Strafrecht sechsterTeil - Juristisches Repetitorium Hemmer

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Strafrecht sechsterTeil - Juristisches Repetitorium Hemmer
Strafrecht
Allgemeiner Teil
Teil 6:
Unterlassen/Fahrlässigkeit
-Rechtsanwalt Jürgen Bold-Rechtsanwalt Amer Issa-
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Übersicht unechtes Unterlassungsdelikt
A. Grundsätzliches
Zu unterscheiden sind das unechte und das echte Unterlassungsdelikt:
Unterlassungsdelikte
Echte Unterlassungsdelikte
Unechte Unterlassungsdelikte
zB: § 323 c
§13
a)echtes Unterlassungsdelikt:
Straftat erschöpft sich in einem bloßen Unterlassen der vom Gesetz geforderten Tätigkeit.
Sie sind das Gegenstück zu den bloßen Tätigkeitsdelikten.
Beispiele: Das Nichtanzeigen geplanter Straftaten, §138 StGB, der Hausfriedensbruch gemäß
§ 123 StGB in der 2. Alternative oder § 323 c StGB.
b)unechtes Unterlassungsdelikt:
Hier ist ein Garant zur Abwendung eines Erfolges verpflichtet, so dass sein Unterlassen
der Begehung durch aktives Tun entspricht. Das Erfordernis einer wertungsmäßigen
Modalitätenäquivalenz stellt § 13 StGB explizit klar. Es handelt sich damit bei den unechten
Unterlassungsdelikten um das Spiegelbild der Begehungsdelikte als Erfolgsdelikt.
Beispiel: Der Vater hilft seinem ins Meer gestürzten Nichtschwimmersohn, obwohl er dazu
als Garant verpflichtet ist(Unterlassen). Hier ist der Vater genau so strafbar, wie wenn er
selbst jemanden ins Meer geworfen hat (aktives Tun).
Aufbau des unechten Unterlassungsdeliktes
I. Tatbestand
1. objektiver Tatbestand
a) Erfolg
b) Unterlassen: Nichtvornahme der zur Erfolgsabwendung gebotenen Handlung
trotz physisch-realer Möglichkeit
Gebotenheit: Eine Handlung ist geboten, wenn sie in der konkreten Gefahrenlage
erforderlich ist und für den Täter die physisch-reale Möglichkeit besteht, das Gebotene in
sinnvoller Weise zu tun.
2
= 2 Schritte
1. Schritt: Was hätte ein Dritter in der konkreten Situation getan („tun müssen“)?
2. Schritt: Hat der Täter dies nicht getan, obwohl er dazu physisch in der Lage war?
Die physisch-reale Möglichkeit ist beispielsweise dann nicht gegeben, wenn die notwendigen
Hilfsmittel nicht zur Verfügung stehen oder die individuellen Fähigkeiten des Täters fehlen,
die gebotene Handlung vorzunehmen.
Beispiel: Mutter M sieht ihren 4-jährigen Sohn in den Main von der Brücke fallen, springt
aber nicht hinterher, da sie selbst Nichtschwimmerin ist. Hier fehlt ihr die physisch-reale
Möglichkeit zu handeln auf Grund fehlender individueller Fähigkeit. Allerdings muss sie
natürlich Dritte, Fußgänger, darauf aufmerksam machen und sie dazu veranlassen ihren Sohn
zu retten.
Problem 1: Abgrenzung aktives Tun/Unterlassen
Wichtig ist die Abgrenzung zum aktiven Tun, insb. bei mehrdeutigen Verhaltensweisen:
Beispiel 1: A wirft dem ertrinkenden B ein Seil zu, noch bevor dieser das Seil ergreifen kann,
zieht es A wieder zurück.
Anknüpfung an das Werfen= aktives Tun/ Anknüpfung an die unterlassende Rettung=
Unterlassen (NUR strafbar bei Garantenpflicht im Sinne des § 13 StGB)
Beispiel 2: Autofahrer X versäumt es nachts das Licht einzuschalten und überfährt deswegen
den Fußgänger Y.
Knüpft man hier an das Licht an, welches nicht eingeschaltet wurde, wäre dies ein
Unterlassen. Knüpft man hingegen auf das Fahren (ohne Licht) ab, wäre dies ein aktives Tun.
Teilweise wird vertreten, dass dem Täter dann ein aktives Tun zugeschrieben wird, wenn er
eine Aktivität im Sinne einer positiven Energie in Richtung auf das verletzte Rechtsgut
entfaltet und sich diese Energie auch ununterbrochen kausal im Erfolg manifestiert (sog.
naturalistischer Ansatz, vgl. zB OLG Karlsruhe GA 1980, 429)
Nach ganz herrschender Meinung ist die Abgrenzung nach dem Schwerpunkt der
Vorwerfbarkeit vorzunehmen (so übrigens auch im Deliktsrecht).
