BGAG-Report 1/2008 - DGUV Publikationen
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BGAG-Report 1/2008 3. Fachgespräch Ergonomie Zusammenfassung der Vorträge, gehalten während des 3. Fachgesprächs Ergonomie am 29. und 30. Oktober 2007 in Dresden Bearbeitet von: Renate Hanßen-Pannhausen, Hanna Zieschang BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Dresden Redaktionelle Unterstützung durch: Sylvia Müller (BGAG) Herausgeber: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) BGAG - Institut Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Königsbrücker Landstraße 2, D-01109 Dresden Telefon: +49 / 0351 / 457 0 Telefax: +49 / 0351 / 457 1015 Internet: www.dguv.de/bgag August 2008 ISBN: 978-3-88383-740-6 ISSN: 1866-9840 3. Fachgespräch Ergonomie – Zusammenfassung der Vorträge vom 29./30. Oktober 2007 – Kurzfassung Am 29. und 30. Oktober 2007 fand in Dresden das 3. Fachgespräch Ergonomie statt. Es richtete sich an die Ergonomie- und Präventionsexperten der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen. Schwerpunkt war das Thema „Ergonomische Arbeitsgestaltung und ältere Beschäftigte“, wobei auch auf Aspekte wie Rehabilitation, Barrierefreiheit, Personalentwicklung und betriebliche Gesundheitsförderung eingegangen wurde. In einem weiteren Themenblock stellten Unfallversicherungsträger ihre aktuellen Ergonomie-Projekte aus der Praxis vor. In diesem BGAG-Report sind die Vorträge der Veranstaltung zusammengestellt. 3rd Ergonomics Talks – Compilation of the papers presented on 29/30 October 2007 – Abstract The 3rd Ergonomics Talks were held in Dresden on 29 and 30 October 2007. The talks were aimed at ergonomics and prevention experts from the statutory accident insurance institutions for the industrial sector and the public-sector accident insurers. The key topic was that of the ergonomic design of work and older employees. Aspects such as rehabilitation, barrier-free environments, personnel development and in-plant health promotion were also addressed. Within a further topic block, accident insurance institutions presented their current ergonomics projects from the field. The papers of the event are compiled in the present BGAG Report. 3ème Colloque Ergonomie – Résumé des exposés des 29 et 30 octobre 2007 – Résumé Le 3ème Colloque Ergonomie s’est tenu les 29 et 30 octobre 2007 à Dresde. Il s’adressait aux experts en ergonomie et en prévention des organismes d’assurance et de prévention des risques professionnels et des caisses accidents. Le thème central était « l’aménagement ergonomique du poste de travail et les travailleurs âgés », les aspects de la réhabilitation, de l’accessibilité, du développement des ressources humaines et de la promotion de la santé en entreprise ont été aussi abordés. Dans un autre groupe de thèmes, les organismes d’assurance accident ont présenté leurs projets d’ergonomie actuels issus de la pratique. Dans ce rapport BGAG sont rassemblés les exposés du colloque. 3er Coloquio Ergonomía – Resumen de las conferencias del 29 y 30 de octubre de 2007 – Resumen El 29 y 30 de octubre de 2007 se realizó en Dresde el 3er Coloquio Ergonomía, destinado a los expertos en ergonomía y prevención de los organismos de seguros y prevención de riesgos profesionales y de las cajas de seguro de accidentes. El tema central fue la “Concepción ergonómica del trabajo y empleados de edad avanzada”, haciéndose hincapié también en aspectos como rehabilitación, exención de barreras, desarrollo del personal y promoción empresarial de la salud. En otro bloque de temas, aseguradoras de accidentes presentaron sus proyectos actuales de ergonomía basados en la práctica. En este informe del BGAG se encuentran recopiladas las conferencias de este evento. Inhaltsverzeichnis Vorwort ..................................................................................................................... 9 Hanna Zieschang, Rolf Ellegast Rückblick auf das zweite und Ausblick auf das dritte Fachgespräch Ergonomie ..... 11 Rolf Ellegast Themenblock „Demografischer Wandel“ Gesund und sicher länger arbeiten - Ergebnisse des IGA-Kolloquiums 2007 ......... 23 Hanna Zieschang Physische Arbeitsbelastung und ältere Arbeitnehmer .............................................. 34 Ulrich Glitsch, Markus Post, Rolf Ellegast Rahmenbedingungen und Lösungsansätze für eine ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit älterer Beschäftigter in der Bauwirtschaft .........41 Bernd Hartmann RehaBau – ein Beispiel für Sekundärprävention und Rehabilitation ......................... 53 Andrea Hauck Barrierefreiheit - Ein neuer Weg der Arbeitsgestaltung .............................................60 Klaus Buhmann Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt – Beispiel: Bewertung des Montage-Musterarbeitsplatzes im BGAG .......................... 66 Susan Freiberg, Maria Girbig, Beate Blättner Systematik beruflicher Anforderungen, Belastungen und Gefährdungen ................. 79 Renate Hanßen-Pannhausen „Mein nächster Beruf“ – Personalentwicklung für Berufe mit begrenzter Tätigkeitsdauer .......................................................................................................... 90 Frauke Jahn, Sabine Ulbricht Betriebliche Gesundheitsförderung für und mit älteren Beschäftigten – Ergebnisse einer Expertise aus Sicht der Erwachsenenbildung ............................... 95 Jürgen Wolters Themenblock „Aktuelle Projekte der Unfallversicherungsträger“ „Gesund und fit im Kleinbetrieb“ – Die neue Schriftenreihe für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ..............................................................104 Heinz Schmid Ergonomische Projekte in KMU - spezielle Anforderungen an die Untersucher ..... 111 Detlef Trippler Die Arbeit der AG Ergonomie der BG BAU ............................................................. 118 Gerald Rehme Umsetzung ergonomischer Erkenntnisse in die Praxis an den Beispielen Näh- und Bügelarbeitsplatz ..................................................................................... 124 Gerhard Kraus Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen .......................................................................134 Peter Keilholz Dynamische Büro-Arbeitsstühle – dynamische Menschen? Ergonomische Untersuchung besonderer Büro-Arbeitsstühle ................................ 146 Helmut Berger, Kathrin Keller, Rolf Ellegast Ergonomie an Montagearbeitsplätzen .....................................................................158 Heiko Kusserow, Ingeborg Eisenacher-Abelein, Ralf Hünting, Rolf Ellegast, Markus Post, Hanna Zieschang Ergonomische Verbesserungen beim Kommissionieren im Lebensmittelgroßhandel .......................................................................................... 171 Klaus Schäfer, Ralf Schick, Frank Rokosch, Kathrin Schwarzmann, Hans-Peter Kany, Uwe Weiner Wie kann der Zugang zur Ergonomie-Normung erleichtert werden? ...................... 178 Anja Vomberg Ergonomische Anforderungen an PC-Eingabemittel ...............................................185 Ulrike Hoehne-Hückstädt, Sandra Keller, Rolf Ellegast Checkliste zur Beurteilung von Internetseiten ......................................................... 198 Marlen Hupke Physische Inaktivität an Arbeitsplätzen ................................................................... 207 Britta Weber Anhang Anschriften der Vortragenden ................................................................................. 216 Programm des Fachgesprächs ............................................................................... 219 Vorwort Vorwort Hanna Zieschang BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit, Dresden Rolf Ellegast BGIA – Institut für Arbeitsschutz, Sankt Augustin Ergonomische Fragestellungen sind in der Präventionsarbeit der Berufsgenossenschaften von hoher Bedeutung. Zum einen ist die Ergonomie in besonderem Maße geeignet, den Themen des erweiterten Präventionsauftrags gerecht zu werden. Zum anderen beantwortet sie Fragestellungen, die sich aus der Kombination des technischen Arbeitsschutzes mit den eher weichen Faktoren ergeben. Und Letztere rücken in der Prävention zunehmend in den Vordergrund. Das Fachgespräch Ergonomie hat inzwischen schon Tradition. Es fand 2007 bereits zum dritten Mal statt und soll weiterhin in regelmäßigen Abständen fortgesetzt werden. Auch bei diesem Fachgespräch stand wieder der offene fachliche Austausch der Ergonomie- und Präventionsexperten im Vordergrund. Der Kreis der Teilnehmenden war nun zum ersten Mal weiter aufgespannt: Sowohl von den Berufsgenossenschaften als auch von den Unfallkassen sind die Experten zu Austausch und Diskussion zusammen gekommen. Das Fachgespräch wird gemeinsam vom BGIA – Institut für Arbeitsschutz und BGAG - Institut Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung durchgeführt. Die Vorbereitung und Organisation obliegt abwechselnd diesen beiden Instituten. Für das 3. Fachgespräch Ergonomie lag die Federführung beim BGAG. Der erste Tag legte den Schwerpunkt auf ein Thema, das nicht nur im Kontext der Unfallversicherungen aktuell rege diskutiert wird: der demographische Wandel. Dass unsere Gesellschaft zunehmend älter wird und auch die Präventionsexperten sich mit diesem Thema auseinandersetzen müssen, ist nichts Neues. Was muss aber am Arbeitsplatz getan werden, um die Gefährdungen, denen die Älteren möglicherweise in höherem Maße ausgesetzt sind, zu reduzieren? Verschiedene Handlungsfelder werden diskutiert, in denen Betriebe aktiv werden sollten, um der demographischen Entwicklung erfolgreich zu begegnen. Und dabei zeigt sich: Ergonomie ist ganz klar BGAG-Report 1/2008 -9- Vorwort eins dieser Handlungsfelder. Mit einer guten ergonomischen Gestaltung der Arbeit hat man für ältere Arbeitnehmer bereits viel erreicht. Und darüber hinaus: Was für die Älteren sinnvoll ist, schützt präventiv auch die Jüngeren und lässt sie gesünder älter werden. Neben den älteren Arbeitnehmern sind auch leistungsgewandelte und behinderte Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz möglicherweise besonders gefährdet. Die Vorträge zeigten, dass Lösungen oft schon allein durch ein Umstellen der Sichtweise gefunden werden können. Auch hier gilt: Was für die Gruppe der Behinderten im Sinne der Gefährdungsreduzierung gut ist, nützt in vielen Fällen auch den Nichtbehinderten. Für den zweiten Tag waren alle Unfallversicherungsträger aufgefordert, ihre aktuellen Projekte mit Bezug zur Ergonomie vorzustellen. In diesem Teil zeigten die Beiträge das breite Spektrum ergonomischer Arbeiten im Bereich der Prävention. Hier wurden sowohl Hilfen für die Arbeitsschutzarbeit mit und in KMU geboten, als auch die Ergebnisse der Bewertung von Arbeitsmitteln aus ergonomischer Sicht oder ganz praxisnaher Tools vorgestellt. Allen, die zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben, sei an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt. BGAG-Report 1/2008 - 10 - Rückblick und Ausblick Rückblick auf das zweite und Ausblick auf das dritte Fachgespräch Ergonomie Rolf Ellegast BGIA – Institut für Arbeitsschutz, Sankt Augustin 1 Einleitung Das Fachgespräch Ergonomie richtet sich an Ergonomie- und Präventionsexperten der Unfallversicherungsträger, fördert deren fachlichen Austausch und befasst sich mit aktuellen ergonomischen Fragestellungen aus der beruflichen Praxis. Seit 2004 wird das Fachgespräch Ergonomie im dreijährigen Turnus gemeinsam vom BGIA und BGAG mit wechselnder organisatorischer Federführung durchgeführt. Das letzte Fachgespräch Ergonomie fand am 15./16.11.2004 unter organisatorischer Leitung des BGIA in Dresden statt. Im BGIA-Report 4/2005 „Fachgespräch Ergonomie 2004“ sind die zugehörigen Vorträge der Veranstaltung mit den Themenschwerpunkten Berufsbezogene Belastungen des Muskel-Skelett-Systems – Übersicht über Verfahren und Handlungshilfen zur spezifischen Bewertung Beispiele zur ergonomischen Arbeitsplatz-/Arbeitsmittelgestaltung und zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen aus der BG-Praxis Workshop „Ergonomie und ältere Arbeitnehmer“ Anwendung ergonomischer Aspekte der Normung zusammengestellt [1]. Der Hauptthemenschwerpunkt des Fachgespräches wurde damals im Vorfeld der Veranstaltung von den Teilnehmern festgelegt und lag bei der Prävention berufsbezogener Belastungen des Muskel- und Skelettsystems. Im BGIAReport „Fachgespräch Ergonomie 2004“ wurde eine aktuelle Übersicht von Bewertungsansätzen für berufsbezogene Muskel-Skelettbelastungen gegeben. Neben den klassischen Belastungen durch Hebe- und Tragetätigkeiten wurden auch Verfahren zur Beurteilung anderer Belastungsarten, insbesondere Belastungen durch repetitive Tätigkeiten, Ziehen und Schieben von Lasten oder Arbeiten in Zwangshaltungen beBGAG-Report 1/2008 - 11 - Rückblick und Ausblick rücksichtigt. Der Bedarf in der Praxis an derartigen Bewertungsverfahren wurde im Nachgang des damaligen Fachgespräches an den Internet-Downloadzahlen des BGIA-Reportes 4/2005 deutlich (siehe Abbildung 1). Abbildung 1: Absolute monatliche Downloads des BGIA-Reports 4/2005 „Fachgespräch Ergonomie 2004“ im Zeitraum Oktober 2005 bis Juli 2007. Die Angaben umfassen nur vollständige Downloads (ohne Downloads des Reports in Teilen) 6000 5500 Anzahl vollständiger Downloads 5000 4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 7 l0 07 n Ju Ju 7 07 ai M 07 r0 Ap rz M Fe b 07 07 06 n Ja D ez 06 06 ov N O kt 06 06 p Se 6 g l0 Au 06 Ju n Ju M ai 06 06 06 pr A rz M Fe b 06 06 05 n Ja 05 ez D ov N O kt 05 0 M onat Auch zwei Jahre nach dessen Publikation lagen die monatlichen Downloadzahlen des gesamten Reports (ohne Teildownloads) im Mittel deutlich über 1.000 Exemplaren pro Monat. Als Spitzenwerte wurden sogar über 5.500 Downloads pro Monat registriert (siehe Abbildung 1). Im vorliegenden Report werden die Beiträge des 3. Fachgespräches Ergonomie, das vom 29. bis 30. Oktober 2007 unter organisatorischer Leitung des BGAG stattfand, zusammengefasst. Das Schwerpunktthema des Fachgespräches Ergonomie 2007 „Ergonomische Arbeitsgestaltung und ältere Beschäftigte“ wird sicherlich auch ein vergleichbar großes Interesse in der täglichen Präventionsarbeit der Unfallversicherungsträger finden. BGAG-Report 1/2008 - 12 - Rückblick und Ausblick 2 Aktivitäten seit dem Fachgespräch Ergonomie 2004 Bezüglich des Schwerpunktthemas des Fachgespräches Ergonomie 2004 „Prävention arbeitsbezogener Muskel- und Skeletterkrankungen“ sind seitdem einige Aktivitäten weitergeführt bzw. abgeschlossen worden, von denen im Folgenden eine Auswahl kurz zusammengefasst werden sollen. 2.1 Der Berufsgenossenschaftliche Grundsatz G46 Um die Häufigkeit und Schwere von Muskel-Skeletterkrankungen (MSE) zu verringern, spielt die Früherkennung eine große Rolle. Daher wurde in den letzten Jahren der Berufsgenossenschaftliche Grundsatz G 46 „Belastungen des Muskel- und Skelettsystems“ für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen entwickelt [2]. Die zum Grundsatz G 46 zugehörigen Auswahlkriterien (BGI 504-46) liefern Unternehmern sowie Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit nützliche Hinweise zur Gefährdungsbeurteilung und damit zur Identifikation der Beschäftigten, die für eine Untersuchung in Frage kommen. Dies geschieht in Form einer gestuften Vorgehensweise, beginnend mit einer groben Checkliste bis hin zur vertieften Analyse. Die Auswahlkriterien schließen eine Vielzahl von berufsbezogenen Belastungsarten wie manuelle Lastenhandhabungen, Arbeiten in Zwangshaltungen, repetitive Tätigkeiten und Vibrationseinwirkungen ein [3]. 2.2 Die deutsche Wirbelsäulenstudie (DWS) Die Deutsche Wirbelsäulenstudie (DWS) konnte im März 2007 mit der Übergabe des Abschlussberichts an den Forschungsgeber (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung - DGUV) abgeschlossen werden [4]. In acht Beiträgen in zwei Sonderheften des Zentralblatts für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie wurden die Studienergebnisse sowie weitergehende Auswertungen der Studiendaten erstmals in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert [5 bis 12]. Bei der DWS handelt es sich um eine multizentrische populationsbezogene Fall-Kontroll-Studie bei 915 Fällen mit lumbaler Erkrankung der Bandscheiben und 901 Kontrollprobanden. Ziel der Studie war die Untersuchung von Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen beruflichen Wirbelsäulenbelastungen durch Lastenhandhabung und ungünstigen Oberkörperhaltungen BGAG-Report 1/2008 - 13 - Rückblick und Ausblick sowie Bandscheibenerkrankungen der Lendenwirbelsäule. Als Ergebnis der Studie zeigte sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der kumulativen beruflichen Wirbelsäulenbelastung durch Lastenhandhabung und Arbeiten in ungünstigen Oberkörperhaltungen auf der einen Seite und der Entwicklung eines lumbalen Prolaps bzw. einer lumbalen Chondrose bei Männern und Frauen auf der anderen Seite. Das für die Prüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Rahmen von Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren zur Berufskrankheit 2108 entwickelte und somit an Spezifitäten der Berufskrankheiten-Definition notwendigerweise gebundene Mainz-Dortmunder Dosismodell (MDD) gehörte bei den vier untersuchten Fallgruppen nicht zu den am besten anpassenden Dosismodellen hinsichtlich der Beschreibung einer Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Belastungen und den in der DWS untersuchten Erkrankungen. Allerdings war es das einzige Modell, das der heutigen Legaldefinition der BK 2108 entspricht. 2.3 Forschungsaktivitäten im Ergonomielabor des BGIA Auf dem Fachgespräch Ergonomie 2004 wurde das damals neu eingerichtete Ergonomie- und Biomechaniklabor des BGIA mit seinen Möglichkeiten zur detaillierten Erfassung und Analyse von Belastungs- und Beanspruchungskenngrößen vorgestellt. Seitdem wurden auf Initiative der Unfallversicherungsträger einige Forschungsprojekte in diesem Labor durchgeführt. Beispiele hierfür sind die Ermittlung der Lendenwirbelsäulenbelastungen beim Schaufeln (Initiator: BG BAU) [13] und die systematische Analyse von besonders dynamischen Büroarbeitsstühlen (Initiator: Verwaltungsberufsgenossenschaft) [14]. Beim zuletzt genannten Projekt wurde in Laborumgebung zunächst ein praxisnaher Bildschirm- und Büroarbeitsplatz aufgebaut (siehe Abbildung 2). Hier wurden bei standardisierten Bürotätigkeiten an zehn Probanden das Sitz- und Bewegungsverhalten sowie die muskulären Aktivitäten bei Nutzung verschiedener besonderer dynamischer Büroarbeitsstühle im Vergleich zu einem konventionellen Referenzstuhl messtechnisch erhoben. Auf dieser Grundlage folgte, zusammen mit standardisierten Interviews zur emotionalen und individuellen Bewertung durch das niederländische Institut „TNO Work and Employment“, eine Analyse der Stühle. Im Rahmen der Untersuchung wurde ein Messsystem auf der Basis des CUELA-Systems entwickelt und eingesetzt [15]. In einer Feldstudie schlossen sich BGAG-Report 1/2008 - 14 - Rückblick und Ausblick zusätzlich Messungen und Befragungen unter Praxisbedingungen bei 40 Probanden in vier Unternehmen an. Die Untersuchungsergebnisse können zur Prävention physischer Inaktivität an Arbeitsplätzen genutzt werden. Dies ist ein Handlungsfeld, das für die Unfallversicherungsträger zunehmend an Bedeutung gewinnt. Abbildung 2: Aufbau der Laboruntersuchung zur systematischen Analyse von besonderen dynamischen Büroarbeitsstühlen im Vergleich zu einem konventionellen Referenzstuhl 2.4 BGIA-Datenbanken zu Muskel-Skelett-Belastungen Die auf dem Fachgespräch 2004 vorgestellte OMEGA-Datenbank MSB (MuskelSkelett-Belastungen) wurde seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Neben der mit inzwischen ca. 180 Anwendern etablierten Anamnese-Software BK 2108 wurden BGAG-Report 1/2008 - 15 - Rückblick und Ausblick weitere Datenbankanwendungen (Präventionsdatenbank zu Muskel-SkelettBelastungen und Gonkatast – Kataster kniebelastender Tätigkeiten) entwickelt. 2.5 Europäische Woche 2007 Muskel- und Skeletterkrankungen sind nicht nur in Deutschland, sondern europaweit ein drängendes Problem. Aus diesem Grund startete die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vergangenes Jahr die Kampagne „Pack's leichter an“. Während der „Europäischen Woche 2007“ warben Arbeitsschutzinstitutionen in ganz Europa für mehr Prävention in den Betrieben. Ein Bestandteil der Kampagne war ein europaweit angelegter Wettbewerb für Beispiele guter praktischer Prävention von MSE in Betrieben („Best practice award“). Die beiden nationalen Sieger des Wettbewerbs in Deutschland, die sich auch unter den neun best platzierten Präventionsprojekten europaweit qualifiziert haben, sind Projekte, die unter intensiver Beteiligung des BGIA erarbeitet wurden. Sie belegen, dass durch ergonomische Arbeitsgestaltung Muskel-Skelett-Belastungen am Arbeitsplatz deutlich verringert werden können. Auf Initiative der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft wurden im Rahmen des national erstplatzierten Projektes Gussputzarbeitplätze in einem mittelständischen Unternehmen, der Keulahütte GmbH, systematisch untersucht und verbessert. Mit Hilfe des Messsystems CUELA gelang es, Belastungsschwerpunkte durch ungünstige Körperhaltungen oder zu hohe Lastgewichte exakt zu quantifizieren und praktikable Veränderungen umzusetzen. Messungen nach erfolgter Arbeitsplatzumgestaltung belegten, dass belastende Rumpfbeugehaltungen fast vollständig verschwunden waren und hohe Lastgewichte nur noch selten auftraten [16]. Ähnlich günstig war die Bilanz im national zweitplatzierten Projekt in der Nähindustrie. Dieses war Bestandteil eines von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) geförderten Forschungsprojektes zur ergonomischen Gestaltung von Näharbeitsplätzen [17]. Ein Team bestehend aus BGIA-Ergonomen und weiteren Forschungspartnern (Fachhochschule München, Ingenieurbüro Schwan, Lederin- BGAG-Report 1/2008 - 16 - Rückblick und Ausblick dustrie-Berufsgenossenschaft und Textil- und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft) erarbeiteten im Rahmen des Projektes eine praxisgerechte Handlungsanleitung für die Gestaltung von Näharbeitplätzen und entwickelten einen ergonomischen Näharbeitplatz. Dieser zeichnet sich u. a. durch eine Neugestaltung des Bein- und Fußraums, der Möglichkeit des schnellen Wechsels von stehender und sitzender Körperhaltung beim Nähen, einer flexiblen Abstützungsmöglichkeiten der oberen Extremitäten und einem optimierten Gesichtsfeld aus (siehe Abbildung 3). Abbildung 3: Der ergonomische Näharbeitsplatz, Näherin ausgerüstet mit CUELA-Messsystem BGAG-Report 1/2008 - 17 - Rückblick und Ausblick Die entwickelten ergonomischen Näharbeitsplätze wurden inzwischen in 22 deutschen Unternehmen, davon mehr als die Hälfte kleine und mittlere Unternehmen (KMUs), installiert. Der national Zweitplatzierte des Europäischen Wettbewerbs, die mittelständische MEWA Textil-Service AG & Co, konnte nach Installation der ergonomischen Näharbeitsplätze besondere Erfolge hinsichtlich humanitärer und ökonomischer Auswirkungen nachweisen: Nach den Umrüstungen von insgesamt 40 Näharbeitsplätzen gingen dort die Arbeitsunfähigkeitstage um 16 % zurück; gleichzeitig erhöhte sich die Produktivität um etwa 15 %. Die Kosten für den Umbau hatten sich bereits nach wenigen Monaten amortisiert [18]. 2.6 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) In der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) arbeiten Bund, Unfallversicherungsträger und Länder eng zusammen, um die Prävention nach gemeinsamen Grundsätzen und gemeinsamen Programmen gezielt umzusetzen. Der Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) hat sich auch die GDA angenommen. Als gemeinsames Arbeitsschutzziel wurde die Verringerung von MuskelSkelett-Belastungen und -Erkrankungen unter Einbezug des Abbaus von psychischen Fehlbelastungen und der Förderung der systematischen Wahrnehmung des betrieblichen Arbeitsschutzes festgelegt. Gemeinsame Handlungsfelder aller GDA-Träger sind in diesem Zusammenhang der Gesundheitsdienst und einseitig belastende oder bewegungsarme Tätigkeiten. Weitere Arbeitsschutzziele der GDA sind die Verringerung von Häufigkeit und Schwere von Arbeitsunfällen und Hauterkrankungen. 3 Ausblick auf das dritte Fachgespräch Ergonomie Gemäß der demografischen Entwicklung in Deutschland ist das Thema „Ergonomie und ältere Arbeitnehmer“ von besonderem Interesse. Zudem ergibt sich durch die Erhöhung des Renteneintrittsalters eine fortschreitend älter und damit auch krankheitsanfälliger werdende Belegschaft. BGAG-Report 1/2008 - 18 - Rückblick und Ausblick Auf dem Fachgespräch Ergonomie 2004 wurden von den Teilnehmern im Rahmen eines Workshops zum demografischen Wandel die drei Themenfelder „Qualifizierung, lebenslanges Lernen und kognitive Fähigkeiten“, „Arbeitsgestaltung und Arbeitsorganisation“ und „Gesundheitsförderung“ sowie mögliche berufsgenossenschaftliche Handlungsfelder diskutiert. Es zeigte sich damals, dass dem Thema „Ergonomie und ältere Arbeitnehmer“ mehr Zeit eingeräumt werden muss. Aus diesem Grund wurde für das Fachgespräch Ergonomie 2007 der Schwerpunkt auf „Ergonomische Arbeitsgestaltung und ältere Beschäftigte“ gelegt. Literatur [1] Fachgespräch Ergonomie 2004. BGIA-Report 4/2005. Hrsg.: Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG), Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitsschutz – BGIA, Sankt Augustin 2005. http://www.dguv.de/bgia/de/pub/rep/rep05/bgia0405/index.html [2] Milde, J.; Ponto, K.: Der neue Berufsgenossenschaftliche Grundsatz G 46: Belastungen des Muskel-Skelettsystems. Arbeitsmed. Sozialmed. Umweltmed. 40 (2005) Nr. 8, S. 428-440 [3] BGI 504-46: Auswahlkriterien für die spezielle arbeitsmedizinische Vorsorge nach dem berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G 46 „Belastungen des Muskel-Skelettsystems“. Carl Heymanns, Köln 2005 [4] Bolm-Audorff, U.; Bergmann, A.; Ditchen, D.; Ellegast, R.; Elsner, G.; Geiß, O.; Grifka, J.; Haerting, J.; Hofmann, F.; Jäger, M.; Linhardt, O.; Luttmann, A.; Michaelis, M.; Nübling, M.; Petereit-Haack, G.; Schumann, B.; Seidler, A.: Forschungsvorhaben „Epidemiologische Fall-Kontroll-Studie zur Untersuchung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen bei der Berufskrankheit 2108“ (Deutsche Wirbelsäulenstudie), Abschlussbericht. Hrsg.. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Sankt Augustin 2007. www.dguv.de, Webcode: d1341 [5] Linhardt, O.; Bolm-Audorff, U.; Bergmann, A.; Ditchen, D.; Ellegast, R. P.; Elsner, G.; Haerting, J.; Hofmann, F.; Jäger, M.; Luttmann, A.; Michaelis, M.; BGAG-Report 1/2008 - 19 - Rückblick und Ausblick Petereit-Haack, G.; Seidler, A.; Grifka, J.: Studiendesign der Deutschen Wirbelsäulenstudie. Zbl. Arbeitsmed. 57 (2007) Nr. 9, S. 243-250 [6] Ellegast, R. P.; Ditchen, D.; Bergmann, A.; Bolm-Audorff, U.; Elsner, G.; Grifka, J.; Haerting, J.; Hofmann, F.; Jäger, M.; Linhardt, O.; Luttmann, A.; Michaelis, M.; Petereit-Haack, G.; Seidler, A.: Erhebungen zur beruflichen Wirbelsäulenexposition durch die Technischen Aufsichtsdienste der Unfallversicherungsträger im Rahmen der Deutschen Wirbelsäulenstudie. Zbl. Arbeitsmed. 57 (2007) Nr. 9, S. 251-263 [7] Jäger, M.; Geiß, O.; Bergmann, A.; Bolm-Audorff, U.; Ditchen, D.; Ellegast, R. P.; Elsner, G.; Grifka, J.; Haerting, J.; Hofmann, F.; Linhardt, O.; Michaelis, M.; Petereit-Haack, G.; Seidler, A.; Luttmann, A.: Biomechanische Analysen zur Belastung der Lendenwirbelsäule innerhalb der Deutschen Wirbelsäulenstudie. Zbl. Arbeitsmed. 57 (2007) Nr. 9, S. 264-276 [8] Michaelis, M.; Hofmann, F.; Bolm-Audorff, U.; Bergmann, A.; Ditchen, D.; Ellegast, R. P.; Elsner, G.; Grifka, J.; Haerting, J.; Jäger, M.; Linhardt, O.; Luttmann, A.; Nübling, M.; Petereit-Haack, G.; Seidler, A.: Risikobranchen und -berufe für die Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen der Lendenwirbelsäule – Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulenstudie. Zbl. Arbeitsmed. 57 (2007) Nr. 9, S. 277-286 [9] Seidler, A.; Bergmann, A.; Ditchen, D.; Ellegast, R. P.; Elsner, G.; Grifka, J.; Haerting, J.; Hofmann, F.; Jäger, M.; Linhardt, O.; Luttmann, A.; Michaelis, M.; Petereit-Haack, G.; Bolm-Audorff, U.: Zusammenhang zwischen der kumulativen Wirbelsäulenbelastung durch Lastenhandhabungen und lumbalen Prolapserkrankungen – Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulenstudie. Zbl. Arbeitsmed. 57 (2007) Nr. 10, S. 290-303 [10] Bolm-Audorff, U.; Bergmann, A.; Ditchen, D.; Ellegast, R.P.; Elsner, G.; Grifka, J.; Haerting, J.; Hofmann, F.; Jäger, M.; Linhardt, O.; Luttmann, A.; Michaelis, M.; Petereit-Haack, G.; Seidler, A.: Zusammenhang zwischen manueller Lastenhandhabung und lumbaler Chondrose – Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulenstudie. Zbl. Arbeitsmed. 57 (2007) Nr. 10, S. 304-316 BGAG-Report 1/2008 - 20 - Rückblick und Ausblick [11] Bergmann, A.; Seidler, A.; Schumann, B.; Fischer, S.; Bolm-Audorff, U.; Ditchen, D.; Ellegast, R. P.; Elsner, G.; Grifka, J.; Hinz, B.; Hofmann, F.; Jäger, M.; Linhardt, O.; Luttmann, A.; Michaelis, M.; Petereit-Haack, G.; Haerting, J.: Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition durch Ganzkörpervibration und bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule – Auswertungen innerhalb der Deutschen Wirbelsäulenstudie. Zbl. Arbeitsmed. 57 (2007) Nr. 10, S. 317-327 [12] Petereit-Haack, G.; Bolm-Audorff, U.; Ditchen, D.; Ellegast, R. P.; Elsner, G.; Grifka, J.; Haerting, J.; Hofmann, F.; Jäger, M.; Linhardt, O.; Luttmann, A.; Michaelis, M.; Schumann, B.; Seidler, A.: Zusammenhang zwischen beruflichen psychosozialen Belastungen und bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule – Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulenstudie. Zbl. Arbeitsmed. 57 (2007) Nr. 10, S. 328-336 [13] Glitsch, U.; Ottersbach, H. J.; Ellegast, R.; Sawatzki, K.; Voß, J.; Luttmann, A.; Jäger, M.; Rehme, G.: Belastung der Lendenwirbelsäule bei Schaufeltätigkeiten. BGIA-Report 4/2008. Hrsg.: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Sankt Augustin 2008. www.dguv.de/bgia, Webcode: d25170 [14] Ellegast, R.; Keller, K.; Hamburger, R.; Berger, H.; Krause, F.; Gronesteijn, L.; Blok, M.; Vink, P.: Ergonomische Untersuchung besonderer Büroarbeitsstühle. BGIA-Report 5/2008. Hrsg.: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Sankt Augustin 2008. www.dguv.de/bgia, Webcode: d18885 [15] Ellegast, R. P.; Hamburger, R.; Keller, K.; Krause, F.; Groenesteijn, L.; Vink, P.; Berger, H.: Effects of using dynamic office chairs on posture and EMG in standardized office tasks. International Conference on Ergonomics and Health Aspects of Work with Computers – EHAWC, 12th International Conference on HCI, 22.-27. Juli 2007, Peking/China, Berichtsband LNCS 4566. Hrsg.: Dainoff, M. J. Springer, Berlin 2007, S. 34-42 [16] Ellegast, R. P.; Post, M.; Schmitter, D.; Trippler, D.: Ergonomische Arbeitsplatzund Organisationsgestaltung in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). BGAG-Report 1/2008 - 21 - Rückblick und Ausblick Hrsg.: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund 2007. http://www.inqa.de/Inqa/Navigation/publikationen,did=187282.html [17] Ellegast, R. P.; Herda, C.; Hoehne-Hückstädt, U.; Lesser, W.; Kraus, G.; Schwan, W.: Ergonomie an Näharbeitsplätzen. BIA-Report 7/2004. Hrsg.: Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG), Sankt Augustin 2004. http://www.dguv.de/bgia/de/pub/rep/rep04/biar0704/index.html [18] Schwan, W.; Küttelwesch, R.: Systematische ergonomische Gestaltung bei der Näharbeit. Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, Best practice award „Lighten the load“, 2007. http://de.osha.europa.eu/topics/europ_woche_europ_wettbewerb/wettbewerb/b eitraege_2007/mewa BGAG-Report 1/2008 - 22 - Gesund und sicher länger arbeiten Gesund und sicher länger arbeiten – Ergebnisse des IGA-Kolloquiums 2007 Hanna Zieschang BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit, Dresden 1 Fragestellung Bei allen Menschen ändern sich im Laufe des Arbeitslebens die körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Jede dieser Fähigkeiten hat irgendwann ein Optimum. Die altersbedingten Veränderungen haben unmittelbare Auswirkungen auf Arbeit und Gesundheit insbesondere nach der Lebensmitte, weil dann vorangegangene Über- und Unterforderungen beginnen, ihre Langzeitwirkung zu entfalten. Die Diskussion um den demografischen Wandel in der Arbeitswelt fokussiert häufig auf die Themen Personalentwicklung oder lebenslanges Lernen. Wenige Hinweise gibt es bisher zur Ausgestaltung der unmittelbaren Arbeitsumgebung wie Arbeitsmittel, Arbeitsplätze und Arbeitsorganisation. Hier können die altersbedingten Veränderungen aber Auswirkungen auf die Wahrnehmung von und die Reaktion auf Gefährdungen haben. Sollte also die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung altersabhängig gestaltet werden? Gewährleistet das präventive Vorgehen im modernen Arbeitsschutz Sicherheit und Gesundheitsschutz aller Generationen am Arbeitsplatz für die Zukunft, auch wenn wir bis 67 arbeiten müssen? Im Januar 2007 hat das BGAG im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zum Thema Demografie diese Fragestellung aufgegriffen. Das 6. IGA-Kolloquium „Gesund und sicher länger arbeiten“ hatte den Titel „Alte Gefahren neu im Blick“. 2 Gefährdungsfaktoren und Alter Ausgangsfrage des 6. IGA-Kolloquiums war: Muss die Gefährdungsbeurteilung für ältere Beschäftigte anders aussehen als für jüngere? In der Veranstaltung wurden insbesondere die Gefährdungsfaktoren herausgegriffen, bei denen für die Älteren möglicherweise anderes oder mehr getan werden müsste als für junge Beschäftigte. BGAG-Report 1/2008 23 Gesund und sicher länger arbeiten Die Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft (MMBG) hat sich bereits vor einiger Zeit mit dieser Frage beschäftigt. In ihrem „Leitfaden für die Gefährdungsbeurteilung“ (Gruber und Mierdel 2007) kommt sie zu dem Schluss, dass es keine eigene Gefährdungsbeurteilung für die Älteren geben sollte. Dieser Leitfaden schlägt auf wenigen Sonderseiten 50plus lediglich einige Gestaltungsmaßnahmen vor, die aufgrund von körperlichen Veränderungen bei Älteren sinnvoll sein können, z. B. mehr Licht für Ältere. Die Vorträge und Diskussionen im Kolloquium folgten in ihrer Antwort auf die Ausgangsfrage im Wesentlichen dieser Linie. Im Folgenden werden einige Gefährdungsfaktoren näher betrachtet: 2.1 Faktor: physische Belastung/Arbeitsschwere Belastungen sind die Faktoren, die – ausgehend vom Arbeitsplatz, seinen Bestandteilen und seiner Umgebung – auf den Arbeitenden wirken. Die Beanspruchung hängt davon ab, wie der Mensch aufgrund seiner individuellen Leistungsvoraussetzungen auf die Belastung reagiert. Zu diesen individuellen Voraussetzungen gehören sowohl physische als auch psychische Eigenschaften, die altersabhängigen Veränderungen unterliegen. Sie können zu positiver Beanspruchung, d. h. zu Leistungsentwicklung, führen oder zu Leistungsverlust bzw. negativen Beanspruchungsfolgen. Sowohl Anforderungs- oder Belastungsprofile, die bestimmte Tätigkeiten kennzeichnen oder für bestimmte Arbeitsplätze typisch sind, als auch die Leistungsvoraussetzungen, die unterschiedliche Menschen mitbringen, können mit eigens dafür entwickelten Instrumenten erfasst werden (Abbildung 1). Anforderungsprofile werden über Arbeitsanalysen erstellt. Diese lassen Aussagen zu über die zu erwartende Muskelbelastung, geistige Belastung, welche Kenntnisse gefordert sind, ob z. B. Geschicklichkeit oder Verantwortungsbewusstsein notwendig sind etc. Auf der anderen Seite gibt es Instrumente, um Persönlichkeitsprofile anzufertigen. Es erfolgt eine Aufstellung über die vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, über Wissen und Kenntnisse, etc. Auch Aspekte wie Motivation und Selbstkonzept des Arbeitenden werden erfasst. An diesen Profilen wird unter Anderem erkennbar, ob eine Person – möglicherweise aufgrund des Alters – physischen Anforderungen nicht mehr so gut ge- BGAG-Report 1/2008 24 Gesund und sicher länger arbeiten wachsen ist oder ob sie trainiert ist und auch im Älterwerden ihre körperliche Leistungsfähigkeit weitgehend erhalten hat. Abbildung 1: Belastungs-Beanspruchungsmodell. Die individuellen Leistungsvoraussetzungen umfassen Faktoren, die sich im Alter verändern können. Belastung Beanspruchung • Arbeitsaufgabe • Leistungsentwicklung • technisch-organisatorische Voraussetzungen • Leistungsverlust - + negative Beanspruchungsfolgen • Verlust der Arbeitsfähigkeit individuelle Leistungsvoraussetzungen • Krankheit • physische und psychische Voraussetzungen • Stören der sozialen Balance • Gesundheit, Kompetenzen, Fähigkeiten Es leuchtet ein: Je besser Anforderungsprofil und Persönlichkeitsprofil aufeinander abgestimmt sind, umso geringer wird der „Reibungsverlust“ sein, umso besser die zu erwartende Leistung, bzw. umso positiver die zu erwartende Beanspruchungsbilanz. Ein gezielter Abgleich zwischen beiden Seiten kann eine sinnvolle Basis darstellen (Merkel 2007) für Entscheidungen in der Personalauswahl oder auch zur Weiterentwicklung des Personalkonzepts, zur Neustrukturierung von Arbeitsaufgaben im Unternehmen und für Überlegungen zum daraus resultierenden Qualifizierungsangebot an die Mitarbeiter, als Unterstützung bei der Entscheidung von Einsatzfeldern und der Zuordnung von Aufgabenbereichen an den Beschäftigten. BGAG-Report 1/2008 25 Gesund und sicher länger arbeiten Geht man so vor, muss nicht zwangsläufig die körperlich schwerere Arbeit pauschal auf jüngere Mitarbeiter abgewälzt werden, sondern auf die leistungsstärkeren. Damit werden alle Arbeitnehmer, die physisch weniger Leistung erbringen können, präventiv geschützt, unabhängig vom Alter. 2.2 Faktor: Umgang mit Arbeitsmitteln Im BGAG wurde ein Muster-Montagearbeitsplatz entwickelt und aufgebaut (Abbildung 2). Dieser Montagearbeitsplatz wurde nach ergonomischen Erkenntnissen gut gestaltet (Zieschang und Freiberg 2006). Im Projekt zeigte sich, dass eine solche gute ergonomische Gestaltung bereits ausreicht, um die Arbeit an diesem Arbeitsplatz auch für ältere Personen wenig belastend gestalten zu können. Abbildung 2: Ergonomisch gut gestalteter Muster-Montagearbeitsplatz im BGAG BGAG-Report 1/2008 26 Gesund und sicher länger arbeiten Es wurden nur wenige Zusatzmaßnahmen ergriffen, um die Arbeit den Älteren noch mehr zu erleichtern. Diese Zusatzmaßnahmen wären für jüngere Arbeitnehmer in ihrem derzeitigen Alter möglicherweise nicht zwingend notwendig. Im Sinne der Prävention sind sie aber auch für die Jüngeren sinnvoll und hilfreich. Darüber hinaus wird so die Einrichtung von „Altenarbeitsplätze“ vermieden. Diese ist nicht nur nicht sinnvoll, sondern nach den am Musterarbeitsplatz gewonnenen Erkenntnissen auch gar nicht notwendig. Zum einen müssen in Schichtsystemen ohnehin alle Generationen an allen Arbeitsplätzen arbeiten können. Zum anderen wird eine altersbedingte soziale Abgrenzung verhindert. 2.3 Faktor: psychische Belastung In Bezug auf diesen „Gefährdungsfaktor“ wurde im IGA-Kolloquium auf psychische und kognitive Leistungsveränderungen, insbesondere auf Gedächtnisleistungen fokussiert. Verschiedene Gedächtnisleistungen werden unterschiedlich gut in verschiedenen Altersgruppen beherrscht. Zwei Punkte aus den Vorträgen seien hier herausgehoben: Zur geistigen Leistungsfähigkeit gehört es, im Langzeitgedächtnis repräsentiertes Wissen stets verfügbar zu haben und es bei Bedarf abrufen zu können. Je stärker vernetzt eine Wissensstruktur ausgebildet ist, umso leichter lässt sich das darin eingebundene Einzelwissen auch nach einem langen Zeitraum noch abrufen. Eine besonders starke Vernetzung ist für das Bedeutungswissen anzunehmen. Nach solchem Bedeutungswissen wurde in einer Untersuchung von Heineken und Fischer (2006) gefragt, nämlich nach der Bedeutung von Worten. Diese Studie zeigt, dass die älteren Teilnehmer den Jüngeren in der Leistung, wohl organisiertes und gut konsolidiertes Wissen aus dem Langzeitgedächtnis abzurufen, keinesfalls unterlegen sind. Die Zahl der Treffer bei der Beantwortung entsprechender Fragen war bei den älteren Probanden sogar höher als bei der Gruppe der Jüngsten. Betrachtet man jedoch die Geschwindigkeit, mit der dieses Wissen aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen wird, zeigen sich deutliche Altersunterschiede. Die von den Probanden benötigte Zeit für den Abruf von Information aus dem Langzeitgedächtnis nahm mit dem Lebensalter deutlich zu. BGAG-Report 1/2008 27 Gesund und sicher länger arbeiten In Bezug auf Gedächtnisleistungen stellt Heineken (2007) fest: Die individuellen Leistungsunterschiede im Alter sind sehr groß. Der Stereotyp des allgemein wenig leistungsfähigen älteren Erwachsenen ist falsch, denn wissensbezogene Gedächtnisleistungen, d. h. gut vernetzt im Langzeitgedächtnis abgelegte Inhalte, bleiben über die Lebensspanne stabil. Alterskorrelierte Leistungseinbußen beziehen sich in erster Linie auf „fest verdrahtete“ Prozesse, in denen Faktoren wie Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung oder Umfang der Gedächtnisspanne eine Rolle spielen. Defizite der „fest verdrahteten“ Prozesse lassen sich zum Teil durch motivationale und bildungsbezogene Faktoren ausgleichen. Die im Kolloquium dargestellten altersabhängigen Leistungsverläufe machten deutlich, dass die Leistung der im Alter nachlassenden Teilfunktionen des Gedächtnisses bereits im vierten Lebensjahrzehnt deutlich abnimmt. Die Leistungsunterschiede zwischen den 20- und 40-Jährigen sind vielfach größer als die zwischen den 65- und 70Jährigen (Heineken 2007). Als zweiter Themenkomplex zum Faktor psychische Belastung wurde im Kolloquium die Verkehrsteilnahme der Älteren angesprochen. Untersuchungen beziehen sich hier allerdings häufig auf über 65-Jährige, also Personen, die normalerweise nicht mehr im Berufsleben stehen. Es zeigt sich, dass sich über die Jahre die Nutzung von Fahrzeugen in der betrachteten Altersgruppe geändert hat (Verkehrserhebung SrV 2003, Schlag 2007). Es werden mehr Pkw von älteren Personen gefahren als früher und sie werden länger gefahren. Ebenso werden mehr Fahrräder genutzt, weil die Älteren im Durchschnitt länger körperlich fit sind. Daten des Statistischen Bundesamts (Statistisches Bundesamt 2006) kann man entnehmen, dass im Jahre 2005 22 % aller Todesopfer Senioren waren (Anteil der Senioren an der Gesamtbevölkerung: 19 %), BGAG-Report 1/2008 28 Gesund und sicher länger arbeiten es im Jahr 2005 25 % getötete Radfahrer über 65 Jahre mehr gab als im Jahr 2004, jeder zweite tödlich verletzte Fahrradfahrer und Fußgänger des letzten Jahres mindestens 65 Jahre alt war. Betrachtet man die Unfallursachen bei Pkw-Fahrern in Deutschland, aufgesplittet nach Alter, sieht man (Schlag 2007): Es gibt nicht nur Unterschiede zu Lasten der Älteren. Die Anpassung der Geschwindigkeit sowie das Einhalten eines ausreichenden Sicherheitsabstandes beherrschen die Jüngeren weit schlechter. Fahraufgaben mit durchschnittlichen Anforderungen werden von Älteren nicht schlechter bewältigt als von Fahrern mittleren Alters. Hierzu gehören z. B. das Überholen oder das Verhalten gegenüber Fußgängern. Gefährliche Unterschiede gibt es nur in einigen spezifischen Situationen wie Abbiegen, Wenden, Vorfahrt einräumen. Der Umgang mit neuen oder sehr komplexen Situationen, z. B. Kreuzungen mit Ampel, Fußgängerüberweg, Seitenverkehr, fällt älteren Verkehrsteilnehmern schwerer. Dies sind vorwiegend Situationen, in denen wenig Zeit für die Reaktion zur Verfügung steht. Als Lösung bietet sich an, solch komplexe Situationen derart umzugestalten, dass mehr Zeit für Reaktionen eingeräumt wird. Dann tritt allerdings tatsächlich ein „Generationenkonflikt“ auf: Wird z. B. an Kreuzungen zu langsam reagiert, werden die Jüngeren ungeduldig, dadurch risikofreudiger und weniger sicher. 