BERT GRABSCH - Tour Magazin
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BERT GRABSCH - Tour Magazin
BERT GRABSCH Durchblick: ZeitfahrWeltmeister Bert Grabsch mit der Trophäe seines Sieges von der WM in Varese 168 TOUR 4 | 2009 Der stille Champion So schnell, wie er im vergangenen Herbst zum WM-Titel im Einzelzeitfahren gerast ist, so schnell scheint Bert Grabsch wieder verschwunden zu sein. Ein Hausbesuch bei der Familie des Weltmeisters am Bodensee ǺǫǾǺ Andreas Kublik ǬǵǺǵǹ Christian Kaufmann B ert Grabsch blickt gerne in die Ferne. Sein Lieblingsplatz, sagt er, ist die Couch. Von dort kann er aus der breiten Fensterfront seines Wohnzimmers im schweizerischen Kreuzlingen über den Bodensee in seine alte Heimat Deutschland gucken. Wenn der muskulöse 1,78-Meter-Mann in Polohemd und Adiletten in seiner Wohnung sitzt und mit ruhigem Tonfall über seinen Beruf spricht, könnte man auf die Idee kommen, man säße der lebenden Gemütlichkeit gegenüber. Ein Mann, der tagsüber ins Büro geht und abends vor dem Fernseher sitzt. Wenn man es nicht besser wüsste. Und wenn es nicht für Bert Grabsch schlichtweg undenkbar wäre. „Ich könnte mir nie vorstellen, von morgens bis abends im Büro zu sitzen“, sagt der 33-Jährige mit der strubbeligen Strähnchenfrisur. Er ist lieber draußen und arbeitet hart auf dem Rad – so hart, dass er am 25. September 2008 mit kräftigen, gleichmäßigen Pedalumdrehungen ins Rampenlicht trat und vorbei an allen KonkurȀǻǸ ǶǫǸǹǵǴ renten zum Weltmeistertitel im Einzelzeitfahren fuhr. Auf dem Geboren: 19.6.1975 in Wittenberg (DDR) Siegerpodest stand er im RegenGröße: 1,79 Meter; Gewicht: 78 Kilo bogentrikot mit der Stoppuhr Wohnort: Kreuzlingen (Schweiz) auf der Brust und reckte im Familienstand: verheiratet mit Susanne, späten Sonnenlicht die Arme in Tochter Lea-Muriel (5 Jahre) den Himmel. Das Bild eines Profi seit: 1997 Mannes, der gerade nach den Teams: Agro Adler Brandenburg Sternen greift. (1997–1998), Cologne (1999–2000), „Damit habe ich mein Phonak (2001–2006), T-Mobile (2007), Traumziel erreicht“, sagt Bert High Road/Columbia (2008–2010) Grabsch ein paar Monate später Wichtige Erfolge: Hel van het Mergelland am Wohnzimmertisch seines 2000; Etappensieg Burgos-Rundfahrt 2002; Designerhauses im Kreuzlinger Rund um die Hainleite 2005; Etappensieg Ortsteil Steig. Er ist damit (EZF) Vuelta, Deutscher Meister Zeitfahren Nachfolger von Jan Ullrich, der 2007; Deutscher Meister und Weltmeister bisher als einziger Deutscher Zeitfahren, Etappensieg (EZF) und Gesamtwertung Sachsen-Tour, Etappensieger (EZF) den WM-Titel im Kampf gegen die Uhr gewann. 1999 und 2001 Österreich-Rundfahrt 2008 ǐ Internet: www.bertgrabsch.de war das. Grabsch ist überhaupt erst der vierte deutsche Welt- meister in der Profiklasse. Im Straßenrennen gewannen nur Heinz Müller (1952) und Rudi Altig (1966) Gold. Man könnte sagen, der Sohn eines Tiefbauers aus der Lutherstadt Wittenberg, in der DDR aufgewachsen, hat es geschafft. Ein Grundstück mit Seeblick am Schweizer Bodenseeufer, einen Mercedes-Geländewagen in der Garage, ein schickes, eigenes Haus, in dem er mit Frau Susi und der fünfjährigen Tochter Lea-Muriel wohnt. Arbeiter in einem Knochenjob Und doch ist Bert Grabsch irgendwie unzufrieden. Vielleicht nachvollziehbar, wenn man sich in seine Situation versetzt: Du wirst Weltmeister, und keiner guckt hin! Zumal Grabsch alles andere ist als ein zweiter Jan Ullrich, kein schlampiges Talent, das verkorkste Jahre mit einer Stunde Fleißarbeit und dem Zeitfahr-Titel rettete. Bert Grabsch, und da ist man wieder beim Blick in die Ferne, hat sich zwölf Profijahre Schritt für Schritt, Pedaltritt für Pedaltritt, zu seinem großen Ziel vorgearbeitet. Auch wenn viele zweifeln mögen, weil der Radsport nach all den Dopingskandalen nur noch wenig Vertrauen genießt – Bert Grabschs Erfolg, der für viele überraschend kam, ist das Ergebnis von harter und akribischer Arbeit daran, allein gegen den Wind schneller Rad zu fahren als alle anderen auf der Welt. Sein kräftiger Körperbau, die muskulösen Arme, deuten auf einen Knochenjob. 