ERFOLG IM QUADRAT

Transcrição

ERFOLG IM QUADRAT
BUSINESS
Sie gestalten die Zukunft
des Traditionshauses
(v.l.): Simon und Richard
Engelhorn, Andreas
Hilgenstock und Fabian
Engelhorn.
N
ERFOLG IM QUADRAT
Engelhorn in Mannheim feiert mit dem
125-jährigen Bestehen die Vergangenheit –
und stellt die Weichen für die Zukunft
38
TextilWirtschaft Nr. 47 _ 2015
eun Fachgeschäfte. Mehr als 40 000 m2
Verkaufsfläche. Ein Online-Shop mit
rund 50 000 Artikeln. Rund 1500 Mitarbeiter und ein aktueller Jahresumsatz von
216,5 Mill. Euro – die Bilanz von Engelhorn in
Mannheim nach 125 Jahren kann sich sehen
lassen. Zudem gibt es nicht viele Handelsfamilien,die es geschafft haben,über so einen
langen Zeitraum hinweg zu bestehen; sei es
mangels Nachfolge oder wegen der starken
Wettbewerber.
Digitalisierung. Outletisierung. Zunehmender Wettbewerb durch internationale Modeketten, die Trends schnell und ungeheuer
günstig zum Konsumenten bringen.Dazu das
Konkurrieren mit den Retail-Aktivitäten der
eigenen Lieferanten, denn auch in Mannheim gibt es immer mehr Monolabel-Stores.
Das alles sind Themen, mit denen sich auch
Engelhorn beschäftigen muss.
Doch was macht das Traditionshaus anders
als Mitbewerber, die im Strudel des Strukturwandels ihre Läden schließen müssen? Engelhorn geht stets voran. Beherzt und mutig.
Schon um 1900 hat das Modehaus – damals
noch als reines Fachgeschäft für Knaben- und
Herrenbekleidung – das Potenzial zum Department Store, auch über die Stadtgrenzen
von Mannheim hinaus. Zum Beispiel wegen
der für das damalige Empfinden übergroßen
Schaufenster, deren elektronische KohleLampen die Fenster-Auslagen abends anstrahlen und Passanten fasziniert anhalten
und staunen lassen.
Doch nicht nur wegen des Visual Merchandisings, sondern auch wegen des Sortiments
gehört Engelhorn von Anfang an zu jenen
wenigen Händlern, die ihrer Zeit voraus sind:
Obwohl zu Zeiten des Kaiserreichs vorzugsweise Maßbekleidung gefragt ist, sind die
Gründer Georg Engelhorn und Adam Sturm
im Jahr 1890 fest davon überzeugt, dass sich
Konfektionsbekleidung langfristig am Markt
durchsetzen wird – in Kombination mit Beratung, Service und qualitativ hochwertigen
Produkten.
Wie ein Blick aus heutiger Sicht zeigt: die
richtige Entscheidung. Und ein zukunftsfähiges Konzept, das sogar zur Filialisierung
taugt, wie später die Beispiele SinnLeffers
und Peek & Cloppenburg belegen, die etwa
zur gleichen Zeit gegründet wurden.
Aus Engelhorn hätte also durchaus nicht nur
ein einziges Flaggschiff mit 20 000 m2 und
kleinen Beibooten werden können, sondern
eine Modekette mit Filialen bundesweit. Bereut die Familie, nicht wie andere deutsche
Multilabel-Filialisten im vergangenen Jahrhundert expandiert zu haben? „Nein“, sagt
Richard Engelhorn, Urenkel des Firmengründers, „wie einige andere Dinge haben wir das
versehentlich richtig gemacht“.
Der imposante Altbau von 1902 ist zwar heute nicht mehr erhalten, denn im Zweiten
Weltkrieg ist er komplett niedergebombt
worden. Doch der Spirit von einst hat sich
über die Jahrzehnte hinweg gehalten. Noch
heute wird auf demselben Grundstück in
mittlerweile moderner Architektur die Leidenschaft am Handeln und das Verführen der
Kunden zelebriert – mit Richard Engelhorn
(77) in dritter, Fabian (40) sowie Simon Engelhorn (31) und Andreas Hilgenstock (54) in
vierter Generation.
Statt in anderen Städten Filialen zu eröffnen,
hat sich das Modehaus – mit Ausnahme von
Abstechern wie die Engelhorn-Zweigstelle
Active Town in Viernheim sowie dem 170m2
großen Store mit Kollektionen von Dolce &
Gabbana und Gucci am Frankfurter Flughafen – immer auf die Heimatstadt konzentriert. Und insbesondere darauf, nicht zum
Kerngeschäft gehörende Zusatzsortimente
mit Kraft in den Markt zu bringen.
