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Erwachsenenbehandlung 5. Prä- und postoperative KFO bei Kieferchirurgie – die Hintergründe Das perfekte Gesicht weist ein harmonisches Verhältnis des Mittelgesichtes zum Untergesicht und eine ausgeglichene Lagebeziehung des Unterkiefers zum Oberkiefer auf. Beide Gesichtshälften sind in Bezug auf alle Raumrichtungen symmetrisch ausgebildet. Ästhetisch und funktionell passt alles optimal. Allerdings setzt ein perfektes Gesicht etwas voraus, was es in der Realität so nicht gibt: ein ungestörtes, vollkommen austariertes Zusammenspiel aller Faktoren, die sich jeweils auf die Entwicklung und das Wachstum des Ober- und Unterkiefers auswirken. Sie ahnen schon: So etwas gibt es nicht und kann es nicht geben, nicht einmal bei Topmodels oder den schönsten A-Promis. Wenn das in Zeitschriften so erscheint, ist kräftig „gephotoshopt“ worden. Etwas, vielleicht nur ein winziges Detail, kommt im Leben immer dazwischen. Schon bei der Entwicklung eines Embryos kann unendlich viel schief gehen: Beide Kiefer bestehen aus letztendlich zwei Hälften, einer rechten und einer linken, die nach und nach zusammenwachsen. Was später bleibt, ist eine natürliche Fuge oder Naht, die zunächst aus Knorpel besteht und später beim Erwachsenen verknöchert. Alles - Knorpel, Knochen, alle Weichgewebe, alle „Versorgungsleitungen“ (Blutgefäße, Nerven) - muss miteinander koordiniert werden. Diese Koordination ergibt sich aus genetischen Faktoren, die sozusagen die grundlegende Tendenz vorgeben, und sporadisch auftretenden äußeren Einflüssen, die zufällig passieren und nicht vorhersehbar sind. Da gibt es z.B. hormonelle und ernährungsbedingte Einflüsse während der Embryonalentwicklung und z.B. die Passage durch den Geburtskanal, bei dem enorme Kräfte auf den Schädel einwirken, die die Symmetrie stören können. Der Gesichtsschädel wächst in der Kindheit und Jugend im ständig wechselnden Zusammenspiel zwischen den ererbten, genetischen Vorgaben und der Zahnentwicklung, der Zungenfunktion und den oberen Atemwegen (Nasenatmung, Gaumenmandeln, Polypen). Verletzungen durch Unfälle oder schlechte Angewohnheiten wie z. B. Daumenlutschen oder Lippenlecken können dieses Zusammenspiel sehr stark beeinflussen, selbst wenn sie nur kurzfristig auftreten. Infekte der oberen Atemwege oder Allergien behindern die Nasenatmung und somit indirekt das Kieferwachstum. Das Ergebnis dieser „Achterbahnfahrt“ zwischen Genetik und Lebenseinflüssen ist der ausgewachsene Erwachsenenschädel: mehr oder weniger asymmetrisch, mit kleinen Makeln, die im Normalfall kaum auffallen und keinen stören. Es kann jedoch vorkommen, und das tut es gar nicht so nicht selten, dass die Entwicklung der Kiefer deutlicher gestört wird und z.B. der Unterkiefer im Wachstum gebremst wird, wodurch er optisch gegenüber dem Oberkiefer zurücktritt. Es ist ein Rückbiss, eine so genannte Retrogenie entstanden. Das Kinn erscheint dadurch fliehend. Der Kieferorthopädie nennt das „Klasse II“ nach einem berühmten amerikanischen Kieferorthopäden namens Edward Angle. Umgekehrt kann auch der Oberkiefer durch verschiedene Faktoren im Wachstum gehemmt werden. Der Unterkiefer scheint dadurch im Verhältnis vergrößert. Dies nennt man Vorbiss oder „Klasse III“. Zusätzlich kann sogar der Unterkiefer zu stark wachsen (Habsburg-Kinn). Diese Konstellation ist oft genetisch bedingt. Meist entstehen Kieferfehlstellungen, als die sie bezeichnet werden, durch ein funktionelles Ungleichgewicht zwischen Ober- und Unterkiefer. Ursache kann z.B. eine Zungendysfunktion sein, oder die oben erwähnten schlechten Angewohnheiten, häufige Infekte in der Kindheit, ein Sturz auf das Kinn, orthopädische Fehlhaltungen… Auch die Zahnentwicklung ist störanfällig und auf ein harmonisches Zusammenspiel von Genetik und Funktion angewiesen. Es ist bekannt, dass sich im Laufe der Evolution die Zahnzahl reduziert hat. Auch beim Menschen ist dies dadurch erkennbar, dass bei vielen bereits die Weisheitszähne, die berühmt-berüchtigten „Achter“, fehlen oder nicht richtig durchbrechen. Auch die auffallend große Form- und Größenvielfalt dieser Zähne spricht für diesen Trend. Zähne in voller Abbeiß- und Kautätigkeit haben nämlich bestimmte „Zielvorgaben“, die sie einhalten müssen, um optimal zu funktionieren. Sie sehen daher bei allen Menschen relativ ähnlich aus. Ebenfalls zeigt sich diese evolutionäre Tendenz zur Reduktion bei den seitlichen Schneidezähnen (den „Zweiern“), die manchmal zu klein geraten sind oder sogar fehlen. Übrigens gilt Ähnliches