Willi Gohl - Singenals Lebensfunktion

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Willi Gohl - Singenals Lebensfunktion
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Donnerstag, 21. Dezember 1995
ZÜRCHER KULTUR
Nr. 297
297-054
Ortsgespräche
ADVENTSKALENDER
21
Willi Gohl -
Alles in allem
Singen als Lebensfunktion
stü. «Ein heller Morgen ohne Sorgen folget der
düsteren Nacht ...» wem liegt das nicht in den
Ohren. Der Kanon mit dem charakteristischen
Oktavsprung am Anfang könnte uns aus Dunkel
und Schatten ganzer Jahrhunderte überliefert
sein. Tatsächlich ist er aber gerade mal vierzig
nein, daherJahre alt. Er wurde komponiert
gesungen wurde er wohl und dann aufgeschrieben
-
-
von Willi Gohl, dem Zürcher Musiker und Musikpädagogen, dem unermüdlichen Förderer gemeinsamen Musizierens und Singens, der dieses
Jahr seinen 70. Geburtstag feiert und, wie vor längerer Zeit angekündigt, die Leitung des von ihm
gegründeten «Singkreises» mit einem offenen
Weihnachtssingen in der Tonhalle Zürich am
23. Dezember niederlegt.
Würdigung eines Lebenswerkes? Nein, dafür
ist es, mit Verlaub, zu früh. Liederbücher durchWilli Gohl zuhörend, wenn er aus seinem
Musikerleben erzählt, das ist für uns eine Begegnung der unmittelbaren Art. Nicht nur mit dem
oben zitierten Kanon sind seine Bemühungen,
ohne dass wir ihn persönlich gekannt hätten, in
unsere eigene musikalische Biographie eingegangen. Viele Melodien von Arrangements und Ausgrabungen Gohls sind uns auf eintönigen Schulreisen durch den Kopf gesprungen, «Quando si
pianta la bella polenta» haben wir im Wettlauf
heruntergehaspelt, immer wieder, noch einmal.
sehend,
Lichtspuren. Still blinkend ziehen die Lichterketten wieder ihre Spuren, ranken sich durch das
,
Geäst kahler Sträucher
winden sich um Tannenbäume, hängen ausladend über Strassen oder säumen streng die Umrisse von Fenstern und Türbogen restlich herausgeputzter Häuser. Mit einer
Helligkeit wetteifernd, die sie zu blossen Statisten
macht, gegen ein Dunkel ankämpfend, das sie nie
besiegen, in der Dämmerung (in die sie wohl
eigentlich gehören) als sanfte Lichtpunkte glimmend, sind sie aus unserer Weihnachtszeit sowenig
wegzudenken wie duftendes Gebäck und Kerzenschein. Manche werden bis weit ins neue Jahr hinein an ihrem Platz bleiben, aber schon wenige
Tage nach dem Fest wie von etwas längst Vergangenem künden.