Im Beispielsfall 1, bei dem es um das Abbrechen von Rettungshandlungen geht, ist ein
Unterlassen dann anzunehmen, bevor die Rettungshandlung das Opfer erreicht. Ein aktives
Tun wird hingegen angenommen, wenn die Rettungsbemühungen das Opfer erreicht. Folglich
lag hier eine Tötung durch Unterlassen vor (anders zB wenn der Ertrinkende das Seil schon
ergriffen hat, der Täter es aber dann los lässt und das Opfer dann ertrinken lässt).
Im Autofahrerfall (Beispiel2) wird wohl ein aktives Begehungsdelikt anzunehmen sein,
Schwerpunkt ist die Teilnahme am Straßenverkehr durch das Fahren ohne Licht (vgl. RGSt
63,392).
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Beispiel 3: Ein aktives Tun wurde auch im berühmten Ziegenhaarfall (RGSt 63,211)
angenommen, bei dem der Arbeitgeber die nicht desinfizierten chinesischen Ziegenhaare an
seine Mitarbeiterinnen weiter gab und diese dann an Milzbrand erkrankten.
Problem 2: Abgrenzung täterschaftliches Unterlassen von der Beilhilfe durch
Unterlassen
Problematisch sind die Fälle, bei denen jemand es unterlässt eine Rechtsgutsverletzung zu
verhindern, die ein Dritter geschaffen hat. So wäre an ein Täterschaftliches Unterlassen oder
Teilnehmer zum Unterlassungsdelikt zu denken.
Beispiel: Mutter M sieht Vater V ihren Sohn S verprügeln. Obwohl sie körperlich und auch
sonst in der Lage wäre, dies zu verhindern, unterlässt sie es, da sie die Prügel für notwendig
hält.
Nach herrschender Meinung erfolgt hier die Abgrenzung nach den allgemeinen Kriterien zur
Tatherrschaft bzw. dem Täterwillen (subj.Theorie) (vgl. BGHSt 28, 346, 348).Im Beispielsfall
wäre somit die Mutter als Täterin anzusehen, da sie die Tat hätte beherrschen können und
auch einen eigenes Interesse hatte („hielt die Prügel für notwendig“).
Nach anderer Ansicht könne immer nur Beilhilfe vorliegen, da der „Haupttäter“ dem
Garanten den „Zugang“ zum strafbaren Erfolg versperre. Auch könne dies aus
Akzessorietätsgründen nur in Betracht kommen, da das Unrecht des Garanten vom Unrecht
des Haupttäters abhinge (so zB Gallas JZ 1960, 686, Ranft ZStW 1984, 815 ff).
c) Hypothetische Kausalität
Diese ist zu bejahen, wenn der Erfolg bei pflichtgemäßem Verhalten bzw. dessen
Hinzudenken mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre
(aA Risikoerhöhungslehre, s.o.). Im Rahmen der hyp. Kausalität ist umstritten, ob auf den
konkreten Erfolgseintritt oder auf den im Gesetz abstrakt umschriebenen tb-mäßigen Erfolg
abzustellen ist.
Beispiel: V weigert sich bei einem Brand, seine Kinder aus dem 4. Stock in die Arme unten
stehender Helfer zu werfen. Die Kinder, welche dies möglicherweise überlebt hätten, sterben
in den Flammen.
h.L.: Abstellen auf konkr. Erfolg (dh: Flammentod): In den Flammen wären die Kinder bei
Wurf aus dem Fenster mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gestorben
→Kausalität(+).
Begrenzung der Strafbarkeit durch die objektive Zurechnung (→Beruht der konkret
eingetretene Erfolg gerade auf der Pflichtwidrigkeit des Unterlassens? (+), wenn Vornahme
der gebotenen Handlung in der konkreten Situation mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit zur Erhaltung des gefährdeten Rechtsguts geführt hätte →im Bsp. (-).
BGH: Der BGH löst die Prüfung über die Kausalität, indem er auf den vom Gesetz
geforderten abstrakten Erfolg (also Tod an sich) abstellt. Hiernach : Kinder wären nicht mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am Leben geblieben Kausalität (-)
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d) Obj. Zurechnung
Der BGH prüft keine obj. Zurechnung, sondern löst entsprechende Problematiken im Rahmen
der Kausalität oder im Rahmen des subj. TB als Irrtum über den Kausalablauf. Dies betrifft
letztlich eine Aufbaufrage, so dass man sich (konsequent) für eine Variante entscheiden sollte.
ME sollte man sich der Literatur anschließen und das Bekannte aus dem Begehungsdelikt
anwenden.
e) Garantenstellung
Zu Unterscheiden sind zunächst Beschützergarant und Überwachergarant.
Beschützergarant +Rechtsgut
[„Rechtsgut beschützen“]
Gefahr
Überwachergarant +Gefahr
[„Gefahr überwachen“]
Rechtsgut
a) Beschützergaranten kommt eine umfassende Obhutspflicht für ein bestimmtes Rechtsgut
zu und daher müssen sie dafür Sorge tragen, dass es nicht verletzt wird.
aa)Aus Gesetz, zB §§ 1353, 1626, 1800, 666 BGB
Achtung: Hier handelt es sich um Beschützer-, nicht Überwachungsgaranten. Daher aus §
1353 BGB keine Pflicht, den Ehepartner an der Begehung von Straftaten zu hindern.
bb)Rechtlich fundierte Verhältnisse enger natürlicher Verbundenheit
Insb. innerhalb der Familie; auch Verlobte. Die Reichweite der Schutzpflichten kann je nach
Enge der Verbundenheit unterschiedlich weit sein. Hierbei kann man sich an der
Angehörigeneigenschaft iSd § 11 StGB orientieren
PROBLEM: Muss diese Familien-oder Lebensgemeinschaft noch bestehen?