für die zweiten Seitenzähne (die „Fünfer“). All das hat mit der Tatsache zu tun, dass sich unsere Ernährungsgewohnheiten in den letzten fünfzehn- bis zwanzigtausend Jahren dramatisch verändert haben. Wir müssen bspw. seit Nutzbarmachung des Feuers und seit unserer Sesshaftwerdung sehr viel weniger Kauen. Sie ahnen etwas? Ja, es steckt ein raffiniertes und sehr ökonomisches Prinzip der Natur dahinter: Was nicht mehr gebraucht wird, wird kleiner oder fällt gleich ganz weg. Die Form folgt der Funktion. Ist die Funktion gestört, wirkt sich das unmittelbar auf die Form, d.h. die anatomische Ausprägung, aus. Das führt manchmal zu kuriosen Fehlentwicklungen, bei denen z.B. die genetische Ausstattung noch den Befehl für 32 Zähne gibt, der Kiefer aber aus Funktionsgründen flexiblerweise schon verkleinert wurde. Dass es in einem solchen Gebiss zu Platzproblemen kommen muss, ist völlig klar. Diese Diskrepanz tritt mithin recht häufig auf und ist der Grund dafür, dass heute viele Menschen im Mund nur noch Platz für 28 oder sogar nur noch 24 Zähne haben. Im asiatischen Raum ist dieser Trend übrigens noch viel ausgeprägter: Die Gesichtsprofile sind relativ flach und die Kiefer sowie das Kinn eher klein. Die Zähne aber sind im Verhältnis groß angelegt. Das führt manchmal dazu, dass die Mundpartie manchmal etwas vorspringend aussieht, weil der zahntragende Teil der Kiefer sich an die Zähne anpasst (die Form folgt der Funktion) – der Kieferorthopäde spricht da von bialveolärer Protrusion. Da sind sie also nun, die ausgewachsenen Kiefer, denen man ihre Geschichte teilweise deutlich ansieht. Erwachsene mit Kieferfehlstellungen oder bestimmten Fehlbissen sehen sich leider manchmal mit der Tatsache konfrontiert, dass die Kieferorthopädie allein hier an ihre Grenzen stößt. Es wird unter Umständen erforderlich, zumindest einen Teil der möglicherweise nötigen Korrekturen kieferchirurgisch durchzuführen, nämlich den Teil, bei dem es gilt, die Kieferknochen anders zueinander zu positionieren. Das kann beispielsweise u.a. eine chirurgische Kürzung oder Verlängerung des Unterkiefers sein, oder eine Versetzung des Oberkiefers nach vorne-unten, oder aber eine Verbreiterung des Oberkiefers durch „Schwächung“ oder „Sprengung“ der Gaumennaht bei zu schmalem Oberkiefer mit Kreuzbiss. In solchen Fällen ist es die Aufgabe des Kieferorthopäden – also von uns – zunächst einmal die Zahnbögen im Ober- und Unterkiefer so auszuformen, dass der Kieferchirurg die Knochen optimal stellen kann. Dies geschieht mittels moderner Brackets, d.h. mit einer festsitzenden „Zahnspange“. Ebenso ist es wichtig, dass bereits vor der Kieferchirurgie die Kiefergelenke bei Erkrankungen derselben möglichst physiologisch positioniert und entlastet sind. Um das zu erreichen, gibt es verschiedene Methoden, je nachdem, welches Krankheitsbild vorliegt. In der Regel bekommen diese Patienten so genannte Aufbisse an den hinteren Zähnen und evtl. ein MARA, wenn dies indiziert ist. Dann geht es gemeinsam mit dem Chirurgen an die konkrete Planung: Es werden so genannte Splints erstellt, d.h. chirurgische Biss-Schienen, die dem Operateur präzise vorgeben, wie die Kiefer und die Zähne nach dem Eingriff aufeinander passen sollen. Gerne erläutern wir Ihnen die geplanten Schritte und zeigen Ihnen auch anhand einer virtuellen Simulation, wie Sie nach der OP aussehen werden. Anspruch von Kieferorthopäde und Kieferchirurg ist es, dass der Patient nach der OP genau in seine Schiene beißen kann und dass die Planung exakt umgesetzt wurde. Die Operation selbst wird gewöhnlich stationär durchgeführt. Es erfolgt zuerst ein detailliertes Aufklärungsgespräch, bei dem nochmals alles Details der Operation und Fragen bzgl. der Nachsorge geklärt werden. Im Anschluss bleibt der Patient etwa eine Woche im Krankenhaus. Je nach Verlauf der Heilung kann es eine Zeit lang Gesichtsschwellungen und Hämatome geben. Das Sprechen kann anfangs schwer fallen, da Ober- und Unterkiefer miteinander fixiert sind. Ebenso ist der Patient mehrere Wochen auf flüssige, bzw. weiche Kost angewiesen. Nach der Heilungsphase beginnt eine weitere Aufgabe des Kieferorthopäden: Jetzt passen die Kiefer in allen Dimensionen (Länge, Breite, usw.) optimal aufeinander, aber die Zähne noch nicht. Also startet jetzt die eigentliche kieferorthopädische Behandlung mit Brackets und Bändern auf den ersten Molaren. Ziel ist es, den Biss der neuen Kieferposition anzupassen und ihn so ebenfalls zu optimieren. Am Ende steht das sowohl funktionell als auch ästhetisch bestmögliche Ergebnis.