Von der Kunst zu sterben - Evangelische Akademie Tutzing
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Von der Kunst zu sterben - Evangelische Akademie Tutzing
Von der Kunst zu sterben Sterben war schon immer schwer. Jahrhunderte lang hatten deshalb die Menschen von Jugend an versucht, das Sterben einzuüben. Die Kunst zu sterben, besaß Priorität im Denken von Philosophie, Kultur und Kirche. In der heutigen Zeit jedoch überschreiten die Biowissenschaften immer neue Grenzlinien. Das Sterben wird damit möglicherweise im gesellschaftlichen Bewusstsein zum Kunstfehler. Tod und Sterben waren über Jahrhunderte hinweg eine Domäne der Seelsorger. Heute geben Mediziner und Juristen den Ton an, wenn es um die letzten Dinge geht. Die kontroversen Fachdiskussionen über fremd- oder selbstbestimmtes Sterben sind ein Zeichen dafür, dass es keine Selbstverständlichkeiten mehr gibt am Ende des Lebens, damit aber auch keine Tabus. Studienleiterin Karin Andert und der Vorsitzende der Augustinum Stiftung, Markus Rückert, hatten in einem gemeinsamen Tagungsprojekt die gegenwärtige Sterbepraxis näher betrachtet. In Zusammenarbeit mit Experten, die sich dem kulturellen Phänomen von Tod und Sterben aus verschiedenen Blickwinkeln näherten, wurde der Frage nachgegangen, wie weit man das eigene Sterben gestalten kann. Wie die Medien das Thema vom Tod behandeln, erörterte Professor Norbert Schneider, Direktor der Landesmedienanstalt NRW, in seinem Vortrag. Nachfolgend ein Auszug: Norbert Schneider --------------------------- Zeig mir das Spiel vom Tod. Das Bild vom Tod in den Medien Der französische Historiker Philippe Ariés war es vor allem, der in seiner grundlegenden Geschichte des Todes von 1982 die These aufgestellt hat, dass die modernen Gesellschaften den Tod aus ihrer Mitte verdrängt hätten. Man müsse, so Ariés, nur vergleichen. In den großen Werken der Literatur sei der Tod von Homer bis Tolstoi als „ein vertrauter Begleiter, ein Bestandteil des Lebens ... häufig als eine letzte Lebensphase der Erfüllung empfunden“ worden. Nicht so jedoch hier und heute. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich nach Ariés das Erscheinungsbild des Todes, die Orte, wo man ihn sehen kann, seine öffentliche Präsenz, nachhaltig verändert. Ariés nennt Gründe. „Der Tod“, so sagt er, „ist für den heutigen Menschen angsteinflößend und unfassbar“ - also wird er, wie alles, was Angst macht, aus dem Blickfeld der Menschen entfernt. Das führt zu einem zweiten Grund für den verdrängten Tod. In einer „modernen, leistungsorientierten Gesellschaft“, sagt Aries, ist der Tod „nicht eingeplant ... Der Mensch stirbt ... einsam und der Öffentlichkeit entzogen, um den eigenen Tod betrogen.“ Diese Gesellschaften haben den Tod in die Kliniken verschoben, versteckt, „medikalisiert“. Nicht, dass er aus dem Sinn wäre! Das war er und das ist er zu keiner Zeit. Aber er ist aus den Händen, aus den Augen. Immer wieder haben sich professionelle Beobachter des Todes zu Wort gemeldet und diese Behauptung vom ausgelagerten, vom verdrängten Tod für übertrieben oder sogar für falsch erklärt. Unbestreitbar ist und bleibt, dass das konkrete, alltägliche Sterben und der Tod heute tatsächlich weithin unsichtbar stattfinden. Jedenfalls solange damit nicht besondere dramatische Momente verbunden sind, wie etwa eine Natur- oder Technikkatastrophe. Oder der Tote einfach zu prominent ist, als dass sich sein Sterben verbergen ließe. Tote sieht man allenfalls noch, wenn es sich um ein enges Mitglied der Familie handelt. Aber auch dieses früher selbstverständliche Sichtbarmachen, der Augenblick für ein memento mori, ist aus den Augen und damit auch ein Stück weit aus dem Sinn. Die öffentlich bemerkbaren, sichtbaren Signale und Symbole des Todes, seine