Tierschutz, Reptilbörsen Schlangenhaltung

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Tierschutz, Reptilbörsen Schlangenhaltung
Tierschutz im Spannungsfeld zwischen Ethik, Politik
und Wissenschaft
– Eine Analyse am Beispiel der Terraristik
Dr. Gerald Benyr
Naturhistorisches Museum Wien
Burgring 7
A-1010 Wien
Zusammenfassung
Die Gründe für den Wunsch nach einem Verbot jeglicher Reptilienhaltung und die zur
Verwirklichung dieses Ziels beschrittenen Wege werden einer kritischen Betrachtung
unterworfen. Auswirkungen eines Verkaufsverbots von Reptilien auf Messen, die
Einführung eines verpflichtenden Sachkundenachweises und ein bundesweites
Haltungsverbot für Riesen- und Giftschlangen dienen als aktuelle Beispiele für
Lenkungsmaßnahmen, deren positive und negative Auswirkungen auf den Tier-,
Arten- und Personenschutz analysiert werden.
Sofern eine Verlagerung in das Internet nicht verhindert werden kann, ist es besser
den Handel mit Reptilien auf Messen weiterhin zu gestatten und negative
Auswirkungen durch einen Ausbau der Tierschutz-Veranstaltungsverordnung zu
unterbinden.
Die Verpflichtung, vor dem Erwerb eines Tieres ausreichende Sachkunde für dessen
Haltung nachweisen zu müssen, hätte uneingeschränkt positive Auswirkungen.
Es gibt weder aus Sicht des Tier-, Arten- oder Personenschutzes eine Notwendigkeit
die Haltung bestimmter Reptilien gänzlich zu verbieten. Für alle drei Bereiche können
durch Aufklärung und Überwachung bestehender Vorschriften bzw. durch deren
Weiterentwicklung bessere Ergebnisse erzielt werden. Auflagen können und sollten
sinnvoll an die Gefährlichkeit der einzelnen Arten angepasst werden.
Einleitung
Das Bundesgesetz über den Schutz der Tiere (Tierschutzgesetz – TSchG., BGBl. I
2004/118) hat wichtige Grundlagen zur Durchsetzung eines modernen Tierschutzes
geschaffen. Kernstück ist §5 (1) mit dem Verbot einem Tier ungerechtfertigt
Schmerzen, Leid oder Schäden zuzufügen oder es in schwere Angst zu versetzen.
Darin ist einerseits durch das Wort "ungerechtfertigt" ein großer Ermessensspielraum
enthalten und andererseits erfordern die Begriffe "Schmerzen", "Leid" und "Angst"
einen Einblick in die Psyche des Tieres, die mit wissenschaftlicher Methodik derzeit
bestenfalls unzureichend möglich ist. Die zahlreichen Verordnungen, in denen die
Leitlinien des TSchG. für die praktische Umsetzung aufbereitet werden, waren
demzufolge von vornherein dazu verdammt an diesen Unschärfen zu scheitern.
Damit erzeugt der im TSchG. scheinbar erzielte gesellschaftliche Konsens auf der
darunterliegenden Ebene ein erhebliches Konfliktpotential. Dies entlädt sich immer
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wieder an der Haltung niederer Vertebraten, weil deren Bedürfnisse schlecht mit
Anthropomorphismen erfassbar sind und daher oft verkannt werden.
Zuweilen wird für diese Tiere die Bezeichnung "Exoten" verwendet, was zeigt, dass
sie manchen Menschen primär fremdartig und damit suspekt sind, während sie auf
Andere eine besondere Faszination ausüben. Wie unlogisch und zwiespältig dieser
Begriff verwendet wird, lässt sich daran erkennen, dass darunter auch heimische
Arten (z.B. die Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis) subsumiert werden,
während der aus Syrien stammende Goldhamster (Mesocricetus auratus) nicht dazu
gezählt wird.
Manche Tierschützer vertreten die Meinung, dass Wildtiere generell in
Gefangenschaft leiden. Dahinter steckt oft ein idealisierter Freiheitsbegriff, mit dem
die meisten Tiere sicher nichts anfangen können. Eine Fokussierung auf dieses
Thema lenkt jedoch von der wichtigeren Forderung nach Erfüllung der wirklich
essentiellen Bedürfnisse ab.
