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GanGster Gauner und Ganoven MarC BeIse, Hans-JÜrGen JaKoBs GanGster Gauner und Ganoven dIe Grössten GeldräuBer der GesCHICHte © Süddeutsche Zeitung GmbH, München für die Süddeutsche Zeitung Edition 2012 Projektleitung: Sabine Sternagel Art Director und Umschlagillustration: Stefan Dimitrov Bildrecherche: Kathrin Steinbeisser Grafik, Satz und Litho: Matthias Worsch Herstellung: Thekla Licht, Hermann Weixler Druck- und Bindearbeiten: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN: 978-3-86497-028-3 InHalt InHalt vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . s. 9 Meyer lansky .............................................................................................. s. 51 Er war einer der einflussreichsten Verbrecher der US-Kriminalgeschichte – und ein Gegner der Nazis. der wIlde westen und dIe erfIndunG des Modernen verBreCHens auf fernen KontInenten al Capone ...................................................................................................... s. 14 Ein armer Einwanderersohn baute im Chicago der 1920er Jahre einen Konzern aus Angst, posierte wie ein Hollywoodstar und endete im Delirium. Bonnie und Clyde ...................................................................................... s. 20 In Zeiten der Großen Depression ziehen sie durch Amerika – und werden zum bekanntesten Gangsterpaar der Geschichte. Herman the Baron .................................................................................... s. 25 Ein Metzger aus Deutschland gilt als Vater des modernen Bankraubs. Niemand plante Überfälle so gründlich wie Herman Lamm. Er war der erste Gangster, den das FBI zum obersten Gegner erklärte. In seinem kurzen Leben saß der Bankräuber lange im Gefängnis und wurde doch zur Legende. .................................................................................................. s. 36 Er überfiel Banken und Züge. Medien stilisierten ihn zum Heroen. Dabei war er vor allem ein Räuber und ein Mörder. Butch Cassidy und sundance Kid ................................................... s. 58 der größte Geldraub Japans ............................................................ s. 64 Ein Mann erbeutet 1968 mehr als 20 Millionen Euro – und wird nie gefasst. Bis heute rätselt das Land über den Raub. Joaquín Guzmán alias el Chapo ....................................................... s. 69 lai Changxing ............................................................................................. s. 74 Der chinesische Geschäftsmann Lai Changxing war Anführer einer Schmugglerorganisation. Mit der Politik war er bestens verdrahtet. ned Kelly ........................................................................................................ s. 78 Der australische Straßengangster Ned Kelly gilt als „australischer Robin Hood“. Er inszenierte sich wie kaum einer vor ihm. s. 41 Was für ein verwegener Haufen: Sie raubten Züge und Banken aus. Manchmal stellten sie sich dabei ziemlich dämlich an. Moderne antIHelden James Bulger die Gebrüder sass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . s. 36 Die Brüder Franz und Erich Sass räumten Ende der 1920er Jahre die Tresore der Reichen aus. Die Berliner liebten sie dafür. 4 ............................................................................................ Joaquín El Chapo Guzmán ist der König der Rauschgiftbarone. Mexiko und die USA haben ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt. John dillinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . s. 31 Jesse James Pablo escobar Er kontrollierte 80 Prozent des Geschäfts mit Kokain – und führte mit dem Medellín-Kartell die wohl teuflischste Mafiabande der Neuzeit. .............................................................................................. s. 84 Er war der meistgesuchte Gangster der USA und das Vorbild für den Scorsese-Film „The Departed“. Nun wird ihm der Prozess gemacht. 