Bilder sind aus dem Alltag verschwunden. Doch der Tod ist auch dann, wenn er unsichtbar bleibt, allgegenwärtig. Die Menschen fürchten nichts mehr und sie fürchten vor allem die Umstände. Der Tod lauert gerade als der unsichtbare Tod überall, und erst recht, seit es Selbstmordattentäter gibt, ist man an keinem Punkt auf dieser Erde vor ihnen und vor ihm sicher. Vor allem wird die Plötzlichkeit gefürchtet. Und darin versteckt - als eine Bedrohung - das einsame Sterben. Es sieht einen Moment so aus, als liebe der Tod das Unsichtbare, als bevorzuge der moderne Tod eine bilderlose, bilderresistente Existenz. Genauer: als bevorzugten die Menschen diese Sicht des Todes. Es sieht so aus, weil man den Tod alltäglich selten sieht. Sieht man aber näher hin, dann stellt man fest, dass der Tod keineswegs den Bilderstürmern zum Opfer gefallen ist, dass auch er im Zeitalter der Bilder und der Bildersüchtigen keine Ausnahme macht. Vermutlich wäre die allgegenwärtige Unsichtbarkeit des Todes sogar kaum erträglich, wenn es nicht zugleich den sichtbaren Tod gäbe: Bilder des Todes, Bilder für den Tod, die den Schrecken nicht tilgen, die aber ein Moment der Gewöhnung und die Gnade der Distanz bewirken. Die sogar unterhalten. Fernsehbilder eben. Das Fernsehen und der Tod Mehr als alle andern Medien konfrontiert das Fernsehen sein Publikum mit dem Tod. Man wird so schnell keinen Abend finden, an dem nicht ohne Ende getötet und gestorben wird, an dem nicht Sterbende oder Tote das Programm bestimmen. Das war nicht immer so. Zunächst war es auch im Fernsehen wie in den andern Medien. Es gab Anlässe und es gab Ausnahmen. Anlässe im Programm der ersten deutschen Fernsehjahre sind Tote, für die Staatstrauer angeordnet wird, die sich als Fernseh-Begräbnisse, etwa für Konrad Adenauer, für John F. Kennedy ins Gedächtnis graben. Ausnahmen sind die Prominenten, die schon immer einen zweiten, einen Medientod starben so wie sie ein Medienleben hatten, gekrönte Häupter wie Lady Diana, Schauspieler wie Marilyn Monroe, Politiker wie der Jordanierkönig Hussein oder Uwe Barschel. Das gilt erst recht für Medienmenschen wie Siegfried Unseld, Rudolf Augstein oder zuletzt Herbert Riehl-Heyse. Wie schon zu Lebzeiten so beherrschen sie die Medien auch als Tote. Manche sterben Jahre später noch einen dritten Tod, John F. Kennedy in Oliver Stones Film JFK (1991) oder Hans Martin Schleyer in Heinrich Breloers Fernseh-Zweiteiler Todesspiel (1997). Doch jenseits der Anlässe und Ausnahmen entwickelt sich das Fernsehen nach und nach zur eigentlichen Oberfläche, zur Wand für die Todesbilder. Mehr als alle andern Medien konfrontiert es sein Publikum mit Sterben und Tod. Dabei ist unübersehbar, dass die Todesfrequenz und die Entwicklung des Fernsehens zu einem überwiegend unterhaltsamen Medium in einer inneren Beziehung stehen. Je mehr Unterhaltung, desto mehr Sterben. Der Tod im TV-Krimi Man begegnet dem Tod sehr oft am Anfang einer Geschichte, vor allem dann, wenn Gewalt im Spiel ist. So rückt nicht zufällig das Genre des Kriminalfilms in den Blick. Denn die meisten deutschen Krimis sind so konstruiert, dass es am Anfang einen Toten geben muss. Der Krimi ist die große Stützwand für Vollprogramme. Im ZDF ist es seit Jahren der Freitag. Das ist der Krimitag, mit generationsübergreifenden Reihen wie Der Alte, Derrick, XY-ungelöst, Ein Fall für Zwei. Die ARD hat dieses Grundversorgungsangebot auf den Sonntag gelegt. Seit Jahrzehnten gibt es die Reihe Tatort und seit der Wende zusätzlich Polizeiruf 110. Darüber hinaus gibt es, als Erstausstrahlung wie als Wiederholung, jede Menge Krimiserien am frühen Abend. Ähnliches gilt für die privaten Fernsehveranstalter. Ihre Angebote reichen von Akte X bis Kommissar Rex, von Abschnitt 40 bis Doppelter