Ihrer Zielsetzung nach versucht die Terraristik Tieren eine in allen für sie relevanten
Faktoren dem natürlichen Lebensraum gleichwertige Umwelt zu generieren.
Verhaltensbeobachtungen, die Analyse physiologischer Parameter (insbesondere
des Cortisol-Spiegels) sowie Daten über die maximale Lebensdauer, Wachstum und
Reproduktion belegen, dass diese Zielvorgabe durchaus erfüllbar ist. Eine solche
wissenschaftliche Betrachtungsweise kann sich aber nur schwer gegen Emotionen
durchsetzen.
In der Regel wird die Forderung nach einem Verbot der Haltung von Reptilien und
Amphibien mit einer exemplarischen und nicht selten übertriebenen Darstellung von
Missständen begründet. Aber ebenso wie die meisten Autofahrer nicht betrunken mit
180 km/h im Ortsgebiet unterwegs sind, machen sich Terrarianer üblicherweise nicht
der Tierquälerei schuldig. Dennoch steht es außer Streit, dass Menschen wie in allen
Lebensbereichen auch auf dem Gebiet der Tierhaltung Fehler machen. Die Ursache
dafür sind Schwächen und nicht die Unmöglichkeit Tierhaltung so zu betreiben, dass
sie höchsten moralischen Ansprüchen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und daraus
abgeleiteten gesetzlichen Vorschriften gerecht wird. Auch wenn Missstände aufgrund
der systemimmanenten menschlichen Komponente nicht völlig aus der Tierhaltung
verbannt werden können, sind alle Versuche deren negative Auswirkungen zu
mildern begrüßenswert.
Anhand von drei im österreichischen Nationalrat beschlossenen Anträgen werden im
Folgenden die positiven und negativen Konsequenzen sämtlicher vorhersehbarer
Auswirkungen der geplanten gesetzlichen Änderungen gegeneinander abgewogen.
Damit soll ein Beitrag zur positiven Weiterentwicklung der tierschutzrechtlichen
Bestimmungen über Reptilien und Amphibien geleistet werden.
Antrag 1215/A(E): Verbot des Verkaufs exotischer Tiere bei Messen
In der Tierschutz-Veranstaltungsverordnung (BGBl. II 2004/493) sind Bestimmungen
enthalten, die einen Verkauf von Wildfängen mit Ausnahme von Fischen verbieten
(§2 (2)) und nur das Einbringen von offensichtlich gesunden, unverletzten, gut
genährten und in ihrem Verhalten nicht gestörten Tieren gestattet (§2 (3)). Damit
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unterliegen Börsen in wesentlichen Punkten strengeren Richtlinien als
Tierhandlungen. Dies erlaubt eine Lenkung des Kaufverhaltens in Richtung eines
Erwerbs gut eingewöhnter und gesunder Nachzuchten. Insbesondere die
ursprüngliche Intention von Reptilienbörsen, einen direkten Bezug der Tiere vom
Züchter zu fördern, ist aufgrund des dadurch ermöglichten Informationsflusses und
der in der Regel nachhaltigen Betreuung der Käufer sehr positiv zu bewerten.
Börsen sind der für die Behörden ökonomischste Weg, Kontrollen des Handels
durchzuführen. Damit die gesetzlichen Maßnahmen greifen, ist allerdings eine
einheitliche Überwachung im gesamten Bundesgebiet nötig. So würde die zurzeit
übliche Praxis unterbunden, Börsen dort abzuhalten, wo die Kontrollen am wenigsten
streng sind.
Ein Verbot von Reptilienbörsen hat zwangsläufig eine Verlagerung des Handels zur
Folge. Soweit er in Richtung niedergelassener Tierhandlungen erfolgt, ist damit eine
Reduktion der mit dem Transport einhergehenden Belastungen verbunden. Es ist
aber anzunehmen, dass ein Großteil des Handels zukünftig über das Internet
stattfinden würde. Damit wäre er jeglicher Kontrolle und Beeinflussung bezüglich des
Tier- und Artenschutzes entzogen. Ein völliges Verbot des Verkaufs von Reptilien
und Amphibien auf Börsen und Messen würde daher einen sicher nicht idealen
Zustand durch einen wesentlich schlechteren ersetzen.
