Das Atmen beim Musizieren Die Methode Schlaffhorst
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Das Atmen beim Musizieren Die Methode Schlaffhorst
66 E. Achatz und D. Jacobi – Das Atmen beim Musizieren, die Methode Schlaffhorst-Andersen Das Atmen beim Musizieren Die Methode Schlaffhorst-Andersen E. Achatz und D. Jacobi, Berlin Zusammenfassung Einleitung Die physische Belastung eines Musikers geht Die Methode Schlaffhorst-Andersen ist ein ganzheitlicher Ansatz, welcher die Wechselwirkung von Atem-, Stimm- und Bewegungsfunktionen methodisch nutzt, um sowohl aktivierend wie auch regenerierend auf den Organismus einzuwirken. Im Zentrum steht die Arbeit am so genannten „dreiteiligen Atem- und Bewegungsrhythmus“. Durch die Koordination von Atmung und Bewegung oder Atmung und Stimm-/Sprecheinsatz wird auf die Leistungsfähigkeit und die Ausdruckskraft, aber auch auf die Gesunderhaltung des Musizierenden eingewirkt. Die Funktionelle Bewegungslehre ist ein Clara Schlaffhorst (1863 - 1945) und Hedwig Andersen (1866 -1957) waren Musikerinnen (Gesang und Klavier), die durch eigene Atem- und Stimmprobleme auf den Zusammenhang von Atmung und Stimme aufmerksam wurden. Der Hals-, Nasen- und Ohrenarzt Dr. Kafemann empfahl den beiden 1895 in Königsberg das Buch von Leo Kofler, „The Art of Breathing as the Basis of Tone-Production“ zu lesen und entsprechend zu üben. Nachdem die beiden Freundinnen das Buch durchgearbeitet hatten, übersetzten sie es ins Deutsche. Später konnten sie sogar einen Teil davon veröffentlichen. Schlüsselwörter Methode Schlaffhorst-Andersen, dreiteiliger Atem- und Bewegungsrhythmus, Regeneration, Ganzheitlichkeit, Ausdruckskraft, Gesunderhaltung Summary The Schlaffhorst-Andersen method is a holistic approach, which uses the reciprocal influences of breathing, voice and body-movement in order to effect the whole organism. The main idea is to reestablish and to use the natural rhythm of breathing (inhaling, exhaling, pause) and to coordination it with the voice and/or body-movements. The goal is to improve performance ability, power of expression as well as the health of musicians. Key Words Training for breathing, voice and body movement, Schlaffhorst-Andersen-methode, holistic approach, performance, expression, activity and health Auf der Grundlage der Koflerschen Atemübungen begann ihre Suche von der Stimme zur natürlichen Atmung. Sie entwickelten im Laufe der Jahre eigene Übungen und widmeten ihr Leben der empirischen Erforschung der physiologischen Gesetzmäßigkeiten von Atmung und Stimme. Beim Unterrichten ging es den Freundinnen um den ganzen Menschen. Sie verfolgten mit ihrer Arbeit das Ziel, die physiologischen Funktionen von Atmung und Stimme wieder herzustellen und den Menschen an seine innere Bewegung und Lebendigkeit anzuschließen. Intuitiv entdeckten, erforschten und lehrten sie Phänomene wie „die Eigenbewegung des Stimmbandes im antagonistischen Wechselspiel mit der Atemmuskulatur“, die Dreiteiligkeit des Atem- und Bewegungsrhythmus, den unwillkürlichen Einatmungsimpuls, die Regenerationswege (kreisende, schwingende und rhythmische Bewegungen), die Wirkung der Sprachlaute auf den Organismus. Als Rotenburger Schule gelangte die Methode in den Zwanziger Jahren in Deutschland zu großer Anerkennung. Bekannte Persönlichkeiten ließen sich von Schlaffhorst und Andersen unterrichten; darunter Elly Ney, Wilhelm Kempff, die Altistin Aline Friede und Kammersänger Gerhard Hüsch. Eine zeitlang war Hans Chemin-Petit Leiter des Schulchores der Rotenburger Schule. Die Methode Schlaffhorst-Andersen wurde schon mehrfach auf den Kongressen für Musikermedizin und Musikphysiologie vorgestellt. Musikphysiologie und Musikermedizin 2004, 11. Jg., Nr. 1&2 Definition Die Methode Schlaffhorst-Andersen gehört sowohl zu den Gesangsschulen wie auch den Körperschulen. Ihr Ziel ist es, Atem, Körperbewegung und Stimme in rhythmischen Einklang zu bringen. Das Wiederherstellen und Nutzbarmachen unseres natürlichen Atemund Bewegungsrhythmus