ö 1-klassiker 12105

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ö 1-klassiker 12105
Ö 1-KLASSIKER
SCHUMANN + BERLIOZ + LISZT
MEDIENBEGLEITHEFT zur CD
Robert Schumann:
Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op.54, 30.01 Minuten
Dicherliebe op. 48 »Buch der Lieder«, 27.14 Minuten
Hector Berlioz: Symphonie fantastique op.14, 57.43 Minuten
Franz Liszt: Totentanz Paraphrase über
»Dies irea« für Klavier und Orchester, 15.27
DAS ZUKUNFTSMINISTERIUM
12105
Ö 1 – KLASSIKER: SCHUMANN + BERLIOZ + LISZT
Das vorliegende Heft ist die weitgehend vollständige Kopie des Begleitheftes zur CD
Konzept der Zusammenstellung von
Dr. Haide Tenner, Dr. Bogdan Roscic, Lukas Barwinski
Executive Producer:
Lukas Barwinski
Musik Redaktion:
Dr. Gustav Danzinger, Dr. Robert Werba, Albert Hosp, Mag. Alfred Solder
Text:
Renate Burtscher
Lektorat:
Michael Blees
Grafikdesign:
vektorama
Fotorecherche:
Österreichische Nationalbibliothek/ Mag. Silke Pirolt
Fotos:
ORF, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv
Herausgeber der CDs und der Begleithefte:
Universal Music GmbH, Austria 2004
Besonderen Dank an:
Prof. Alfred Treiber, Mag. Irina Kubadinow, Dr. Johanna Rachinger,
Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek
Medieninhaber und Herausgeber des vorliegenden Heftes:
Medienservice des
Bundesministeriums für Bildung,
Wissenschaft und Kultur
1014 Wien, Minoritenplatz 5
Bestellungen:
Tel. 01/982 13 22-310, Fax. 01/982 13 22-311
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Ö1-KLASSIKER, VOLUME 5
SCHUMANN + BERLIOZ + LISZT
ROBERT SCHUMANN:
KONZERT FÜR KLAVIER UND ORCHESTER A-MOLL OP. 54
Das Jahr 1840 gilt für Robert Schumann als das >Liederjahr< -138 ein- und mehrstimmige Klavierlieder entstehen im Jahr der Eheschließung mit Clara Wieck, eine
glückliche Zeit, eine Zeit der Euphorie, in der er »nicht anders kann, als sich tot singen wie
die Nachtigall.« Der Liederexplosion folgt im Jahr darauf eine Reihe herrlicher
sinfonischer Musik. In drei, vier Tagen des Frühjahrs 1841 schreibt Schumann für seine
Clara, die zu den bedeutendsten Pianistinnen ihrer Epoche zählte und Hunger auf größere
musikalische Formen aus der Feder ihres Gatten hatte, eine Fantasie für Klavier und
Orchester. Es sollte etwas sein »zwischen einer Sinfonie, einem Konzert und einer großen
Sonate.« Schumann will die Schranken der herkömmlichen Gattungen aufheben und sie zu
einer Synthese bringen. An bloßer Virtuosität als Selbstzweck ist Schumann nicht mehr
interessiert, für ihn wollen Klavier und Orchester gleichberechtigte Partner in einem
romantischen Aben-teuer sein, das manchmal in den verhaltensten Momenten geradezu in
eine selbstver-neinende Rolle des Soloinstruments mündet.
Schumann macht sich mit seinem berühmten Concerto zu dem Genius, den er sich in einer
Rezension der Klavierkonzerte von Ignaz Moscheles (sein op. 93) und Felix Mendelssohn
Bartholdy (op. 40) zwei Jahre zuvor herbeigewünscht hatte. Dieser Genius sollte in neuer
und glänzender Weise zeigen, »wie das Orchester mit dem Klavier zu verbinden sei, dass
der am Klavier Herrschende den Reichtum seines Instruments und seiner Kunst entfalten
könnte, während das Orchester dabei mehr als das bloße Zusehen habe und mit seinen
mannigfaltigen Charakteren die Szene kunstvoller durchwebe.« Weil der Verleger meinte,
ein so kurzes Werk sei nicht marktfähig, hängt Schumann der selbständigen KonzertPhantasie vier Jahre später ein Intermezzo und einen Schlusssatz an. »Robert hat ein
schönes Finale zu seiner Fantasie gefügt, so dass sie jetzt zu einem Konzert geworden ist«,
schreibt die zufriedene Gattin und später: »Ich bin sehr froh darüber, denn ich wollte immer
schon ein großes Bravourstück von ihm haben. [...] Wenn ich daran denke, es mit einem
Orchester zu spielen, freue ich mich wie ein König.« Darauf muss sie bis in den Dezember
1845 (ein knappes halbes Jahr) warten. Die Uraufführung findet in Dresden statt, am
Dirigentenpult steht der Widmungsträger Ferdinand Hiller und am Neujahrstag 1846 wird
das Konzert in a-Moll op. 54 den Leipzigern zum erstenmal unter der Stabführung
Mendelssohns präsentiert.