2.4 Faktor: Arbeitszeitorganisation Grundsätzlich gilt, dass Ältere Aufgaben besser erledigen, wenn die Erledigung autonom erfolgen kann, d. h. wenn sie Arbeitspensum und -rhythmus selbst bestimmen können. Dies bietet die Möglichkeit, eigene Erfahrungen einzubringen. Umgekehrt erledigen Ältere Aufgaben schwerer, wenn diese unter Leistungs- oder Zeitdruck ausgeführt werden müssen, d. h. wenn das Arbeitstempo von außen vorgegeben wird oder kaum Freiraum für Erholungsmöglichkeiten gegeben ist (Beermann 2007). BGAG-Report 1/2008 29 Gesund und sicher länger arbeiten Vor diesem Hintergrund kommt der Pausengestaltung besondere Bedeutung zu: Ältere Beschäftigte sollten Pausen in ihrer Anzahl und auch in ihrer genauen Lage selbst bestimmen können. Diese Erkenntnis, dass selbst gewählte Pausen für den Arbeitenden günstiger sind als solche nach festem Schema, ist nach ergonomischem Wissen nicht neu und gleichermaßen für die Älteren wie die Jüngeren gültig. Für die Verteilung von Arbeit über längere Zeiträume wie Wochen oder Monate gelten ähnliche Grundsätze wie für die über den Tag verteilten Pausen: Eine Komprimierung von Belastung sollte vermieden werden. Die Beanspruchung, die durch zeitlich dichte Belastung entsteht, ist für Ältere in der Regel größer als für Jüngere. Deshalb ist bei zunehmendem Alter die Dosierung und Verteilung von Arbeit zunehmend wichtig. Diese Aussage hat unmittelbar Auswirkungen auf die Gestaltung von Schichtplänen. Wie werden Schichten für Ältere günstig verteilt? Untersuchungen haben gezeigt, dass Nachschichten für Ältere eine höhere emotionale Belastung darstellen. Die Schlafqualität nach einer Nachtschicht ist schlechter. Auch schlafen die Älteren schlechter ein, wenn am nächsten Morgen eine Frühschicht ansteht. Eine sehr früh beginnende Frühschicht wird wie eine Nachtschicht empfunden und bringt die dazu gehörigen Schwierigkeiten mit sich. Letzterer Befund ist allerdings wiederum für jüngere wie ältere Personen gleichermaßen gültig. Im Projekt KRONOS wird der Zeitrahmen noch weiter aufgespannt: Knauth (2007) beschäftigt sich hier mit Arbeitszeitmodellen (Abbildung 3), die die gesamte Lebensarbeitszeit umspannen. Beschäftigte unterschiedlicher Altersgruppen wurden nach ihren Vorstellungen und Vorlieben befragt hinsichtlich der Dauer und Lage der Arbeitszeit sowie der Arbeitszeitautonomie. Zum IGA-Kolloquium war das Projekt noch in den Anfängen, ein Ergebnis zeichnete sich allerdings schon deutlich ab: Das kalendarische Alter spielt bei der Gestaltung von Lebensarbeitszeitmodellen eher eine untergeordnete Rolle. Offensichtlich sind andere Einflussgrößen bedeutsamer, z. B. die Rahmenbedingungen auf Seiten der Unternehmen (z. B. Einstellung der Führungskräfte ihren Mitarbeitern gegenüber, die Arbeitsbedingungen), BGAG-Report 1/2008 30 Gesund und sicher länger arbeiten der Familienstand, ob noch Kinder versorgt werden müssen, ob mehr zeitliche Freiheit besteht, weil die Kinder aus dem Haus sind, die Anzahl der bereits verbrachten Jahre in Schichtarbeit. Abbildung 3: Projekt KRONOS. In einem Teilprojekt geht es um Lebensarbeitszeitmodelle. 3 Fazit Was folgt nun aus den im IGA-Kolloquium dargestellten Erkenntnissen: Es besteht Übereinstimmung, dass es keiner spezifischen Form der Gefährdungsbeurteilung für die Gruppe der älteren Arbeitnehmer bedarf. Möglicherweise sollte man bei Arbeitsplätzen, an denen ältere Personen beschäftigt sind, einige Gefährdungsfaktoren genauer ins Visier nehmen. Der Blick sollte immer auf alle Generationen gerichtet sein. In Zukunft nimmt der Anteil der Jüngeren an der gesamten Arbeitnehmerschaft kontinuierlich ab. Ihre Gesundheit muss schon jetzt erhalten werden, damit sie ein hohes Rentenalter überhaupt erreichen können. Dies gilt sowohl hinsichtlich physischer als auch BGAG-Report 1/2008 31 Gesund und sicher länger arbeiten psychischer Belastung. Werden heute vorrangig Maßnahmen für die Zielgruppe der älteren Beschäftigten ergriffen, wird sich das in wenigen Jahren rächen. Die Wissenschaften haben bereits viele Erkenntnisse zum Thema Demografie zusammen getragen, es bleibt die schwierige Herausforderung der Umsetzung in die Praxis. Hierbei sind alle gleichermaßen gefordert, die betrieblichen Arbeitsschutzverantwortlichen ebenso wie die Arbeitsschutzinstitutionen, die Berufsgenossenschaften, die Unfall- wie die Krankenkassen. Literatur [1] Beermann, B. (2007): Arbeitszeitgestaltung im Verlauf des Arbeitslebens. Vortrag beim 6. IGA-Kolloquium „Gesund und sicher länger arbeiten“ am 16./17.1.2007 im BGAG, Dresden. http://www.dguv.de/bgag/de/veranstaltungen/aeltere/kolloq6/_dokumente/beer mann.pdf [2] Gruber, H.; Mierdel, B.: Leitfaden für die Gefährdungsbeurteilung. Verlag Technik & Information, Bochum, 2007 [3] Heineken, E.; Fischer, J.: Sind wir mit 67 noch fit für den Job? In: Heineken, E. (Hrsg.) Neue Medien: Interaktivität und Ubiquität. Essener Unikate, 28. Universität Duisburg-Essen, Wissenschaftsverlag, 2006 [4] Heineken, E.: (2007): Die Achillesferse geistiger Leistungsfähigkeit – das Gedächtnis. Alternspsychologische Befunde aus der virtuellen Gedächtnissprechstunde. Vortrag beim 6. IGA-Kolloquium „Gesund und sicher länger arbeiten“ am 16./17.1.2007 im BGAG, Dresden. http://www.dguv.de/bgag/de/veranstaltungen/aeltere/kolloq6/_dokumente/heine ken.pdf [5] Knauth, P. (2007): KRONOS – Lebensarbeitszeitmodelle. http://wwwiip.wiwi.uni-karlsruhe.de/forschung/aw_html/fo_pr_kronos_un.htm [6] Merkel, T. (2007): Arbeitsfähigkeit in jedem Alter – Zukunftsfähige Konzepte der präventiven Arbeitsgestaltung. Vortrag beim 6. IGA-Kolloquium „Gesund und si- BGAG-Report 1/2008 32 Gesund und sicher länger arbeiten cher länger arbeiten“ am 16./17.1.2007 im BGAG, Dresden. http://www.dguv.de/bgag/de/veranstaltungen/aeltere/kolloq6/_dokumente/merke l.pdf [7] Schlag, B.: Psychophysische Veränderungen im Lebensverlauf und ihre Bedeutung für die Verkehrsteilnahme. Vortrag beim 6. IGA-Kolloquium „Gesund und sicher länger arbeiten“ am 16./17.1.2007 im BGAG, Dresden. http://www.dguv.de/bgag/de/veranstaltungen/aeltere/kolloq6/_dokumente/schla g.pdf [8] Statistisches Bundesamt (2006) Statement von Johann Hahlen, Präsident des Statistischen Bundesamts, auf der Pressekonferenz "Unfallgeschehen im Straßenverkehr 2005" am 13.Juli 2006 in Berlin. http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/ 2006/Unfallgeschehen/Statment__Hahlen.psml [9] Verkehrserhebung: Mobilität in Dresden und Umland. Ergebnisse der Verkehrserhebung SrV 2003. Gemeinsame Veröffentlichung der Auftraggeber der SvR 2003. http://www.dresden.de/media/pdf/infoblaetter/srv_2003_broschuere.pdf [10] Zieschang, H.; Freiberg, S.: Model workplaces for older employees (Musterarbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer. 9. Internationales Kolloquium der IVSSSektion Forschung. Integration des Faktors Mensch in die Planung von Arbeitssystemen: Basis für ein erfolgreiches Unternehmen. 1.-3. März 2006, Nizza – Poster BGAG-Report 1/2008 33 Physische Arbeitsbelastung und ältere Arbeitnehmer Physische Arbeitsbelastung und ältere Arbeitnehmer Ulrich Glitsch, Markus Post, Rolf Ellegast BGIA – Institut für Arbeitsschutz, Sankt Augustin 1 Einleitung Der zeitliche Ablauf der demografischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und die daraus resultierenden Folgen sind seit langem bekannt und werden in zahlreichen Publikationen beschrieben [1; 2]. Ebenso zahlreich sind auch die Ausführungen zu den Einbußen an körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit, die älteren Arbeitnehmern quasi unweigerlichen drohen. Unstrittig sind die grundsätzlichen physiologischen Veränderungen, denen der Mensch im Laufe seines Lebens und insbesondere beim Älterwerden unterliegt. Hierzu zählen der Abbau von Muskelmasse und der damit verbundene Verlust an Muskelkraft und Schnelligkeit, der Abfall der Leistungsfähigkeit des Herzkreislaufsystems und damit der Ausdauer sowie der Abfall der Seh- und Hörleistung. Im Gegensatz zu den Sinnesorganen sind das Herzkreislauf- und das Muskel-Skelett-System stark adaptationsfähig und daher trainierbar – auch noch im Alter. Der Alterungsprozess bzw. der Leistungsabfall kann durch Training zwar nicht verhindert werden, aber zumindest kann das Ausgangsniveau angehoben und das Unterschreiten einer geforderten physischen Leistungsfähigkeit hinausgezögert werden. Wenig bis überhaupt nicht bekannt ist, inwieweit sich diese physiologischen Alterungsprozesse konkret auf den alltäglichen Arbeitsablauf, insbesondere bei körperlich belastenden Tätigkeiten, auswirken. 2 Methoden Die physiologische Arbeitsbelastung kann anhand der Körperhaltung in Verbindung mit der Kraftausübung, der Muskelaktivität (EMG) oder der Herzfrequenz quantifiziert werden. Im Rahmen von Betriebsmessungen setzt das BGIA das mobile CUELASystem (Abbildung 1) ein, wohingegen unter Laborbedingungen auch das optoelektronische Bewegungsmesssystem Vicon (Abbildung 2) eingesetzt wird. Dieses erlaubt neben den dreidimensionalen Bewegungserfassungen des gesamten Kör- BGAG-Report 1/2008 34 Physische Arbeitsbelastung und ältere Arbeitnehmer pers zusätzlich die Bestimmung der inneren Muskel-Skelettbelastung in Form von Gelenkmomenten (Netto-Muskelkraftmomenten) auf Grundlage biomechanischer Modellbildung. Abbildung 1: CUELA-Messsystem mit Zusatzmodulen zur Erfassung der MuskelSkelettbelastung Zusatzmodule: Video-Dokumentation Herzfrequenz Inertial- und Winkelsensoren EMG DatenLogger Handkräfte FGRF Ganzkörpervibration Speicherkarte Abbildung 2: Opto-elektronisches Vicon-Messsystem und Messschaufel zur Erfassung der Handkräfte BGAG-Report 1/2008 35 Physische Arbeitsbelastung und ältere Arbeitnehmer 3 Ergebnisse Im Folgenden werden Einzelfallbeispiele zur physiologischen Arbeitsbelastung jüngerer und älterer Arbeitnehmer in der betrieblichen Praxis und bei ausgewählten Tätigkeiten dargestellt. Eine systematische Analyse der Altersabhängigkeit konnte aufgrund der Heterogenität der Messungen nicht angestellt werden. Insofern dürfen die Einzelfallbeispiele nicht pauschal verallgemeinert werden. 3.1 Garnherstellung Bei der industriellen Garnherstellung fallen trotz des hohen Automatisierungsgrades des Produktionsprozesses manuelle Tätigkeiten an, die als körperlich belastend einzustufen sind. Hierzu zählen das Bestücken der Garnherstellungsmaschine, die Kontrolle der fertigen Garnspulen und die Aussortierung von fehlerhaften Spulen. Diese Tätigkeiten erfordern häufig gebeugte Körperhaltungen, die teilweise auch mit Lastenhandhabungen kombiniert sind. Abbildung 3: Vergleich der Häufigkeitsverteilung (Boxplots) der Rumpfneigung und der Kniegelenks-Flexion bei der Garnspulenkontrolle zweier Mitarbeiter unterschiedlichen Alters 56 J BGAG-Report 1/2008 45 J 56 J 36 45 J Physische Arbeitsbelastung und ältere Arbeitnehmer Die vergleichende Arbeitsplatzanalyse mit einem 56- und einem 45-jährigen Mitarbeiter am selben Arbeitsplatz ergab keinen Hinweis auf mögliche Bewegungseinschränkungen bei den Arbeitshaltungen des älteren; eher waren sogar ein leicht erhöhtes Bewegungsausmaß und häufigere Beugehaltungen zu konstatieren (Abbildung 3). 3.2 Freileitungsmonteure Freileitungsmonteure sind im Rahmen ihrer Aufgaben und Tätigkeiten sehr unterschiedlichen – häufig aber hohen – körperlichen Belastungen und auch Risiken ausgesetzt. Der Aufstieg auf einen Hochspannungsmast, aber auch die eigentlichen Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten auf einem Mast erfordern oft hohe Krafteinsätze in z. T. ungünstiger Körper- bzw. Zwangshaltung. Bei der vergleichenden Analyse von zwei Freileitungsmonteuren mit einem Alter von 29 bzw. 47 Jahren konnten bei Kontrollbesteigungen von Hochspannungsmasten (ca. 50 m Höhe) hinsichtlich der Herzschlagfrequenz keine Unterschiede bzgl. des Maximums von etwa 140 S/Min und des Medians im Bereich von ca. 115 S/Min gefunden werden (Abbildung 4). Es sei angemerkt, dass sich der ältere Mitarbeiter durch ein Ausdauertraining für seinen Beruf fit hielt. Abbildung 4: Zeitlicher Verlauf der Schlagfrequenz bei der Mastkontrolle zweier Freileitungsmonteure „Jung“ „Alt“ Herzfrequenz [S/Min] Herzfrequenz [S/Min] Dateiname: RWE04m01_Polar Min. 78 S/Min Max. 137 S/Min Median 109 S/Min 25. Perz. 101 S/Min 75. Perz. 119 S/Min 180 160 140 120 120 100 100 80 80 60 60 40 40 0:30 1:00 BGAG-Report 1/2008 1:30 2:00 2:30 3:00 Zeit [h] Min. 50 S/Min Max. 133 S/Min Median 117 S/Min 25. Perz. 113 S/Min 75. Perz. 122 S/Min 160 140 0:00 Dateiname: Rwe03m01Polar 180 0:00 37 0:05 0:10 0:15 0:20 0:25 0:30 0:35 Zeit [h] Physische Arbeitsbelastung und ältere Arbeitnehmer 3.3 Automobilindustrie Im Rahmen einer groß angelegten Feldstudie mit rund 250 Werkern aus der Automobilindustrie zur Ermittlung der statischen Maximalkräfte1 konnte in einer ersten vorläufigen Analyse für bestimmte Kraftfälle eine Altersabhängigkeit ermittelt werden. Für den Kraftfall „Drücken nach oben im aufrechten Stehen“ ergab sich ein Abfall von 16 % für die Gruppe der 46- bis 60-jährigen vom Maximalwert bei den 26- bis 35jährigen (Abbildung 5). In anderen Kraftrichtungen wie z. B. beim Drücken nach unten konnte ein solcher Trend allerdings nicht gefunden werden. Die körperliche Trainiertheit durch die lange Berufsausübung könnte hier eine Rolle spielen. Abbildung 5: Maximale Kräfte von Werkern der Automobilindustrie im Altersgang 800 Aufrecht Stehen A-Plus (drücken n. oben) 700 600 564 572 Kraft [N] 518 500 482 400 300 200 100 n = 23 n=57 n=126 19-25 26-35 36-45 Altersgruppen n=52 0 3.4 46-60 Schaufeln Bei einer biomechanischen Analyse von Schaufeltätigkeiten zeigte sich im Querschnittsvergleich der untersuchten Baufachkräfte wohl die Abnahme der Maximalkraft beim einhändigen Heben (DIN 33411-5) mit dem Alter (Abbildung 6). 1 Forschungsprojekt des IAD der TU Darmstadt, gefördert von der DGUV, Projekt-Nr. FFFP0262 BGAG-Report 1/2008 38 Physische Arbeitsbelastung und ältere Arbeitnehmer Abbildung 6: Verteilung der statischen Maximalkräfte beim einhändigen Heben über das Alter der Probanden 400 mm F Beim Vergleich der Schaufeltätigkeit eines 22- und eines 59-jährigen Arbeiters konnten dagegen weder hinsichtlich des frei gewählten Schaufeltempos, der geschaufelten Schüttgutmenge noch hinsichtlich der aufgewendeten Handkraft am Schaufelstiel Unterschiede gemessen werden (Abbildung 7). Abbildung 7: Verteilung der dynamischen Maximalkräfte beim Schaufeln an der blattnahen Hand über das Alter der Probanden BGAG-Report 1/2008 39 Physische Arbeitsbelastung und ältere Arbeitnehmer 4 Schlussfolgerungen Diese nur als Einzelfälle zu sehenden Ergebnisse zeigen, dass auch ältere Arbeitnehmer durchaus eine hohe physische Arbeitsleistung erbringen können, die jüngeren nicht nachstehen muss. Außerdem stellen selbst Berufe mit einer hohen physischen Arbeitsbelastung eigentlich nie maximale Anforderungen im Sinne einer sportlichen Höchstleistung, sondern nur mehr submaximale Anforderungen mit einer Betonung der Ausdauer im Sinne einer Arbeitsschichtdauer bzw. der täglichen Wiederholung. Der entscheidende Aspekt hierbei ist die Verhaltensprävention des Individuums, indem sich der Arbeitnehmer – durchaus mit Unterstützung der Arbeitgebers – auf die physischen Arbeitsbelastungen vorbereiten muss bzw. durch ein geeignetes Fitness-/Regenerationstraining mit besonderer Berücksichtigung der Prävention von arbeitsbedingten Muskel-Skelett-Erkrankungen seine Arbeitsfähigkeit erhalten kann. Unabhängig davon sind in den anderen Handlungsfeldern der Prävention weiterhin intensive Bemühungen zur Vermeidung von arbeitsbedingten Muskelskeletterkrankungen notwendig. Literatur [1] Buck, H.; Kistler, E.; Mendius, H. G.: Demographischer Wandel in der Arbeitswelt. Hrsg.: Bundesministerium für Bildung und Forschung 2002 [2] Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2006. Aktueller Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2006. http://de.osha.europa.eu/statistics/statistiken/suga BGAG-Report 1/2008 40 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer Rahmenbedingungen und Lösungsansätze für eine ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit älterer Beschäftigter in der Bauwirtschaft Bernd Hartmann Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft - BG BAU, Hamburg 1 Einführung: Das Konfliktfeld in der Bauwirtschaft Das Konfliktfeld des Einsatzes älterer Arbeitnehmer verschärft sich in der Bauwirtschaft sowohl aus volkswirtschaftlicher als auch aus individueller Perspektive. Auslöser dieser Entwicklung sind der Mangel qualifizierter Fachkräfte und daraus entstehendes Interesse am Erhalt älterer Beschäftigter im Unternehmen. So hat sich zwischen 1999 und 2005 der Anteil der Beschäftigten älter als 35 Jahre in der Bauwirtschaft von 58 % auf 69 % erhöht. Im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2003 waren nur 11 % der Gerüstbauer und 15 % der Dachdecker, aber 45 % der Männer in sog. Schreibtischberufen mindestens 45 Jahre alt (Hartmann & Seidel 2007), die eingeschränkte soziale Sicherung von Beschäftigten mit Minderungen der Erwerbsfähigkeit bei Arbeitslosigkeit durch das ALG 2, die Auswirkungen der volkswirtschaftlich in der Gesamtbilanz erforderlichen Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch ein erhöhtes Renteneintrittsalter auch für Beschäftigte mit höheren körperlichen Belastungen. Berufe der Bauwirtschaft zählen nach aktuellen Untersuchungen weiterhin zu jenen mit den höchsten körperlichen Anforderungen. Angaben aus dem Bericht der Bundesregierung zum Stand der Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2005 sehen die sog. Bauberufe mit 68 % beim Heben und Tragen schwerer Lasten und 48 % bei Arbeiten in Zwangshaltungen jeweils auf dem ersten Rang unter 9 verglichenen Berufsgruppen. Zusätzlich finden sich mit 59 % überdurchschnittlich häufig Angaben über starken Termin- und Leistungsdruck (Bericht der Bundesregierung 2005). Diese Daten weisen BGAG-Report 1/2008 41 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer nach, dass sich in der noch immer sehr stark handwerklich geprägten Bauwirtschaft ein breites Aufgabenfeld für ergonomische Veränderungen bietet, das sich vorwiegend auf klassische Themen der körperlichen Arbeit in Verbindung mit Fragen der Arbeitsorganisation richtet. Bisher war es üblich, dem mit dem Alter wachsenden Konflikt zwischen Arbeitsanforderungen und körperlichen Bewältigungsmöglichkeiten durch den Einsatz junger Beschäftigter zu begegnen. Ältere Beschäftigte konnten sozial verträglich in die vorzeitige Erwerbsunfähigkeit entlassen werden. Daraus folgt eine Altersstruktur der Beschäftigten in der Bauwirtschaft, die deutlich vom allgemeinen Stand in Deutschland abweicht (Abbildung 1), aber einen Trend zu steigendem Durchschnittsalter zeigt. Abbildung 1: Altersstruktur der Beschäftigten in typischen Bauberufen – Darstellung der zur Vorsorge im Arbeitsmedizinischen Dienst (AMD) erschienenen Personen zwischen 1991 und 2003 Erfahrungen mit einem Vorhaben der Handwerkskammer Hamburg (Lippe-Heinrich & Wöste 2002) haben gezeigt, dass es den Weg des lebenslangen Lernens und der rechtzeitigen Qualifizierung für eine altersgerechte Arbeit für Beschäftigte der Bauwirtschaft in der Regel nicht gibt. Ein Ziel wird deshalb bleiben, neben den sonst üblichen Wegen der Sicherung der Erwerbsfähigkeit im höheren Alter in der Bauwirtschaft für möglichst viele Beschäftigte den längstmöglichen Erhalt ihres Arbeitsplatzes anzustre- BGAG-Report 1/2008 42 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer ben (Hartmann 2001). Die BG Bau kann mit ihren Präventionsdiensten durch branchenspezifische Kenntnisse und Handlungsauftrag zur Lösung dieses Konflikts innerhalb der Branche beitragen. 2 Die arbeitsmedizinische Sicht als eine Basis für Lösungen Die allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit und speziell die Belastbarkeit des MuskelSkelett-Systems vermindern sich spätestens vom 30. Lebensjahr an stetig. Das bedeutet, dass je nach individueller Konstitution die vorhandene Leistungsfähigkeit durch etwa gleich bleibende Arbeitsbelastungen individuell verschieden, aber insgesamt höher ausgeschöpft wird. Die Beanspruchung steigt ständig an. Dabei stehen nicht die überwiegend durch die Arbeit bedingten Krankheitsursachen im Vordergrund. Die lebensbegleitende Entstehung chronisch-degenerativer und verhaltensabhängiger Erkrankungen erreicht besonders das Muskel-Skelett-System (Bandscheibenschäden, Arthrosen etc.; Abbildung 2) das Herz-Kreislauf-System (Hypertonie, Arteriosklerose) und den Stoffwechsel (metabolisches Syndrom, Diabetes mellitus) das Atmungssystem (Chronische Bronchitis und Emphysem). So steigt die bei Vorsorgeuntersuchungen im Arbeitsmedizinischen Dienst (AMD) der BG BAU angegebene Häufigkeit von Rücken und/oder Gelenkbeschwerden von 30 % im Alter zwischen 21 und 25 Jahren trotz healthy-worker-Effekt messbar auf 72 % zwischen 55 und 60 Jahren. Im gleichen Altersabschnitt sinkt der Anteil von Beschäftigten ohne dokumentierten Muskel-Skelett-Befund bei der Vorsorgeuntersuchung von 74 % auf 45 %. Von den morphologisch messbaren Veränderungen am Muskel-Skelett-System ist bekannt, dass die Belastbarkeit der Lendenwirbelsäule – gemessen an der Bruchfestigkeit der Endplatten der Wirbelkörper von L4/L5 - stetig abnimmt und bei Einhaltung einer Toleranz von einer Standardabweichung bei Beschäftigten ab 50 Jahre die in präventiven Empfehlungen wie den Ergonomie-Normen zur Maschinenrichtlinie (Jäger et al. 2001) für Männer und Frauen zu Grunde gelegten maximalen Belastungswerte unterschreiten (Abbildung 3). BGAG-Report 1/2008 43 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer Abbildung 2: Altersabhängige Befunde am Muskel-Skelett-System bei Bauarbeitern (Hartmann & Seidel 2007) Abbildung 3: Altersbezogene Bruchfestigkeit der Endplatten der LWS als Kriterium für Richtwerte empfohlener Maximalbelastungen BGAG-Report 1/2008 44 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer Dem stehen Variationsbreiten hinsichtlich der Höhe, aber insbesondere der Häufigkeit hoher Arbeitsbelastungen gegenüber, wie das am Beispiel des Installateurs gezeigt werden kann (Abbildung 4). Neben Einsatzgebieten mit täglicher vielfacher Lastenhandhabung stehen solche mit nur gelegentlicher, die von einem Teil der älteren Beschäftigten auch heute schon ausgeübt werden kann. Zugleich zeigt sie auf, dass es im Transport von Material beim Innenausbau hier wie bei anderen Gewerken noch größeren Bedarf an Ergonomie auf der Baustelle zur Verminderung von Belastungen gibt. Abbildung 4: Variationsbreite beim Lastentransport von Beschäftigten im Berufsfeld des Installateurs im Baugewerbe als Basis für gesundheitsbezogene Einsatzmöglichkeiten Lasten ab 25 kg Häufigkeit / Tag Maximale Lasten Zentralheizung, Materialtransport in das Gebäude, Baustelleneinrichtung, Vorinstallation der Heizkörper 58 75 kg Zentralheizung, Montage, Verlegeleistung 16 m / Tag 6 60 kg Etagenheizung, Materialtransport in das Gebäude, Baustelleneinrichtung, Vorinstallation der Heizkörper 54 40 kg Etagenheizung, Montage, Verlegeleistung 16 m / Tag 10 60 kg Fußbodenheizung, Leistung ca. 250 m Kunststoffrohr = ca. 40 m² pro Tag 3 35 kg Sanitär/Wohnungsbau, Rohrinstallation, Leistung ca. 16 m Wasser- (Stahlrohre) und ca. 9 m Abwasserleitung (Gußoder SML-Rohre) 7 40 kg Sanitär/Wohnungsbau, Feininstallation, Transport und Einbau von 4 Sanitärelementen, gilt auch für die Demontage 0 max. 20 kg Heizung-/Sanitär Kundendienstmonteur - Wohnbereich, 4 Kunden pro Tag 16 50 kg Einsatzgebiet BGAG-Report 1/2008 45 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer Auch alle allgemeinen Gesundheitsrisiken durch Übergewicht, arterielle Hypertonie und metabolisches Syndrom steigen in Vorsorgeuntersuchungen nachweisbar stetig (Abbildung 5). Am Atmungssystem erreichen 12 % der Nichtraucher und 31 % der Raucher eine relevante obstruktive Funktionseinschränkung der exspiratorischen Sekundenkapazität von weniger als 70 % der forcierten Vitalkapazität (Hartmann et al. 2003). Abbildung 5: Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und metabolisches Syndrom Aus diesen Entwicklungen leitet sich ab: Die altersabhängig steigende Beanspruchung führt zur höheren Ausschöpfung der Leistungsreserven. Das Bedürfnis nach Erholung steigt, womit sich zugleich die Bereitschaft vermindert, selbst in der Freizeit körperlich aktiv zu sein. Damit wird die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit behindert. BGAG-Report 1/2008 46 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer Es entwickelt sich in der Folge dieses Konflikts eine zunehmende Gesundheitsgefährdung für bestimmte Erkrankungen (insbesondere Muskel-Skelett), aber wahrscheinlich auch ein beschleunigter genereller Alterungsprozess. Zusätzlich entstehen psychische Probleme wahrscheinlich als Folge der Verarbeitung erlebter Belastbarkeitsminderungen und der daraus entstehenden Bedrohungen der sozialen Sicherung durch berufliche Arbeit. Psychische Störungen wirken sich auf die Krankheitsverarbeitung aus und verstärken die subjektiven Beschwerden besonders am Muskel-Skelett-System (Schmerzen als Ausdruck der erlebten Schwere von Erkrankungen). 3 Lösungen aus ergonomischer Sicht Die dargestellte Situation hat zur Folge, dass nicht zu erwarten ist, durch isolierte Lösungen Erfolge bei der Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und dem Erhalt des älteren beruflichen Fachpersonals nachweisen zu können. Für die Ergonomie bedeutet das innerhalb des Handlungsfeldes der BG Bau und ihrer Kooperationen: Arbeitgeber zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Sinn des Einsatzes älterer Beschäftigter motivieren und bei der Lösung unterstützen. Die Grundlage des praktischen Handelns bildet die Gefährdungsbeurteilung sowie die Auswertung der Ergebnisse arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen als Abbildung bisher wirkender Belastungen. Unter Mitwirkung der AG Ergonomie und des Arbeitsmedizinischen Dienstes (AMD) der BG Bau wird die Gefährdungsbeurteilung modifiziert, um weitergehende Anknüpfungspunkte für die Prävention arbeitsbezogener Erkrankungen zu liefern. Der AMD hat für die gewerkespezifische Beratung sog. „Gewerkebezogene Gesundheitsberichte“ für 24 Gewerke entwickelt, die in etwa 3-jährigem Zyklus aktualisiert werden. Sie enthalten Informationen darüber, welche technischen, organisatorischen oder Verhaltens-Maßnahmen ergriffen werden sollten, welcher Beratungsbedarf beim Betriebsarzt oder bei der Sicherheitsfachkraft bestehen könnte, welche Unterweisungen der Mitarbeiter deshalb erforderlich werden und ob eine spezielle Vorsorge durch einen Betriebsarzt des AMD zu empfehlen ist. BGAG-Report 1/2008 47 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer Die Beratung nimmt weiterhin Bezug auf die Informationsschrift BGI 7011 „Gesunder Rücken – gesunde Gelenke – noch Fragen?“ der Reihe Gesund und fit im Kleinbetrieb der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Für die Branche und ihre Gewerke sollen taugliche Lösungen entwickelt oder zusammengetragen werden und auf ihre positiven Effekte im Arbeits- und Gesundheitsschutz unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen überprüft werden. Die Arbeit der AG Ergonomie der BG der Bauwirtschaft auf diesen Gebieten von ergonomischen Arbeitsplatzuntersuchungen, Entwicklung eines Belastungskatasters mit Informationsmaterial und der Website www.ergonomie-bau.de (Hartmann et al. 2007) einschließlich der Beurteilung vorhandener ergonomischer Lösungsangebote berichtet im Detail Rehme in seinem Beitrag (Seite 118). Beschäftigte sollen zur Gesundheitsförderung motiviert, aber beim Erfordernis der frühzeitigen Einleitung sekundärpräventiver Maßnahmen unterstützt werden. Dem Training körperlicher Leistungsvoraussetzungen kommt dabei eine besondere Rolle zu. Die Stärke beruflicher Belastungen auf die Entstehung von Rückenschmerzen zeigt Abbildung 6. Abbildung 6: Einfluß selbst berichteter Belastungen im Baugewerbe auf die Entstehung von Rückenschmerzen (Hartmann & Seidel 2007) BGAG-Report 1/2008 48 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer Frühzeitiges Fallmanagement zur Verhinderung chronischer Erkrankungen und deren psychischer Fixierung bei den Beschäftigten als fehlende Lebensperspektive ist eine wesentliche Grundlage der Prävention. Erfolge haben nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nur sog. multimodale Programme, die sich auf die Befundlage, die psychosozialen Bedingungen des Beschäftigten und die Spezifik der beruflichen Belastungen orientieren. Über ein berufsspezifisches Angebot für Beschäftigte im Baugewerbe, das Programm RehaBau (Hauck et al. 2005, Weiler et al. 2006) und dessen Ergebnisse sowie die mögliche Übertragbarkeit auf andere Branchen berichtet Hauck in ihrem Beitrag auf Seite 53. Der Einfluss auf und die Kooperation mit anderen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung aktiven Trägern – insbesondere mit den Krankenkassen (§20 SGB V) zur sachgerechten ergonomisch zweckmäßigen Prävention stellt ein weiteres Ziel dar. 4 Schlussfolgerungen Die Schwerpunktfindung für die Ergonomie am Bau orientiert sich nicht allein an der Anwendung objektiver Kriterien für besondere gesundheitliche Risiken oder Grenzen der Zumutbarkeit von Arbeit. Die Analyse von Beschwerden und Befunden tatsächlich tätiger Personen über die arbeitsmedizinische Vorsorge trägt bei der ergonomischen Gestaltung dazu bei, den Belastungen mit der höchsten praktischen Bedeutung unter dem Gesichtspunkt der Bewährung in einer Tätigkeit bis ins höhere Alter nachzugehen. Die Vielfalt von zeitlich wechselnden Tätigkeiten erlaubt es insbesondere den vorherrschenden Klein- und Mittelbetrieben nicht, in größerem Umfang besondere Arbeitsplätze für Ältere vorzuhalten. Eine „Ergonomie der Alten“ ist somit ein untauglicher Weg. Eher ist es denkbar, nach umfangreichen Bemühungen einzelne verbleibende besondere Lasten bestimmten Beschäftigten zeitweilig zu übertragen. Beratung der Unternehmer soll zunächst motivieren, sie muss aber auch realistische Lösungen anbieten können. Es ist nicht zweckmäßig zu versprechen, dass es immer zu einem wirtschaftlichen Vorteil oder gar zur Senkung des allgemeinen Krankenstandes BGAG-Report 1/2008 49 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer kommen muss. Auch der Erhalt von älteren erfahrenen Beschäftigten bei mäßigen Aufwendungen zählt (Abbildung 7). Ein Vergleich mit den Nachteilen für das Unternehmen bei Ausfall oder Verlust von Beschäftigten ist zwar schwerer zu führen, sollte aber immer angestrebt werden. Abbildung 7: Von der Information über die Motivation zur Veränderung – Arbeitsprinzip der erfolgreichen Prävention Bei allen Bemühungen um ein Arbeitsschutz- und Gesundheitsmanagement sollten die Träger von Rehabilitation stärker einbezogen werden. Ansätze der Rehabilitationswissenschaften haben Eingang in die Praxis gefunden, werden jedoch in Vorhaben wie der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) bisher nicht zur Kenntnis genommen. Durch die gezielte Rehabilitation und Sekundärprävention kann dazu beigetragen werden, Ergonomie nicht nur am Arbeitsplatz umzusetzen, sondern auch in Fähigkeiten und Verhalten der Beschäftigten zu integrieren. Literatur [1] Berufe im Spiegel der Statistik. Beschäftigung und Arbeitslosigkeit 1999 – 2006. http://www.pallas.iab.de/bisds/berufsgliederung.asp?level=BGBO&BG=0 [2] BGI 7011 „Gesunder Rücken – gesunde Gelenke – noch Fragen?“ Reihe Gesund und fit im Kleinbetrieb. DGUV 2007. BGAG-Report 1/2008 50 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer http://www.arbeitssicherheit.de/arbeitssicherheit/cms/website.php?id=/de/index/se arch.htm [3] Hartmann, B.: Arbeitsbedingter Verschleiß und Prävention. Arbeitsmedizinische Gesichtspunkte über die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit älterer Arbeitnehmer. In: Zukunftsfähige Konzepte für das Handwerk zur Bewältigung des demografischen Wandels. S 142 – 151. Hrsg. Von Handwerkskammer Hamburg. Stuttgart 2001 [4] Hartmann, B.; Gütschow, S.; Dill, F.; Hanse, J.; Müller-Berninger, R.: Ergonomic information platform at musculoskeletal loads in the construction industry. PREMUS 2007 – Sixth International Scientific Conference on Prevention of WorkRelated Musculoskeletal Disorders. Boston, Massachusetts. Book of Abstracts. 73 [5] Hartmann, B.; Seidel, D.: Muskel-Skelett-Erkrankungen im Baugewerbe - Betriebsärztliche Erkenntnisse, Risikocharakteristik und Präventionsempfehlungen. Schriftenreihe Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin in der Bauwirtschaft. Bd. 21. Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft. Frankfurt am Main [6] Hartmann, B.; Seidel, D.; Kundel, M.: Arbeitsmedizinische Vorsorge zur Lungenfunktion bei möglicher Belastung durch allgemeinen Staub in der Bauwirtschaft. Zbl. Arbeitsmed. (2003) 53: 564 – 576 [7] Hauck, A.; Hanse, J.; Hartmann, B.: Implementierung eines ergonomisch unterstützten Rehabilitationsprogrammes für ältere Beschäftigte in Handwerksberufen am Beispiel der Bauwirtschaft (RehaBau). Ergonomisches Übungsprogramm Handlungsanleitungen. Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft. Arbeitsmedizinischer Dienst. Hamburg. Gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft – Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA). (2005) Förderkennzeichen Z2 INQA P 09-03 [8] Jäger, M.; Luttmann, A.; Göllner, R.: Belastbarkeit der Lendenwirbelsäule beim Handhaben von Lasten - Ableitung der „Dortmunder Richtwerte” auf Basis der lumbalen Kompressionsfestigkeit. Zbl. Arbeitsmed. (2001) 51: S. 354-372 [9] Lippe-Heinrich, A.; Wöste, St.: Alternsgerechte flexible Arbeit im Handwerk. In: Handlungsanleitungen für eine alternsgerechte Arbeits- und Personalpolitik – BGAG-Report 1/2008 51 Ergonomische Unterstützung der Erwerbsfähigkeit Älterer Ergebnisse aus dem Transferprojekt. Broschürenreihe Demographie und Erwerbsarbeit, S. 56 – 59. Stuttgart 2002 [10] Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Bericht der Bundesregierung 2005. Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik. Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Berlin 2006. Weierl, S.; Hartmann, B.; Josenhans, J.; Hanse, E J.; Hauck, A.; von Bodeman, J: van Marck, A.; Kessler, R.: Arbeitsplatzorientierte Rehabilitation von Bauarbeitern – Ergebnisse der Pilotstudie „RehaBau“. Rehabilitation (2006) 45: S. 309 – 313 BGAG-Report 1/2008 52 RehaBau RehaBau – ein Beispiel für Sekundärprävention und Rehabilitation Andrea Hauck Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft - BG BAU, Hamburg Zusammenfassung Ziel Die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit älterer Arbeitnehmer steht im engen Zusammenhang mit der Erhaltung einer hinreichenden Belastbarkeit des Muskel-SkelettSystems. Das kann wesentlich durch Sekundärprävention und Rehabilitation bei Muskel-Skelett-Erkrankungen erreicht werden, die ein ergonomisches Training in der konkreten beruflichen Situation mit medizinischer Trainingstherapie kombinieren. Methoden Epidemiologische und arbeitstechnische Analysen der körperlichen Belastungen und Belastungsfolgen von Bauberufen wurden im Arbeitsmedizinischen Dienst (AMD) der BG BAU ausgewertet. Ein Programm zum Training der berufsspezifischen Belastbarkeit wurde mit Unterstützung und Förderung durch INQA entwickelt und beschrieben. Die Durchführung erfolgte in Rehabilitationskliniken und wurde mit dem SF-36Bogen überprüft. Ergebnisse Für das Training der Lastenhandhabung wurde eine Tabelle berufstypischer Lasten entwickelt, die sich an den Belastungswirkungen durch die Schwere der Last und ihre äußeren Abmessungen und damit an den Besonderheiten beim Aufnehmen und Tragen dieser Lasten orientieren. Für die Verbesserung der Bewältigung von Belastungen wurden ergonomische Hilfsmittel zusammengestellt. Den Teilnehmern werden Kriterien für die Auswahl von Werkzeugen, Arbeitskleidung sowie Handlungshilfen für Dehnübungen in Arbeitsunterbrechungen vorgestellt. In einem Übungsteil der Teilnehmergruppe wird ein Parcours der wichtigsten Arbeitssituationen absolviert. Dabei tritt in der Wiederholung auch Zeitdruck und eine Wettbewerbssituation der Teilnehmer auf. Die Evaluation zeigte in der globalen subjektiven Einschätzung der BGAG-Report 1/2008 53 RehaBau Teilnehmer eine positive Bewertung auch nach 1 Jahr bei körperlichen Beschwerden und Gesamtbefindlichkeit. Schlussfolgerungen Das Programm ist für Gruppen bis 12 Teilnehmer ähnlicher Berufe der Bauwirtschaft geeignet. Die Übungselemente können auf Berufe des Handwerks außerhalb der Bauwirtschaft übertragen werden. 1 Einführung Körperliche Fitness trägt entscheidend zum Wohlbefinden und zur Ausgeglichenheit im Berufs- und Privatleben bei. Besonders hohe körperliche Belastungen können zur Überforderung und zu Krankheiten führen. Im Verlauf langer vorwiegend körperlicher Berufstätigkeit, wie noch heute im Baugewerbe und anderen Handwerksberufen üblich, sind gehäufte erhebliche Beschwerden am Rücken und den Gelenken möglich. Die Anzahl der Muskel-Skelett-Erkrankungen zeigt eine seit Jahren nur wenig sinkende Kurve. Der AMD der BG BAU stellt seine Untersuchungsdaten den Firmen in gewerkebezogenen Gesundheitsberichten zur Verfügung. Rücken- und Gelenkerkrankungen stehen bei einer Vielzahl von Berufen an der Spitze (Abbildung 1). Da gilt es nicht nur mit Blick auf die demografische Entwicklung, frühzeitig persönliches Leid und eine Berufsaufgabe oder gar den Verlust der Erwerbsfähigkeit zu verhindern. Im Erfolgsfall verbleibt die Arbeitskraft im Gewerbe bzw. der Firma. Der Betrieb wird zudem beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement unterstützt. Abbildung 1: Körperliche Belastungen im Baugewerbe BGAG-Report 1/2008 54 RehaBau Ein erprobter Weg kann mit Rehabilitationsmaßnahmen begangen werden. Sie wurden lange erst gegen Ende der Berufstätigkeit gewährt. Vor wenigen Jahren hat ein Paradigmenwechsel begonnen: Das SGB VI § 31,2 bietet die noch selten aufgegriffene Chance, Maßnahmen im Sinne der Sekundärprävention durchzuführen. Platziert in der Mitte des Berufslebens bei drohender Frühberentung bzw. vermehrten AU-Zeiten, können sie eingesetzt werden, um z.B. Muskel- und Skeletterkrankungen zu verhindern bzw. vermindern. Dies gelingt desto besser, je mehr auf die ausgeübte Berufstätigkeit der Rehabilitanden Bezug genommen wird. Mit RehaBau wird eine neuartige, seit sechs Jahren erprobte Rehabilitationsmaßnahme vorgestellt. Sie wurde in der Entstehungsphase durch die Initiative Neue Qualität der Arbeit INQA gefördert und führt viele Akteure zusammen: Betriebsärzte der BG BAU und andere Arbeitsmediziner, behandelnde Ärzte, Niederlassungen der Deutschen Rentenversicherung, Schwerpunktkliniken in der jeweiligen Region und Experten der Ergonomie und Gesundheitsförderung. Eine Erweiterung dieses Kreises ist geplant. 