Teile der Lit.: (+), da ohne eine enge Beziehung keine Garantenstellung mehr bestehen könne
(zB Mutter, die keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter hat).
hM: (-), zumindest bei Verwandten gerader Linie, soweit Gefahren für Leib,Leben oder
Freiheit drohen, da hier das Opfer schützenswert ist und sich auf ein stillschweigendes
Beistandsversprechen verlassen würde.
Ob dies auch bei getrennt lebenden Ehegatten gilt, hängt vom Einzelfall ab. Wenn der
Trennungswille zumindest nicht feststeht, bejaht der BGH die Garantenstellung (BGH NJW
2003, 3212). Zu den Geschwistern interessante (LESEN!) Entscheidung des LG Kiel in NStZ
2004, 157.
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cc)Andere Lebens- und Gefahrengemeinschaften
Bsp.:
Nichteheliche
Lebensgemeinschaft;
Zusammenschluss
von
Bergsteigern,
Tiefseetaucher; aber keine Zufallsgemeinschaft wie z.B. Zechgenossen, Drogenkonsumenten
(BGH NJW 1954, 1047).
PROBLEM: WG: h.M.: Tatsächliches Zusammenwohnen reicht nicht! So auch der BGH
(Urteil vom 07.11.1986 AZ.:2 StR 494/86). Dem BGH reichte in diesem lesenswerten Fall
weder die Zugehörigkeit zu einer Wohngemeinschaft noch eine durch Notwehr gerechtfertigte
Handlung zur Begründung einer Garantenstellung i.S.v § 13 StGB.
dd)Freiwillige Übernahme von Schutz- und Beistandspflichten
Entscheidend ist allein die faktische Übernahme, nicht die zivilrechtliche Wirksamkeit!
Beispiele: Babysitter, behandelnder Arzt.
ee) Aus Vertrag
Hier wird es regelmäßig bei Vermögensdelikten relevant eine Garantenstellung zu prüfen. Der
BGH
verlangt
dafür
ein
besonderes
Vertrauensverhältnis
und
dauerhafte
Geschäftsbeziehungen, um ggf. eine Garantenstellung zu begründen (vgl. BGH St 46,196;
6,198 „nach Treu und Glauben“).
.
ff) Bes. Pflichtenkreis (aus Stellung als Amtsträger oder Organ e.jur. Person)
Beispiel: Schutzpolizist iRd Dienstausübung bzgl. strafrechtl. geschützter RG Dritter
Achtung: Für den Umfang dieser Schutzpflicht ist nach hM die Garantenstellung nur auf alle
Güter die vom Schutzzweck des Zuständigkeitsbereiches des Amtsträger beschränkt und nur
während der Dienstausübung.
Beispiel: Erlangt der Polizeibeamte von einem Drogendelikt außerhalb seiner Dienstzeit
Kenntnis, so ist er nicht dazu verpflichtet dagegen vorzugehen. Anders ist die nur bei
schweren Delikten, wie zB Totschlag (vgl. BGHSt 38, 356). Zur Orientierung kann hier mE §
138 StGB herangezogen werden.
b) Überwachergaranten tragen hingegen die Verantwortung für eine bestimmte
Gefahrenquelle und müssen verhindern, dass diese Gefahrenquelle unbeteiligte Dritte verletzt.
aa) Verkehrssicherungspflichten
wie im BGB; Bsp.: Streupflicht; Pflicht des Tierhalters zur Überwachung
bb) Pflicht zur Beaufsichtigung Dritter
Beispiele: Lehrer bzgl. Schüler; militärische Vorgesetzte; Gefängnispersonal bzgl.
Gefangenen; nicht allein aus der ehelicher Lebensgemeinschaft →keine Pflicht, Straftaten des
anderen Ehegatten zu verhindern!
Weiteres Beispiel: Die Mutter sieht ihre 4-jährige Tochter beim Spielen mit der
Nachbarskatze. Das kleine Mädchen zündet dabei den Schwanz der Katze an. Die Mutter, die
die Nachbarn ohnehin nicht leiden, kann lässt diese gewähren (§§ 303,13 StGB!).
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cc) Beherrschbarkeit von Räumen (str.)
Pflicht des Inhabers der Verfügungsgewalt, in den Räumlichkeiten für Ordnung zu sorgen und
Straftaten zu verhindern. Gegenargument: Zu weitgehend; bestehende anerkannte
Garantenpflichten reichen aus, um strafwürdige Fälle zu erfassen. Der BGH hat
beispielsweise die Garantenstellung einer Gastwirtin bejaht, die die Gäste nicht davon abhielt,
dass die Gäste eine Frau körperlich misshandeln (BGH NJW 1966, 1763).
dd)Ingerenz (vorangegangenes gefahrbegründendes Tun)
Strittig ist, ob das Vorverhalten pflichtwidrig sein muss, oder ob auch gefährdendes
rechtmäßiges Verhalten die Garantenpflicht begründet.