Einsatz. Die Macharten sind sehr ähnlich. Die Autoren sind weithin dieselben. Die Absichten der Veranstalter sind es ebenfalls. Man erwartet eine möglichst hohe Quote. Derzeit versehen, wie man bei einer Ausstellung in der Deutschen Kinemathek in Berlin sehen kann, fast 50 Kommissarinnen und Kommissare ihren Dienst. Ein typisches Beispiel für den tödlichen Anfang ist ein Tatort wie Totentanz (2002). Im PR-Text des Senders heißt es: „Samstagnacht. Jenny Hellwig bricht auf der Tanzfläche eines Dance-Floor-Clubs zusammen. Die Tanzenden lassen sich nicht stören. Der Gebrauch von Drogen gehört zum Wochenendvergnügen. Doch Jenny wurde ermordet. Vergiftet mit Zyankali.“ Jennys Tod indes löst beim Zuschauer nicht etwa Betroffenheit, Trauer oder Wut aus, Gefühle also, sondern - den Gang der Handlung. Eine dem Zuschauer völlig unbekannte Tote initialisiert eine Geschichte. Auf der Basis dieses Todes, der ein Mord ist, steht alles, was nun kommt, obwohl der Mord selbst, der Tod eines jungen Mädchens an sich nichts bedeutet. Man kennt sie nicht und wird sie nie mehr kennen lernen. Wenn wir dem Tod mitten in der Handlung begegnen, dann fast immer als Ende eines Spannungsbogens oder als Anfang eines neuen. Als plötzliche Umkehrung eines Vorgangs, als Überraschung, als das Unvorhersehbare. Der plötzliche Tod wendet alles. Mitten in der Handlung stirbt gelegentlich auch dann jemand, wenn der Autor einen Akteur sterben lassen muss, den der Zuschauer vielleicht nicht einmal näher kennen gelernt hat. Der Grund ist oft sehr einfach: Anders käme die Handlung nicht voran, was man auch so verstehen kann, dass es Fortschritt durch Tod gibt, dass der Tod Probleme erledigt, die sonst liegen blieben wie eine Leiche im Keller. Einer weniger heißt auch: es ist plötzlich mehr Platz für die andern. Der Todesfall, als Mord, als Ende einer Krankheit, auch als Selbsttötung, steuert Handlungen also nicht nur von Anfang an, er steuert sie auch um. Das Faktum „Tod“ ist stark genug, um nach seinem Eintreten alles noch einmal zu drehen, in ein neues Licht zu rücken. Der Tod spielt, der Tod ist Alexander und schlägt den Knoten durch. Die Karten der Geschichte werden neu gemischt. Eben noch steuert die Handlung in den Stillstand, da betritt einer den Raum und sagt: Übrigens, X ist tot. Und schon verschwinden die Falten auf dem Gesicht des Kommissars. Die Handlung hat ihn wieder. Hier öffnet ein Toter den Horizont und befreit erst den Autor, dann den Zuschauer. Das Leben geht weiter, und zwar - welch ein Trost! - mit Hilfe des Todes. Die großen Katastrophen und der Tod Doch der Tod in den Massenmedien lebt nicht nur von den Großen dieser Welt. Auch der Tod namenloser Menschen erschreckt und fasziniert das Publikum der Lebenden. Dafür stehen die großen Katastrophen, von Lengede bis Lockerbie, von Aids bis SARS, vom ersten Golfkrieg bis zum zweiten. Dafür stehen so traumatische Einbrüche in den Alltag wie der 1l. September, wie der Amoklauf von Erfurt. Da zeigen Sondersendungen, Specials, Extras dem Zuschauer wieder und wieder jedes Detail. Talkmaster reisen wie Reporter an die Orte des Schreckens und moderieren, nicht immer stilsicher, das Entsetzen. Und wenn es keine Bilder gibt, werden sie, wie nach Erfurt, im Modus von Reality-TV nachgestellt. Für ein Publikum, das seit Menschengedenken vom Negativen angezogen und überwältigt wird, gehören die Todesbilder zum Grundbestand einer täglichen Information. Auch in Informationsprogrammen, in Nachrichten, Reportagen und Dokumentationen stößt man auf den Tod meistens im Kontext von Krieg oder Terror, von Natur- und Technikkatastrophen. Allerdings: Sterbende oder auch Tote werden dabei überwiegend zurückhaltend gezeigt, unscharf, jedenfalls so, dass man Gesichter nicht erkennen kann. Emotionen