Thema der Facharbeit: Die Kita als vornehmlich weiblich geprägte
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Thema der Facharbeit: Die Kita als vornehmlich weiblich geprägte
Name des Verfassers: Kahlert, Krischan Anschrift des Verfassers: Gutzkowstr. 8A 10827 Berlin Telefonnummer des Verfassers 030 / 633 724 15 Thema der Facharbeit: Die Kita als vornehmlich weiblich geprägte Bildungsinstitution und ihre möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Geschlechtsidentität Fachschule: Sozialpädagogisches Institut „Walter May“ Anschrift der Fachschule Hallesches Ufer 32-38 10963 Berlin Kurskoordinatorin: Martina Knebel Betreuerin der Facharbeit: Birgit Hoppe Kurs des Verfassers: EV 7 Termin für das Kolloquium: 29.11.2010 Datum der Abgabe: 10.11.2010 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung S. 3 2. Theoretische Grundlagen S. 5 2.1. Die Kita als weiblich geprägte Einrichtung S. 5 2.2. Sex und Gender S. 7 2.3. Identität nach Mead S. 8 2.4. Identifikation mit dem eigenen Geschlecht S. 9 2.4.1. Geschlechtsrollenidentifikation als soziales Lernen S. 9 2.4.2.Geschlechtsrollenidetifikation als kognitive Leistung S. 9 2.4.3. Psychosexuelle Identifikation nach Freud S. 10 2.5. Die Entwicklungspsychologie nach Erikson S. 11 3. Die Entwicklung der Geschlechtsidentität entlang der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie nach Erikson S. 15 3.1. Entwicklung der Geschlechtsidentität auf der 1. Stufe S. 15 3.2. Entwicklung der Geschlechtsidentität auf der 2. Stufe S. 18 3.3. Entwicklung der Geschlechtsidentität auf der 3. Stufe S. 22 4. Versuch einer Darstellung einer geschlechtsbezogenen Erziehung S. 26 4.1. Unter dem Aspekt des Raumes S. 26 4.2. Unter dem Aspekt des Verhaltens der EzieherInnen S. 32 5. Fazit S. 36 Literaturverzeichnis S. 38 2 1. Einleitung: Das Geschlecht ist als Strukturkategorie das wichtigste Merkmal zur Unterscheidung von Menschen und übertrifft andere Strukturkategorien wie Klassenzugehörigkeit und Ethnizität in seiner Brisanz. Die Welt teilt sich in zwei Hälften, in eine Welt der Frauen und in eine der Männer. Ich erlebe diese strenge Einteilung jeden Tag. Sind die Haare für einen Mann ein wenig zu lang oder hat das T-Shirt die falsche Farbe, schon scheint die eigene Männlichkeit in Gefahr. Anhand der Geschlechtereinteilung wird oft scheinbar natürlich entschieden, welche Freunde wir haben oder welchen Beruf wir wählen. Trotz zahlreicher Veränderungen in den Geschlechterrollen - insbesondere seit Ende der 60er Jahre-, finden sich immer noch viele geschlechtsbezogene Ungleichheiten in der heutigen Gesellschaft. Dies kann man selber gut überprüfen, indem man seine eigene Biographie bezüglich der Fragestellung „Was wäre anders gelaufen, wenn ich mit dem anderen Geschlecht geboren worden wäre?“ reflektiert. In einer Umfrage in meiner ErzieherInnenklasse stellte sich heraus, dass alle SchülerInnen mindestens einen Faktor nennen konnten, in dem ihr Leben mehr oder weniger entscheidend durch ihr Geschlecht beeinflusst wurde. Während meines ersten Fachpraktikums in einer Kita wunderte ich mich, wie früh die Kinder die typischen Geschlechterrollen klischeehaft abbilden. Die Mädchen trugen vornehmlich pinke Kleidung und spielten am liebsten mit Puppen. Die Jungen spielten hauptsächlich Fußball oder in der Bauecke. Ich fragte mich, wie in einer Zeit, in der die Unterschiede auf körperlicher Ebene noch kaum ausgeprägt sind, die Unterschiede im Verhalten so auffällig sein können und das in einer Lebensphase, in der die Kinder oft als „vorgeschlechtlich“ oder „geschlechtsneutral“ wahrgenommen werden. Kinder kommen heute immer früher - teilweise bereits mit weniger als einem Jahr - in Bildungsinstitutionen. Daher ist es für ErzieherInnen wichtig, sich mit der Entwicklung der Geschlechtsidentität in den ersten sechs Jahren auseinanderzusetzen, um beiden Geschlechtern die Chance einzuräumen, eine individuelle – also nicht ausschließlich das in unserer Gesellschaft herrschende binäre System reproduzierende – Geschlechtsidentität zu entwickeln. Die ersten Bildungsinstitutionen, gerade die Kitas, sind dadurch gekennzeichnet, dass sie vornehmlich weiblich geprägt sind. Wie wird die Entwicklung der Geschlechtsidentität dadurch beeinflusst, dass die Räume in denen sich die Kinder bewegen, die Angebote die durchgeführt werden und die Bindungen zu den Kindern durch weibliche Muster geprägt sind? 3 Weil ich als Mann in der Frauendomäne Kita tätig bin, ist für mich die Kategorie „Geschlecht“ stets präsent. In jedem meiner Praktika spürte ich sowohl Erwartungen an mich wie auch Bedenken gegen mich, die nur durch mein Geschlecht begründet waren. Aus diesen Erfahrungen resultiert die vorliegende Arbeit. In meiner Arbeit gehe ich der Fragestellung „Welche Auswirkungen hat die Kita als vornehmlich weiblich geprägte Bildungsinstitution auf die Entwicklung der Geschlechtsidentität der Kinder?“ nach. Dabei möchte ich folgendermaßen vorgehen: Beginnen werde ich den theoretischen Teil damit, die weibliche Dominanz der Kita heutzutage anhand ihrer Geschichte darlegen. Im Anschluss möchte ich eine Einführung der Begriffe „Sex“ und „Gender“, die den Diskurs um die Geschlechtsidentität maßgeblich bestimmt haben, geben und darauf aufbauend meinen „Genderbegriff“ darlegen. Danach werde ich die drei wichtigsten Theorien der Geschlechtsidentifikation, die Geschlechtsidentifikation als Geschlechtsidentifikation kognitive Leistung als soziales und die Lernen, die psychosexuelle Geschlechtsidentifikation, kurz zusammenfassen. Abschließen möchte ich den theoretischen Teil mit einer kurzen Darstellung des Identitätsbegriffes nach George Herbert Mead. Im dritten Teil meiner Facharbeit werde ich entlang der ersten drei Phasen der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie von Erikson die Entwicklung der Geschlechtsidentität darstellen. Dies geschieht unter der Berücksichtigung der weiblichen Dominanz in den Krippen und Kindertagesstätten. Die Erkenntnisse werden auf mein zukünftiges Arbeitsfeld die Krippe und die Kindertagesstätte bezogen und ihre Relevanz für ErzieherInnen. Die Phasen der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie dienen in diesem Zusammenhang der Einteilung der ersten sechs Jahre in drei Einheiten und dem besseren Verständnis der gerade aktuellen Thematiken die das Kind beschäftigen, die anhand der Krisen von Erikson beschrieben werden. Der letzte Teil meiner Arbeit soll nun ein Ausblick darauf geben, wie geschlechtsbewußte Erziehung in Krippen und Kindertagesstätten aussehen kann. Dies wird im Besonderen unter Berücksichtigung des Verhaltens der ErzieherInnen und der Gestaltung der Räume thematisiert. Dies werde ich anhand eines Praxisbeispiels veranschaulichen. 4 2. Theoretische Grundlagen: 2.1. Kita als weiblich geprägte Bildungseinrichtung In diesem Kapitel möchte ich auf die traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit eingehen und wie sie die Entstehung der Kita als weiblich dominierte Bildungsinstitution und auch die aktuelle Situation in den Kitas geprägt haben und immer noch prägen. Die Beziehungen von Menschen in Institutionen sind von geschlechterbezogenen Mustern geprägt. Wie Weiblichkeit und Männlichkeit konstruiert werden, hängt vom Geschlechtersystem der jeweiligen Lebenswelt ab (vgl. Rohrmann, 2009). Bei der Entstehung der sozialen Arbeit im neuzeitlichen Sinn herrschte in der damaligen patriarchalischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts die Meinung vor, dass die soziale Arbeit dem „natürlichen Wesen“ der Frau entspreche. Die vorherrschenden Geschlechterstereotype sahen für die Frau hauptsächlich die Zuständigkeit für Haushalt und Erziehung vor. Durch die Nähe der sozialen Arbeit zur Mutterschaft und durch die von der Gesellschaft definierten Vorstellung, von Mütterlichkeit schien die Frau wie geeignet für den Beruf mit Kindern. „Kein Beruf aber ist dem weiblichen Geschlecht angemessener als derjenige, der dem Mutterberuf am nächsten kommt, der Beruf der Kindergärtnerin des heranwachsenden Geschlechts.“ (Goldschmidt, 1911, S.9, zit. nach Marth, 2005, S. 12) (vgl. Rohrmann, 2009, S.48) Noch heute ist der Bereich der Erziehung ein Bereich in dem Geschlechterstereotype besonders deutlich zutage treten. Noch immer wird die Tätigkeit des Erziehens nicht als professionelle Tätigkeit angesehen, sondern als natürliche Fähigkeit der Frau. Durch die scheinbar natürliche Verbindung von Mutterschaft und Arbeit mit Kindern scheint es so ungewöhnlich für einen Mann sich für diesen Beruf zu interessieren, dass auf äußerst kritische Weise nach seiner Motivation hierfür gesucht wird. verschiedentlich mit Vorbehalten konfrontiert, die von der So sah ich mich Infragestellung meiner Männlichkeit, bis zum Vorwurf eines sexuellen Interesses meinerseits an den Kindern reichten. Hinzu kommt, dass der Beruf des Erziehers mit der stereotypen Männerrolle unvereinbar ist, weil er einen geringen gesellschaftlichen Status hat und durch den geringen Verdienst und die häufige anzutreffende Form der Teilzeitarbeit nicht taugt, um eine Familie zu ernähren. 5 Diese Dinge führen in der Konsequenz zu der heutigen Situation. Nur 3,18% der pädagogischen Fachkräfte in den Kindertagesstätten sind Männer und dieser Anteil scheint den (scheinbar) aufbrechenden traditionellen Geschlechterrollen zum Trotz nur marginal anzusteigen (2,56% im Jahr 1998)(vgl. Statistisches Bundesamt, 2008a, 2008b). In vielen Kitas ist daher kein einziger Mann zu finden. Erstaunlich finde ich die unübersehbaren Übereinstimmungen zwischen der Struktur der Kita und der traditionellen Familienform. Es herrscht übereinstimmend eine „klassische“ Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern vor. Liegt der Anteil der pädagogischen Fachkräfte bei 3,18%, so liegt der Anteil von Männern am gesamten Personal von Kindertagesstätten bei 5,37% (vgl. Statistisches Bundesamt, 2008a, 2008b). Dies erklärt sich durch den höheren Anteil an Männern im hauswirtschaftlich-technischen Bereich. Darüber hinaus ist das Alter der zu betreuenden Kinder für die Größe des männlichen Personals in der Kita ein ausschlaggebender Faktor. Je jünger die Kinder sind, umso geringer ist der Anteil der Männer. Denn während der Anteil der Männer wie bereits erwähnt bei 3,18% liegt, so ist er in der Krippe nicht höher als 1,2%. In der Grundschule steigt der Anteil bereits auf 13,1% und ist am Gymnasium bereits fast ausgeglichen mit 46,9% (vgl. Statistisches Bundesamt, 2008b). Dies bedeutet, dass Männer in traditionellen Familienstrukturen ebenso wie in der Kita den Kindern erst mit 3 Jahren überhaupt begegnen. Umso jünger das Kind desto mehr scheint es in Verantwortungsbereich der Mütter/ Frauen zu liegen. In der psychoanalytischen Phasenlehre von Freud, auf die ich später noch eingehen werde, bekommt der Vater ebenfalls erst in der phallischen Phase (4. – 5. Lebensjahr), in der sich die ersten deutlichen Geschlechtsunterschiede zeigen, Bedeutung. Ebenfalls begegnen dem Kind in der Kita nahezu keine Männer im erzieherischen Alltag, sondern lediglich bei Reparaturbedarf. Die erste Bindungsperson in der Kita wie in der Familie bleibt meist eine Frau. Die Kita