Sehr wohl könnte aber die TSch-VeranstaltungsVO weiter verbessert werden, um
damit negative Begleiterscheinungen von Reptilienbörsen zu unterbinden und
positive Lenkungsmaßnahmen hinzuzufügen:
• So legt die TSch-VeranstaltungsVO dem Verkäufer keine Informationspflicht
auf, wie sie aufgrund von §8 der Tierhaltegewerbeverordnung (BGBl. II
2004/487) für den niedergelassenen Tierhandel besteht.
•
§2 (3) lässt sich durch die Ergänzung einer Nachweispflicht des Verkäufers,
dass es sich bei den Tieren nicht um Wildfänge handelt, verbessern.
•
Auf den Börsen-Eingangslisten sollte auch Name und Anschrift des Züchters
sowie des derzeitigen Halters der Tiere vermerkt werden. Ebenso wäre es
sinnvoll
diese
Informationen
in
Form
einer
verpflichtenden
Weitergabebestätigung dem Käufer zur Verfügung zu stellen. Name und
Anschrift aller Personen, die Tiere erworben haben, sollten für die Behörden
dokumentiert werden. So könnten nur noch Tiere aus behördlich gemeldeten
und damit bezüglich der Pflegebedingungen kontrollierbaren Haltungen
gehandelt werden und auch die Käufer würden ihre Tiere mit größter
Wahrscheinlichkeit anmelden.
•
Das Verbot, Tiere in kurzen Intervallen auf Börsen einzubringen (§2 (6)), sollte
deutlich verschärft werden. Damit würden fliegende Händler aus dem
Geschäft gedrängt, die ihre Tiere permanent in Transportbehältern pflegen.
Zusammengenommen würden diese Maßnahmen das Volumen der Reptilienbörsen
erheblich schrumpfen lassen. Gezielt eliminiert werden jene Anteile, die vom
Standpunkt des Tierschutzes derzeit die größten Probleme machen.
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Antrag 1216/A(E): Schaffung einer Sachkundeverordnung für die Haltung
exotischer Tiere
Was für die Pflege von Reptilien und Amphibien erforderlich ist, wird in § 5(2) die 2.
Tierhalteverordnung (BGBl. II 2004/486) ausreichend festgelegt: Vor dem Kauf
müssen Kenntnisse über die Biologie der betreffenden Art und die sich daraus
ergebenden Haltungsanforderungen erworben werden, ein Terrarium für seine
artgemäße Haltung muss vorbereitet sein, und es ist Fachliteratur zur laufenden
Weiterbildung zu studieren. Diese Grundsätze werden innerhalb der
Österreichischen Gesellschaft für Herpetologie und von anderen TerrarianerVereinigungen seit langem vertreten (z.B. Benyr 1996). Die Erfüllung des ersten Teils
dieser Anforderungen kann durch einen verpflichtenden Sachkundenachweis
überwachbar gemacht werden. Die damit verbundene Verzögerung erzwingt eine
Bedenkzeit vor dem Kauf und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ein passendes
Terrarium rechtzeitig bereit steht. Auch Anregungen zur laufenden Weiterbildung
können in die Ausbildung für den Sachkundenachweis verpackt werden. Es spricht
daher viel für und nichts gegen die Einführung einer solchen Verpflichtung. In zwei
Punkten kann der Antrag allerdings ergänzt und verbessert werden:
• Die Ausbildung sollte weit mehr als zwei Stunden betragen, um ihrem
Anspruch auf Vermittlung aller nötigen Kenntnisse gerecht zu werden.
•
Vereine können eine wichtige Rolle in der Vermittlung des Wissens spielen.
Die Überprüfung der Sachkunde sollte aber in behördlicher Hand bleiben, um
Interessenskonflikte vorzubeugen.
Antrag 1274/A(E): Verbot der Haltung von Riesen- und Giftschlangen
Zunächst ist der Begriff „Riesenschlangen“ (als deutsche Bezeichnung für die
Mitglieder der Familie Boidae) eine verwandtschaftliche Kategorie der biologischen
Systematik und umfasst keineswegs nur Schlangen, die diesen Namen verdienen.
Bei rund 80% der Riesenschlangen handelt es sich um kleine bis mittelgroße Arten.
Einem Menschen durch Umschlingen Schaden zuzufügen ist ihnen nicht möglich.