ribJBild Fiacco
Kurzkritik
Für Schlager schlagen Einsame Herzen
per. «Eine neue e
L i e b ist wie ein neues Leben»
Programms mit
- wer dieJürgen-Marcus-Stück
Premiere seines ersten
eröffnet, muss damit
diesem
gemessen zu werrechnen, an diesem Bekenntni
s
Musikerkonglomerat
den. Das
der Einsamen Herzen GmbH liess aber beim echten Schlagerfreund
schon bald Zweifel an der Aufrichtigkeit der Zuneigung aufkommen. Allzu offensichtlich wurde
da parodiert, allzu deutlich die Verachtung für
Text und Musik des eigenen Materials zur Schau
getragen. Die fünf einsamen Herzen scheinen sich
im Zeichen der Kapitalakkumulation gefunden zu
haben und dies auch nur schwer kaschieren zu
können. Erwin Schönwalds Interpretation von
«Es war Sommer» schien mit jeder Grimasse und
Verrenkung mitteilen zu wollen, was alle eh schon
wussten. Nämlich dass im deutschen Schlager der
60er und 70er Jahre ein patriarchalisches Weltbild
voller Männerphantasien formuliert worden ist,
das heute auf Grund seiner Diktion zu Heiterkeit
Anlass gibt. Doch wer Bach für den grösseren
Musiker hält als Maffay, dem bleibt verborgen,
dass ein ironisierender Effekt bereits durch den
Zeitensprung zustande kommt. Besser machten
dies Ritte Ebers mit «Das bisschen Haushalt»
und der zurückhaltende Heiko Brontz, und Mausi
Brüggemann und Biene Bach verbreiteten
Charme und Ausstrahlung. Trotzdem konnte man
sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, im
Komedie Variete Ludwig 2 sei der Schlager auf
und vor der Bühne in die Hände von Intellektuellen und eines Kleinkunstpublikums geraten, die
sich über die sedimentierten Wünsche und Hoffnungen der unteren Mittelschicht und ihre Ausdrucksformen lustig machen. Doch noch ist Zeit,
die teilweise hoffnungsvollen Ansätze zu kultivieren und das vorhandene handwerkliche Potential
besser zu nutzen. Denn die Einsamen Herzen
wollen nicht einsam bleiben. Zahlende Zuschauer
sind immer willkommen.
Zürich, 19. Dezember, Komedie Variete Ludwig 2. Weitere
Vorstellungen am 21., 22., und 23. Dezember.
Junge Stimmen, alte Instrumente
C. Ho. Der körperlos-reine Gesang lieblicher
zumal in der AdventsKnabenstimmen lässt
und Weihnachtszeit
so manches Herz höher
schlagen. Der Auftritt des Tölzer Knabenchores
war jedoch ganz und gar nicht auf Rührseligkeit
ausgerichtet, zu gewichtig war hierfür mit Bachs
Weihnachtsoratorium (Teile I, II, III und VI)
auch das Programm. Chorgründer und Leiter
Gerhard Schmidt-Gaden führte die gut dreissig
Knaben und jungen Männer nicht an allzu kurzer
Leine, sondern liess sie ihre stupende Stimmgewalt und jugendliche Vitalität im Sinne der Partitur frei ausleben. So entstand auf Kosten absoluter Perfektion und eines einebnend-homogenen
Chorklanges
eine überaus plastische und
facettenreiche Darstellung. Ebenso temperamentagierte
das auf historischen Instrumenten
voll
leichtfüssig und mit sprechender Artikulation begleitende Ensemble Concerto Köln. Weitere
Glanzpunkte setzten die beiden Solisten des
Knabenchores sowie Markus Schäfer (Tenor) und
Oliver Widmer (Bariton), der anstelle des erkrankten Harry van der Kamp die Basspartie
übernahm.
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Zurich, Grosser Tonballesaal,
19. Dezember.
Als Mitverfasser von Lehrmitteln, als Liedbearbeiter und als Autor des Büchleins mit dem
nie vergilbenden Titel «Musikerziehung heute»
(1969), das in den Gestellen von Lehrern und
Eltern stand, hat Willi Gohl ganze Nachkriegsgenerationen bei den ersten Schritten in die Welt
der Musik begleitet. Sein musikpädagogisches
Wirken beschränkte sich aber nicht nur auf
Jugendliche. Im Gegenteil. Als Chorleiter und vor
allem als Veranstalter von «offenen Singen» hat
er wohl nachhaltiger noch unter Erwachsenen
die Begeisterung für Töne, Akkorde, Melodien
und Rhythmen verbreitet Zu solchen offenen
Singen war jedermann eingeladen, die Teilnahme
jeweils unverbindlich und weder mit einem Mitgliederbeitrag noch mit regelmässigen Verpflichtungen verbunden. Der von Gohl vor genau vierzig Jahren gegründete Singkreis diente in vielen
Fällen als geschulte und vorbereitete Kerngruppe.