lösen diese Bilder kaum noch aus. Man sieht sie wie ein kalter Chronist. Es gibt auch Todesarten und Todesbilder, die nicht gezeigt werden sollen oder nicht gezeigt werden dürfen. Dazu gehört das Zeigen der Menschen, die sich aus den Türmen des World Trade Center in die Tiefe stürzten. Dazu gehört die unvermeidliche Augenzeugenschaft bei einem Unfall während einer Sportübertragung. Ein Beispiel fürs Verbotene ist - jedenfalls noch - die Übertragung einer Hinrichtung. Vielleicht sehen wir ja auch bald einmal einen OP-Toten. Die Voraussetzungen sind so günstig wie noch nie. Der „gereinigte“ Tod Die Todesbilder sind im Fernsehen selten unverblümt oder brutal. Wir sehen kaum einmal die verzerrte oder entstellte Miene eines Sterbenden oder Toten aus der Nähe. Wir begegnen insgesamt einem von Ekel und Schrecken gereinigten Tod. Dämpfend wirkt, dass Gewaltdarstellungen im Fernsehen vor 22.00 Uhr nur mit Beschränkungen erlaubt sind. Die Mittel, mit denen jemand zu Tode kommt, sind überschaubar: Kugel und Messer, der tödliche Unfall, in einem berühmten Fall sogar einmal ein Halstuch. Beliebt ist auch Gift, gerührt so gut wie geschüttelt. Vor allem ist es, was niemanden wundern darf, immer wieder die Krankheit, die zum Tod führt. Sterben tut man meistens rasch. Der Sekundentod dominiert, die mors repentina. Macht euch keine Sorgen, so könnte man diese Bilder deuten, normalerweise geht es ganz schnell, von jetzt auf gleich. Man spürt es kaum. Vorbereitung erübrigt sich. Die Orte des Todes Was die Orte betrifft, so gehört der Friedhof zu den führenden Örtlichkeiten des deutschen Fernsehspiels. Von allen den Tod betreffenden traditionellen Ritualen ist die Beerdigung bis heute die einsame Spitze des tödlichen Eisbergs, auch wenn ihr Gedränge nicht fremd ist. Wir sehen die verschleierte, von Freunden gestützte Witwe. Hinter einem Baum lauert oft ein Kommissar oder auch der letzte Liebhaber der Toten. Der Pfarrer spricht unverdrossen sein „Asche zu Asche“. Friedhöfe und langsam sich schließende Gräber machen klar: da kehrt niemand wieder. Nichts geht mehr, jedenfalls solange der Richtige im Sarg liegt, was nicht immer der Fall ist. Das führt dazu, dass auch die Exhumierung, selten genug ein Ereignis im richtigen Leben, zu einem Vorgang wird, über den der Zuschauer Bescheid weiß. Das gilt gleichermaßen für den Leichenschauraum mit seinen Tiefkühlkammern. Hier ist der kalte Tod zu Hause. Jedenfalls vorübergehend. Man darf vermuten, dass ohne Fernsehen die meisten Menschen nicht wüssten, dass es solche Räume gibt. Wozu auch? Ohne Fernsehen wüssten sie auch nicht, wie ein Pathologe das Schwarze unter einem Fingernagel als Mörderblut erkennen kann. Doch jetzt weiß er es, spätestens seit Quincey (1994), dem Gerichtsmediziner der gleichnamigen US-Serie, die viele Nachfolger gefunden hat, zuletzt den Doktor Robert Kolmaar, gespielt von Ulrich Mühe, in der ZDF-Serie Der letzte Zeuge. Es liegt ganz auf der Linie der Medikalisierung, wie sie Aries beschreibt, dass uns der Tod auch und gerade im Fernsehen als Kliniktod begegnet. Die Klinik ist sein irdisches Haus. Hier ist er Hausherr. Man stirbt in Serie, und weil bei der Kürze der Folgen die Zeit drängt, bereits in Ambulanzen, in Emergency Rooms, oder eben in tabula, wo es Die grünen Männer von Station 5 treiben - so der Titel eines legendären Features von Roman Brodmann. Oder Schwester Stefanie hält die Hand, wenn's sein muss auch im Krankenhaus am Rande der Stadt. Ein bevorzugter Ort innerhalb der Klinik für Leben und Sterben ist die Intensivstation. Ohne Fernsehen wüssten die meisten Menschen nichts von diesem Ort, der oft ein Vorhof des Todes ist. So aber nehmen sie Anteil nicht nur an Schicksalen, sondern auch an den fabelhaften Möglichkeiten der