Und zwar deutlich eher und konsequenter als
andere Händler. Beispiele: eigene Stores für
die Sortimente Strümpfe, Wäsche und Urbanwear. Dazu, schon früh, als Aufwertung des
modischen Angebots ein gastronomisches,
um alle Sinne anzusprechen und das Haus
zum viel zitierten „third place“ zu machen,
über den heute alle reden.
Zu den Satelliten, wie sie Fabian Engel-
horn nennt, gehört allen voran das 1981 eröffnete separate Sporthaus. Nach Umzug und
mehrmaliger Erweiterung ist Engelhorn
Sports heute mit 9500 m2 das nach eigenen
Angaben bundesweit größte Sporthaus.
Eine weitere wichtige Etappe in der Unter-
125 JAHRE ENGELHORN
TextilWirtschaft Nr. 47 _ 2015
39
BUSINESS
nehmensgeschichte war 2007 die Eröffnung
des Konzepts „acc/ess“ in einem Anbau: ein
1700 m2 großes Haus für Accessoires, das auf
allen Etagen mit dem Modehaus verbunden
ist und mit dem Engelhorn ein Upgrade gelingt. „Wir haben den Anspruch, hochwertig
zu sein, die dafür relevanten Marken zu haben und über Accessoires diesen Einstieg zu
schaffen. Das war damals unser Gedanke“,
sagt Andreas Hilgenstock.
Der Einstieg über Accessoires in die hohen Preislagen mit Taschen von Prada bis
Gucci wird auch auf den Brax-Verkauf und die
Dachmarke einzahlen, lautet die Idee. Dass
die Accessoires Anfang 2007 ihr eigenes
Reich bekommen, soll nicht nur den Anspruch an Qualität und Service des Unternehmens, und somit die Profilierung vorantreiben, sondern auch dabei helfen, sich gegenüber P&C abzusetzen – die Düsseldorfer
sind am Standort schon immer einer der
Hauptwettbewerber von Engelhorn.
Und wenige Wochen nach der Eröffnung des
Accessoires-Hauses multiplizieren die Düsseldorfer damals in Mannheim ihr WeltstadtHaus-Konzept – inklusive eines Ausbaus des
Exquisit-Angebots.
40
TextilWirtschaft Nr. 47 _ 2015
Im vergangenen Herbst bekommt dann auch
das Haupthaus bei Engelhorn ein beachtliches Upgrade: Mit der Erweiterung um
3000 m2 auf 20 000 m2 wird aus der bislang
gemeinsamen Fläche für hochwertige Womens- und Menswear ein Topgenre-Angebot
auf zwei Etagen mit DOB von u.a.Prada,Isabel
Marant und Tory Burch auf 2500 m2 sowie
HAKA-Kollektionen von Marken wie Dsquared2 und Saint Laurent auf 1900 m2.
Doch den Familienmitgliedern geht es damals nicht nur um einen Ausbau der Designer-Kollektionen, sondern um eine neue Philosophie und Strategie auf der Fläche: Die Etagen strotzen vor Weite und Weitläufigkeit.
Voll gehängte Warenträger gehören der Vergangenheit an. Die Kollektionen haben Luft
zum Atmen und immer wieder brechen Multilabel-Konzept-Flächen mit Looks von Kopf
bis Fuß die Fläche auf.
Bilder schaffen statt Lieferanten-Shops aneinanderzureihen. Individueller, differenzierter, eine für den Kunden klar erkennbare
Handschrift – so sieht die Antwort aus Mannheim auf den Warendruck, den gesättigten
Markt, die zunehmenden Direktverkäufe der
Industrie und die aus Kundensicht klare Positionierung vertikaler Modeanbieter aus.
Zum neuen Selbstverständnis von Engelhorn
gehört vor einem Jahr auch die Überzeugung,
nicht länger Parkplatz der Ware sein zu wollen und sich von harschen Lieferanten die
Platzierung im Laden und Markenumfeld
vorschreiben zu lassen.
Trendflächen mit Outfits, zusammengestellt aus mehreren Labels, mehr Platz einräumen und die Zahl der Shops reduzieren –
das wollen seitdem auch andere Händler von
München bis Hamburg praktizieren. Doch
Engelhorn geht noch einen Schritt weiter und
hat die Vision, pro Jahr acht bis zehn eigene
Themen und Unterthemen über das gesamte
Haus hinweg zu spielen, wofür die Mannheimer den Einkauf umstellen müssen: vom
Denken in Warengruppen auf themenbezogenes Ordern.