5 InHalt ronald Biggs InHalt ................................................................................................ s. 89 Er erbeutete Millionen aus einem Zug der Royal Mail und floh nach Brasilien. Dort wurde er zum Star: Die „Sex Pistols“ nahmen einen Song mit ihm auf. Johann Kastenberger alias Pumpgun-ronnie ......................... s. 94 Er lebt lange Zeit einfach so dahin. Dann setzt er eine Maske auf, überfällt eine Bank nach der anderen – und schießt einem Mann ins Gesicht. der stockholmer Helikopterraub ................................................... s. 99 Im September 2009 überfallen Gangster ein Stockholmer Gelddepot mit einem Hubschrauber – das Verbrechen wurde nie ganz aufgeklärt. albert Gonzalez ...................................................................................... aussenseIter, sonderlInGe vincenzo Peruggia ................................................................................ s. 130 Bekannt war sie vorher schon. Aber erst als ein italienischer Dekorateur die Mona Lisa aus dem Pariser Louvre entwendete, begann der Siegeszug des Gemäldes. Barry Miller ............................................................................................... s. 135 Er ist ein reicher Mann aus Cincinnati. Dann überfällt er eine Bank – ohne Grund. Nach der Tat kann sich der Millionär an nichts mehr erinnern. Guglielmo libri Carrucci ................................................................... s. 139 Der Graf ergaunerte über Jahre hinweg wertvolle Bücher – und schuf so eine einmalige Sammlung. s. 103 Er galt als Computergenie und arbeitete als Berater für den amerikanischen Geheimdienst. Nebenher machte er Millionen mit Internetbetrügereien. thad roberts ............................................................................................ s. 146 Er stiehlt Mondsteine im Wert von 20 Millionen Dollar aus einem Hochsicherheitslabor – für seine Freundin. der größte diamanten-raub der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . s. 108 Eine Bande aus Turin raubt Steine und Schmuck im Wert von hundert Millionen Dollar. Taucht die Beute wieder auf? MytHIsCHe fIGuren störtebeker Jacques rené Mesrine ........................................................................ s. 113 Der Franzose tötete und raubte mit exzessiver Gewalt. Dennoch fasziniert er seine Landsleute auch heute noch. ............................................................................................... s. 154 Er wurde gefeiert, er wurde gefürchtet – und seine letzten elf Schritte machten ihn zur Legende. arsène lupin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . s. 159 Gisela werler ............................................................................................ s. 118 Er ist Frankreichs größter Juwelendieb und eine Romanfigur. Arsène Lupin wurde weltberühmt und inspirierte Alfred Hitchcock. s. 122 Gebrüder dalton Sie war die erste Deutsche, die als Bankräuberin berühmt wurde. Kein Wunder, dass ihre Geschichte kinoreif ist. wie der schrei geklaut wurde ....................................................... Der Norweger Stian Skjold raubte mit seinen Komplizen zwei Gemälde von Edvard Munch. Das Motiv der Gangster ist bis heute unklar. 6 ..................................................................................... s. 164 Sie gehörten zu den meistgesuchten Räubern ihrer Zeit. Fünfzig Jahre später inspirierten die Brüder zu den doofen Banditen in den Lucky-Luke Comics. 7 InHalt vorwort schinderhannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . s. 169 Der Dieb aus dem Hunsrück raubte Geld und Pferde. Am Ende landete sein Kopf unter der Guillotine. Jasper Hanebuth .................................................................................... s. 173 Der Raubmörder lebte während des Dreißigjährigen Kriegs in Hannover. Seine Nachfahren beteuern, dass er die Beute mit den Armen geteilt hat. die Panzerknacker ................................................................................ s. 178 Seit Jahrzehnten versuchen sie das Unmögliche: Onkel Dagoberts Vermögen aus dem Geldspeicher zu entwenden. Sie werden daran immer scheitern. Weil sie leider dämlich sind. Und weil es eben so läuft im Kapitalismus. wotan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . s. 183 Er stiehlt den Nibelungenschatz aus der Unterwelt und stürzt die Welt ins Chaos – und das alles wegen eines Eigenheims. 8 d er Klassiker stammt von Bertolt Brecht. „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“, heißt es in seiner Dreigroschenoper. Der Satz aus dem mehr als 80 Jahre alten Stück lässt nicht nur eine frühe Skepsis gegen die Finanzwirtschaft erkennen, sondern verdeutlicht auch ein heimliches Verständnis, wenn nicht eine heimliche Sympathie für das illegale Plündern eines Geldinstituts, für die Schädigung von Reichen. Die Dichotomie urkapitalistischer Gesellschaften – ihr da oben, wir da unten – wird erträglicher durch die Bewunderung für Leute „da ganz unten“, die das System einfach übertölpeln. Das hat den Bankraub so sexy gemacht fürs Kino. Der französische Kriminalfilm „Rififi“ aus dem Jahr 1955 zum Beispiel begründete ein ganzes Genre, das der „Heist-Movies“, benannt nach dem englischen Wort für Raubüberfall. In „Rififi“ wird en detail rund eine halbe Stunde lang geschildert, wie die Gangsterbande über das darüber liegende Stockwerk in den Tresorraum eines Juweliergeschäftes eindringt. Das Werk hat nach seinem Erscheinen offenbar eine Reihe von Amateuren dazu gebracht, ebenfalls Geldschränke zu knacken, was Abgeordnete im Bayerischen Landtag auf den Plan rief. Ein Abgeordneter fragte die Staatsregierung besorgt, wie „unsere Jugend vor solchen charakterverderbenden Filmen zu bewahren“ sei. Das Böse ist nun einmal in der Welt, das ist historisch eine Banalität, gefährlich aber wird es, wenn die Methoden des Bösen irgendwie attraktiv und außergewöhnlich sind. So waren in Brasilien vor einigen Jahren Medien und selbst Behörden voll der Bewunderung für Geldräuber, die aus einer Filiale der Zentralbank im Nordosten des Landes umgerechnet rund 55 Millionen Euro erbeuteten. Sie hatten in wochenlanger Arbeit vier Meter unter der Erdoberfläche einen 80-Meter-Tunnel gegraben, und der führte sie direkt in die Bank. Die Gauner hatten ein Haus in der Nachbarschaft gemietet, und von dort millimetergenau gegraben. Sie benutzten GPS-Systeme, auch waren Ingenieure am Werk. Banküberfälle dieser Art gelten als „filmreif“, Hollywood hat solche Verbrechenskunst immer wieder gerne als Sujet genutzt. 9 vorwort vorwort Es ist eben offenbar für viele faszinierend, dass jemand nicht über die klassische Karrieretortur zu Geld kommen will, die ohnehin für die meisten zum Stillstand auf mittlerer Ebene führt. Sondern dass er das „ganz große Ding“ wagt. Die dreiste Tat wird sogar als eine Art sozialer Gerechtigkeitsausgleich empfunden, als Korrektur ungleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Das macht die Legende um den Wegelagerer und Dieb Robin Hood im 15. Jahrhundert verständlich, schließlich hat er angeblich den Reichen etwas genommen, um es den Armen zu geben. In Deutschland wurde zeitweise der 1803 in Mainz geköpfte Johannes Bückler als „deutscher Robin Hood“ stilisiert. Der Mann und seine Spießgesellen genossen im Hunsrück, wo sie lebten, vereinzelt Unterstützung, sodass sie lange Zeit nicht aufflogen. Man feierte sogar „Räuberbälle“. Die Geschichte des „Schinderhannes“ wurde mehrfach verfilmt, Carl Zuckmayer hat ein Schauspiel zum Thema geschrieben. Der kecke Anspruch, mit einem Coup die Welt auf den Kopf zu stellen, entlockt selbst bürgerlichen Kreisen Aufmerksamkeit, manchmal auch Respekt. Ökonomisch ist Geldraub ja nichts anderes als eine Einzelgesellschaft, die einen bestimmten Unternehmenszweck (Mehrung des Wohlstands) unter dem