78 Kilo bei 1,78 Meter Größe – das sind ungewöhnliche Werte im modernen Radsport, in dem viele Profis geradezu mitleiderregend dürr sind. Grabschs Manager, der Schweizer Ex-Profi Rolf Huser, sagt über seinen Klienten: „Er ist ein stiller Arbeiter.“ Einer, der seinem Team-ColumbiaKapitän George Hincapie die Windböen bei ParisRoubaix vom Leib hält oder sich bei der Tour de France stundenlang vors Peloton spannt, um für seine Chefs das Tempo zu kontrollieren. Aber das ist nur der eine Teil von Bert Grabsch. Er weiß, wann seine Stunde schlägt. „Wenn es über Tempo 50 geht und nicht viele Berge drin sind, das kann ich gut“, sagt Grabsch. Und er wusste: Die Weltmeisterschaftsstrecke 2008 um den Lago di Varese war ihm auf den kräftigen Leib geschneidert. 4 | 2009 TOUR 169 BERT GRABSCH Seinen Weltmeister-Titel sieht er auch als Folge des Neuanfangs im Radsport. „Ich denke, dass mein Erfolg auch etwas mit den veränderten Bedingungen im Radsport zu tun hat“, sagte Grabsch nach dem WM-Erfolg in Varese und erzählt davon, wie er vor wenigen Jahren staunte, als ihn spanische Bergflöhe auf Flachstrecken bei Gegenwind im Zeitfahren überholten. Aber der Radsport-Arbeiter, der jetzt Weltmeister ist, würde sich nie als Wortführer im Kampf gegen Doping hinstellen. Die junge deutsche Rennfahrer-Garde, Kollegen wie Linus Gerdemann, sind ihm fremd geblieben. Mit Akribie und Strategie Kritiker mögen Grabschs Sprung an die Spitze argwöhnisch kommentieren. Dabei sieht Grabsch seinen Aufstieg zum Weltmeister als logisches Ende einer Entwicklung: „Ich habe gewusst, dass ich stark bin – nur hat mir das keiner zugetraut“, sagt der Weltmeister. Seit Jahren fühlt er sich unterschätzt. Dabei hatte er schon 2007 eine Zeitfahr-Etappe der Spanien-Rundfahrt gewonnen und kurz vor der Tour de France bei der Deutschen ZeitfahrMeisterschaft Stefan Schumacher geschlagen. Für die WM im gleichen Jahr in Stuttgart kann er auf unglückliche Umstände verweisen: Trotz guter Vorleistungen durfte er nicht in der Gruppe der Besten starten, sondern musste früh auf die noch regennasse Straße und verpasste am Ende eine Medaille nur um 15 Sekunden. Ein Jahr später passte alles. Der überragende Zeitfahrer der Gegenwart, Fabian Cancellara, hatte abgesagt, weil er sich nach Tour de France und Olympiasieg müde fühlte. Während bei anderen die Luft raus war, arbeitete Grabsch mit Trainer Sebastian Weber gezielt am WMTriumph. Seine Fahrlinie in Kurven verbesserte er dank Videostudium, die Beschleunigungsfähigkeit aus Kurven und Kreisverkehren verbesserte er mit kurzen, harten Intervallen, den Sattel schob er nach Tests auf der Bahn und im Windkanal fürs Zeitfahren einen Zentimeter tiefer als am Straßenrad. Und mit Hilfe von GPS-Daten und Streckenprofil entwickelte er eine spezielle Rennstrategie. Das Ergebnis: Mit Tempo 50 raste er zum Titel, zu seinem großen Ziel – aber die Wertschätzung fällt geringer aus als bei seinen Vorgängern. Für Radsportler wie Bert Grabsch ist es schwer nachvollziehbar, dass Fernsehkommentatoren euphorisch jubeln, wenn deutsche Biathleten an mutmaßlich gedopten Russen vorbei zum Sieg laufen, aber abschalten, wenn ein deutscher