Möglichst schnell habe er das Publikum einfache
Refrains oder Schlusstakte mitsummen, mitsingen
lassen, erklärt Gohl das Vorgehen.
Die Technik der Leitung von offenen Singen
habe er in den fünfziger Jahren in Deutschland
bei Gottfried Wolters beobachten und sich aneignen können. Damals, nach dem Krieg, seien die
Menschen hungrig gewesen nach Musik und Gemeinschaft. Als stillerer Nebenschauplatz des
ersten «Züri-Fäscht» veranstaltete Willi Gohl
1956 auf der Zürcher Peterhofstatt eines seiner
ersten eigenen offenen Singen in der Schweiz.
Sein Singkreis bekam bald Engagements an der
Landesausstellung, an Pfarrsynoden und Symposien sowie nicht zuletzt während Jahrzehnten am
Schweizer Radio und in der Tonhalle Zürich, wo
er als Dirigent von Kinder- und Familienkonzerten auch einem weiteren Publikumskreis bekannt
wurde. Schon an vielen Singveranstaltungen hatte
Gohl, der langjährige Solocembalist der Zürcher
Kammermusiker, wichtige Instrumentalwerke
aufgeführt, um die Laiensängerinnen und -sänger
auch mit den Grundbausteinen dieses Repertoires
vertraut zu machen.
-
3lfuf3ünltfr<;3riiuiu)
Gohls Konzentration auf das Elementare in der
Musik fällt auf. Im Gespräch verwendet er häufig
das Bild vom Verteilen und Bereitstellen von
Nahrung, wenn es um musikpädagogisches Schaffen geht. Lieder nicht nur als Lebensaufgabe, sondern auch als Lebens-Mittel. Singen vergleicht er
gerne mit sportlicher Betätigung, die einem Luft
verschaffe, einen aktiviere, ein- und ausatmen
lasse. Und dann das gemeinsame Musizieren, wie
er es weniger doziert als immer wieder vorgelebt
hat: Es sei auch menschlich bildend, dieses SichEinfinden in gemeinsame Tonalität und Intonation. Mit Kindern empfiehlt er möglichst ftüh
auswendig zu spielen und vor allem auch zu improvisieren. Klänge und Rhythmen sollen Geschichten erzählen, Frage und Antwort, die Erweiterung und Verwandlung von Themen, die elementaren Operationen der Verständigung, sie sollen im Wortsinne spielerisch eingeübt werden.
Dirigiert der langjährige Winterthurer Konservatoriumsdirektor und für modernere Literatur
engagierte Chorleiter oder spricht er über Musikalisches, so merkt man ihm immer wieder die elementaren körperlichen Impulse an, die er von seinem Thema erhält und von denen er sich bewegen lässt. Sie sind der Ansatz seines Wirkens
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einige Zürcher
afk. Vor acht Jahren haben
Künstler ihr Kind aus der Taufe gehoben: sie
gründeten das Kunsthaus Oerlikon, ein Forum für
noch nicht arrivierte, meist jüngere Kunstschaffende. In schnell wechselnden Ausstellungen bekam man hier einiges zu sehen. Man erhielt Einblick in die Experimentierküche der Kunst, der
oftmals der Enthusiasmus und die schräge Eigenwilligkeit des noch nicht von der öffentlichkeit
Vereinnahmten anhafteten. Obschon das Kunsthaus Oerlikon von Anfang an als Provisorium
konzipiert war, bedauert man nun doch, dass das
Projekt nicht fortgesetzt werden kann. Denn nicht
,
indem sie hier eine
nur die Künstler profitierten
Startbasis vorfanden, sondern auch die Zürcher
Kunstszene erfuhr durch die Infiltration mit auffrischend jungen Ideen eine Belebung.