Einsatz illegaler Mittel und mit Hilfe eines kleinen, ausgesuchten Kreises von Mitarbeitern zu verfolgen sucht. Das kann sehr wohl dem ökonomischen Prinzip in besonderer Weise dienen. Womöglich wird mit sehr wenig Aufwand ein sehr großer Ertrag erzielt, wobei das Verteilungsproblem oft dazu führt, dass die Unternehmung scheitert und auffliegt. Streit um die Beute gehört zu den immer wiederkehrenden Elementen der Dramaturgie von Raubzügen. Sogar zur Bildung eines Konzerns kann Geldräuberei führen, wie in den USA am Beispiel des Alphonse („Al“) Capone alias „Scarface“ zu sehen ist. Der wohl bekannteste Verbrecher der Welt wirkte zunächst in New York, dann in Chicago. Beim Aufstieg kam ihm die von der Regierung 1920 verordnete Prohibition zugute, der Verbot von Alkohol. Capones Konzern organisierte den Schwarzhandel von hochprozentigen Getränken, gesoffen wurde schließ- lich weiter, und so entwickelte sich die Alkoholsparte zum erfolgreichsten Teil seiner Unternehmung, zum Wachstumsmarkt, neben solchen Geschäftsfeldern wie Prostitution, Schutzgeld, Wetten. Zeitweise hatte Capone sogar die Politik in der Hand. Er sah sich als Unternehmer, der unbedingt etwas gegen den Bolschewismus tun müsse, also als guter Kapitalist. Ins Gefängnis kam er am Ende wegen angeblicher Steuervergehen, ein Vorwurf, der offenbar haltlos war, wie sich 1990 herausstellte. Oft ist aber auch ein Schuss Romantik bei der Geldräuberei dabei. So wie bei Bonnie und Clyde, dem amerikanischen Gangsterpärchen, das während der Weltwirtschaftskrise munter Läden, Tankstellen und Banken im Südwesten der USA ausraubte und mehr als ein Dutzend Morde beging. Bonnie Parker, die Freundin der Literatur und der Künste, und Clyde Barrow, das arme Bauernkind, vereint im Kampf gegen den Rest der Welt, das hat zu etlichen Spielfilmen und Popsongs geführt. Liebe und Geld, Anarchie und „Freiheit“, eine unschlagbare Mischung. Die bürgerliche Gesellschaft geht in solchen Geschichten ihren Träumen vom wilden Leben nach, vom Anderssein und vom Ausstieg, eine Begegnung in sicherer Entfernung. Das Wilde des Verbrechens soll sich ja vielleicht nicht gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft zeigen. Das Böse ist nur gut in der Fiktion, auf der Leinwand oder zwischen Buchdeckeln. Dieses wunderbare Buch basiert auf einer großen Serie im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung. Die Beschäftigung mit den Gangstern, Gaunern und Ganoven dieser Erde hat uns allen viel Spaß gemacht. Viele Kolleginnen und Kollegen haben daran mitgeschrieben, ihnen allen sei Dank für herausragende Texte. Vor allem zu nennen sind hier Alexander Hagelüken, Alexander Mühlauer und Hannah Wilhelm, die Serie und Buch mit großem Einsatz konzipiert und betreut haben. 10 11 München, im August 2012 Marc Beise und Hans-Jürgen Jakobs Ressortleitung Wirtschaft der wIlde westen der wIlde westen 1 12 der wIlde westen und dIe erfIndunG des Modernen verBreCHens 13 der wIlde westen als al Capone den modernen Gangster erfand Ein armer Einwanderersohn baute im Chicago der 1920er Jahre einen Konzern aus Angst, posierte wie ein Hollywoodstar und endete im Delirium. von ale x ander HaG elÜK en s ein Anfang verliert sich im Dunkel einer Epoche, die noch nicht jedes Schul-Blockflötenvorspiel für alle Zeiten im Internet verewigt sah. Nicht, dass Alphonse Capone sich ausdauernd in der Blockflöte geübt hätte. Als seine Klassenlehrerin dem 14-Jährigen dumm kommt, bricht seine später so berüchtigte Wut durch. Er ohrfeigt sie. Er geht von der Schule ab. Und er lernt fortan in den Straßengangs, die im New York des anbrechenden 20. Jahrhunderts Auftraggebern ihre Dienste in Preislisten offerieren. Eine Ohrfeige kostet zwei Dollar. 