2 RehaBau – Das Programm Ziel einer Rehabilitation sind Schmerzreduktion und körperliche Funktionsverbesserung. RehaBau will darüber hinaus ein bessere individuelle Arbeitsbewältigung und ein bewusstes, ergonomisch gutes Arbeitsverhalten erreichen. Der Fokus liegt demnach auf den beruflichen Anforderungen der Teilnehmer. Aktivierende Maßnahmen aus der Rehabilitation werden mit präventiven arbeitsplatzbezogenen Elementen kombiniert. Der dreiwöchige Reha-Aufenthalt findet im Winter in Zeiten geringeren Bauaufkommens statt. Die Teilnehmergruppe besteht aus ca. 12 Personen, die sowohl aus dem Bauhaupt- als auch aus dem Baunebengewerbe stammen. Das Programm wird Arbeitnehmern zwischen 35 und 55 Jahren angeboten, die mit körperlichen Beschwerden, insbesondere Rücken- und Gelenkproblemen, auffällig geworden sind, aber zur Behandlungszeit keinen akuten Befund aufweisen. Auf Grund der geringen Inanspruchnahme von Krankheitszeiten durch Bauhandwerker genügt eine mindestens einmalige Arbeitsunfähigkeit in den letzten zwei Jahren. BGAG-Report 1/2008 55 RehaBau Um in die Maßnahme zu gelangen, werden die Rehabilitanden durch Betriebsärzte systematisch rekrutiert. Sie stimmen sich mit den Reha-Medizinern über die berufliche Zukunft des Rehabilitanden ab. Auch die beteiligten Rentenversicherer weisen Versicherte einer Reha-Klinik mit dem speziellem Angebot zu. Diese Kliniken ergänzen die Gruppen mit Klientel aus ihren Zuweisungen. Die Teilnehmer bilden eine feste Gruppe, die für sich schon eine Quelle der gegenseitigen Unterstützung darstellt. Sie erhalten in einem eng belegten Stundenplan überwiegend aktivierende Trainingselemente. Die Grundlagenausdauer wird beispielsweise mit Walking und Jogging, Fahrradergometer, Aqua- und Hallentraining verbessert. Muskuläres Aufbautraining regt die Aktivierung defizitärer Muskelgruppen an. Der praktische Berufsbezug wird auch über das berufsspezifische ergonomische Trainingsprogramm sichergestellt (Abbildung 2). Der Ergonomieteil mit fünf Einheiten à zwei Stunden wird von AMD - Fachmitarbeitern bzw. von Klinikpersonal mittels eines bereitgestellten Programms übernommen. Für die Therapeuten ist vorher eine Multiplikatorenschulung durch den AMD obligatorisch. Sie vermittelt Berufskunde und Grundlegendes zu beruflichen körperlichen Belastungsformen sowie ergonomische Kenntnisse und Übungen. Hinzu kommen pädagogische Elemente, damit möglichst jeder Teilnehmer auf die ihm gemäße Lernweise erreicht wird. Abbildung 2: Berufsspezifisches ergonomisches Trainingsprogramm BGAG-Report 1/2008 56 RehaBau Als entscheidend für die Akzeptanz des Kurses hat sich die Methodik der Vermittlung erwiesen: Einzelarbeit wechselt mit der Nutzung des Gruppeneffektes. Neben der Sensibilisierung für die Themen und der Wissensvermittlung wird viel praktisch geübt. Die Aufgabenstellungen werden so variiert, dass sie teilnehmergerecht verschiedene Sinne und Motive des Menschen fordern. Die Themen werden besprochen, visualisiert, erprobt und erfühlt. Dazu können Vorträge, Gesprächsanleitungen, Videos, begleitende Videoaufnahmen, Fotos, praktische Übungen, Wettbewerbsanleitungen usw. genutzt werden (Abbildung 2). Es gilt, auf Grund der unterschiedlichen Beschwerdebilder möglichst für jeden Teilnehmer im Laufe des Programms seine individuelle Bewältigungsstrategie zu entwickeln. Der Rehabilitand wird in die Lage gebracht, belastende Situationen zu erkennen und mit ihnen umzugehen. Die Akzeptanz der Bauhandwerker für das ergonomische Angebot wird durch berufsnahe Übungselemente und eine Übungsbaustelle mit angemessener Materialausstattung erhöht. Sie dient der Bearbeitung von Fragen zum Heben und Tragen, zur Arbeitsplatzeinrichtung, dem Umgang mit Zwangshaltungen, repetitivem Arbeiten und Stress, der Auswahl von Arbeitskleidung, Werkzeugen und Hilfsmitteln. Hinzu kommen Trainings-, Lockerungs- und Entspannungsübungen für den Alltag. Eine Automatisierung neuer oder veränderter Bewegungsabläufe im Berufsalltag kann innerhalb der dreiwöchigen Reha kaum erwartet werden, wohl aber eine Bahnung neuer Verhaltensweisen. Häufig schließt daher zur Sicherung des Reha-Erfolgs eine Empfehlung zur ambulanten Fortsetzung des Trainings an. 3 Evaluation Auf der Ebene beobachtbaren Verhaltens gab es in den beiden vergangenen Jahren bereits einzelne Wiederholer, die sich auch mittels RehaBau in der Lage sehen, ihren Beruf weiter auszuüben. Das ist schon deshalb bedeutsam, weil sich die Handwerker als sehr berufstreu erwiesen haben und die Chancen eines Berufswechsels geringer geworden sind. Befragungen der Rheumaklinik Bad Bramstedt ein Jahr nach RehaBau haben eine 66 %ige Zustimmung zu der Maßnahme ergeben (Abbildung 3). Die Evaluation durch die Universität Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, ergab eine BGAG-Report 1/2008 57 RehaBau positive Bewertung der körperlichen Funktionsfähigkeit, der Besserung der Schmerzen, der allgemeinen Gesundheit und der Vitalität (Abbildung 4). Abbildung 3: Befragungsergebnisse zum Reha-Erfolg 40 35 30 25 20 37,9 27,6 31,0 3,4 15 0,0 10 5 0 sehr gut befriedigend schlecht Abbildung 4: Auswirkungen der Reha-Maßnahmen 100 90 vor 80 69 70 65 3 Monate nach 1 Jahr nach 67 56 SF-Wert 60 48 50 50 48 40 39 40 51 40 35 30 20 10 0 Körperliche Funktionsfähigkeit Körperliche Schmerzen Allgemeine Gesundheit SF-36-Skala (signifikante Unterschiede) Quelle: Weiler S et al, Universität Schleswig-Holstein 2006 BGAG-Report 1/2008 58 Vitalität RehaBau Dieses Ergebnis ein Jahr nach der Reha ist deutlich besser als sich vergleichbare Untersuchungen nach Rehabilitationsangeboten ohne Berufsnähe darstellen. RehaBau mit seinen Rahmenbedingungen ist als für sich stehende Maßnahme auch für Klein- und Mittelbetriebe tragbar, die sich kein umfassendes Gesundheitsmanagement häufig leisten können oder wollen. 4 Zukünftige Entwicklungen RehaBau kann in bewährter Weise auf andere Schwerpunktkliniken in Deutschland übertragen werden. Ebenso sind ambulante Modelle in der Erarbeitung. Mit RehaBau ist die Erstellung eines Basismodells für die Übertragbarkeit auf andere Berufe entstanden. Es kann mit seiner Kombination von medizinischer Rehabilitation mit berufsspezifischen Kursinhalten auf die Bedingungen anderer Handwerksberufe angepasst werden (Abbildung 5). Die Autoren von RehaBau sind an der Erweiterung des Programms durch Kooperationen interessiert. Abbildung 5: Übertragung auf andere Berufe BGAG-Report 1/2008 59 Barrierefreiheit Barrierefreiheit - Ein neuer Weg der Arbeitsgestaltung Klaus Buhmann Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, Hamburg Mit der Novellierung der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättVO) im Jahre 2004 wurde erstmals die Anforderung nach einer barrierefreien Arbeitstätte und barrierefreier Arbeitsplätze in das Arbeitsschutzrecht aufgenommen: „Der Arbeitgeber hat bei Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen Arbeitsstätten so einzurichten und zu betreiben, dass die besonderen Belange dieser Beschäftigten im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für die Barrierefreiheit von Arbeitsplätzen sowie von zugehörigen Türen, Verkehrs-, Fluchtwegen, Notausgängen, Treppen, Orientierungssystemen, Waschgelegenheiten und Toilettenräumen.“ Interessanterweise begnügt sich der Verordnungsgeber nicht mit nur einem Begriff, sondern verwendet neben dem Begriff „Barrierefreiheit“ auch den Begriff „Behinderungen“. Wenn zwei Begriffe verwendet werden, stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen behindertengerechter und barrierefreier Gestaltung. Und es stellt sich die Frage nach den Gestaltungskriterien einer barrierefreien Gestaltung. Zum Begriff der behindertengerechten Gestaltung findet sich eine Regelung im neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX): „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ vom 19. Juni 2001. Im § 81 Abs. 1 Nr. 4 heißt es: „Die schwerbehinderten Arbeitnehmer haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf ... behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten ...“. Für die sicherheitstechnische und ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze bedeutet dies aber, dass die geltenden Arbeitsschutzbestimmungen und ergonomischen Erkenntnisse den besonderen Bedürfnissen behinderter Menschen nicht in ausreichendem Maße Rechnung tragen. Nichtbehinderte Mitarbeiter können davon ausgehen, dass ihre Arbeitsplätze ihren persönlichen Bedürfnissen und Ansprüchen an Arbeitssicherheit und Ergonomie entsprechen; behinderte Mitarbeiter müssen individuell diese Gestaltung bei ihrem Arbeitgeber einfordern. BGAG-Report 1/2008 60 Barrierefreiheit Da der Arbeitgeber in gutem Glauben auf die Arbeitsschutzbestimmungen die Arbeitsplätze entsprechend gestaltet hat, können die erforderlichen Anpassungen für behinderte Mitarbeiter nicht ihm allein zur Last gelegt werden. Nach SGB IX kann der Arbeitgeber deshalb hierfür Zuschüsse bei den Integrationsämtern und Arbeitsämtern beantragen. Die behindertengerechte Anpassung der Arbeitsplätze an die individuellen Bedürfnissen, häufig verbunden mit einem hohen finanziellen und organisatorischen Aufwand, lässt sich bildhaft vergleichen mit der Reklame der Volksbanken: „Wir machen den Weg frei“. Die Maßnahmen bewirken, dass vom Parkplatz bis zum Arbeitsplatz der Weg für den behinderten Mitarbeiter nutzbar wird. Aber links und rechts dieses Weges bleibt all zu oft die Arbeitsstätte dem Mitarbeiter versperrt. Abbildung 1: Rehabilitative Maßnahmen Behindertengerechte Gestaltung: Nachträgliche Anpassungen im Bestand zur Berücksichtigung individueller gesundheitlicher Einschränkungen = Rehabilitative Maßnahmen Zu dem Begriff „Barrierefreiheit“ findet sich eine Legaldefinition in § 4 im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) vom 27.04.2002: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“ Oder etwas anders BGAG-Report 1/2008 61 Barrierefreiheit formuliert: Alle Menschen, auch die mit gesundheitlichen Einschränkungen, sollen die gebaute Umwelt, vom Wohnen und Arbeiten, bis zum Sport-, Kultur- und Freizeitbereich nach eigener Entscheidung, nach persönlichen Vorlieben und Wünschen auf die gleiche Art und Weise und möglichst ohne fremde Hilfe nutzen können. Die Realität zeigt, dass es zur Umsetzung des grundgesetzlichen Anspruchs in Artikel 3: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ noch vieler und starker Anstrengungen bedarf. Die derzeitige Gestaltung unserer bebauten Umwelt zeigt täglich, welche und wie viele Barrieren Menschen mit Behinderungen entgegenstehen. Aber auch Menschen ohne Behinderungen sind betroffen. Wer schon mal mit Bahn und Fahrrad verreist ist, wer schon mal durch einen Unfall beim Sport oder im Haushalt temporär gehandicapt war, wer Kinder durch die gebaute Umwelt getragen oder im Kinderwagen gefahren hat, wer sich schon mit schweren Aktentaschen oder Einkaufstüten durch schwere Türen gequält oder schon Möbel umgestellt und über Treppen getragen hat, der kennt das Gefühl, zumindest temporär „behindert“ gewesen zu sein. Es ist nicht das Problem, dass jemand durch seine Behinderung in der Nutzung unserer bebauten Umwelt eingeschränkt wird; das Problem besteht darin, dass unsere Gestaltungskriterien die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen nicht berücksichtigen. Abbildung 2: Aktion Grundgesetz BGAG-Report 1/2008 62 Barrierefreiheit Ein neues Denken ist gefragt. Gleichberechtigte Teilhabe und freie, eigenverantwortliche Gestaltung unseres Lebens und Chancengleichheit sind unveräußerliche Menschenrechte. Auch die Gestaltung unserer bebauten Umwelt muss diesem Anspruch Rechnung tragen. Ein Fachbereich, der diesen Anspruch bisher nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt hat, ist die Ergonomie. Die Arbeitsplatzgestaltung basiert auf den Erkenntnissen der Arbeitswissenschaft und der Ergonomie. Die hierbei zu Grunde liegende Systematik und Methodik berücksichtigt nur das 5. bis 95. Perzentil körperlich nicht eingeschränkter Personen im Alter von 14 bis 65 Jahren. Sollen Personen einen nach diesen Kriterien gestalteten Arbeitsplatz besetzen, deren Bedürfnisse z.B. auf Grund einer körperlichen Einschränkung (Behinderung) nicht berücksichtigt wurden, muss der Arbeitsplatz entsprechend ihrer individuellen Einschränkungen entsprechend angepasst werden (behindertengerechte Gestaltung). Zur Vermeidung offensichtlicher Nachteile bei einer derartigen Vorgehensweise wurde die barrierefreie Arbeitsgestaltung entwickelt. Vorliegende Erkenntnisse der Arbeitswissenschaft und Ergonomie wurden erweitert um die Erfahrungen, die im Rahmen der Rehabilitation bei der Integration behinderter Personen in das Arbeitsleben gemacht wurden. Abbildung 3: Präventive Maßnahmen Barrierefreie Arbeitsstätten - Zusammenfassung Barrierefreie Gestaltung: Berücksichtigung bei Neu- und großen Umbauten vermeidet Umbauten und Anpassungen = Präventive Maßnahmen BGAG-Report 1/2008 63 Barrierefreiheit Bei jeder auszuführenden Tätigkeit wird untersucht, welche Personen jeweils die weitestreichenden Anforderungen an die Arbeitsplatzgestaltung stellen. Können diese Bedürfnisse berücksichtigt werden, sind auch alle Anforderungen der Personen mit eingeschlossen, deren Anforderungen weniger weitreichend sind. Führt diese Vorgehensweise nicht zum Ziel, so wird sichergestellt, das die Tätigkeit auf eine alternative Weise ausführbar ist (Zwei-Kanal-Prinzip). Werden diese beiden Prinzipien bei Neu- bzw. großen Umbauten bereits von Beginn der Planung an berücksichtigt, so können große und teure Umbauten zur Anpassung an die Bedürfnisse einzelner behinderter Mitarbeiter vermieden werden. An den Arbeitsplätzen können Personen trotz geringer oder fehlender Ausprägung einer Fähigkeit tätig werden, sei es durch den Einsatz einer alternativen Fähigkeit oder durch den Einsatz kompatibler Hilfsmittel. Im Arbeitsleben können so Personen beschäftigt werden, wenn sie grundsätzlich zur Ausführung einer Tätigkeit befähigt sind, bzw. diese Fähigkeiten nachweisen und nicht z.B. auf Grund von Schutzbestimmungen von einer Nutzung auszuschließen sind. Individuelle Behinderungen und ihr möglicher Ausgleich mittels Hilfsmitteln werden bei der barrierefreien Gestaltung berücksichtigt. So wird die Grundlage für eine umfassende Integration geschaffen (Abbildung 4). Abbildung 4: Vorteile der Barrierefreiheit Barrierefreie Arbeitsstätten - Zusammenfassung Barrierefrei: damit die Neubauten von heute nicht zu den Sanierungsfällen von morgen werden, zu einer verbesserten Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Nachhaltigkeit und zu mehr Chancengleichheit Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit BGAG-Report 1/2008 64 Barrierefreiheit Eine barrierefreie Gestaltung hat große Vorteile für alle Beteiligten: Mitarbeiter mit Behinderungen sind ein normaler Teil der Belegschaft. Sie können ihre Leistungsfähigkeit im Beruf einbringen wie jeder andere Mitarbeiter auch. Mitarbeiter können entsprechend ihrer Qualifikationen eingesetzt werden und es steht nicht mehr ihre gesundheitliche Einschränkung im Vordergrund. Damit einhergehend wird auch die Arbeitssituation der nicht behinderten Mitarbeiter verbessert: Die Ausführbarkeit der Tätigkeiten wird erleichtert. Belastungen und Beanspruchungen werden gesenkt. Dadurch sinkt die Fehlerquote, das Verletzungsund Unfallrisiko. Motivation und Leistungsbereitschaft werden gesteigert. Die Zusammenarbeit behinderter und nicht behinderter Mitarbeiter wird einfacher. Gegenseitige Vertretungen im Urlaubs- und Krankheitsfalle werden möglich. Für „Leistungsgewandelte“ können mehr als bisher Tätigkeiten erhalten bleiben und auch Anforderungen an eine alters- und alternsgerechte Gestaltung werden berücksichtigt. BGAG-Report 1/2008 65 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt – Beispiel: Bewertung des Montage-Musterarbeitsplatzes im BGAG Susan Freiberg BGAG - Institut Arbeit und Gesundheit, Dresden Maria Girbig, Beate Blättner Fachhochschule Fulda Zusammenfassung Die Arbeitsfähigkeit aller Arbeitnehmer sollte bis zum Eintritt in das Rentenalter erhalten bleiben. Daher stellt sich die Frage, ob die Arbeitsbedingungen entsprechend angepasst und alternsgerecht gestaltet werden müssen. Im Institut Arbeit und Gesundheit – BGAG in Dresden wurde ein Montage-Musterarbeitsplatz entwickelt, der nach einer grundlegend guten ergonomischen Gestaltung nur mit wenigen zusätzlichen Elementen ausgestattet wurde, um den Bedürfnissen Älterer gerecht zu werden. Es hat sich herausgestellt, dass die Gestaltung gleichermaßen die Arbeit für jüngere Arbeitnehmer erleichtert. Der Arbeitsplatz wurde im Vergleich zu einem weiteren Montagearbeitsplatz mittels eines standardisierten Leitfadens bewertet. Die Teilnehmer der Untersuchung wurden nach der Durchführung einer festgelegten Montagetätigkeit zu den beiden Arbeitsplätzen befragt. Die Ergebnisse der Bewertung des Musterarbeitsplatzes bestätigen, dass die gute ergonomische Gestaltung die älteren Arbeitnehmer unterstützt, aber auch eine Arbeitserleichterung für die jüngeren Arbeitnehmer schafft. 1 Einleitung Die Folgen der demographischen Entwicklung sind seit langem bekannt. Sinkende Geburtenraten und eine kontinuierlich steigende Lebenserwartung führen zu erheblichen Veränderungen der Altersstrukturen in der Arbeitswelt. Zukünftig wird es mehr ältere Arbeitnehmer geben, die zugleich länger erwerbstätig sein müssen. Die Arbeitsfähigkeit aller Arbeitnehmer sollte möglichst bis zum Eintritt in das Rentenalter erhalten werden. Maßnahmen der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung BGAG-Report 1/2008 66 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt sollen dazu beitragen, sich auf die speziellen Bedürfnisse und Fähigkeiten älterer Arbeitnehmer einzustellen, und ihnen somit einen möglichst langen Einsatz im Arbeitsleben gewährleisten [1]. Es gilt die altersbedingten Leistungseinschränkungen älterer Arbeitnehmer zu berücksichtigen, aber auch die besonderen Fähigkeiten der Älteren zu nutzen und zu fördern. Nach einer Analyse der physiologischen Veränderungen und Erarbeitung der spezifischen Gefährdungen älterer Personen wurden Gestaltungsmaßnahmen für Arbeitsplätze älterer Arbeitnehmer entwickelt und an einem Musterarbeitsplatz im Bereich der Montage im Praxisfeld1 des BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit zur Veranschaulichung praktisch umgesetzt. Dabei wurde festgestellt, dass nach einer guten ergonomischen Gestaltung des Arbeitsplatzes oft nur noch geringe Anpassungen an die Bedürfnisse der Älteren erforderlich sind [2]. 2 Musterarbeitsplatz für Montagetätigkeit im BGAG Zuerst wurde der Musterarbeitsplatz für Montagetätigkeit (Abbildung 1) nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen ergonomisch gut gestaltet und mit grundlegenden Elementen wie einer nichtreflektierenden Arbeitsfläche, im Greifraum des Arbeitenden individuell angeordneten Greifbehältern, einem Akku-Schrauber mit Balancer, einem höhenverstellbaren Stuhl, einer verstellbaren Fußstütze und ausreichender Beleuchtung ausgestattet. Die farbliche Kodierung der Schrauben-Ablagebehälter und zugehörigen Schrauber-Bits dienen der schnelleren Zuordnung von Material und Werkzeug. Anschließend wurden verschiedene Elemente (Abbildung 2) ergänzt, die den Bedürfnissen älterer Arbeitnehmer entsprechen. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Arbeitsplatz von mehreren Arbeitnehmern jeden Alters, zum Beispiel im Schichtbetrieb, genutzt werden kann und zur Erhaltung ihrer Arbeitsfähigkeit beiträgt. 1 Im Praxisfeld Ergonomie des BGAG befinden sich verschiedene Musterarbeitsplätze, die zur Veranschaulichung in Seminaren und Beratungen genutzt werden. BGAG-Report 1/2008 67 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt Zur Unterstützung der Feinmotorik ist eine jederzeit abnehmbare Halterung für das Werkstück befestigt. In diese wird die Baugruppe während der Montage eingepasst. Dadurch wird das Wegrutschen der Bauteile verhindert und der Zusammenbau zeitlich optimiert. Weiterhin dienen Unterarmstützen der Entlastung und der Verbesserung der Feinmotorik. Zur individuellen Nutzung sind diese Stützen leicht und schnell am Tisch zu montieren bzw. zu entfernen. Abbildung 1: Musterarbeitsplatz Abbildung 2: Arbeitsmittel am Musterarbeitsplatz Ein elektromotorisch höhenverstellbarer Tisch ermöglicht die Einstellung der individuellen Arbeitshöhe, aber auch den Wechsel zwischen sitzender und stehender Tätigkeit, um einseitige Haltung oder Muskelverspannungen zu vermeiden. Eine visualisierte Beschreibung der einzelnen Montageschritte in klar aufgebauten Abbildungen hilft beim Anlernen und beugt Fehlern vor. Zusätzlich ist erkenntlich, welche Schrauberstufe und welches Verbindungselement benötigt werden. Eine gute Lesbarkeit wird durch ausreichend große Schrift, klare Kontraste und große Abbildungen erreicht. Um den erhöhten Helligkeitsbedarf Älterer zu entsprechen [3], sind BGAG-Report 1/2008 68 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt zwei separat schaltbare Leuchtkörper angebracht, die durch gute Entblendung auch in Kombination nicht zu Blendung führen [2]. Die Nutzung beider Leuchten erreicht eine mittlere Beleuchtungsstärke von ca. 2300 Lux. Die Gestaltung des Musterarbeitsplatzes erfolgte anhand von Leitlinien [2]: Durch eine grundlegend gute Gestaltung nach arbeitswissenschaftlichen und ergonomischen Kriterien sind nur wenige spezielle Maßnahmen zusätzlich erforderlich, um den Arbeitsplatz an die Bedürfnisse der Älteren anzupassen. Es sollen keine speziellen „Altenarbeitsplätze“ oder „Schonarbeitsplätze“ entstehen. Jüngere Mitarbeiter sollen ebenfalls an den umgestalteten Arbeitsplätzen eingesetzt werden können. Die Gestaltung soll gleichermaßen die Arbeit für jüngere Arbeitnehmer erleichtern. Die individuellen Fähigkeiten eines jeden Arbeitnehmers sollen möglichst immer berücksichtigt werden. 3 Bewertung des Montage-Musterarbeitsplatzes Im Rahmen einer Bachelorarbeit wurde der Montage-Musterarbeitsplatz bewertet. Die Bewertung des Musterarbeitsplatzes, nachfolgend als APL 1 bezeichnet, erfolgte im Vergleich zu einem weiteren Montagearbeitsplatz (Abbildung 3), nachfolgend APL 2 genannt. Dieser Montagearbeitsplatz (APL 2) ist ergonomisch gestaltet und existiert in ähnlicher Ausführung in Unternehmen. Um die Wirksamkeit der am APL 1 zusätzlich angebrachten Gestaltungselemente zu überprüfen, wurden diese zum Teil am APL 2 weggelassen (zum Beispiel Balancer, Unterarmstützen, Montagevorrichtung), (Abbildung 4). Der Untersuchung lagen folgende Fragestellungen zu Grunde [4]: 1. Wird die Arbeit durch die Gestaltung des APL 1 im Vergleich zu der am APL 2 erleichtert? BGAG-Report 1/2008 69 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt 2. Werden die Arbeitsmittel, welche zusätzlich am APL 1 angebracht sind, von den Arbeitnehmern als günstig und die Montagearbeit unterstützend eingeschätzt? 3. Bewerten ältere und jüngere Arbeitnehmer den APL 1 gleich oder auf unterschiedliche Weise? Stellt die Arbeitsplatzgestaltung für jüngere und ältere Arbeitnehmer eine Arbeitserleichterung dar? Abbildung 3: Montagearbeitsplatz 2 4 Methodik 4.1. Stichprobe Abbildung 4: Arbeitsmittel am Montagearbeitsplatz 2 Die Untersuchung zum Vergleich der beiden Montagearbeitsplätze und der speziellen Bewertung des APL 1 wurde als Laboruntersuchung im Praxisfeld Ergonomie des BGAG im experimentellen Design durchgeführt. Somit wurde die Arbeitssituation künstlich geschaffen. Die Stichprobe der Untersuchung bestand aus 37 Teilnehmern. Es waren keine Montagearbeiter, sondern Mitarbeiter des BGAG, die sich freiwillig zur Teilnahme bereit erklärt hatten. Das Alter der Personen lag zwischen 26 und 59 Jahren. 68 % der Teilnehmer/innen waren weiblich und 32 % männlich. [4] BGAG-Report 1/2008 70 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt 4.2 Messinstrumente Nach der Montagetätigkeit an den Arbeitsplätzen erfolgte anhand eines vollstandardisierten Fragenbogens eine Befragung der Teilnehmer in Form von zwei Einzelinterviews. Der Fragebogen wurde speziell für die Untersuchung angefertigt. Alle Fragen waren explizit vorformuliert. Ein Großteil der Fragen wurde nach Beendigung der Arbeit an beiden Arbeitsplätzen gestellt. Einige Fragen betrafen die zusätzlichen Arbeitsmittel am APL 1 und wurden nur an diesem Arbeitsplatz verwendet. Somit konnte einerseits der Vergleich beider Arbeitsplätze gewährleistet werden, andererseits konnten zusätzlich Fragen zu einzelnen Gestaltungselementen des APL 1 gestellt und damit deren Bewertung vorgenommen werden. [4] 4.3 Untersuchungsplan Die teilnehmenden Personen erhielten die Information, dass die beiden Montagearbeitsplätze miteinander verglichen werden sollen. Dass es um die Bewertung des Musterarbeitsplatzes geht, erfuhren die Teilnehmer nicht, um diese in ihren Aussagen nicht zu beeinflussen. Während der Untersuchung arbeiteten alle Teilnehmer an beiden Arbeitsplätzen und begannen abwechselnd am APL 1 und APL 2. Die Arbeitsaufgabe an den Arbeitsplätzen ist die fachgerechte Montage eines Maschinenschraubstocks. Vorbereitend wurde den Teilnehmern der Arbeitsplatz mit den vorhandenen Arbeitsmitteln erläutert. Tisch, Stuhl und Fußstütze wurden fachgerecht vom Untersuchungsleiter entsprechend der Bedürfnisse des Teilnehmers eingestellt. Unter Anleitung erfolgte probeweise die Montage eines Maschinenschraubstocks. Nach der selbständigen Montage am ersten Arbeitsplatz folgte der Wechsel zum zweiten Arbeitsplatz. Die veränderten Arbeitsmittel wurden vom Untersuchungsleiter erläutert sowie Tisch, Stuhl und Fußstütze individuell eingestellt. [4] Es handelt sich um einen einfaktoriellen Versuchsplan mit Messwiederholung. BGAG-Report 1/2008 71 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt 4.4 Durchführung Die Teilnehmer führten die Montage selbständig am ersten Arbeitsplatz über 10 Minuten aus. Die Anzahl der montierten Schraubstöcke war für die Untersuchung nicht relevant. Mit Hilfe des vollstandardisierten Leitfadens wurden die Teilnehmer mündlich über den Arbeitsplatz befragt. Danach begann am zweiten Arbeitsplatz erneut eine Arbeitsphase von 10 Minuten. Nach Ablauf der Zeit wurden die Teilnehmer wiederum mit Hilfe des vollstandardisierten Leitfadens befragt. Die gesamte Untersuchung erstreckte sich über einen Zeitraum von etwa 45 bis 60 Minuten. 5 Ergebnisse Hinsichtlich des Vergleichs der beiden Arbeitsplätze wurde ein Großteil der Arbeitsmittel, welche sowohl am APL 1 als auch am APL 2, nur in anderer Form, vorhanden sind, am APL 1 als signifikant günstiger bewertet (Werte zwischen p = 0,00 und p = 0,03). Abbildung 5 zeigt als Beispiel eine Grafik zum Vergleich der Montageanleitungen an beiden Arbeitsplätzen. Am APL 1 wurden die zur Montage des Maschinenschraubstocks notwendigen Informationen frontal auf einer Tafel angebracht. Die Montageschritte sind bildhaft dargestellt. Außerdem ist angezeigt, welches Werkzeug, welche Schrauberstufe und welches Verbindungselement (farblich kodiert) benötigt werden. Eine gute Lesbarkeit wird durch große Schrift, klare Kontraste und große Abbildungen gewährleistet. Die Montageanleitung am APL 2 hat die Form eines Heftes. Bildhafte Darstellungen mit kurzen Texten dienen der näheren Erläuterung der einzelnen Arbeitsschritte. In Abbildung 5 wird nur die „trifft völlig zu“-Antwort dargestellt, da die Antworttendenz am deutlichsten ersichtlich ist. Für die Lesbarkeit sowie auch die Form konnte im Vergleich der beiden Arbeitsplätze jeweils ein hochsignifikanter Unterschied (p < 0,01) ermittelt werden. Hinsichtlich beider Variablen wurde der APL 1 als besser eingeschätzt. Bezüglich der Verständlichkeit sind keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Montageanleitungen feststellbar. BGAG-Report 1/2008 72 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt Abbildung 5: Vergleich Montageanleitungen [4] 100 90 94,6 91,9 Häufigkeit in % 80 70 60 70,3 51,4 48,6 50 40 24,3 30 20 10 0 gute Verständlichkeit gute Lesbarkeit günstige Form "trifft völlig zu" APL 1 APL 2 Bei einigen Arbeitsmitteln konnten keine signifikanten Unterschiede in der Bewertung festgestellt werden (Abbildung 6). Die Blendung durch die Beleuchtung wurde am APL 2 als signifikant geringer (p = 0,03) und weniger störend bewertet als am APL 1. Diese war allerdings keine durch die Leuchten verursachte Direktblendung, sondern eine aufgrund der Oberflächenbeschaffenheit der Montagevorrichtung erzeugte Reflexblendung. (Abbildung 6) BGAG-Report 1/2008 73 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt Abbildung 6: Vergleich APL 1 und APL 2 signifikant günstiger am APL 1 Form und Lesbarkeit der Montageanleitung Erreichbarkeit und Anordnung der Ablagebehälter Zuordnung der Werkzeuge zu Montageteilen Durchführbarkeit feinmotorischer Tätigkeiten Höhe und Verstellbarkeit des Arbeitstisches Beleuchtungsniveau keine signifikanten Unterschiede Verständlichkeit der Montageanleitung Erreichbarkeit der Werkzeuge Bewältigung/Kraftanstrengung bei Schraubarbeiten Störung durch Lärm signifikant günstiger am APL 2 geringere Blendung durch Beleuchtung Einige der untersuchten Arbeitsmittel sind, wie eingangs dargestellt, nur am APL 1 und nicht am APL 2 vorhanden. Dazu zählen die variabel einstellbaren Ablagebehälter, die Farbkodierung an der Montageanleitung, den Steckplätzen für die Schrauber-Bits und den Ablagebehältern, der Balancer für den Schrauber, die Unterarmstützen und die Montagevorrichtung. Von diesen genannten Arbeitsmitteln wurden alle, bis auf die Unterarmstützen, von den Befragten als sehr günstig und die Montagetäigkeit unterstützend bewertet (Abbildung 7). Die Unterarmstützen galten eher als Belastung, da sie ungewohnt waren und sich die Teilnehmer auf die Montagetätigkeit konzentrieren mussten. Nur fünf Personen nutzten die Unterarmstützen. Alle anderen verwendeten sie nicht oder ließen sie während des Montageprozesses abbauen. Häufig wurde die Nutzung als schwierig empfunden, da die Greifräume für die Tätigkeit relativ groß sind und somit ein häufiges Verlassen der Unterarmstützen BGAG-Report 1/2008 74 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt notwendig ist. Das erneute Anpassen der Unterarmstützen beschrieben die Teilnehmer als ungünstig und zeitaufwändig. [4] Abbildung 7: Bewertung der Arbeitsmittel am APL 1 signifikant positiv bewertet variable Einstellbarkeit der Ablagebehälter Farbkodierung Balancer Montagevorrichtung keine signifikante Bewertung Unterarmstützen Abbildung 8 zeigt beispielhaft, dass die Aussage „Montagevorrichtung erleichtert Montagearbeit“ 83 % der Befragten als völlig zutreffend bezeichneten. Abbildung 8 : Bewertung der Arbeitsmittel am APL 1 – Beispiel: Montagevorrichtung [4] Montagevorrichtung erleichtert Montagearbeit 3% 14% trifft gar nicht zu trifft teils-teils zu trifft völlig zu 83% BGAG-Report 1/2008 75 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt Die Bewertung der Montagearbeitsplätze durch die älteren gegenüber den jüngeren Teilnehmern ergab keine signifikanten Unterschiede, sowohl im Vergleich der beiden Arbeitsplätze als auch in der Bewertung der nur am APL 1 vorhandenen Arbeitsmittel. Das heißt, dass der APL 1 sowohl im Vergleich zum APL 2 sowie bei der Betrachtung der speziellen Arbeitsmittel von den älteren als auch von den jüngeren Teilnehmern auf die gleiche Weise bewertet wurde. Alterseffekte wurden mittels U-Test (Mann/Withney) geprüft, für den die Gruppe der Teilnehmer in zwei Teilgruppen unterteilt wurde (Teilnehmer unter bzw. über 45 Jahre). In der Literatur existieren verschiedene Angaben, ab wann ein Arbeitnehmer als älter bezeichnet wird. Die vorliegende Untersuchung orientiert sich an einer Definition der branchenmäßigen Einteilung der Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Gerontechnik. Folgende Definition für ältere Arbeitnehmer wird als Grundlage der vorliegenden Untersuchung betrachtet: „Als ältere Arbeitnehmer/innen im Bereich der Montagearbeit werden erwerbstätige Menschen mit einem Alter über 45 Jahren angesehen. Sie können von altersbedingten Veränderungen betroffen sein, welche sie in ihrer Leistungsfähigkeit bei Ausführung ihrer Arbeitstätigkeit einschränken oder verändern und dazu führen können, dass sie gefährdeter sind als andere.“ [4] 6 Grenzen der Untersuchung Die Untersuchung fand als Laboruntersuchung und nicht im Unternehmen statt. Der Montageprozess erfolgte nur über einen kurzen Zeitraum von jeweils 10 Minuten. Eventuell auftretende Probleme, die sich erst nach einem längeren Zeitraum bemerkbar machen könnten, sind nicht berücksichtigt. Die Teilnehmer waren keine Montagearbeiter. Die Befragten konnten demnach kaum persönliches Erfahrungswissen hinsichtlich der Arbeitsplatzgestaltung im Bereich Montage mitbringen. Außerdem ist es denkbar, dass sie die Montagearbeit als Abwechslung in ihrem normalen Berufsleben angesehen haben und dadurch der Untersuchung von vornherein positiv gegenüber eingestellt waren, was dazu geführt hat, dass sie die Fragen eher positiv beantwortet haben. [4] BGAG-Report 1/2008 76 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt 7 Fazit Die Untersuchung zeigte, dass der APL 1 im Vergleich zum APL 2 von den Teilnehmern zum größten Teil als günstiger eingeschätzt wurde. Auch die Bewertung der nur am APL 1 angebrachten Arbeitsmittel, bis auf die Unterarmstützen, war positiv. Im Vergleich der Bewertungen von älteren und jüngeren teilnehmenden Personen konnten keine deutlichen Unterschiede festgestellt werden. Das bedeutet, dass der APL 1 entsprechend unserer Gestaltungsleitlinien nicht nur eine Erleichterung der Montagearbeit für ältere Arbeitnehmer bietet, sondern er unterstützt die Tätigkeit der Arbeitnehmer jeden Alters. Trotz der Grenzen war diese Untersuchung ein erster Schritt, den Montage-Musterarbeitsplatz für ältere Arbeitnehmer zu bewerten. Als Konsequenz der Untersuchung wäre es sinnvoll, den APL 1 weiterhin zu optimieren und entsprechend Alternativen zu den Unterarmstützen zu finden sowie die Oberflächengestaltung der Montagevorrichtung zu ändern, um eine Reflexblendung zu verhindern. Eine erneute Untersuchung als Felduntersuchung, das heißt, eine Integration in ein Montageunternehmen, in dem Arbeitnehmer für einen längeren Zeitraum ihre spezielle Arbeitsaufgabe am entsprechend angepassten Musterarbeitsplatz durchführen können, ist erstrebenswert. 8 [1] Literatur Freiberg S., Zieschang H.: Sample Workplaces for elderly employees. In: Abstract Book. 3rd International Conference Working on Safety 12 –15 September 2006. S. 92; Center Parcs De Eemhof Zeewolde, The Netherlands [2] Hoffmann M., Zieschang H.: Gestaltung von Arbeitsplätzen für ältere Arbeitnehmer – Musterarbeitsplatz im BGAG. In: die BG; Heft 07 (2005)S. 416 – 418 [3] Ilmarinen J., Tempel J.: Arbeitsfähigkeit 2010. Was können wir tun, damit Sie gesund bleiben? VSA-Verlag, Hamburg (2002) BGAG-Report 1/2008 77 Arbeitsplatzgestaltung für jung und alt [4] Girbig M.: Bewertung des Montage-Musterarbeitsplatzes für ältere Arbeitnehmer/innen des BGAG Dresden. Abschlussarbeit Bachelor of science – Gesundheitsmanagement; Fulda, Dresden (2007) BGAG-Report 1/2008 78 Systematik beruflicher Anforderungen Systematik beruflicher Anforderungen, Belastungen und Gefährdungen Renate Hanßen-Pannhausen BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit, Dresden Zusammenfassung Vorgestellt wird das Arbeitsanalyse-Instrument IGAcheck, das im Jahr 2004 im Rahmen der Initiative Arbeit und Gesundheit als IGA-Report 4 (Abbildung 1) [1] veröffentlicht wurde und derzeit vom BGAG in Kooperation mit dem BGIA überarbeitet wird. Abbildung 1: IGA-Report 4 [1] IGAcheck soll Ende des Jahres 2008 in der neuen, erweiterten Fassung veröffentlicht werden. Die Einsatzmöglichkeiten des neuen IGAcheck sind vielfältig: z.B. Gefährdungsbeurteilung, Ableitung von Maßnahmen zur Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren, zur Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen sowie zur Wiedereingliederung von leistungsgewandelten oder behinderten Beschäftigten. Das Instrument kann in jeder Branche und für jede Tätigkeit genutzt werden. BGAG-Report 1/2008 79 Systematik beruflicher Anforderungen IGAcheck besteht aus einer einfachen Kurzversion und einer Detailversion. Eine Software ermöglicht das Abrufen von Informationen, Eingeben und Speichern von Daten sowie Darstellen von Ergebnissen. Die Kurzversion ist geeignet, um sich einen ersten groben Überblick über die Anforderungen und Belastungen von bestimmten Berufsgruppen zu verschaffen. Die Detailversion ermöglicht es, genauere Ergebnisse zu erzielen und auf dieser Grundlage konkrete Maßnahmen abzuleiten, z.B. technische Maßnahmen, persönliche Schutzausrüstungen, arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen. 1 Aufbau des Instrumentes Für die Entwicklung und Überarbeitung des IGAcheck wurden diverse Instrumente für die Arbeitsanalyse, Handlungshilfen zur Gefährdungsbeurteilung sowie zur Wiedereingliederung leistungsgewandelter Beschäftigter ausgewertet [z.B. 1 bis 8]. Außerdem befragte das Projektteam potentielle Nutzer nach ihren Wünschen und Erwartungen. Die Umfrage ergab, dass ein möglichst breit einsetzbares Instrument gewünscht wird. Es soll insbesondere die Gefährdungsbeurteilung, aber auch die Eingliederung von Beschäftigten mit Leistungseinschränkungen nach einer Erkrankung oder einem Unfall unterstützen. Da die Einsatzmöglichkeiten des neuen, überarbeiteten IGAcheck wesentlich umfangreicher sein sollen als bei der ursprünglichen Fassung, waren erhebliche Änderungen und Ergänzungen erforderlich, z.B.: Es wird ein zweistufiges Vorgehen angeboten: eine Kurz- und eine Detailversion. Beide Versionen enthalten im ersten Teil den gleichen Vordruck zur stichwortartigen Tätigkeitsbeschreibung, z.B. die wesentlichen Arbeitsaufgaben, die Qualifikationsanforderungen, die Räumlichkeiten bzw. Orte, an denen gearbeitet wird, die genutzten Maschinen, Werkzeuge und technischen Anlagen, die Arbeitszeit und das Schichtsystem. Im zweiten Teil werden die typischen beruflichen Anforderungen, Belastungen und Gefährdungen erfasst. Sie sind gegliedert in die Abschnitte „Arbeitsumgebung“ (z.B. Lärm, Gefahrstoffe), „Physische Anforderungen und Belastungen“ (z.B. Körperhaltung, Körperfortbewegung, Lastenhandhabung), „Psychische Be- BGAG-Report 1/2008 80 Systematik beruflicher Anforderungen lastungen“ (z.B. geringer Handlungsspielraum, Zeitdruck, Konfliktbewältigung) und „Sonstige Anforderungen“ (z.B. Sehen, Hören). In diesem Teil unterscheiden sich die beiden Versionen. Bei der Kurzversion wurde die Liste der Merkmale und die Skalierung so weit wie möglich reduziert. Die Checkliste enthält etwa 30 Fragen, z.B. „Liegen Belastungen durch persönliche Schutzausrüstungen vor?“ Auf einer einfachen Dreierskala (ja – keine – möglich) soll dokumentiert werden, ob dies zutrifft (vgl. Abbildung 4, S. 83). Bei der Detailversion sollen alle Merkmale, bei denen in der Kurzversion „ja“ oder „möglich“ angekreuzt wurde, differenzierter erfasst werden, z.B. die Art der persönlichen Schutzausrüstung: Gehörschutz, Atemschutz, usw.. Außerdem sollen die daraus resultierenden Anforderungen, Belastungen und Gefährdungen für die Beschäftigten bewertet werden. Für die Bewertung steht eine 4stufige Skala zur Verfügung: keine – geringe – mittlere – hohe (vgl. Abbildung 5, S. 84). Die Detailversion kann nur über die Software genutzt werden. Geplant ist, im dritten Teil Vordrucke anzubieten, auf denen die abgeleiteten Maßnahmen dokumentiert werden können. Die Software wird grundlegend überarbeitet und praxisorientierter gestaltet. Bei jedem Merkmal können diverse Informationen abgerufen werden, z.B. die Definition des Merkmals, weiterhin die Wirkungen auf Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Befinden des Menschen. Zusätzlich sind die wichtigsten Inhalte der Arbeitsschutzvorschriften sowie Empfehlungen zur optimalen Arbeitsgestaltung nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zusammengestellt. Die weiterführende Literatur kann bei Internetanschluss ebenfalls zum großen Teil über entsprechende Links eingesehen werden. Damit bietet IGAcheck auch die Möglichkeit, sich gezielt über die grundlegenden Vorschriften und arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse zur sicheren und gesunden Arbeitsgestaltung zu informieren. Es ist vorgesehen, diese Informationen dem fortschreitenden Erkenntnisstand anzupassen und jährlich zu aktualisieren. BGAG-Report 1/2008 81 Systematik beruflicher Anforderungen Zur Einstufung des Ausprägungsgrades sind bei jedem Merkmal entsprechende Erläuterungen abrufbar. Beim Merkmal „Persönliche Schutzausrüstung“ (PSA) resultiert die Höhe der Belastung z.B. aus dem Gewicht der PSA, Einschränkungen der Körperbeweglichkeit, des Tastsinns, der akustischen Wahrnehmung, des Gesichts- oder Blickfeldes, Behinderung der Atmung oder des Wärmehaushaltes des Körpers sowie der täglichen Benutzungsdauer (Abbildung 2). Abbildung 2: Einstufung beim Merkmal „Persönliche Schutzausrüstungen“ (PSA) Stufen Erläuterungen keine keine Belastungen durch PSA geringe wenig belastende PSA (z.B. Gehörschutz, Atemschutz der Gruppe 1, schwere Schutzschürzen) mehr als ½ Stunde je Arbeitstag mittlere erheblich belastende PSA (z.B. Vollschutzanzüge, Atemschutz der Gruppe 2 und 3) mehr als ½ Stunde bis zu 2 Stunden je Arbeitstag hohe erheblich belastende PSA (z.B. Vollschutzanzüge, Atemschutz der Gruppe 2 und 3) mehr als 2 Stunden je Arbeitstag 2 Darstellung der Ergebnisse Am Beispiel der beruflichen Tätigkeit „Krankenpflege“ wird gezeigt, in welcher Form die IGAcheck-Ergebnisse dargestellt werden (Abbildungen 3 - 5). BGAG-Report 1/2008 82 Systematik beruflicher Anforderungen Abbildung 3: IGAcheck - Teil 1 (Tätigkeitsbeschreibung – Beispiel Krankenpflege) Tätigkeit: Krankenpfleger(in) Unternehmen/Branche: Musterbetrieb / Gesundheits- und Sozialwesen Unternehmensgröße: Mittelbetrieb (80 Beschäftigte) Betriebsbereich/Abteilung: Intensivpflege Anzahl Beschäftigte mit gleicher Tätigkeit: 25 Qualifikationsanforderungen: Ausbildung in staatlich anerkannten Krankenpflegeschulen an Krankenhäusern Besondere Fähigkeiten/Erfahrungen: mitmenschliche Zuwendungsfähigkeit Arbeitsaufgaben: - Allgemeine Grund- und Behandlungspflege z.B. Waschen, Betten, Lagern, Mobilisieren, Wechseln von Verbänden, Kathederisieren - Ermitteln und Dokumentieren von Patientendaten z.B. Temperatur, Blutdruck - Spezielle Krankenpflege z.B. Punktionen, Infusionen, Transfusionen, Blutentnahmen, Spülungen, Sondierungen, Einläufe - Diagnostisch-therapeutische Maßnahmen z.B. Injektionen, Anlegen von Verbänden, Verabreichen von Medikamenten - Assistieren bei ärztlichen Behandlungen, Untersuchungen, Operationen; Beobachten von Patienten - Mithelfen beim Betreuen Sterbender und Versorgen Toter - psychosoziales Betreuen Arbeitsplatz/Arbeitsort(e): Krankenhaus, Krankenzimmer Arbeitsmittel: - Abdecktücher, Hautpflegemittel, Antidekubitusspray, Bettschüssel, Lifter, Desinfektionsmittel, Fieberthermometer - Verbandmaterialien, Wundpflegemittel, Mull, Watte, Pflaster, Klemmen, Scheren, Pinzetten, Schienen, Salben, Tinkturen - Sterilisationsmittel und -geräte, - Dokumentationsmaterialien, z.B. Kurvenblätter, Röntgenbuch, EDVAnlage - Arzneimittel, Spritzen, Bestrahlungsgeräte, Katheder, Sonden, Infusionsgeräte, - Blutdruckmessgeräte, Absauggeräte, Beatmungsgeräte, Inhalationsgeräte, Röntgenapparate, Ultraschallgeräte, Gastroskop, Coloskop Arbeitszeit/Schichtsystem: 40 Std./Woche Früh-, Spät- und Nachtdienst; Wochenenddienst, häufig Überstunden BGAG-Report 1/2008 83 Systematik beruflicher Anforderungen Abbildung 4: IGAcheck - Teil 2 (Kurzversion – Beispiel Krankenpflege) ja Bemerkungen Unfallgefährdungen Nadelstichverletzungen 1.2 Persönliche Schutzausrüstungen Latexhandschuhe 1.3 Klimatische Belastungen 1.4 Lärm 1.5 Ganzkörper-Vibrationen 1.6 Hand-Arm-Vibrationen 1.7 Gefahrstoffe Desinfektionsmittel, Arzneien 1.8 Biologische Arbeitsstoffe Blut, Speichel, Exkremente 1.9 Hautbelastung Nassarbeit, Desinfektionsmittel 1.10 Ungünstige Beleuchtung 1.11 Weiteres unangenehme Gerüche 2 Physische Anforderungen und Belastungen 2.1 Sitzen 2.2 Stehen 2.3 Gehen lange Wege 2.4 Zwangshaltungen zeitweise 2.5 Steigen, Klettern, Kriechen, Rutschen 2.6 Manuelle Lastenhandhabung Patientenumsetzen 2.7 Dynamische Ganzkörperarbeit 2.8 Körperteil-Anforderungen Finger-, Hand-, Armarbeit 3 Psychische Belastungen 3.1 Arbeitsplatzunsicherheit 3.2 Zeitdruck häufig 3.3 Monotonie 3.4 Hohe Aufmerksamkeit genaue Wahrnehmung 3.5 Geringer Tätigkeitsspielraum 3.6 Keine oder sehr hohe Verantwortung 3.7 Emotionsarbeit Schwerkranke, Sterbende 3.8 Konfliktbewältigung 3.9 Keine Kooperation und Kommunikation 3.3 Keine Lernerfordernisse Nr. Anforderungen und Belastungen 1 Arbeitsumgebung 1.1 BGAG-Report 1/2008 keine möglich 84 Systematik beruflicher Anforderungen Abbildung 5: IGAcheck – Teil 2 (Ausschnitte aus der Detailversion – Beispiel Krankenpflege) Nr. Anforderungen, Belastungen, Gefährdungen 1 Arbeitsumgebung 1.1 Unfallgefährdungen keine Ungeschützte bewegte Maschinenteile geringe mittlere Unkontrolliert bewegte oder fallende Teile Stolper-, Rutsch, Sturzgefahr auf der Ebene Absturzgefahr Elektrische Gefährdungen Brand- oder Explosionsgefährdungen Persönliche Gehörschutz Schutzausrüstungen Atemschutz Augen- oder Gesichtsschutz Schutzkleidung Fußschutz Kopfschutz Schutzhandschuhe Absturzsicherungen Sicherungen gegen Ertrinken UV-Strahlung IR-Strahlung Laserstrahlung Ionisierende Strahlung Elektromagnetische Felder Überdruck Unterdruck Geruchsbelästigung Weiteres: Sonstige Anforderungen Sehen BGAG-Report 1/2008 Latexhandschuhe Sonstige (Menschen, Tiere, Pflanzen) 4.1 Ertrinken oder Ersticken 4 Nadelspitzen Thermische Gefährdungen Weiteres Bewegte Transport- und Arbeitsmittel 1.11 Bemerkungen Gefährliche Oberflächen 1.2 hohe Nähe Ferne Farbensehen Räumliches Sehen Gesichtsfeld Dämmerungssehen 85 Ausscheidungen Systematik beruflicher Anforderungen 3 Einsatzmöglichkeiten und Nutzen IGAcheck ist ein Arbeitsanalyse-Instrument, mit dem in unterschiedlichen Branchen, Betrieben und Bereichen die typischen beruflichen Anforderungen, Belastungen und Gefährdungen nach einer einheitlichen Systematik erfasst werden können. Damit ist es möglich, berufsgruppenbezogene Anforderungs-, Belastungs- und Gefährdungsprofile zu erstellen und diese bei Bedarf miteinander zu vergleichen. IGAcheck ergänzt übergreifend sowohl das Spektrum an Handlungshilfen zur Gefährdungsbeurteilung als auch zur Eingliederung leistungsgewandelter Beschäftigter. Die Ergebnisse sind eine gute Basis, um in Abhängigkeit von der Zielstellung geeignete Maßnahmen abzuleiten. Die über die IGAcheck-Software angebotenen Informationen können nach Bedarf abgerufen werden und damit die Gefährdungsbeurteilung und die Ableitung von Präventionsmaßnahmen erleichtern. So können z.B. schnell Listen erstellt werden, aus denen die Anforderungen, Belastungen und Gefährdungen sortiert nach Unternehmensbereichen oder Berufsgruppen ausgewiesen werden. Auch bezogen auf einzelne Merkmale können Übersichten erstellt werden, z.B. eine Übersicht über alle Lärmarbeitsplätze, alle Schichtarbeiter oder über die erforderlichen arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen. Darüber hinaus kann das Instrument sowohl für den fähigkeitsgerechten Personaleinsatz als auch im Rahmen der Wiedereingliederung von leistungsgewandelten Personen genutzt werden. Mit IGAcheck ist es möglich, die tätigkeitsbezogenen Anforderungen sehr genau zu erfassen. Das IGAcheck-Profil ist eine gute Grundlage, um zu prüfen, ob die Tätigkeitsanforderungen den Fähigkeiten einer Personen entsprechen, d.h. ob die Person für die Tätigkeit geeignet ist oder ob ggf. Maßnahmen zur Arbeitsplatzanpassung, Fortbildung, Umschulung oder zum Training der Person notwendig sind. Das Instrument ist nicht dafür konzipiert, spezielle Schwachstellen in der Arbeitsgestaltung bzw. Arbeitsorganisation zu ermitteln, die unabhängig von der Branche und Tätigkeit in jedem Unternehmen vorkommen können, z.B. bei der Gestaltung von Arbeitsstätten und Arbeitsräumen, bei der innerbetriebliche Kommunikation oder BGAG-Report 1/2008 86 Systematik beruflicher Anforderungen dem Führungsstil. Dafür gibt es andere geeignete Instrumente, auf die im IGAcheck verwiesen wird. 4 Zielgruppen Für Präventionsexperten der gewerblichen Berufsgenossenschaften sowie der Unfallkassen ist IGAcheck geeignet, um für die relevanten Berufsgruppen der bei ihnen versicherten Unternehmen die typischen Anforderungen, Belastungen und Gefährdungen in einer Datenbank zu erfassen. Anschließend können je nach Bedarf und Zielstellung verschiedene Auswertungen vorgenommen werden, z.B. gruppiert nach Branchen, Berufsgruppen und einzelnen Anforderungs-, Belastungs- und Gefährdungsfaktoren. Präventionsmaßnahmen bezogen auf bestimmte Belastungen oder Arbeitsumgebungsfaktoren, die für einen Arbeitsplatz, eine Tätigkeit oder eine Branche erarbeitet wurden, lassen sich mit geringfügigen Anpassungen häufig auch auf andere, ähnliche Arbeitsplätze übertragen. Anhand der Datenbankauswertung wird ersichtlich, welcher typische Präventionsbedarf in den einzelnen Branchen für bestimmte Berufsgruppen besteht. Darauf basierend können zur Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen bei der Gefährdungsbeurteilung z.B. themenspezifische, anschauliche Informationsmaterialien zusammengestellt werden. Auch von einzelnen Unternehmen kann IGAcheck genutzt werden, z.B. von Fachkräften für Arbeitssicherheit, Betriebsärzten, Disability Managern, Führungskräften, Betriebs- und Personalräten, Personalfachleuten oder Schwerbehindertenvertretern. Dabei ist der Einsatz nicht nur in großen Unternehmen, sondern insbesondere auch in mittleren und kleinen Unternehmen möglich. 