Notenbeispiel 161: Thema / T. 1–2 Dem Interludium liegt wiederum Pendelharmonik zu Grunde (Akkordfolge D–C), unter gelegentlicher Bereicherung von Tensions. Bass und Gitarre spielen unisono in Oktaven (Nbsp. 162). 219 Notenbeispiel 162: Interludium / T. 1–2 Improvisation Die Gitarrenimprovisation ist in drei Abschnitte zu gliedern. Der erste (Chorus 1–2) und letzte (Chorus 4–5) beruht auf der Harmoniestruktur des Themas, im mittleren Teil (Chorus 3) wird Scofield hingegen einzig vom Schlagzeug begleitet. Die drei Abschnitte zeigen jeweils andere musikalische Gestaltungsweisen: – Abschnitt 1 Scofield bedient sich primär sangbarer Melodielinien. Abwechslung schafft er taktweise anfänglich durch je einen chromatischen Wechsel (Nbsp. 163), Notenbeispiel 163: Impr. / Ch. 1 / T. 1–3 fis f später durch das Modifizieren mehrerer Tonstufen (Nbsp. 164). 220 cis c Notenbeispiel 164: Impr. / Ch. 2 / T. 5–6 fis f d d h b g f – Abschnitt 2 Es kommt zu einem plötzlichen double-time-artigen Spiel, dessen rhythmische Dichte jener der Schlagzeugstimme adäquat ist. Ausgeführt wird es hauptsächlich mittels Repetitionen und schneller Legati. Im ersten Takt erklingt ein repetiertes e2 , welches durch den Wegfall jeglicher akkordischer Begleitung ziemlich fremd wirkt (Nbsp. 165). Notenbeispiel 165: Impr. / Ch. 3 / T. 1 Das Tonmaterial basiert dennoch zeitweise auch auf der anfänglichen Pendelharmonik, jedoch häufig die Taktgrenzen überschreitend (Nbsp. 166). Notenbeispiel 166: Impr. / Ch. 3 / T. 2–3 G/D-Ebene Bb/F-Ebene G/D-Ebene 221 In den letzten zwei Takten gestaltet Scofield dagegen alleinig auf der Grundlage von ADur-Pentatonisch (Nbsp. 167). Notenbeispiel 167: Impr. / Ch. 3 / T. 7–8 – Abschnitt 3 In der ersten Hälfte dieses Teiles wird die Spieldichte des vorherigen Abschnittes beibehalten, hier im überwiegenden Maß in einer horizontalen Realisation (Nbsp. 168). Notenbeispiel 168: Impr. / Ch. 4 / T. 4 Der sukzessive nach oben gerichtete Melodieduktus kulminiert ein erstes Mal im Takt 1 des letzten Chorus. Von hier an verwendet Scofield einen ziemlich intensiven Anschlag, kombiniert mit einem Flanger-Effekt. Die Takte 9–10 weisen die Themenmelodie in hoher Spiellage auf (Nbsp. 169). Notenbeispiel 169: Impr. / Ch. 5 / T. 1–2 Der dramaturgische Höhepunkt (c4) wird im allerletzten Takt der Improvisation erreicht, wobei das Tonsortiment hauptsächlich aus F-Dur-Pentatonik besteht (Nbsp. 170). 222 Notenbeispiel 170: Impr. / Ch. 5 / T. 7–8 Höhepunkt F-Dur-Pentatonik 223 Volltranskription 224