Beispiel: Der mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit fahrende Autofahrer A trifft den ihm die
Vorfahrt nehmenden Radfahrer B. Dieser bleibt schwer verletzt am Boden liegen. Obwohl A
erkennt, dass B Hilfe benötigt, fährt er weiter. B verstirbt, hätte aber gerettet werden können,
wenn A den Notarzt alarmiert hätte.
Nach einer Ansicht (so. Verursachungstheorie) reicht es aus, dass der Täter kausal für die
Gefahrentstehung war, da jeder für seine Handlungen die Konsequenzen zu tragen habe (vgl.
Arzt, JA 1980, 712).
Nach h.M. muss das Vorverhalten pflichtwidrig sein, um einen Angreifer nicht unbillig besser
zu stellen als Dritte und die Rechtfertigungsgründe nicht zu relativieren (BGH St 25,218).
Beispiel: Frau F wird abends von V, der sie vergewaltigen will, angegriffen. Mit einem
Messerstich in die Bauchgegend wehrt F den Angriff ab. Den stark blutenden V lässt sie
liegen, obwohl sie erkennt, dass er ohne Hilfe sterben wird.
Der BGH hat in einem vergleichbaren Fall die Garantenstellung abgelehnt, da der
Vergewaltiger selbst die Gefahr geschaffen hatte und nicht noch von dem Angegriffenen
erwarten könne, dass dieser nunmehr als sein Garant verpflichtet ist (vgl. BGHST 23, 327).So
würde die Straflosigkeit einer erlaubten Verteidigungshandlung umgangen. Eine Strafbarkeit
nach § 323c StGB wird man dann wohl wegen Unzumutbarkeit zu verneinen haben, wenn
damit zu rechnen ist, dass der Täter seinen Angriff fortsetzt.
Bei rechtmäßigem Verhalten bleibt also allein eine Strafbarkeit nach § 323c StGB denkbar.
Beim aggressiven Notstand nach § 34 greift der Täter hingegen in fremde Rechtsgüter ein
und ist nach allgemeiner Auffassung verpflichtet, die sich daraus für das Opfer ergebenden
Gefahren zu beseitigen.
f) Entsprechungsklausel, § 13 StGB (nur wenn relevant)
Relevanz hat dies bei den sog. verhaltensverbundenen Delikten:
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Beispiel: A hat in Erfahrung gebracht, dass B seine Tochter hinterrücks überfallen und
verprügeln möchte. Da A der Auffassung ist, dass seine Tochter dies verdient habe, schreitet
er nicht ein.
Hier hat sich A wegen Körperverletzung durch Unterlassen strafbar gemacht, aber nicht einer
gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen auf Grund hinterlistigen Überfalls, da die
besondere Art und Weise der Begehung (hinterlistig) sich im bloßen Unterlassen nicht finden
lässt.
2. subjektiver TB
Irrtum über Garantenstellung § 16 1 1 StGB
Irrtum über Garantenpflicht § 17 StGB
I. Rechtswidrigkeit
Beachte insbesondere die sog. rechtfertigende Pflichtenkollision
1. Objektive Rechtfertigungselemente
a)Konfliktlage
aa) Kollision zweier rechtlicher Handlungspflichten
=liegt vor, wenn mehrere rechtlich begründete Handlungspflichten an den Normadressaten
herantreten,
Beispiel: Ein Vater V sieht, wie sein Sohn S und seine Tochter T in einem
See zu ertrinken drohen. Er kann nur ein Kind retten und entscheidet sich für T. Bei der Frage
einer Strafbarkeit des V wegen §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB zu Lasten des S wäre im
Rahmen der zu prüfenden rechtfertigenden Pflichtenkollision eine Kollision zweier
Handlungspflichten festzustellen. Denn der V ist gegenüber beiden Kindern aufgrund seiner
Garantenstellung als Vater (§§ 1626 ff. BGB) verpflichtet zu agieren.
bb) Gleichwertigkeit der Handlungspflichten
Zur Bestimmung von Rangverhältnissen wird:
- der Wert der gefährdeten Güter (z.B.Leben, Gesundheit, Eigentum),
- die rechtliche Stellung des Normadressaten zum geschützten Objekt
(liegt Garantenstellung vor oder „nur“ bloße Hilfeleistungspflicht),
- Nähe der Gefahr (z.B. steht die eine zu rettende Person direkt neben
einem und die andere ist einen Kilometer entfernt)
- die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gegeneinander abgewogen
Beispiel: In unserem Beispielsfall handelt es sich bei den V obliegenden
Handlungspflichten um solche, die seiner Garantenstellung als Vater gegenüber seinen
Kindern entspringen. Ferner drohen beide Kinder zu ertrinken, weshalb von einer
Gleichwertigkeit der Handlungspflichten auszugehen ist.