Manche besitzen darüber hinaus ein rein defensives Verteidigungsverhalten, d.h. sie
versuchen selbst wenn sie attackiert werden, kaum jemals zu beißen. Andere Arten
verteidigen sich durch Bisse, wenn man sie bedroht oder ihnen Schmerzen zufügt.
Ihre Gefährlichkeit ist allerdings mit der eines Goldhamsters oder Meerschweinchens
vergleichbar. Sicher will sich niemand von einem solchen Nagetier beißen lassen,
aber trotzdem würde man sie nicht als gefährlich einstufen und deshalb ihre Haltung
verbieten.
Von den größeren Riesenschlangen können jene mit weniger als 3 Metern Länge
einem Menschen etwa so viel Schaden zufügen wie eine Hauskatze und würden das
auch in vergleichbaren Situationen tun.
Auch von den wirklich großwüchsigen Arten erreichen nur wenige Exemplare
Rekordmaße. Das ist ebenso wenig ungewöhnlich, wie der Umstand, dass nur ein
paar dutzend Menschen eine Größe von über 240 cm erreichten. Eine
Riesenschlange von 10 m Länge entspricht daher einem Robert Waldow, der mit
2,72 m den Rekord unter den Menschen hält. Genauso wenig wie man die
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Vorschriften im Wohnungsbau an solche Körpermaße angepasst hat, erscheint es
sinnvoll, bei der Bedrohung durch Riesenschlangen Ausnahmeexemplare als
Maßstab heranzuziehen.
Der vorliegende Antrag liefert übrigens ein anschauliches Beispiel wie Menschen bei
der Länge von Riesenschlangen zu Übertreibungen neigen. Obwohl auf den
zahlreichen veröffentlichten Bildern der in Graz entkommenen Boa constrictor
"Amanda" ersichtlich ist, dass die in den Medienberichten genannte Größe von 3 m
bereits gewaltig aufgerundet war, wird ihre Länge im Antrag 1274/A(E) mit 3,5 m
angegeben.
Als realistische Maximallänge, mit der Riesenschlangen in der Terraristik anzutreffen
sind, sollte man von 5 Metern ausgehen, wobei nur Exemplare der Arten Python
reticulatus, Python bivittatus und Eunectes murinus diese im Regelfall erreichen. Von
den beiden erstgenannten Arten gibt es allerdings auch Unterarten, die
größenordnungsmäßig nur halb so lang werden. Python sebae und P. natalensis
erreichen ebenfalls eine Maximallänge von über 5 m, in Terrarien gehaltene
Exemplare überschreiten aber kaum jemals eine Größe von 3,5 m. Auch von Morelia
amethisitina und M. kinghorni wurden schon sehr große Exemplare bekannt. Aber
abgesehen davon, dass diese Arten nur sehr selten gehalten werden, sind sie
weniger kräftig als die Arten der Gattung Python. Dennoch sind große Exemplare
dieser Arten sicher nicht ungefährlich und es ist erforderlich, dass der Halter sich
entsprechend der Größe der Tiere angemessen vorsichtig verhält.
Innerhalb der Giftschlangen gibt es ein breites Spektrum bezüglich der Wirksamkeit
des Toxins. Es reicht von Symptomen, die einem Wespenstich ähnlich sind, bis hin
zu Todesfällen. Entsprechend differenziert sollten auch die gesetzlichen Vorgaben
für eine Haltungsgenehmigung ausfallen. Ein Katalog entsprechender Maßnahmen
liegt vor (Benyr 2008) und daraus lassen sich an die Biologie und Toxizität der Art
angepasste Vorschriften zusammenstellen. Deren Einhaltung macht Unfälle sehr
unwahrscheinlich und minimiert in jedem Fall die negativen Auswirkungen.
Maßnahmen die ein Entkommen verhindern, müssen unabhängig von der Größe und
Gefährlichkeit der Tiere ein essentieller Bestandteil jeder verantwortungsvollen
Haltung sein.