Zudem würden die Macher der Industrie gern
individuelle Liefertermine vorgeben, zumindest aber mehr Flexibilität einfordern.Und sie
würden am liebsten öfter exklusiv für sie entwickelte Limited Editions ordern.
Ein ambitioniertes Vorhaben. Und ein visionäres Denken, das die Industrie vor eine gewaltige Aufgabe stellt. Spätestens dann,
wenn andere Häuser von Berlin bis Düssel-
dorf die gleichen Bestrebungen haben und
ebenfalls mehr Flexibilität einfordern.
Ein Jahr später rudert die Führungsspitze etwas zurück. Der neu eingeschlagene Weg
wird fortgesetzt, aber die Praxis zeigt, wie
schwer es organisatorisch und planerisch ist,
als Handel eigene Themen zu setzen und sie
konsequent auf einer Fläche von 20 000 m2
und im eigenen Online-Shop an allen Touchpoints der Customer Journey zu spielen. Zumal einige Lieferanten, wie etwa Opus und
Someday,schnell genug liefern und die Fläche
frisch halten. „Letztlich wollen wir nichts anderes als das“, sagt Hilgenstock.
Und selbst wenn es anspruchsvoll ist, die
neue Philosophie umzusetzen: Den schwierigen Weg zu meiden und einfach normal weitermachen, bedeutet aus Sicht von Richard
Engelhorn, das Risiko in Kauf zu nehmen, irgendwann nicht mehr gefragt zu sein. „Für
mich ist die Bereitschaft zum Wandel eines
der wichtigsten Merkmale von Engelhorn“,
sagt der 77-Jährige, der immer noch aktiv in
der Unternehmensleitung ist. „Wir hatten zu
jeder Zeit eine klare unternehmerische Vision
vor Augen, die wir Schritt für Schritt umgesetzt haben.“
So wird in Zukunft in Mannheim weiter an
der Umsetzung der neuen Flächengestaltungs-Philosophie gearbeitet – und an neuen
Kooperationsmodellen mit der Industrie.
Letzteres kann sich Fabian Engelhorn, der als
geschäftsführender Gesellschafter seit Sommer das operative Geschäft komplett und allein verantwortet, nicht nur für die Zusammenarbeit auf der Fläche vorstellen, sondern
auch auf den digitalen Kanälen: „Nicht alles,
was lange Zeit als Feindbild galt, wird ein
solches bleiben“, ist der 40-Jährige fest überzeugt.
Seine Vision ist etwa eine gemeinsame App
mit Zalando. So könne dann der Kunde entscheiden kann, ob er sich den gewünschten
Artikel bei Zalando bestellt und in den nächsten Tagen nach Hause liefern lässt oder ihn
gleich um die Ecke bei Engelhorn in der zweiten Etage kauft, wo die sofortige Verfügbarkeit angezeigt wird. „Das klingt nach Star
Wars“, sagt Engelhorn, „aber die Frage ist
doch: Was wünscht sich der Kunde in fünf
Jahren?“ Der Department Store der Zukunft
müsse ein Dienstleister sein, ist Andreas Hilgenstock überzeugt:„Service ist das neue Produkt, das wir verkaufen.“
Das gilt auch für die Omnichannel-Aktivitä-
ten. Obwohl Engelhorn mit dem Start des
Webshops im Jahr 2006 als einer der ersten
Modehändler auf dem deutschen Markt online ging, der Kanal inzwischen 20 % zum Gesamtumsatz beiträgt und es selbstverständlich eine Click & Collect-Station im Haus gibt,
will Fabian Engelhorn die Kanäle noch besser
verknüpfen (siehe S. 76).
Same day delivery steht auf der Agenda.
Ebenso eine individuellere Kundenansprache
online, zum Beispiel über das Clustern von
Kunden auf Instgram. Denkbar ist auch ein
Curated Shopping-Modell, wie es im Herbst
Konen in München gestartet hat, um Kunden
zu binden.
„Wir ruhen uns aber nicht auf unserem
wachsenden Online-Shop aus, sondern tun
auch etwas für die stationären Häuser“, sagt
Simon Engelhorn, der als geschäftsführender
Gesellschafter für Immobilien und Logistik
verantwortlich ist. So geht die Suche nach
neuen Impulsen für die Konsumenten weiter.
Schmuck, mehr Platz für Schuhe, Beauty – das
alles passe zur Dachmarke. Die Vision dazu ist
schon in den Köpfen.
JANINE DAMM
TextilWirtschaft Nr. 47 _ 2015
41

Documentos relacionados