Gerätemedizin, manchmal an Wundern, wenn das Koma ein Ende nimmt und jemand zurückkommt wie zuletzt in Good bye Lenin (2003), wenn auch in die falsche Welt. Diese Orte des Todes besagen: Kaum einer stirbt allein zu Haus. Das heimische Bett als ein Ort des Todes und der häuslich Sterbende, alt und lebenssatt, im Fernsehen sind dies Raritäten. Zu Hause zu sterben - das hat sich weitgehend erledigt, bis auf jene wenigen Fälle, in denen der Mythos von der Familie als letzter Instanz in den Film zurückfindet wie etwa in Vom Winde verweht oder in Cape of Fear. Durch das Fernsehen kehrt der Tod zurück Jenseits von Details bleibt der eindeutige Befund: Es gibt eine Omnipräsenz von Sterben und Tod im Fernsehen. Setzt man dies mit der These von Ariés vom ausgebürgerten, an den gesellschaftlichen Rand gedrängten, vom medikalisierten Tod in Beziehung, dann kann man sagen, dass der aus unseren Augen fast verschwundene Tod offensichtlich über das Fernsehen zu uns zurückkehrt. Es gibt keinen andern Ort in unserer Gesellschaft, an dem so unbefangen und ohne Ende Bilder des Todes gezeigt werden. Der Tod ist also nicht verschwunden. Er hat nur den Ort verändert, an dem wir ihm begegnen. Und zwar nicht in einem beliebigen Sinne. Er hat sich dorthin begeben, woher auch sonst die Bilder kommen. Der Tod geht nicht, als eine Art von Lohn der Angst, verloren. Er ist nur vorübergehend aus dem Alltag ausgesickert, ins Fernsehen eingesickert, und sickert nun, Abend für Abend, wieder in den Alltag zurück. Ich sage ganz ausdrücklich: in den Alltag. Denn man ist rasch mit dem Einwand zur Hand, die Wiederkehr des Todes im Fernsehen sei ja nichts Reales, sie finde in einem Medium statt, also jenseits des Alltags, indirekt, vermittelt und dann auch noch auf eine Weise, die nicht zu vergleichen sei mit dem alltäglichen Todeserlebnis. Das ist richtig und ist zugleich auch falsch. Richtig und in gewisser Weise banal ist: Es ist tatsächlich nicht derselbe Tod, also der, dem wir konkret begegnen können. Er verlässt ja, wieder zurückkehrend, den Bildschirm keine Sekunde. Ich kann von ihm berührt werden, aber ich kann ihn nicht berühren. Es ist ein virtueller Tod. Falsch ist indes, zwischen dem realen und dem medialen Tod insoweit zu unterscheiden, als man damit zwischen Realität und Medium unterscheidet wie zwischen zwei Welten. Richtig ist, dass das Medium selbst längst ein Stück Realität ist, ein Stück Alltag und zwar ein nicht zu knappes. Fernsehen ist für viele Menschen ein Stück Leben. Und keineswegs das schlechteste. Gerade das Leitmedium Fernsehen kontaminiert alle und alles. Wenn es Todesbilder in Fülle anbietet, dann sind diese Bilder Teil unserer Wirklichkeit. Damit - als Massenmedien, die all inclusive sind, die jeden einschließen - sind sie auch Teil der Wirklichkeit derer, die für sich reklamieren, sie sähen ja gar nicht fern, sie hätten gar keine Zeit - so hat es Niklas Luhmann einmal gesagt - oder sie hätten nicht einmal ein Gerät. Oder sie hielten Fernsehen für überflüssig oder unsäglich oder für Sucht erzeugend. Niemand hat hier eine Wahl. Es ist naiv zu glauben, man lebe als Nichtzuschauer in einer fernsehfreien Zone; man bliebe unberührt von alledem, was auf andere direkt einwirkt. Das ist eine Illusion. Menschen werden auch im Schatten braun. Erst wenn man dieses Vorurteil von den zwei Leben, dem echten und dem medialen, fallen lässt und akzeptiert, dass es nur ein einziges Leben gibt, an dem heute in der Regel auch das Fernsehen teilhat, wird man dem Umstand, dass der Tod heute überwiegend über das Fernsehen in unser Leben tritt, gerecht werden können. Erst dann bekommt nämlich die Frage eine Bedeutung, welcher Tod es ist, den das Fernsehen zeigt, weil das dann auch der Tod sein wird, den die Gesellschaft wahrnimmt.