5 Ausblick Für die Erfassung der typischen Anforderungen, Belastungen und Gefährdungen von Berufs- oder Tätigkeitsgruppen reicht es in der Regel aus, zunächst das bei den Präventionsexperten der Unfallversicherungsträger vorhandene Wissen systematisch zu dokumentieren und diese Informationen bei Bedarf durch Stichprobenuntersuchun- BGAG-Report 1/2008 87 Systematik beruflicher Anforderungen gen zu ergänzen. Die daraus resultierende Beschreibung berufstypischer Anforderungen, Belastungen und Gefährdungen einschließlich der daraufhin abgestimmten Maßnahmen zur Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren kann kleinen und mittleren Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Damit erhielten die Unternehmen nicht nur Unterstützung bei der Gefährdungsbeurteilung, sondern auch zusätzliche Informationen über erforderliche Maßnahmen zur Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren, zur ergonomischen Arbeitsgestaltung und zum fähigkeitsgerechten Personaleinsatz. Die Ergebnisse von IGAcheck aus verschiedenen Branchen können als Grundlage für die Erarbeitung einer Arbeitsplatz-Systematik dienen, die berufstypische Anforderungen beinhaltet. Literatur [1] Hanßen-Pannhausen, R. (2004): IGAcheck. Leitfaden und Software zur Erfassung beruflicher Anforderungen, Belastungen und Gefährdungen. IGA-Report 4, Hrsg.: BKK Bundesverband Essen, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Sankt Augustin, BGAG Dresden. Beilage: 1 CD-ROM. www.iga-info.de [2] Rohmert, W.; Landau, K. (1979): Das Arbeitswissenschaftliche Erhebungsverfahren zur Tätigkeitsanalyse (AET). Bern: Huber [3] Hacker, W.; Fritsche, B.; Iwanowa, A.; Richter, P. (1995): Tätigkeitsbewertungssystem (TBS). Verfahren zur Analyse, Bewertung und Gestaltung von Arbeitstätigkeiten, Stuttgart [4] Pohlandt, A.; Schulze, F. (1998): REBA-AS. Rechnergestütztes Dialogverfahren für die Bewertung und Gestaltung von Arbeitstätigkeiten unter Berücksichtigung von Sicherheit und Gesundheitsschutz. Handbuch. Institut für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie der TU Dresden, Methodensammlung Band 10 [5] Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Hrsg.) (2006): Übersicht der Handlungshilfen für die Gefährdungsbeurteilung. Information der BGZentrale für Sicherheit und Gesundheit – BGZ, Sankt Augustin BGAG-Report 1/2008 88 Systematik beruflicher Anforderungen [6] Gruber, H.; Mierdel, B. (2007): Leitfaden für die Gefährdungsbeurteilung. Verlag Technik & Information, Bochum [7] IMBA (2003). Das Instrument für den fähigkeitsgerechten Personaleinsatz. IMBA-Team, Essen, Köln, Siegen [8] MELBA (1997). Merkmalprofile zur Eingliederung Leistungsgewandelter und Behinderter in Arbeit. Forschungsprojekt Az.-Vb 1-58 330/53, Siegen BGAG-Report 1/2008 89 Mein nächster Beruf „Mein nächster Beruf“ – Personalentwicklung für Berufe mit begrenzter Tätigkeitsdauer Frauke Jahn BGAG - Institut Arbeit und Gesundheit, Dresden Sabine Ulbricht Change, Personal- und Organisationsentwicklung für den wirtschaftlichen Wandel, Dresden Zusammenfassung Klassische Präventionsmaßnahmen können die Beschäftigungsfähigkeit in Risikoberufsgruppen verlängern, ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf aber nicht immer verhindern. Das Projekt „Mein nächster Beruf“ sieht sich als Ergänzung zu etablierten Ansätzen zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit im erlernten Beruf. Es konzentriert sich auf den erfolgreichen Tätigkeits- bzw. Berufswechsel, wenn absehbar ist, dass der Beruf nicht bis zum Rentenalter ausgeübt werden kann. 2007 haben wir uns auf den Modellberuf der stationären Krankenpflege konzentriert und erfolgreiche Berufswechsler interviewt. Ziel des Projekts ist es, auf der Grundlage der im Modellberuf erworbenen Erkenntnisse Beratungs- und Personalentwicklungskonzepte zu entwickeln, die in Risikoberufen frühzeitig auf einen Tätigkeits- bzw. Berufswechsel vorbereiten. Für unser Modellprojekt haben wir für die Berufsberatung eine Karrierematrix entworfen. 1. Problemlage und Zielstellung „Können Sie sich vorstellen, Ihre derzeitige Arbeitstätigkeit bis zum 65. Lebensjahr auszuüben?“ lautete eine Frage im IGA-Barometer 2007, einer repräsentativen Befragung der Erwerbsbevölkerung der Initiative Gesundheit und Arbeit. Nur 54 % der Männer und 48 % der Frauen können sich das nach dieser Umfrage vorstellen. Nach den Ergebnissen des Mikrozensus 2006 sind die Hauptgründe des Berufsaustritts 55-64jähriger gesundheitliche Gründe. BGAG-Report 1/2008 90 Mein nächster Beruf In Berufen mit hohen physischen und/oder psychischen Anforderungen treten arbeitsbedingte Erkrankungen häufiger auf als in anderen Berufen. Im Rahmen statistischer Analysen konnten Berufsgruppen aus dem Bau-, Metall-, Gesundheits- und aus dem Ernährungsbereich als Risikogruppen identifiziert werden. Die Auswirkungen solcher Belastungen zeigen sich in verminderter Leistungsfähigkeit, Berufsaufgabe, Frühverrentung oder Arbeitslosigkeit insbesondere bei älteren Arbeitnehmern. An erster Stelle steht immer die Verlängerung der Verweildauer im ersten Beruf. Vorhandene Präventionsmaßnahmen können die Beschäftigungsfähigkeit in Risikoberufsgruppen verlängern, ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf aber nicht immer verhindern. Das Projekt „Mein nächster Beruf“ sieht sich als Ergänzung zu etablierten Ansätzen zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit im erlernten Beruf. Es konzentriert sich auf den erfolgreichen Tätigkeits- bzw. Berufswechsel, wenn absehbar ist, dass der Beruf nicht bis zum gesetzlichen Rentenalter ausgeübt werden kann. 2007 haben wir uns auf den Modellberuf der stationären Krankenpflege konzentriert und wichtige Erkenntnisse zum erfolgreichen Tätigkeits- bzw. Berufswechsel gewonnen. Das Ziel des Projektes ist es, die Ergebnisse des Modellberufes auch auf andere Risikoberufe zu abstrahieren bzw. zu übertragen. 2. Fragestellungen Nach der Analyse aktueller Daten zu Frühberentung, Arbeitsunfähigkeit, verminderter Erwerbsfähigkeit und Berufskrankheiten wurde die Risikoberufsgruppe der stationären Krankenpflege als Modellberuf für Berufe mit begrenzter Tätigkeitsdauer ausgewählt, da nicht nur hohe physische, sondern auch psychische Belastungen bestehen. Das Berufsbild ist zudem von einem starken Strukturwandel betroffen. Dadurch haben sich die Anforderungen in der Krankenpflege geändert. Nach Aussage der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege beträgt die Verweildauer der Pflegekräfte in ihrem Beruf vier bis 10 Jahre. Folgende Fragen standen im Vordergrund des Modellprojekts: Welche Anforderungen werden an eine Krankenpflegerin/einen Krankenpfleger im stationären Bereich gestellt? Was ändert sich an den Anforderungen? BGAG-Report 1/2008 91 Mein nächster Beruf Was sind Frühwarnindikatoren für eine drohende Berufsaufgabe? Welche alternativen Tätigkeiten bzw. Berufe kommen in Frage? Was kennzeichnet erfolgreiche Tätigkeits- bzw. Berufswechsel? Welche Kompetenzen sind aus dem ersten Beruf vorhanden, welche müssen für den nächsten Beruf erworben werden? 3. Vorgehen und Ergebnisse Um die sich in der Pflege verändernden Anforderungen besser beschreiben zu können, wurden 200 aktuelle Stellenanzeigen analysiert, 15 Personalverantwortliche telefonisch und 10 Verwaltungsdirektoren, Schuldirektoren und Pflegedienstleitungen schriftlich befragt. Herausgehoben wurden unter anderem Anforderungen wie Patientenorientierung, Eigenverantwortung, betriebswirtschaftliches Handeln, interdisziplinäre Zusammenarbeit und interkulturelle Kompetenz aber auch Flexibilität und Lernbereitschaft sowie Eigenaktivität beim Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit. Die Suche nach Frühwarnindikatoren für den drohenden Verlust der Beschäftigungsfähigkeit im ersten Beruf gestaltete sich schwierig. Es wurden 10 Betriebsärzte befragt, die mit den gesetzlich vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen betraut sind. Frühwarnindikatoren treten nur dann zutage, wenn der Betriebsarzt oder die Pflegekraft Beschwerden ansprechen die über die Vorsorgeuntersuchung hinausgehen. Als Frühwarnindikatoren wurden am häufigsten Schlafstörungen, allgemeine Erschöpfungszustände, allgemeines Unwohlsein und unklare Herz-Kreislaufbeschwerden benannt. Um alternative Berufe und Wege kennen zu lernen, haben wir 21 Berufswechsler interviewt. 15 Interviewpartnerinnen bzw. -partner haben ihren Beruf bereits erfolgreich gewechselt, 6 befinden sich noch in der Phase des Berufswechsels. Gründe für den Wechsel der Tätigkeit bzw. des Berufs waren vor allem geistige Unterforderung verbunden mit fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten, körperliche Belastungen und soziale Konflikte mit Kollegen und Patienten. Den Erwerbsbiographien erfolgreicher Berufswechsler war gemeinsam, dass sie bereits mehrere Erfahrungen mit Tätig- BGAG-Report 1/2008 92 Mein nächster Beruf keitswechseln haben, dass sie aktiv nach Lernchancen gesucht haben und auf eigene Initiative Zusatzqualifikationen erworben haben. Erfolgreiche Berufswechsler zeichnen sich durch eine hohe Zufriedenheit im neuen Beruf aus. Die Arbeitstätigkeit im neuen Beruf ist bei erfolgreichem Wechsel unter anderem gekennzeichnet durch Ganzheitlichkeit, Verantwortung, zeitliche Freiheitsgrade, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und Anerkennung. Für unser Modellprojekt haben wir für die Berufsberatung eine Karrierematrix entworfen. Beispiele für einen Tätigkeitswechsel aus den Interviews sind der Wechsel aus der stationären Krankenpflege zur Dokumentationsassistentin oder zur Präventionsberaterin. Beispiele für einen Berufswechsel sind der Wechsel zur Kodierfachkraft bzw. Produktberaterin. Sowohl Tätigkeits- als auch Berufswechsel können innerhalb des Unternehmens (hier die Klinik) oder außerhalb des Unternehmens stattfinden (Abbildung 1). Abbildung 1: Karrierematrix für den Modellberuf der stationären Krankenpflege mit Beispielen für den Tätigkeits- bzw. Berufswechsel 4. Tätigkeitswechsel Berufswechsel im Unternehmen z.B. Dokumentationsassistentin z.B. Kodierfachkraft außerhalb des Unternehmens z.B. Präventionsberaterin z.B. Produktberaterin Ausblick und Nutzen Ziel der Projektarbeit ist es, auf der Grundlage der in den Modellberufen erworbenen Erkenntnisse Beratungs- und Personalentwicklungskonzepte zu entwickeln, die in Risikoberufen frühzeitig auf einen Tätigkeits- bzw. Berufswechsel vorbereiten. Der Nutzen für den Arbeitnehmer besteht im langfristigen Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und Gesundheit durch einen Tätigkeits- bzw. Berufswechsel bei drohender BGAG-Report 1/2008 93 Mein nächster Beruf Berufsaufgabe. Der Nutzen für die Sozialversicherung liegt in der Verminderung von Leistungsansprüchen der Beschäftigten bei berufsbedingten Erkrankungen und Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Der direkte Nutzen für Unternehmen besteht in der Verringerung von Ausfallzeiten, dem Erhalt der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten und in der Erschließung neuer Geschäftsfelder und alternativer Arbeitsplätze. BGAG-Report 1/2008 94 Betriebliche Gesundheitsförderung Betriebliche Gesundheitsförderung für und mit älteren Beschäftigten – Ergebnisse einer Expertise aus Sicht der Erwachsenenbildung Jürgen Wolters BKK Bundesverband, Essen Zusammenfassung Der demografische Wandel, die damit zusammenhängende Verlängerung der Lebensarbeitszeit und die Zunahme älterer Belegschaften lassen den Erhalt und die Förderung von Arbeitsfähigkeit und Gesundheit zu einer immer wichtigeren Aufgabe werden. Der Bedarf ist seit längerer Zeit erkannt, die Frage lautet nun: Mit welchen Maßnahmen kann man (re)agieren? Eine mögliche Reaktion ist es, die Maßnahmen der Prävention und betrieblichen Gesundheitsförderung älterer Beschäftigter zu verstärken. Dazu bedarf es Ansätze der betrieblichen Gesundheitsförderung, die die speziellen Vermittlungsbedürfnisse, -kompetenzen und Einstellungen älterer Beschäftigter aufgreifen, um die Motivation und Nachhaltigkeit zu sichern. Solche Ansätze sind in der Entwicklung von Konzepten und Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung selten zu finden. Häufiger findet sich das Prinzip der Altersneutralität wieder. Der Beitrag beginnt mit der kurzen Darstellung der Arbeitsunfähigkeiten bei älterer Beschäftigten und der Inanspruchnahme von Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Im Anschluss werden erste Ergebnisse einer Studie der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA) zur Motivation und Nachhaltigkeit einer betrieblichen Gesundheitsförderung für und mit älteren Beschäftigten aus Sicht der Erwachsenenbildung vorgestellt. Die Erkenntnisse der Studie sollen den Betrieben und Kursleitenden helfen, Angebote der BGF für ältere Beschäftigte besser zu organisieren und durchzuführen. Für die Arbeitswelt ergeben sich aus der Frage, wie Beschäftigte gesund und sicher länger arbeiten können, weit reichende Konsequenzen und Herausforderungen. So ist die Erwerbsbeteilung älterer Arbeitskräfte seit den 70er Jahren stark heruntergegangen. Die Beschäftigungsquote von Beschäftigten im Alter zwischen 55 und 64 ist BGAG-Report 1/2008 95 Betriebliche Gesundheitsförderung in den letzten Jahren zwar wieder gestiegen, liegt im Vergleich mit anderen europäischen Ländern aber im Mittelfeld. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, sind Ideen und Maßnahmen gefragt, wie man Beschäftigte gesund erhält und somit auch deren Erfahrungen und Kompetenzen länger nutzt. Dabei ist zu berücksichtigen, welcher altersspezifische Bedarf vorliegt und wie sich die Inanspruchnahme nach dem Alter darstellt. 1 Bedarf an altersspezifischer Prävention und Gesundheitsförderung Die Alterung der Beschäftigten stellt besondere Herausforderungen an die betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention. Es zeigt sich, dass einige berufliche Belastungen sich auf die Gesundheit der älteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ungleich stärker auswirken als bei den jüngeren Beschäftigten. Dies - und die zunehmende Chronifizierung von Krankheiten in den höheren Altersgruppen - führen zu längeren Arbeitsunfähigkeitsdauern. Der BKK Gesundheitsreport 2006 [1] zeigt mit zunehmendem Alter eine steigende Arbeitsunfähigkeitsdauer. In den Altersgruppen unter 40 Jahren betrug in 2005 die durchschnittliche Falldauer der Pflichtmitglieder zwischen 6 und 12 Tage. Bei den über 50-jährigen stieg die Falldauer je nach Alter auf 21 bis 27 Tage, bei den Frauen in der ältesten Gruppe auf über 28 Tage (Abbildung 1). Bei der Betrachtung der wichtigsten Krankheitsarten nach Altersgruppen zeigt sich eine altersabhängige Verteilung (Abbildung 2). In den höheren Altersgruppen nimmt der Anteil der Muskel- und Skeletterkrankungen sowie der Herz- und Kreislauferkrankungen am Erkrankungsgeschehen zu. Der Anteil von Muskel- und Skeletterkrankungen am Erkrankungsgeschehen der unter 20-Jährigen beträgt ca. 10 % und steigt bei den 60- bis 64-Jährigen auf ca. 40 %. Psychische und Verhaltensstörungen verändern ihren Anteil am Erkrankungsgeschehen zwischen dem zwanzigstem bis vierundzwanzigstem Lebensjahr und bleiben dann relativ konstant. Die Anteile der anderen Krankheitsarten zeigen im Altersverlauf einen Rückgang. BGAG-Report 1/2008 96 Betriebliche Gesundheitsförderung Abbildung 1: Arbeitsunfähigkeitsfälle und durchschnittliche Falldauer nach Alter. Quelle: BKK Bundesverband 2006 [1]. 140 30 132 Fälle je 100 Pflichtmitglieder durchschn. Falldauer 116 120 100 91 85 89 92 97 102 25 107 20 77 80 15 60 10 40 5 20 0 0 < 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 Abbildung 2: Verteilung der Arbeitsunfähigkeitsdauer nach Alter und Krankheitsarten. Quelle: BKK Bundesverband 2006 [1]. 100% 90% 80% 70% Verletzungen, Muskel-Skelett-Systems Verdauungssystems Kreislaufsystems Atmungssystems Psychisch 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% < 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 BGAG-Report 1/2008 97 Betriebliche Gesundheitsförderung Die Ergebnisse von Längsschnittstudien in verschiedenen Berufsgruppen über einen Zeitraum von 10 Jahren haben die arbeitsbedingten Risikofaktoren der Arbeitsfähigkeit älterer Arbeitnehmer deutlich werden lassen. Dabei ermittelte Illmarinen in Finnland drei Gruppen von Risikofaktoren: Zu hohe physische Arbeitsanforderungen, wie z. B. statische Muskelarbeit, Heben und Tragen schwerer Lasten, repetitive Arbeit, gebeugte und gedrehte Körperhaltung. Belastende und gefährliche Arbeitsumgebung, wie z. B. schmutzige oder nasse Umgebungsbedingungen, Unfallrisiko, Hitze, Kälte oder rasche Temperaturänderungen. Mehr tödliche Arbeitsunfälle bei älteren Beschäftigten. Mangelhaft organisierte Arbeit, wie z. B. Rollenkonflikte, Angst vor Fehlleistungen, Mangel an Freiheitsgraden und Einflussmöglichkeiten, Mangel an beruflicher Perspektive oder mangelhafte Anerkennung durch Vorgesetzte. 2 Ältere Beschäftigte als Zielgruppe der BGF und Prävention Inwieweit ältere Beschäftigte bereits eine Zielgruppe in der betrieblichen Gesundheitsförderung darstellen, lässt sich dem Präventionsbericht 2007 [2] entnehmen (siehe Abbildung 3). Die Auswertungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung weisen für die gesetzliche Krankenversicherung in 2006 nur einen Anteil von 8 % aller dokumentierten Maßnahmen aus, die sich speziell an die Gruppe der älteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen richten (Abbildung 3). Gegenüber den Vorjahreswerten von 14 % (2004) und 10 % (2005) ist dieses ein deutlicher Rückgang. Im Hinblick auf die zukünftige demografische Entwicklung ist es daher dringend notwendig, die Bemühungen um eine betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) für ältere Beschäftigte zu verstärken. Mehr entsprechende Maßnahmen müssen zielgruppengerecht auf ältere Arbeitnehmer und Arbeitsnehmerinnen ausgerichtet sein. Sofern keine speziellen Angebote vorliegen, müssen diese entwickelt werden. BGAG-Report 1/2008 98 Betriebliche Gesundheitsförderung Abbildung 3: Schwerpunktmässige Zielgruppe der betrieblichen Gesundheitsförderung (Mehrfachnennungen möglich) Quelle: MDS 2008 [2] mit Gesundheitsgefährdungen belastete Gruppe(n) 40% 17% Mitarb. Dienstleistungsbereich 35% Mitarb. Produktion Mittlere Leitungsebene einschl. Meister, Teamleiter 28% 32% Führungsebene 21% Mitarb. Verwaltung Frauen 12% 15% Auszubildende 8% Ältere Arbeitnehmer Testgruppe zur modellhaften Erprobung 0% 5% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% 45% Neben den Angeboten der betrieblichen Gesundheitsförderung können Versicherte Kursangebote zur individuellen Gesundheitsförderung in Anspruch nehmen. Der Präventionsbericht 2007 der GKV zeigt, dass die Angebote der individuellen Gesundheitsförderung und Prävention zu 78 Prozent von Frauen und zu 22 Prozent von Männern in Anspruch genommen werden. Jüngere Versicherte im Alter von 15 bis 19 Jahre nehmen selten an Angeboten der individuellen Gesundheitsförderung und Prävention teil. Im Vergleich dazu nehmen Versicherte im Alter von 40 bis 49 Jahre dagegen häufig Kursangebote wahr. Mit zunehmendem Alter nimmt die Teilnahme der Versicherten an den Angeboten ab, bis diese bei den über 60-Jährigen wieder zunimmt. Die Versicherten nahmen zu 75 % Angebote zur Verbesserung von Bewegungsgewohnheiten, zu 16 % Kurse zur Stressbewältigung und Entspannung, 9 % zum Thema Ernährung und nur zu 0,8 % Angebote zur Reduzierung des Suchtmittelkonsums wahr. BGAG-Report 1/2008 99 Betriebliche Gesundheitsförderung Aus der Bedarfsermittlung zu den Arbeitsunfähigkeiten und der Inanspruchnahme lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: Der Bedarf für Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung ist vorhanden (z.B. lange AU-Dauer, Chronische Erkrankungen) Maßnahmen der Gesundheitsförderung werden selten von Versicherten in der Altersklasse 50 bis 60 Jahre genutzt. Ältere Beschäftigte sind selten schwerpunktmäßige Zielgruppe der BGF. 3 Betriebliche Gesundheitsförderung für und mit älteren Beschäftigten – Ergebnisse der Expertise Der Bedarf ist seit längerer Zeit erkannt, die Frage lautet nun: Mit welchen Maßnahmen kann man (re)agieren? Eine mögliche Reaktion ist es, die Maßnahmen der Prävention und betrieblichen Gesundheitsförderung älterer Beschäftigter zu verstärken. Dazu bedarf es BGF-Ansätze, die die speziellen Vermittlungsbedürfnisse, -kompetenzen und Einstellungen älterer Beschäftigter aufgreifen, um die Motivation und Nachhaltigkeit zu stärken. Solche Ansätze sind in den Konzepten und Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung selten zu finden. In den Konzepten und Maßnahmen findet sich häufiger das Prinzip der Altersneutralität wieder. In einer noch nicht veröffentlichten Studie der IGA wurde aus Sicht der Erwachsenenpädagogik und Gesundheitsbildung der Frage nachgegangen: Lernen Ältere anders und bedarf es daher einer altersgerechten Didaktik? Die Antwort darauf lautet: In Bezug auf das Lernverhalten älterer Beschäftigter kommt die Studie zu dem Schluss, dass es keine besondere altersgerechte Didaktik erfordert. Ein Mensch lernt mit 40 Jahren nicht grundsätzlich anders als mit 50 oder 60 Jahren. Viel entscheidender als das Lebensalter sind biografische Faktoren, die das Lernverhalten prägen. Häufig bestimmen die frühen und intensiven schulischen Lernerfahrungen die Art und Weise, wie ein Mensch sein Leben lang mit Lernsituationen umgehen wird. Hinzu kommen Interessen und Erfahrungen, die im Laufe des Lebens einen bestimmten Lebensstil prägen, der auch die Einstellung zu Gesundheitshandeln und Gesundheitsbildung umfasst. Diese Erkenntnisse sollten in der Umsetzung von Maßnahmen der BGAG-Report 1/2008 100 Betriebliche Gesundheitsförderung betrieblichen Gesundheitsförderung eingesetzt werden. Aber auch in die Entwicklung neuer Maßnahmen können diese einfließen. 4 Einige Ergebnisse im Detail In der Motivationsforschung ist man zu der Erkenntnis gekommen, dass so genannte kritische biografische Lebensereignisse die wichtigsten Lernmotivationen im Erwachsenenalter sind. Kritische Lebensereignisse sind z.B. der Verlust des Partners/ der Partnerin, Krankheit, drohender Verlust des Arbeitsplatzes, Umstrukturierungen im Betrieb, das Ende der familiären Phase, die Wechseljahre bei Frauen oder das nahende Ende der Erwerbsbiografie. Bildung kann niemanden gesund machen, obwohl statistisch gesehen die Chance, lange gesund zu bleiben, mit höherem Bildungsstand steigt. Gesundheitsbildung kann aber Gesundheitsbewusstsein vermitteln und Möglichkeiten aufzeigen, sich selbst etwas Gutes zu tun. Zum Gesundheitsbewusstsein gehört ein vernetztes Wissen über körperliche, seelische, soziale und ökologische Zusammenhänge von Gesundheit. Im Sinne von Empowerment ist dazu die Überzeugung nötig, selbst etwas zur Gesundheit beitragen zu können sowie Achtung im Umgang mit sich, im Umgang mit anderen und mit der Natur. Gesundheitswissen ist eben noch längst nicht Gesundheitshandeln. Wir alle leben mit kognitiven Dissonanzen: wir leben nicht so gesund wie wir sollten, wir ernähren uns wider besseres Wissen falsch, handeln ökologisch unvernünftig und auch im zwischenmenschlichen Umgang vergessen wir oft, was wir gelernt haben. Kaum etwas ist so schwer, wie Veränderung zuzulassen und im eigenen System zu etablieren. In der Gesundheitsbildung ist aus diesen Gründen ein handlungsorientiertes Vorgehen sinnvoller als die reine Informationsvermittlung. Damit das Gesundheitshandeln auch nachhaltig bleibt, sollte der Lernprozess auch motivierend durch die Berücksichtigung von Merkmalen wie z.B. Anschlussfähigkeit, Neuigkeitswert, Relevanz gestaltet sein. Übertragen auf die betriebliche Gesundheitsförderung für ältere Arbeitnehmer bedeutet dieses: BGAG-Report 1/2008 101 Betriebliche Gesundheitsförderung Die angebotenen Bewegungs- und Entspannungsverfahren sollten an bekannte Verfahren und Erfahrungen der Mitarbeitenden anknüpfen und gleichzeitig etwas Neues bieten. Dabei muss die Relevanz des Angebotes deutlich werden oder negativ gesagt, es darf nicht der Eindruck entstehen, es würde nur etwas „weltfremd pädagogisch herumgespielt“. Die Lernsituation sollte unbedingt positive Emotionen auslösen, dies ist bei Erwachsenen, deren letzte Lernerfahrungen lange zurückliegen oder sogar durch Schulversagen negativ geprägt sind, umso wichtiger. Das Programm sollte zumindest in Teilen einfach in Alltagssituationen anwendbar sein und unbedingt körperliches Wohlbefinden mit sich bringen. Dabei ist besonders die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper wichtig, das bewusste Wahrnehmen und Reflektieren von Körpersignalen. Kognitive und körperliche Muster sollen so veränderbar werden und neu verknüpft werden. Dieser Prozess wird durch das Lernen mit allen Sinnen unterstützt, also mit allen Kanälen der Wahrnehmung, z.B. auch mit inneren Bildern. Die Erfahrung der Andersartigkeit von Kolleginnen und Kollegen (in doppeltem Sinne von sich selbst und von dem Bild, dass man von ihnen hatte) kann dabei helfen, sich selber für neues (Gesundheits-) Verhalten zu öffnen. Für die Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung bedeutet dieses, dass vorhandene Angebote auch für ältere Beschäftigte genutzt werden können, bei der Planung, Organisation und Durchführung von Maßnahmen sollten aber andere Fragen gestellt werden. Kursleitende sollten sich beispielsweise fragen, ob die Ziele der Maßnahme an die Bedürfnisse und Kompetenzen älterer Beschäftigten anknüpfen. Z. B. Wird die Wissensaneignung vorwiegend durch Gespräche vorgenommen, wird BGF als Aufgabe des Arbeitgebers gesehen, geschieht der Kursbesuch zur konkreten Problembewältigung? Betriebe sollten sich bei der Kommunikation fragen, ob eine positive, nicht BGAG-Report 1/2008 102 Betriebliche Gesundheitsförderung defizitäre Einstellungen zur der Maßnahme im Betrieb vermittelt wird? (Negativbeispiel: Maßnahmen für Ältere, die nicht mehr den Leistungsanforderungen entsprechen). Diese und weitere Erkenntnisse der Studie sollen den Betrieben und Kursleitenden helfen, Angebote der BGF für ältere Beschäftigte besser zu organisieren und durchzuführen. Die Studie wird in 2008 als Report der Initiative Gesundheit und Arbeit veröffentlicht. Nähere Informationen unter www.iga-info.de. Literatur [1] BKK Gesundheitsreport 2006. http://www.die-bkk.de/bkk/powerslave,id,1103,nodeid,.html [2] MDS (Hrsg.), 2008: Präventionsbericht 2007. Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung in der Primärprävention und Betrieblichen Gesundheitsförderung. Berichtsjahr 2006, Essen. http://www.dge.de/modules.php?name=News&file=article&sid=824 BGAG-Report 1/2008 103 Gesund und fit im Kleinbetrieb „Gesund und fit im Kleinbetrieb“ – Die neue Schriftenreihe für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) Heinz Schmid DGUV - Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Sankt Augustin Zusammenfassung Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat eine neue Schriftenreihe herausgegeben, die sich speziell an kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) richtet. Über die Hintergründe der Entstehung der Schriftenreihe und die Ergebnisse einer Befragung in Betrieben fünf verschiedener Branchen wird berichtet. 1 Einleitung Mit Beginn des Jahres hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) die neue Schriftenreihe „Gesund und fit im Kleinbetrieb“ veröffentlicht. Ziel der Schriftenreihe ist es, kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) praxisnahe und verständliche Hilfen zu Themen des betrieblichen Gesundheitsschutzes an die Hand zu geben. 2 Hintergründe Gerade KMU haben einen enormen Bedarf an praktischen Lösungen auf dem Gebiet des betrieblichen Gesundheitsschutzes. Diesen Bedarf, der seitens verschiedener Mittelstandsvereinigungen immer wieder betont wird, gilt es künftig stärker als bisher zu decken. Die gewerblichen Berufsgenossenschaften sind auf dem Gebiet des betrieblichen Gesundheitsschutzes seit vielen Jahrzehnten aktiv. Damit verfügen sie über enormes Fachwissen sowie – auf Grund ihrer Gliederung nach Gewerbezweigen – über unschätzbare Branchenkenntnisse. Dennoch werden die Berufsgenossenschaften in den Betrieben und im politischen Umfeld noch immer als reine „Unfallverhüter“ BGAG-Report 1/2008 104 Gesund und fit im Kleinbetrieb und/oder Vorschriftenersteller“ gesehen. Zudem wird betrieblicher Gesundheitsschutz häufig in erster Linie mit den Krankenkassen in Verbindung gebracht. Weiterhin hat das Inkrafttreten der Betriebssicherheits- sowie der Arbeitsstättenverordnung durch den Staat die Betriebe in Sachen Arbeitschutz verunsichert. Die Umsetzung allgemeiner Schutzziele, wie sie in den genannten Verordnungen formuliert sind, stellt insbesondere kleine und mittelständische Betriebe vor große Schwierigkeiten. Und das die Verordnungen konkretisierende technische Regelwerk des Staates wird auf Grund seines Abstraktionsgrades an vielen Stellen in Betrieben dieser Größe nicht weiterhelfen. Um diesen Entwicklungen entgegenzusteuern, hat sich der berufsgenossenschaftliche Fachausschuss „Einwirkungen und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren“ (FA WIRK) bei der DGUV die Erarbeitung von Schriften zu Gesundheitsthemen zu Eigen gemacht, die sich sprachlich, inhaltlich sowie durch praxisnahe Lösungen an den Bedürfnissen kleiner und mittelständischer Unternehmen orientieren. Die vom genannten Fachausschuss abgedeckten Gesundheitsthemen sind in der Tabelle zusammengefasst. Der Fachausschuss arbeitet mit seinen einzelnen Sachgebieten branchenübergreifend, d. h. alle Branchen- und Gewerbezweige betreffend. Abbildung 1: Gesundheitsthemen, die vom Fachausschuss „Einwirkungen und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren (FA WIRK) abgedeckt werden Fachausschuss Einwirkungen und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren (FA WIRK) • Konstituierung des FA WIRK im Jahre 2002 • Gesundheitsthemen • Beleuchtung • Hitze • Klima, incl. Kälte • Arbeitsplatzlüftung • Physische Belastungen • Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt BGAG-Report 1/2008 105 Gesund und fit im Kleinbetrieb 3 Die Testphase („Evaluation“) Vor der Etablierung der neuen Schriftenreihe „Gesund und fit im Kleinbetrieb“, war im Rahmen einer Testphase zu klären, ob Schriften dieser Machart bei den Unternehmen Akzeptanz finden und wie sie gegebenenfalls optimiert werden können. Als „Testbroschüre“ wurde die vom Sachgebiet „Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt“ im FA WIRK entwickelte KMU-Schrift „Arbeiten: Entspannt – gemeinsam – besser“ (BGI 7010) herangezogen (Abbildung 2). Die Broschüre behandelt anhand von sechs Fallbeispielen u. a. die Entstehung von Stress, Konflikten im Betrieb und Zeitnot. Sie beschreibt weiterhin praxisnahe Lösungen, wie in Zeiten zunehmender Belastungen gemeinsam entspannter gearbeitet werden kann. Abbildung 2: Die KMU-Schrift „Arbeiten: Entspannt – gemeinsam – besser“ (BGI 7010) fungierte als Testbroschüre im Rahmen der Testphase (Evaluation) BGAG-Report 1/2008 106 Gesund und fit im Kleinbetrieb 4 Der Fragebogen Insgesamt wurden 74 Unternehmer aus fünf verschiedenen Branchen befragt (Bau, Metall, Feinmechanik und Elektrotechnik, Nahrungs- und Genussmittel, Steine und Erden). Die Unternehmer wurden gebeten, nach der Lektüre der Testbroschüre einen kurzen Fragebogen zu beantworten (Der Fragebogen wurde unter Mitwirkung des BGAG entwickelt). Der Fragebogen beinhaltete vier Fragen, die sich konkret auf die Testbroschüre bezogen sowie zwei Fragen zu einer eigens auf die Bedürfnisse von kleinen und mittelständischen Unternehmen zugeschnittene, neue Schriftenreihe. Die konkreten Fragen sind im Folgenden aufgeführt. Vier Fragen zur Testbroschüre „Arbeiten: Entspannt – gemeinsam – besser“ Ist die Gestaltung der Broschüre ansprechend? Finden Sie den Umfang der Broschüre angemessen? Finden Sie die Texte in der Broschüre verständlich? Bietet die Broschüre Lösungen für die betriebliche Praxis? Zwei Fragen zu einer Schriftenreihe speziell für KMU Halten Sie eine Schriftenreihe im Arbeitsschutz, die sich speziell an Betriebe Ihrer Größe wendet, für sinnvoll? Würden Sie weitere Schriften in dieser Art speziell für Betriebe Ihrer Größe begrüßen? Alle sechs Fragen sollten auf einer 6-stufigen Skala – wie bei Schulnoten – beurteilt werden. Dabei bedeutete eine 1 „sehr gut“ bzw. „auf jeden Fall“ und eine 6 bedeutete „ungenügend“ bzw. „auf keinen Fall“. 5 Größe der befragten Betriebe 30 der 74 befragten Betriebe bis 10 Mitarbeiter beschäftigt hatten. 37 Betriebe der 74 befragten Unternehmen beschäftigten mehr als 10 bis höchstens 50 Mitarbeiter. Sieben Betriebe gaben an, mehr als 50 Mitarbeiter zu beschäftigen. Somit hatten insge- BGAG-Report 1/2008 107 Gesund und fit im Kleinbetrieb samt 67 Betriebe bis 50 Mitarbeiter beschäftigt, das sind 91 % der befragten Unternehmen, d.h. die Zielgruppe KMU wurde erreicht. 6 Ergebnisse zu den Fragen nach der Testbroschüre „Arbeiten: Entspannt – gemeinsam – besser“ (BGI 7010) Abbildung 3 zeigt die Mittelwerte für die Fragen, die sich konkret auf die Testbroschüre bezogen. Es wurde nach dem Schulnotenprinzip bewertet. Die Abbildung zeigt, dass alle Mittelwerte im Bereich „gut“ liegen (Mittelwerte zwischen 2,0 und 2,4). Sowohl die Gestaltung als auch der Umfang, die Verständlichkeit, und die Lösungsmöglichkeiten wurden von den befragten Betrieben als „gut“ beurteilt. Abbildung 3: Mittelwerte für die Fragen, die sich konkret auf die Testbroschüre „Arbeiten: Entspannt – gemeinsam – besser“ (BGI 7010) bezogen Ergebnisse der Nulltestung Benotung der Broschüre (Schulnotenprinzip) 1. Ist die Gestaltung der Broschüre ansprechend? 2,3 2. Finden Sie den Umfang der Broschüre angemessen? 2,2 3. Finden Sie die Texte in der Broschüre verständlich? 2,0 4. Bietet die Broschüre Lösungen für die betriebl. Praxis? 2,4 7 Ergebnisse zu den Fragen nach der Schriftenreihe „Gesund und fit im Kleinbetrieb“ Die beiden Fragen, die sich auf die Schriftenreihe bezogen, wurden ebenfalls im Mittel mit gut bewertet (Abbildung 4). Hier lag die Benotung zur Frage: „Halten Sie eine Schriftenreihe im Arbeitsschutz, die sich speziell an Betriebe Ihrer Größe wendet, für sinnvoll? bei 1,9. Die Benotung zur Frage: „Würden Sie weitere Schriften in dieser Art speziell für Betriebe Ihrer Größe begrüßen?“ lag bei 1,8 (Abbildung 4). BGAG-Report 1/2008 108 Gesund und fit im Kleinbetrieb Abbildung 4: Mittelwerte für die Fragen, die sich auf weitere eigens auf die Bedürfnisse von KMU zugeschnittene Schriftenreihe bzw. weitere Schriften bezogen Ergebnisse der Nulltestung Benotung der Schriftenreihe (Schulnotenprinzip) 5. Halten Sie eine Schriftenreihe im Arbeitsschutz, die sich speziell an Betriebe Ihrer Größe wendet, für sinnvoll? 1,9 6. Würden Sie weitere Schriften in dieser Art speziell für Betriebe Ihrer Größe begrüßen? 1,7 Damit wird eine eigenständige Schriftenreihe von den befragten Betrieben als sinnvoll erachtet. Darüber hinaus würden die Unternehmer weitere Schriften begrüßen, die sich in ihrer sprachlichen wie inhaltlichen Verständlichkeit sowie der angebotenen praxisnahen Lösungen an der Testbroschüre orientieren. 8 Diskussion der Ergebnisse Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die Testbroschüre verständlich formuliert ist, die befragten Unternehmer sie ansprechend gestaltet und im Umfang angemessen finden und dass die Lösungsvorschläge für die betriebliche Praxis verwendbar sind. Wichtig für die Arbeit der Fachausschüsse ist weiterhin das Ergebnis zu den Fragen, die sich auf die Schriftenreihe „Gesund und fit im Kleinbetrieb“ bezogen. Eine neue Schriftenreihe wird als sinnvoll erachtet und von den Befragten begrüßt. Die Ergebnisse unterstützen damit die Weiterentwicklung der neuen Schriftenreihe, die sich speziell an den Bedürfnissen kleiner und mittelständischer Betriebe ausrichtet. Weiterhin zeigen die Ergebnisse der Befragung, dass die berufsgenossenschaftlichen Fachausschüsse neben ihrer Rolle als Expertengremium auch in der Lage sind, ihr Fachwissen in sprachlich und inhaltlich verständliche Schriften für die Zielgruppe „KMU zu übersetzen“. Dies ist vor dem Hintergrund des großen Bedarfs kleiner und BGAG-Report 1/2008 109 Gesund und fit im Kleinbetrieb mittelständischer Unternehmen an praktischen Handlungshilfen zu Themen des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz ein zukunftsweisender Aspekt bei der geplanten Fortentwicklung der Berufsgenossenschaftlichen Fachausschüsse. 9 Die neue KMU-Broschüre „Gesunder Rücken – Gesunde Gelenke: Noch Fragen?“ Im August 2007 erschien die neue KMU-Schrift „Gesunder Rücken – Gesunde Gelenke: Noch Fragen?“ (Abbildung 5). Sie gibt unter anderem Antworten auf die Fragen, wie sich arbeitsbedingte Rücken- und Gelenkbeschwerden erkennen, beurteilen und vermeiden lassen. Dazu bietet sie Betrieben eine einfache und schnelle Hilfe zur Durchführung ihrer Gefährdungsbeurteilung sowie praxisnahe Lösungen, wie sie Rücken- und Gelenkbeschwerden am Arbeitsplatz begegnen können. Betriebe verbessern damit nicht nur die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Sie sichern sich mit Blick auf den demografischen Wandel langfristig die Wettbewerbsfähigkeit. Abbildung 5: Die im August 2007 erschienene neue KMUBroschüre „Gesunder Rücken – Gesunde Gelenke: Noch Fragen?