bildet hier vorhandene Geschlechterstereotype in der Gesellschaft ab. Die Dominanz der Frauen (97% des pädagogischen Personals) in Kindertageseinrichtungen prägt diesen Raum als einen „weiblichen Raum“, in dem als weiblich geltende Beziehungsmuster und Gestaltungsmerkmale vorherrschen. Dies zeigt sich z.B. in der räumlichen Gestaltung und in der materiellen Ausstattung, in den pädagogischen Angeboten und in den Reaktionen auf die Verhaltensweisen der Kinder. Dies bedeutet ebenfalls, dass bestimmte „jungentypische“ Verhaltensweisen wie Raufen oder Toben oder der Umgang mit Werkzeug Erzieherinnen oft fremd ist und daher nicht ausreichend in ihrem pädagogischen 6 Handeln aufgegriffen wird. Vorherrschend in den Kitas sind dagegen Angebote zur Förderung von Fertigkeiten und Verhaltensweisen, die tendenziell eher als mädchentypisch begriffen werden, wie z.B. Malen, Basteln oder Rollenspiele. In der Institution Kindertageseinrichtung ist also von der Existenz eines „heimlichen Lehrplans“ auszugehen, der entgegen der offiziell bekundeten Absicht der ErzieherInnen den koedukativen Alltag häufig durch unreflektierte Geschlechterstereotype bestimmt (vgl. Rohrmann, 2009). Die bereits erwähnte Vorstellung einer natürlichen, intuitiven Mütterlichkeit als wesentliches Merkmal des Erziehungshandelns steht im starken Zusammenhang mit der heute immer noch vorherrschenden Betonung von Heimelichkeit und Gemütlichkeit in Kindertagestätten. Nach Friis (2008) steht die gesellschaftliche Funktion der Kita und ihre weibliche Kultur im Zusammenhang mit dem Mythos der „guten Mutter“, die zu Hause bleibt, wenn die Kinder klein sind und ihre Karriere opfert. Dementsprechend werden in Kindertagesstätten die Werte der Häuslichkeit und Weiblichkeit betont, damit sie nicht gegen den Mythos der „guten Mutter“ verstoßen und es den Müttern leichter fällt ihre Kinder dort zu lassen. Die Betonung von Weiblichkeit und Häuslichkeit steht einer Professionalisierung des Erzieherberufes entgegen sowie einer Gestaltung der Kita als professionelle Bildungseinrichtung. 2.2. Sex und Gender Lange wurde das Geschlecht als biologische Eigenschaft verstanden, die man in keiner Weise beeinflussen kann. Aus dieser Sicht ist mit der Geburt nicht nur die körperliche Grundausstattung gegeben, sondern es sind bereits die wesentlichen Züge der noch ungeschriebenen Biographie festgelegt. Nach dieser Auffassung entpuppt sich das Geschlecht als Schicksal. Die zweite Frauenbewegung in den 50er/60er Jahren wollte die Schicksalhaftigkeit des Geschlechts nicht mehr anerkennen und verwies statt dessen auf die Rolle der Erziehung und den Druck einer Gesellschaft, die nur zwei geschlechtliche Identitäten kennt und zudem noch ziemlich strenge Vorstellungen davon hat, wie diese im Einzelnen gefüllt werden sollen. Zu dieser Zeit kam es erstmals zu einer Differenzierung des Geschlechtsbegriffs, in ein biologisches Geschlecht (Sex) und ein soziales Geschlecht (Gender). Die Trennung richtete sich gegen die damals geltenden Herrschaftsverhältnisse und hatte in der patriarchalen Gesellschaft einen großen emanzipatorischen Effekt. 7 Diese Unterscheidung wurde von Judith Butler in „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1991) dekonstruiert und an ihr logisches Ende gedacht. Bei Butler entpuppen sich die biologischen Merkmale von Geschlecht ebenfalls als Konstruktion, da es kulturell bedingt ist, was wir als einen weiblichen Körper und einen männlichen Körper wahrnehmen. Die Erziehung und der Druck der Gesellschaft machen also nicht halt vor unserem Körper, den wir je nach kulturellen Werten und Normen sehr verschieden wahrnehmen. Bis heute streiten sich die Gelehrten über die Frage, inwiefern Geschlechtlichkeit eine biologische Grundlage hat. Der Versuch, dieser Frage zu beantworten würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Festzuhalten bleibt dennoch, dass in zahlreichen Untersuchungen festgestellt wurde, dass die Unterschiede innerhalb eines Geschlechts größer sind als die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Fest steht ebenfalls, dass die Vorstellungen davon, was das jeweilige Geschlecht ausmacht und wie die Geschlechterrollen interpretiert werden, kulturell stark unterschiedlich sind. Dies spricht eindeutig gegen eine rein biologische Erklärung der Unterscheidung in zwei Geschlechter. Aufgrund dieser Erkenntnisse hat sich in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften eher eine Haltung durchgesetzt, die eine biologische Determination ablehnt. Aber auch neuere medizinische Definitionen von Geschlecht sind multidimensional und beziehen das soziale Geschlecht in die Definition mit ein. Daher ist es meines Erachtens wünschenswert, dass ErzieherInnen mit dieser Problematik vertraut werden, damit sie ein Programm jenseits von Geschlechtsstereotypen anbieten und auf diese Weise den Entwicklungsspielraum der Kinder vergrößern können. 2.3. Identität nach Mead Nach Mead entsteht Identität hauptsächlich in Interaktionsprozessen mit anderen. Die Identität des Menschen wird, nach Mead, aus zwei Anteilen gebildet. Zum einen aus dem „I“ (übersetzt oft als: „impulsives Ich) und zum anderen aus dem „Me“ („reflektiertes Ich“). Das „Me“ bezeichnet den gesellschaftlich gespiegelten Anteil der Identität, also den Anteil den wir über uns selbst in Interaktionen mit anderen lernen. Dies geschieht, indem wir die Reaktionen der Umwelt auf uns selbst und unser Verhalten beobachten. Spiegelt die Umwelt einer Person wider, dass sie eine Frau ist, so bildet sich in der Identität der Person ebenfalls ein Gefühl dafür eine Frau zu sein ab. 8 Das „I“ bildet nun die persönliche, subjektive Instanz der Identität, die auf die Reaktionen der anderen reagiert, also sich gegebenenfalls identifiziert oder ablehnt. 2.4. Die Identifikation mit dem eigenen Geschlecht: 2.4.1. Geschlechtsrollenidentifikation als soziales Lernen Die Theorie des sozialen Lernens, die auf die Geschlechtsrollenidentifikation angewandt wird geht auf Mischel (1971) zurück. In diesem Erklärungsansatz wird von den allgemeinen Gegebenheiten des Lernens ausgegangen. Verhaltensweisen und Reaktionen, die verstärkt werden, behält man bei und solche, die keine Bekräftigung erhalten werden aus dem Verhaltensrepertoire gestrichen. In der Gesellschaft besteht ein Werte- und Normensystem, das festlegt, welche Verhaltensweisen für welche Geschlechterrolle angemessen sind. Durch die sozialen Normen begründet geht dieser Erklärungsansatz davon aus, dass die meisten Eltern den Wunsch hegen, dass ihr Junge sich wie ein „richtiger“ Junge verhält und zu einem „richtigen“ Mann wird und ihr Mädchen sich wie ein „richtiges“ Mädchen verhält und zu einer „anständigen“ Frau wird. So belohnen die Eltern das kleine Mädchen mit Worten oder Geschenken für sein Interesse an Puppen und an hausfraulichen Tätigkeiten. Dem Jungen schenken sie Baukästen und technisches Spielzeug und zollen ihm Anerkennung, wenn er keine Angst zeigt und sich bei Gleichaltrigen durchsetzt. Auf diese Weise entsteht für das Kind nach der Auffassung der Theorie über soziales Lernen die folgende Logik beim Geschlechterrollenerwerb: Ich will belohnt werden und da ich für maskuline/feminine Aktivitäten belohnt, verhalte ich mich maskulin/feminin. Die permanente Verstärkung geschlechtsspezifischen Verhaltens, führt dazu, dass sich das Kind in seiner Umwelt nach Geschlechtsvorbildern umsieht und sich zugleich mit den Personen identifiziert, die es für sein Verhalten besonders belohnen, z.B. Eltern oder Erzieher. (vgl. Oerter/ Montada, 2002) 2.4.2. Geschlechtsrollenidentifikation als kognitive Leistung Die Theorie der Geschlechtsrollenidentifikation als kognitive Leistung geht auf Kohlberg (1974) zurück. Sie stellt die enorme Erkenntnisleistung, die nötig ist, um zu verstehen, was der entsprechenden Geschlechterrolle entspricht, in den Mittelpunkt. Diese Tatsache wird in den beiden anderen Ansätzen nur beiläufig behandelt. 9 Einem richtigen Rollenverhalten muss eine zutreffende Rolleninterpretation vorausgehen. Soll das Kind einer geschlechtsspezifischen Rollenerwartung entsprechen, so muss es diese zuerst richtig erkannt haben. Dafür sind bestimmte Erfahrungen wie auch eine bestimmtes Wissen erforderlich. Nach Kohlberg besteht der Prozess der Geschlechterrollenidentifikation in einer Kette interaktiv erworbener, kognitiver Leistungen. Dadurch, dass das Kind erkennt, dass es zwei Geschlechter mit unterschiedlichen Aufgaben gibt, bringt es eine erste Ordnung in die soziale Welt. Es unterscheidet sie nach Vätern und Müttern, stark und schwach, draußen und zu Hause. Nachdem sich das Kind in seiner zweigeteilten sozialen Umwelt einmal zugeordnet hat, gewissermaßen sein Geschlecht erkannt hat, wählt es aktiv aus seiner Umwelt aus, was zu ihm passt. Dieser Vorgang hat zwei Seiten: Zum einen findet das Kind in der Umwelt Verhaltensmuster und –vorschriften, die zu seinem Geschlecht passen, zum anderen aber hat es eigene Bedürfnisse und Erfahrungen und muss die externen Modelle (Vater, Mutter, andere Erwachsene, Geschwister) mit den eigenen Möglichkeiten konfrontieren. Je nachdem was die Umwelt anbietet und was an persönlichen Möglichkeiten da ist, fällt daher die Geschlechterrollenidentifikation individuell verschieden aus. Die Logik, die der Geschlechterrollenidentifikation zugrunde liegt, ist folgende: „Ich bin ein Junge/ (Mädchen) und deshalb möchte ich das tun, was ein Junge/ (Mädchen) tut“. Das Verständnis von Geschlecht vollzieht sich in einer bestimmten Reihenfolge. 