wirkt sich auf Bewegungen im Alltag wie auch auf das Singen und Instrumentalspiel regenerierend, aber auch leistungssteigernd aus und kann damit den oft stressbedingten Spielproblemen von MusikerInnen entgegenwirken oder sie von vornherein verhindern. Erklärung der Wirkweise Clara Schlaffhorst und Hedwig Andersen erkannten die Wechselwirkung von Atem-, Stimm- und Bewegungsfunktionen und deren regenerierende Wirkung auf den Organismus. Grundlage bildete dabei der so genannte „Dreiteilige Atem- und Bewegungsrhythmus“. Darunter verstanden sie nicht nur die Frequenz der Atemzüge, sondern auch deren zeitliche und qualitative Funktion. Die Abfolge von Zusammenziehung, Streckung und Lockerheit spiegelt sich in der Atmung wider und ist in allen Bewegungsabläufen zu finden. In der Einatmung erfolgen ein Spannen der entsprechenden Muskeln und Absenken des Zwerchfells (Kontraktion) bei gleichzeitigem Aufbau der elastischen Kräfte in der Lunge und im äußeren Atemapparat. In der Ausatmung steigt das Zwerchfell nach oben; eine Phase der „muskulären Abspannung“. Die Atempause, als Moment des Lösens, stellt die Voraussetzungen für den Beginn einer neuen Atemphase her. Werden die drei Phasen nicht vollständig ausgeführt oder genutzt, so kommt es in der Atmung zu Dysrhythmien. Die häufig fehlende Atempause, der Moment des Lösens, ist dabei am folgenschwersten und führt auf Dauer zu Erschöpfungszuständen. Gleichzeitig verspannt sich die gesamte Muskulatur, da die Dehnung vernachlässigt wird. Das mangelhafte Lösen wiederum begünstigt die Tendenz zu Verkrampfungen. Die konsequente Anwendung des dreiteiligen Atem- und Bewegungsrhythmus ermöglicht die Betonung der Streckphase und die Wiederherstellung der Lockerheit in der Muskulatur. Auf diese Weise entsteht ein ganzheitlicher Aufbau der grob- und feinmotorischen Spannungsabläufe im gesamten Körper. Die Atembewegung wird vertieft und rhythmisiert, so dass sich der 67 unwillkürliche Einatmungsimpuls durchsetzen kann. Die Abfolge dieser drei Phasen bezeichneten Clara Schlaffhorst und Hedwig Andersen als „Naturgesetz“. Denn ihren Ablauf finden wir in vielfältiger Gestalt und Variationen in allen Lebensbereichen wieder. Sie nannten es Zusammenziehung - Streckung - Lockerheit in der Bewegung, kann auch erlebt werden als Spannung - Abspannung - Lockerheit, als leicht - schwer - schwebend, als „Spannkraft Schwerkraft - Schwungkraft“ und in anderen Lebenszusammenhängen als Lust - Unlust Behagen oder Werden - Vergehen - Sein. Das Erleben dieses Rhythmus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen ermöglicht es dem „ganzen Menschen“, an seinen Handlungen beteiligt zu sein; man könnte auch sagen, Körper, Seele und Geist in Einklang zu bringen. Wir sprechen dann von Persönlichkeit oder Authentizität im Ausdruck. Charakteristik der Methode Die Methode Schlaffhorst-Andersen erarbeitet gezielt ein elastisches Muskelspiel in Atmung und Bewegung. Die Koordination von Atem und Spielbewegung ist ein Anpassungstraining der Atmung an unterschiedliche Körperbewegungen und -haltungen. Es entsteht eine Flexibilität des Atems, wie sie für das gemeinsame Musizieren und für das Gestalten eines Kunstwerkes notwendig ist. Als Folge steigert sich die Leistungsfähigkeit bezüglich Ausdruck, Kraft, Ausdauer, Konzentration und Kreativität. Die Methode benutzt kreisende, schwingende und rhythmische Bewegungsübungen (auch Regenerationswege genannt), welche mit der Atmung koordiniert werden und entsprechende Atemimpulse auslösen. Hervorzuheben ist das „Schwingen nach Schlaffhorst-Andersen“. Die Ausführung der Bewegungen erfolgt zu zweit oder in der Gruppe. Durch Gewichtsverlagerungen und spezielle Bewegungsabläufe werden Atem und Bewegung so aufeinander abgestimmt, das sich beide rhythmisieren. Als Folge stellen sich eine Vertiefung der Atmung, eine organische Bewegung, ein physiologischer Haltungsaufbau, ein Eutonus in der Muskulatur ein. Die dynamische Steigerung der Bewegungsabläufe, des Atems oder der Stimmkraft entsteht. Gleichzeitig werden die sensomotorischen Fähigkeiten des Übenden geschult. Die Atemanregung kann aber auch über gezielte manuelle Reize erfolgen. 