15 Dollar muss anlegen, wer jemandem ein Ohr abreißen lassen will. Mord erwünscht? Macht 100 Dollar. Alphonse Capones Vater war aus Neapel nach Amerika eingewandert. Die Süditaliener, dunkle Haut, mehrheitlich Analphabeten, standen auf der Skala der Immigranten weit unter Iren oder Osteuropäern. Es kam zu Lynchmorden gegen sie. Viele lebten ihr Misstrauen gegen jede Art staatliche Autorität aus, leidvoll antrainiert in der jahrhundertelangen Besetzung Süditaliens. Was einer haben will, muss er sich nehmen, denken viele. 15 der wIlde westen der wIlde westen Der sehr junge Alphonse nimmt einem Typen 1500 Dollar ab, die der gerade beim Kartenspiel gewonnen hat. Der Typ knurrt: Ich kenne dich. Darauf erschießt ihn Capone. Folgen hat das nicht. Eng wird es erst, als der immer noch sehr junge Alphonse einen Iren aus einer feindlichen Gang erschlägt. Deren Chef sinnt auf Rache. Capone, narbengesichtig nach einer Messerattacke und daher Scarface gerufen, flüchtet 1919 in die damals zweitgrößte US-Stadt Chicago. Kurz darauf verbieten amerikanische Weltverbesserer den Alkohol. Eine Bevölkerung soll aufs Trockene gesetzt werden, will aber nicht. Alphonse „Al“ Capone, brutal und organisiert, eröffnet das die Chance, einen Konzern mit 700 Mitarbeitern aufzubauen. Und: Zum bekanntesten Verbrecher des 20. Jahrhunderts zu werden, Vorbild für Filme wie „Scarface“ oder „Der Pate“. Und: Zur Inkarnation des Bösen zu werden, der sich so viel Einfluss kauft, dass ihm der Staat nur unzureichend beikommen kann. Letztlich nur durch einen Trick. Capone verdient an Schutzgeld, Nutten und Zockern, doch sein Wachstumsmarkt ist Alkohol. Obwohl oder weil sie nicht mehr trinken sollen, trinken die Amerikaner in der Prohibitionszeit ab 1920 mehr als vorher. Der illegal hergestellte Schnaps kostet ein Mehrfaches des Preises in der legalen Zeit – riesige Gewinnspannen für die Kriminellen. Alkohol boomt sich zur drittgrößten Wirtschaftsbranche des Landes. Nun braucht es einen, der den Stoff beschafft und gleichzeitig Polizisten und Rivalen auf Distanz hält. Das ist Al Capone. Er wird zum ersten modernen Gangster – weil er eine Macht aufbaut, die zupackt wie sein stählerner Händedruck. Bei einem Festbankett schmäht er um Mitternacht drei Gangster als Verräter, lässt sie fesseln – und schlägt ihnen mit dem Baseballschläger die Schädel ein. „Ich habe meine Organisation auf Angst aufgebaut“, erklärt er später dem Journalisten Cornelius Vanderbilt. „Die für mich arbeiten, bleiben mir treu, weil sie wissen, was wir mit ihnen machen, wenn sie mir untreu werden.“ Seine Leute hält er in Angst, Konkurrenten liquidiert er. In den blutigen Bandenkriegen jener Jahre soll er 400 Morde be- fohlen haben. Nachdem er Mitarbeiter und Rivalen im Griff hat, versucht er Politik und Justiz zu unterwerfen. Als in Capones Stadtteil der Bürgermeister zur Wahl steht, lässt er den unliebsamen Kandidaten und dessen Leute von einer 200-köpfigen Gang verprügeln. Sein Protegé gewinnt. Später verkündet dieser gekaufte Bürgermeister, die Stadt von Gangstern zu säubern. Capone geht zu ihm, vorbei an seiner Polizeieskorte, schlägt ihn und stößt ihn die Treppe des Rathauses hinunter. Das wirkt. Was sich für heutige Ohren unglaublich anhört, kennzeichnet die politische Realität Amerikas im 19. Jahrhundert und bis weit ins Zwanzigste hinein. Sowohl Republikaner als auch Demokraten setzen immer wieder Schlägertrupps ein, um Bürgermeisterwahlen zu gewinnen. Das System der New Yorker Demokraten heißt „Tammany Hall“ und behält lange Einfluss. Die junge USDemokratie funktioniert mit Prügeln und Korruption. In Chicago kauft Capone Politiker, Richter, Polizisten. Als ihn eine Zeitung kritisiert, kauft er die Mehrheit ihrer Aktien. Prägend für die USA ist auch, wie Capone über Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände Schutzgeld und überhöhte Preise kassiert. Ob Autoreparaturen oder Metzgereien, Müllabfuhr oder Bestattungen: Kaum eine Branche, in der er nicht seine kräftigen Finger hat. Und er ist eher Vorbild als Einzelfall. Bei manchen US-Gewerkschaften wie den Truckern um ihren legendären Boss James Riddle Hoffa gab es bis in die 1970er Jahre enge