1. Geschlechtsidentität: Die Einstufung seiner Selbst, dann anderer als Junge und Mädchen; 2. Stabilität: Die Erkenntnis, dass das Geschlecht über längere Zeit erhalten bleibt; 3. Motiv: Das Wissen, dass sich das Geschlecht nicht ändern kann, auch wenn man sich dies wünscht; 4. Konstanz: Das Wissen, dass das Geschlecht invariant bleibt trotz der Veränderung von Aktivitäten sowie der Veränderung in der äußeren Erscheinung und in den Einstellungen. (vgl. Oerter/ Montada, 2002) 2.4.3. Psychosexuelle Identifikation nach Freud Um die Theorie der psychosexuellen Entwicklung verstehen zu können, muss man zwei Sachverhalte kennen. Zum einen den nach Freud sehr wichtigen Einfluss des Sexualtriebs 10 für Entwicklung und Sozialisation des Kindes. Der Sexualtrieb - von Freud „Libido“ genannt ist ebenfalls der Hauptantrieb für die Übernahme der Geschlechterrolle. Zum anderen muss man sich der Bedeutung des Begriffes Identifikation als psychoanalytischer Fachterminus klarwerden. In diesem Zusammenhang beschreibt er einen Abwehrmechanismus, der das Versagen von Bedürfnissen durch Integration anderer Personen in die eigene Person zu mindern trachtet. Häufig genannt wird dabei die Identifikation mit dem Aggressor, also einer gehassten oder gefürchteten Person, die man durch die Aufnahme des Feindes in sich weniger fürchten muss, weil sie einem von außen nicht mehr gefährlich werden kann. Der Junge übernimmt durch die Identifikation mit dem Vater, die auf alles Männliche generalisiert wird, auch die geschlechtstypischen Verhaltensweisen des Vaters. Die Identifikation läuft in drei Etappen: 1. im Verlangen nach der Mutter und der daraus resultierenden Angst vor dem Vater 2. in der Identifikation mit dem Vater als Abwehrmechanismus 3. im Aufbau der psychosexuellen Identität als Folge und Generalisierung der Identifiaktion mit dem Vater Der Vater ist das erste und entscheidende Modell für Männlichkeit, die Mutter das für Weiblichkeit. Bei Mädchen verläuft die Geschlechtsrollenidentifikation gegensätzlich. Es löst sich zuerst von der Mutter, weil es ihr nicht verzeihen kann, dass es mangelhaft, nämlich ohne Penis ausgestattet ist. Das verlorene Liebesobjekt wird durch den Mechanismus der Identifikation von innen her ersetzt. Das Mädchen setzt sich an die Stelle der Mutter, wie es in seinen Spiele immer getan hat, will sie beim Vater ersetzen und hasst nun die vorher geliebte Mutter. Sein Verhältnis zum Vater gipfelt nach Freud in dem Wunsch, von ihm zum Geschenk ein Kind zu bekommen. An die Stelle der primären Mutterbindung tritt die Identifikation mit der Mutter. (vgl. Oerter/ Montada, 2002) 2.5. Die Entwicklungspsychologie nach Erikson Aufbauend auf den fünf Phasen der Entwicklung bei Freud hat Erikson seine acht Stufen der psychosozialen Entwicklung erarbeitet. Erikson übernahm die ersten 5 Stufen von Freud und baute sie aus. Des Weiteren fügte er drei weitere Stufen hinzu und gliederte damit die von Freud vernachlässigte Erwachsenenentwicklung. Während Freud sich auf die Beschreibung 11 der intraindividuellen Dynamiken konzentrierte fügte Erikson diesen Beschreibungen eine psychosoziale Dynamik hinzu, wodurch die individuelle Biographie aus dem Zusammenwirken von inneren und äußeren Faktoren erklärbar wird. In Eriksons Vorstellung von Entwicklung muss jeder Mensch auf jeder Stufe eine spezielle Krise bewältigen, von deren Bewältigung der Verlauf der weiteren Entwicklung abhängt. Die einzelnen Stufen sind nicht so klar voneinander angegrenzt, sondern überlappen sich. So können Vorläufer einzelner Krisen bereits in anderen Stufen auftauchen. Ich möchte mich hier auf die Beschreibung der ersten drei Stufen der Entwicklung beschränken, da nur sie für meine Überlegungen wichtig sind. Zusammenfassung der 1. Stufe Urvertrauen vs. Urmisstrauen (1. Lebensjahr) Die Hauptaufgabe für das Neugeborene in dieser Phase stellt das Erwerben eines Urvertrauens dar. Dieses Urvertrauen ist also nicht natürlich vorhanden, sondern entsteht in der Erkenntnis, dass die persönlichen Bedürfnisse übereinstimmen mit der Welt, die einen umgibt. (vgl. Flammer, 2009) Wenn man auf die Welt kommt hat man noch kein Bewusstsein davon, dass man eine eigenständige Person ist, sondern man erlebt sich als identisch mit seiner Umgebung. Dieses ungetrennte Erleben von Umgebung und Selbst bündelt sich in dem Satz: „Ich bin, was man mir gibt“. Alles was man an guten oder schlechten Erfahrungen in dieser Zeit erlebt, wird gerade zu Beginn dieser Phase als identisch mit sich selbst empfunden. Ist man zu mir gut, so erlebe ich mich selbst als gut. Ist das Gegenteil der Fall, so bin ich schlecht. (vgl. Hoppe, 1997) Die entscheidende Aufgabe in dieser Phase ist nun die Entwicklung eines eigenen Ichs, durch die Trennung des Ichs von der Außenwelt, des Nicht-Ichs. Die Abhängigkeit von der Umwelt ist nie wieder so groß, wie zu diesem Zeitpunkt. Man kann sich nicht wegbewegen, sich in kein anderes Leben hineinträumen usw. Das Neugeborene kann seine Bedürfnisse äußern, ist jedoch immer davon abhängig, ob die Äußerungen richtig dekodiert werden und die Bedürfnisse gestillt werden. Von dieser ersten Erfahrung wird man tiefgreifend geprägt. Die Konsequenz heißt entweder: Man entwickelt ein Urvertrauen, die 12 tiefe Überzeugung, dass man das, was man zum Leben braucht auch bekommen wird, dass man sich auf andere –und damit auch auf sich selbst- verlassen kann. Oder es entsteht ein Urmisstrauen: gegenüber den Menschen, sich selbst, gegenüber einer feindseligen Welt, die sich vor einem verschließt, in der man sich ständig gefährdet fühlen muss. (vgl. Hoppe, 1997) Zusammenfassung der 2. Stufe Autonomie vs. Scham und Zweifel (2. und 3. Lebensjahr) Ausgehend von der körperlichen Entwicklung erwirbt das Kind neue Fähigkeiten wie z.B. das Sprechen und das Gehen. Gerade die neu gewonnene Mobilität durch das Gehen gewinnt große Bedeutung (vgl. Flammer, 2009). Nun kann das Kind selbst entscheiden, ob es weggehen und sich so der Situation entziehen möchte. Ebenfalls kann es sich nun auf jemanden aktiv zubewegen. Es ist also weitaus weniger abhängig von der Mutter, nicht mehr nur davon abhängig, dass jemand die Signale richtig deutet und die dahinterstehenden Bedürfnisse stillt. Somit wird laut Erikson ebenfalls die Fähigkeit der Stuhlkontrolle hinzugewonnen. Das Kind kann nun selbst entscheiden wann es ausscheidet und wann eben nicht. Die neuen körperlichen Fähigkeiten lassen nun den Konflikt zwischen Autonomie, Scham und Zweifel entstehen. Denn wenn das Kind seine Fähigkeit weg zu gehen benutzt, um sich einer Situation zu entziehen kann es eben auch schutzlos dastehen. Erfolgt die Loslösung von der Mutter zu früh oder erweist sich die Umgebung als nicht verlässlich genug, so stellen sich Scham und Zweifel ein. Es geht in dieser Phase um Kontrolle und Kontrollverlust. (vgl. Hoppe, 1997) Auf der Ebene der Stuhlkontrolle bedeutet dies vor allem den Erwerb eines Körpergefühls und die Kontrolle über den eigenen Körper. Werde ich gezwungen und kann nicht selber entscheiden, wann ich zur Toilette gehe? Und wie wird damit umgegangen wenn ich dann nicht rechtzeitig zur Toilette gegangen bin und mir in die Hose gemacht habe? In der analen Phase gilt verstärkend: Schädigende Eingriffe von außen, Überforderung und Zwang gegenüber dem Kind, schädigen ein noch nicht entwickeltes Körpergefühl an der Wurzel. (vgl. Hoppe, 1997) In dieser Phase beginnt ein Stadium größerer Unabhängigkeit. Diese Unabhängigkeit lässt sich mit dem Motto: „Ich bin, was ich will“ ausdrücken. 13 Zusammenfassung der 3. Stufe Initiative vs. Schuldgefühl (4. und 5. Lebensjahr) Laut Freud steht im Mittelpunkt dieser Phase die Entdeckung des Geschlechtsunterschiedes. Kinder erkennen und betasten ihre Geschlechtsteile. Daraus ergibt sich die Entwicklung eines bestimmten Körpergefühls, welches meiner Meinung nach ebenfalls kulturell konstruiert wird. (vgl. Hoppe, 1997) Des Weiteren spaltet sich die Beziehung zwischen Mutter und Kind auf. Die symbiotische Beziehung wird aufgelöst und das Kind erkennt zum einen die Wichtigkeit der anderen im Leben seiner Mutter und geht zum anderen seinerseits stärkere Bindungen mit anderen ein, z.B. mit dem Vater. In dieser Phase stehen gleichgeschlechtliche Bezugspersonen laut Erikson Model für die sich entwickelnde Geschlechtsidentität der Jungen und Mädchen und üben darauf einen Einfluss aus. (vgl. Hoppe, 1997) Diese Phase ist bei Freud ebenfalls als ödipale Phase bekannt und beschreibt den Übergang von einer dualen Beziehungsform zu einer triadischen Vater-Mutter-Kind-Konstellation. In dieser Phase beginnen sich die Kinder mit ihren Eltern zu vergleichen und messen sich mit ihnen. Es werden verstärkt Rollenspiele aktuell in denen die Kinder verschieden Rollen ausprobieren, also z.B. „Vater und Mutter“ spielen. Sie entwickeln ebenfalls Pläne für die Zukunft wie z.B. „Ich will später Arzt werden“. Davon ausgehend leitet sich als Motto für diese Phase der Satz ab: „Ich bin, was ich mir vorstellen kann“. (vgl. Hoppe, 1997) Die Frage des Vergleiches, des Sich-Orientierens und Messens verweist zugleich auf die Bildung des Über-Ichs, die sich in dieser Phase vollzieht. Es geht des Weiteren in dieser Phase um die Entwicklung eines gesunden Moralempfindens, welches durch das Über-Ich repräsentiert wird. Das Kind gleicht nun sein Verhalten mit den vorherrschenden Normen und Werten der Gesellschaft ab und kann sich unwohl und beschämt fühlen, unabhängig davon, ob moralwidriges Verhalten entdeckt wird oder nicht. 14 3. Die Entwicklung der Geschlechtsidentität entlang der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie nach Erikson 3.1. Entwicklung der Geschlechtsidentität auf der 1. Stufe Schritte der Entwicklung: Es ist nach neueren empirischen Untersuchungen davon auszugehen, dass Kindern bereits im ersten Lebensjahr zu einer Geschlechterunterscheidung fähig sind (vgl. Rohrmann, 2009). Demnach können Babys mit drei, aber spätestens mit sechs Monaten bereits die Stimmen von männlichen und weiblichen Erwachsenen unterscheiden. Mit neun bis zwölf Monaten gelingt ihnen auch eine Unterscheidung von männlichen und weiblichen Gesichtern (vgl. Fagot/Leinbach, 1993; Trautner, 2002). Es kann davon ausgegangen werden, dass Kinder mit Ende des ersten Lebensjahres recht gut zwischen Männern und Frauen unterscheiden können. Die Unterscheidung zwischen Jungen und Mädchen gelingt jedoch erst später. Diese ersten Unterscheidungen orientieren sich jedoch zunächst vorwiegend an äußeren Merkmalen, insbesondere an Haaren und Kleidung (vgl. Volbert, 1999). Eine Unterscheidung der Geschlechter aufgrund von biologischen bzw. anatomischen Unterschieden gelingt den Kindern erst gegen Ende des Kindergartenalters (vgl. Volbert, 1999). Frühe Sozialisation: Die erste und häufig wichtigste Frage bei der Geburt des Kindes lautet: „Ist es ein Mädchen oder ein Junge?“. Größe und Gewicht des Kindes oder gar die Verfassung der Mutter sind von weniger großem Interesse. Bei der Geburt wird jedem Neugeborenen ein Geschlecht zugeordnet, welches bei den Eltern Erwartungen auslöst, wie das Kind zu sein hat. Ist es ein Mädchen, werden dem Kind weibliche Attribute zugeordnet, einem Jungen werden männliche Attribute zugeordnet. So beschreiben Väter Jungen oft als kräftig und Mädchen gleicher Größe und gleichen Gewichts als zart. Analog zur Theorie der Geschlechtsrollenidentifikation als soziales Lernen wird je nach Geschlecht ein bestimmtes Repertoire, was kulturell mit dem jeweiligen Geschlecht verbunden ist, dem Kind als richtig widergespiegelt und dem Geschlecht nicht angemessenes Verhalten als falsch. Die Annahme von geschlechtsbezogenen Attributen beim Kind führen zu Einstellungen und Verhaltensweisen, die sich bereits in der Interaktion mit dem Kind im ersten Lebensjahr zeigen. (vgl. Mertens, 1996) Neugeborene Jungen werden etwas häufiger gefüttert und ab dem dritten Monat zu mehr Muskelaktivität angeregt, während Mädchen mehr zärtlicher Körperkontakt gegeben wird. 15 Mütter fördern beginnend mit dem dritten Monat bei Jungen im höheren Maße ein explorierendes, selbstständiges und loslösendes Verhalten. Väter neigen schon im ersten Lebensjahr zu geschlechtsdiskriminierendem Verhalten und fördern geschlechtsrollenkonformes Verhalten. (vgl. Mertens, 1996) Was in den Forschungen hauptsächlich auf Familien bezogen empirisch belegt wurde, kann ich nach meinen Erfahrungen auch für die Erzieherin-Kind-Bindung bestätigen. Die Zahl der Kinder unter drei Jahren, die in Kitas oder in der Tagespflege betreut werden, steigt in Berlin deutlich, so dass Kinder bereits in diesem Alter in der Krippe zu finden sind. In dem Kindergarten, in dem ich mein erstes Praktikum absolviert habe, wurden Kinder von null bis sechs Jahren aufgenommen. Es gab ein Kind welches sich im ersten Lebensjahr befand. Im pädagogischen Team befand sich außer mir noch