Das Kriterium wie weit Unbeteiligte durch die Haltung von potentiell gefährlichen
Reptilien zu Schaden kommen können, ist der wichtigste Gesichtspunkt, wenn es um
Einschränkungen oder Verbote geht. Dazu ist festzustellen, dass allen
Pressemeldungen zufolge in Österreich immer nur an der Pflege beteiligte Menschen
von Giftschlangen gebissen wurden. Durch entkommene Giftschlangen ist nach den
vorliegenden Berichten in Österreich überhaupt noch nie jemand zu Schaden
gekommen. Dass ein solches Ereignis in Zukunft eintritt, kann aber natürlich nicht
ausgeschlossen werden. Es dürfte aber der Gefahr entsprechen, von einem
herabfallenden Paragleiter erschlagen zu werden.
Viele Menschen, die weltweit an Orten leben, an denen Giftschlangen häufig
vorkommen, würden sich sicher wundern, warum man bei uns ein einzelnes
entkommenes Exemplar als nennenswerte Bedrohung wahrnehmen kann. Hätten
Australier nicht ein viel rationaleres Verhältnis zu diesen Tieren, dürfte dort kein Kind
mehr auf die Straße gehen, geschweige denn im Garten spielen. Als ein weiteres
Indiz wie unbedeutend das Problem einer Gefährdung durch in Terrarien gehaltene
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Reptilien ist, kann man es ansehen, dass Vergiftungszentralen in Deutschland rund
zehnmal mehr Anrufe wegen Insekten als wegen tropischer Giftschlangen
verzeichnen (Beckstein 2009).
Horrorstatistiken über die Zahl der Unfälle mit in Terrarien gehaltenen Giftschlangen,
beruhen bei näherer Recherche auf einer unrichtigen Auswertung von Daten
(Werning 2007). Seriöse Untersuchungen weisen auf wesentlich kleinere
Unfallzahlen hin (Beckstein 2009), können aber das auf diesem Sektor herrschende
Informationsdefizit nicht völlig schließen.
Unbestreitbar ist die Haltung von großen Riesenschlangen und giftigen Reptilien
immer mit einem Risiko verbunden. Die Folgen eines Unfalls mit diesen Tieren sind
denen einer Attacke eines großen Hundes vergleichbar. Unfälle mit schwach giftigen
Arten haben ähnliche Konsequenzen wie der Biss eines sehr kleinen Hundes.
In Österreich leben rund 600.000 Hunde [1], die jährlich 5900 in Spitälern behandelte
Verletzungen verursachen [2]. Auf einen Hund kommen somit jährlich 0,098 Unfälle.
Bei Giftschlangen wird die entsprechende Zahl für Deutschland auf 0,075 geschätzt
(Werning 2007). Todesfälle kommen nach Attacken von Hunden und Bissen von
Giftschlangen nur in extremen Ausnahmen vor.
Unterschiede in der Gefährlichkeit von Hunden und Schlangen beruhen vor allem auf
biologischen Merkmalen, denn unverantwortliches Handeln des Besitzers der Tiere
als wahre Unfallursache kommt wohl bei jeder Form der Tierhaltung gleichermaßen
vor. Bei Hunden kann es zu aggressiven Handlungen gegenüber Menschen
kommen, weil diese in ihnen einen Artgenossen zu erkennen glauben. Schlangen
beißen Menschen ausschließlich als Defensivverhalten. Im Gegensatz zu Hunden
sind Reptilien bei normaler Haltung nicht im öffentlichen Raum unterwegs. Sie sind
vergleichsweise wenig mobil, meiden den Kontakt mit Menschen und verbringen die
meiste Zeit in Verstecken. Weiters sind entkommene Reptilien als poikilotherme
Lebewesen in unserem Klima im Freien während eines großen Teiles des Jahres
nicht handlungsfähig. Nachdem das rund 30% größere Risiko einer Verletzung durch
Hunde gesellschaftlich akzeptiert wird, dürfte die vergleichsweise geringe Bedrohung
durch potentiell gefährliche Reptilien kein Grund sein, deren Haltung gänzlich zu
verbieten, zumal diese ohnehin immer wesentlich stärker an Bewilligungen und
Auflagen gebunden sein wird.
Nicht außer Acht lassen sollte man die Auswirkungen, die ein gänzliches Verbot der
Riesen- und Giftschlangenhaltung auf den Tier- und Artenschutz hätte.