Obwohl die Komposition der einzelnen Sätze von Schumanns erstem Werk für Klavier und
Orchester in Etappen entstanden ist, haben wir ein Werk von erstaunlicher Einheit und
Geschlossenheit vor uns. Ein romantisches Paradestück, das nicht den Anspruch hat, den
Solisten zu verherrlichen (bewundern darf man ihn ja trotzdem vor allem und ganz besonders, wenn er Svjatoslav Richter heißt und der Poesie des berühmten SchumannConcertos so stupende gerecht wird), sondern dazu komponiert wurde, damit »die Musik
über allem steht.« Solist und Orchester tragen das symphonische Geschehen gemeinsam.
Das mit dem Klavier eng verzahnte Orchester führt einen gleichberechtigten Dialog mit
dem Pianisten, es verstärkt die melodischen Konturen, reichert die Harmonik an,
intensiviert die Farbigkeit, erweitert die Perspektiven und bietet damit wieder neue
Entfaltungsmöglichkeiten für den Solisten.
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Voller Leidenschaftlichkeit entwirrt der Pianist seinen Gedanken, der Phantasie wird
wirklich >freien< Lauf gelassen. Gemeinsam steigen Solist und Orchester in den Ideenfluss, entwickeln eine phantasieartig-freie Großform, die nicht aus dem traditionellen
Spannungsfeld zweier Themen resultiert, sondern hier wird ein neues kompositorisches
Konzept wirksam, das dem romantischen Ideal von Ganzheitlichkeit entspricht. Organisch
entfaltet sich die Musik aus einem Kernmotiv. Hier wird mit einer neuen, sich von der
klassischen Sonatensatzform unabhängigen Logik gearbeitet. In der Kadenz ist es vorbei
mit elaboriertem Fingerblendwerk, behenden Läufen, sprühenden Feuerwerken der
Kadenzen wie bei Mozart und Beethoven. An ihre Stelle treten grüblerische Auseinandersetzungen mit Motivkeimen, die poetische Nachdrücklichkeit ist wichtiger als der Wunsch
zu blenden.
Nahtlos sind in dieses Konzept die beiden anderen Sätze eingeknüpft. Im Intermezzo führt
das Klavier empfindsame, fragmentierte Dialoge mit den Orchesterinstrumenten oder
schließt sich dem schwärmerischen Cellosolo an. Gemeinsame Leidenschaft entfalten
Solist und Orchester im abschließenden energischen und zugleich tänzerischen Rondo. Es
setzt das Ende hinter eine Phantasie der grenzenlosen Fantasie von Robert Schumann.
ROBERT SCHUMANN: DICHTERLIEBE OP. 48
14 Jahre hat der kongeniale Liedbegleiter seinen Sänger überlebt. Die Mitschnitte und
Studioaufnahmen der gemeinsamen Liederabende von Fritz Wunderlich und Hubert Giesen
sind Dokumente einer musikalischen Übereinstimmung, die einmalig ist und vielleicht ist
das - neben der Wundererscheinung Fritz Wunderlich - mit ein Grund, warum wir beim
Hören so ganz ergriffen werden, unsere Seele direkt angesprochen wird.
Robert Schumanns
Klavierkonzert
op. 54, Erstdruck
Am 19. August 1965 fand Fritz Wunderlichs und Hubert Giesens legendärer, auf
Schallplatte festgehaltener Liederabend bei den Salzburger Festspielen statt, auf dem
Programm, neben ausgewählten Liedern von Beethoven und Schubert, sang Wunderlich
Schumanns »Dichterliebe«, entstanden im >Liederjahr< 1840, dem glücklichen ersten
Ehejahr mit Clara. Die vorliegende Einspielung von Robert Schumanns Opus 48 ist eine
spätere, Anfang November 1965 entstandene Studioaufnahme, aufgezeichnet für die
Deutsche Grammophon im großen Saal der Hochschule für Musik in München in
insgesamt fünf dreistündigen Sitzungen.