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Aleksandr Schumow Kurator im letzten halben Jahr versammelt zum Abschluss ihm wichtig erscheinende Werke von 69 Künstlern zu
einem farbigen vielstimmigen Schwanengesang.
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Wo man derzeit in diesen abbruchreifen Ausstellungsräumen hinschaut
hinter Röhren, auf
Schalter, in Nischen, auf den Boden, an die
gibt
Wände -, überall
es künstlerische Arbeiten zu
entdecken. Den einzigen Fixpunkt im Labyrinth
bildet Schumows Bezugnahme auf Kasimir Malewitsch, dem er die Schau anlässlich seines
60. Todestages zugeeignet hat. Er meint nicht nur
den doktrinären Begründer des Suprematismus,
sondern genauso den anderen Malewitsch, den
kaum bekannten Figurenmaler. Schumow sucht
auch in der heutigen Kunst «die Gesamtheit oder
das Zusammenspiel der Systeme» und will zeigen, «wie alles mit allem in Verbindung steht».
So glaubt er im abstrakten Gestalten die Präsenz des Körperlichen und im figurativen Bereich
ungegenständlich ornamentale Züge zu erkennen.
Auch wenn er in seiner fulminanten Abschlussschau der Renaissance der Malerei besondere
Aufmerksamkeit schenkt, sind doch die verschieVideo, Installationen, kinetidensten Medien
sche Kunst und Photographie vertreten. Weder
Ausführung
a l l e i die formale
n
noch die verabsolutierte Idee leiteten Schumow bei der Werkauswahl, sondern das Zusammenspiel der Komponenten, die in einer Arbeit gespeicherte Energie, die als Erlebnis auf den Betrachter übergreift
und wie ein zarter Duft die optische Begegnung
überdauert, zählten für ihn.
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Alle kennen seine Lieder, ohne es zu wissen: Willi
Gohl, Musiker und Musikpädagoge. (Bild hf.)
und ein Geheimnis seiner Wirkung. Mit «clownesker Fröhlichkeit», gesteht er uns, habe er jeweils die Freude der versammelten Singlustigen
und seines Singkreises zu zünden gewusst. Dass
er sich nun aus seinen öffentlichen Verpflichtungen zurückzieht, geschieht aus der Überzeugung,
dass «alles seine Zeit hat», wie er selber sagt. Sein
Singkreis löst sich mit dem Auftritt vom 23. Dezember auf.
n
Der Singkreis. Herausgegebe
von Willi Gohl. Der Gesamtband I (Liedblätter 1-50) liegt vor und kostet 37 Franken,
der Gesamtband II (Liedblatter 5 1-100) erscheint im Februar
1996 bei Hug & Co. Musikverlage, Zürich, zum gleichen Preis.
Am 23. Dezember findet um 15 Uhr im Grossen Tonhallesaal ein offenes Weihnachtssingen (Choralsingen) statt sowie
um 16 Uhr 30 eine Konzertaufführung von J. S. Bachs Weihnachtsoratorium. Mitwirkende: Audite Nova, Zug, Cantemus,
Bern, Singkreis, Zürich, Tonhalle-Orchester, Zürich. Leitung:
Willi Gohl.
Prosperos Tücher
Peter Greenaways Bettwäsche-Promotion
jus. «Das Bett ist ein Buch.» Wer dies sagt, ist
Peter Greenaway, Verschlingungsästhet, Fäulnismanierist, Wassermetaphoriker, Symmetriepedant
und Schwerkraftmelancholiker. Neben dem
Schreiben und Malen von Drehbüchern inszeniert
der Autor, Regisseur und Künstler Opern in
Amsterdam und Ausstellungen zwischen Venedig,
Paris und (gegenwärtig) München. Auf der Suche
nach der verlorenen Zeit, die das sorgfältige Betrachten eines Kunstwerks erfordert, retabliert der
Brite langsame Kulturpraktiken, die zu Bildern
und Büchern gehören. Greenaways Filme strotzen vor literarischen Zitaten. In «The Cook, the
Thief, his Wife and her Loven>; gehört der in seinem Bett liegende, mit Buchseiten farcierte Belle
trist zu den eindrücklichsten Tableaux des Opus.