Setzt man die von Gegnern der Reptilienhaltung immer wieder kolportierte Zahl von
rund 100.000 Giftschlangen und 200.000 Riesenschlangen, die angeblich derzeit in
Deutschland gehalten werden, in Relation zur Bevölkerung, ergibt sich ein
Schätzwert von etwas über 10.000 Giftschlangen und 20.000 Riesenschlangen, die
derzeit trotz aller bereits bestehenden Einschränkungen in Österreichs Haushalten
leben. Exotenhaltung ist im Gegensatz zum Straßenverkehr zu stark auf den höchst
privaten Bereich beschränkt um mit Verboten große Wirkung zu erzielen. Die Anzahl
der gepflegten Tiere lässt sich so wahrscheinlich nur geringfügig verringern.
Andererseits würde die Behörde aber Einblick und Lenkungsmöglichkeiten völlig
verlieren.
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Fast der gesamte Handel mit geschützten Schlangenarten betrifft Riesenschlangen
und dieser würde nach Erlassung eines Haltungsverbots im Untergrund stattfinden.
Dabei macht es für den Käufer dann keinen Unterschied mehr, ob ein Tier legal
importiert wurde. Dies ist eine wesentliche Verschlechterung, denn momentan sind
im Anhang A gelistete Tiere ohne CITES-Papiere praktisch unverkäuflich. Der Markt
für Anhang B – Exemplare besteht nahezu ausschließlich aus nachgezüchteten
Tieren. Ohne eine Möglichkeit, diese legal zu verkaufen, würden zukünftig
wahrscheinlich vermehrt Wildfänge angeboten werden, deren unkontrollierte
Entnahme die Bestände gefährden kann.
Vermutlich würden nach einem partiellen Verbot der Reptilienhaltung auch viele
Besitzer nicht davon betroffener Arten von einer behördlichen Meldung ihrer Tiere
absehen, um in Anbetracht der Möglichkeit einer Ausweitung vorsorglich anonym zu
bleiben - selbst wenn dies bedeutet, dass sie für legale Nachzuchten keine CITESPapiere beantragen können. In diese Richtung ist sicher schon durch die bisherige
Diskussion Schaden entstanden.
Tierhalter sind prinzipiell den Tieren gegenüber positiv eingestellt und daher
empfänglich für Aufklärung. Ohne Bestandsmeldungen verliert die Behörde aber
jeglichen Einfluss auf die Haltungsbedingungen, was massive Verschlechterungen im
Tierschutz zur Folge hat. Auch der Antrag 1274/A(E) erwähnt, dass es unmöglich ist,
die Pflegebedingungen von der Behörde nicht gemeldeten Schlangen zu
überwachen, nimmt aber eine weitere Verschärfung des Problems in Kauf.
Andere unweigerliche Folgen einer Kriminalisierung von Haltern sind: Entkommene
Tiere werden nicht gemeldet und verleugnet, bei einem Biss scheuen sich die Halter
medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen und erkrankte Tiere werden nicht zum
Tierarzt gebracht.
Aufgrund der Langlebigkeit von Reptilien ist eine Reduktion der Bestände durch
natürlichen Abgang eine Frage von Jahrzehnten. Beispielsweise kann eine
Königspython (Python regius) nachweislich bis zu 48 Jahre lang leben. Eine
Verpflichtung die Tiere abzugeben ist rechtlich kaum durchsetzbar – denn was soll
ein Halter machen, wenn niemand seine Tiere haben will – und eine
Beschlagnahmung wäre mit der Unmöglichkeit tausende Tiere unterzubringen und
horrendem Finanzbedarf verbunden. Letztendlich bliebe nur die Tötung als aus Sicht
des Tier- und Artenschutzes verwerflichste Lösung übrig.
Private Schlangenhaltung ist die effektivste Methode, Vorurteile gegen diese
Tiergruppe zu überwinden, die ein sinnloses Erschlagen in der Natur zur Folge
haben, denn jeder Halter bewirkt meist eine positive Beeinflussung von vielen
Menschen in seinem sozialen Umfeld. Aufklärungen über die reale Gefährlichkeit
sowie ein Abbau des weit verbreiteten Ekels und von Phobien sind wichtig für den
Artenschutz. Wie leicht ein schwach begründeter Antrag zu einem weit reichenden
Verbot der Schlangenhaltung im Nationalrat angenommen wurde, ist ein deutlicher
Beleg dafür, dass Ressentiments gegen diese Tiere nach wie vor weit verbreitet sind.