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Am 5. November sang Wunderlich das Programm im restlos ausverkauften Münchner
Herkulessaal - ein Liederabend der Superlative, wenn man den Rezensionen glauben will.
»Wir gestehen, die >Dichterliebe< noch nie so sehr als ein einheitliches Gebilde
empfunden zu haben«, schrieb die Süddeutsche Zeitung und weiter: »Er stand in sich
versunken abseits vom Klavier und sang, zumeist von seiner schönen Mezza-Voce
getragen, wie für sich selbst vor sich hin, nur da, wo Entscheidendes im Text es gebot,
kräftige Akzente setzend. So gelang es ihm, den Hörer zu fesseln, ja zu erschüttern.«
Andere sprachen von einer nicht zu überbietenden Makellosigkeit des Vor-trags, einer
Ergriffenheit im Publikum, die sein Gesang auslöste, lange müsse man in der
Vergangenheit nach Gleichwertigem suchen. Werner Pfister fragt in seiner im Schweizer
Verlagshaus erschienenen Biographie Fritz Wunderlichs: »Heißt das umgekehrt nicht auch,
dass es zu der Zeit nichts Gleichwertiges gab? Dass Wunderlich zum ersten, zum bedeutendsten deutschsprachigen Liedersänger geworden war?« Die Frage ist ohne Zögern mit
>ja< zu beantworten.
Am 17. September 1966 ist Wunderlich an den Folgen eines tragischen Unfalls gestorben.
Der Verlust schmerzt heute noch und jedes Mal aufs Neue, wenn wir uns hörend seinen
lyrischen Tenor zum Geschenk machen. Fritz Wunderlich ist ohne Nachfolger geblieben,
was wir haben sind die Aufnahmen dieses unvergleichlichen Künstlers - Erschütterung
und Trost zugleich.
Robert Schumann hat gerne auf die Zusammenstellung von Gedichten zu Liederreihen oder
Liederkreisen zurückgegriffen. »Dichterliebe« ist ein Zyklus von 16 Liedern aus Heinrich
Heines »Buch der Lieder« (hier wiederum aus dem »Lyrischen Intermezzo«). Beschrieben
wird eine Liebe, eine zunächst hoffende und erfüllte, und dann enttäuschte, aus den Augen
des Dichters, besungen in Metaphern von Blumen und Vögeln, Rosen, Lilien, Tauben,
Nachtigallen, der Sonne und selbst dem Bildnis der Heiligen Jungfrau.
Schumann, selbst schreibbegabt (der junge Schumann war noch unentschieden, ob er sich
eher der Dichtung oder der Musik zuwenden sollte) und ein hervorragender Literaturkenner, hat sehr genau und fein den Kern von Heines Gedichten getroffen. Er komponierte
16 Miniaturen, die hervorragend den poetischen Gehalt musikalisch umsetzen, das Klavier
stimmt ein, setzt die Ausdruckschilderung fort, singt weiter, wird eins mit dem Seelenzustand des Sängers.
Heinrich Heine
HECTOR BERLIOZ: SYMPHONIE FANTASTIQUE OP. 14
In Paris des Jahres 1830 spricht man von nichts anderem als von der schwärmerischen,
doch unerwiderten Leidenschaft des exaltierten Komponisten Hector Berlioz für die irische
Shakespeare-Heroine Harriet Smithson. Was tun, um auf seine Leidenschaft und Liebesqualen aufmerksam zumachen? Berlioz schreibt Musik, nie dagewesene Musik: tönende
Visionen von Liebe, Eifersucht, Raserei und Vernichtung, die vor grotesken und bizarren
Mitteln, ja der Einbezugnahme des Hässlichen nicht zurückschrecken.
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Der Coup gelingt, der Mann ist in aller Munde, die Neugierde ist geschürt, der >succès de
scandale< perfekt: »Die >Symphonie fantastique< wurde mit Geschrei und Getrampel
begrüßt, die >Marche au supplice< (>Gang zum Richtplatz<) hat man da capo verlangt.
Der >Sabat< hat alles mit sich fortgerissen durch seine satanische Wirkung«, berichtet
Berlioz nach der Uraufführung.