Beachte: Eine Abwägung Leben gegen Leben findet nicht statt!
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Beispiel: P ist Streckenwärter. U.a. ist er zuständig für die 1 km hinter seinem Posten
gelegene Weiche an einer Hauptstrecke, die nach wenigen Metern auf eine zerstörte, und
daher nicht mehr nutzbare Brücke, führt. An der Hauptstrecke werden hinter der Weiche in
einer engen Schlucht ohne Ausweichmöglichkeit von zwei, dem P nicht persönlich bekannten,
Arbeitern Reparaturen am Gleis ausgeführt. Für den Zeitraum der Reparatur ist die
Hauptstrecke gesperrt worden. Trotzdem fährt gegen 15:00 Nachmittags am Posten des P ein
vollbesetzter Personenschnellzug mit hoher Geschwindigkeit durch. P erkennt dies. Er weiß,
dass er die Arbeiter nicht mehr warnen kann, was ihren sicheren Tod bedeutet. Er weiß aber
auch, dass eine Umleitung des Zuges, den Tod aller Passagiere bedeutet.
Hier darf sich P frei entscheiden. Auch dann, wenn auf der Strecke nur ein alter wegen
Sexualdelikten vorbestrafter Streckenarbeiter steht und im Zug Familien mit Kindern sitzen.
Dies folgt aus dem Grundsatz, dass Leben nicht zählbar, nicht abwägbar sind. Jedes Leben ist
gleichviel wert. Egal, wie alt sein Träger ist, wie krank, wie vorbestraft.
Beachte auch: Garantenpflicht ist höherwertig als die bloße Hilfeleistungspflicht aus § 323c
StGB.
Beispiel: Diesmal sieht der Vater V, wie sein Sohn (Garantenpflicht nach §§ 1626 ff. BGB)
und ein ihm fremdes Kind (bloße Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB) in dem See zu
ertrinken drohen. Er kann nur eines der Kinder retten und entscheidet sich für das fremde
Kind. Hier läge zwar auch eine Kollision zweier Handlungspflichten vor, allerdings fehlt es
an ihrer Gleichwertigkeit. Denn die Pflicht aus der Garantenstellung gegenüber S ist
gegenüber der allgemeinen Hilfeleistungspflicht gegenüber dem fremden Kind höherrangig zu
bewerten. In diesem Fall würde also eine rechtfertigende Pflichtenkollision ausscheiden.
b)
Erfüllung der einen Pflicht auf Kosten der anderen
=Indem der Täter eine Handlungspflicht wahrnimmt, verletzt er (zwangsläufig) die andere
ihm ebenfalls obliegende Handlungspflicht
Beispiel: Im Ausgangsfall rettet der V die T, wodurch er die Handlungspflicht gegenüber
seinem Sohn S nicht wahrnehmen kann.
2. subjektive Rechtfertigungselemente
Handeln in Kenntnis der rechtfertigenden Umstände
Beispiel:
Im Ausgangsfall ist V sich der Kollision beider gleichwertiger
Handlungspflichten gegenüber seinen Kindern bewusst und handelt, um wenigstens einer
nachzukommen und dadurch ein Leben zu retten.
V wäre also gerechtfertigt.
II. Schuld
Beachte auch die Unzumutbarkeit des normgemäßen Verhaltens!
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(Negativ-)Beispiel: Ehemann E kann sein Temperament nicht bremsen, so dass es zu
schweren Misshandlungen seines Sohnes kommt. Seine Frau unterlässt es ihn anzuzeigen, da
sie ihn als Ernährer der Familie braucht.
Hier ist von einer Körperverletzung durch Unterlassen auszugehen, da die schwere
Misshandlung natürlich überwiegt.
Ergänzung: Wann ist unmittelbares Ansetzen (Versuchsbeginn) beim
Unterlassungsdelikt anzunehmen?
unechten
Teilweise wird der Versuchsbeginn schon auf den Zeitpunkt festgelegt, in dem der Garant die
erste Erfolgsabwendungsmöglichkeit, die sich ihm bietet, verstreichen lässt (Theorie des
erstmöglichen Eingriffs).
Nach einer anderen Ansicht kommt es für den Versuchsbeginn erst auf den Zeitpunkt
an, in dem der Täter nach seiner Vorstellung die Rettungshandlung spätestens hätte
vornehmen müssen (Theorie des letztmöglichen Eingriffs).