ein weiterer Mann. Die Aufgabenverteilung unter den Geschlechtern war eindeutig. Ich musste während der ganzen Praktikumszeit keine Pflegeleistung übernehmen, also keine Windeln wechseln oder Kinder, die sich in die Hose gemacht hatten abduschen. Meine Versuche, diese Ordnung zu durchbrechen, wurden von den Erzieherinnen abgewehrt, indem man mich auf einen späteren Zeitpunkt vertröstete und niemals darauf zurückkam. Aus meinen Erfahrungen weiß ich, dass in vielen Kitas Männer die kleinen Kinder nicht wickeln dürfen, weil die Eltern etwas dagegen haben. Ich sollte die Kinder nicht nackt sehen, da mir falsche Absichten unterstellt wurden. Die Kinder lernen auf diese Weise, welches Geschlecht für Pflegeleistungen zuständig ist und welches nicht. Übertragung der elterlichen Geschlechtsidentität auf das Kind: Lichtenberg (1989) vermutet, dass die Frage nach dem Geschlecht des Kindes auch deshalb so wichtig ist, weil damit bewusste und unbewusste Erwartungen der Eltern aktualisiert werden. Ausgehend von ihrer eigenen Geschlechtsidentität projizieren sie diese Attribute auf das Kind. Die bewussten Erwartungen resultieren meist aus den gesellschaftlichen Vorstellungen von dem jeweiligen Geschlecht, die unbewussten Erwartungen dagegen oft aus dem konflikthaften Erleben der elterlichen Geschlechtsidentität und dem Umgang damit. Die Eltern entwickeln unbewusst oder bewusst Wünsche, wie ihr Kind sein bzw. werden soll. 16 Nach Spitz (1965) sind Babys die einzigen Mitglieder der Familie ohne Geschichte. Doch durch den eben beschriebenen Prozess werden sie mit einer Geschichte ausgestattet, nämlich mit der ihrer Eltern. Die Erzieherinnen laufen ebenfalls Gefahr ausgehend von ihrer eigenen Geschlechtsidentität die gesellschaftlichen Kategorisierungsprozesse von Geschlecht auf das Kind zu projizieren. Im ersten Lebensjahr werden in der Interaktion mit dem Baby, durch bewusste und unbewusste Einstellungen und Verhaltensweisen der Eltern und ErzieherInnen Bausteine für die Geschlechtsidentität gelegt. Gerade durch die anfangs noch ungetrennte Wahrnehmung von Selbst und Außenwelt (s.o.) werden diese Bausteine als eine Art Basis für die weitere Geschlechtsidentität verankert. Die Kinder lernen sowohl zu Hause als auch in der Krippe, dass Frauen meist ihre Bedürfnisse stillen und Männer eher zum Toben da sind. Ebenfalls wird Jungen und Mädchen in diesem Alter verschiedenes Verhalten als richtig oder falsch widergespiegelt. Jungen bekommen eher die Rückmeldung, dass es in Ordnung ist so viel zu Trinken wie sie wollen, und dass sie mehr Muskelaktivität zeigen dürfen. Mädchen werden eventuell frühzeitig in diesem Verhalten eingeschränkt. Dabei sind nun aber schon Neugeborene keine passiven Behälter für die Erwartungen ihrer Eltern, sondern bringen mit großer Wahrscheinlichkeit unterschiedliche, angeborene Aktivitätsmuster und Möglichkeiten mit, die die Männlichkeit oder Weiblichkeit des kleinen Kindes auf spezifische und individuelle Weise färben könnten. Die Entwicklung der Geschlechtsidentität ist als wechselseitige Beeinflussung zu betrachten (vgl. Mertens, 1996). Die Mutter als Hauptbezugsperson: Im ersten Lebensjahr kann in der traditionellen Familienstruktur von der Mutter als Hauptbezugsperson gesprochen werden. Sie ist zwar nicht die einzige Bezugsperson des Kindes in dieser Phase, jedoch gerade was das in dieser Entwicklungsphase wichtige Herstellen eines Urvertrauens angeht, ist sie meist für das Stillen der Bedürfnisse zuständig. Liegen der Beziehung der Mutter zum Kind meist Pflegeleistungen zu Grunde, so ist die Beziehung des Vaters zum Kind häufig durch andere Akzente gekennzeichnet. Im Gegensatz zur Mutter bringt der Vater das wildere, körperlich ausgelassenere Spiel mit in die Beziehung zum Kind ein (vgl. Mertens, 1996). Wie in der Familie sind in der Krippe fast immer Frauen, die Hauptbezugspersonen. Dies ist alleine schon durch den sehr geringen Anteil an Männern in den Krippen begründet. In den 17 meisten Krippen ist wegen dieses sehr geringen Männeranteils (1,2%) überhaupt kein Mann zu finden, was die Akzente des ausgelasseneren Spiels außen vor lässt. Lang (1984) stellte die These auf, dass im Sozialisationsprozess entsprechend den geschlechtsspezifischen Vorstellungen nur bestimmte Verhaltensweisen gespiegelt und nur bestimmte Eigenschaften zur Idealisierung angeboten werden. Der Prozess der umwandelnden Verinnerlichung ist demnach, als Reaktion der Selbstobjekte, selektiv. Manche Eigenschaften und Haltungen werden per umwandelnde Verinnerlichung in das Selbst aufgenommen und andere dagegen als nicht zum Selbst gehörend ausgeschlossen. Da Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen in der Regel nicht nur vom elterlichen Selbstobjekt, sondern auch von anderen familiären und nichtfamiliären Bezugspersonen geteilt werden, erfolgen diese selektiven Spiegelungen und die daraus resultierende Beschränkung und Unterdrückung der nicht zum Selbst passenden Potentiale zumeist recht allgegenwärtig und konsistent. Das erste Selbstobjekt, dessen Funktion im Spiegeln und Akzeptieren von Verschmelzungswünschen von Mädchen besteht, ist die Mutter. Weiblichkeit wird entsprechend dieser Auffassung zuallererst vom mütterlichen Selbstobjekt definiert. Mütter bemerken und spiegeln in erster Linie diejenigen Merkmale und Verhaltensweisen, die dem Weiblichkeitsschema entsprechen. Die Primärsozialisation geschieht also hauptsächlich durch die Mutter, sowohl bei Mädchen, als auch bei Jungen. Daraus kann evtl. geschlossen werden, dass zuerst eine Identifikation mit der Mutter stattfindet und bei Jungen im weiteren Verlauf eine Wertezurücknahme der weiblichen Werte stattfindet. Laut Jordan und Surrey (1986) spiegeln Mütter ihre Töchter häufiger, d.h. sie weisen eine größere Empathie ihnen gegenüber auf. Davon ausgehend kann evtl. von einer stärkeren Verbundenheit und wechselseitigen Identifikation zwischen Mutter und Tochter ausgegangen werden. 3.2. Entwicklung der Geschlechtsidentität auf der 2. Stufe Schritte der Entwicklung: Ebenfalls entwickelt sich in diesem Alter eine erste Ahnung einer Geschlechterkonstanz. Das kindliche Verständnis dessen, was Inhalt des Selbstgefühls als Junge oder Mädchen sein kann, ist zunächst noch sehr umfassend. Fast (1991) beschreibt diesen Prozess als Geschlechterdifferenzierung (vgl. Mertens, 1996). Das früheste geschlechtliche Erleben von Kindern ist eine undifferenzierte Erlebensweise. Das subjektive Selbstgefühl von Kindern ist 18 nicht durch ihr reales Geschlecht eingeschränkt und kann daher sämtliche Möglichkeiten einschließen, die sie später als „männlich“ oder „weiblich“ begreifen lernen. Nach der Entdeckung des Geschlechterunterschieds entwickeln Kinder ein zunehmend differenziertes Bild von Männlichkeit und Weiblichkeit. Es ist davon auszugehen, dass sie im Alter von drei bis vier Jahren allmählich erkennen, dass ihre Geschlechtszugehörigkeit durch Wünsche, Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes oder geschlechtsuntypisches Verhalten nicht verändert werden kann (vgl. Trautner, 2002; Rohrmann/ Thoma, 1998). Schon gegen Ende des ersten Lebensjahres zeigen sich erste Selbstkategorisierungsprozesse (vgl. Rohrmann, 2009). Gerade gegen Ende der zweiten Phase gewinnen mit der Erkenntnis der Geschlechterkonstanz diese Prozesse zunehmend an Bedeutung. Die Kinder erkennen langsam, dass sie einem Geschlecht zugehören und dieses unveränderlich ist. Demnach suchen sie sich aus dem Repertoire an Verhaltensweisen gezielt die aus, die ihrem Geschlecht zugeordnet werden. Reinlichkeitserziehung: In dieser Phase (anale Phase nach Freud) ist die Reinlichkeitserzeihung des Kindes ein zentrales Thema. Die Reinlichkeitserziehung wird meinen Erfahrungen nach bei beiden Geschlechtern unterschiedlich streng verfolgt. Mädchen wird in der Reinlichkeitserziehung häufiger mit mehr Zwang begegnet. In meinem Praktikum in der Kita erlebte ich viel mehr Jungen, die sich in die Hose machten. Dies liegt meiner Einschätzung nach daran, dass es Jungen eher zugestanden wird und es dem Bild von einem Mädchen viel weniger entspricht sich in die Hose zu machen. Meiner Beobachtung zufolge achten Eltern und auch Erzieherinnen bei Mädchen meist stärker auf eine frühe Reinlichkeitserziehung und bestrafen stärker Missgeschicke. Dies könnte fatale Folgen für die Entstehung eines Körpergefühls bei Mädchen haben. Beginn der Geschlechtertrennung: Gerade das dritte Lebensjahr scheint besonders wichtig für die Entwicklung einer Geschlechtsidentität und der Geschlechterdifferenzierung zu sein (vgl. Rohrmann, 2009). Zeigen sich bis hierher keine geschlechtstypischen Verhaltensweisen des Kindes, so treten nun auf der Verhaltensebene Unterschiede auf. Während die Kinder in den ersten Lebensjahren noch etwa genauso häufig zu Kindern des anderen Geschlechts wie zu solchen des gleichen Geschlechts Kontakt aufnehmen, zeigen Kinder ab dem dritten Lebensjahr eine Bevorzugung von gleichgeschlechtlichen Spielkameraden (Fagot, 1991). 19 Die Bevorzugung von gleichgeschlechtlichen Spielpartnern prägt sich in der mittleren Kindheit weiter aus und erreicht ihren Höhepunkt zwischen dem achten und elften Lebensjahr (vgl. Mccoby, 2000). Verbringen Kinder im Alter von viereinhalb Jahren im Freispiel noch rund 47% in gleichgeschlechtlichen Spielgruppen, 35% in gemischtgeschlechtlichen Gruppen und 18% in gegengeschlechtlichen Gruppen, so spielen sie mit achteinhalb Jahren zu 67% in gleichgeschlechtlichen, 27% in gemischtgeschlechtlichen und 6 % in gegengeschlechtlichen Gruppen (vgl.Mccoby, 2000). Aufgrund dieser Zahlen kann man festhalten, dass Kinder, wenn sie frei wählen dürfen, gleichgeschlechtliche Spielpartner bevorzugen (vgl. Fagot, 1991), was schon im Kindergarten zu einer konsequenten Geschlechtertrennung führt, die sich im weiteren Verlauf noch verstärkt (vgl. Maccoby, 2000). Das häufige Spielen in gleichgeschlechtlichen Gruppen hat folgenden Effekt: Es wurde beobachtet, dass je mehr Jungen und Mädchen in gleichgeschlechtlichen Gruppen spielen, ihr Spielverhalten umso geschlechtstypischer wird. Da für beide Geschlechter in diesem Alter Spielen die wichtigste soziale Fähigkeit darstellt, ist die Auswirkung dieser Tendenzen nicht zu unterschätzen und eine mögliche Ursache für die spätere strengere Geschlechtertrennung in der Altersphase zwischen acht und elf Jahren. In zahlreichen weiteren Untersuchungen wurden das Spielen und die Gruppenprozesse untersucht. Hierbei zeigte sich, dass Jungen häufiger in großen Gruppen und häufiger im Freien spielen, während Mädchen eher in kleineren Gruppen, also zu zweit oder zu dritt spielen und sich dabei überwiegend im Haus aufhalten. (vgl. Mccoby, 2000) Ab dem dritten Lebensjahr beschäftigen sich Kinder zunehmend mit geschlechtstypischem Spielmaterial (vgl. Nickel/Schmitdt-Denter, 1988). Mädchen bevorzugen Puppen und Spielhaushaltsgeräte, Jungen bevorzugen Baukästen und technisches Spielmaterial (vgl. Einsiedler, 1999). Während bei den Mädchen über 95 % zum Schulanfang Puppen zu ihrem Spielmaterial zählen, gilt dies nur für etwa 37% der Jungen. Fahrzeuge zählen über 95% der Jungen zur Schulanfangszeit zu ihrem Besitz, aber lediglich 60% der Mädchen (vgl. Hartmann, 2000). Wie hier dargestellt werden soll, tun sich in der Kita ab dem dritten Lebensjahr zwei Welten auf, eine für Mädchen und eine für Jungen, die sich zunehmend auseinanderbewegen. Bei Erwachsenen wurde ein enger Zusammenhang zwischen Geschlechtsidentität und Gruppenzugehörigkeit herausgearbeitet. Dabei zeigte sich, dass Männer untereinander 20 sowohl thematisch als auch strukturell andere Gruppenzusammenhänge bilden als Frauen und dass für beide Geschlechter die Zugehörigkeit zu entsprechenden geschlechtshomogenen Gruppen eine wichtige Rolle bei der Ausformung und Absicherung der individuellen Geschlechtsidentität spielt. Besonders in geschlechtshomogenen Gruppen gewinnen Geschlechtermuster dabei generell leicht etwas Stereotypes und Klischeehaftes, da hierdurch das fundamental Gemeinsame ausgedrückt wird. Männer geben sich in Männergruppen männlicher und Frauen in Frauengruppen weiblicher als in gemischten Gruppen, in denen andere Gemeinsamkeiten in den Vordergrund treten (z.B. das kulturelle Milieu oder die ethnische Abstammung). Bezogen auf Kindergruppen gewinnt dieses Spezifikum von Gruppenprozessen dadurch besonders an Bedeutung, dass Kinder im Kindergartenalter gerade erst ihre grundlegende Geschlechtsidentität herausbilden und diese zu einer zentralen Orientierung in ihrem Selbstund Weltverständnis wird. Die Gruppe der Gleichaltrigen spielt bei der Bildung der Geschlechtsidentität eine wichtige Definitionsinstanz. Wenn die Kinder sich beginnend mit drei Jahren dafür entscheiden gleichgeschlechtliche Spielpartner zu bevorzugen, dann gibt es eine Verbindung zu der in dieser Phase hinzugewonnenen Autonomie. In dieser Phase treffen die meisten Kinder, die nicht in die Krippe gehen, zum ersten Mal überhaupt auf eine größere Gruppe von anderen Kindern, zumeist in der Kita. Zudem können sie sich durch die hinzugewonnenen Fähigkeiten aktiv auf andere Kinder zu bewegen mit ihnen Kontakt aufnehmen und weggehen, um den Kontakt zu vermeiden. Hier greifen Selbstkategorisierungsprozesse. In Bezug auf Selbstkategorisierungsprozesse geht man davon aus, dass das erste Wissen über das Geschlecht die Geschlechtstypisierung steuert und somit das Verhalten und die Präferenzen der Person beeinflusst. Kinder im Alter von zweieinhalb Jahren können bereits Aktivitäten und Interessen differentiell den beiden Geschlechtern zuordnen. In dieser Phase entwickeln sich Handlungsfelder, in denen sich typischerweise Unterschiede im Streben nach Autonomie zwischen den Geschlechtern ergeben. Diese betreffen die Reinlichkeitserziehung und das explorative Spiel. Wie bereits erwähnt fördern Mütter bereits im Alter von drei Monaten bei Jungen stärker das explorative Spiel. Gerade in dieser Phase werden Mädchen meist stärker in ihrem Streben nach Autonomie gebremst als Jungen. Dies macht sich in der Auswahl der Spielorte bemerkbar. Mädchen wählen eher Spielorte die drinnen liegen, Jungen streben eher nach draußen. 21 Interaktion mit ErzieherInnen: Ein weiterer geschlechtstypischer Unterschied, der in Kitas nachgewiesen werden konnte, betrifft das Bindungsverhalten zwischen ErzieherInnen und Jungen respektive Mädchen. Es zeigte sich in einer Studie von Ahnert (2006), dass sich die Beziehungen von ErzieherInnen und Mädchen leichter entwickeln und ausgeprägter sind, als ErzieherInnenJungen-Beziehungen. Sind ungefähr 30% der Mädchen sicher gebunden und nur 10% unsicher gebunden, so sind in der Untersuchung von Glüer, Wolter und Hannover (2008) nur 10% der Jungen sicher und ungefähr 30% unsicher gebunden. 3.3. Die Entwicklung der Geschlechtsidentität auf der 3. Stufe Schritte der Entwicklung: Haben Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr nur eine basale Ahnung der Geschlechterkonstanz, so gewinnt die Erkenntnis, dass sich das Geschlecht nicht mehr ändert nun eine größere Bedeutung. Während dreijährige Jungen noch durchaus der Meinung sein können, dass sie einmal Mutter oder schwanger werden können, so kommt dies in dieser Altersphase nicht mehr vor. Zwar konstruieren Jungen die Rolle „Mutter“ oder „Schwangerschaft“ in Rollenspielen, sind sich aber meist der Inszenierung bewusst. Es handelt sich um „als-ob-Spiele“ (vgl. Rohrmann, 2009). Durch die Erkenntnis der Geschlechterkonstanz kann es bei beiden Geschlechtern zu einem Gefühl des Verlustes und des Mangels kommen. Zum Neid auf die körperlichen Möglichkeiten des anderen Geschlechts kommen soziale Differenzierungen hinzu, wie z.B. wenn Mädchen erkennen, dass sie sich weniger dreckig machen dürfen usw. Die Funktion der „dramatisch“ ansteigenden Geschlechtertrennung: Ist das dritte Lebensjahr der Beginn der Geschlechtertrennung, wie bereits in der zweiten Phase von Erikson erläutert, so nimmt nun die Bedeutung der Geschlechtertrennung stark zu. Trautner (2002) macht dafür die altersgemäße Tendenz verantwortlich, Dinge nach Ähnlichkeit und Verschiedenheit zu unterteilen. Hierfür würde sich die Geschlechterkategorie aufgrund ihrer Unveränderlichkeit und der sozialen Relevanz besonders eignen. Hier soll ebenfalls der Versuch unternommen werden die Geschlechtertrennung in ihrer Funktion zu beschreiben. Hierbei zentral ist die Orientierungsfunktion der Geschlechtertrennung. Analog zur Theorie der Geschlechtsidentifikation als kognitive Leistung erkennen die Kinder zuerst den Geschlechtsunterschied und ordnen sich in der 22 Folge ihrem Geschlecht zu. Die Unterscheidung nach Geschlecht wird zur Orientierung verwendet, geschlechtshomogene Gruppen geben zudem Sicherheit und Schutz. Kinder gleichen Geschlechts können sich zudem meistens besser auf einander einstimmen, erleben in der Gruppe mehr Zugehörigkeit und Solidarität und haben daher oft mehr Spaß miteinander. Problematisch ist der Normierungsdruck innerhalb der gleichgeschlechtlichen Gruppen und die Ab- und Ausgrenzung zu anderen Gruppen, die z.T. charakteristisch für gleichgeschlechtliche Gruppen sind. Dadurch werden in gleichgeschlechtlichen Gruppen stereotype Verhaltensweisen und Einstellungen gelernt oder zumindest verstärkt. (vgl. Rohrmann, 2009) Die Identifikation mit gleichgeschlechtlichen Bezugspersonen: Wie bereits in der psychosexuellen Identifikation nach Freud erwähnt spielt die Identifikation des Kindes mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil eine große Rolle. Diese findet in der dritten Phase nach Erikson, analog zur ödipalen Phase nach Freud von Erikson beschrieben, statt. Die Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil gilt nicht nur für den Vater oder die Mutter, sondern kann ebenfalls auf alle anderen Bezugspersonen ausgeweitet werden. Dies stellt die ErzieherInnen vor die verantwortungsvolle Aufgabe ein prägendes Vorbild für die Bildung der Geschlechtsidentität der Kinder zu sein. Die Tragweite dieser Vorbildfunktion zeigt sich in der Generalisierung der Identifikation auf alle Personen des entsprechenden Geschlechts. Diese Thematik wurde in der wissenschaftlichen Literatur und den Medien häufig diskutiert – meist hinsichtlich der Benachteiligung von Jungen heutzutage in den Bildungsinstitutionen – und endet meist in der wenig differenzierten Forderung: Jungen brauchen mehr Männer als männliche Identifikationsfiguren. Gerade im Kontext von Geschlechtsstereotypen und eingeschränkten Lebensentwürfen aufgrund des Geschlechts muss spezifiziert werden, welche Fähigkeiten diese Männer mitbringen müssen (vgl. Rohrmann, 2009). Dies soll im vierten Teil meiner Arbeit thematisiert werden. Identität entsteht laut Mead durch die Interaktion mit anderen. Diese spiegeln einer Person Verhalten als positiv oder negativ wider. In Bezug auf die Geschlechtsidentität von KitaKindern heißt dies, analog zur Identifikation als soziales Lernen, dass die Bezugspersonen und die anderen Kinder Verhalten als für das Geschlecht angemessen bzw. unangemessen rückmelden. Dies kann durch offensichtliche Reaktionen geschehen oder durch Mimik oder Gesten. Die Kinder wollen die Welt verstehen und ihren Platz darin finden. Das Kind nutzt 23 die Geschlechterkategorie als Orientierung und zur Übernahme der Verhaltensweisen und Werte, die damit in Verbindung stehen, um ein Selbst aufzubauen. Zeigt ein Kind gegengeschlechtliches Verhalten in der Kita, so empfindet sich das Kind als falsch, wenn das Umfeld dem Kind dies rückmeldet. Bestärken Erzieherinnen nur geschlechtskonformes Verhalten, so können sich die Kinder zu diesem generierten Verhalten in ein bestimmtes Verhältnis setzen, sich identifizieren oder gegen die Einhaltung dieser Norm rebellieren. Das zweite Verhalten führt dazu, dass die Kinder als anders oder besonders erkannt werden. Dies sind Mechanismen der Ausgrenzung aus der Gruppe der anderen Kita-Kinder. Wird nur gegengeschlechtliches Verhalten im Spiegel der ErzieherInnen bestärkt und Verhalten des eigenen Geschlechtes bestraft, so kommt es zu ähnlichen Mechanismen. Die Kinder können sich nur in Bezug zu diesem Verhalten setzen: sich entsprechend der geltenden Norm oder gegen diese verhalten. Verhalten sie sich Kinder gegen die Norm kommt es evtl. zu einem Bruch der Identität mit der gesellschaftlichen Normvorstellung und eventuell zu einem Bruch in der Geschlechtsidentität der Kinder. Jedes gegengeschlechtliche Verhalten kann somit zur Gefahr für die Identität werden. Somit komme ich zu dem Schluss, dass in einer Kita die ErzieherInnen sowohl gegen- als auch gleichgeschlechtliche Verhaltensweisen der Kinder bestärken sollten um ihnen ein Repertoire an geschlechtlichem Verhalten einzuräumen. Die Kinder erkennen, dass ihr Verhalten als individuell anerkannt wird und nicht bloß als eines, das in die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ passt. Alle Menschen besitzen männliche und weibliche Anteile, wenn man nach diesen Kategorien verfährt, und es ist mein Anliegen, dass die Kinder frei entscheiden können, welche sie davon ausleben wollen. Das Ausleben von nicht-geschlechtskonformem Verhalten darf meiner Meinung nach nicht zu einer Gefahr für die Entwicklung der Identität führen. Unterschiede in den gleichgeschlechtlichen Gruppen: Weil in dieser Phase die Geschlechtertrennung stark ansteigt und die Kinder meistens in geschlechtshomogenen Gruppen spielen, möchte ich auf einige Unterschiede zwischen den Mädchen- und Jungengruppen eingehen. Diese Unterschiede sind wahrscheinlich sowohl Grund als auch Verstärker der Geschlechtertrennung. (vgl. Rohrmann, 2009) Jungen und Mädchen interessieren sich für verschiedene Spielbereiche mit verschiedenen Spielorten. Auch in der Kita, in der ich mein Praktikum absolviert habe, konnte ich erkennen, dass die verschiedenen Räume scheinbar nur das Interesse eines Geschlechtes hervorrufen. Der Toberaum war meist von Jungen besetzt, wohingegen der Rollenspiel- und Verkleidungsraum meist von Mädchen genutzt wurde. Der Bastel- und der 24 Entspannungsraum waren ebenfalls eher Favoriten der Mädchen, derweil die Jungen immer nach draußen in den Garten strebten. (vgl. Maccoby, 2000) Eine weitere Unterscheidung ist hinsichtlich des Spielverhaltens möglich. Jungen spielen meist aktiver, raumgreifender, wilder und riskanter als Mädchen. Sie toben und kämpfen z.B. gerne. Mädchen dagegen ziehen sich eher zurück, wenn