In «Prosperos Books», der Adaption von Shakespeares «Sturm», spielt das Buch gar die Titelrolle.
Wie ein Renaissance-Künstler, der in feudalen
Diensten steht, betrat Peter Greenaway kürzlich
die abgedunkelte Bühne im Millers Studio. Anlass bot die Lancierung von Greenaway-itewwäsche, die der Cineast für das Textilunternehmen «Bonjour» aus Turbenthal kreiert hat. Im
nachtschwarzen Dunkel horchten journalistische
Kleriker, wohlgewandete Kaufleute, Kämmerer
und SF-DRS-Aristokraten auf die Promotionalien
des Maestro. Redegewandt umriss der bibliophile
Regisseur den Zusammenhang von Kunst und
Text. Spezielles Augenmerk richtete er auf seine
Hätschelkinder Kalligraphie und Typographie. In
g
zwischen
ihnen offenbare sich die Vereinigun
Kunst und Literatur. Und was liegt näher, als
diese «Ehe» im Bett zu vollziehen? Mit Diapositiven liess sich der Allegoriker aus Leidenschaft
einige Schlüssellochblicke aus seinem neuesten,
eben in Japan abgedrehten Film «Pillow Book»
stehlen. Sinnlichkeit und Text kommen darin auf
Letzte Ausstellung im Kunsthaus Oerlikon
der Haut einer Konkubine zusammen. Die Frau
gibt sich ihren Liebhabern als Erosmatrix hin,
lässt sich mit Tusche und Pinsel beschreiben. Aus
dem reinen Bett wird ein Nächtebuch in Stempeltechnik. Die Laken füllen sich zu, vom menschlichen Textkorpus zerwühlten, Buchseiten.
Von d
a aus war's nicht mehr weit zum eigentlichen Thema des Abends, dem real käuflichen
Produktedesign. Fliessend setzte Greenaway zur
Ikonographie seines Deckbett- und Kissenbezuges an: auf weissem Baumwoll-Feinsatin prangt
eine faksimilierte Seite aus dem Drehbuch zu
«Prosperos Books» in Nordisch-Schlafen-Dimensionen. Darauf zu sehen sind das mit Schreibmaschine verfasste Skript, handschriftliche Randnotizen sowie zwei Passphotos valabler Rollenbesetzungen. Als optische Dominanten des
Duvets dienen zwei saftig gedruckte japanische
Schriftzeichen. Sie stehen für «Zukunft» und
«Gegenwart». Wie Gütesiegel über die Fläche
verstreut, leuchten rot ein paar «Hankos», japanische Namensstempelchen. Der Eingeweihte liest
sie als «pi-ta» für «Peter». Zu guter Letzt prangt
unten rechts, wo es hingehört, das Autogramm.
Die Rechnung von Greenaway, dem Listenzieher und Zahlenschieber, dürfte aufgehen. In
Japan liebt das Publikum seinen barocken und bis
ins Letzte durchchoreographierten Stil. Sofern er
sich als Futon-kompatibel erweist, wird man sich
im Land der aufgehenden Sonne auf den Japanismus des Abendländers stürzen. Das « Bonjour» Bettzeug dürfte aber auch die westlichen Kulturnester erobern. Seit Stephane Mallarme taugt
unser Leben nur mehr, um in einem Buch vorzukommen. Greenaway hüllt es darin ein.
Die Bezugsquelle der von Peter Greenaway geschaffenen
Kollektion (Bettwäsche, Frottiertuch und Bademantel) ist «Bon-
jour of Switzerland», 8488 Turbenthal.