“ (BGI 7011) im neuen Design der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) Die Schriften, die als Berufsgenossenschaftliche Informationen (BGI) erscheinen, können beim Carl Heymanns Verlag bestellt werden oder kostenlos heruntergeladen werden unter: http://www.arbeitssicherheit.de/servlet/PB/menu/1140076/index.html. BGAG-Report 1/2008 110 Ergonomische Projekte in KMU Ergonomische Projekte in KMU – spezielle Anforderungen an die Untersucher Detlef Trippler Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft, Leipzig Zusammenfassung Der Beitrag richtet sich an Praktiker, die direkt vor Ort in KMU ergonomische Projekte realisieren wollen. Es werden Hinweise auf spezielle Verhaltensweisen und Methoden gegeben, die bei Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von ergonomischen Analysen berücksichtigt werden sollten. Auf mögliche Probleme wird hingewiesen. Themen hierbei sind: Wahl der Ansprechpartner Formen der Beratung Einbeziehung der Mitarbeiter Arbeit mit Arbeitsplänen Fragen zur Foto- und Video-Aufzeichnung Lösungsvarianten finden und erproben Dokumentation und Präsentation Nachhaltigkeit. Wenn Sie eine Messung, eine Beratung oder Projekte zur ergonomischen Gestaltung von Arbeitsplätzen in Unternehmen planen, bereiten Sie sich entsprechend darauf vor. Sie wählen Ihr Instrumentarium, die Messgeräte, Checklisten oder Kameras, aus. Eine Terminabstimmung mit den Unternehmensvertretern ist erfolgt. Sie stehen zum vereinbarten Termin vor dem Unternehmenstor; es kann losgehen! Aber Vorsicht: Hinter dem Tor ist das Terrain derer, die dort schon lange arbeiten, die dort „zuhause“ sind. Sie sind ein Eindringling, der von Anfang an skeptisch beobachtet wird. Sie sind umgeben von vielen „Fettnäpfchen“. Wehe, Sie treten da hinein. Das könnte Ihre Mission in Frage stellen. BGAG-Report 1/2008 111 Ergonomische Projekte in KMU Deshalb hier einige Tipps aus der Praxis: 1 Die Vorbereitung Nehmen Sie rechtzeitig Kontakt mit kompetenten Unternehmensvertretern auf. Vergessen Sie nicht, alle wichtigen Partner zu informieren, sich mit ihnen abzustimmen. 1. Vorbereitung Ansprechpartner •Geschäftsführer •Sifa •Betriebs-, Personalrat •Betriebsarzt •Mitarbeiter 1.1 Abbildung 1: Vorbereitung Formen der Beratung Schaffen Sie keine neuen Arbeitskreise sondern nutzen Sie die Systeme, die Sie im Unternehmen bereits vorfinden. Es gibt von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedliche Strukturen mit gut funktionierenden Teams, die für Sie die geeigneten Partner sein können. Beziehen Sie auch externe Partner mit ein; nutzen Sie die Kapazitäten der Hochschulen und Universitäten (Praktikanten). Formen der Beratung •Arbeitskreise •ASA •KVP-Teams •workshops •Praktikanteneinsätze Abbildung 2: Formen der Beratung BGAG-Report 1/2008 112 Ergonomische Projekte in KMU 2 Die Durchführung Beziehen Sie alle Beteiligten so früh wie möglich in die Vorbereitung mit ein. Klären Sie alle, bis zum Mitarbeiter an der Maschine, über Anlass, Methoden und Ziele Ihrer Maßnahmen auf. Denken Sie immer daran, dass mancher schon schlechte Erfahrungen mit Zeitstudien oder Videoaufnahmen gemacht hat! Nehmen Sie den Mitarbeitern die Ängste und Befürchtungen durch ein offenes und kommunikatives Auftreten. 2. Durchführung •Rechtzeitige Einbeziehung der AG-/AN-Vertreter –Befragungen –Check-Lists –Foto- und Video-Aufnahmen –Messungen, Zeitaufnahmen •Rechtzeitige Einbeziehung der Mitarbeiter –Ängste und Befürchtungen –Motivation –Schöpferische Mitwirkung Abbildung 3: Durchführung (1) Achten Sie vor dem Einsatz elektronischer Speichergeräte auf die Einhaltung der Prinzipien des Datenschutzes und speziellen Vorschriften im Unternehmen. Bei der Anfertigung von Fotos und Videos sind die Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten zu wahren. Für eine spätere Veröffentlichung sollten Sie eine Fotoauflösung mit mindestens 200 dpi wählen. Achten Sie bei den Aufnahmen auf die Einhaltung aller Vorschriften, wie das Tragen von PSA und Arbeitsschutzschuhen. Nichts wirkt peinlicher, als wenn später neben den Lösemittelbehältern eine Colaflasche zu sehen ist. Arbeiten Sie im Team mit einem Arbeitsplan. Setzen Sie sich und allen anderen Termine. Legen Sie dazu entsprechende Verantwortlichkeiten fest. BGAG-Report 1/2008 113 Ergonomische Projekte in KMU •Anfertigung von Fotos/Videos –Antragstellung beim AG, Freigabe zur Veröffentlichung –Abstimmung mit BR –Auflösung der Fotos mind. 200 dpi für spätere Drucklegungen –Rechte der abgebildeten Personen/Anonymisierung –Korrekte Arbeitsumgebung (PSA, Nahrungsmittel…) •Arbeit mit Arbeitsplan –Terminstellung –Verantwortlichkeiten –Aufgaben •Die Änderungsvarianten durch die Mitarbeiter selbst finden lassen –Nicht eigene Ideen überstülpen –In workshops gemeinsam nach Varianten suchen –Praktische Testung durch die Mitarbeiter Abbildung 4: Durchführung (2) VMBG, D.Trippler/FErg, 10-2007 BGAG Dresden Führen Sie die Mitarbeiter behutsam an die Lösungen heran. Lassen Sie die Mitarbeiter selbst die Varianten finden. Das gibt einen großen Motivationsschub und fördert die Nachhaltigkeit der Lösungen. Geben Sie den Mitarbeitern Zeit, um sich an die neuen Handhabungen, Bewegungsabläufe oder Geräte zu gewöhnen. Viele gute Lösungen sind ein Opfer von hektischer Umsetzung geworden. Trainieren Sie die Mitarbeiter. Denken Sie daran, dass jede noch so gute Lösung auch irgendwo Tücken haben kann. Machen Sie eine kritische Gefährdungsbeurteilung der neuen Situation. •Geeignete Hilfsmittel gemeinsam mit den Mitarbeitern auswählen. •Erprobung von Geräten mehrerer Anbieter. •Eingewöhnungsphase berücksichtigen Genaue Handlungsanleitungen Gefährdungsbeurteilung Training der Mitarbeiter BGAG-Report 1/2008 114 Abbildung 5: Durchführung (3) Ergonomische Projekte in KMU 3 Dokumentation Die Dokumentation muss kurz und knapp gefasst sein. Sie muss auch für den NichtFachmann die wichtigsten Punkte sofort deutlich machen. Dazu sollten Sie auch Daten anderer Partner (Betriebsarzt, Sifa, Personalabteilung, Krankenkasse) nutzen. Bei der Darstellung der Unterschiede zwischen Ausgangs- und End-Situation haben sich die Leitmerkmalmethoden der BAuA (Heben und Tragen, Ziehen und Schieben, Handarbeit) bewährt. Verwenden Sie auch bei anderen Auswertungen die Ampelfarben, um die Veränderungen deutlich zu machen. •Dokumentation der IST- und SOLLSituationen –Kosten-Nutzen-Analyse •Zusammenarbeit mit den Krankenkassen •Nutzung der Betriebsstatistiken •Betriebswirtschaftliche Vergleiche –Fotos und Videosequenzen –Verwendung der „Ampelfarben“ •Leitmerkmalmethoden Abbildung 6: Dokumentation (1) VMBG, D.Trippler/FErg, 10-2007 BGAG Dresden LeitmerkmalMethoden Abbildung 7: Leitmerkmalmethoden VMBG, D.Trippler/FErg, 10-2007 Berlin BGAG-Report 1/2008 115 Ergonomische Projekte in KMU Psych. Belastung Vorher- nachher (REBA) Abbildung 8: Dokumentation (2) 4 Auswertung Nutzen Sie alle Medien, die Ihnen zur Verfügung stehen, um auf Ihre Ergebnisse aufmerksam zu machen. Präsentieren Sie diese vor allen Beteiligten. Diese haben ein Recht darauf, zu erfahren, was Sie in der Zeit in ihrem Unternehmen getan haben. Sie sollten nach einiger Zeit wieder vor dem Werkstor stehen, um die Nachhaltigkeit der Lösungen zu überprüfen. Sie können beruhigt und mit einem guten Gefühl in das Unternehmen hineingehen, wenn Sie die Ratschläge berücksichtigt und die „Fettnäpfchen“ umgangen haben. 4. Auswertung •Ergebnispräsentation vor GF, BR und Mitarbeitern –Beschränkung auf Wesentliches –Powerpoint-Folien –Kurzfassungen als Faltblatt –Veröffentlichung in betrieblichen, öffentlichen und eigenen Medien •Wandzeitungen, Flyer, Poster, Betriebszeitungen •BG`liche Magazine •Internetseiten Abbildung 9: Auswertung (1) BGAG-Report 1/2008 116 Ergonomische Projekte in KMU Mehr Infos unter www.inqa.de BGAG-Report 1/2008 Abbildung 10: Auswertung (2) 117 AG Ergonomie der BG BAU Die Arbeit der AG Ergonomie der BG BAU Gerald Rehme Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft – BG BAU, Böblingen Zusammenfassung Die Arbeitsgruppe Ergonomie der BG BAU ist eine interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe. Neben Arbeitsmedizinern und Technikern sind zudem eine Sportwissenschaftlerin und eine Psychologin vertreten. Die Aufgabe der AG Ergonomie besteht vorrangig darin, praxisgerechte Hilfen für die Unternehmen der Bauwirtschaft zur Verfügung stellen zu können. Aus diesem Grund lassen sich die Ziele der AG wie folgt formulieren: praxisgerechte Bewertung von existierenden Arbeitsmitteln unter ergonomischen Aspekten Beratung und Aussprechen von Empfehlungen Entwicklung und Unterstützung von Forschungsprojekten Entwicklung ergonomischer Lösungen und damit Ableitung präventiver Maßnahmen. 1 Praxisgerechte Bewertung von existierenden Arbeitsmitteln unter ergonomischen Aspekten Die AG Ergonomie unterhält im Internet eine eigene Website (Abbildung 1). Diese kann entweder über die Hauptseite der BG BAU (http://www.bgbau.de) oder aber direkt über http://www.ergonomie-bau.de aufgerufen werden. Auf dieser Website werden im üblichen Handel erhältliche Produkte aus allen Bereichen des Hoch- und Tiefbaus vorgestellt, welche von der AG Ergonomie unter ergonomischen Gesichtspunkten beurteilt wurden. Es handelt sich hier um eine Positivliste. Neben einer allgemeinen Beschreibung des Produktes nebst technischen Daten ist begründet, warum dieses Produkt aus ergonomischer Sicht als besonders geeignet eingestuft wird. BGAG-Report 1/2008 118 AG Ergonomie der BG BAU Hierfür werden nicht nur ergonomische, sondern gleichfalls auch wirtschaftliche Aspekte eines Produktes beurteilt. Gleichfalls wird der Hersteller dieses Produktes benannt. Die AG Ergonomie bekennt hier also konkret Farbe, d.h., seitens der BG BAU erfolgt über diese Website eine eindeutige positive Stellungnahme zu einem bestimmten Produkt unter ergonomischen Gesichtspunkten. Abbildung 1: Website der AG Ergonomie Herstellern, welche ein ähnliches Produkt in ihrem Sortiment führen, steht es frei, sich mit der AG Ergonomie in Verbindung zu setzen und so – bei gleicher Beurteilung ihres Produktes – gleichfalls auf der Website genannt zu werden. Weiterhin ist auf der Website ein Glossar zu finden, welches die sich im Bereich der Ergonomie inzwischen eingebürgerten Begriffe und Fachbegriffe kurz und prägnant erläutert. Aktuelle Vorträge und Informationen zu Veranstaltungen runden die Website, welche ständig aktualisiert wird, ab. 2 Beratung und Aussprechen von Empfehlungen Die AG Ergonomie berät auf Anfrage von Unternehmern und Herstellern. Aktuelles Beispiel ist die Anfrage eines Dachsteinherstellers, bis zu welcher Größe und wel- BGAG-Report 1/2008 119 AG Ergonomie der BG BAU chem Gewicht Dachziegel gefertigt werden können, so dass diese noch „ergonomisch“ verlegt werden können. Der Hersteller hatte hierbei lediglich das Absolutgewicht eines einzelnen Dachziegels im Auge (Abbildung 2). In der Diskussion mit der AG Ergonomie konnten noch weitere Gesichtspunkte wie das Heben und Tragen mehrerer Dachziegel gleichzeitig sowie das Zuwerfen von Dachziegeln bei der Verlegung auf dem Dach angesprochen werden. Aber auch Einzelanfragen von Unternehmen, welche ein konkretes Arbeitsgerät anschaffen wollen, fallen in diesen Bereich. Die Bandbreite der Kontakte reicht vom Kleinunternehmer bis hin zum Hersteller. Abbildung 2: Dachziegel 3 Entwicklung und Unterstützung von Forschungsprojekten In Zusammenarbeit mit anderen Arbeitsgruppen der BG Bau, insbesondere aus dem Bereich der Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen für Berufskrankheiten, werden Forschungsprojekte entwickelt, unterstützt oder gemeinsam durchgeführt. Als Beispiel sei hier das Forschungsprojekt „Ermittlung der Höhe der Druckkräfte auf die unterste lumbale Bandscheibe bei der Tätigkeit des Schaufelns“ genannt (Abbildung 3). Ziel dieses Forschungsprojektes war es, für die Berechnung nach MDD, BGAG-Report 1/2008 120 AG Ergonomie der BG BAU BK 2108, einen realistischen Rechenwert für die mit unendlich vielen Freiheitsgraden versehene Tätigkeit des Schaufelns zu erhalten. Parallel dazu stellte sich die Frage, ob es möglich ist, für die Tätigkeit des Schaufelns ergonomische Empfehlungen zu geben. Oder anders formuliert: ist es möglich, aus den Ergebnissen des Forschungsprojektes Erkenntnisse über eine optimierte Körperhaltung beim Schaufeln zu gewinnen. Das Forschungsprojekt ist inzwischen abgeschlossen, und die Ergebnisse werden zurzeit unter diesen Gesichtspunkten geprüft. Abbildung 3: Forschungsprojekt „Schaufeln" Ein weiteres Forschungsprojekt bezieht sich auf die sich in der Diskussion befindliche BK Gonarthrose (Abbildung 4). Hier werden in einem Großprojekt unter Beteiligung mehrerer BGen mittels CUELA Schichtaufnahmen von berufsspezifischen Einzel- Tätigkeiten erstellt. Projektbeginn war im September 2006, abgeschlossen wird das Projekt voraussichtlich im Dezember 2008 sein. Im Verlauf dieses Forschungsprojektes werden seitens der BG BAU ca. 300 Einzel- Messungen vorgenommen werden. Primäres Ziel des Forschungsprojektes ist Aufbau eines Messwert- Katasters, sekundäres Ziel das Ableiten von präventiven Maßnahmen. BGAG-Report 1/2008 121 AG Ergonomie der BG BAU Abbildung 4: Forschungsprojekt „GonKatast“ Aufgrund der großen Menge an Messdaten wird es möglich sein, auch unter ergonomischen Gesichtspunkten vergleichende Betrachtungen anzustellen. Schon jetzt ist abzusehen, dass die Probanden bei gleicher Tätigkeit zwar im Regelfall ähnlich arbeiten hinsichtlich Körperhaltungen und Zeitanteilen, dass es jedoch immer wieder einzelne „Ausreißer“ gibt (Abbildung 5). Hier wird es Aufgabe der AG Ergonomie sein, diese „Abweichungen von der Norm“ genauer zu betrachten um so gegebenenfalls bei „positiver“ Abweichung präventive Empfehlungen erarbeiten und geben zu können. Abbildung 5: Forschungsprojekt „GonKatast“, Zeitanteile kniende Tätigkeit, „Ausreißer“ BGAG-Report 1/2008 122 AG Ergonomie der BG BAU 4 Entwicklung ergonomischer Lösungen und damit Ableitung präventiver Maßnahmen An die AG Ergonomie werden immer wieder von Einzelpersonen konkrete Erfindungen herangetragen mit der Bitte, diese ergonomisch zu beurteilen. Im Wesentlichen handelt es sich hier zurzeit um zwei Bereiche: zum einen eine komplette Unterstützung des Bewegungsapparates beim Heben und Tragen bzw. Arbeiten in vorgeneigter Körperhaltung. Zum anderen Arbeitshilfen, um die Belastungen bei knienden Tätigkeiten zu reduzieren. Im Regelfall werden der AG Ergonomie funktionsfähige Prototypen vorgestellt, welche dann unter ergonomischen Gesichtspunkten beurteilt werden. Auch eine Eigenentwicklung der BG BAU aus einer TAB-Arbeit heraus wird zurzeit von der AG Ergonomie unter realistischen Bedingungen erprobt. Es handelt sich hierbei um eine Hebehilfe für das Versetzen von Fassadenplatten aus Natursteinen (Abbildung 6). Ergonomischer Vorteil dieses Gerätes ist, dass die Platte bis zur endgültigen Positionierung an der Fassade in der Hebehilfe verbleibt, so dass eine manuelle Lastenhandhabung weitgehend entfällt. Abbildung 6: Plattenhebegerät Die AG Ergonomie ist also in vielen Bereichen tätig, vom Gespräch mit dem Hersteller bis hin zu Einzelbeurteilungen in Sonderfällen. Im Mittelpunkt der Aktivitäten dieser Arbeitsgruppe steht jedoch immer die Praxisnähe zum Anwender. BGAG-Report 1/2008 123 Näh- und Bügelarbeitsplatz Umsetzung ergonomischer Erkenntnisse in die Praxis an den Beispielen Näh- und Bügelarbeitsplatz Gerhard Kraus Berufsgenossenschaft Elektro Textil Feinmechanik, Augsburg (früher: Textil- und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft) 1 Ausgangslage und Zielsetzung Aufgrund branchenbezogener Erkenntnisse über Belastungen des Muskelskelettsystems durch Näharbeit und wegen erhöhter Fallzahlen an Beschwerden bzw. Erkrankungen führte die Textil-Berufsgenossenschaft zusammen mit der Lederindustrie-BG und externen Kooperationspartnern ein Forschungsvorhaben „Ergonomie an Näharbeitsplätzen“ durch. Mitarbeiter des Referates Ergonomie des BGIA in Sankt Augustin überprüften mit Hilfe des CUELA-Systems - kombiniert mit Video-Analysen, Befragungen sowie elektromyographischen Untersuchungen - die körperlichen Anforderungen bei Näharbeit. Sowohl die objektivierbaren Messergebnisse als auch die subjektiven Angaben der Beschäftigten ergaben erhöhte Belastungen und Beschwerden in den muskulären Körperpartien von Hals, Schultern, Nacken und Armen, in der englischsprachigen Literatur: upper limb disorders. Wesentliche Verbesserungsmaßnahmen (Abbildung 1) waren die Berücksichtigung der Körpermaße (Anthropometrie) und die Ermöglichung des Arbeitens im Sitzen und im Stehen durch verschieden große Personen, ebenso Bein- und Fußfreiheit, angepasste Tischplattengrößen, leicht bedienbare Fußauslösung und Armauflagen. Nach diesen technischen und arbeitsorganisatorischen Änderungen erfolgten Kontrolluntersuchungen. Die ergonomischen Verbesserungsmaßnahmen führten zu wissenschaftlich messbaren Reduzierungen von Belastung und Beanspruchung. BGAG-Report 1/2008 124 Näh- und Bügelarbeitsplatz Sie korrespondierten mit den subjektiven Angaben über erleichterte Arbeitsbedingungen und geringere Beschwerden. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes sind ausführlich im „BIA-Report 7/2004: Ergonomie an Näharbeitsplätzen“ dargelegt. Abbildung 1: Ergonomische Gestaltung der Näharbeit“ Die Bearbeitung der Problemstellung in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitarbeitern der Berufsgenossenschaften und Vertretern der beteiligten Betriebe und verschiedenen Verbände hat sich bewährt. Der Input aus verschiedenen Fachgebieten wie Ingenieurwissenschaften, Physik, Arbeitsmedizin, Biologie, Textiltechnik, Einbeziehung der Anregungen aus den Betrieben und Berücksichtigung der Meinungen der Sozialpartner sowie Mitwirkung der betroffenen Näherinnen als Expertinnen an ihrem Arbeitsplatz führte sowohl bei Planung und Durchführung wie auch Auswertung des Projektes zu einem von allen Beteiligten anerkannten Erkenntnisgewinn. 2 Umsetzung der Forschungsergebnisse Am Beispiel des Projektes "Ergonomische Gestaltung von Näharbeitsplätzen" wird hier dargestellt, wie die im Forschungsvorhaben gewonnenen Erkenntnisse in die betriebliche Praxis umgesetzt wurden. BGAG-Report 1/2008 125 Näh- und Bügelarbeitsplatz Nach Vorliegen des Forschungsberichtes mit ca. 250 Seiten Umfang, der in seiner wissenschaftlichen Ausrichtung primär an ergonomisch interessierte Fachgruppen adressiert war, stellte sich die Frage der praktischen Umsetzung durch Transfer in die Betriebe mit Näharbeit. 2.1 Probleme beim Wissenstransfer Die wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, nämlich nachvollziehbare Belastungserfassung konkrete Verbesserungsmaßnahmen und durch Evaluation belegte positive Wirkungen in die betroffenen Branchen zu bringen, waren mit folgenden Problemen, Fragen bzw. Herausforderungen verbunden: Sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse praktisch umsetzbar? Gibt es für alle Näharbeitsplätze gleiche Lösungen bzw. was ist allgemein gültig? Sind die ergonomischen Verbesserungsmaßnahmen für die Betriebe verständlich? Sind sie sogar rentabel, d.h. sind ergonomische Verbesserungsmaßnahmen sinnvolle betriebliche Investitionen aus wirtschaftlicher Sicht? 2.2 Zielgruppenspezifische Umsetzung Um diese Fragen zu beantworten, also in betroffenen Betrieben mit Näharbeit auf konkrete ergonomische Arbeitsplatzgestaltung hinzuwirken, bedarf es der Einbeziehung der innerbetrieblichen Akteure. Zuerst müssen die Unternehmens- und Abteilungsleitungen für ergonomische Verbesserungsmaßnahmen gewonnen werden. Nur wenn die Betriebsleitung von der Sinnhaftigkeit ergonomischer Maßnahmen überzeugt ist und BG-liche Ratschläge unterstützt, können solche Vorschläge auch umgesetzt werden. Neben der Akzeptanz durch die Vorgesetzten ist auch die Gewinnung der betroffenen Mitarbeiter für ergonomische Änderungen von Nöten. Hierauf wird später näher eingegangen werden (Abbildung 2). BGAG-Report 1/2008 126 Näh- und Bügelarbeitsplatz BG Ergonomie am Näharbeitsplatz Projektplanung und Durchführung Erkenntnisgewinn Umsetzung Betrieb Arbeits (platz) gestaltung • Akzeptanz • Unterstützung • Integration in den Betrieb Abbildung 2: Planung und Umsetzung von Ergonomieprojekten Abbildung 2 verdeutlicht die Planung und Umsetzung von Ergonomieprojekten von der Forschungsentwicklung bis zur Integration in den Betrieb. Nach Abschluss des Projektes und Vorliegen des umfangreichen Forschungsberichtes durch das BGIA und die beteiligten externen Institutionen hat die Berufsgenossenschaft in den letzten Jahren darauf abgezielt, die ergonomischen Erkenntnisse zielgruppenspezifisch weiterzuleiten. So wurden die wichtigsten Aspekte aus dem Forschungsbericht (ca. 250 Seiten, Zielgruppe: Ergonomen) in einer Arbeitsgruppe im Fachausschuss Textil unter Einbeziehung der unterschiedlichen Sichtweisen der beteiligten Verbände, Betriebe und Forschungsnehmer in die BG-Information mit dem Titel "Ergonomische Gestaltung der Näharbeit – Ratgeber für die Praxis“ (BGI 804-2, 35 Seiten) übertragen. Mit dieser Broschüre werden Unternehmer, Betriebsärzte, Sicherheitsfachkräfte oder interessierte Beschäftigte angesprochen. Die BGI zeichnet sich durch reiche Bebilderung mit Fotos, Graphiken, Tabellen und Checklisten aus. 2.3 Angepasste Medien und Informationen Nachdem in der Berufsgenossenschaft sehr viele Kleinbetriebe, z. B. Änderungsschneidereien oder Modeateliers, versichert sind, bestand auch Bedarf an komprimierter und vereinfachter Darstellung der ergonomischen Erkenntnisse. Dem wurde durch Erstellung eines Infoblattes "Gesund bleiben beim Nähen - Tipps zur ergonomischen Gestaltung der Näharbeit " (Faltblatt TA 25 112) Rechnung getragen. Dieses lediglich 4-seitige Infoblatt richtet sich auch an einzelne Beschäftigte, die durch BGAG-Report 1/2008 127 Näh- und Bügelarbeitsplatz sehr viele Abbildungen bzw. Fotos und wenig Text an die wesentlichen ergonomischen Gestaltungsaspekte heran geführt werden (Abbildung 3). Neben der Erarbeitung zielgruppenspezifischer informativer Printmedien (Abbildung 3) wurde in der Mitgliederzeitschrift "der sicherheitsschirm" mehrfach auf das Forschungsprojekt und die Erkenntnisse durch Artikel hingewiesen, auf die BG-Internetseite Hinweise und weiterführende Links eingestellt und in regionalen Tageszeitungen sowie Fachjournalen über die Aktivitäten berichtetet. Durch Beteiligung auf Messen, Ausstellungen und Einbeziehung der Hersteller konnten Multiplikatoren erreicht werden. BG-intern wurden die Mitarbeiter des Technischen Aufsichtsdienstes durch Informationsmaterial und bei Tagungen fortgebildet, spezielle Ergo-Berater zur Betreuung ergonomischer Umbaumaßnahmen qualifiziert und viele Betriebe mit Näharbeitsplätzen durch den Außendienst über ergonomische Verbesserungsmöglichkeiten informiert. Abbildung 3: Printmedien: Forschungsbericht (250 S.), BGI (35 S.), Faltblatt (4 S.) 2.4 Ergonomisch umbauen – mit wenig viel erreichen Neben ergonomischen Gestaltungsaspekten bei der Neueinrichtung eines Näharbeitsplatzes wurde besonderer Wert gelegt, durch ergonomische Verbesserungsoder Umbaumaßnahmen vorhandene Arbeitsplätze sinnvoll und ökonomisch umzugestalten. So widmet sich ein ganzes Kapitel in der BGI 804-2 dem Umbau eines BGAG-Report 1/2008 128 Näh- und Bügelarbeitsplatz herkömmlichen Tischgestells. Dieses ist häufig fest, oft in falscher Höhe verschraubt sowie die Höhenverstellung nicht bekannt oder nicht genutzt. Dabei lässt sich meist mit wenigen Handgriffen eine bessere Einstellung erreichen. Vom forschungsnehmenden Ingenieurinstitut wurde in Zusammenarbeit mit einem Tischhersteller ein eigener Umbausatz entwickelt, mit dem die oft störenden Quertraversen zur Versteifung des Tischgestells entfernt und durch neue breitere Metallstreben in richtiger Höhe ersetzt werden können. Im Faltblatt für Kleinbetriebe (TA 25112) wurde durch Fotos und Graphiken verdeutlicht, dass bereits durch Benutzung der vorhandenen Verstellmöglichkeiten eine ergonomisch bessere Arbeitshaltung gewährleistet werden kann. Für Kleinbetriebe ist der Grundsatz, dass häufig mit einfachen Verbesserungen ergonomisch sehr viel erreicht werden kann, von besonderem wirtschaftlichem Interesse. Bei Näharbeit wird häufig durch eine falsche Tisch- und Sitzhöhe sowie wegen des zu nahe bei der Näherin bzw. nicht genügend weit unter dem Tisch fixierten Fußauslösepedals eine ungünstige, stark nach vorne gebeugte Oberkörperhaltung verursacht. Eine entspannte Körperhaltung kann erst durch Heranrücken der Person an den Nähtisch, durch persönliche Höhenanpassung der meist zu tief verschraubten Tischuntergestelle und nach vorne Verschieben des Fußpedals erreicht werden. Durch die Printmedien wie auch persönliche Beratungen vor Ort konnten die Betriebe sensibilisiert werden, die vorhandenen und häufig nicht richtig eingestellten Nähtische samt Zusatzeinrichtungen ergonomisch besser und individuell an die Mitarbeiter anzupassen. 2.5 Ergonomisches Nähen – Arbeitsplatz ausleihen und erproben Besonderen Anklang findet der „ausleihbare ergonomische Näharbeitsplatz“ (Abbildung 4), mit dem Betriebe in ihren eigenen Räumen ergonomisches Nähen vor Ort ausprobieren können. BGAG-Report 1/2008 129 Näh- und Bügelarbeitsplatz Gut transportabel verpackt Abrufbar zur Erprobung im Betrieb Betrieb trägt nur Kosten für den Transport zur Firma modern Abbildung 4: Ergonomisches Nähen – Näharbeitsplatz zum Ausleihen ergonomisch ausgestattet Dabei werden sie bei Bedarf von geschulten BG-Fachkräften, meist ergonomisch versierten Mitarbeitern des technischen Aufsichtsdienstes, betreut. Zur begleitenden Information und Unterweisung der Betriebe (Abbildung 5) wurde ein eigener Film erstellt und mit dem Näharbeitsplatz ausgeliehen. Abbildung 5: Ergonomieberater vor Ort 2.6 Sensibilisierung und Information vor Ort Dieser zeigt in wenigen Minuten zum einen die richtige Einstellung (Höhenverstellung und Tischneigung des Näharbeitsplatzes im Sitzen und Stehen) sowie die Nutzung des größeren Verstellbereichs für Tätigkeiten mit wechselnder Arbeitshaltung (zwischen Sitzen und Stehen). Falls in Betrieben weiterer Beratungsbedarf besteht, BGAG-Report 1/2008 130 Näh- und Bügelarbeitsplatz können Fachspezialisten vermittelt werden, um gemeinsam mit Betrieb, BG und externen Experten spezielle betriebliche Lösungen zu finden. Um die Betriebe für ergonomische Lösungen bei der Näharbeit zu sensibilisieren und branchen- bzw. firmenspezifische Informationen zu geben, ist neben der Wahl verschiedener Zugangswege und unterschiedlichen Medien (Abbildung 6) erfahrungsgemäß ein längerer Beratungsprozess („dran bleiben“) notwendig, um spezielle firmenspezifische Belange beachten und konkrete Lösungen ableiten zu können. Zugangswege: Infobroschüren/CD Beratung vor Ort Ausprobieren „Dran bleiben“: Ausleihnähplatz nachhaken Bezugquelle vermitteln Umsetzen: Sehen Hören Fühlen TAB / MABG Spezial-AP Hersteller einbeziehen Firmenspezifische Spezial-AP Belange beachten Chef+Einkauf evtl. Speziallösungen Externe Abbildung 6: Sensibilisierung und Information der Betriebe Durch das geschilderte Maßnahmenbündel gelang es in den letzten Jahren in verschiedenen Branchen mit Näharbeit Arbeitsplätze ergonomisch neu zu gestalten oder umzubauen. 3 Erfolgreiche Umsetzung in Zahlen In Deutschland waren zum Zeitpunkt des Fachgesprächs in insgesamt 32 Unternehmen ein oder mehrere neue ergonomische Näharbeitsplätze installiert worden, davon in über 50 % Klein- und Mittelunternehmen. In den einzelnen Unternehmen wurden zwischen 2 und 110 Arbeitsplätze ergonomisch neu gestaltet bzw. umgebaut. Die ergonomischen Näharbeitsplätze wurden in sehr unterschiedlichen Branchenbzw. Bereichen eingesetzt, u. a. in der Automobilindustrie (Fertigung von Pkw- und Lkw-Sitzen), in der Spielzeug-, Bekleidungs- und Polstermöbelindustrie sowie in Behindertenwerkstätten (Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit). BGAG-Report 1/2008 131 Näh- und Bügelarbeitsplatz Die Vorgehensweise des Präventionsprojektes „Ergonomischer Näharbeitsplatz“ ist prinzipiell auch auf andere Arbeitsplätze oder Branchen mit notwendiger ergonomischer Arbeitsplatzgestaltung übertragbar. Das BGIA hat zwischenzeitlich auch in anderen Branchen gleichartig wie im Forschungsprojekt Näharbeit Untersuchungen durchgeführt und dabei die gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere zur Bewertung von Körperhaltungen, anwenden können. 3.1 Ergonomie und Ökonomie Es zeigte sich, dass Akzeptanz und Rentabilität eng verwoben sind, also Ergonomie sowohl der Humanität als auch der Ökonomie dienen muss. Mit anderen Worten steigt dann die Akzeptanz von Betrieben bzw. Unternehmen, in ergonomisch neu gestaltete Arbeitsplätze zu investieren, wenn sich die Investitionen in solche Maßnahmen auch rentieren, also ein ökonomischer Nutzen erkennbar ist. Neben der ergonomischen Verhältnisprävention sollten weitere Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsschutzes im Sinne einer individuellen Verhaltensprävention dazu dienen, Muskel- und Skeletterkrankungen soweit wie möglich zu reduzieren. Gute Arbeitsgestaltung ist hierfür die wesentliche Grundlage. Das richtige Verhalten der einzelnen Beschäftigten sowohl im Beruf als auch im Privatleben unterstützt die Prävention von Muskel- und Skeletterkrankungen, die bekanntermaßen vielfältige Ursachen haben. Hier gewinnen Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung durch interne (z. B. Betriebsarzt, Sicherheitsfachkraft) und externe Akteure (z.B. Krankenkasse, Sporttherapeuten, BG) zunehmend an Bedeutung. 3.2 EU-good-practice-award 2007 Das besondere Engagement einer Mitgliedsfirma wurde mit dem 2. Nationalen Preis im europäischen Wettbewerb zur Prävention von Muskel- und Skeletterkrankungen unter dem Motto „Pack’s leichter an“ am 23.10.2007 in Berlin durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ausgezeichnet. Die MEWA Textil-Service AG & Co erhielt den EU-good-practice-award 2007 in Deutschland für die beispielhafte betriebliche Umsetzung der ergonomischen Gestaltung von Näharbeitsplätzen (Abbildung 7), an denen Arbeitskleidung im Textilleasing-Bereich repariert werden. BGAG-Report 1/2008 132 Näh- und Bügelarbeitsplatz Abbildung 7: Reparaturnäherei der Firma MEWA Textil-Service: EU-Preis-Gewinner wegen beispielhafter Umsetzung Insgesamt wurden 40 Arbeitsplätze umgestaltet. Bei einem Kostenaufwand von ca. 1.500 Euro pro Arbeitsplatz wurden ca. 60.000 Euro investiert. Es ergab sich ein Rückgang der Arbeitsunfähigkeitstage um 16 % und eine Steigerung der Produktivität um ca. 15 %, so dass ein Return of Investment schon nach wenigen Monaten gegeben war. Neben diesen wirtschaftlichen Kalkulationen ist die Firmenphilosophie des Traditionsfamilienunternehmens MEWA bestätigt worden. Diese lautet: „Die Achtung vor dem Menschen und der Gemeinschaft haben eine lange Tradition und sind fest in der Unternehmenskultur verankert“. Es wäre wünschenswert, dass das betriebliche Engagement von MEWA Nachahmer findet, zumal Investition in Ergonomie nachweislich mit wirtschaftlichem Nutzen verbunden ist. 3.3 Folgeprojekt „Bügeln“ Zum 2. ergonomischen Forschungsprojekt mit dem Thema „Der ergonomische Bügelarbeitsplatz“ hat die Berufsgenossenschaft zusammen mit dem BGAG und BGIA eine Projektskizze erstellt. Hierbei soll den Problembereichen eines herkömmlichen Bügelarbeitsplatzes nachgegangen werden: Arbeitshaltung beeinflusst durch ständiges Stehen, Arbeitshöhe, Bein- und Fußfreiraum sowie die Kraftrichtung beim Bügeln und der Einfluss des Gewichtes des Bügeleisens. Der Effekt ergonomischer Maßnahmen auf das Bügeln soll durch hauswirtschaftlich-wissenschaftliche Beurteilung des Bügelergebnisses untersucht werden. Auch in diesem Projekt werden Maschinenhersteller einbezogen, um sinnvolle, praxisgerechte Lösungen bei ergonomisch begründeten Änderungen zu erreichen. BGAG-Report 1/2008 133 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen Peter Keilholz BGHW - Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution, Bonn (früher: Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel - BGE) 1 Einführung In Deutschland gibt es etwa 500.000 Verkaufsstellen, in denen sich mindestens ein Kassentisch befindet. Bei der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel sind fast 300.000 Einzelhandelsunternehmen versichert, die je nach Unternehmen, eine erhebliche Zahl von Filialen haben können. Die Arbeitsaufgaben an Kassenarbeitsplätzen sind seit Jahrzehnten die gleichen Tätigkeiten: die Ware wird registriert und das Geld für die Ware kassiert. Abbildung 1: Kassenarbeitsplätze im Einzelhandel Die Kassenarbeitsplätze dagegen haben sich grundlegend verändert. Nicht nur durch die Veränderungen der Einkaufskultur, das heißt den Siegeszug der Selbstbedienung, sondern insbesondere durch die Entwicklung der technischen Möglichkeiten bei der Registrierung der Ware (Abbildung 1). BGAG-Report 1/2008 134 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen Die Scanner haben heute in allen Bereichen Einzug gehalten. Sie ermöglichen die Einführung von neuen Warenwirtschaftssystemen. Zur Beschleunigung des Warendurchsatzes in den Ausgangszonen von Selbstbedienungsverkaufsstellen insbesondere im Lebensmittelbereich wurden die Förderbänder eingeführt (Abbildung 2). Abbildung 2: Moderner Kassenarbeitsplatz 2 Belastungen und Beanspruchungen In der LV 20 ist festgestellt, dass der Warentransport an einer Kasse keine schwere körperliche Arbeit darstellt. Die Einschätzung der Höhe der physischen und psychischen Belastung durch Kassenarbeit ist pauschal nicht möglich. Die genannten Belastungsaspekte sind immer in Abhängigkeit von der Zeit des Einwirkens, d. h. je nach Betriebsgröße, Kundenfrequenz, Kundenzusammensetzung, Arbeitsorganisation, Dauer der Kassiertätigkeit u.ä., zu werten. Häufig erzwingen allerdings ergonomisch ungünstige Kassenboxabmessungen und Arbeitshöhen ein zyklisches Mitbewegen des Oberkörpers oder ein Arbeiten in ungünstiger Körperhaltung (statische Haltungsarbeit). Durch das Drehen und Kippen BGAG-Report 1/2008 135 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen der Waren vor dem Sichtfenster von Horizontalscannern können Belastungen im Handgelenk auftreten. Technische Entwicklungen wie Modulkassen in Flachbauweise oder unterschiedliche Scannertechnologien können unter Umständen zu einer Reduzierung der einseitigen statischen Belastung führen und ermöglichen eine günstigere ergonomische Abstimmung der übrigen Arbeitsmittel. Die Arbeit an diesen Kassen wird in der Regel im Sitzen ausgeführt. Ständiges Sitzen an einem nicht immer optimal eingerichteten Sitzarbeitsplatz stellt zusätzliche Anforderungen an das Stütz- und Bewegungssystem. Die reine Kassiertätigkeit an Kassenarbeitsplätzen in Ausgangszonen ist durch eine einseitige, repetitive Bewegung charakterisiert, die ebenso einseitigen kurzzyklischen Anforderungen auf geistiger Ebene entspricht. Ununterbrochene Kassiertätigkeit ist gekennzeichnet von einseitiger, im visuellen Bereich liegender Aufmerksamkeitsanspannung, sensorischer Belastung beim Eintippen von Preisen und Anforderungen an kurzzeitige konzentrative Anspannung unter Zeitdruck. Die Arbeitsaufgaben sind meist im Detail vorgegeben. Für das Kassenpersonal besteht relativ selten die Möglichkeit den Arbeitsablauf individuell zu variieren, die Arbeit ist eher fremdbestimmt. Eine persönliche Zeiteinteilung ist dabei nicht möglich. Neben der notwendigen Verhaltenskontrolle, die sich aus dem Bestreben zu mehr Kundenfreundlichkeit ergibt, trägt das Kassenpersonal mehr oder weniger Verantwortung hinsichtlich des Kassenbestandes. Als Belastungsfaktoren aus der Arbeitsumgebung sind die besonderen klimatischen Bedingungen (Zugluft, Raumtemperatur) in den Ladenausgangszonen zu nennen, die neben vermehrter Geräuschentwicklung und ungünstigen Beleuchtungsverhältnissen als störend empfunden werden können. Ergonomische Gestaltungsprinzipien sollen sicherstellen, dass die Belastungen am Arbeitsplatz, unabhängig von den individuellen Leistungsvoraussetzungen, möglichst optimal dem physiologischen und psychologischen Leistungsvermögen des Menschen angepasst werden. Für die Praxis ist es daher wichtig darauf hinzuweisen, welche Zusammenhänge zwischen gestalterischen Mängeln und einer Häufung BGAG-Report 1/2008 136 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen gleichartiger Gesundheitsstörungen bestehen können, damit Probleme gezielt und mit einer vernünftigen Schwerpunktsetzung angegangen werden können. Es sollte aber nie dabei vergessen werden, dass auch bei einer optimalen Arbeitsplatzgestaltung die individuellen Leistungsvoraussetzungen und Befindlichkeiten eine wesentliche Rolle spielen. Bei der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel wurden im Jahr 2006 achtundzwanzig und im Jahr 2005 neunundzwanzig Anzeigen auf den Verdacht einer Erkrankung der Sehnenscheiden (BK 2101) eingereicht. In keinem der Fälle kam es zu einer Anerkennung der Berufskrankheit. Unbeachtet dieser Tatsache gehen wir im Fachausschuss Hinweisen auf Mängeln an Kassenarbeitsplätzen nach. In der Regel werden wir von den Betriebsräten über auftretende Beschwerden bei den Mitarbeitern informiert. Das geschieht während der Revision durch den zuständigen Kollegen aber auch durch direkte Anrufe im Fachausschuss. Zeitnah wird der Kassenarbeitsplatz beurteilt und eine Beratung des Unternehmers zu erforderlichen Änderungen durchgeführt. 3 Zur rechtlichen Situation Die Gestaltung des Kassenarbeitsplatzes basiert auf einer Analyse der Arbeitsaufgabe des Arbeitgebers: Festlegung der Arbeitsinhalte für die Kassenarbeit, Wahl der benötigten Arbeitsmittel (AM), Festlegung der Anordnung der AM am Arbeitsplatz, Bestimmung des Aufstellungsortes, Entscheidung, ob die Umgebungsbedingungen zusätzliche Schutzmaßnahmen erfordern und Unterweisung der Beschäftigten. Bei dieser Gestaltung sind die Anforderungen des § 4 der Betriebssicherheitsverordnung zu berücksichtigen. BGAG-Report 1/2008 137 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen 4 Grundlagen der Ergonomie Anfang der 90er Jahre boomte der Einzelhandel besonders in den neuen Bundesländern so, dass die Bundesländer eine Initiative ergriffen und der „Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik“ (LASI) den Unterausschuss 6 „Arbeitsstätten und Ergonomie“ beauftragte, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die die Anforderungen zur Gestaltung von Kassenarbeitsplätzen erarbeitet. Fünf Arbeitsschutzexperten aus den Bundesländern, ein Vertreter der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und ,ich, als Vertreter der Berufsgenossenschaften erarbeiteten die „Handlungsanleitung zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen an Kassenarbeitsplätzen“ (LV 20), die im Oktober 1999 veröffentlicht wurde. Für diese Schrift wurden die neuesten, europaweit gültigen Normwerte für Proportionen des menschlichen Körpers verwendet, um daraus die maßliche Gestaltung von Kassenarbeitsplätzen abzuleiten. Die LV 20 (http://lasi.osha.de/docs/lv20_text.pdf) ist heute das Standardwerk für Aufsichtspersonen, die eine Beurteilung von Kassenarbeitsplätzen durchführen. Unmittelbar nach Fertigstellung der Schrift wurden mit Unterstützung des LadenbauVerbandes durch den Fachausschuss die wichtigsten Kassentischhersteller in Deutschland über die neuen Anforderungen informiert und mit den notwendigen Unterlagen versorgt. Für unsere Mitgliedsbetriebe haben wir die Berufsgenossenschaftlichen Informationen (BGI) „Sitz-Kassenarbeitsplätze“ und „Steh-Kassenarbeitsplätze“ aus dieser Schrift entwickelt. Diese Schriften wenden sich direkt an den Einzelhandelsunternehmer und geben ihm eine effiziente Hilfe bei der Auswahl und Gestaltung der Kassenarbeitsplätze in seinem Unternehmen. Die BGI 532 „Sitz-Kassenarbeitsplätze“ wurden unseren Betrieben bisher in einer Auflage von 40.500 Exemplaren kostenlos zur Verfügung gestellt. 5 Möglichkeiten zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen Der Kassenarbeitsplatz besteht aus einer Reihe von Arbeitsmitteln und Ausrüstungsgegenständen, die auf engstem Raum effektiv und handhabbar eingesetzt werden müssen. Die Anordnung muss so erfolgen, dass es nicht zu ungünstigen Arbeitshal- BGAG-Report 1/2008 138 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen tungen, vorzeitiger Ermüdung und damit letztendlich zu einer arbeitsbedingten Erkrankung kommt. Die Belastung am Kassenarbeitsplatz muss so gestaltet werden, dass sie unabhängig von individuellen Leistungsvoraussetzungen, möglichst optimal dem physiologischen und psychologischen Leistungsvermögen der Kassiererin / Kassierer angepasst ist. 5.1 Arbeitshaltung Die Hauptarbeitshaltung kann mit Hilfe einer Analysemethode, die in der LV 20 (Abbildung 3) enthalten ist, bestimmt werden. Die meisten Gestaltungsprobleme sind bei der Sitzarbeitshaltung zu bewältigen. Zu beachten sind bei allen Arbeitshaltungen der freie Bewegungsraum, die Arbeitshöhe, die Greifräume, der Beinraum oder Fußraum und das Blickfeld. Abbildung 3: Bestimmung der empfohlenen Hauptarbeitshaltung Ausgehend von den zu verrichtenden Tätigkeiten ist zunächst die Hauptarbeitshaltung für den Kassenarbeitsplatz festzulegen. Vier typische Arbeitshaltungen sind möglich. Die Art der Arbeit und die aufzubringenden Körperkräfte ergeben unterschiedliche Arbeitshaltungen. Bei der Festlegung einer Hauptarbeitshaltung ist zu bedenken, dass eine gewisse Bewegungsfreiheit oder die Änderung der Körperhaltung zu ermöglichen ist. Dabei ist das Sitzen gegenüber dem Stehen zu bevorzugen. Aus arbeitsphysiologischen BGAG-Report 1/2008 139 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen Gründen ist die stehende Arbeitshaltung weniger empfehlenswert. Es ist zu prüfen, ob die Einflussfaktoren im Sinne einer sitzenden Arbeitshaltung verändert werden können. 