»La vie est un roman qui m’interesse beaucoup« - mein Leben ist ein Roman, der mich
sehr interessiert, heißt es bei Berlioz einmal. Das ist typisch Berlioz, das ist typisch
romantisch, diese geradezu monströse Nabelbeschau, dieses Kreisen um sich selbst, die
ständige und allzeit gegenwärtige Proklamation des >Ichs<, literarisch verbrämt oder in
Musik gebannt. Genausogut hätte Berlioz schreiben können: Meine Musik ist ein Roman,
der mich sehr interessiert; er spricht von der »Symphonie fantastique« als >drame
instrumental<, aber mitunter auch von >roman<. Nachdem er die Partitur im April 1830
soeben vollendet hat, formuliert er in einem Brief an seinen Freund Humbert Ferrand die
erste Skizze seines >Roman-Programms<. Im Zentrum dieses Romans - des modernen
Romans überhaupt - steht das >Ich<, ein autobiographisches, ein erfundenes, ein konstruiertes Ich des Schriftstellers, der aus dem Bewusstsein des eigenen starken Empfindens und
seiner Reflexion darüber die Grundlage für die Musik schafft.
Im Februar 1830, das ist kurz bevor er mit der Niederschrift der »Fantastischen,
Symphonie« beginnt (im April ist sie fertig, im Dezember wird sie uraufgeführt), schreibt
Berlioz an seinen Vater: »Ich möchte ein Mittel finden, das meine fieberhafte Hitze beruhigt, die mich so oft quält; ich werde es niemals finden, das kommt von meiner Veranlagung. Darüber hinaus habe ich die Gewohnheit angenommen, mich ständig zu
beobachten, was dazu führt, dass keine Empfindung mir entgeht und dass sie durch die
Reflexion verdoppelt wird; ich sehe mich in einem Spiegel. Häufig empfinde ich ungewöhnliche Eindrücke, die schwer zu beschreiben sind. Ich habe nur ein einziges Mittel
gefunden, das diese ungeheure Begierde nach Gemütsbewegung völlig befriedigt, das ist
die Musik. Ohne sie könnte ich sicherlich nicht existieren.«
Hector Berlioz‘ »Symphonie fantastique« ist ein Roman, durch den es laut und vernehmlich und fortwährend >Ich< schallt, aber sie ist keine tönende Autobiografie. Berlioz
egomanisches Instrumentaldrama spielt in einem Reich von Traum und Imagination Berlioz war von Kind an gesegnet (und geplagt) mit einer überbordenden Vorstellungskraft. Literatur (allen voran Shakespeare), Kunst, Natur, in der Musik ganz besonders
Gluck und Beethoven besetzen seine Seelenlandschaft, nähren seine Emotionen, geben
Stoff für den überschäumenden Mix aus eigenem und konstruiertem Drama, das sich nur in
Form gestalteter Musik ergießen kann. Weil ihm der Erfolg auf der Theaterbühne
weitgehend verwehrt bleibt, dazu ist er zu sehr Antiklassizist und Antiakademist, Querkopf
und Bürgerschreck, sind seine Inszenierungen im imaginären Raum angelegt, schreibt er
Theater im Kopf, im freien Reich der Gefühle und der Phantasie. Hector Berlioz habe, so
der Musikpublizist Wolfgang Dömling, das >Phantastische< als erster der Musikgeschichte
zu einer Kategorie der Gestaltung gemacht. »Man sehe nur etwa, wie schon in der >Fantastique< das traditionsreiche Modell der >Sonatenhauptsatzform< in durchkalkulierter Konstruktion ebenso radikal wie wirkungs-voll verändert wird (eine >verformte Sonatenform<
wird von da an quasi zur modelllosen Regel: Liszt, Mahler, Schönberg…)«.
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Berlioz fühlte sich dem Modernen verpflichtet und das bedeutete 1830 ein Romantiker zu
sein. Die romantischen Komponisten haben auf ihr Banner geschrieben: Freie Inspiration.
Sie untersagen nichts, von allem, was es im Reich der Musik geben kann, machen sie
Gebrauch. Ihre Devise hatte Victor Hugo am eindrücklichsten formuliert: »Die Kunst taugt
nicht für Fesseln, Gängelbänder und Knebel, sie sagt zum freien Mann: geh', und entlässt
ihn in jenen Garten der Poesie, in dem es keine verbotenen Früchte gibt.«
Im Jahre 2003 haben Marc Minkowski und das Mahler Chamber Orchestra mit einer
fulminanten Einspielung der Symphonie dem Konstrukteur des Fantastischen aus Anlass
des 200. Geburtstags von Hector Berlioz einfühlsamen, aufregenden Tribut gezollt.