Verbindungen zur Mafia. Al Capone, Ende 20, über 100 Kilo schwer, kurzer Hals, ist keiner, der sich verstecken muss. Er hält Hof im noblen Lexington Hotel. Lädt Journalisten zu sich. Allein bis 1931 erscheinen sieben Bücher über ihn. Weil Gangster wie er maßgeschneiderte Nadelstreifen tragen (in seinem Fall mit geheimer Pistolentasche), wird das landesweit zur Mode. Der arme Neapolitaner mit dem Narbengesicht, der vielfache Mörder: eine Ikone. Der Schriftsteller Jörg-Uwe Albig erklärt diesen erstaunlichen Mythos mit dem Aufstieg der Werbe- und Kinoindustrie im Amerika der Zwanziger Jahre. Die Werbebudgets und die Zahl der verkauften 16 17 der wIlde westen der wIlde westen Kinotickets vervielfachen sich. Hollywood braucht Helden. Diese Rolle übernehmen die Gangster, gespielt von Humphrey Bogart oder Edward G. Robinson. Und die Werber brauchen Projektionsfiguren, über die sie Anzüge, Villen, Diamanten oder Autos verkaufen. „Männer wie Capone“, schreibt Albig, „werden im Spiegel der Medien zum Inbegriff von Eleganz, von Überlegenheit“ – auch über das Gesetz. Capone lässt Rivalen hinrichten und Politiker verprügeln, aber er fühlt sich unantastbar. „The Untouchables“ heißen ein Film und eine Fernsehserie. Am Valentinstag 1929 stürmen Polizisten eine Garage, in der Capones Rivalen von der North-Side-Gang Schnaps verladen. Brav geben die Gangster ihre Waffen ab. Was ein tödlicher Fehler ist, denn die Polizisten sind gar keine. Sie knallen die Gangster ab. „Nur Capone tötet so“ sagt der NorthSide-Boss. In der Stadt dreht sich die Stimmung gegen Capone. Die Zeiten ändern sich. Während früher der Justizminister 300 000 Dollar von der Mafia kassierte, erklärt nun Präsident Herbert Hoover den Mafioso zum Staatsfeind. Capone bleibt gelassen. 1931 empfängt er in seiner Suite Zigarre rauchend den Journalisten Cornelius Vanderbilt, der zuvor den Papst und Stalin interviewte. Auf den Gehsteigen patrouillieren Polizisten mit leichter Artillerie unter der Jacke, sie nehmen gerade einen Gangstertreff nach dem anderen hoch. Jetzt will Staatsanwalt Pat Roche Capones Kopf. Doch der mächtigste Gangsterboss Amerikas redet über ganz andere Themen: „Der Bolschewismus klopft an unsere Tür“, warnt er Vanderbilt. Dann klagt er wie ein Unternehmer, der unter der Rezession leidet: „Ich habe genauso viele Leute auf meiner Lohnliste wie vorher, aber meine Profite sind geringer geworden“. Er holt ein Fernglas raus, liest Vanderbilt die Schlagzeile einer Zeitung an der Ecke vor: „Roche zuversichtlich, Capone verhaften zu können“. Ruhig sagt er: „Pat Roche ist ein netter Kerl, wenn er nur seinen Namen nicht immer so gern in den Zeitungen lesen würde“. Es ist die Hybris vor dem Fall. Die Justiz sammelt seit Jahren Beweise, doch sie kann ihm weder Morde noch Zuhälterei oder Alkoholverkauf nachweisen. Zeugen befällt ruckartig Gedächtnisverlust. Also klagen ihn die Behörden wegen Steuerhinterziehung an, mit dünnen Beweisen. Capone, der 100 Millionen Dollar verdient hat, bietet einen Deal an: Geständnis gegen milde Strafe. Der Staatsanwalt nimmt an, Capone gesteht. Doch der Richter ignoriert den Deal – und verurteilt ihn zu elf Jahren Gefängnis. Zu seinem Erstaunen muss der Unberührbare in den Knast. Im Gefängnis Alcatraz stellen die Ärzte eine unbehandelte Syphilis fest, die bereits sein Gehirn angegriffen hat. Der Gangster hatte früher Blutabnahmen verweigert. So schrieb er sein eigenes Urteil. Als er entlassen wird, vegetiert er noch ein paar Jahre vor sich hin, bis er 1947 stirbt. Sein Mythos aber lebt fort, als Inbegriff des modernen Gangsters, als Vorbild für Filme wie „Scarface“ und „Der Pate“. Er hatte ein so mächtiges Imperium aufgebaut, dass der Staat dem Verbrecher nur mit einem Trick beikam. 1990 stellte die US-Anwaltskammer sein Verfahren nach und kam zu dem Schluss, dass die Beweise gegen ihn so dürftig waren, dass sie heutzutage nicht mal zur Erhebung der Anklage ausreichen würden. 18 19