Ganz überwiegend wird für den Versuchsbeginn beim unechten Unterlassungsdelikt
hingegen wie beim Begehungsdelikt auf den Zeitpunkt abgestellt, in dem aus Sicht des
Täters für das geschützte Rechtsgut eine unmittelbare Gefahr entsteht. Dabei
wird wie folgt differenziert:
Wo das geschützte Rechtsgut nach der Vorstellung des Garanten bereits unmittelbar in
Gefahr geraten und der Eintritt des Erfolges nahe gerückt ist, verlangt das Gesetz die
sofortige Erfüllung der Rettungspflicht. Unmittelbares Ansetzen liegt also dann vor,
wenn der Garant aufgrund seines Tatentschlusses die erste Rettungsmöglichkeit
verstreichen lässt. Bei noch entfernter Gefahr beginnt der Versuch erst in dem
Zeitpunkt, in welchem die Gefahr in ein akutes Stadium tritt und der Garant weiter
untätig bleibt oder in welchem dieser die Möglichkeit des rettenden Eingreifens aus der
Hand gibt und dem Geschehenseinen Lauf lässt
Das echte Unterlassungsdelikt am Beispiel des § 323 c StGB
I. Tatbestand
1. objektiver Tatbestand
a) Unglücksfall
Definition: Jedes mit einer gewissen Plötzlichkeit eintretende Ereignis, das eine erhebliche
Gefahr für Menschen oder Sachen bedeutet
Strittig ist, aus welcher Perspektive die Beurteilung statt findet. Dabei geht die hM von
der Sicht eines objektiven Dritten aus. Umstr. ist jedoch, ob die Beurteilung ex-ante oder
ex-post erfolgen soll.
Wohl hM: komplette ex-post-Beurteilung bei der Beurteilung des Unglücksfalls, dafür
erfolgt aber die Bestimmung der Erforderlichkeit der Rettungshandlung ex-ante! Hierfür
spricht, dass nach dem Gesetz der Versuch der unterlassenen Hilfeleistung straflos ist.
aA: Differenzierung zwischen Diagnose und Prognose. Es ist zu unterscheiden zwischen
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den Umständen der Situation („Diagnose“), welche obj. ex-post zu bestimmen ist,
und dem weiteren Verlauf des Geschehens aufgrund der ermittelten Umstände („Prognose“),
welcher obj. ex-ante betrachtet wird.
b) Unterlassen der erforderlichen und zumutbaren Hilfeleistung
Nach ganz hM erfolgt die Betrachtung der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit aus einer
ex-ante-Betrachtung
c) Ungeschriebenes TBM: Tatsächliche Möglichkeit des gebotenen Handelns
2. subjektiver Tatbestand
II. Rechtswidrigkeit/ III. Schuld Wie bei vorsätzlichem Begehungsdelikt
Das Fahrlässigkeitsdelikt
Grundlagen:
-Kein Tatbestandsirrtum gemäß § 16 I 1 StGB möglich, da es ein Auseinanderfallen von subj.
Vorstellung und objektiven Gegebenheiten nicht gibt.
-Versuch ist nicht möglich, da dem Täter Tatenschluss fehlt.
-Eine Teilnahme gemäß §§ 26,27 StGB ist nicht möglich, da keine VORSÄTZLICHE,
rechtswidrige Haupttat gegeben ist
-Eine Mittäterschaft kommt nicht in Betracht, da der gemeinsame Tatentschluss fehlt.
- Eine mittelbare Täterschaft ist nur dann denkbar, wenn der Hintermann das fahrlässige
Verhalten des Vordermannes zur Tatbegehung ausnutzt. Beachten Sie, dass dann für den
Hintermann eine vorsätzliche Tat gegeben ist.
Beispiel: Arzt A gibt der Krankenschwester B die Spritze, um dem Patienten P eine angeblich
„schmerzstillende Spritze zu verpassen. In Wirklichkeit ist dies aber Gift. B hätte dies auf
Grund des Totenkopfes und der Aufschrift „giftig“ auf der Spritze erkennen können, hat aber
nicht, wovon A ausging, darauf geachtet.
Der Begriff der Fahrlässigkeit wird im Gesetz ebenso wenig definiert, wie der Begriff des
Vorsatzes. Daher ist es der Lehre und der Rechtsprechung an die Hand gegeben, diese
Begriffe auszufüllen. Bei der Fahrlässigkeit werden die bewusste und die unbewusste
Fahrlässigkeit sowie die gesteigerte Form der Fahrlässigkeit, die Leichtfertigkeit,
differenziert:
Bewusst fahrlässig handelt derjenige, der es für möglich hält, den gesetzlichen Tatbestand zu
verwirklichen aber dennoch pflichtwidrig darauf vertraut, dass dies nicht eintreten wird.
Beispiel: M ist Mutter eines Kleinkindes. Nach dem Einkauf lässt sie für kurze Zeit eine
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Flasche Unkrautvernichtungsmittel unbeaufsichtigt auf dem Küchentisch liegen. Sie sieht
zwar die Möglichkeit, dass das Kind aus der Flasche trinken könnte, vertraut aber darauf, dass
es
nicht
dazu
kommt.
M
handelt
hier
bewusst
fahrlässig.
Für die Abgrenzung des Eventualvorsatzes (dolus eventualis) von der bewussten
Fahrlässigkeit (luxuria) kommt es entscheidend darauf an, dass es der Täter in beiden Fällen
für möglich hält, dass die Erfüllung des Tatbestandes eintritt, er die Folge beim
Eventualvorsatz aber hinnimmt und sich mit dem Risiko der Tatbestandsverwirklichung
abfindet, während er bei bewusst fahrlässigem Handeln (pflichtwidrig) auf das
Nichtvorliegen des betreffenden Tatumstandes oder sonst auf das Ausbleiben des Erfolgs
vertraut
(„wird
schon
gutgehen“)
Unbewusst fahrlässig handelt derjenige, der die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und
nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, außer
Acht lässt und infolgedessen die Tatbestandsverwirklichung nicht voraussieht.