Neue Zürcher Zeitung vom 21.12.1995
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Es ist unmöglich, der Fülle an Exponaten gerecht zu werden. Stellvertretend für die anderen
seien deshalb einige herausgegriffen: Einem roten
Faden gleich durchziehen die kleinformatigen, in
Reihen gehängten Porträtaufnahmen von Andy
Luginbühl die Räume. Der Künstler photographier! sein Gesicht, verfremdet es bis zur Unkenntlichkeit, dämonisiert es oder macht es zum
ikonenartigen Heiligenbild und sucht letztlich in
jedem sich selbst. Ganz anders Roman Buxbaum:
er verwendet auf der Strasse gefundene Schnellporträts und signiert sie als witzig neuartige
«objets trouves». Chantal Wicki presst den
schlanken Körper einer jungen Frau in einen
sargähnlich engen Rahmen und provoziert damit
n
körden Kontrast zwischen der in Pose fixierte
perlichen Bewegung und der kalten Totenstarre.
Auf monumental grossen Formaten zeigt Urs
Gerber kauernde Paare, deren Sinnlichkeit mehr
von der subtilen Farbigkeit als von den Körperformen, die sich ins Abstrakte aufzulösen scheinen, ausgeht. Martina Vontobel wiederum sucht
im ungegenständlichen Bereich nach einer eigenen Ausdrucksqualität und entdeckt dabei Formationen, die körperliche Präsenz haben. Versteckt,
in einer dunklen Nische befindet sich die Photoserie von Martina Brügger. Die kleinformatigen
Aufnahmen von verwitterten Strassenaltären aus
Kreta verwandeln die Umgebung und machen sie
durch die Sparsamkeit der Mittel und die Stille
des Ausdrucks zum unaufdringlichen Ort der
Andacht. Ganz anders, nämlich quer und lustig,
wirkt die grosse Installation von Hans Rudolph
Schweizer. Mit der geometrischen Ordnung seines sonst so locker spontan konzipierten begehbaren, tönenden Werkes parodiert er die strenge
Rationalität der konkreten und konstruktiven
Kunst, als möchte er sagen, dass im heutigen
Zürich auch Humor erlaubt, ja gefragt ist.
Zürich, Kunsthaus Oerlikon (Konradstrasse 17), bis 7. Januar
1996.
Aktivitäten zur Ausstellung: Gerald Personnier: «Tout
ce qui se fait se defait», eine 1 5-Minuten-Performance für «The
-
last exhibition in the Kunsthaus Oerlikon» unter Mitwirkung
von Sonja Gertsch als Leserin, 21. Dezember. 21 Uhr 45; Irene
Kulka: Studien. 3., 4. und 5. Januar 1996, jeweils 20 Uhr. (Den
Besuchern sei warme Kleidung wärmstens empfohlen.)
DONNERSTAG-TERMINE
Ober aktuelle Tendent
Performance-Abend. Übersich
zen in der Zürcher Performance-Szene verspricht eine
Veranstaltung der Kunstszene 95/96 «Zürcher Inventar» im Helmhaus in Zürich. Im Programm sind Beiträge verschiedener Zürcher Performerinnen und Performer zu sehen (20 Uhr).
Indianische Mythen und Mächte. Mit Alltags- und
Ritualgegenständen von Pueblo-, Prärie- und Nordwestküstenvölkern sowie Bildern und Texten nähert sich die
Ausstellung «Old Man Coyote» im Migros-Hochhaus
am Limmatplatz den fliessenden Grenzen zwischen
Natur und Kultur, Mythos und Wirklichkeit der indianischen Kulturen (Vernissage 18 Uhr, bis 26. Januar).
Christmas-House. Unter diesem Motto bringen die
House-DJ Lou Latnar, Heinz. Marc B. und Marco sowie Don P. im El Cubanito die Christbaumkugeln ins
Rollen (21 bis 6 Uhr, Tel. 221 15 15).