Radler nach Jahren den Durchbruch schafft – auch weil einige Konkurrenten im dichten Kontrollnetz des Radsports hängen geblieben sind. Schließlich hat Grabsch sich einst als Jugendlicher bewusst für Radsport und gegen sein Talent als Kicker entschieden. „Radsport war damals populärer als Fußball“, sagt er. Seine Idole: Amateur-Weltmeister Uwe Raab und Olympiasieger Olaf Ludwig. Doch das ist eine Weile her. „Der Radsport hat doch in Deutschland keine Chance mehr“, sagt der Wahlschweizer mit Blick aus dem Fenster hinüber in seine alte Heimat. Die Sponsoren sind weg. Keinen einzigen Exklusivvertrag hat er für sich persönlich abschließen können. Zwar hat Team Columbia seinen Vertrag nach dem Titelgewinn von einem auf zwei Jahre verlängert und auch großzügiger dotiert. Trotzdem: „Rein wirtschaftlich bin ich zum falschen 170 TOUR 4 | 2009 »Rein wirtschaftlich bin ich zum falschen Zeitpunkt Weltmeister geworden« Zeitpunkt Weltmeister geworden“, sagt der zurückhaltende Radprofi. Sein Manager Huser rechnet vor, dass sein Klient vor wenigen Jahren gut und gerne 100.000 Euro pro Jahr mehr hätte verdienen können. Und es ist schon das zweite Mal, dass sich seine Arbeit nicht auszahlt. Wenn man den leisen Frust von Bert Grabsch verstehen will, muss man mit ihm in den Keller seines Hauses steigen – die früheren Erfolge hängen im Dunkeln. Im Hobbyraum ein Gelbes Trikot, die begehrteste Trophäe des Radsports. Überreicht von Floyd Landis, der bei der Tour de France 2006 Paris als Erster erreichte und zum Dank Teamkollegen wie Grabsch mit einem seiner Leadertrikots bedachte. „Er hat nicht gewonnen, aber ich habe es verdient. Es ist doch das Entspannt: Grabsch mit dem Rad seiner Tochter Lea-Muriel www.principia.dk Zeugen einer langen Profi-Laufbahn: Im Keller hängen frühere Teamräder Einzige, was mir geblieben ist“, sagt Grabsch über die Arbeit für seinen einstigen Kapitän Floyd Landis. Kraft für die Operation Gold Drei Wochen lang hatte er sich, damals noch im Trikot des Schweizer Teams Phonak, während der Tour im Flachen vors Peloton gespannt, um dem amerikanischen Anführer Windschatten zu spenden. Dann wurde Landis nachträglich als Dopingsünder entlarvt. Und damit waren auch die Prämien des Tour-Veranstalters futsch, die der Sieger traditionell mit seinen Teamkollegen und Betreuern teilt. „Das hat mich meinen Pool gekostet“, scherzt Grabsch. 70.000 Euro, schätzt er, sind ihm durch den Dopingfall durch die Lappen gegangen. Man könnte nun entgegnen, dass Landis die Tour wohl nicht gewonnen hätte, wenn er sich damals in den Alpen nicht mit einer Überdosis Testosteron Beine gemacht hätte. Dann wäre für die Teamkollegen auch nichts abgefallen. Aber so kann das ein Rennfahrer nicht sehen, der wochenlang selbstlos den Buckel krumm gemacht hat. Es sollte die Krönung der Karriere eines loyalen Helfers sein, der wegen seiner Tempohärte „in der Fläche“, wie Grabsch selbst zu ebenen Strecken sagt, über Jahre einen Stammplatz bei der Tour hatte. Er ist noch immer sauer auf Landis, seinen einstigen Leader. Bert Grabsch kommt aus einer Zeit, in der Radsportler und Arbeiter Helden waren. Aber die fehlende Anerkennung kann auch ein Motor sein. Wie im vergangenen Sommer, als man ihn bei Team Columbia kurzfristig aus der Mannschaft für die Tour strich und der Radprofi daraus die Kraft für die Operation Gold zog. So wird er auch weiter unauffällig seine Arbeit machen. Und fest zutreten, wenn seine Stunde schlägt: Im Herbst will er wieder Weltmeister in Mendrisio werden, 2012 vielleicht Olympiasieger in London. Bert Grabsch ■ arbeitet weiter. Irgendwann wird es sich lohnen ...