Beispiel: Vergisst die Mutter M aus dem obigen Beispiel, die Flasche mit dem
Unkrautvernichtungsmittel wegzuräumen, so handelt sie unbewusst fahrlässig.
Bei der unbewussten Fahrlässigkeit (negligencia) liegt also kein positives Wissen, sondern
Vorhersehbarkeit vor. Darüber hinaus ist der Erfolgseintritt nicht vom Willen des Täters
umfasst. Es fehlt hier somit sowohl am intellektuellen als auch am voluntativen Element.
Leichtfertig handelt, wer die gebotene Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Damit
ist in objektiver Hinsicht ein erhöhter Grad an Fahrlässigkeit, vergleichbar mit der groben
Fahrlässigkeit im Zivilrecht, gemeint. Subjektiv ist im Bereich der Schuld jedoch auf die
subjektiven
Fähigkeiten
und
Kenntnisse
des
Täters
abzustellen.
Leichtfertiges Handeln wird z.B. in §§ 97 II und 138 III vorausgesetzt. Wenigstens
Leichtfertigkeit verlangen z.B. die §§ 176b, 178, 239a III, 306c, 307 III, 308 III, 309 IV, 316a
III, 316c III und 251 (erfolgsqualifizierte Delikte)
Beachte: Fahrlässigkeit ist nur mit Strafe bedroht, wenn das Gesetz dies ausdrücklich
bestimmt (§ 15 StGB)!!
I. Tatbestand
1. Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges
2. Kausalität
3. Obj. Sorgfaltspflichtverletzung :objektive Fahrlässigkeitsvorwurf sowie
Erfolg obj. vorhersehbar und vermeidbar
4. Obj. Zurechnung
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
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1. Subjektive Sorgfaltsverletzung : Subjektiv voraussehbar und vermeidbar
2. Entschuldigungsgrund: Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens
IV. Strafausschließungs- und –aufhebungsgründe
V. Strafverfolgungshindernisse
Im Einzelnen:
1. Tatbestand
a) Handlung, Erfolg
Es gilt derselbe Handlungsbegriff wie beim Vorsatzdelikt. Aufgrund des Einheitstäterprinzips
kann bei Reflexen bzw. Spontanreaktionen aber auch an das Vorverhalten angeknüpft werden.
b) Kausalität: gleiche Probleme wie bei den Vorsatzdelikten !
Gleiche Probleme wie in Teil 1!!!
c) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
(1) Obj. Sorgfaltspflichtverletzung (obj. Vermeidbarkeit)
Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt; Maßstab: Verhalten eines
gewissenhaften und einsichtigen Angehörigen des Verkehrskreises des Täters in der
konkreten Tatsituation und sozialen Rolle (ex-ante-Perspektive).
(2) obj. Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des tatbestandsmäßigen Erfolges
(+), wenn nach allg. Lebenserfahrung mit dem Erfolg gerechnet werden musste.
Gefahrschaffung und Gefahrrealisierung bedürfen - wie beim Vorsatzdelikt – eines
Zurechnungszusammenhanges (siehe jetzt)
d) Objektiv zurechenbar ist der Erfolg, wenn sich gerade das rechtliche missbilligte
Verhalten des Täters in tatbestandsspezifischer Weise in dem verursachten Erfolg
niedergeschlagen hat. Besonderes Augenmerk gilt beim Fahrlässigkeitsdelikt häufig der
Prüfung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs und des Schutzzwecks der Norm.
Die Rspr., die auf eine gesonderte Prüfung der objektiven Zurechnung verzichtet, verlegt
diese Probleme in den Bereich des „Kausalzusammenhangs“, indem sie darauf abstellt, ob
gerade die Pflichtwidrigkeit für den Erfolg ursächlich geworden sei.
Gleiche Probleme wie in Teil 1!!!
2. Rechtswidrigkeit
Auch bei der Begehung eines Fahrlässigkeitsdelikts können Rechtfertigungsgründe vorliegen.
Erlaubtes
Risiko
und
verkehrsrichtiges
Verhalten
sind
allerdings
keine
Rechtfertigungsgründe, sondern bereits im Rahmen der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung
zu prüfen.
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PROBLEM: Fraglich ist bei den allg. RF-gründen das Erfordernis eines subj.
Rechtfertigungselementes:
Im Bereich der bewussten Fahrlässigkeit ist zur Klärung dieser Frage die Struktur des
Fahrlässigkeitsdelikts zu berücksichtigen. Das Handlungsunrecht ist gegenüber dem
Vorsatzdelikt stark abgeschwächt. Es überschreitet nicht die Schwelle der
Strafwürdig/bedürftigkeit. Ist aber im Bereich des Vorsatzdelikts das subjektive
Rechtfertigungselement deshalb erforderlich, um das Handlungsunrecht zu kompensieren, so
kann es diese Funktion beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht erfüllen. Schließlich vertraut der
Täter darauf, den Tatbestand nicht zu verwirklichen. Der Normbefehl erreicht ihn zwar, doch
fehlt die bewusste Auflehnung.