68 E. Achatz und D. Jacobi – Das Atmen beim Musizieren, die Methode Schlaffhorst-Andersen Indikationen Das Musizieren stellt eine physische und psychische Herausforderung dar, bei welcher sich die Atmung normalerweise automatisch der Körperbewegung/Spielbewegung anpasst und keiner besonderen Beachtung bedarf. Höchste Leistungsfähigkeit und Ausdruck entstehen, wenn idealerweise die Atmung gleichzeitig in Einklang mit dem Rhythmus der Musik ist. Man sagt dann „die Musik atmet“. In der heutigen Zeit werden an MusikerInnen Höchstanforderungen gestellt. Technisch schwierige Stücke, kompliziertes Zusammenspiel, Leistungsdruck, Konkurrenz und Aufregung können die Phänomene auslösen, die man allgemein als „Stress“ bezeichnet. Diese Überreizung des Nervensystems hat An- und Verspannungen von Muskelgruppen, Magenund Darmprobleme, Herz-KreislaufBelastungen etc. zur Folge. Die Atmung kann ebenfalls betroffen sein. Sie wird flacher oder sogar angehalten. Dadurch sind Atem- und Spielbewegung nicht mehr koordiniert. Hält dieser Zustand längere Zeit an, entstehen weitere körperliche Einschränkungen bis hin zu Leistungseinbußen. Durchführung Die Methode Schlaffhorst-Andersen bietet eine Fülle von Übungen, bei welchen Atem und Bewegung koordiniert werden. Eine der Bewegung angepasste Atmung stellt sich dabei ein. Man lernt, im Alltag wie auch beim Üben diese Wechselwirkung zu nutzen. Nach gleichem Prinzip werden auch die Spielbewegung und das Atmen eingeübt. Der Unterricht wird einzeln oder in einer Kleingruppe angeboten. Die Übungen können im Stehen, Sitzen oder Liegen durchgeführt werden. Alle Übungen orientieren sich an den individuellen Bedürfnissen und Notwendigkeiten des Einzelnen. Die Zahl der Übungsstunden sollte mindestens zehn betragen. Je intensiver geübt wird, umso besser können sich die Prozesse automatisieren, so dass die Abläufe auch in schwierigen Situationen zur Verfügung stehen. MusikerInnen lernen u. a. – den eigenen Atemrhythmus und die innere Balance wieder zu finden, – die Koordination von Atem- und Spielbewegung zu optimieren, – Atemkraft sowohl für eine physiologisch gute Haltung als auch für die Tongestaltung zu nutzen, – die zum Musizieren gebrauchte Muskulatur zu entlasten, – Verspannungen aufzulösen, – – das Körperbewusstsein zu schulen, um Haltungs- und Bewegungsfehler zu erkennen, zu korrigieren und zu vermeiden, einen anderen Umgang mit belastenden Situationen im Alltag zu finden. Das rhythmische Zusammenspiel von Atem, Bewegung, Stimme und Musik bietet eine Möglichkeit, um Körper, Seele und Geist in Einklang zu bringen. Es unterstützt uns, die Herausforderungen des Alltags zu bewältigen, und zu psychischen und physischen Höchstleistungen, wie es das Musizieren ist, fähig zu sein. Literatur Köpp, Gisela (1995) :Leben mit Stimme Stimme mit Leben, Bärenreiterverlag, Kasel Kofler, Leo (1897) : Die Kunst des Atmens, aus dem Englischen übersetzt und umgearbeitet von Clara Schlaffhorst und Hedwig Andersen (1897),Bärenreiterverlag, Kassel 1961 Krauß, Herbert (1984) : Atemtherapie, Verlag Volk und Gesundheit, Berlin 1984 Lang, Antonie(1999) : „Das Konzept Schlaffhorst-Andersen zur gezielten Prävention und Behandlung der Aufführungsangst“, aus „Musikphysiologie und Musikermedizin“, 6. Jahrgang, 1999 S. 78-82 Saatweber, Margarete (1994) : Einführung in die Arbeitsweise Schlaffhorst-Andersen Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein Schlaffhorst, Clara; Andersen, Hedwig(1996) : Atmung und Stimme, Möseler Verlag, Wolfenbüttel Seyd, Waltraud (1993) : Schwingen und Atemmassage, Neckar Verlag, VillingenSchwenningen Kontakt Eva Achatz Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Hubertusstraße 8A 12163 Berlin Telefon 030/7 91 67 96 Dietlind Jacobi Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Stubenrauchstraße 30 12161 Berlin Telefon 030/8 51 21 59