es zu wild wird. Jungen spielen zumeist in größeren Gruppen als Mädchen, die sich eher in kleineren Gruppen wohlfühlen und feste Zweierbeziehungen mit ihrer „besten Freundin“ eingehen. (vgl. Maccoby, 2000) Das Sozialverhalten von Jungen und Mädchen unterscheidet sich zudem hinsichtlich der Gestaltung der sozialen Beziehungen, dem Interaktionsstil und dem Konfliktverhalten. Mädchen bemühen sich in ihren sozialen Beziehungen um mehr Harmonie und zeigen eher kooperatives Verhalten. Jungen dagegen zeigen eher dominantes Verhalten in ihren sozialen Beziehungen und legen mehr Wert auf klare Hierarchien innerhalb der Gruppe. Im Konfliktverhalten zeigen Jungen eher offene Aggressionen als Mädchen und testen Grenzen und Regeln von ErzieherInnen und Eltern aus. Mädchen bringen ihre Aggressionen vorzugsweise indirekt zum Ausdruck, indem sie andere Mädchen ausschließen. Der Gesprächsstil von Mädchen zeichnet sich durch häufigeres und offeneres Sprechen über sich selbst aus und sie achten mehr auf ihr Gegenüber als Jungen. Jungen dagegen sprechen weniger, äußern mehr Befehle und Drohungen und provozieren häufiger mit Schimpfworten. (vgl. Maccoby, 2000) Körperempfindungen: Wie bereits dargestellt, entdecken in dieser Phase die Kinder den Geschlechterunterschied. In dieser Phase sind die Kinder in der Lage, die Unterscheidung der Geschlechter aufgrund genitaler Gründe vorzunehmen. Sie betasten ihre Genitalien und zeigen großes Interesse für die Unterschiede zwischen den Geschlechtsorganen. Zwar beginnt ein Betasten der Geschlechtsteile schon weit früher, in dieser Phase bekommt dies allerdings eine größere Relevanz. In der Kita, in der ich mein Praktikum gemacht habe, waren vor allem die Mädchen sehr interessiert daran, auf Ausflügen den Jungen beim Urinieren im Stehen zuzuschauen. Diese Körpererfahrungen und der Vergleich mit den anderen verankern sich als Körpergefühl in den Kindern, und zwar als entweder von der Gesellschaft als „männlich“ oder „weiblich“ benannt. Dieses Körpergefühl kann variieren je nach den Männlichkeits- oder Weiblichkeitsvorstellungen der Gesellschaft und ist Teil der männlichen und weiblichen Geschlechtsidentität. 25 4. Versuch einer Darstellung einer geschlechtsbezogenen Erziehung Im vorliegenden Teil meiner Arbeit möchte ich- anhand eines Praxisbeispiels- eine geschlechtsbewusste Erziehung darstellen. Als Praxisbeispiel rekurriere ich auf die Kita Kotti, in der ich mein erstes Fachpraktikum absolviert habe. 4.1 Unter dem Aspekt des Raumes Zuerst werde ich die Kita mit ihren Räumlichkeiten kurz darstellen. Die Räumlichkeiten bestehen aus zwei Stockwerken eines Altbaus. Im Erdgeschoss befindet sich ein großer Raum, der für das Frühstück und Mittagessen genutzt wird und eine Leseecke, die Möglichkeiten zum Malen sowie eine Schreibwerkstatt beinhaltet. Ein zweiter kleinerer Raum, der mit Teppichboden, Kissen und einer Liegebanane ausgestattet ist, bietet die Gelegenheit es sich gemütlich zu machen, sowie – insbesondere für kleinere Kinder – Bauklötzen und Steckspielen zu spielen. Dieser Raum beinhaltet außerdem eine gesonderte kleine Rückzugsecke für die „Kleinen“. Auf der unteren Etage liegen des Weiteren die Toiletten, Waschgelegenheiten, Garderobe und die Küche, die für die Kinder unzugänglich ist. Auf der oberen Etage befinden sich ein Toberaum, ein Malraum und - etwas abgeschieden - der Schlafraum, in dem die kleinen Kinder ihren Mittagsschlaf halten. Eine Puppen-/Ernährungsecke ist als Zwischenetage unter dem Dach eingezogen. Die obere Etage enthält ebenfalls Toiletten und Waschgelegenheiten. Der so genannte „Malraum“ bietet neben Maltischen und Farben hauptsächlich Spielmöglichkeiten und kommt einem Aufenthaltsraum gleich. Die zahlreichen Spielmöglichkeiten umfassen alles Mögliche vom Magnetspiel bis zur Naturwissenschaftsecke. Im Malraum ist auch eine Etage unter dem Dach eingezogen. Sie beinhaltet eine kleine Bauecke, in der Legomaterialien ausliegen und eine große Bauecke mit Bauklötzen. Hinter dem Schlafraum liegt ein weiterer Raum, der demnächst als Elterncafe fungieren soll. Zur Kita Kotti gehört zudem ein Garten, in dem ein kleiner Spielplatz liegt. Die Räumlichkeiten der Kita sind sehr verwinkelt und daher gemütlich, aber wenig übersichtlich. Der Raum als solcher hat einen wichtigen Einfluss auf die kindliche Entwicklung. Lange wurde der Raum nur als äußere Hülle betrachtet, der uns vor äußeren Einflüssen, wie dem Wetter, schützt. Doch der Raum, in dem man sich befindet, übt darüber hinaus zahlreiche 26 weitere Einflüsse auf uns aus, beeinflusst unsere Gefühle, Stimmungen und die Handlungen, die wir darin ausführen. Dies geschieht durch die Art der Möblierung, die Farb- und Materialauswahl, die Lichtverhältnisse sowie die Raumtemperatur. Manche Räume regen die Aktivität an, andere fördern die Entspannung, manche Räume erzeugen Langweile, andere Aufregung, wieder andere schränken durch ihre Enge die Bewegungsfreiheit ein und lösen Fluchttendenzen aus. Die Wichtigkeit des Raumes wird in der Reggio-Pädagogik durch den Begriff „der dritte Erzieher“ betont. Dieser verweist darauf, dass allein der Raum den Kindern bereits Anregungen, Ideen und Spielmöglichkeiten gibt, ganz ohne die Notwendigkeit einer „richtigen“ ErzieherIn. Räume sind ebenfalls nicht geschlechtsneutral. Bei Kindern zeigen sich gegen Ende des ersten Lebensjahres die ersten Selbstkategorisierungsprozesse. Mit der Entwicklung der Geschlechterkonstanz gewinnen in etwa ab dem dritten Lebensjahr die Selbstkategorisierungsprozesse an Bedeutung. Hat das Kind erst einmal die Unterscheidung in zwei Geschlechter und die damit einhergehenden verschiedenen Rollenerwartungen erkannt, wird es Räume, die nach solchen Geschlechtsmustern gestaltet sind eher bevorzugen. Darüber hinaus sind die Kinder durch die Geschlechtsrollenidentifikation geschlechtsspezifisch sozialisiert und zeigen eher eine Bevorzugung für bestimmte Verhaltensweisen, Materialien und Räume. Daher ist es für eine geschlechtsbewusste Umgestaltung der Kita unumgänglich zu fragen: In welchen Räumen der Kita Kotti hielten sich die Jungen/ -Mädchen bevorzugt auf? In der Kita Kotti fiel mir während meines Praktikums auf, dass bei freier Spielortwahl, die Jungen sich bevorzugt im Toberaum aufhielten, und gerade die älteren Jungen den Toberaum oft besetzt hielten und ihn sogar gegen die Mädchen verteidigten. Weitere sehr beliebte Spielorte waren die beiden Bauecken, sowie das Außengelände, das ihnen den nötigen Raum für ihre bevorzugten Spiele gab, wie z.B. Fußball oder Kampfspiele. Die Mädchen hingegen bevorzugten den Puppen- und Ernährungsraum, wenn sie im Freispiel ihren Spielort bestimmen durften. Ebenfalls beliebt bei den Mädchen waren ruhigere Spielorte mit Möglichkeiten es sich gemütlich zu machen und die Kreativangebote. Sowohl der Toberaum- als auch der Puppen- und Ernährungsraum sind von den anderen Räumen abgegrenzt und stellen Rückzugsräume für gleichgeschlechtliche Gruppen dar. Der Malraum stellte einen Begegnungsort der beiden Geschlechter dar. Durch seine zahlreichen und sehr verschiedenen Beschäftigungsmöglichkeiten regt er offenbar beide 27 Geschlechter zum Spiel an. Jedoch war zu beobachten, dass zwar beide Geschlechter im selben Raum spielten, dabei aber in gleichgeschlechtlichen Gruppen wiederum geschlechtstypischen Beschäftigungen nachgingen. Die Kinder differenzierten sich nach Geschlecht in die abgegrenzten Spielbereiche. Die Jungen z.B. spielten in der Bauecke, während die Mädchen malten oder bastelten. In der Kita Kotti war die Raumnutzung der Kinder den traditionellen Geschlechtsrollenerwartungen entsprechend. Dies wurde durch die Materialauswahl in den jeweiligen Räumen und die Namensgebung der Räume verstärkt. Im Puppen- und Ernährungsraum gab es eine Kochecke mit Spielzeugherd, -geschirr, -besteck, -töpfen und Nahrungsmittel und eine Verkleidungskiste, mit Kleidern, Stöckelschuhen und Kostümierungen, wie z.B. ein Prinzessinnen- und ein Feenkostüm. Der Raum war also auf die Interessen und Themen abgestimmt, die Mädchen von der Gesellschaft zugeschrieben werden, und bestärkte sie zum geschlechtstypischen Spiel. Durch die Kochecke wurden auch die traditionellen Vorstellungen der Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern zementiert. Meine Veränderungsvorschläge für den Puppen- und Ernährungsraum betreffen vor allem Veränderungen der Spielmaterialien und des Namens. Der Raum sollte ebenfalls Möglichkeiten der Verkleidung für Jungen beinhalten, damit er auch für diese attraktiv wird. Den Jungen wird sonst ein wichtiger Erfahrungsbereich innerhalb der Kita vorenthalten, nämlich der des Rollenspiels. Hierbei können die Kinder in verschiedene Rollen schlüpfen und dadurch verschiedene Perspektiven, z.B. die der Eltern, der ErzieherInnen oder anderer Kinder ausprobieren. Wichtig ist zudem, dass die Kinder lernen, dass kochen nicht nur eine Frauendomäne darstellt, sondern Männern kochen ebenfalls Spaß machen kann. Daher sollte es den Jungen ermöglicht werden, sich an diesen Spielsachen auszuprobieren. Die Verkleidungskiste könnte neben Kleidern, Stöckelschuhen und Prinzessinnen- und Feenkostümen ebenfalls Anzüge, Krawatten, Herrenschuhe beinhalten (vgl. van Dieken/ Rohrmann, 2003). Als weniger geschlechtliche Verkleidungsmöglichkeiten wären Polizei-, Tier- oder Ritterkostüme denkbar. Diese Materialien sprechen nicht nur die Jungen an und fordern sie zur Nutzung des Raumes auf. Einen weiteren Schritt um diesen Raum den Jungen zugänglich zu machen, könnte eine Namensänderung, von „Puppen- und Ernährungsraum“ in z.B. „Rollenspielraum“ darstellen. Damit klingt der Name weniger geschlechtsspezifisch, so dass sich auch die Jungen damit identifizieren können. 28 Auch die Einführung eines „Jungentages“ und eines „Mädchentages“, also eines Tages in der Woche, an dem der Ernährungs- und Puppenraum nur für ein Geschlecht zugänglich ist, halte ich in diesem Zusammenhang für sinnvoll. Das Spielen im „Rollenspielraum“ nur unter Jungen eröffnet diesen sowohl die Möglichkeit einer Rollenverteilung innerhalb der Gruppe als auch die, sich in neuen Rollen auszuprobieren. In einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe entsteht sonst die Gefahr der Abgrenzung von den im Raum befindlichen Mädchen durch besonders männliches Verhalten. Dazu möchte ich kurz eine Beobachtung aus der Kita schildern. Zwei Jungen kochten im „Puppen- und Ernährungsraum“ und fanden es offensichtlich sehr interessant dieser „typischen“ Mädchenbeschäftigung nachzugehen. Sie kochten über einem Stunde sehr intensiv ein Gericht und aßen es nachher gemeinsam am Tisch auf. Doch als ein Mädchen in den Raum kam, schämten sie sich scheinbar für ihr Koch-Spiel und beendeten es schnell. Gäbe es einen „Jungentag“ könnten die beiden Jungen die Türe schließen und in Ruhe weiter spielen. Eine weitere Beobachtung, die ich machen konnte war, dass die Jungen dieses „typische“ Mädchenspiel mit „jungentypischen“ Spielelementen mischten. Sie kochten mit Gift und sonstigen ekeligen Zutaten und schlüpften dabei in die Rolle von Dinosauriern. Daraus leite ich die Vermutung ab, dass es Jungen leichter fällt in weibliche Spieldomänen einzudringen, wenn Anknüpfungspunkte für ihr typisches Spiel vorhanden sind. Dies sollte in der Raumgestaltung mitgedacht werden, z.B. in der Dekoration der Wände. Hier ist ebenfalls eine Erweiterung der Spielnahrungsmittel denkbar, um z.B. ekelige Nahrungsmittel. Für den Toberaum gilt ähnliches. Hier könnte ebenfalls ein „Jungentag“ und ein „Mädchentag“ eingeführt, sowie die Raumgestaltung und der Name überdacht werden. Die Kinder nach Geschlecht zu trennen und in dieser Konstellation Angebote durchzuführen, kann folgende Vorteile haben: Oft behindert die Art des Spieles des einen Geschlechts die andersgeschlechtliche Gruppe bei ihrem Spiel. In der Kita Kotti wollten die Mädchen meistens bereits nach wenigen Minuten nicht mehr im Toberaum sein, weil die Jungen ihnen zu wild spielten. Dies führte oft zu Konflikten zwischen den Jungen und den Mädchen, mit der Folge, dass die ErzieherInnen das wilde Spiel der Jungen unterbinden wollten. Durch die Nutzung des Toberaumes durch eine reine Mädchengruppe werden einige Erfahrungen erst möglich. In der gemischtgeschlechtlichen Gruppe werden die Mädchen eher toben und wild spielen. Ein weiterer Effekt könnte sein, dass die Mädchen sich ihrer Identität sicherer werden (siehe Orientierungsfunktion der Geschlechtertrennung) und dadurch sich dem anderen Geschlecht wieder annähern. 