Punktwolke zum anfassen
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Punktwolke zum anfassen
Punktwolke zum Anfassen von Theo Drechsel Die Restaurierung der Frankfurter St. Leonhardskirche fand weltweit große Aufmerksamkeit. Dies belegen nicht nur zahlreiche Veröffentlichungen, sondern auch die regelmäßig stattfindenden Touren durch die Kirche mit faszinierten Besuchern aus aller Welt. Nicht zuletzt bei der Dokumentation der Ausgrabungen, während derer unter anderem auch 70 Skelette und diverse Grabbeigaben entdeckt wurden, spielten 3D-Laserscanner von Leica Geosystems eine wichtige Rolle. In den Jahren 2004 bis 2008 erfolgte die Restaurierung der Außenfassade, der Dächer und der Turmgauben. 2011 startete schließlich die Innenrestaurierung der Kirche. Dabei verfolgte die Stadt Frankfurt das Ziel, die St. Leonhardskirche aufgrund der vielen Baustile im Innenraum wieder in den altgotischen Stil zurückzuversetzen. Außerdem sollte der Boden nach unten gebracht werden, da das Innere über die Jahrhunderte zum Schutz vor dem Hochwasser des Mains immer höher gelegt wurde. Zur Restaurierung des Innenraums war die komplette Erfassung des Ist-Bestandes nötig. Damit beauftrag- 6 | Reporter 69 te das Hochbauamt Frankfurt 2009 die ortsansässige Steuernagel Ingenieure GmbH. «Nach einer Prüfung war uns sofort klar, dass aufgrund der besonderen Komplexität des Gebäudes das 3D-Laserscanning als einziges Messverfahren in Frage kam», blickt Geschäftsführer Kai Steuernagel zurück. «Auf dieser Basis setzten wir die Laserscanner HDS6200 und die ScanStation C10 von Leica Geosystems ein, da sie die geforderte Punktgenauigkeit von ± 10 mm gewährleisten.» Ziel des Projektes war die Dokumentation der verschiedenen Bauzwischenstände während der laufenden Restaurierung. An etwa 15 Tagen haben die Vermessungsingenieure jede Ausgrabungsphase – bis hinab in eine Tiefe von fast 3,5 Meter – vollständig gescannt. Der komplette Innenraum der Kirche mit allen Nebenräumen, dem Deckengewölbe und den beiden Apsiden (Türmen) ist detailgetreu erfasst worden. Großer Wert wurde auf die Auswahl der Laserscan-Standpunkte gelegt, um beim Scanvorgang die Abschattungen zu minimieren. «Eine Stütze haben wir von bis zu 16 Standorten aus gescannt», berichtet Christof Kremer. «Unser Wissen und unsere Erfahrung als Vermessungsingenieure stellen die hohe Genauigkeit und Qualität der Scans sicher.» Die große Herausforderung für die Vermessungsexperten war die detailgetreue Darstellung des gotischen Baustils mit seinen Fresken und vielen Details – insbesondere mit Blick auf die Erstellung des Grundrisses als Aufmaßplan. Dieser wurde detailliert aufbereitet bis hin zu den Sitzbänken und Bodenbelägen. Insgesamt lagen am Ende rund 17 Milliarden gescannte Punkte vor. Basierend auf dem genauen Laserscan wurde dieses Modell einer Säule im Maßstab 1:20 «gedruckt». Hervorragend bewährt hat sich bei diesem Projekt die Software 3D-Reshaper von Technodigit, einer Schwesterfirma von Leica Geosystems. Diese wurde von Steuernagel für das Modellieren eingesetzt und bot den Vermessungsexperten vielfältige Möglichkeiten. In Kombination mit dem 3D-Laserscanner von Leica Geosystems bietet sie durch die Visualisierungsmöglichkeiten einen bedeutenden Mehrwert, der auch das Hochbauamt begeisterte. Zu beeindrucken wusste aber vor allem der Laserscanner, der seine Stärken speziell im Nahbereich und mit seiner hohen Genauigkeit und Auflösung ausspielte. Die Vorteile des Laserscannings zeigten sich aber auch an anderen Stellen eindrucksvoll: Als das Hochbauamt nach Abschluss der Arbeiten wegen einer weiteren Darstellung bei Steuernagel anfragte, konnte diese kurzfristig erstellt und vorgelegt werden – ohne nochmals vor Ort aktiv zu werden. Der in Fulda, ca. 100 km von der Kirche entfernt ansässige Architekt, war ebenfalls begeistert: er musste zur Klärung seiner Fragen nicht mehr zum Objekt kommen, denn er erhielt die benötigten Informationen jetzt mit viel weniger Aufwand über die Freeware Leica TruView. Mit dieser Software können die reichhaltigen Punktwolken direkt im Webbrowser betrachtet werden ohne dass dazu CAD-Kenntnisse erforderlich sind. >> Das Magazin der Leica Geosystems | 7 Steuernagel Ingenieure GmbH Die 1992 gegründete Steuernagel Ingenieure GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main konzentriert sich als Ingenieurbüro auf Vermessung, Tiefbauplanung und graphische Datenverarbeitung. Seit den Anfängen setzt Steuernagel dabei ausschließlich auf Messsysteme von Leica Geosystems. Über die jüngste Anschaffung, zwei Leica HDS7000 Laserscanner, sagt Geschäftsführer Kai Steuernagel: «Wir haben in den Laserscanner investiert, weil wir uns ein Standbein für die Zukunft aufbauen und damit zudem unser Portfolio als großes Frankfurter Ingenieurbüro ergänzen wollen.» Das ‹i-Tüpfelchen› auf ein rundum gelungenes Projekt stellt das «greifbare» 3D-Modell in Millimetergenauigkeit – inklusive jeder Fuge – dar, das Steuernagel abschließend mit einem Partner erstellte. Dabei wird mit einem 3D-Drucker der komplette Ausgrabungsbereich einer Stütze der St. Leonhardskirche im Format 1:20 aufgebaut. Der Aufbau des dreidimensionalen Werkstücks erfolgte computergesteuert nach vorgegebenen Maßen und Formen aus dem CAD-Modell. «Nicht zuletzt dieses ‹museale 3D-Präsentationsmodell› bestätigt meine Meinung, dass das Laserscanning heute unschlagbar ist, wenn 3D-Daten und 3D-Modelle gefragt sind», betont Kai Steuernagel. Über den Autor: Theo Drechsel ist Inhaber der auf Themen rund um die Messtechnik und Qualitätssicherung spezialisierten PR-Agentur 4marcom + PR! in Unterschleißheim bei München. [email protected] St. Leonhardskirche © mneumann_100 - Fotolia.com Die St. Leonhardskirche gehört nicht nur zu den Sehenswürdigkeiten Frankfurts, sondern ist auch die wertvollste Kirche in der hessischen Metropole. In der Altstadt, am nördlichen Mainufer gelegen, wurde sie 1219 als spätromanische Basilika errichtet und später im neogotischen Stil umgebaut. Im nördlichen Schiff der Kirche fand um 1450 die erste Frankfurter Buchmesse statt. In ihrer von 1500 bis 1515 gebauten, integrierten Salvatorkapelle befindet sich ein hängendes Gewölbe, das aus Steinbogenrippen besteht und aufgrund der aufwendigen Bauweise in Europa nur selten zu sehen ist. Im zweiten Weltkrieg blieb die St. Leonhardskirche als einzige in Frankfurt auf geradezu wundersame Weise nahezu unzerstört. 8 | Reporter 69