Unter den Haltern von Riesen- und Giftschlangen bzw. deren Vereinen befinden sich
sehr engagierte Unterstützer von diese Tiergruppen betreffenden Artenschutz- und
Forschungsprojekte. Terrarianer sind nachweislich sehr effektiv im Aufspüren von
unentdeckten Arten und bereiten so oftmals die Basis für eine wissenschaftliche
Erforschung der Biodiversität. Ist die Haltung von Tieren illegal, können
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Beobachtungen nicht mehr publiziert werden und der Wissenszuwachs verlangsamt
sich erheblich. Die Expertise und den Forscherdrang der privaten Tierhalter durch
Verbote zu vernichten, hieße Arten die Chance nehmen rechtzeitig erkannt und
geschützt zu werden.
Niemand wird außer Frage stellen, dass eine Einschränkung der persönlichen
Freiheit dort gerechtfertigt ist, wo andere geschädigt oder in Gefahr gebracht werden.
Aber dieser Grundsatz muss mit Augenmaß angewendet werden. Ein Verbot der
Haltung potentiell gefährlicher Reptilien wird wesentlich mehr Schaden anrichten als
tatsächliche Bedrohungen beseitigen. Sinnvoller wäre es daher, eine Haltung unter
strengen Sicherheitsauflagen und behördlicher Kontrolle zu gestatten.
Allgemeine Bemerkungen
Die überregionale Vereinheitlichung ist ein notwendiger Schritt, um gesetzliche
Vorschriften im Tier- und Artenschutz an die zunehmende Mobilität der Menschen
und die Öffnung der Märkte anzupassen. In dieser Hinsicht sind alle drei Anträge
positiv zu bewerten. Ihre Begründung ist allerdings insofern dürftig, als die
aufgestellten Behauptungen nicht durch Daten untermauert werden und keine über
den Einzelfall hinausgehende Relevanz nachgewiesen wird. Problematisch ist vor
allem, dass viele Konsequenzen unberücksichtigt bleiben. Um zu sinnvollen
Regelungen zu gelangen müsste man aber die negativen Folgen der Verbote und
Auflagen ihren positiven Auswirkungen gegenüberstellen. Dabei zeigt sich deutlich,
dass auf manchen der vorgeschlagenen Wege Missstände nicht beseitigt, sondern
dem Zugriff der Behörden entzogen werden.
Das wahrscheinlich wichtigste Recht eines jeden Menschen ist es, seine
Überzeugungen frei wählen und seine Handlungen danach ausrichten zu dürfen –
solange er nicht andere damit übergebührlich beeinträchtigt. Darunter fällt auch der
Wille zum Schutz anderer Lebewesen. Von Religion und Ethik stark beeinflusst und
deshalb der Wissenschaft in letzter Konsequenz nicht voll zugänglich differieren die
Ansichten zu diesem Thema über einen weiten Bereich. Der Jainismus hält das
Prinzip des Ahimsa (der Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen) so hoch, dass
manche seiner Anhänger in Angst davor leben, versehentlich ein Insekt zu
verschlucken oder beim Pflügen des Bodens einen Wurm zu verletzen. Dies wird den
meisten Menschen extrem vorkommen und es gibt einige pragmatische Argumente
die gegen eine solche Weltsicht spricht, aber nichts kann eine solche Ansicht
falsifizieren. Eine in unserer Kultur vorkommende, weniger extreme Ansicht ist, dass
man Tiere nicht töten oder einsperren darf. Auch das ist eine legitime Meinung,
allerdings bezieht sie im Gegensatz zum Jainismus viel stärker das Verhalten
anderer Menschen ein. Nichts spricht aber dagegen, dass die Anhänger dieser
Meinung Überzeugungsarbeit leisten und ihre Anschauungen damit zu mehr
Verbreitung verhelfen wollen. Hingegen wird das Bestreben anderen Menschen eine
ihnen ungeliebte Lebensweise aufzuzwingen Konflikte hervorrufen. Auch dies lässt
sich im gesellschaftlichen Zusammenleben nicht immer vermeiden. An dieser Stelle
ist die Politik gefordert einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, mit dem nach
Möglichkeit alle leben können. Dies ist eine zweifellos heikle und schwierige Aufgabe
zu deren Bewältigung man sich umfassend informieren, alle Seiten hören und
sämtliche Argumente abwägen sollte, bevor eine Entscheidung fällt. Eine solche
Vorgehensweise lassen die vorliegenden Anträge schmerzlich missen. Die Freude
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an der Pflege von Reptilien und Amphibien ist eine lehrreiche Freizeitbeschäftigung,
die heute von vielen Menschen geteilt wird und man sollte die Stichhaltigkeit der
Gründe genau hinterfragen, mit denen sie immer mehr eingeschränkt werden soll.