29 Der Toberaum der Kita Kotti beinhaltet viele Bälle, einige Holzbretter und Matten. Schon durch seine karge, blau-braun-weiße Farbgebung spricht er eher Jungen an. Das körperbetonte Spiel wird Jungen schon während der ersten Jahre stärker nahegelegt, was auch bedeutet, dass sie sich eher von den oben genannten Materialien angesprochen fühlen. Meine Vermutung ist, dass die meisten Mädchen durchaus gerne den Toberaum nutzen würden, und nur von dem wilden Spiel der Jungen abgeschreckt werden. Durch die kaum vorhandene Nutzung des Toberaumes werden den Mädchen wichtige Körpererfahrungen nicht zuteil. Der Toberaum bietet als einziger Raum innerhalb der Kita genügend Möglichkeiten für Bewegungs- und Sportspiele. Hier wäre es wichtig, durch eine geschlechtsneutralere Farbgebung (z.B. auch rosa Matten), weniger karge Einrichtung und nicht zuletzt auch durch den oben erwähnten Mädchentag gegenzusteuern. Die Kita ist wie bereits dargestellt, meist ein weiblich geprägter Raum. Die Raumgestaltung erfolgt in den meisten Kitas, wie auch in der Kita Kotti allein durch Frauen. Dadurch läuft man Gefahr, dass zum einen Räume zu geschlechtsspezifisch genutzt werden und zum anderen die Bedürfnisse der Jungen in der Raumgestaltung zu wenig wahrgenommen werden. Die Wände sind in Gelb- und Rosa-Tönen gehalten und mit vielen Bildern dekoriert. Es hängen an vielen Stellen Mobiles von den Decken, die Fenster sind mit Gebasteltem beklebt. Die Leseecke, die Schreibwerkstatt, die Ernährungs- und Puppenecke, zahlreiche Kreativangebote, viele Möglichkeiten es sich mit Kissen und Decken gemütlich zu machen bestimmen das Bild der Kita Kotti und die Bauecken und der Toberaum bieten nur einen kleinen Ausgleich. Meiner Meinung nach wäre daher eine Umgestaltung der Kita Kotti in einen weniger geschlechtsspezifischen Raum sinnvoll. Vielleicht ist es hierbei hilfreich, sich vorzustellen, wie ein Mann die Kita einrichten würde. Daher ist mein Vorschlag für eine Raumgestaltung vermehrt männliche Elemente einzubauen. Die Wände könnten z.B. mit Fußball- oder Rennauto-Postern dekoriert werden und eines der zahlreichen Kreativangebote könnte in eine Werkzeugecke umgestaltet werden. Hierfür sollte echtes Werkzeug besorgt werden. Eine der Kuschelmöglichkeiten könnte einer Computerecke weichen, in der sich ein Computer und andere technische Geräte befinden. In die Umgestaltung der Räume könnten dabei verstärkt die Väter mit einbezogen werden. In der Kita Kotti waren zum größten Teil die Mütter in der Einrichtung präsent, sie brachten die Kinder hin und holten sie wieder ab, blieben zum Frühstück und begleiteten die Kinder zu Ausflügen. Die Väter fanden -evtl. auch deshalb, weil kein einziger Mann in der Einrichtung im pädagogischen Bereich angestellt ist- wenig Anknüpfungspunkte in der Kita. Dies könnte sich durch die Umgestaltung der Räume ändern. Hier könnten Kompetenzbereiche für die 30 Väter entstehen in denen sie die Experten sind (Computer, Werkzeug), und sie könnten darüber hinaus beim Kauf und der Pflege der Gegenstände hinzugezogen werden. So könnten sich die Väter in der Kita wohler fühlen (vgl. van Dieken/ Rohrmann, 2003). Wie bereits erwähnt gibt es bereits in der Kita geschlechtstypische Verhaltensweisen, z.B. Jungen spielen „raumgreifender“ und die Mädchen eher „raumsparend“. Die Gestaltung der Kita Kotti zeigt, dass auf die Bedürfnisse der Jungen in dieser Hinsicht ebenfalls weniger Rücksicht genommen wurde als auf die Bedürfnisse der Mädchen: Die vielen abgetrennten Spielbereiche (Leseecke, Bauecken, Schreibwerkstatt, usw. sind häufig überfüllt und eng. Für Spiele mit viel Bewegung eignet sich mit Einschränkungen nur der Toberaum. Aber selbst dieser ist mit Bänken, Holzbrettern und Matten vollgestellt. Es wäre sinnvoll, dass die Kinder das Außengelände nutzen könnten. Oft stellte sich die Situation so dar, dass die Jungen raus gehen wollten, aber nicht durften, da das Wetter schlecht oder keine Aufsicht zur Verfügung stand. Auch die Tendenz, die Räume mit so vielen Bildungsmöglichkeiten wie möglich zu bestücken, könnte mehr freiem Raum weichen. Neben den bisher geschilderten Vorschlägen, die auf die geschlechtsspezifischen Bedürfnisse der Kinder eingehen, damit ihnen nicht wichtige Kompetenzbereiche in der Kita entgehen, ist es natürlich ebenso notwendig, die Kindergruppe nicht nur nach Geschlechtern zu trennen, sondern ebenfalls Räume zu gestalten in denen die Kinder beiden Geschlechts gemeinsam spielen können. Meiner Meinung nach benötigen Jungen und Mädchen einerseits Räume und Materialien, die zu geschlechtstypischem Spiel anregen und andererseits solche, die das Überschreiten der Geschlechtergrenzen fördern. Um auf die Bedürfnisse und die Spezifika der Jungen bzw. Mädchen einzugehen, müssen die Räume einerseits Rückzugsmöglichkeiten bereit halten, um dem ruhigeren Spiel der Mädchen gerecht zu werden, andererseits Raum bieten für das raumgreifende Spiel der Jungen. Es braucht kleine Räume für die kleineren Mädchengruppen und viel Platz für die größeren Jungengruppen usw. Des weiteren Begegnungsräume, die zu kompetenzerweiternden Aktivitäten anregen. Dies kann aufgrund des Raummangels der meisten Kindertagesstätten nur durch eine vielseitige Nutzung der Räume erreicht werden. Durch Raumteiler, wie z.B. Regale, Vorhänge oder Podeste kann der Raum in kleine Spielbereiche unterteilt werden. Im Idealfall sind die Raumteiler flexibel und die ErzieherInnen oder die Kinder können auf die momentanen Bedürfnisse reagieren. Darüber hinaus sollten die Mädchen auch hin und wieder zum Toben und die Jungen zum ruhigeren Spiel aufgefordert werden. 31 Meiner Meinung nach wäre es ebenfalls wichtig, den Begegnungsraum zwischen den Geschlechtern – also den Malraum – hinsichtlich der Förderung von gemischtgeschlechtlichem Spiel zu überprüfen. Hier ist neben dem Aspekt, welches Spielzeug Aufforderungscharakter für welches Geschlecht hat, zusätzlich der Aspekt wichtig, welches Spielzeug zu gemischtgeschlechtlichem Spiel anregt. Aus einer Studie von Hartmann (2000) folgt, dass es einige geschlechtsneutrale Spielzeuge gibt, die von beiden Geschlechtern gleich häufig benutzt werden. Diese Spielzeuge, bei denen kein signifikanter Unterschied festgestellt werden konnte, sind kleine Aufstellfiguren, Baumaterial, Gesellschaftsspiele und Lernspiele. Geschlechtsneutrales Spielzeug scheint somit die Interaktion zwischen Mädchen und Jungen anzuregen, getrenntgeschlechtlichem während Spiel geschlechtstypisches führt. Somit sollte Spielzeug meiner Meinung eher zu nach der Begegnungsraum über geschlechtsneutrale Spielzeuge verfügen, um die Kinder zu geschlechtsübergreifendem Spiel anzuregen. Ebenso ist es sinnvoll, den Raum so zu gestalten, dass Geschlechtszuweisungen verhindert werden. Meiner Meinung nach sind Spielzeuge sinnvoll, die den Kindern Gestaltungsspielraum geben und nicht die Art des Spiels vorgeben. Aufgrund der hohen Gestaltungsfreiheit der Spielzeuge regen sie beide Geschlechter zum Spiel an sowie dazu, ihre Gemeinsamkeiten zu entdecken. Für eine gemischtgeschlechtliche Nutzung von Angeboten und Räumen spricht vor allem, dass grundsätzlich in gemischtgeschlechtlichen Gruppen die Gemeinsamkeiten im Vordergrund stehen. Bei all meinen Vorschlägen für die Raumgestaltung ist es natürlich wichtig die Kinder zu fragen und in die Planung und Umgestaltung mit einzubeziehen. 4.2 Unter dem Aspekt des Verhaltens der ErzieherInnen In diesem Teil möchte ich ein Konzept für eine geschlechtsbewusste Erziehung hinsichtlich des Verhaltens von ErzieherInnen entwerfen. Hierfür werde ich das Verhalten der Erzieherinnen in meiner Praxisstelle der Kita Kotti nutzen. Das pädagogische Team der Kita Kotti besteht aus fünf Erzieherinnen. Der einzige Mann der in der Kita Kotti besetzt den Posten des Hausmeisters. Eine Köchin und eine Küchenhilfe komplettieren das Team der Kita Kotti. Hier wird bereits die Dominanz des Weiblichen in der Kita deutlich. Die Erzieherinnen der Kita Kotti bemühten sich stets, für beide Geschlechter gleiche Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Sie waren der Meinung, dass Jungen und Mädchen die gleichen Räumlichkeiten nutzen, die gleichen Angebote annehmen und daher dieselben Erfahrungen machen. Sie achteten ziemlich genau darauf, dass die Jungen an 32 Mädchenangeboten teilnehmen. Die Jungen mussten z.B. an den zahlreichen Mal-, Kochund Backangeboten teilnehmen. Hier fiel mir auf, dass die Erwartung, auch bei geschlechtsrollenuntypischen Angeboten mitzuwirken, besonders die Jungen betraf. Dies lag vor allem daran, dass es keine „jungentypischen“ Angebote gab. Das Team war so organisiert, dass jede Erzieherin ihre Vorlieben, Interessen und Fähigkeiten (Malen, Qi Gong) mit einbrachte und in ihrem Bereich eine Art Experte war. Hier wird besonders deutlich, wie die Erzieherinnen außerhalb der Raumgestaltung die Kita als weiblichen Raum prägen und ihre eigene Geschlechtlichkeit mit in ihre Arbeit als Erzieherin transportieren. Unter der Berücksichtigung der Aufgabenteilung mag diese Struktur eine gute Lösung sein, unter Berücksichtigung einer geschlechtsbewussten Erziehung möchte ich dies problematisieren. Die Erzieherinnen müssen meiner Meinung nach ihre eigene Rolle innerhalb der Kindertagesstätte reflektieren. Dies schließt natürlich auch eine Reflexion der eigenen Sozialisations- und Lebenserfahrungen mit ein. Dies führt zu der Frage: „Welche Geschlechterrolle führe ich in der Kita auf?