5.2 Ergonomische Grunddaten Im Anhang 1 der LV 20 sind ausgewählte ergonomische Daten zusammengestellt, die für die maßliche Gestaltung von Kassenarbeitsplätzen wichtig sind. Wegen der repetitiven Bewegungen wurde auch die Bewertung von Körperhaltungen bei der Arbeit, bezogen auf die Arbeit am Kassenarbeitsplatz, aufgenommen. Diese zutreffenden ergonomischen Grunddaten sind für jeden Arbeitsplatz im Wissensspeicher zusammengestellt. Die Maße sind für das 5. bis 95. Perzentil enthalten, sie ermöglichen es einen Kassenarbeitsplatz für 90% der Bevölkerung ergonomisch zu gestalten. Eine ideale Lösung für alle Arbeitsplätze gibt es nicht, da sowohl die Menschen, als auch die zu bewältigenden Arbeitsaufgaben und das Umfeld nie gleich sind. Eine besondere Rolle bei der Gestaltung des Kassenarbeitsplatzes nehmen der Platzbedarf, die Arbeitshöhe und der Greifraum ein. Für den Sitzplatz wäre auch noch der Beinraum für den Kassenarbeitsplatz von Bedeutung. 5.2.1 Platzbedarf Die Größe der Kassenbox ist so zu wählen, dass die Arbeitsabläufe ungehindert ausgeführt werden können und ein optimaler Kundenkontakt hergestellt werden kann (Abbildung 4). Die erforderlichen Stuhlbewegungen, der ungehinderte Ein- und Ausstieg sowie ein Wechsel der Körperhaltung während der Arbeit müssen möglich sein. Zum Hinsetzen wird eine Fläche von 900 x 640 mm benötigt. Kann das Stuhluntergestell unter überbaute Flächen geschoben werden, reicht eine Fläche von 800 x 600 mm aus. BGAG-Report 1/2008 140 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen Abbildung 4: Platzbedarf in der Kassenbox Für den kombinierten Sitz-/Stehkassenarbeitsplatz muss genügend Platz vorhanden sein, um: stehen zu können (600 x 600 mm² Mindestfläche), den unbenutzten Stuhl beiseite schieben zu können, und beim Öffnen der Geldschublade zurücktreten zu können. Der ungenutzte Stuhl darf beim Kassieren im Stehen den Arbeitsablauf nicht behindern und den Zugang nicht einengen. Der Zugang zur Kassenbox soll mindestens 0,60 m breit sein. 5.2.2 Höhe der Arbeitsfläche bei Sitz-/Stehkassenarbeitsplätzen Die Arbeit soll wechselnd im Sitzen oder Stehen möglich sein. Die Arbeitsflächenhöhe wird von der Ellenbogenhöhe im Stehen abgeleitet. Nicht höhenverstellbare Arbeitsflächen sollen eine Höhe (W) von 960 mm haben. Arbeitshöhen zwischen 950 mm und 1060 mm können toleriert werden, wenn hierdurch eine günstigere Arbeitshaltung eingenommen werden kann (Abbildung 5). Werden hauptsächlich größere oder schwerere Objekte gehandhabt, ist die Arbeitsflächenhöhe je nach Artikelgröße zu verringern. Üblicherweise erfolgen Absenkungen zwischen 100 mm und 300 mm. BGAG-Report 1/2008 141 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen Abbildung 5: Höhe der Arbeitsfläche im Stehen 5.2.3 Arbeitsbereiche und Armreichweiten im Sitzen Zur Auslegung der Greifräume sind bei einem Sitz-/Steharbeitsplatz die Maße für einen Sitzplatz heranzuziehen, weil diese kleiner sind und somit im Stehen die Greifraumsituation verbessert wird. Besonders häufige Tätigkeiten (Frequenz > 10/min) sind im bevorzugten Arbeitsbereich auszuführen. Der bevorzugte Arbeitsbereich hat eine Tiefe (C1) von 170 mm bei Arbeiten ohne Armunterstützung und von 290 mm bei Arbeiten mit Armunterstützung ab Arbeitsplattenvorderkante sowie eine Breite (B1) von 710 mm. Die seitliche Begrenzung ist bestimmt durch einen Winkel zwischen den Armen von 60° (Abbildung 6). Andere Tätigkeiten (Frequenz < 10/min) können im maximalen Arbeitsbereich ausgeführt werden. Der maximale Arbeitsbereich hat eine Tiefe (C2) von 425 mm sowie eine Breite (B2) von 1300 mm. Die Armreichweite kann durch Vorbeugen oder Drehen vergrößert werden. Jedoch sind Beuge- und Drehbewegungen mit einer Frequenz > 2/min zu vermeiden, da sie körperlich belastend wirken. BGAG-Report 1/2008 142 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen Abbildung 6: Arbeitsbereich im Sitzen 5.3 Verfahren zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen 5.3.1 Orientierendes Verfahren zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen (nach LV20) Wie der Name schon sagt, ist es ein orientierendes Verfahren zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen. Der Unternehmer oder eine Aufsichtsbehörde können sich auf diese Weise einen Überblick über Kassenarbeitsplätze verschaffen. In einem Bewertungsbogen werden Fragen zur Arbeitsorganisation, Fragen zum Kassentisch, Fragen zur Arbeitsumgebung und Fragen zum Arbeitsablauf gestellt. Es wird eine Überprüfung der Arbeitshaltung durchgeführt und dann eine Beurteilung erstellt. 5.3.2 Sicherheits-Check - Ergänzungsblatt „Kassenarbeitsplatz“ (A 197) Das Ergänzungsblatt zum Sicherheits-Check der BGE ist in erster Linie eine Handlungshilfe zur Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz. Der Check ist als Tabelle aufgebaut. Beispielhaft sind die häufigsten ergonomischen Mängel an Kassenarbeitsplätzen aufgelistet und entsprechende Präventionsmaßnahmen vorgeschlagen. BGAG-Report 1/2008 143 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen Das Hauptproblem besteht am Kassenarbeitsplatz darin, dass dieser Arbeitsplatz aus mehreren Arbeitsmitteln zusammengesetzt ist. Jedes für sich entspricht zumeist den sicherheitstechnischen und ergonomischen Anforderungen. Die Hersteller stehen für die Qualität der ”Einzelteile” gerade. Der Zusammenbau erfolgt jeweils nach den Wünschen des Anwenders. Geht man nun davon aus, dass es sich bei den Anwendern um Spezialisten im Bereich Verkauf handelt, die in den seltensten Fällen auch noch über Spezialkenntnisse auf ergonomischem Gebiet verfügen, wird ein erheblicher Qualifizierungsbedarf deutlich. Die Anordnung der Arbeitsmittel zum Kassenarbeitsplatz, die Arbeitsaufgabe und die Arbeitsorganisation haben nicht selten problematische Auswirkungen auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz des Kassenpersonals. 6 GS-Prüfungen von Kassentischen Der Fachausschuss Bauliche Einrichtungen hat eine Prüfstelle, die u.a. Verkaufseinrichtungen, Leergutrücknahmeautomaten und Kassentische prüft. Die größte Effektivität bei der Durchsetzung von ergonomischen Arbeitsplätzen im Einzelhandel wird durch eine Baumusterprüfung erzielt. Das heißt, wenn ein Filialist seine Kassentische einer Baumusterprüfung unterzieht, kann er davon ausgehen, dass alle Filialen mit sicheren und ergonomischen Kassenarbeitsplätzen ausgestattet sind. Dies wird durch ein GS-Zeichen am Kassentisch dokumentiert. Im Vorfeld der Prüfung berät der Fachausschuss das Unternehmen und den Kassentischhersteller umfassend zur Gestaltung des Kassenarbeitsplatzes. Unmittelbar nach der Veröffentlichung der LV 20 wurden von unserer Prüfstelle die Prüfgrundsätze für Kassentische überarbeitet, um neben der Betriebssicherheit auch die ergonomischen Anforderungen an Kassenarbeitsplätzen in die Zertifizierung mit einzubeziehen. Seit dem Jahr 2000 wurden von unserer Prüfstelle 53 Kassentische erfolgreich geprüft. Unabhängig von den GS-Prüfungen der Prüfstelle werden vom Fachausschuss auch Beratungen unserer Mitgliedsbetriebe zu neuen Kassentischen durchgeführt, die nicht das Ziel einer Zertifizierung haben. Die Unternehmer wenden sich an uns, um BGAG-Report 1/2008 144 Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen Kassenarbeitsplätze in ihren Unternehmen sicher und ergonomisch zu gestalten, denn diese Beratungen sind im Gegensatz zu der GS-Prüfung kostenlos. 7 Ausblick Zur Verbesserung unserer Beratungstätigkeit haben wir zusammen mit dem BGIA ein Projekt gestartet, bei dem Körperhaltungsmessungen an Kassenarbeitsplätzen durchgeführt werden. Mit dem Messsystem CUELA werden Körperhaltungen und Bewegungen erfasst und mit einer Software ausgewertet (Abbildung 7). Mögliche Probleme an Kassenarbeitsplätzen in Bezug auf das Muskel-Skelett-System, wie Belastung der Schultern und Arme durch repetitive Tätigkeiten und Belastungen der Wirbelsäule durch statische Sitzhaltung und Torsion, können so aufgedeckt werden. Abbildung 7: Methode – CUELA Es werden verschiedene Messungen an unterschiedlichen Typen von Kassentischen durchgeführt, um die Positionierung der Arbeitsmittel optimal vornehmen zu können. Die ersten Ergebnisse werden im Jahr 2008 erwartet. Zum 4. Fachgespräch werden wir an dieser Stelle über unsere Ergebnisse bei der Optimierung von Kassenarbeitsplätzen mittels CUELA berichten. BGAG-Report 1/2008 145 Dynamische Büro-Arbeitsstühle Dynamische Büro-Arbeitsstühle – dynamische Menschen? Ergonomische Untersuchung besonderer Büro-Arbeitsstühle Helmut Berger Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, Bielefeld Kathrin Keller, Rolf Ellegast BGIA – Institut für Arbeitsschutz, Sankt Augustin Einleitung Häufiges und dauerhaftes Arbeiten in statischen Sitzhaltungen kann an Bildschirmund Büroarbeitsplätzen Verspannungen der Muskulatur und Wirbelsäulenbeschwerden hervorrufen. Hierbei kann es sowohl zu Überbelastungen der Muskulatur, insbesondere im Schulter-Nacken-Bereich, als auch zu funktionellen Unterbeanspruchungen bestimmter Muskelpartien wie beispielsweise der Rücken- und Bauchmuskulatur kommen [1]. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde erkannt, dass Bürotätigkeiten, die sich durch Phasen langen Sitzens auszeichnen, weitaus mehr belastende Faktoren mit sich bringen, als bis dahin angenommen wurde. Zwanghafte Sitzhaltungen wurden als Auslöser für gesundheitliche Funktionsstörungen identifiziert [2]. Menschen, die über einen längeren Zeitraum einer rein statischen Sitzhaltung unterworfen sind, leiden nach kurzer Zeit an chronischen Schmerzen und empfundenem Diskomfort [3]. In den vergangenen Jahren wurde daher bei der Entwicklung von Büroarbeitsstühlen das Konzept des dynamischen Sitzens gefördert. Einige Stuhlhersteller haben durch konstruktive Elemente, wie z. B. eine dynamische Aufhängung der Sitzfläche oder auch eine aktive Eigenrotation der Sitzfläche, besondere Stuhleigenschaften geschaffen, die das dynamische Sitzen fördern und damit Muskel-Skelett-Erkrankungen an Büro- und Bildschirmarbeitsplätzen präventiv vermeiden sollen. Vor diesem Hintergrund initiierte die VBG (Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) in Zusammenarbeit mit dem BGIA (Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung) und dem niederländischen Institut TNO „Work and Employ- BGAG-Report 1/2008 146 Dynamische Büro-Arbeitsstühle ment“ (Institut der niederländischen Organisation für angewandte Wissenschaftsforschung) eine ergonomische Untersuchung zur Evaluierung von vier besonderen dynamischen Büroarbeitsstühlen im Vergleich zu einem konventionellen Büroarbeitsstuhl [4]. Ziel der Untersuchung war die Beantwortung folgender Fragen: Führen die besonderen Stühle gegenüber dem konventionellen Büroarbeitsstuhl zu einem signifikant unterschiedlichen Ausmaß an physischer und muskulärer Aktivität an Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen? Sind die höheren Anschaffungskosten eines besonderen dynamischen Stuhls gerechtfertigt? Welchen Einfluss haben die verschiedenen ausgeübten Tätigkeiten auf das Ausmaß der Bewegung und muskulären Aktivität bei Bildschirm- und Büroarbeit? Wie schätzen Beschäftigte den Komfort und die Auswirkungen der besonderen Stühle auf die eigene Gesundheit und Arbeitsleistung ein? Empfinden Beschäftigte an Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen die besonderen Stühle gegenüber einem konventionellen Büroarbeitsstuhl als gesundheitlich (mehr) zuträglich und akzeptieren sie die Stühle in ihrem beruflichen Alltag? Um diesen Fragen nachzugehen, wurde in Laborumgebung ein realitätsnaher Bildschirm- und Büroarbeitsplatz aufgebaut, um bei standardisierten Bürotätigkeiten das Sitz- und Bewegungsverhalten bei Nutzung der verschiedenen Stühle von zehn Laborprobanden messtechnisch und mithilfe standardisierter Interviews zu analysieren. Zusätzlich wurden Messungen und Befragungen unter Praxisbedingungen bei insgesamt 40 Feldprobanden in vier verschiedenen Unternehmen durchgeführt. Im Rahmen der Untersuchung wurde ein Messsystem auf der Basis des CUELASystems entwickelt und eingesetzt, das eine ergonomische Analyse von Belastungs-/ Beanspruchungsparametern synchron zu Bürostuhl-Einstellungsparametern sowohl in Labor- als auch in Praxisumgebungen ermöglicht [5]. BGAG-Report 1/2008 147 Dynamische Büro-Arbeitsstühle 1 Ablauf der Labor- und Felduntersuchung Die Gesamtstudie wurde als vergleichende Labor- und Felduntersuchung mit insgesamt fünf Büroarbeitsstühlen (4 besondere dynamische und ein Referenzstuhl) durchgeführt. Dabei handelt es sich bei jedem der fünf Büroarbeitsstühle um ein „Sitzmöbel für eine Person, mit Rückenlehne, mit oder ohne Armstützen. Das Oberteil des Stuhles einschließlich der Sitzfläche ist in der Waagerechten drehbar und in der Höhe verstellbar“ [6]. An der Laboruntersuchung nahmen insgesamt 10 Probanden (5 Frauen, 5 Männer) teil, die alle Stühle in fünf verschiedenen standardisierten Bildschirm- und Bürotätigkeiten testeten. Die subjektive Bewertung der Stühle durch die Probanden wurde mit drei verschiedenen Befragungsinstrumenten (Vorabbeurteilung, Endbeurteilung jedes Stuhles und Abschlussbeurteilung aller Stühle) erhoben. Während der Durchführung der standardisierten Tätigkeiten wurden die Körperkinematik der Probanden, die Muskelaktivitäten ausgewählter Muskelgruppen (Erector spinae und Trapezius Muskel) sowie Stuhleinstellungs- und Stuhlnutzungsparameter gemessen und mit Video dokumentiert. Abbildung 1 zeigt die Laborsituation während der Messungen. Abbildung 1: Situation während der Messungen im Labor BGAG-Report 1/2008 148 Dynamische Büro-Arbeitsstühle Vorteile der Untersuchung in Laborumgebung waren die Standardisierung verschiedener Bildschirm- und Bürotätigkeiten und die Möglichkeit zur Anwendung umfangreicher und präziser Messtechnik zur Ermittlung der Belastungs-/Beanspruchungssituation. Da unter Laborbedingungen jedoch kein natürlicher Arbeitsablauf simuliert werden konnte, der den Praxisalltag an Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen widerspiegelt, wurde im Anschluss an die Laboruntersuchung eine Felduntersuchung durchgeführt. Hieran beteiligten sich insgesamt vier Mitgliedsbetriebe der VBG mit jeweils 10 Probanden. Alle Probanden (25 Frauen, 15 Männer) testeten die fünf Stühle und gaben ihre zugehörigen subjektiven Einschätzungen in insgesamt vier verschiedenen Befragungsinstrumenten (3 Instrumente der Laboruntersuchung sowie zusätzliche Tagesprotokolle) an. Die Belastungs-/Beanspruchungssituation wurde bei einer Auswahl von insgesamt 12 Probanden an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen messtechnisch erfasst (ohne Muskelaktivitätsmessungen) (Abbildung 2). Die nicht-standardisierten Tätigkeiten während der Praxismessungen wurden im Nachhinein in vier Kategorien (PCArbeit, Telefonieren, Aktenbearbeitung und Gespräch) klassifiziert. Abbildung 2: Probandin während der Tätigkeit „PC-Arbeit“ BGAG-Report 1/2008 149 Dynamische Büro-Arbeitsstühle Die Planung und Durchführung der gesamten Studie erfolgte durch ein Projektteam, bestehend aus Mitarbeitern der Institutionen VBG, BGIA und TNO mit folgender Aufgabenverteilung: VBG: u. a. Initiator des Projektes, Auswahl der zu untersuchenden Büroarbeitsstühle, Gewinnung der Betriebe der Felduntersuchung BGIA: u. a. Literaturrecherche, Entwicklung und Einsatz der Messtechnik zur Erfassung der Belastungs-/Beanspruchungssituation, praktische Durchführung der Labor- und Felduntersuchung, Zusammenführung der Daten TNO: u. a. Entwicklung der Befragungsinstrumente, statistische Auswertungen der Befragungsdaten und z. T. Messdaten Die folgende Abbildung 3 zeigt den Zeitplan des Studienablaufs. Die Studie hatte eine Laufzeit von insgesamt 2 Jahren. Abbildung 3: Gesamtübersicht des Studienverlaufs Monat 3 4 Gewinnung von Betrieben für die Feldstudie 5 6 7 8 9 10 11 12 Festlegung des Studienablaufs 13 Laborversuche Befragungen zu Laborversuchen Erste Auswertungen der Messdaten 16 17 18 Erste Auswertungen der Fragebögen Firma 3 Firma 4 Firma 2 Projekttreffen VBG,BGIA und TNO Erstellung des Fragebogens zu Komfort/Akzeptanz der Stühle Projekttreffen VBG,BGIA und TNO Projekttreffen VBG,BGIA und TNO Abstimmung des Projektes 2 Laboraufbau 15 Durchführung der Feldversuche Firma 1 Literaturrecherche, Machbarkeitsstudie zu Messvariablen 14 Erste Auswertungen der Messdaten Erste Auswertungen der Fragebögen Auswertung der Labor und Feldversuche Auswertung der Fragebögen 19 20 21 22 23 24 Erstellung des Abschlussberichts Projekttreffen VBG,BGIA und TNO 2 Gemeinsame Sichtung der Ergebnisse 1 Die untersuchten Büroarbeitsstühle und ihre Eigenschaften Abbildung 4 zeigt die im Rahmen der Studie untersuchten Büroarbeitsstühle. Für die Labor- und Felduntersuchung wurden die Herstellernamen auf den Stühlen entfernt und somit für die Probanden nicht sichtbar. Die vier besonderen dynamischen Büroarbeitsstühle wurden als Stuhl A, Stuhl B, Stuhl C und Stuhl E bezeichnet, während BGAG-Report 1/2008 150 Dynamische Büro-Arbeitsstühle der Referenz-Büroarbeitsstuhl, ein dynamischer Stuhl mit klassischer Ausstattung und Synchronmechanik, Stuhl D genannt wurde. Die Auswahl der Stuhltypen erfolgte durch die VBG. Als Referenzstuhl wurde ein in den VBG-Mitgliedsbetrieben häufig eingesetzter Stuhltyp, dem ein gutes PreisLeistungsverhältnis zugeschrieben wird, ausgewählt. Die Entscheidung zur Auswahl der vier besonderen Stühle fiel anhand des Kriteriums „am häufigsten bei der Präventionsabteilung der VBG nachgefragte besondere Büroarbeitsstühle“. Abbildung 4: besondere dynamische Stühle A,B,C,E und der Referenzstuhl D Für die Labor- und Felduntersuchungen wurden jeweils 4 Stühle jedes Büroarbeitsstuhlmodells im Fachhandel eingekauft. Die Preise lagen bei Beschaffung im Dezember 2005 für den Referenzstuhl in einer Höhe von rund 463 €, und für die besonderen Stühle mit den besonderen Ausstattungen im Bereich von ca. 637 € (Stuhl E) bis ca. 1.018 € (Stuhl A). Die dynamische Besonderheit von Stuhl A ist die über einen Motor betriebene Eigenrotation der Sitzfläche in einem definierten Winkel von 0,8° und mit einer konstanten Frequenz (5mal pro Minute). Der Hersteller stellt in Aussicht, dass diese Mikrorotationsbewegungen als alternierende Stimuli auf den Sitzenden einwirken, dessen Bandscheiben bewegen, entlasten und damit eine Körperhöhenzunahme hervorrufen. Zudem sollen Schmerzen beim Sitzen auf diesem Stuhl reduziert werden. BGAG-Report 1/2008 151 Dynamische Büro-Arbeitsstühle Stuhl B zeichnet sich durch eine Mechanik aus, welche die nach allen Seiten bewegliche Sitzfläche vom Rest des Stuhles entkoppelt. Die bewegliche Sitzfläche wird dabei in ihren horizontalen Bewegungen kontrolliert gedämpft. Das Sitzwerk soll die Körperbewegungen aufnehmen und harmonisch an den Körper zurückgeben. Die motorischen Zentren im Gehirn sollen dadurch angesprochen werden und als Ausgleich mit ständigen Steuerimpulsen an die Muskulatur reagieren. Die Koordinationsfähigkeit soll gesteigert und die zur Haltungsstabilisierung aufzuwendende Energie reduziert werden. Die Sitzfläche von Stuhl C ist aufgrund von pendelähnlichen Elementen frei schwingend. Jedes der Elemente besitzt im Inneren ein Stahlseil, das einer Zugbelastung von ca. 600 kg standhält. Der Hersteller des Stuhls stellt dem Nutzer in Aussicht, dass mit diesem System der Stoffwechsel angeregt, eine Entlastung der Wirbelsäule und der Bandscheiben sowie ein Schutz vor Gelenkschäden bewirkt werden. Stuhl E zeichnet sich durch ein spezielles Sitzgelenk aus, das Bewegungen der Sitzfläche in allen drei Raumrichtungen ermöglicht. Dies soll das Sitzen wie auf einem Sitzball ermöglichen. Durch das Sitzen auf diesem Stuhl soll die Wirbelsäule abgestützt, die Rückenmuskulatur gestärkt und die Bandscheiben entlastet werden. Der Hersteller verspricht den Erhalt der geistigen Vitalität und garantiert eine uneingeschränkte Bewegungsfreiheit. Der Referenzstuhl D hat eine konventionelle, gute Ausstattung. Er besitzt insbesondere eine Synchronmechanik und verfügt zusätzlich über viele sinnvolle Verstellmöglichkeiten, welche ein dynamisches Sitzen gewährleisten. 3 Ergebnisse Im Folgenden sollen die Versuchsergebnisse im Hinblick auf die vorgestellten Forschungsfragen zusammengefasst werden Führen die besonderen Stühle gegenüber dem konventionellen Büroarbeitsstuhl zu einem signifikant unterschiedlichen Ausmaß an physischer und muskulärer Aktivität an Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen? BGAG-Report 1/2008 152 Dynamische Büro-Arbeitsstühle Im Rahmen der Laboruntersuchung wurden während der Aktivitätsmessungen des Trapezius Muskels und des Erector spinae Muskels nur geringe Aktivitäten aufgezeichnet. Dabei wurden für den Erector spinae Muskel stets niedrigere Werte als für den Trapezius Muskels gemessen. Im Hinblick auf die muskuläre Aktivität und den Bewegungsumfang ergab der Vergleich der vier besonderen Stühle mit dem Referenzstuhl in der Auswertung der Labor- und Feldmesswerte bei gleicher Tätigkeit überwiegend keine signifikanten also statistisch nachweisbaren Unterschiede. Lediglich die stuhlspezifischen Parameter wie die Sitzflächenvorneigung, Sitzflächenseitneigung und Rückenlehnenvorneigung zeigten in der statistischen Auswertung erkennbare Unterschiede zwischen den Stühlen. Die Stühle unterscheiden sich demnach zwar in Bezug auf ihre individuellen Dynamikeigenschaften, jedoch führen diese Bewegungen wie beispielsweise das Drehen oder dreidimensionale Verkippen der Sitzfläche nicht unmittelbar zu einer erhöhten physischen Aktivität der sitzenden Person. Es scheint vielmehr so zu sein, dass die Bewegungen des Stuhls vom Körper eher kompensiert als übernommen werden. Sind die höheren Anschaffungskosten eines besonderen dynamischen Stuhls gerechtfertigt? Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Trotz der durch die verschiedenen Stuhlhersteller in Aussicht gestellte „Mehrdynamik“ konnte keine Zunahme bzw. signifikant unterschiedliche muskuläre Aktivität im Vergleich zum Standard-Büroarbeitsstuhl gemessen werden. Aufgrund dessen könnten die gegenüber dem Referenzstuhl erhöhten Preise für die besonderen Stühle als „nicht gerechtfertigt“ bewertet werden. Die Befragungsergebnisse zeigen jedoch, dass mitunter einzelne (besondere) Stuhlkomponenten von den Probanden als sehr positiv bewertet und damit auch geschätzt und häufiger genutzt wurden. Was dem einen Probanden gefällt, lehnt ein anderer deutlich ab. Vor diesem Hintergrund spielt das individuelle Empfinden des Stuhlnutzers eine sehr wichtige Rolle, so dass ein Mehrpreis im Einzelfall gerechtfertigt sein kann. BGAG-Report 1/2008 153 Dynamische Büro-Arbeitsstühle Welchen Einfluss haben die verschiedenen ausgeübten Tätigkeiten auf das Ausmaß der Bewegung und muskulären Aktivität bei Bildschirm- und Büroarbeit? Der Vergleich zweier unterschiedlicher Tätigkeiten, wie beispielsweise einer eher statischen Tätigkeit („Intensive Mausarbeit“ bzw. „PC-Arbeit“) und einer dynamischeren Tätigkeit („Aktensortieren“), zeigte sowohl in der Labor- als auch in der Feldstudie die starke Abhängigkeit der Dynamik und Sitzhaltung der Probanden von den ausgeführten Arbeiten. So lagen bei den dynamischeren Tätigkeiten Muskelaktivitäten und Bewegungsumfang erwartungsgemäß deutlich höher, jedoch ohne signifikanten Einfluss des jeweils genutzten Stuhls. Auch im Hinblick auf die Wirbelsäulenhaltung zeigten sich Unterschiede zwischen den Tätigkeiten. Zwar wurden die unterschiedlichen Bürotätigkeiten in überwiegend kyphosierter Haltung durchgeführt, jedoch war diese Haltung während den eher statischen Tätigkeiten stärker ausgeprägt als während den dynamischeren Tätigkeiten. Abweichungen zeigten sich jedoch beim Vergleich der unterschiedlichen Tätigkeiten im Hinblick auf die eingenommene Sitzhaltung. So wurde während statischer Tätigkeiten eher eine hintere Sitzhaltung eingenommen. Im Gegensatz dazu führten die „schreibbezogenen“ Tätigkeiten überwiegend zur Einnahme der vorderen Sitzhaltung. Wie schätzen Beschäftigte den Komfort und die Auswirkungen der besonderen Stühle auf die eigene Gesundheit und Arbeitsleistung ein? Die Auswirkungen der besonderen Stühle auf die Gesundheit und die Arbeitsleistung wurden von den Beschäftigten für alle besonderen Stühle als „positiv“ bzw. „eher positiv“ eingeschätzt. Keiner der besonderen Stühle wurde in diesem Zusammenhang deutlich negativ bewertet. Lediglich einer der besondere Stuhl C erhielt in diesem Zusammenhang eine eher neutrale Bewertung („keine Auswirkungen auf die Gesundheit bzw. Arbeitsleistung“). Im Vergleich der Antworten aus Vorabbeurteilung und Endbeurteilung konnte sich in diesem Punkt lediglich Stuhl B verbessern. Die Auswirkungen dieses Stuhls auf die Gesundheit bzw. Arbeitsleistung wurden nach dem Test als noch ein wenig positiver beurteilt. Die Auswirkungen der übrigen besonderen Stühle wurden im Nachhinein zwar immer noch als „positiv“, aber dennoch etwas schlechter eingeschätzt als vorher. Es bleibt demnach festzuhalten, dass die BGAG-Report 1/2008 154 Dynamische Büro-Arbeitsstühle besonderen Stühle auf den ersten Blick zwar positive Auswirkungen auf Gesundheit und Arbeitsleistung versprechen, dass dieser Eindruck aber auch zu einem großen Teil über das Design vermittelt zu werden scheint. Empfinden Beschäftigte an Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen die besonderen Stühle gegenüber einem konventionellen Büroarbeitsstuhl als gesundheitlich (mehr) zuträglich und akzeptieren sie die Stühle in ihrem beruflichen Alltag? Diese Frage kann lediglich für zwei der vier besonderen Stühle mit einem „Ja“ beantwortet werden. Die Auswirkungen der Stühle A und B auf Gesundheit und Arbeitsleistung werden im Vergleich zu dem konventionellen Büroarbeitsstuhl als besser bewertet. Auch wurden diese beiden Stuhlmodelle im Mittel von allen Probanden im Vergleich mit dem eigenen Büroarbeitsstuhl als besser bewertet und würden laut Auskunft der Versuchsteilnehmer gerne als Arbeitsstuhl benutzt werden. Im Gegensatz dazu wurde der besondere dynamische Stuhl E in den Befragungspunkten zu gesundheitlicher Zuträglichkeit und Akzeptanz nicht wesentlich anders bewertet als der konventionelle Referenzstuhl. Stuhl C wurde jedoch im Vergleich zum Referenzstuhl von den Probanden in allen Punkten als weniger gesundheitszuträglich bewertet. Auch war die Akzeptanz dieses Stuhles während der gesamten Studie sehr gering. Insgesamt scheinen die Stuhlmodelle, die über eine Möglichkeit zur seitlichen Verkippung der Sitzfläche verfügen, weniger stark akzeptiert zu werden als diejenigen Modelle, deren Sitzfläche über eine Beweglichkeit in der horizontalen Ebene verfügen. In der vorliegenden Untersuchung wurden jedoch lediglich vier besondere Stuhlmodelle mit einem Standardbüroarbeitsstuhl verglichen, was die Verallgemeinerung derartiger Schlussfolgerungen nicht zulässt. Aufgrund der insgesamt guten Bewertung aller Stuhlmodelle ist abschließend festzustellen, dass sowohl der Referenzstuhl als auch die besonderen Stühle dynamisches Sitzen auf hohem Niveau ermöglichen. Jedoch unterscheidet sich das Ausmaß dieser Dynamik nicht signifikant, sondern hängt in hohem Maße von der ausgeübten Tätigkeit ab. Die ausgeübte Tätigkeit hat demnach einen größeren positiven Einfluss auf die individuelle Sitzdynamik des Menschen als die Beschaffenheit des Büroarbeitsstuhls. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, bei der ergonomischen Gestaltung BGAG-Report 1/2008 155 Dynamische Büro-Arbeitsstühle von Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen ganzheitlich vorzugehen und bewegungsfördernde Maßnahmen, wie beispielsweise die Implementierung von Sitz-Stehkonzepten, im Büro einzuführen. Weiterhin sollten arbeitsorganisatorische Aspekte, die einer Zunahme der physischen Aktivität am Arbeitsplatz zuträglich sind, zwingend mit einbezogen werden, um dem Bewegungsmangel am Arbeitsplatz „aktiv“ entgegenzuwirken. Die Untersuchung hat deutlich gezeigt, dass neben der Analyse von kinematischen und muskulären Messwerten auch die subjektive Beurteilung der Probanden eine wichtige Rolle spielt. Auch wenn nur sehr geringe signifikante Unterschiede bzgl. der biomechanischen Messparameter zwischen den besonderen dynamischen Stühlen und dem Referenzstuhl gemessen werden konnten, so ergibt das Ergebnis der statistischen Auswertung der Fragebögen dennoch ein differenziertes Bild mit einem klaren Ranking der Stuhlmodelle. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der vorliegenden Studie ausschließlich biomechanische Messparameter untersucht worden sind. Zur Bewertung von Stuhlmodellen und -konzepten ist sicherlich die Betrachtung neurophysiologischer Wirkungszusammenhänge während des Sitzens von Bedeutung. Der Einfluss bzw. die Wirkungsweise der Stühle auf das zentrale Nervensystem wurde in der vorgestellten Studie nicht untersucht. Die Ergebnisse und die hieraus gewonnenen Erkenntnisse sollen mittelfristig dazu genutzt werden, intensive Gespräche mit den Herstellern der einzelnen Stuhlmodelle zu führen. Angestrebt wird hierbei eine gemeinsame Diskussion und Nutzung der gesammelten Erfahrungen und Resultate im Rahmen einer eventuellen Weiterentwicklung der Stühle. Zusätzlich soll eine Handlungsanleitung und Entscheidungshilfe für den Kauf von Büroarbeitsstühlen erstellt werden. Literaturverzeichnis [1] Diebschlag, W.; Heidinger, F.: Ergonomische Sitzgestaltung zur Prävention sitzhaltungsbedingter Wirbelsäulenschädigungen. Arbeitsmed. Sozialmed. Präventivmed. (ASP) 25 (1990), S. 123-126 [2] National Institute of Occupational Saftey and Health 1997 BGAG-Report 1/2008 156 Dynamische Büro-Arbeitsstühle [3] Graf, M.; Guggenbühl, U.; Krueger, H.: An assessment of seated activity and postures at five workplaces. Industrial Ergonomics 15 (1995), S. 81-90 [4] Ellegast R.; Keller K.; Hamburger R.; Berger H.; Krause F.; Gronesteijn L.; Blok M.; Vink P.: Ergonomische Untersuchung besonderer Büroarbeitsstühle. BGIAReport 5/2008, BGIA Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), Sankt Augustin, 2008. http://www.dguv.de/bgia/de/pub/rep/pdf/rep07/biar0508/rep5_08.pdf [5] Ellegast, R.P.; Hamburger, R.; Keller, K.; Krause, F.; Groenesteijn, L.; Vink, P.; Berger, H.: Effects of Using Dynamic Office Chairs on Posture and EMG in Standardized Office Tasks, International Conference on Ergonomics and Health Aspects of Work with Computers - EHAWC, 12th International Conference on HCI, 22.-27. Juli 2007, Peking/China, Berichtsband LNCS 4566, Hrsg.: Dainoff, M.J. Springer Verlag , Berlin 2007, 34-42 [6] DIN EN 1335-1:2000: Büro-Arbeitsstuhl, Teil 1: Maße – Bestimmung der Maße. Beuth Verlag, Berlin 2002 BGAG-Report 1/2008 157 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen Ergonomie an Montagearbeitsplätzen Heiko Kusserow, Ingeborg Eisenacher-Abelein, Ralf Hünting Berufsgenossenschaft Elektro Textil Feinmechanik, Köln (früher: Berufsgenossenschaft Feinmechanik und Elektrotechnik - BGFE) Rolf Ellegast, Markus Post BGIA - Institut für Arbeitsschutz, Sankt Augustin Hanna Zieschang BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit, Dresden 1 Einleitung Von den ca. 100000 Mitgliedsbetrieben der BGFE (ca. 2,2 Millionen Versicherte) zählt etwa die Hälfte (ca. 51000 Betriebe mit ca. 1,65 Millionen Versicherten) zu den so genannten Fertigungsbetrieben, in denen eine Vielzahl der Beschäftigten manuelle Montagetätigkeiten ausführen. Spätestens seit dem Beginn der Globalisierung und dem verstärkten Einsatz von Verfahren zur Prozessoptimierung ist in diesen Unternehmen die Gestaltung von Montagearbeitsplätzen zu einem zentralen Thema geworden. Der "optimal" gestaltete Montagearbeitsplatz sollte dabei neben der vom Arbeitgeber angestrebten Produktivitätserhöhung auch immer mit gleicher Priorität die an ihm arbeitenden Menschen berücksichtigen. Dieser Forderung nach einer "menschengerechten Gestaltung der Arbeit" hat der Gesetzgeber Nachdruck verliehen, indem er sie im Arbeitsschutzgesetz explizit in die Definition der Arbeitsschutzmaßnahmen aufgeführt hat [§2 Arbeitsschutzgesetz]. Aus der Praxis der berufsgenossenschaftlichen Präventionsarbeit heraus ergibt sich jedoch die Erfahrung, dass an Montagearbeitsplätzen gerade im Bereich der ergonomischen (= menschengerechten) Arbeitsplatzgestaltung häufig gravierende Mängel zu finden sind. Diese betreffen in der Regel die maßliche Gestaltung von Arbeitshöhe, Bein- und Greifraum sowie die Gestaltung der Arbeitsumgebung (insbesondere Beleuchtung) und Arbeitsorganisation. Bei den Beschäftigten ist aufgrund derartiger Gestaltungsmängel mit verstärkten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Erkrankungen im Muskel-Skelett-System zu rechnen. BGAG-Report 1/2008 158 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen Die BGFE hat sich dieser Thematik angenommen und mit Unterstützung des BGIA und BGAG die folgenden Fragestellungen genauer untersucht: Welche Belastungsfaktoren und Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems werden von Beschäftigten an Montagearbeitsplätzen genannt? Wie soll ein ergonomischer Montagearbeitsplatz gestaltet sein und lassen sich diese Anforderungen in der Praxis realisieren? Wird der ergonomische Montagearbeitsplatz in der Praxis von den Beschäftigten angenommen und ist eine belastungsreduzierende Wirkung nachweisbar? 2 Methodik und Ergebnisse Die Untersuchungen zu den vorstehend formulierten Fragestellungen wurden in drei Schritten durchgeführt. 1. Schritt: Fragebogenaktion Um die Belastungs- und Beanspruchungssituation an Montagearbeitsplätzen quantitativ beschreiben zu können, wurde ein zweiseitiger Fragebogen entwickelt. Dieser erfasst in 16 Punkten Angaben zur Person, die derzeitige Arbeitssituation sowie Beschwerden am Muskel-Skelett-System. Insgesamt wurden 460 Fragebögen an Beschäftigte im Bereich der manuellen Produktmontage in 13 verschiedenen Fertigungsbetrieben aus den Branchen Feinmechanik und Elektrotechnik ausgegeben. In die Befragung wurden alle Arten der Montagetätigkeit (feinvisuell, normal, erhöhter Kraftaufwand) einbezogen. Die Mitarbeiterzahl der teilnehmenden Unternehmen schwankte zwischen 36 und 2500 Personen, wobei der Schwerpunkt der Befragung auf eine mittlere Unternehmensgröße (bis 500 Mitarbeiter) ausgerichtet war (Tabelle 1). BGAG-Report 1/2008 159 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen Tabelle 1: Verteilung der Unternehmen nach Anzahl der Beschäftigten und Rücklauf der Fragebögen Von 460 ausgegebenen Fragebögen kamen 343 ausgefüllt zurück, was einem Rücklauf von 74,6 % entspricht. Die Rückläufer waren zu 55 % weiblich und zu 38 % männlich (7 % keine Angabe). Das durchschnittliche Alter lag bei 43,6 Jahren (± 10,2 Jahre). Die Mittelwerte der Körpergröße und des Körpergewichts betrugen 169,9 cm (± 11,0 cm) bzw. 74,8 kg (± 14,6 kg). Der Großteil der Befragten führte Montagetätigkeiten mit normalem Kraftaufwand und normalen Sehanforderungen durch (Abbildung 1). 62 % der Befragten gaben an, keiner taktgebundenen Arbeit und keinem Leistungslohn zu unterliegen. Schichtarbeit wurde nur von 25 % der Befragten durchgeführt. BGAG-Report 1/2008 160 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen Abbildung 1: Darstellung der befragten Personengruppe nach Geschlecht und Art der Tätigkeit (n = 343) Von den 343 Befragten übten 49 % die jetzige Montagetätigkeit bereits seit über 10 Jahren aus. Weniger als 5 Jahre in der jetzigen Tätigkeit gaben 24 % der Befragten an. In 27 % der Fälle war der Montagearbeitsplatz höhenverstellbar. Als Körperhaltung während der Arbeit wurde 24 % "Stehend", 36 % "Sitzend" und 39 % "Wechselnd" angegeben. Abbildung 2 zeigt die von den Beschäftigten empfundene körperliche Beanspruchung durch die Montagetätigkeit. BGAG-Report 1/2008 161 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen Abbildung 2: Darstellung der empfundenen körperlichen Beanspruchung durch die Montagetätigkeit (N=343) Auf die Frage "Hatten Sie in den letzten 12 Monaten bei der Arbeit Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, der Hände, Arme, Schultern oder der Beine?" antworteten 71 % der Befragten mit "Ja". Von diesen 242 Personen waren 142 (59 %) aufgrund der Beschwerden in ärztlicher Behandlung. Dabei kam es in 90 Fällen (63 %) zu einer Arbeitsunfähigkeit. Die Körperregionen mit den häufigsten Beschwerdenennungen sind in Abbildung 3 dargestellt. Abbildung 3: Körperregionen, an denen am häufigsten Beschwerden genannt wurden BGAG-Report 1/2008 162 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen Über Auffälligkeiten in den Daten bezüglich der hohen Anzahl von Muskel-SkelettBeschwerden bei der Arbeit (71 %) kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht berichtet werden, da die Auswertung der Daten noch nicht abschließend erfolgt ist. Als Hauptbelastungsfaktoren für das Muskel-Skelett-System wurde von den Befragten der überwiegende Einsatz einer Hand, ungünstige Oberkörperhaltung, dauerndes Stehen sowie Bewegungsmangel genannt. Bei den Arbeitsumgebungsfaktoren waren hauptsächlich ungünstige klimatische Bedingungen als belastend eingestuft worden. 2. Schritt: Ergonomischer Montagearbeitsplatz Für die Praxisphase des Projektes (Schritt 3) wurden drei Montagearbeitsplätze benötigt, die den ergonomischen Anforderungen der Projektgruppe entsprechen. Im Folgenden werden diese Anforderungen, die den Stand der Technik sowie arbeitsmedizinische und arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse aber auch Erfahrungen der Projektgruppe berücksichtigen, näher erläutert: Sitz-/Steharbeitsplatz Der Montagearbeitsplatz soll so gestaltet sein, dass an ihm sowohl in sitzender als auch in stehender Körperhaltung gearbeitet werden kann. Diese Forderung ist abgeleitet aus der DIN EN ISO 6385 "Grundsätze der Ergonomie für die Gestaltung von Arbeitssystemen" [DIN EN ISO 6385]: "Der arbeitende Mensch sollte in der Lage sein, zwischen Stehen und Sitzen zu wechseln. Wenn eine dieser Haltungen vorgegeben werden muss, ist das Sitzen dem Stehen normalerweise vorzuziehen. Stehen kann aufgrund des Arbeitsablaufes erforderlich sein." Eine weitere Norm der Arbeitsgestaltung, die DIN EN ISO 14738 "Anthropometrische Anforderungen an die Gestaltung von Maschinenarbeitsplätzen", äußert sich folgendermaßen [DIN EN ISO 14738]: "Die Gestaltung sollte es ermöglichen, im Laufe des Arbeitstages frei zwischen der sitzenden und der stehenden Körperhaltung zu wechseln. Im Allgemeinen BGAG-Report 1/2008 163 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen ist das Sitzen zu bevorzugen. Die stehende Körperhaltung wird weniger empfohlen." Maßliche Gestaltung des Montagearbeitsplatzes für beide Geschlechter Der Montagearbeitsplatz soll von der maßlichen Gestaltung her für Frauen und Männer ausgelegt sein. Demnach müssen die anthropometrischen Daten vom 5. Perzentil Frau bis zum 95. Perzentil Mann berücksichtigt werden. Elektrische Höhenverstellung des Montagearbeitsplatzes Die Erfahrung zeigt, dass jegliche Art von Höhenverstellung, die von den Beschäftigten nur umständlich bedient werden kann, in der Regel nicht genutzt wird. Um den Wechsel zwischen Sitzen und Stehen sowie die Höhenanpassung des Tisches an die Körpergröße der Beschäftigten so komfortabel wie möglich zu gestalten, ist eine elektrische Höhenverstellung erforderlich. Auslegung für Montagetätigkeiten mit mittlerer Anforderung Die richtige Arbeitshöhe am Montagearbeitsplatz ist von den spezifischen Anforderungen der auszuführenden Tätigkeit abhängig. Die Projektgruppe hat sich hier auf Tätigkeiten mit mittleren Anforderungen beschränkt. Kein Hochstuhl Erfahrungen haben gezeigt, dass Hochstühle in der Praxis bei den Beschäftigten nicht sehr beliebt sind. Die fehlenden Rollen, das hohe Eigengewicht und die unzureichende Kenntnis über die richtige Verwendung dieser Stuhlart sind dabei als Gründe zu nennen. Hinzu kommt meistens noch das Problem, dass den Beschäftigten zu einem Hochstuhl in der Regel keine passende Fußstütze bereitgestellt wird, weil fälschlicherweise davon ausgegangen wird, das die am Stuhl befindliche Aufstiegshilfe diese Funktion inne hat. Die Projektgruppe hat daher die Verwendung eines normalen Arbeitsstuhles favorisiert. Keine Fußstütze Eine Fußstütze wird immer dann benötigt, wenn die Tischflächenhöhe in der tiefsten Stellung für den Beschäftigten bei optimal eingestellter Sitzflächenhöhe zu hoch ist. Da die Anforderungen an den Montagearbeitsplatz die Höhenan- BGAG-Report 1/2008 164 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen passung für den Bereich 5. Perzentil Frau bis 95. Perzentil Mann beinhalten, ist in diesem Fall eine Fußstütze nicht erforderlich. Erfüllung der anthropometrischen Anforderungen aus der DIN EN ISO 14738 Die von der Projektgruppe in Worten formulierten Anforderungen an die maßliche Gestaltung des Montagearbeitsplatzes sind in Deutschland in zwei Normen mit anthropometrischem Datenmaterial hinterlegt. Dies ist zum einem die DIN 33406 "Arbeitsplatzmaße im Produktionsbereich" und zum anderem die DIN EN ISO 14738 "Anthropometrische Anforderungen an die Gestaltung von Maschinenarbeitsplätzen" [DIN 33406]. Für das Projekt wurde die aktuellere DIN EN ISO 14738 ausgewählt. Tabelle 2 zeigt die wichtigsten Arbeitsplatzmaße, die anhand der formulierten Anforderungen aus der Norm abgeleitet wurden. Tabelle 2: Anthropometrische Anforderungen an den Montagearbeitsplatz – Abgeleitet aus der DIN EN 14738 Erfüllung der beleuchtungstechnischen Anforderungen aus der DIN EN 12464-1 Der Montagearbeitsplatz soll mit einer blendfreien Beleuchtung ausgestattet sein. Die dafür notwendige Beleuchtungsstärke wurde der DIN EN 12464-1 "Beleuchtung von Arbeitsstätten" entnommen [DIN EN 12464-1]. Für feine bzw. sehr feine Montagearbeiten in der Elektroindustrie wird dort ein Wartungswert von 750 lx bis 1000 lx definiert. Bei Berücksichtigung eines Wartungsfaktors von 0,5 ist für den Montagearbeitsplatz eine Beleuchtungsstärke von 1125 lx bis 1500 lx erforderlich. BGAG-Report 1/2008 165 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen Weitere Anforderungen Auf weitere Anforderungen an den Montagearbeitsplatz, wie z. B. Belastbarkeit, Standsicherheit und ESD-Ausführung wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Eine Marktrecherche ergab, dass Montagearbeitsplätze und Arbeitsstühle, die die vorgenannten anthropometrischen Anforderungen aus der DIN EN ISO 14738 erfüllen, kommerziell nicht verfügbar waren. Aus diesem Grund wurde für das Projekt ein ergonomischer Montagearbeitsplatz entwickelt. Konstruktionsbedingt ließ sich der Verstellbereich der Arbeitsflächenhöhe dabei nur von 64 cm bis 128 cm realisieren. Der Arbeitsstuhl war lediglich mit einem Verstellbereich der Sitzflächenhöhe von 40 cm bis 55 cm erhältlich. Abbildung 4 zeigt die Möglichkeiten der Höhenverstellung des entwickelten Montagearbeitsplatzes anhand zweier unterschiedlich großer Personen. Abbildung 4: Unterschiedliche Körpergrößen erfordern unterschiedliche Arbeitshöhen 3. Schritt: Praxisphase Der ergonomisch gestaltete Montagearbeitsplatz wurde in insgesamt 6 elektrotechnischen Fertigungsbetrieben installiert. Zusammen mit einer Physiotherapeutin des Landessportbundes NRW sind 15 Beschäftigte (14 ♀ / 1 ♂) ausführlich in die Bedienung des Tisches, die optimale Einstellung auf die eigenen Körpermaße sowie hin- BGAG-Report 1/2008 166 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen sichtlich der gesundheitsförderlichen Wirkung einer abwechselnd sitzend und stehender Körperhaltung unterwiesen worden. Bezüglich der Steh-/Sitz-Dynamik sind Ergebnisse einer niederländischen Forschergruppe über ausreichende physische Aktivität bei der Arbeit in die Unterweisung eingeflossen [Commissaris]. Für einen achtstündigen Arbeitstag gilt dort die Empfehlung, nicht länger als 1 Stunde kontinuierlich Stehen und nicht länger als 2 Stunden kontinuierlich Sitzen. In der Summe sollen die Stehphasen an einem Arbeitstag 4 Stunden nicht überschreiten. Der jeweiligen Unterweisung folgte dann eine Eingewöhnungsphase von mindestens 2 Wochen pro Proband. In dieser Zeit sollten sich die Beschäftigten mit der Bedienung des Tisches und den veränderten Arbeitsbedingungen vertraut machen. Nach der Eingewöhnungszeit wurde die Körperhaltung und -bewegung der Probanden während einer Arbeitsschicht mit einem modifizierten CUELA-Messsystem aufgezeichnet Abbildung 5). Abbildung 5: Darstellung des CUELA-Messsystems Es war die Frage zu klären, ob sich nach Optimierung der Verhältnisse und gezielter Unterweisung das Verhalten der Beschäftigten am Arbeitsplatz ändert und eine belastungsreduzierende Wirkung aufgrund der Intervention nachzuweisen ist. Erste Ergebnisse zeigen, dass nur 4 von 15 Probanden die Empfehlung der wechselnden Körperhaltung in ihrem Arbeitsalltag umgesetzt haben. Zur einfachen Darstellung der BGAG-Report 1/2008 167 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen Ergebnisse sind aus den Messdaten für alle Probanden Arbeitsschichtprofile der Körperhaltung erstellt worden. Abbildung 6 zeigt beispielhaft drei unterschiedliche Arbeitsschichtprofile der Körperhaltung. Abbildung 6: Arbeitsschichtprofile der Körperhaltung – unterschiedliche Beispiele der Nutzung 7 der 15 Probanden haben die Arbeitsflächen- und Sitzflächenhöhe vor Arbeitsbeginn nicht wie unterwiesen auf ihre Körpergröße optimiert. Als belastungsreduzierend ist an dieser Stelle der ergonomisch gestaltete Beinraum des Montagearbeitsplatzes zu nennen. Vergleichsmessungen zwischen den konventionellen Arbeitsplätzen und dem ergonomisch gestalteten Montagearbeitsplatz ergaben eine deutlich erhöhte Beinaktivität der Probanden. Nach Abschluss der Messungen wurden die Probanden mit einem kurzen Fragebogen bezüglich ihrer persönlichen Erfahrungen mit dem ergonomischen Montagearbeitsplatz befragt. Dabei gaben 7 der 15 Probanden an, dass sie die empfohlene Steh-/Sitz-Dynamik wie unterwiesen umgesetzt haben. Hier zeigte sich eine Diskrepanz zu den Ergebnissen der Arbeitsschichtmessungen. Eine verbesserte Körperhaltung bei der Arbeit empfanden 10 der 15 Probanden. Den deutlichsten Zuspruch er- BGAG-Report 1/2008 168 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen hielt die an die Tätigkeit angepasste Arbeitsplatzbeleuchtung, die von 14 der 15 Probanden als besonders positiv herausgestellt wurde. Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse erfolgt nach abgeschlossener Auswertung in Form eines Abschlußberichts. 3 Zusammenfassung und Schlussfolgerung Es gibt an Montagearbeitsplätzen erhöhte Muskel-Skelett-Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und der oberen Extremitäten. Einige der genannten Belastungen können durch eine ergonomische Gestaltung des Montagearbeitsplatzes reduziert werden. Anthropometrische Anforderungen aus der Normung finden keine ausreichende Berücksichtigung bei den Herstellern von Montagearbeitsplätzen und Arbeitsstühlen. Trotz intensiver Unterweisung und Eingewöhnungsphase wurden die ergonomischen Eigenschaften des Montagearbeitsplatzes von den Probanden nur unzureichend genutzt. Zwischen Selbsteinschätzung der Probanden und Arbeitsschichtmessungen zeigte sich eine Diskrepanz bezüglich der tatsächlichen Nutzung der ergonomischen Eigenschaften des Montagearbeitsplatzes. Um einen nachhaltig positiven Effekt mit dem ergonomischen Montagearbeitsplatz zu erzielen, müssen die verhaltenspräventiven Maßnahmen deutlich verstärkt werden. Literatur [1] Arbeitsschutzgesetz - Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG) vom 7 August 1996. BGBl. I, S. 1246; Zuletzt geändert durch Artikel 227 der Verordnung vom 31. Oktober 2006. BGBl. I, S. 2407. BGAG-Report 1/2008 169 Ergonomie an Montagearbeitsplätzen [2] Commissaris D., Douwes M., Schoenmaker N., de Korte E.: Recommendations for suffcient physical activity at work. In: Proceedings of the IEA 2006 Conference, Maastricht [3] DIN EN ISO 6385:2004-05: Grundsätze der Ergonomie für die Gestaltung von Arbeitssystemen (Deutsche Fassung von EN ISO 6385:2004). Beuth-Verlag, Berlin [4] DIN EN ISO 14738:2005-03: Sicherheit von Maschinen - Anthropometrische Anforderungen an die Gestaltung von Maschinenarbeitsplätzen (Deutsche Fassung von EN ISO 14738:2002 + AC:2004). Beuth-Verlag, Berlin [5] DIN 33406:1988-07: Arbeitsplatzmaße im Produktionsbereich – Begriffe, Arbeitsplatztypen, Arbeitsplatzmaße. Beuth-Verlag, Berlin [6] DIN EN 12464-1:2003-03: Licht und Beleuchtung – Beleuchtung von Arbeitsstätten – Teil 1: Arbeitsstätten in Innenräumen (Deutsche Fassung von EN 12464-1:2002). Beuth-Verlag, Berlin BGAG-Report 1/2008 170 Kommissionieren im Lebensmittelgroßhandel Ergonomische Verbesserungen beim Kommissionieren im Lebensmittelgroßhandel Klaus Schäfer, Ralf Schick, Frank Rokosch, Kathrin Schwarzmann, Hans-Peter Kany Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution, Mannheim (früher: Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft – GroLa BG)) Uwe Weiner IWS Ingenieurgesellschaft Weiner & Schröter mbH, Kamp-Lintfort 1 Einleitung In den Zentrallägern des Lebensmittelgroßhandels werden die Waren in Hochregallägern palettenweise gelagert und für die Einzelhandelsgeschäfte gemäß deren Bestellung in einzelnen Kommissionen manuell zusammengestellt. Üblicherweise werden die beiden unteren Ebenen des Hochregallagers für die Kommissionierung genutzt, während in den darüber liegenden Ebenen die eingehenden Waren zwischengelagert werden. Einen Einblick in die betrieblichen Verhältnisse derartiger Zentralläger gibt Abbildung 1. Nach verschiedenen Gefährdungsbeurteilungen für die Tätigkeit der Kommissionierer bezüglich manueller Lastenhandhabungen sind für diese Tätigkeiten präventive Maßnahmen angezeigt. Diese begründen sich einerseits auf einer großen Zahl von Hebevorgängen, die von den Kommissionierern pro Arbeitstag erbracht werden, und andererseits auf starken Rumpfneigungen beim Aufnehmen der Waren aus den hinteren Bereichen der Regale. Während die Anzahl der Lastenhandhabungen der Kommissionierer durch deren Tätigkeit bedingt ist und eine Verringerung lediglich durch eine Verkürzung der täglichen Arbeitszeit möglich wäre, sollten zumindest die ergonomischen Bedingungen bei der Warenentnahme aus den Palettenregalen verbessert werden können. Da die bestehenden baulichen Verhältnisse in den Zentrallägern üblicherweise nicht oder nur unwesentlich verändert werden können, müssen sich präventive Maßnahmen an den vorhandenen Einrichtungen orientieren. BGAG-Report 1/2008 171 Kommissionieren im Lebensmittelgroßhandel Abbildung 1: Zentrallager eines Lebensmittelgroßhandels. Die Waren für die Einzelhandelsgeschäfte werden von den Kommissionierern entsprechend der Bestellungen manuell zusammengestellt. 2 Das Palettenwendegerät Eine Möglichkeit, die ergonomischen Bedingungen zu verbessern, ist, die Paletten, nachdem diese etwa zur Hälfte abkommissioniert sind, um 180° zu drehen. Hierdurch würde das Hineinsteigen im Bereich der unteren Palettenfächer vermieden und stark nach vorne geneigte Oberkörperhaltungen könnten reduziert werden, da die Waren immer von der vorderen Palettenhälfte entnommen werden können. Um die Möglichkeiten für die technische Umsetzung eines Gerätes, das halb abkommissionierte Paletten in der unteren und in der oberen Kommissionierebene aus dem Regal entnehmen, um 180° drehen und wieder in das Regal einfahren kann, zu analysieren, wurde durch die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Als beste Lösung für ein derartiges Palettenwendegerät wurde folgendes Konzept entwickelt: An einem Gegengewichtstapler mit Hubgerüst ist ein Ausleger mit Drehrahmen angebaut. Am Hubgerüst ist zudem ein BGAG-Report 1/2008 172 Kommissionieren im Lebensmittelgroßhandel Gabelträger mit Seitenschieber und Teleskopgabeln montiert. Der Seitenschieber und die Teleskopgabeln fahren soweit aus, dass die Palette aufgenommen werden kann. Die Palette wird angehoben und aus dem Regal herausgezogen. Im Anschluss werden die Gabelzinken abgesenkt und die Palette auf dem Drehrahmen abgesetzt. Dieser dreht die Palette um 180°. Die Gabelzinken werden angehoben, die Palette wird aufgenommen und zurückgestellt. Abschließend fährt der Seitenschieber zusammen mit den Teleskopgabeln in die Ausgangsstellung zurück. Dieses System wurde im Auftrag der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft durch die Ingenieurgesellschaft Weiner & Schröter mbH (IWS) prototypisch realisiert. In Abbildung 2 ist dieser Prototyp des Palettenwendegerätes beim betrieblichen Einsatz dargestellt. Abbildung 2: Palettenwendegerät im praktischen Einsatz in einem Zentrallager eines Lebensmittelgroßhandels. Die Palette ist aus dem Regalfach entnommen, auf dem Drehrahmen abgesetzt und wird gerade gedreht. BGAG-Report 1/2008 173 Kommissionieren im Lebensmittelgroßhandel Mit Hilfe des Palettenwendegerätes können Paletten in etwa einer Minute entnommen, gedreht und wieder eingefahren werden. Die Steuerung erfolgt halbautomatisch. Der Fahrer steuert von seinem Arbeitsplatz aus alle Arbeitsabläufe mit Hilfe eines Steuerhebels. Hierbei wird er durch ein Kamera-Monitor-System bei seiner Tätigkeit unterstützt. Da das Fahrzeug direkt am Palettenregal entlang fährt, bleibt der restliche Kommissioniergang für die Kommissionierer frei. Der dargestellte Prototyp wurde mittlerweile in verschiedenen Zentrallägern auf seine Praxistauglichkeit getestet. 3 Erste praktische Erfahrungen Um die Effekte beim Einsatz des Palettenwendegerätes in der betrieblichen Praxis abschätzen zu können, wurde an der Universität Duisburg ein Palettenregal aufgebaut und die reine Kommissionierung ohne und mit Einsatz des Palettenwendegerätes durchgeführt. Diese Vorgehensweise wurde gewählt, um unter standardisierten Bedingungen die Kommissionierung und die körperliche Belastung der Kommissionierer ohne und mit Einsatz des Palettenwendegerätes erfassen zu können. Erfasst wurden die Dauern für das Kommissionieren und die Körperhaltungen beim Kommissionieren. Jede Versuchsreihe lief nach folgendem Muster ab: Von der Versuchsperson wurden nacheinander die zu kommissionierenden Kartons einzeln von der Palette entnommen und auf einem etwa zwei Meter entfernten Tisch abgelegt. Zuerst wurde eine komplette Palette abkommissioniert. Danach wurde der Versuch wiederholt, wobei nach der Hälfte der Kommissionierung die Palette aus dem Palettenfach entnommen, gedreht und wieder eingefahren wurde. Somit wurde zuerst die Kommissionierung einer kompletten Palette ohne Einsatz des Palettenwendegerätes und danach die Kommissionierung mit Einsatz des Palettenwendegerätes erfasst, wobei die Dauern für das Kommissionieren der ersten und der zweiten Palettenhälfte getrennt voneinander ermittelt wurden. Auf Basis der gemessenen Dauern für das Kommissionieren einer halben Palette wurden die Dauern für das Kommissionieren der ersten Palettenhälfte zu den Dauern BGAG-Report 1/2008 174 Kommissionieren im Lebensmittelgroßhandel für das Kommissionieren der zweiten Palettenhälfte ins Verhältnis gesetzt. Im Mittel über alle Messungen wurde für das Kommissionieren der ersten, vorderen Palettenhälfte nur etwa 70 % der Dauer für das Kommissionieren der zweiten, hinteren Palettenhälfte benötigt. Überträgt man diese Ergebnisse auf den realen Einsatz, so ist zu berücksichtigen, dass beim Kommissionieren ohne Einsatz des Palettenwendegerätes zuerst die vordere Palettenhälfte und anschließend die hintere Palettenhälfte abkommissioniert wird. Wird das Palettenwendegerät hingegen eingesetzt und die Palette nach etwa der Hälfte der Kommissionierung gedreht, so wird bis zur vollständigen Entleerung der Palette zweimal von der jeweils vorderen Palettenhälfte kommissioniert. Insgesamt errechnet sich für das Kommissionieren bei Verwendung des Palettenwendegerätes für das „reine“ Kommissionieren eine Zeitersparnis von etwa 20 % gegenüber der Dauer, die ohne Einsatz des Palettenwendegerätes benötigt wird. Weiterhin wurden auch Körperhaltungsmessungen mit Hilfe des vom Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (BGIA) entwickelten Messsystems CUELA durchgeführt. Da starke Vorneigungen des Oberkörpers und ein starkes Beugen der Knie nur beim Kommissionieren aus der unteren Palettenebene vorkommen, wurden die Körperhaltungsmessungen hierauf begrenzt. Die Messungen ergaben, dass insbesondere starke Rumpfvorneigungen und starke Kniebeugungen mit Vorneige- bzw. Beugewinkeln von 45° und mehr bei Verwendung des Palettenwendegerätes deutlich abnehmen. Getrennt von den Untersuchungen unter definierten Bedingungen an der Universität in Duisburg wurde das Palettenwendegerät auch im praktischen Einsatz in verschiedenen Mitgliedsunternehmen hinsichtlich der Praxistauglichkeit getestet. Im Rahmen einer längeren Testphase in einem Unternehmen wurden die dort beschäftigten Kommissionierer zu ihren Erfahrungen mit dem Palettenwendegerät befragt. Hierzu wurde ein standardisierter Fragebogen mit insgesamt fünf Fragen eingesetzt. Die abschließende Frage lautete dabei: „Fühlen Sie sich durch den Einsatz des Palettenwendegerätes körperlich entlastet?“ Als Antwort konnte „sehr stark“, „stark“, „teilweise“, „weniger“ und „überhaupt nicht“ gewählt werden. Die Verteilung der Antworten ist in Abbildung 3 grafisch dargestellt. BGAG-Report 1/2008 175 Kommissionieren im Lebensmittelgroßhandel Abbildung 3: Ergebnisse einer Befragung von Kommissionierern, in deren Bereich das Palettenwendegerät eingesetzt worden ist. Die Frage lautete: „Fühlen Sie sich durch den Einsatz des Palettenwendegerätes körperlich entlastet?“ 20 Anzahl der Antworten 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 sehr stark stark teilweise weniger überhaupt nicht Nach dem in Abbildung 3 dargestellten Ergebnis fühlt sich die überwiegende Mehrheit der Kommissionierer durch den Einsatz des Palettenwendegerätes körperlich entlastet. Insgesamt ergab die Auswertung der Fragebogenaktion eine überaus positive Bewertung der beteiligten Kommissionierer für den Einsatz des Palettenwendegerätes. 4 Zusammenfassung Im Lebensmittelgroßhandel werden von den Kommissionierern pro Arbeitstag große Warenmengen manuell gehandhabt. Die Aufnahme der Waren aus den hinteren Palettenbereichen ist für die Beschäftigten mit ungünstigen Körperhaltungen verbunden. Um die Arbeitsbedingungen bei der Warenentnahme zu verbessern, wurde durch die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft eine Machbarkeitsstudie und der Bau eines Palettenwendegerätes in Auftrag gegeben. BGAG-Report 1/2008 176 Kommissionieren im Lebensmittelgroßhandel Der praktische Einsatz des Palettenwendegerätes wurde in verschiedenen Lägern des Lebensmittelgroßhandels getestet. Insgesamt zeigte sich, dass das Palettenwendegerät den gestellten Vorgaben entspricht. Messungen unter standardisierten Bedingungen und eine Befragung von Kommissionierern, in deren Bereich das Palettenwendegerät eingesetzt war, ergaben, dass durch dessen Einsatz sowohl objektiv als auch subjektiv Verbesserungen für die Arbeitsbedingungen der Kommissionierer zu erwarten sind. Mit Hilfe des Palettenwendegerätes können innerhalb der vorhandenen betrieblichen Gegebenheiten und Einrichtungen die Arbeitsverhältnisse verbessert und damit erforderliche präventive Maßnahmen getroffen werden. Somit steht nunmehr neben den bereits vorhandenen Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, wie arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, Unterweisungen zum richtigen Heben, Rückenschulen usw., auch eine praktikable technische Lösung zur Verfügung, wobei im Einzelfall zu prüfen ist, inwieweit durch den Einsatz des Palettenwendegerätes organisatorische Anpassungen der Arbeitsabläufe im Betrieb erforderlich sind. BGAG-Report 1/2008 177 Ergonomie-Normung Wie kann der Zugang zur Ergonomie-Normung erleichtert werden? Anja Vomberg Kommission Arbeitsschutz und Normung – KAN, Sankt Augustin Zusammenfassung Der Normenausschusses Ergonomie hat inzwischen etwa 100 Normen erarbeitet, in denen Erkenntnisse aus der Ergonomie in Normen eingeflossen sind. Leider werden ergonomische Prinzipien trotzdem bei der Konstruktion von Produkten und auch bei der Erstellung von Produktnormen häufig noch zu wenig beachtet. Eine Ursache liegt darin, dass der Transfer des Wissens über ergonomische Erkenntnisse aus den Normen zu den möglichen Nutzern (Konstrukteure, Produktnormer) nicht gut funktioniert. Deshalb hat die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) zwei Projekte initiiert, die den Zugang zu diesen Normen erleichtern sollen: 1. Leichterer Zugang zu Informationen über die Ergonomie-Normen durch ein internetgestütztes Recherche-Tool 2. Entwicklung von Lehrmodulen für den Einsatz in der Ausbildung von Konstrukteuren Das Recherche-Tool ErgoNoRA (www.nora.kan.de) bietet Informationen zu über 300 Normen. Die Inhaltsverzeichnisse der Normen sind kostenfrei abrufbar. Die Lehrmodule werden zurzeit in einer KAN-Studie entwickelt und umfassen fünf modular aufgebaute Lehreinheiten à 90 Minuten. 1 Situation der Ergonomie-Normung Der Normenausschuss Ergonomie (NAErg) hat laut eigener Beschreibung als Querschnittausschuss die Aufgabe, die „Normungsarbeiten bezüglich der grundlegenden und fachübergreifenden ergonomischen Anforderungen auszuführen“. In den Arbeitsbereich des NAErg fallen etwa 100 Normen, in denen Erkenntnisse aus der Ergonomie in Normen mit Basischarakter eingeflossen sind. Der Anteil der rein nationalen BGAG-Report 1/2008 178 Ergonomie-Normung Normen (Stand September 2007) hat inzwischen stark abgenommen und beläuft sich nur noch auf 18 DIN-Normen. Ebenso viele (18) sind auf deutscher Ebene übernommene europäische Normen. Der überwiegende Teil hingegen sind DIN EN ISONormen (63), was das Bestreben zeigt, verstärkt auch Ergonomie-Normen auf internationaler Ebene zu erstellen. Die Struktur der Unterausschüsse des NAErg spiegelt klassische Bereiche der Ergonomie wider: Ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen und Produkten Grundlagen zur Barrierefreiheit Körpermaße und Körperkräfte Mensch-Maschine-Schnittstelle und Gebrauchstauglichkeit Ergonomie der physikalischen Arbeitsumgebung (z.B. Hitze, Kälte, Beleuchtung). 2 Anwendung von Ergonomie-Normen Die Normen des NAErg haben Querschnittscharakter. Das in den Normen enthaltene Wissen kann zum einen direkt von Konstrukteuren bei der Konstruktion spezifischer Produkte angewendet werden (z.B. Körpermaßdaten). Zum anderen ist eine wesentliche Zielsetzung dieser Normen, dass Normungsexperten bei der Erstellung spezifischer Produktnormen auf Ergonomie-Normen zurückgreifen und so der aktuelle Kenntnisstand im jeweiligen Bereich der Ergonomie für einzelne Produkte oder Produktgruppen Anwendung findet. Die Einbeziehung der Ergonomie bei der Produktgestaltung wird explizit durch einige EG-Richtlinien gefordert (insbesondere im Bereich Maschinen und Persönliche Schutzausrüstungen). Die Anwendung ergonomischer Prinzipien bei der Konstruktion von Produkten muss von der Gesetzeslage her nicht unbedingt über Normen erfolgen. Jedoch ist es für Konstrukteure und auch für die Verfasser von Produktnormen ein sicherer und einfacher Weg, den aktuellen Stand des Wissens durch Anwendung von Ergonomie-Normen einzubeziehen. Was aber, wenn diese beiden Haupt-Zielgruppen teilweise gar keine Kenntnis von diesen Normen haben? In der BGAG-Report 1/2008 179 Ergonomie-Normung Realität werden ergonomische Prinzipien leider trotzdem bei der Konstruktion von Produkten und auch bei der Erstellung von Produktnormen häufig noch viel zu wenig beachtet. Die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) hat nach Wegen gesucht, um zumindest den Transfer des Wissens über ergonomische Erkenntnisse aus den Normen zu den möglichen Nutzern zu verbessern. 3 Wie kann der Zugang zu Ergonomie-Normen erleichtert werden? Die KAN hat zwei Projekte initiiert, die den Zugang zu Ergonomie-Normen erleichtern sollen: 1. Entwicklung des internetgestützten Recherche-Tools ErgoNoRA, welches den Zugang zu Informationen über die Ergonomie-Normen erleichtern soll. 2. Entwicklung von Lehrmodulen, die in der Ausbildung von Konstrukteuren eingesetzt werden sollen. zu 1. Internetgestütztes Recherche-Tool ErgoNoRA Auf der Basis des schon vorhandenen Recherche-Tools „NoRA“ (www.nora.kan.de) wurde das Recherche-Tool ErgoNoRA (www.nora.kan.de/ergo) speziell für Normen aus dem Bereich der Ergonomie entwickelt. ErgoNoRA bietet Informationen zu über 300 Normen. Das Tool enthält nicht nur Normen des NAErg, sondern auch Normen von anderen Normenausschüssen, wenn diese ergonomische Erkenntnisse in größerem Umfang beinhalten. Neben den auch in NoRA verfügbaren Suchmöglichkeiten wie z.B. über Anwendungsfelder, Gefährdungen und allgemeine Suchbegriffe sind als Besonderheit in ErgoNoRA die Inhaltsverzeichnisse der Normen kostenfrei abrufbar. Hierbei handelt es sich um elektronisch erzeugte Inhaltsverzeichnisse, die zum Teil (betrifft insbesondere DIN EN-Normen) einen höheren Detaillierungsgrad als die realen Inhaltsverzeichnisse der Normen aufweisen. Dadurch können die einzelnen Kapitelüberschriften bei der Suche nach konkreten ergonomischen Sachverhalten behilflich sein. Ein Beispiel ist die Norm DIN 33402-2 („Ergonomie - Körpermaße des Menschen Teil 2: Werte“) aus dem Bereich der Körpermaße (Anthropometrie), deren Inhaltsver- BGAG-Report 1/2008 180 Ergonomie-Normung zeichnis dem Nutzer ermöglicht zu recherchieren, ob ein konkret benötigter Wert wie z. B. die Zeigefingerlänge auch wirklich in der Norm behandelt wird. Über eine reine Schlagwortsuche wäre es nicht möglich zu ermitteln, ob in dieser Norm dieses konkrete Maß behandelt wird. In der Norm DIN EN 12852 (Nahrungsmittelmaschinen Vertikalkutter und Mixer - Sicherheits- und Hygieneanforderungen) kann über das Inhaltsverzeichnis sogar erschlossen werden, welche Gefährdungen tatsächlich in der Norm behandelt werden (Abbildung1 und Abbildung 2). Abbildung 1: Detaillierungsgrad des Original-Inhaltsverzeichnisses der DIN EN 12852 (Auszug) Im Vergleich dazu listet das elektronisch erzeugte Inhaltsverzeichnis aus DIN EN 12852 in ErgoNoRA (Auszug) die in Unterabschnitten behandelten Gefährdungen einzeln auf: BGAG-Report 1/2008 181 Ergonomie-Normung Abbildung 2: Detaillierungsgrad des in ErgoNoRA erzeugten Inhaltsverzeichnisses von DIN EN 12852 zu 2. Lehrmodule für die Ausbildung von Konstrukteuren Die Gestaltung von Produkten kann im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheit durch die Anwendung von Normen aus dem Bereich der Ergonomie verbessert werden. Damit die Normen aus diesem Bereich in stärkerem Maß als bisher bei der Konstruktion angewendet werden, müssten die Ingenieure/Konstrukteure aber wissen, dass es solche Normen gibt und was darin zu finden ist. Es ist notwendig, den Wissenstransfer bezüglich Existenz und Inhalte der Ergonomie-Normen bereits in der Ausbildung der Ingenieure/Konstrukteure zu verstärken. In Beratungen mit Hochschullehrern der Fachrichtung Konstruktionslehre wurde deutlich, dass bisher der Aspekt der Ergonomie in der Ausbildung von Ingenieuren und insbesondere von Konstrukteuren nur am Rande behandelt wird bzw. entsprechende Veranstaltungen nur optional angeboten werden. Die Erarbeitung eines Vor- BGAG-Report 1/2008 182 Ergonomie-Normung lesungsmoduls (ggf. später auch auf der Basis einer E-Learning-Plattform) durch Experten der Ergonomie und Konstruktionslehre soll hier Abhilfe schaffen. Durch Zusammenstellung und Aufbereitung der Inhalte in Modulform könnte auch die Bereitschaft gefördert werden, diese Aspekte in den Vorlesungsstoff aufzunehmen. Ziel einer aktuellen KAN-Studie („Entwicklung von Lehrmodulen für die Berücksichtigung ergonomischer Aspekte in der Ausbildung von Konstrukteuren“) ist die Erarbeitung von entsprechenden Lehrmodulen. Diese sind für die selbständige Nutzung durch Dozenten der Konstruktionslehre an Hochschulen und Universitäten mit Schwerpunkt Maschinen- und Anlagenbau vorgesehen, an denen die Fächer Ergonomie bzw. Arbeitswissenschaft nicht oder nicht mehr angeboten werden. Zurzeit (Stand Oktober 2007) werden fünf modular aufgebaute Lehreinheiten à 90 Minuten erarbeitet. Folgende Struktur ist geplant: Abb. 3: Modulstruktur für die Lehrmodule für die Berücksichtigung ergonomischer Aspekte in der Ausbildung von Konstrukteuren Da die Lehrmodule von im weiteren Sinn fachfremdem Lehrpersonal zur Ergänzung der eigenen Lehrangebote eingesetzt werden sollen, darf die angebotene inhaltliche BGAG-Report 1/2008 183 Ergonomie-Normung Tiefe von Ergonomiefachwissen nicht zu hoch angesetzt werden. Die Module sollen Lösungen für Probleme aufzeigen, die auftreten können, wenn bei der Konstruktion ergonomische Aspekte nicht beachtet werden. Der Inhalt wird so aufbereitet sein, dass der Nutzen der Implementierung von ergonomischen Erkenntnissen verdeutlicht wird. Eine Erprobung der Module in der Praxis wird noch vor dem Abschluss des Projekts durchgeführt. 4 Weitere Ursachen fehlender Beachtung ergonomischer Aspekte in Produktnormen und Produkten Die bisher besprochenen Projekte zeigen zwei Wege auf, um das Wissen aus Ergonomie-Normen leichter zugänglich zu machen. Neben der Unkenntnis über die Existenz und die Inhalte der Normen existieren noch weitere Gründe, warum ErgonomieNormen nicht das Maß an Anwendung finden, welches aus Sicht des Arbeitsschutzes sinnvoll wäre. Ein Problem der Ergonomie-Normung ist, dass zumindest in einigen Bereichen praxistaugliche übergeordnete Normen fehlen. Beispielhaft sei hier der Bereich der Anthropometrie erwähnt. In diesem Bereich fehlen übergeordnete Normen, die die häufig in der Normung und Konstruktion benötigten Körpermaße zumindest auf europäischer, besser noch auf internationaler Ebene verfügbar machen. In einer anderen Studie der KAN werden zurzeit Empfehlungen zum weiteren Vorgehen auf der Grundlage einer breit angelegten Analyse für den Bereich der Anthropometrie-Normung erarbeitet. In manchen Fällen sind in Produktnormen vorbildhaft ergonomische Inhalte integriert. Der Grund hierfür kann darin liegen, dass Ergonomen direkt an der Erarbeitung im Normungsgremium beteiligt waren. Auch dieses ist eine wünschenswerte Variante, um ergonomische Prinzipien stärker in Produktnormen zu verankern, die aber in der Praxis oft nur schwer realisierbar ist. Allerdings könnte die Dringlichkeit der Mitarbeit von Ergonomen künftig dadurch entschärft werden, dass Ergonomie-Normen besser zugänglich sind und übergeordnete, praxistaugliche Normen zur Verfügung stehen. Als Hilfsmittel bietet die KAN hierzu die vorgestellten Werkzeuge (ErgoNoRA und Lehrmodule) an. Daneben setzt sich die KAN in Stellungnahmen zu Norm-Entwürfen für eine höhere Praxistauglichkeit von Ergonomie-Normen ein und gibt Empfehlungen, wie die Ergonomie-Normung besser strukturiert werden kann. BGAG-Report 1/2008 184 Anforderungen an PC-Eingabemittel Ergonomische Anforderungen an PC-Eingabemittel Ulrike Hoehne-Hückstädt, Sandra Keller, Rolf Ellegast BGIA – Institut für Arbeitsschutz, Sankt Augustin Zusammenfassung Intensive Computerarbeit und die damit zusammenhängende Benutzung von diversen Eingabemitteln können zu Beschwerden im Muskel-Skelett-System der Hand, des Armes, der Schulter und/oder des Nackens führen, insbesondere wenn bereits schmerzhafte Erkrankungen der oberen Extremität anderer Ursache vorliegen. In diesem Fall sollen ergonomisch gestaltete Eingabemittel helfen, Belastungen zu reduzieren und das Auftreten weiterer Beschwerden bei der Bedienung von Eingabemitteln zu vermeiden. Um über die Normen hinausführende Informationen zu erhalten und mit dem Ziel Empfehlungen und Beurteilungskriterien bezüglich der ergonomischen Gestaltung von Eingabemitteln abzuleiten, initiierte die VerwaltungsBerufsgenossenschaft (VBG) eine Literaturstudie. Es wurde eine umfangreiche Recherche internationaler Literatur gestartet. Ergebnisse konnten zu den Themen Tastatur, Maus, Trackball, Griffel mit Tablettnutzung und Hand-/Armauflage zusammengestellt werden. Außerdem wurde für die Tastatur und Maus eine Checkliste nach biomechanischen und physiologischen Kriterien erstellt, um bei auftretenden Beschwerden eine Hilfe zur ergonomischen Beurteilung und Verbesserung des Arbeitsplatzes bezüglich der Wahl der Eingabemittel zur Verfügung zu stellen. 1 Einleitung Mit der Entwicklung und dem zunehmendem Einsatz von Computern in der Informationsverarbeitung wandelte sich die Arbeitswelt. 62 % aller Arbeitnehmer benutzen Computer [1]; dabei arbeiten sie bis zu 6 h/Tag mit dem Computer und 2/3 (bis zu 4h) dieser Zeit verwenden sie auf die Bedienung von Eingabemitteln [2]. Mit diesen Veränderungen wuchs die Erkenntnis, dass auch sogenannte „leichte Arbeit“ physische Beanspruchungen darstellen und entsprechende körperliche Beschwerden ausBGAG-Report 1/2008 185 Anforderungen an PC-Eingabemittel lösen und insbesondere vorbestehende Erkrankungen verschlimmern können. Daher wurde es auch im Bereich der Bildschirmarbeit notwendig, die Ergonomie dieser zahlreichen Arbeitsplätze und der dort eingesetzten Arbeitsmittel beurteilen zu können. Der Fokus der hier vorgestellten Arbeit liegt auf den Eingabemitteln, d.h. den benutzergesteuerten Geräten, die zu einem System Informationen übermitteln. Trotz existierender Normen fehlen bezüglich der Körperhaltung und biomechanischen Belastung konkretisierte Anforderungsprofile für die praktikable Prüfung von Eingabemitten. So finden sich in den Anhängen zu den Normen ausführliche Informationen zu Prüfungsmöglichkeiten und Bewertung der Gebrauchstauglichkeit, der Effizienz und Effektivität und der Benutzerfreundlichkeit, während in der Einleitung zu zusätzlichen Bewertungsverfahren hervorgehoben wird, dass die Experten vorbehaltenen Verfahren wie Analysen der Körperhaltung und Messungen der biomechanischen Belastung erwähnt seien, um Forschung auf diesen Gebieten anzuregen. Wünschenswert als Ergebnis dieser Forschung wäre, dass weitere Hinweise für die ergonomische Gestaltung von Eingabemitteln angeboten werden könnten. Tatsächlich haben in den letzten Jahren arbeitswissenschaftliche Untersuchungen von Eingabemitteln unter Verwendung auch der o.g. Methoden stattgefunden, deren Ergebnisse in der von der VBG initiierten Literaturstudie zusammengestellt und ausgewertet werden sollten. Ziel war es, einen Kriterienkatalog zur Ergonomie von Eingabemitteln für Geräte der Informationstechnik aufzustellen, der in eine Checkliste für die Anwendung durch Arbeitsmediziner und Arbeitsplatzgestalter aufgenommen werden könnte. 2 Methodik Es wurde eine internationale Literaturrecherche durchgeführt und zunächst vorhandene Normen, Checklisten und Guidelines ermittelt (Tabelle 1). BGAG-Report 1/2008 186 Anforderungen an PC-Eingabemittel Tabelle 1: Normen, Checklisten und Guidelines Norm/Checkliste Inhalt: Eingabemittel Norm ISO 9241-400 [3] Eingabegeräte allgemein Norm DIN EN ISO 9241-4 [4] Tastatur Norm DIN EN ISO 9241-5 [5] Hand-/ Armauflage Norm DIN EN ISO 9241-9 [6] verschiedene Eingabemittel außer Tastatur Norm ISO/DIS 9241-410 [7] verschiedene Eingabemittel Arbeit mit dem Bildschirm [8] Tastatur, Maus Bildschirm- und Büroarbeitsplätze. (BGI 650) [9] Tastatur, Maus Guidelines to the selection and purchase of workstation furniture and equipment. [10] Tastatur, Maus Health and safety regulations. Workstation risk assessment questionnaire. [11] Tastatur Ergonomics for the Prevention of MSDs. [12] Tastatur Guidelines on office ergonomics [13] verschiedene Eingabemittel Dann wurde die weitere Recherche auf wissenschaftliche Studien der letzten zwanzig Jahre in englischer und deutscher Sprache beschränkt. Als Suchbegriffe wurden in englisch und deutsch verschiedene Eingabemittel und deren Kombinationen mit Computer, Büro Arbeitsplatz, (Daten-)Eingabegeräte, Ergonomie, Peripheral Equipment, Tastaturneigung, (alternatives) Computerdesign, Belastung, Performance und Vergleich verwendet. Bei Suchresultaten von mehr als 1000 Artikeln wurde die Sucheingabe verfeinert, ansonsten wurden die Ergebnisse durchgeschaut, die Kurzfassungen der Artikel gelesen und schließlich über die Aufnahme der Literaturstelle in die Studie entschieden. Für eine fundierte Auswertung wurden allerdings nur für Tastatur, Maus und Trackball geeignete Studien in ausreichender Anzahl gefunden. Für Griffel mit Tablettnutzung konnten zwar nur wenige, jedoch für das Thema der Literaturstudie geeignete Artikel gefunden werden. Demgegenüber gibt es zwar eine Vielzahl Veröffentlichungen zu Berührungsbildschirmen und Joysticks, der größte Teil beschäftigt sich aber mit Tätigkeiten, die am Büroarbeitsplatz nicht ausgeführt BGAG-Report 1/2008 187 Anforderungen an PC-Eingabemittel werden. Außerdem stellte sich bei der Sichtung der Literatur zu Tastatur und Maus heraus, dass die Hand- bzw. Armauflage eine wichtige Rolle in der ergonomischen Gestaltung des Gesamtarbeitsplatzes spielt und entsprechend die ergonomische Beurteilung eines Eingabemittels hiervon stark beeinflusst wird. Daher wurde dieses Thema mit entsprechenden Schlagwörtern in die Literaturrecherche aufgenommen. Kriterium für die Gewichtung eines Artikels war auf der ersten Ebene die Relevanz des untersuchten Gegenstandes. Studien, deren Inhalt keine Informationen zum Thema „Ergonomische Anforderungen an Eingabemittel für Geräte der Informationstechnik“ lieferten, werden im vorliegenden Bericht nicht erwähnt. Auf der zweiten Ebene wurden die verbliebenen Studien nach sechs weiteren Kriterien beurteilt, nämlich der Probandenzahl, der Art und Weise der Datenerfassung, dem Untersuchungsplan, der im Test ausgeführten Tätigkeit, dem Vorhandensein einer Kontrollgruppe bzw. Vergleichsgruppe und einer nachvollziehbaren statistischen Auswertung. Für die einzelnen Kriterien wurden die Bedingungen, unter denen sie als erfüllt galten, formuliert und anhand dieser sechs Kriterien wurden die Studien mit einer Bewertung von 1 (nicht so gut) bis 3 (sehr gut) versehen. Dabei wurde eine 3 vergeben, wenn alle sechs Kriterien, eine 2, wenn mindestens 3 Kriterien und eine 1, wenn weniger als 3 Kriterien zufriedenstellend erfüllt wurden. Eine weniger gute Bewertung eines Artikels schloss allerdings nicht aus, dass dessen Informationen trotzdem verwendet wurden, insbesondere bei den Themengebieten, für die eine geringe Zahl an Studien gefunden worden waren. Das eingeführte Bewertungsverfahren soll lediglich helfen, die Gewichtung der entsprechenden Informationen nachvollziehbar einzuschätzen. 3 Ergebnisse Im Folgenden wird anhand der Eingabemittel Tastatur und Maus die Vorgehensweise in dieser Studie exemplarisch dargestellt. Zunächst werden die Angaben aus ermittelten Normen, Checklisten und Guidelines (Tabelle 1) dargestellt. BGAG-Report 1/2008 188 Anforderungen an PC-Eingabemittel 3.1 Tastatur – Ergebnisse aus Normen, Checklisten und Guidelines Tastaturneigung Das englische Health and Safety Executive (HSE) empfiehlt, dass die Tastatur prinzipiell neigbar sein soll [11]. Darüber hinaus werden in Normen und verschiedenen Checklisten konkrete Neigungswinkelbereiche als Sollwerte angegeben. Danach soll die positive Neigung zwischen 0° und 15° [4; 7; 10; 11; 12] bzw. zwischen 0° und 10° [8] liegen, wobei zusätzlich in den Normen DIN EN ISO 9241- 4 und ISO/DIS 9241410 der empfohlene Bereich auf 5° - 12° beschränkt wird [4; 7]. Tastaturhöhe Zur Tastaturhöhe fanden sich Empfehlungen, dass die Tastatur möglichst niedrig und nicht höher als 30 mm sein sollte. Darüber hinaus erlauben die DIN EN ISO 9241-4 und ISO/DIS 9241-410 in Abweichung von den übrigen Normen und Checklisten eine maximale Höhe der Tastatur bis 35 mm [4; 7]. Tastaturgröße Bezüglich einer zu bevorzugenden Tastaturgröße konnten nur in ISO/DIS 9241-410 vage Formulierungen mit appellativem Charakter gefunden werden [7]. So soll für den Fall, dass neben der Tastatur außerdem eine Maus verwendet wird, die Tastatur auf der entsprechenden Seite möglichst kurz sein. Bei einer Arbeitsfläche von geringerer Tiefe, also mit wenig Platz zwischen Tastatur und Bildschirm, sollte die Tastatur auch eine möglichst geringe Bautiefe aufweisen. Tastenweg Als tolerable Werte für den Tastenweg werden in entsprechenden Normen und Checklisten Werte von 1,5 – 6 mm, mit einem Optimum zwischen 2 - 4 mm angegeben [4; 7; 9]. Tastenwiderstand In DIN EN ISO 9241-4 und ISO/DIS 9241-410 wird für die Kraft, die zur Überwindung des Tastenwiderstandes aufgebracht werden muss, außer dem Toleranzbereich von 0,25 - 1,5 N der Idealbereich von 0,5 - 0,8 N definiert. BGAG-Report 1/2008 189 Anforderungen an PC-Eingabemittel Für die Kraft, die für den Anfangswiderstand aufgewendet wird, gilt, dass sie 25 - 75 % von der bis zum Auslösepunkt aufzubringenden betragen muss [4; 7]. 3.2 Maus – Ergebnisse aus Normen, Checklisten und Guidelines In den Normen und Checklisten werden bezüglich der Form des Mausgehäuses die Empfehlungen sehr vage ausgesprochen. Größe, Design und Tastenpositionen sollen eine entspannte, bequeme Handhaltung erlauben [10] bzw. eine verkrampfte Handhaltung verhindern [12]. Die Finger sollten ohne große Abweichung von der Neutralhaltung die Tasten betätigen können [6]. Die Maus sollte für den Gebrauch mit der rechten und der linken Hand benutzbar sein [7; 9; 12]. Im Gesamtarbeitsplatzkonzept soll die Position der Maus so gewählt werden, dass sie auf derselben Höhe wie die Tastatur liegt und bedient werden kann, ohne dass eine Abduktion des Armes oder ungünstige Handgelenkshaltungen auftreten. Für die erforderliche Kraft zur Tastenbetätigung gelten ähnliche Grenzwerte wie bei der Tastatur von 0,5 - 1,5 N [7], die Weglänge sollte im Bereich von 0,5 – 6 mm liegen [6; 7; 13]. Es wird angenommen, dass eine Mausbetätigung eine Kraftanstrengung von nicht mehr als 1 % der max. Fingerkraft erfordert [7]. Referenzwerte bezüglich dieser Maximalkraft wurden nicht angegeben. 3.3 Tastatur – Ergebnisse aus der Literatur Insgesamt wurden 27 Studien, die sich mit ergonomischen Anforderungen bei der Benutzung einer Tastatur beschäftigten, ausfindig gemacht; davon erhielten 2 die Bewertung 1, 16 die Note 2 und 6 eine 3 (s. unter Methodik). Als ergonomisch problematisch wurden ungünstige Hand- und Armhaltungen bei der Benutzung der Tastatur angesehen; beobachtet wurden 8° - 20° für die Streckung im Handgelenk, 10° – 20° für die Abduktion in Richtung Kleinfinger (Ulnarduktion) und ca. 80° für die Unterarmumwendung, sodass die Handflächen bodenwärts gerichtet sind: BGAG-Report 1/2008 190 Anforderungen an PC-Eingabemittel Die berichteten gesundheitlichen Probleme scheinen ihre Ursachen unter anderem in der Abweichung der Handhaltung von der Neutralstellung zu haben [27]. Maßnahmen, während der Tastaturnutzung eine annähernd neutrale Handstellung zu erreichen, können folgende sein: Reduzierung der Extension: negative Neigung der Tastatur oder Erhöhung des Handgelenkes über das Niveau des Ellbogens (Abbildung 1) Abbildung 1: Schematische Darstellung und Beispiel für negative Neigung der Tastatur Reduzierung der Ulnarduktion: Trennen und Auswärtsdrehen der Tastaturhälften (Abbildung 2) BGAG-Report 1/2008 191 Anforderungen an PC-Eingabemittel Abbildung 2: Schematische Darstellung und Beispiel für Trennen und Auswärtsdrehen der Tastaturhälften Reduzierung der Pronation: laterale Neigung der Tastaturhälften (Abbildung 3). Abbildung 3: Schematische Darstellung und Beispiele für laterale Neigung der Tastaturhälften BGAG-Report 1/2008 192 Anforderungen an PC-Eingabemittel 3.4 Maus – Ergebnisse aus der Literatur Hinweise für die ergonomischen Anforderungen an eine Maus und Empfehlungen zu ihrer Benutzung enthielten 35 Literaturstellen; 4 wurden als sehr gut (1), 21 als gut (2) und 7 als weniger gut (3) bewertet. Nach Angaben aus der Literatur gebrauchen 97 % der ComputernutzerInnen abhängig von ihrem Arbeitsbereich während etwa 25 % bis zu über 33 % der Arbeitszeit die Maus. Angaben über die Abweichungen der Haltungen der Hand und des Armes von der Neutralstellung fielen in den verschieden Studien sehr unterschiedlich aus, und die größeren individuellen Unterschiede bei der Nutzung einer Maus werden immer wieder hervorgehoben. So konnten Streckungen im Handgelenk im Bereich von 15° 30°, Handgelenksbewegung in Richtung Kleinfinger von 5° - 18°, Beugungen im Schultergelenk bis 30° und seitliches Abspreizen des Oberarms (Abduktion) bis 30°, teils sogar über 40°, oft verbunden mit einer Auswärtsdrehung von 5° - 45°, ermittelt werden. Insbesondere fällt also eine höhere Oberarm-Abduktion und -Auswärtsdrehung bei der Mausbenutzung auf, die vor allem bei kombinierter Verwendung mit der Tastatur als Eingabemittel hervorgerufen wird und sich folgendermaßen erklären lässt: Der alpha-numerische Bereich einer konventionellen Tastatur ist 283 mm lang. Mit einem numerischen Block von 150 mm, der meist fest in die Tastatur integriert ist, vergrößert sie sich auf 433 mm. Liegt die Maus rechts von der Tastatur ergibt sich bei einer durchschnittlichen Schulterbreite von knapp 400 mm bei den Männern und 350 mm bei den Frauen automatisch eine Zwangshaltung bezüglich einer OberarmAbduktion verbunden meist mit einer Oberarm-Außenrotation [14]. Zur Verbesserung der Hand- und Armhaltung bei einer Mausbenutzung sind verschiedene Interventionen möglich und folgende in den recherchierten Studien untersucht worden: alternatives Mausdesign Abbildung 4 zeigt einige Beispiele, welche Ideen zur veränderten Gestaltung des Mausgehäuses existieren, um günstigere Hand- und Fingerhaltungen zu unterstützen oder eine bessere Anpassung an die individuelle Handform und -größe zu ermöglichen. BGAG-Report 1/2008 193 Anforderungen an PC-Eingabemittel Abbildung 4: Beispiele für veränderte Gestaltung des Mausgehäuses verbesserte Positionierung der Maus Mausbenutzung wechselweise mit der rechten und linken Hand wechselnde Arbeitstechniken. 