Ein subjektives Rechtfertigungselement ist somit nicht zu fordern (aA gut vertretbar). Der
Täter muss sich lediglich im Rahmen der Befugnisse halten, die ihm der
Rechtfertigungsgrund einräumt.
Sollte man dennoch das subj. Rechtfertigungselement als notwendig annehmen, so ergibt sich
hier das Problem des fehlenden subj. Rechtfertigungslementes.
Beispiel: A macht einen umfangreichen Frühjahrsputz und lehnt sich dabei aus dem Fenster.
Sie kommt dabei aus Unachtsamkeit an einen Blumentopf, den sie herunter wirft. Dieser trifft
den Räuber R, der gerade dabei war das Opfer O zu überfallen. Hier hat A den Tatbestand
nach § 229 StGB verwirklicht. Nach BGH, der das Ganze nur im Rahmen der Strafzumessung
berücksichtigt, bleibt sie strafbar, nach der Literatur, die den Versuch hier annimmt, wäre sie
straffrei.
Nicht zu verwechseln sind die Fälle bei denen der Täter einen Erfolg fahrlässig herbeiführt
sich aber verteidigen will.
Beispiel nach BGH St NJW 2001, 3200: Dieb D ist in die Villa des älteren Ehepaares A und
B eingestiegen. Um sich zu verteidigen und aus Angst um seine Frau nimmt der 80-jährige A
eine-wie er meint- nicht geladene Pistole, um den Dieb zu verschrecken. Tatsächlich ist die
Pistole aber geladen. Da sich der Dieb nicht beeindrucken lässt und auf die Ehefrau B eintritt,
drückt der A den Abzug, um ihn erneut zu beeindrucken. Aus Versehen löst sich dabei ein
Schuss. Der Dieb D stirbt.
In Betracht kommt fahrlässige Tötung nach § 222 StGB. Da es sorgfaltswidrig war, den
Revolver nicht zu überprüfen, hat er den Tatbestand grundsätzlich verwirklich. Je nach
Fallgestaltung (Vorliegen aller Voraussetzung hier wohl anzunehmen), ist der in Notwehr
handelnde Täter gerechtfertigt.
3. Schuld
a) Schuldfähigkeit (Kein Unterschied zum Vorsatzdelikt!)
b) subjektive Sorgfaltspflichtverletzung
(1) subjektive Erfüllbarkeit der Sorgfaltspflicht
Täter muss nach seinen persönlichen Fähigkeiten in der Lage sein, die objektiven
Sorgfaltsanforderungen zu erfüllen. Es zählt das individuelle Leistungsniveau. Handelt der
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Täter aber bewusst in Kenntnis eines persönlichen Mangels, so kommt ein entsprechendes
Übernahmeverschulden in Betracht. Die objektive Sorgfaltswidrigkeit indiziert die subjektive
Sorgfaltswidrigkeit.
Diese Fähigkeit kann nur im Einzelfall entfallen und bedarf immer eines gesonderten
Hinweises im Sachverhalt.
Beispiel: Während eines Spazierganges rutscht der A aus und zieht sich eine stark blutende
Kopfwunde zu. Der B, der ihm eine sofort stillende Kompresse auf die Wunde legen könnte,
kann dies nicht tun, da er auf Grund von traumatischen Erfahrungen in der Kindheit kein Blut
sehen kann und ohnmächtig wird. Hier kann wegen psychischer Mängel kann subjektiver
Fahrlässigkeitsvorwurf erhoben werden.
(2) subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts
Täter muss den Erfolg mit seinen pers. intellektuellen Fähigkeiten vorhersehen können (meist
unproblematisch).
c) Nichtvorliegen eines Entschuldigungsgrundes
Neben den aus dem Vorsatz bekannten Entschuldigungsgründen gibt es noch die
Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, welche bei bewusster Fahrlässigkeit als
Entschuldigungsgrund anerkannt ist. Im Vorsatzbereich wird ein derart weiter und
unbestimmter Entschuldigungsgrund hingegen abgelehnt.
Es wird also hier dann ein Schuldvorwurf abzulehnen sein, wenn der Täter das eigene
Interesse preis geben muss und wenn ihm diese Preisgabe nicht zumutbar ist. Maßgebend sind
die Interessenlage und die Schwere der drohenden Rechtsgutsverletzung (BGH St 4,20).
Beispiel: A ist Spediteur bei B in Köln. Trotz Übermüdung zwingt der Arbeitgeber B den A
zu einer weiteren Fahrt, welche der A aus Angst um seinen Job macht. Es kommt zu einem
Unfall wegen der Übermüdung bei der der C verstirbt.
Die Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer ist als schwerwiegender anzusehen, als der
Jobverlust, so dass er sich nicht auf die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens berufen
darf.
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