FRANZ LISZT: TOTENTANZ
Als Alexander Borodin im Sommer 1881 Franz Liszt in Magdeburg begegnet, schreibt er
seinem Freund, dem Komponisten César Cui begeistert: »Als ich ihm sagte, dass ich von
ihm gern den >Totentanz< hören würde, den ich wegen der Originalität von Idee und
Form, der Schönheit, Tiefe und Kraft des Themas, der Neuartigkeit der Instrumentation,
des tief religiösen und mystischen Ausdrucks sowie aufgrund seines liturgischen
Charakters für das stärkste aller Werke für Klavier und Orchester halte, rief er: >Ja,
schauen Sie nur! Euch Russen gefällt es, aber hier mag man es nicht. Es ist fünf- oder
sechsmal in Deutschland gegeben worden, aber trotz guter Aufführungen wurde es ein
komplettes Fiasko. <«
Franz Liszt am Klavier
Den »Totentanz«, der 1865 mit Hans von Bülow als Solisten in Den Haag uraufgeführt
wurde, komponierte Liszt inspiriert vom Fresco »Der Triumph des Todes« auf dem
Camposante in Pisa und wohl auch unter dem Eindruck des fünften und letzten Satzes, dem
>Hexensabbat< aus Berlioz’ »Symphonie fantastique«.
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Im Gegensatz zu Berlioz, der zwei Phrasen aus der gregorianischen Totensequenz in sein
opus 14 einbezogen hatte, verwendet Liszts Totentanz den ganzen ersten Vers des Themas,
also drei Phrasen:
Dies irae, dies illa
solvet saeclum in favilla
teste David cum Sibylla.
Tag des Zorn, jener Tag
an dem die Welt in Aschenglut vergeht,
wie es vorhergesagt David und die Sibylle.
Was Alexander Borodin an der neuartigen Instrumentierung des sechs Variationen umfassenden Werks so fasziniert hat, liegt klar auf der Hand - der Weg zu Bartoks ersten
beiden Klavierkonzerten ist hier schon vorgezeichnet: nur Klavier und Pauken eröffnen das
Werk für Klavier und Orchester, dann dominieren die Fagotte in der ersten Variation; in
der fünften Fugato-Variation klingt es schon ganz barbaro-mäßig, klangfarbenwürzig sind
die pizzicato- oder col legno-Spielanweisungen für die Streicher in der sechsten Variation.
Möglicherweise als Reaktion auf das gar nicht günstige Echo beim Publikum hat Liszt eine
Fassung mit mehreren größeren Strichen zur Wahl gestellt. In unserer Aufnahme folgt
Alfred Brendel der Originalfassung. Sie überlässt das Ende eigentümlicherweise dem
Orchester. Doch nach der Gepflogenheit der Liszt-Ära ist es durchaus legitim, dass sich
Brendel in die Schlusstakte mit einer Bravourtonleiter in gegenläufiger Oktav einmengt.
Hans von Bülow,
Dirigent
In seinem Essay »Franz Liszt 1986« - es ist in seinem Buch »Musik beim Wort genommen« enthalten - benennt Alfred Brendel das, was eine gute Interpretation von Liszts
Musik auszeichnet: »Innerlichkeit und Leidenschaft, Noblesse und Kühnheit sind ja Qualitäten, die einander keineswegs ausschließen, denn Noblesse muss nicht blass oder akademisch, Leidenschaft nicht vulgär sein.«
Brendel hebt hervor, wie sehr bei Liszt der Ausdrucksklang den Schönklang abgelöst habe.
»Aus dem Bedürfnis, jede sich bietende Erfahrung musikalisch zu verarbeiten, und aus
dem Verzicht auf klassizistisches Maß ergibt sich ein zuweilen nahezu entgrenzter und
entfesselter Klavierklang, der die ganze Skala von Dynamik und Farbe, von Licht und
Schatten umfasst.« Entfesselung hin oder her - Brendels bravouröses Jonglieren zwischen
Innerlichkeit und Leidenschaft, Noblesse und Virtuosität bleibt immer kontrolliert und lässt
trotzdem kein Jota an Ausdrucksintensität vermissen.
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