“ Die Erzieherinnen sollten sich also fragen, welches Bild von Weiblichkeit sie in der Kita bei den Kindern etablieren. Bilden sich nur „typische“ Geschlechterrollen zur Identifikation in Umfeld der Kinder ab, so lernen die Kinder auch nur eine bestimmte Variation von Geschlechterrollen kennen. Ein weitere Schlussfolgerung aus der Aufgabenverteilung der Erzieherinnen nach Interessen und Fähigkeiten ist, dass folglich „typisch männliche“ Angebote fehlen. Naturwissenschaftliche, handwerkliche oder technische Angebote waren in der Kita Kotti nicht zu finden, weil sie unter den Interessen der Erzieherinnen nicht vorkamen. Trotzdem wäre es wünschenswert, wenn den Jungen und Mädchen diese Bereiche nicht komplett vorenthalten würden, und sie auf diese Weise lernen könnten, dass Frauen sehr wohl z.B. handwerklich tätig und interessiert sein können. Die Sozialisationserfahrungen der Erzieherinnen sind nicht nur in die Angebotsstruktur, sondern ebenfalls in den Alltag eingeflossen. Ich beobachtete häufig Situationen, in denen die Jungen mit Papierfliegern durch die Gegend sprangen und mit ihren Papierfliegern schmissen. Im Gegensatz zu mir empfanden die Erzieherinnen dieses Verhalten als zu laut, zu wild und rücksichtslos den anderen Kindern gegenüber. Auf Dauer wurde das Spielen mit Papierfliegern in den Kitaräumen verboten und nur auf dem Außengelände erlaubt. Ähnlich erging es den Jungen, wenn sie Schimpfwörter gebrauchten, die auch in der Kita verboten wurden. In vielen Bereichen wurde ihr Verhalten den Jungen als falsch gespiegelt. Die Mädchen dagegen schienen besser angepasst an die Erwartungen der Erzieherinnen. Hier wird ebenfalls deutlich, wie die Erzieherinnen ihre eigene Geschlechtlichkeit in die Arbeit transportieren. Ihre weiblich geprägte Vorstellung von „richtigem“ Verhalten schlägt sich in ihrer Arbeit nieder. Wild herumtoben, mit Papierfliegern werfen und Schimpfwörter 33 gebrauchen ist demnach kein „richtiges“ Verhalten. Dies hat Folgen für die Entwicklung der Geschlechtsidentität der Jungen und Mädchen. Die Jungen bewegen sich während ihrer Zeit in der Kita in einem Raum, in dem ihr Verhalten problematisiert und in dem sie ständig als falsch wahrgenommen werden bzw. ihr Verhalten als falsch gespiegelt wird. Die Erzieherinnen der Kita Kotti sollten den Jungen mehr Raum geben, sich zu entfalten, und versuchen, sie in ihrem Spielverhalten zu unterstützen. Dies könnte praktisch umgesetzt werden, indem mehr Raum zum Toben geschaffen wird, wo dieses Spielverhalten weniger stört. Die Tatsache, dass die Erzieherinnen in der Kita Kotti darauf achteten, dass die Kinder sowohl an gleichgeschlechtlichen als auch gegengeschlechtlichen Angeboten teilnahmen liegt an der Auffassung der Erzieherinnen, dass die Kinder in dem Alter noch nicht geschlechtlich sind. Wenn beide Geschlechter in diesem Alter dieselben Angebote annehmen, so die Annahme, machen sie dieselben Erfahrungen und entwickeln die gleichen Kompetenzen. Hierbei lassen die Erzieherinnen außer Acht, dass die Jungen und Mädchen natürlich nicht geschlechtsneutral sind. Im dritten Teil meiner Arbeit habe ich dargestellt, wie früh die Kinder schon durch die Sozialisation geprägt sind und zu Selbstkategorisierungsprozessen fähig sind. Die Kinder differenzieren ihre Umwelt bereits in zu ihrem Geschlecht passende „Geschlechtsrollenidentifikation als und kognitive unpassende Leistung“). Angebote So (siehe können z.B. Kapitel Kinder verschiedenen Geschlechts vollkommen unterschiedliche Erfahrungen machen innerhalb eines Angebots und eines Raumes. Somit stellt sich die Frage wie die Erzieherinnen die Angebote für die Kinder unter der Berücksichtigung einer geschlechtsbewussten Erziehung gestalten könnten. Dies möchte ich anhand eines Qi-Gong-Angebotes der Kita Kotti erläutern. Qi-Gong ist eine chinesische Meditations- und Konzentrationsform, die in diesem Angebot kindgerecht als Entspannungsübung mit vielen Möglichkeiten, Körpererfahrungen zu sammeln, z.B. durch Streicheln mit Federn, aufgezogen wurde. Dazu lief beruhigende Musik oder die Erzieherin lass aus einem Buch vor. Dieses Angebot befindet sich eher im Interessenbereich von Mädchen, was daran liegt, dass es Mädchen rollenbedingt oft leichter fällt, über einen längeren Zeitraum still zu sein und sich zu entspannen, wohingegen Jungen damit eher Schwierigkeiten haben. So ist zu erklären, dass die Mädchen freiwillig an dem Angebot teilnahmen, während die Jungen dazu gezwungen wurden. Der Erzieherin war es eigentlich sogar wichtiger, dass Jungen an dem Angebot teilnehmen, weil diese ihres Erachtens das Angebot eher benötigten, um ihr Aktivitätsniveau besser regulieren zu lernen und hier Erfahrungen zu machen, die ihnen sonst fehlten. Es stellt sich aber die Frage, wie man das Angebot für Jungen attraktiv gestalten kann, so dass sie freiwillig und mit Freude daran teilnehmen. Meiner Meinung nach liegt hier die Lösung darin, entweder das Angebot 34 wöchentlich abwechselnd nur für Mädchen und nur für Jungen durchzuführen, also die Geschlechter zu trennen, oder vermehrt männliche Elemente in das Angebot aufzunehmen. Erstens sollten die Materialien (Federn, Kissen, usw.), die Raumgestaltung (Kerzen, hauptsächlich lila Farbtöne) und die Musik überdacht werden. Hier könnte ich mir Traumreisen vorstellen, die auch Jungen ansprechen, z.B. zum Thema Schwimmbad oder fliegender Teppich. Auch die Struktur des Angebotes überdacht werden. Wenn die Jungen z.B. keine Dreiviertelstunde ruhig sein können, so muss man evtl. das Angebot verkürzen oder eine bessere Abstimmung aus ruhigen und spielerischen Elementen finden. Auch denkbar wäre, die Geschlechter zu trennen und einen „Jungentag“ und einen „Mädchentag“ einzuführen. In der gleichgeschlechtlichen Gruppe würden dadurch teilweise neue Rollenverhalten und Gesprächsthemen möglich. Die Scham, geschlechtsspezifische Themen vor dem anderen Geschlecht anzusprechen, fiele weg, ebenso wie der Wunsch, sich im Verhalten von den gegengeschlechtlichen Kindern abzugrenzen. Also müssen im ersten Schritt die geschlechtsspezifischen Bedürfnisse der Kinder akzeptiert werden, indem man das stereotyp erscheinende Verhalten der Kinder als entwicklungspsychologische Notwendigkeit anerkennt. Man muss anerkennen, dass die Kinder bereits in diesem Alter Angebote und Verhaltensweisen dem Geschlechterschema zuordnen. Im zweiten Schritt gilt es, diese Zuordnungen nicht stehen zu lassen, sondern sie mit den Kindern zu thematisieren. Die Kinder sollen die Geschlechterrollen nicht als natürlich wahrnehmen, sondern sie hinterfragen lernen. Dafür ist unbedingt nach der Trennung der Geschlechter auch wieder eine Zusammenführung und Annäherung notwendig. Kinder stellen ab dem Alter von drei Jahren, in dem die Geschlechtertrennung beginnt, hauptsächlich die Unterschiedlichkeiten in den Vordergrund, um sich vom jeweils anderen Geschlecht abzugrenzen und verlieren dabei die zahlreichen Gemeinsamkeiten aus den Augen. Häufig kann man in der Kita beobachten, wie die ErzieherInnen die Kinder geschlechtsneutral zu erziehen versucehn oder gegengeschlechtliches Rollenverhalten der Kinder positiv zu spiegeln, um Stereotype in der Geschlechtsidentität zu vermeiden. Ich habe diese Verhaltensweisen in meinem Praktikum in der Kita an mir selbst beobachten können. Wollten die Jungen immer nur Fußball spielen, so wollte ich mit den Mädchen Fußball spielen. Spielten die Jungen mit Puppen, so belohnte ich dieses Verhalten mit einer positiven Reaktion. Meine Intention war es ein Gegengewicht zum vermeintlich stereotypen Belohnungssystem der Eltern zu setzen. Der Ansatz einer geschlechtsbewussten Erziehung kann es jedoch nicht sein Jungen zu Mädchen und Mädchen zu Jungen zu erziehen. Genauso wenig kann es das Ziel sein, jedes geschlechtliche Verhalten zu vermeiden und nur geschlechtsneutrale Verhaltensweisen zu bestärken, gerade mit Blick auf die wichtige 35 Orientierungsfunktion der Geschlechtsidentität. Eine geschlechtsneutrale Erziehung verkennt die bereits vorhandene Geschlechtlichkeit der Kinder selbst im Kita-Alter und würde in seiner Konsequenz wiederum zu einer Einschränkung an Möglichkeiten der Entwicklung einer individuellen Geschlechtsidentität führen. Daher ist es meiner Meinung nach unumgänglich als ErzieherIn, den Kindern ein breites Spektrum an geschlechtlichem Verhalten als positiv zu spiegeln. Jungen dürfen selbstverständlich Fußball spielen und toben, jedoch sollten sie ebenso selbstverständlich in der Puppenecke spielen und Entspannungsangebote wahrnehmen. Nur so kann die eingangs formulierte Forderung, den Kindern unabhängig von ihrem Geschlecht gleiche Entwicklungschancen zu gewähren, erfüllt werden und „Geschlecht“ als Strukturkategorie in ihrer determinierenden Wirkung abgeschwächt werden. 5. Fazit: Kinder entwickeln schon sehr früh eine Geschlechtsidentität, welche als Strukturkategorie für die Kinder im Alter von null bis sechs Jahren eine wichtige Orientierungsfunktion darstellt. Wenn also mit drei Jahren die Geschlechtertrennung durch die Bevorzugung von gleichgeschlechtlichen Spielkameraden und „geschlechtstypischem“ Spielzeug deutlich wird, beginnt nicht erst eine Entwicklung der Geschlechtsidentität, sondern haben sich bereits durch Sozialisationsprozesse und erste Selbstkategorisierungsprozesse wichtige Bausteine der Entwicklung der Geschlechtsidentität etabliert. Des weiteren habe ich in meinem fachpraktischem Teil als Ziel für geschlechtsbewusste Erziehung ein breites Repertoire an geschlechtlichem Verhalten als positiv zu spiegeln formuliert, um beiden Geschlechtern die gleichen Entwicklungschancen zu gewähren. Die Kitas als weiblich dominierter Raum spiegeln tendenziell eher weibliche Verhaltensmuster als positiv und laufen damit Gefahr den Jungen und Mädchen in der Kita wichtige Erfahrungsbereiche, z.B. Bewegungs- und Körpererfahrungen, vorzuenthalten. Es wird deutlich, dass mehr männliches pädagogisches Personal in den Kitas benötigt wird. Die reine Anwesenheit von Männern jedoch genügt nicht, sondern die ErzieherInnen sollten den „typischen“ Rollenerwartungen entgegenwirken, indem sie reflektiert und geschlechtsbewusst agieren. Hier ist besonders wichtig, dass geschlechtsbewusst nicht mit geschlechtsneutral gleichgesetzt wird. Dies würde die bereits vorhandene Geschlechtlichkeit der Kinder im KitaAlter ignorieren. 36 Eine interessante Frage, die in der Fachliteratur kaum thematisiert wird: „Wie kann eine geschlechtsbewusste Erziehung in den ersten drei Jahren – also in der Krippe – aussehen?“ Diese Frage wird in meiner Facharbeit nicht beantwortet. Diese Frage stellt sich gerade im Hinblick auf die Erkenntnis, dass sich die Basis für eine Geschlechtsidentität bereits so früh etabliert und eine stark steigende Zahl von Kindern in diesem Alter bereits eine Krippe besucht. Brauchen die Kinder in dem Alter überhaupt eine spezielle geschlechtsbewusste Erziehung oder genügen die allgemeinen Grundsätze? Diesen Aspekt der geschlechtsbewussten Erziehung möchte ich in meiner Erziehertätigkeit gerne weiter verfolgen. 37 Literaturverzeichnis: - Distelhorst, L. (2009): Judith Butler, Paderborn - Flammer, A. (2009): Entwickungstheorien, Bern - Friis, P. (2008): Männer im Kindergarten. Wie man sie anwirbt – und dafür sorgt, dass sie auch bleiben. Themenheft des norwegischen Kultusministeriums (2006). Deutsche Fassung 2008 hg. Vom Forschungsprojekt Elementar, Universität Innsbruck online - Einsiedler, W. (1999): Das Spiel der Kinder. Zur Pädagogik und Psychologie des Kinderspiels, Bad Heilbrun - Hartmann, W. 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