Ein wichtiges Prinzip, das der Jainismus enthält, wird nämlich in unserer Kultur nicht
als Tugend angesehen: Satya (die Wahrhaftigkeit). Der Zweck heiligt da schon eher
die Mittel und so wird von manchen Gruppen seit Jahren vehement gegen
unsagbares Leid durch verantwortungslose private Halter von "exotischen" Tieren
Stimmung gemacht. Es wird laufend auf die große Gefahr, die von diesen Tieren
ausgeht hingewiesen und sie werden als Quelle tödlicher Zoonosen dargestellt.
Diese Behauptungen beruhen zweifelsohne auf realen Einzelfällen, können aber
einer kritischen Analyse bezüglich des wahren Ausmaßes nicht standhalten. Die
Wahrheit wird hier zuweilen leichtfertig als Bauernopfer im Kampf für ein rational
nicht begründbares völliges Haltungsverbot für "Exoten" eingesetzt.
Wenn Tierschützer dogmatisch und wider alle Argumente Änderungen fordern, die
summarisch Verschlechterungen im Tier- und Artenschutz nach sich ziehen, sollten
Behörden und Politiker sich dem nicht anschließen. Es gibt einen großen
Unterschied zwischen falsch verstandener Tierliebe und einem auf breitem
gesellschaftlichem Konsens beruhenden Tierschutz der auch die Ziele des
Artenschutzes berücksichtigt. In weiten Teilen Mitteleuropas hat Panikmache viel
mehr als eine reale Gefahr zur Ausrottung von Wolf, Bär und Luchs geführt. In
Zeiten, in denen der Artenschutz soweit fortgeschritten ist, dass diese Tiere langsam
wieder bei uns heimisch werden können, sollte nicht auf anderen Gebieten durch das
Schüren übertriebener Ängste Schaden angerichtet werden.
Tierquälerisch schlechte Haltung ist auch bisher schon strafbar gewesen. Soweit die
beantragten Verbote daher zum Ziel haben, diese zu unterbinden, wird der
gewünschte Effekt ausbleiben. Tierquäler die sich bisher nicht um die Einhaltung
bestehender Vorschriften gekümmert haben, werden ihr Verhalten nicht ändern,
sollten sie zukünftig gegen mehr als ein Gesetz verstoßen. Zielführend ist nur die
Einhaltung der Gesetze besser zu überwachen und mehr Aufklärungsarbeit zu
betreiben.
Eine wirkungsvolle Beseitigung von Missständen in der Pflege von Reptilien und
Amphibien wird derzeit teilweise von einer dogmatischen Ablehnung jeglicher
(privaten) Haltung dieser Tiere behindert. Durch eine ehrliche Zusammenarbeit
zwischen Haltern und Tierschützern könnten sicher mehr Verbesserungen erreicht
werden als mit immer neuen Anträgen für Verbote, die letztendlich nur das Ziel
verfolgen ein völliges Haltungsverbot durchzusetzen.
Literatur
Beckstein, R. (2009) Gefährliche Tiere in Menschenhand. Dissertation an der
Tierärztlichen Fakultät der Universität München. 293S.
Benyr, G. (1996) Vorschriften und Förderung der Eigenverantwortung als Wege zur
Verbesserung der Haltungsbedingungen von Reptilien und Amphibien.
Herpetozoa 8(3/4): 169 – 178.
Benyr, G. (2008) Über die Haltung von potentiell gefährlichen Reptilien. ÖGH-Aktuell
21: 8-10.
9
Werning, H. (2007) Verbot der privaten Haltung "gefährlicher Wildtiere" in Hessen –
ein politischer Skandal. Reptilia 12(6) 68: 5-12.
[1] http://oesv1.orf.at/stories/96987
[2]
http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/660664/Tausende-Verletztedurch-Hundebisse
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