4 Diskussion Wie die dargestellten Ergebnisse zeigen, konnten physiologisch/biomechanisch basierte Kriterien zu ergonomischen Anforderungen an Eingabemittel abgeleitet werden. Allerdings ergaben sich gegensätzliche Empfehlungen aus der Literatur gegenüber den Angaben in den Normen oder die Umsetzung der Empfehlungen führte zu Problemen in der ergonomischen Gesamtkonzeption des Arbeitsplatzes. So steht beispielsweise die Empfehlung, die Tastatur negativ zu neigen, im Widerspruch zu den angegebenen Neigungswinkeln der Norm. Tatsächlich erfordert die negative Neigung dann auch eine niedrigere Einstellung des Arbeitstisches oder eine erhöhte BGAG-Report 1/2008 194 Anforderungen an PC-Eingabemittel Sitzposition, die wiederum weitere Anpassungen wie z. B. eine Fußstütze notwendig machen können. Diese Veränderungen bedingen weiterhin eine ungünstigere Haltung bei anderen Tätigkeiten wie der Betätigung der Maus oder handschriftliches Notieren. Daher müssen die Empfehlungen zur ergonomischen Gestaltung von Eingabemitteln die individuellen Benutzungsweisen, die zu erfüllenden Arbeitsaufgaben und eventuell vorbestehende gesundheitliche Probleme berücksichtigen. 5 Schlussfolgerungen Als Konsequenz aus der vorhergehenden Diskussion wurde eine Checkliste (vgl. Abbildung 5) entwickelt, für deren Nutzung eine konkrete Vorgehensweise vorgeschlagen wird. Abbildung 5: Auszug aus der Checkliste Das erfasste Beschwerdebild und die Arbeitsplatzanalyse dienen der Identifikation des Problems, wie es in der ersten Spalte der Checkliste angegeben ist. In der Spalte mit dem Titel „Maßnahmen“ finden sich Lösungsvorschläge und unter der Rubrik „Bemerkungen“ Hinweise zu den individuell und Arbeitsplatz bedingten Besonderheiten, welche dabei zu berücksichtigen sind. Die Wirksamkeit der Maßnahmen sollte nach einer angemessenen Eingewöhnungszeit überprüft werden. BGAG-Report 1/2008 195 Anforderungen an PC-Eingabemittel Alle Ergebnisse der Literaturrecherche und -auswertung liegen als BGIA-Report 3/2008 "Ergonomische Anforderungen an Eingabemittel für Geräte der Informationstechnik" vor. Der Report kann im Internet unter der Adresse http://www.dguv.de/bgia/de/index.jsp Webcode d17333, heruntergeladen werden. Literaturverzeichnis [1] Lassen, C.F.; Mikkelsen, S.; Kryger, A.I.; Andersen, J.H.: Risk factors for persistent elbow, forearm and hand pain among computer workers. Scand J Work Environ Health 31 (2005), S. 122-131 [2] Luttmann, A.; Kylian, H.; Schmidt, K.; Jäger, M.: Feldstudie zu Muskelbeanspruchung und Beschwerden bei ganztägiger Büroarbeit. Ergo Med, 5 (2003), S. 149-155 [3] ISO 9241-400: Ergonomics of human-system interaction - Part 400: Principles and requirements for physical input devices. ISO TC 159/SC 4, 2006 [4] DIN EN ISO 9241-4: Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten – Teil 4: Anforderungen an die Tastatur. Beuth, Berlin 1999 [5] DIN EN ISO 9241-5: Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten – Teil 5: Anforderungen an Arbeitsplatzgestaltung und Körperhaltung. Beuth, Berlin 1999 [6] DIN EN ISO 9241-9: Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten – Teil 9: Anforderungen an Eingabemittel – ausgenommen Tastaturen. Beuth, Berlin 2002 [7] ISO/DIS 9241-410: Ergonomics of human system interaction –– Part 410: Design criteria for physical input devices. ISO TC 159/SC 4/WG 3, 2006 [8] Krueger, H.: Arbeit mit dem Bildschirm. Kapitel IV – 9.2.1. S. 1-42 aus Konietzko, J.; Dupuis H.: Handbuch der Arbeitsmedizin. 9.Erg.Lfg. ecomedVerlagsgesellschaft, 2002 BGAG-Report 1/2008 196 Anforderungen an PC-Eingabemittel [9] Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen – Leitfaden für die Gestaltung. BGI 650. Hrsg.: Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), BC Verlags- und Mediengesellschaft, Wiesbaden 2004 [10] Guidelines to the selection and purchase of workstation furniture and equipment. Hrsg.: Human Resource Management Division (HRM), Hamilton, New Zealand. http://www.waikato.ac.nz/hrm/internal/policy/purchase.html. 3.11.2003 [11] Workstation risk assessment questionnaire – health and safety (display screen equipment) regulations 1992. Hrsg.: Health and Safety Executive (HSE), London. http://www.hse.gov.uk/lau/lacs/16-1.htm. 7.10.2003 [12] Ergonomics for the prevention of musculoskeletal disorders. Hrsg.: Swedish National Board of Occupational Safety and Health. Solna, Schweden 1998 [13] Guideline on office ergonomics, CSA-Z412. Hrsg.: Canadian Standards Association (CSA) International. Toronto, Kanada 2000 [14] Çakir, A.: RSI oder Mausarm – ein Standard macht krank! ComputerFachwissen 9 (2004), S. 4-8 Die vollständige Liste der im Rahmen der Arbeit recherchierten und ausgewerteten Literatur kann bei der Autorin erfragt werden bzw. im BGIA-Report (mit deutschen Inhaltsangaben) nachgelesen werden. BGAG-Report 1/2008 197 Checkliste Internetseiten Checkliste zur Beurteilung von Internetseiten Marlen Hupke BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit, Dresden Zusammenfassung Das Internet wird in Deutschland inzwischen von über der Hälfte der Bevölkerung genutzt und ist nicht zuletzt auch für Firmen und öffentliche Einrichtungen zu einer Plattform geworden, auf der sie ihre Angebote und Leistungen kommunizieren. Die hohe Nutzerzahl führt dazu, dass die Internetseite vielfach den ersten näheren Kontakt mit einer Firma oder einer Institution darstellt. Eine nutzerfreundliche Gestaltung der Inhalte, die es dem Nutzer ermöglicht schnell Inhalte zu erfassen und ihn motiviert möglichst viele Inhalte aufzunehmen, wird daher immer wichtiger. Die Nutzerfreundlichkeit von Internetseiten kann mit verschiedenen Verfahren beurteilt werden. Eine solche Beurteilung war Bestandteil des Projektes „Evaluation berufgenossenschaftlicher Informations- und Kommunikationsmittel“, das wiederum als Teilprojekt von „Qualität in der Prävention“ durchgeführt wurde, in dem die Qualität berufgenossenschaftlicher Präventionsmaßnahmen insgesamt beurteilt wurde. Im Rahmen dieser Beurteilung wurde mit einer Checkliste ein Instrument entwickelt, das es möglichst einfach machen sollte, sich einen Überblick über positive Aspekte und Verbesserungspotential einer Internetseite zu verschaffen. Die Checkliste wurde eingesetzt, um die Internetauftritte von zwei Berufsgenossenschaften (BGen) zu beurteilen. Die Checkliste sowie die Ergebnisse der Beurteilung der beiden BG-Seiten werden vorgestellt. BGAG-Report 1/2008 198 Checkliste Internetseiten 1 Theoretischer Hintergrund Bei der Nutzung einer Internetseite laufen viele verschiedene Prozesse ab. Es müssen relevante Aspekte einer Seite wahrgenommen, verarbeitet und bewertet werden, um letztlich neue Wissensinhalte zu gewinnen. Aus psychologischer Sicht sind dabei vor allem die Wahrnehmung und die Informationsverarbeitung von Bedeutung. Aus gestalterischer und technischer Sicht ist beispielsweise die Zugänglichkeit der Internetseite auch mit einfacher Computerausstattung, die einheitliche Darstellung der zu vermittelnden Inhalte oder auch die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit dem Seitenbetreiber von Interesse. Die psychologischen Aspekte von Nutzerfreundlichkeit standen beim Projekt im Fokus und sollen näher erläutert werden. 1.1 Wahrnehmungspsychologische Grundlagen Der Wahrnehmungsprozess lässt sich in drei Phasen aufteilen (Zimbardo, 1996): Empfinden Organisieren Identifizieren und Einordnen. Das Empfinden bezeichnet Prozesse der physikalischen Reizaufnahme. So wird zum Beispiel durch das Ohr ein Geräusch in Form von Schwingungen aus der Umgebung aufgenommen. Die Signale werden umgewandelt und an das Nervensystem weitergeleitet. Ein Höreindruck entsteht erst durch Wahrnehmungsprozesse im Gehirn. Auch das Auge liefert nicht das Bild der Umwelt, das der Mensch letztlich vor sich sieht. Es liefert Millionen kleiner Bildpunkte, die durch die Erregung von ebenso vielen Nervenzellen erzeugt werden. Durch das Empfinden kann sich das Gehirn also nur ein sehr allgemeines, wenig differenziertes Bild von einem Reiz machen. Auf der nächsten Stufe des Wahrnehmungsprozesses erfolgt daher die Organisation dieser Wahrnehmungsinhalte. Dazu werden verschiedene Informationen genutzt. Diese stammen aus der Umwelt des Reizes, aber auch aus Erfahrungen, über die ein Individuum bereits verfügt. Das Gehirn erzeugt dann ein vollständiges Bild. Auf diese Weise können Objekten Eigenschaften zugeschrieben werden, die in der konBGAG-Report 1/2008 199 Checkliste Internetseiten kreten Wahrnehmungssituation gar nicht erfassbar wären. So weiß man beispielsweise sofort, dass ein Tisch ein stabiler Gegenstand ist, auch wenn man ihn nur aus der Entfernung sehen und nicht berühren kann. Im letzten Schritt des Wahrnehmungsprozesses werden die Wahrnehmungsinhalte dann identifiziert bzw. eingeordnet. Ein Mensch wird als Freund oder Feind identifiziert, ein Fahrzeug auf vier Rädern als Auto oder eine Halterung für eine leuchtende Glühbirne als Lampe. Diese Leistung des Gehirns läuft in der Regel ohne eine bewusste Anstrengung von Seiten des Individuums ab. Zu diesen drei Phasen sollen im Folgenden relevante Schritte bei der Betrachtung einer Internetseite zugeordnet werden. Beim Empfinden werden Worte, Abbildungen oder auch Geräusche auf der Internetseite wahrgenommen. Dieser Prozess kann beispielsweise durch sich bewegende Inhalte beeinflusst werden, da das menschliche Auge sehr sensibel auf Bewegung, zum Beispiel durch blinkende Werbebanner, reagiert und sofort Aufmerksamkeit zugewandt wird. Beim Organisieren werden inhaltliche Zusammenhänge auf der Seite, wie zum Beispiel Neuigkeiten oder andere Rubriken, vom Auge erfasst. Diese Organisationsleistung kann durch eine entsprechende visuelle Strukturierung der Inhalte erreicht werden. Die Identifikation von Inhalten kann letztlich durch die Verwendung von vertrauten Bezeichnungen oder Symbolen erleichtert bzw. beschleunigt werden. Die Identifikation hängt unmittelbar mit der Informationsverarbeitung zusammen. 1.2 Informationsverarbeitung Bei der Betrachtung visueller Informationen, identifiziert der Nutzer Muster, formt ein Informationsverarbeitungsmodell und behält letztlich den Hauptinhalt der dargestellten Informationen (Niggemann, 2001). Die Informationen werden kategorisiert, also in die Erfahrungsstrukturen eines Individuums eingefügt. Eine solche Kategorisierung muss durch eine Internetseite unterstützt werden. So gibt beispielsweise Däßler (1999) an: „Die Visualisierung kann letztlich immer nur so gut sein wie die Informationsstrukturierung, die der Visualisierung zugrunde liegt.“ Eine Handlungshilfe auf Grundlage dieser theoretischen Überlegungen bildet das Konzept der visuellen Informationssuche nach Shneidermann (1997). Demnach muss eine Darstellung zuerst BGAG-Report 1/2008 200 Checkliste Internetseiten einen generellen Überblick über das Informationsangebot ermöglichen. Dazu muss vorher klar sein, welche wesentlichen Inhalte in einem solchen Überblick vorgestellt werden sollen. Interessante Muster werden dann vom Nutzer näher betrachtet und analysiert. Dieser Schritt sollte durch die Möglichkeit von Zoom (Fokussierung, Vergrößerung) und Selektion unterstützt werden, das bedeutet, der Nutzer muss interessante Inhalte auswählen können und zu diesen dann nähere Details erhalten. Für die Gestaltung von Internetseiten bedeutet das, dass auf einer Startseite erst einmal die wesentlichen Inhalte dargestellt werden müssen. Das geschieht in der Regel mit Menüs, die verschiedene Informationskategorien beinhalten. Diese einzelnen Kategorien sind anwählbar. Durch das Anwählen wird dann eine neue Seite aufgerufen, auf der konkrete Informationen zur gewählten Kategorie angeboten werden. Auf diese Weise erhält der Nutzer schnell einen Überblick und findet sich auch schnell wieder zu vorangegangenen Punkten seiner Suche zurück. Eine solche Struktur sollte aber nicht zu tief sein, da die Zugriffszeiten auf die Inhalte proportional zur Menütiefe steigen (Zaphiris und Mtei, 1997). Die Menüstruktur sollte auf allen einzelnen Seiten der Internetseite sichtbar sein. Somit wird letztlich auch das Gedächtnis entlastet. 2 Methoden zur Testung von Nutzerfreundlichkeit Auf dem Gebiet der Evaluation von Nutzerfreundlichkeit (auch Usability-Testing) existiert inzwischen eine Vielzahl an Methoden. Diese lassen sich im Wesentlichen in User Inspection (Expertenbeurteilung) und User Testing (Empirische Prüfung mit Probanden) unterteilen. Die folgende Tabelle liefert einen Überblick über einige Verfahren aus den beiden Kategorien, die gerade für die Internetseitenevaluation eingesetzt werden können. BGAG-Report 1/2008 201 Checkliste Internetseiten Tabelle 1: Methoden zur Testung der Nutzerfreundlichkeit User Inspection User Testing Claims Analysis (Analyse von Aussagen zur Funktion einer Internetseite) Fragebögen Heuristische Evaluation (checklistenbasiertes Analyseverfahren) Blickverfolgung Checklisten Mausverfolgung Cognitive Walkthrough (Experte betrachtet aus Nutzerperpektive alle Funktionen) Lautes Denken 3 Die Checkliste des BGAG Im Projekt „Evaluation berufsgenossenschaftlicher Informations- und Kommunikationsmittel“ bestand nicht die Möglichkeit einer direkten Nutzerbefragung. Deshalb wurde entschieden eine Checkliste zu entwickeln, mit deren Hilfe ein Team aus mehreren Beurteilern die Bewertung einer Internetseite vornehmen kann. Die Checkliste basiert auf bereits existierenden Checklisten und Evaluationsheuristiken, wurde aber speziell an die Erfordernisse des Projekts angepasst. Sie berücksichtigt besonders die Aspekte Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, aber auch gestalterische und technische Aspekte. Die Checkliste besteht aus sechs Abschnitten (Gesamtansicht siehe Anhang). 1. Erfassung der Zielbereiche 2. Struktur der Internetseite 3. Inhalt der Internetseite 4. Design der Internetseite 5. Auffindbarkeit und Zugänglichkeit der Internetseite 6. Elektronische Korrespondenz über die Internetseite BGAG-Report 1/2008 202 Checkliste Internetseiten Abbildung 1: Checkliste zur Beurteilung von Internetseiten Basis für die Checkliste war der Web Usability Index für die Evaluation von WebAngeboten von Harms, Schweibenz und Strobel (2002). Ergänzend wurde die Kriterienliste aus eine Studie von Kubicek (1998) zur Evaluation von Internetseiten aus der kommunalen Verwaltung, die Kriterien zur heuristischen Evaluation von Nielsen (1994), die Grundsätze der DIN EN ISO 9241 sowie eine Anleitung zur Identifizierung qualitativ hochwertiger Inhalte im Internet von Alison Cooke (1999) verwendet. 3.1 Aufbau der Checkliste Die Checkliste wurde nach den folgenden Inhaltskategorien eingeteilt: Zielbereiche Diese werden beim Betreiber der Internetseite erfragt und dahingehend beurteilt, inwiefern sie umgesetzt wurden. Struktur In dieser Rubrik werden die Navigation, die Hierarchie der Inhalte, die Einbindung von Links sowie von Dokumenten und Abbildungen betrachtet. BGAG-Report 1/2008 203 Checkliste Internetseiten Inhalt In dieser Rubrik wird betrachtet, wie gut die benutzerorientierte Führung funktioniert, wie mögliche Nutzerfragen integriert werden (frequently asked questions), wie aktuell Informationen sind und ob Quellen für die Informationen identifizierbar sind. Design Bei dieser Rubrik wird betrachtet, wie die Informationen strukturiert und gestaltet sind und inwiefern Bilder und Grafiken den Inhalt unterstützen. Auffindbarkeit und Zugänglichkeit In dieser Rubrik wird geprüft, ob die Webadresse im sinnvollen Bezug zum Seiteninhalt steht und wie sich zum Beispiel die Geschwindigkeit des Seitenaufbaus gestaltet. Elektronische Korrespondenz In dieser Rubrik wird dokumentiert, wie sich ein persönlicher Kontakt über E-mail oder andere elektronische Kontaktmöglichkeiten mit dem Seitenbetreiber bzw. ausgewiesenen Ansprechpartnern gestaltet. 4 Beurteilung von zwei berufsgenossenschaftlichen Internetseiten Die Beurteilung der beiden Internetseiten anhand der Checkliste wurde von drei Beurteilern des BGAG einzeln vorgenommen. Die Ergebnisse der Bewertung wurden dokumentiert und dann zusammen diskutiert. Stimmten die Beurteiler hinsichtlich einzelner Punkte der Checkliste nicht überein, wurden diese Punkte nochmals geprüft und dann ein gemeinsames Urteil getroffen. Die Zielbereiche der Internetseite wurden vorab von den Auftraggebern der Beurteilung erfragt. Die Prüfung zur elektronischen Korrespondenz bestand in einer E-Mail Anfrage an eine auf der Internetseite angegebene Kontaktadresse. Es wurde geprüft, wie lange die Antwort dauert und ob die Antwort für einen „realen Anfrager“ verständlich und hilfreich wäre. BGAG-Report 1/2008 204 Checkliste Internetseiten 5 Zielgruppenbeschreibung Die beiden untersuchten berufsgenossenschaftlichen Internetseiten richten sich an alle Versicherten bzw. Unternehmer der Berufsgenossenschaften sowie sämtliche Sozialversicherungsträger. Weiterhin sollen Fachleute aus den Bereichen Arbeitssicherheit und Gesundheit der Unfallversicherungsträger, sowie aus den Verwaltungen der Unternehmen erreicht werden. Auch Ärzte und Anbieter Erster Hilfe gehören zur angegebenen Zielgruppe der Internetseite. 6 Ergebnisse Es werden kurz wesentliche Ergebnisse aus der Beurteilung der beiden berufsgenossenschaftlichen Internetseiten vorgestellt. Dabei werden sowohl positive Beurteilungsergebnisse als auch Verbesserungsmöglichkeiten berichtet. Beide Seiten sind insgesamt sehr gut und angemessen gestaltet. Die Nutzerführung funktioniert durch den logischen, leicht nachvollziehbaren Aufbau überwiegend sehr gut. Die von den BGen jeweils formulierten Ziele werden durch die Internetseiten im Wesentlichen erfüllt. Die inhaltliche Darstellung ist gut verständlich und wird durch Graphiken und Bilder teilweise unterstützt. Auch die elektronische Korrespondenz funktionierte in beiden Fällen sehr gut. Die Beurteiler erhielten also bei beiden Internetseiten eine schnelle und hilfreiche Antwort auf eine gestellte Frage. Bei den folgenden Details wurde Verbesserungspotential identifiziert. Die Einführungen auf der Startseite waren jeweils wenig ausführlich, so dass der Einstieg für Personen, die wenig über Berufsgenossenschaften wissen, schwierig sein kann. Der Navigationsbereich, mit den wesentlichen Inhaltsrubriken war bei einer der Internetseiten nicht auf jeder einzelnen Seite sichtbar bzw. anwählbar. Weiterhin war die Größe von Dateien (z.B. PDF), die von der Internetseite geladen werden konnten, nicht angegeben. Ein Newsletter-Service war nicht vorhanden, ebenso gab es keine Information zur Aktualität der Informationen. Teilweise bestand keine Möglichkeit, Abbildungen vergrößert anzuzeigen und dadurch besser erkennen zu können. Mitunter wurden Abkürzungen verwendet, die nicht erläutert wurden. Ins- BGAG-Report 1/2008 205 Checkliste Internetseiten gesamt waren, besonders auf einer der beiden Seiten, auch nur sehr wenige Abbildungen oder Grafiken vorhanden, die den Inhalt illustrierten. Die Checkliste kann eingesehen werden unter: http://www.dguv.de/bgag/de/beratung/pdfs/checkliste.pdf Literaturangaben [1] Cooke, A.: A guide to finding quality information on the internet. London: Library Associatian Publishing (1999) [2] Däßler, R.: Informationsvisualisierung: Stand,Kritik,Perspektiven in Methoden/Strategien der Visualisierung. In Medien, Wissenschaft und Kunst, Trier: Wissenschaftlicher Verlag (WVT) (1999) [3] Harms, I., Schweibenz, W., Strobel, J.: Usability Evaluation von WebAngeboten mit dem Web Usability Index. Erschienen in: Proceedings der 24. DGI-Online-Tagung 2002 - Content in Context. Frankfurt am Main 4.-6. Juni 2002. Frankfurt/Main: DGI. 283-292. (2002) [4] Kubicek, H.: Interaktive Rathäuser in Deutschland - eine Evaluation kommunaler Verwaltungsangebote im World Wide Web. Universität Bremen/ Fachbereich Mathematik, Informatik: Bericht (1998) [5] Nielsen, J.: Usability Inspection Methods. New York: Wiley (1994) [6] Niggemann, O.: Visual data mining of graph based data. Dissertation Universität Paderborn (2001) [7] Shneiderman, B.: Designing the user interface. Strategies for effective humancomputer-interaction. Amsterdam: Addison-Wesley Longman (1997) [8] Zaphiris, P., Mtei, L.: Debth vs. Breadth in the Arrangement Web Links. (Online). http://otal.umd.edu/SHORE/bs04 .(10.12.01) [9] Zimbardo, P.G., Gerrig, R.J.: Psychologie. 7. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York, Barcelona, Hong Kong London, Mailand, Paris, Tokio: Springer (1999) BGAG-Report 1/2008 206 Physische Inaktivität Physische Inaktivität an Arbeitsplätzen Britta Weber BGIA – Institut für Arbeitsschutz, Sankt Augustin Zusammenfassung Immer mehr Arbeitsplätze in Deutschland sind durch bewegungsarme Tätigkeiten gekennzeichnet. So verbringen mehr als 20 Millionen Menschen ihren Arbeitstag überwiegend im Sitzen. Körperliche Inaktivität und einseitig belastendes Dauersitzen gehen mit ernstzunehmenden Gesundheitsgefährdungen einher. Dabei zählen neben Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch psychische Störungen zu den Folgen des andauernden Bewegungsmangels. Die jährlich durch physische Inaktivität verursachten Krankheitskosten liegen in Milliardenhöhe. Folglich kommt der Förderung von gesundheitswirksamer Bewegung am Arbeitsplatz nicht nur aus Gründen der individuellen Lebensqualität und Gesundheit, sondern auch aus volkswirtschaftlicher Sicht eine große Bedeutung zu. Interventionsmaßnahmen zur Aktivitätsförderung zielen auf die Anpassung des Arbeitsplatzes (z.B. Stehtische zum Telefonieren oder in Konferenzräumen), die Organisation von Arbeitsabläufen (z.B. Drucker auslagern, direkte Kommunikation mit Kollegen) sowie die Gestaltung von Pausen und Arbeitswegen (z.B. Pausengymnastik, mit dem Rad zur Arbeit) ab. Innovative und kostengünstige Ansätze schlagen bspw. den Einsatz von elektronischen Schrittzählern oder Software zur Aktivitäts-Erinnerung vor, um die Arbeitnehmer zu mehr Bewegung zu motivieren. Zur Evaluierung derartiger Interventionen müssen die Effekte auf das Bewegungsverhalten der Arbeitnehmer untersucht werden. Hierzu können Befragungsmethoden herangezogen werden. Diese eignen sich jedoch nur bedingt hinsichtlich Genauigkeit und Objektivität. Um präzise und verlässliche Daten zu erhalten, bietet sich der Einsatz eines objektiven Messsystems an. Derzeit entwickelt das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (BGIA) ein mobiles Messsystem zur Langzeit-Bewegungsanalyse mit BGAG-Report 1/2008 207 Physische Inaktivität dem Ziel, die Wirksamkeit aktivitätsfördernder Interventionsmaßnahmen präzise untersuchen zu können. 1 Einleitung Ein höherer Lebensstandard und der weit verbreitete Einsatz von Arbeitserleichterungen haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einer enormen Abnahme der physischen Aktivität in den industrialisierten Ländern geführt. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind 58 % der Bevölkerung in den Industrienationen nicht regelmäßig körperlich aktiv [1]. Hiermit ist nicht der Mangel an sportlicher Aktivität gemeint, sondern es geht um ganz alltägliche Aktivitäten, wie z.B. Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück zu legen. Dieser inaktive Lebensstil wird verursacht durch die zunehmend geringer werdende Notwendigkeit sich im Alltag zu bewegen: Zur Überwindung von Wegstrecken werden Autos, Rolltreppen und Aufzüge benutzt, im Haushalt helfen Waschmaschine, Geschirrspüler etc. die körperliche Arbeit zu reduzieren und die Freizeit wird überwiegend im Sitzen verbracht – vornehmlich vor dem Fernseher oder am PC. Mit Hilfe von E-Mails, Online-Banking oder Online-Shopping werden heute außerdem viele Dinge vom Schreibtischstuhl aus erledigt, ohne dass hierfür körperliche Betätigung erforderlich ist. In der Arbeitswelt setzt sich dieser Trend gleichermaßen fort. Die Automatisierung von Produktionsprozessen, technische Arbeitserleichterungen und der weit verbreitete Einsatz von Computeranwendungen haben dazu geführt, dass ein Großteil der Erwerbstätigen heute im Sitzen arbeitet. In Deutschland verbringen derzeit rund 60 % der Erwerbstätigen – das entspricht 22,5 Mio. Menschen – ihren Arbeitsalltag überwiegend im Sitzen. Davon sitzen 17 Mio. Tag für Tag am Schreibtisch [2]. 2 Folgen der Inaktivität Die veränderten Lebensgewohnheiten – gekennzeichnet durch Bewegungsmangel und Dauersitzen – stehen in engem Zusammenhang mit der ständig wachsenden Zahl chronischer Krankheiten in den Industrienationen. So gilt physische Inaktivität als wesentlicher verhaltensbezogener Risikofaktor für Krankheiten des MuskelSkelett-Systems, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ II, Übergewicht BGAG-Report 1/2008 208 Physische Inaktivität und psychische Störungen [3; 4]. In Deutschland leiden etwa 28 Mio. Menschen an chronischen Erkrankungen aufgrund von Bewegungsmangel [5]. Gerade Büroarbeiter sind besonders häufig von Rücken- und Gelenkschmerzen betroffen. Statistisch gesehen ist das Risiko für einen Büroarbeiter an Rückenschmerzen zu erkranken genauso hoch wie für jemanden, der im Baugewerbe tätig ist. Mittlerweile leidet schon jeder dritte Büroarbeiter an Rücken- oder Gelenkschmerzen [5]. Die durch Bewegungsmangel hervorgerufenen Krankheiten und deren Behandlung verursachen enorme Kosten für die Sozialversicherungssysteme, die Unternehmen und die gesamte Volkswirtschaft. Es wird geschätzt, dass etwa 20 % der Krankheitskosten der gesetzlichen Kranversicherungen – das entspricht 27 Mrd. € jährlich – durch Bewegungsmangel und damit häufig verbundener Fehlernährung verursacht werden [6]. Im Jahr 2005 lagen die Kosten für Arbeitsunfähigkeitstage (Ausfall an Bruttowertschöpfung) bei 66,5 Mrd. €, wobei etwa ein Drittel dieser Kosten durch Muskel-Skelett- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorgerufen wurde. 3 Prävention durch Aktivitätsförderung Um den genannten gesundheitlichen Risiken entgegen zu wirken, müssen Maßnahmen zur Förderung des Aktivitätsverhaltens ergriffen werden. Durch eine gesteigerte physische Aktivität im Alltag kann zum einen die individuelle Gesundheit erhalten, verbessert bzw. wiederhergestellt werden. Zum anderen trägt sie zur Senkung der enormen Krankheitskosten bei. Der Arbeitsplatz bietet sich für Präventionsmaßnahmen zur Bewegungsförderung aus folgenden Gründen besonders an: die Arbeitnehmer verbringen hier einen Großteil des Tages, die soziale Unterstützung durch Kollegen bietet einen großen Motivationseffekt, die bestehende Infrastruktur kann genutzt werden (Räumlichkeiten, Kommunikationskanäle), eine große Personengruppe kann direkt erreicht werden, die Arbeitsproduktivität wird gesteigert und die Lohnnebenkosten können gesenkt werden. BGAG-Report 1/2008 209 Physische Inaktivität 3.1 Empfehlungen für ausreichend Aktivität am Arbeitsplatz Für ein ausreichendes Maß körperlicher Aktivität an bewegungsarmen Arbeitsplätzen wurden folgende Empfehlungen festgelegt [7]: 1. An einem 8-stündigen Arbeitstag sollte sich ein Arbeitnehmer mindestens 30 Minuten moderat intensiv bewegen, entweder während der Arbeit, in den Pausen oder auf dem Weg dorthin. 2. An einem 8-stündigen Arbeitstag sollte ein Arbeitnehmer nicht länger als 1 Stunde ununterbrochen stehen und nicht länger als 2 Stunden ununterbrochen sitzen und insgesamt nicht länger als 4 Stunden stehen. Bei der ersten Empfehlung handelt es sich um eine allgemeine gesundheitsfördernde Maßnahme zur Reduzierung des mit Bewegungsmangel einhergehenden Risikos. Als moderat intensive Aktivitäten gelten bspw. zügiges Gehen, Rad fahren oder Treppen steigen. Die empfohlenen 30 Minuten dürfen sich über den Tag summieren. Es werden keine Vorgaben zur Mindestdauer der Aktivitätsphasen gemacht, da sich kürzere Phasen besser in den Arbeitsalltag integrieren lassen. Die zweite Empfehlung zielt darauf ab, das Risiko für die Entstehung von Krampfadern und das Auftreten von Beschwerden in den Füßen, den Unterschenkeln und dem unteren Rücken während der Arbeit zu reduzieren. Es wird keine maximale Gesamtdauer für Sitzen angeben, da hier eine Obergrenze schwierig einzuhalten ist. 3.2 Interventionsmöglichkeiten zur Aktivitätsförderung Die größte Herausforderung besteht in der Umsetzung der genannten Empfehlungen. Mögliche Interventionsmaßnahmen zur Aktivitätssteigerung an Büro- und Bildschirmarbeitsplätzen gibt es sowohl für die Verhältnisprävention als auch für die Verhaltensprävention. In der Verhältnisprävention kann zum einen der Arbeitsplatz bewegungsfreundlicher gestaltet werden und zum anderen können Arbeitsabläufe aktivitätsfördernder organisiert werden. Damit es jedoch zu einer Zunahme an Aktivität kommt, sind immer auch Veränderungen im Verhalten der Personen notwendig. BGAG-Report 1/2008 210 Physische Inaktivität Die möglichen Maßnahmen für den Bereich der Verhaltensprävention lassen sich in konventionelle und innovative Ansätze unterteilen. Eine Übersicht existierender Vorschläge zur Aktivitätsförderung am Arbeitsplatz gibt Abbildung 1. Abbildung 1: Vorschläge zur Aktivitätsförderung am Arbeitsplatz Verhältnisprävention Anpassung des Arbeitsplatzes Sitz/Steh-Arbeitsplätze zur Förderung des Wechsels zwischen Sitzen und Stehen Stehtische oder Gymnastikbälle in Meeting-/Pausenräumen Bereiche zur Ausführung von Übungen zur Verfügung stellen Organisation von Arbeitsabläufen Drucker aus dem Büro auslagern Häufig Gebrauchtes aus dem Greifraum entfernen Wasserbrunnen in weiter entfernte Bereiche auslagern Verhaltensprävention Konventionelle Ansätze Die Treppe statt den Aufzug benutzen Direkte Kommunikation mit den Kollegen anstatt E-Mails/Telefon Die Pausen zur Bewegung nutzen (Spaziergänge, Gruppenübungen) Mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen Stehen während Telefonaten Innovative Ansätze Schrittzähler, der die Arbeiter motiviert eine bestimmte Anzahl von Schritten pro Tag zu erreichen Software, die an regelmäßige Bewegung erinnert Büros selbst reinigen Spiele mit Körpereinsatz in den Gemeinschaftsecken BGAG-Report 1/2008 211 Physische Inaktivität Zur Beurteilung solcher Maßnahmen muss der Effekt auf das Bewegungsverhalten in entsprechenden Studien untersucht werden. Um Aussagen über mögliche Veränderungen sowie deren Nachhaltigkeit treffen zu können, muss die physische Aktivität adäquat und vor Ort erfasst werden. 4 Analyse des Aktivitätsverhaltens: Das CUELA Activity System Prinzipiell stehen zur Aktivitätserfassung im Feld verschiedene Methoden zur Verfügung. Am häufigsten werden Befragungsmethoden eingesetzt, da sie kostengünstig und einfach durchzuführen sind. Die Befragungstechniken gewährleisten jedoch nicht zwangsläufig die erforderliche Objektivität. Es kommt zu Verfälschungen durch mangelnde Erinnerungsgenauigkeit, subjektive Einschätzungen und soziale Erwünschtheit, über deren Umfang man bislang keine Kenntnis besitzt [4; 8]. Bei der Beobachtung geht man von erheblichen Rückwirkungen auf das Bewegungsverhalten der Untersuchungsteilnehmer aus [4; 8]. Die Messung physiologischer Parameter, wie z.B. der Herzfrequenz, ist zwar objektiv und relativ rückwirkungsfrei, sie liefert allerdings nur Informationen zur Intensität, nicht aber zur Art der ausgeübten Aktivität. Lediglich quantitative Angaben erhält man auch von objektiven Bewegungssensoren, wie Pedometern oder Accelerometern. Die derzeit zur Verfügung stehenden Erfassungsmethoden sind somit nicht optimal geeignet für eine differenzierte Betrachtung des Aktivitätsverhaltens. Es wird ein Verfahren benötigt, das objektive und verlässliche Angaben zu Art, Häufigkeit, Dauer und Intensität der physischen Aktivität in Feldstudien liefert. Vor diesem Hintergrund wurde am BGIA das CUELA Activity System entwickelt. Hierbei handelt es sich um eine modifizierte Variante des originalen CUELA Systems [9; 10]. Das Messkonzept des CUELA Activity Systems ist in Abbildung 2 dargestellt. Durch den kombinierten Einsatz von Beschleunigungs- und Winkelgeschwindigkeitssensoren wird das Aktivitätsverhalten erfasst. Diese Sensoren (Abbildung 2 rechts unten) werden an sieben Körperpositionen angebracht: Am Rücken auf Höhe der Brust- und Lendenwirbelsäule, am Ober- und Unterschenkel beider Beine sowie am Oberarm des Vorzugsarms. Die Anbringung der Sensoren erfolgt mit Hilfe von elasti- BGAG-Report 1/2008 212 Physische Inaktivität schen und atmungsaktiven Bändern unter der normalen Kleidung. Über der Kleidung ist nur noch eine Tasche mit dem Datenlogger sichtbar (Abbildung 2 links). Abbildung 2: Das CUELA Activity System Datenlogger Sensoren Der Datenlogger speichert die Sensordaten auf einer Flashkarte, wobei Aufzeichnungen bis zu 24 Stunden möglich sind. Hinterher werden die Daten am PC ausgelesen und mit der CUELA Software ausgewertet. Für die Analyse des Aktivitätsverhaltens sind besonders folgende Funktionen interessant: Über Mustererkennungsalgorithmen identifiziert die Software automatisch, welche Aktivität ausgeübt wurde. Hierbei wird unterschieden zwischen Sitzen, Stehen, Liegen, Knien, Hocken, Gehen bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten sowie Treppe hoch und Treppe herunter gehen. Anhand der Informationen über die Art der ausgeübten Aktivität, die kinematischen Charakteristika der Bewegung sowie vorab erfasste personenspezifische Daten (Geschlecht, Alter, BMI, Fitnesszustand) wird eine Abschätzung des Energieumsatzes vorgenommen. Über den gesamten Messzeitraum können statistische Auswertungen zu den interessierenden Parametern vorgenommen werden, z.B. zum Gesamtvorkommen der einzelnen Tätigkeiten sowie Häufigkeit, Dauer und Intensität einzelner Aktivitäten. BGAG-Report 1/2008 213 Physische Inaktivität Mit dem CUELA Activity System steht zukünftig ein Messsystem zur Verfügung, das sich für die objektive und mobile Aktivitätserfassung eignet. Das System liefert differenzierte Informationen zum Bewegungsverhalten von Personen. Ein mögliches Anwendungsfeld ist die Überprüfung von Interventionsmaßnahmen, die auf Bewegungsförderung abzielen. Literatur [1] World Health Organisation (WHO): The World Health Report 2002. Reducing Risk, Promoting Healthy Life. World Health Organisation, Genf 2002 [2] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.): Sitzlust statt Sitzfrust - Sitzen bei der Arbeit und anderswo. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund 2004 [3] Rütten, A.; Abu-Omar, K.: Prävention durch Bewegung. Zur Evidenzbasierung von Interventionen zur Förderung körperlicher Aktivität. Zeitschrift für Gesundheitswissenschaften 11 (2003), S. 229-246 [4] Montoye, H.J.; Kemper, H.C.G.; Saris, W.H.M.; Washburn, R.A.: Measuring physical activity and energy expenditure. Human Kinetics, Champaign 1996 [5] Techniker Krankenkasse: Der Gesundheit Beine machen. TK-Medienservice Oktober 2007. www.tk-online.de (15.01.2008) [6] Scriba, P.C.; Schwartz, F.W.: Bewegung, Prävention und Gesundheitsförderung. Wege zur Innovation im Gesundheitswesen? Internist 45 (2004), S. 157165 [7] Commissaris, D.A.C.M.; Douwes, M.; Schoenmaker, N.; de Korte, E.M.: Recommendations for sufficient physical activity at work. In: Proceedings IEA 2006 Congress, 16th World Congress on Ergonomics 10.-14.07.2006, Maastricht (2006) [8] Ainsworth, B.E.; Montoye, H.J.; Leon, A.S.: Methods of assessing physical activity during leisure and work. In: Bouchard, C.; Shepard, R.J.; Stephens, T. BGAG-Report 1/2008 214 Physische Inaktivität (Eds.): Physical activity, fitness and health. Human Kinetics, Champaign 1994, S. 146-159 [9] Ellegast, R.: Personengebundenes Meßsystem zur automatisierten Erfassung von Wirbelsäulenbelastungen bei beruflichen Tätigkeiten. BIA-Report 5/98. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Sankt Augustin 1998 [10] Ellegast, R.; Hermanns, I.; Hamburger, R.; Post, M.; Glitsch, U.; Ditchen, D.; Hoehne-Hückstädt, U.: Langzeiterfassung und -analyse von physischen Arbeitsbelastungen mit dem CUELA-Messsystem. In: Grieshaber, R.; Stadeler, M.; Scholle, H.-C. (Hrsg.): Prävention von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und Erkrankungen. Bussert & Stadeler, Jena 2006, S. 509-523 BGAG-Report 1/2008 215 Anhang: Anschriften der Vortragenden Anhang Anschriften der Vortragenden Dipl.-Ing. Helmut Berger Verwaltungs-Berufsgenossenschaft Nikolaus-Dürkopp-Str. 8 33602 Bielefeld Dipl.-Ing. Klaus Buhmann Verwaltungs-Berufsgenossenschaft Friesenstrasse 22 20097 Hamburg Dr. rer. nat. Rolf Ellegast BGIA – Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Alte Heerstr. 111 53757 Sankt Augustin Dipl.-Ing. Susan Freiberg BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Königsbrücker Landstr. 2 01109 Dresden Priv.-Doz. Dr. Ulrich Glitsch BGIA – Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Alte Heerstr. 111 53757 Sankt Augustin Dipl.-Ing. Renate Hanßen-Pannhausen BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Königsbrücker Landstr. 2 01109 Dresden BGAG-Report 1/2008 216 Anhang: Anschriften der Vortragenden Prof. Dr. med. Bernd Hartmann Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft Holstenwall 8-9 20355 Hamburg Dipl.-Päd. Andrea Hauck Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft Holstenwall 8-9 20355 Hamburg Dr. med. Ulrike Hoehne-Hückstädt BGIA – Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Alte Heerstr. 111 53757 Sankt Augustin Dipl.-Psych. Marlen Hupke BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Königsbrücker Landstr. 2 01109 Dresden Dr. Frauke Jahn BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Königsbrücker Landstr. 2 01109 Dresden Dipl.-Ing. Peter Keilholz Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution Niebuhrstraße 5 53113 Bonn Dr. med. Gerhard Kraus Berufsgenossenschaft Elektro Textil Feinmechanik Oblatterwallstraße 18 86153 Augsburg Dipl.-Ing. Heiko Kusserow Berufsgenossenschaft Elektro Textil Feinmechanik Gustav-Heinemann-Ufer 130 50968 Köln BGAG-Report 1/2008 217 Anhang: Anschriften der Vortragenden Dipl.-Ing. Gerald Rehme Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft Friedrich-Gerstlacher-Straße 15 71032 Böblingen Dr. rer. nat. Klaus Schäfer Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution N 4, 18 - 20 68161 Mannheim Dr. Heinz Schmid Deutsche gesetzliche Unfallversicherung – DGUV 53757 Sankt Augustin Dipl.-Ing. Detlef Trippler Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft Elsterstraße 8 a 04109 Leipzig Dr. Anja Vomberg Kommission Arbeitsschutz und Normung Alte Heerstr. 111 53757 Sankt Augustin Dipl.-Sportwiss. Britta Weber BGIA – Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Alte Heerstr. 111 53757 Sankt Augustin Dipl. Soz. wiss. Jürgen Wolters BKK Bundesverband Abteilung Gesundheit Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA) Kronprinzenstr. 6 45128 Essen Dr. Hanna Zieschang BGAG – Institut Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Königsbrücker Landstr. 2 01109 Dresden BGAG-Report 1/2008 218 Anhang: Programm des Fachgesprächs 3. Fachgespräch Ergonomie am 29. und 30. Oktober 2007 im BGAG, Dresden Programm Themenblock 1: Ergonomische Arbeitsgestaltung und ältere Beschäftigte Montag, 29. Oktober 13:00 Uhr Eröffnung (Dr. Hanna Zieschang, BGAG; Dr. Rolf Ellegast, BGIA) 13:05 Uhr Rückblick auf das 2. und Ausblick auf das 3. Fachgespräch (Dr. Rolf Ellegast, BGIA) 13:20 Uhr Gesund und sicher länger arbeiten - Ergebnisse des IGA-Kolloquiums 2007 (Dr. Hanna Zieschang, BGAG) 13:40 Uhr Physische Arbeitsbelastung und ältere Arbeitnehmer (Priv.-Doz. Dr. Ulrich Glitsch, BGIA) 14:00 Uhr Rahmenbedingungen und Lösungsansätze für eine ergonomische Unterstützung der Erwerbstätigkeit älterer Beschäftigter in der Bauwirtschaft (Prof. Dr. med. Bernd Hartmann, BG BAU) 14:20 Uhr RehaBau – ein Beispiel für Sekundärprävention und Rehabilitation (Andrea Hauck, BG BAU) 14:40 Uhr Arbeitsgestaltung für jung und alt – Beispiel: Bewertung des MontageMusterarbeitsplatzes im BGAG (Susan Freiberg, BGAG) 15:00 Uhr Diskussion 15:15 Uhr Kaffeepause 15:45 Uhr Barrierefreiheit – ein neuer Weg der Arbeitsgestaltung (Klaus Buhmann, Verwaltungs-BG) 16:05 Uhr Systematik tätigkeitsbezogener Anforderungen (Renate Hanßen-Pannhausen, BGAG) 16:25 Uhr Mein nächster Beruf – Personalentwicklung für Berufe mit begrenzter Tätigkeitsdauer (Dr. Frauke Jahn, BGAG) 16:45 Uhr Betriebliche Gesundheitsförderung für und mit älteren Beschäftigten (Jürgen Wolters, BKK Bundesverband) 17:05 Uhr Diskussion und Zusammenfassung 17:30 Uhr Schluss 1. Tag BGAG-Report 1/2008 219 Anhang: Programm des Fachgesprächs Themenblock 2: Aktuelle Projekte der gesetzlichen Unfallversicherungen Dienstag, 30. Oktober 8:30 Uhr Gesund und fit im Kleinbetrieb – eine neue Schriftenreihe für KMU (Dr. Heinz Schmid, DGUV) 8:50 Uhr Ergonomische Projekte in KMU – spezielle Anforderungen an die Untersucher (Detlef Trippler, Maschinenbau- und Metall-BG) 9:10 Uhr Die Arbeit der AG Ergonomie der BG BAU (Gerald Rehme, BG BAU) 9:30 Uhr Umsetzung ergonomischer Erkenntnisse in die Praxis an den Beispielen Nähund Bügelarbeitsplatz (Dr. med. Gerhard Kraus, Textil- und Bekleidungs-BG) 9:50 Uhr Diskussion 10:05 Uhr Kaffeepause 10:30 Uhr Ergonomie an Kassenarbeitsplätzen (Peter Keilholz, BG für den Einzelhandel) 10:50 Uhr Dynamische Bürostühle – dynamische Menschen? (Helmut Berger, Verwaltungs-BG) 11:10 Uhr Ergonomie an Montagearbeitsplätzen (Heiko Kusserow, BG Feinmechanik und Elektrotechnik) 11:30 Uhr Ergonomische Verbesserungen beim Kommissionieren im Lebensmittelgroßhandel (Dr. Klaus Schäfer, Großhandels- und Lagerei-BG) 11:50 Uhr Diskussion 12:05 Uhr Mittagspause 13:15 Uhr Wie kann der Zugang zur Ergonomie-Normung erleichtert werden? (Dr. Anja Vomberg, Kommission Arbeitsschutz und Normung - KAN) 13:35 Uhr Ergonomische Anforderungen an PC-Eingabemittel (Dr. Ulrike Hoehne-Hückstädt, BGIA) 13:55 Uhr Aktivierungsübungen 14:10 Uhr Checkliste zur Bewertung der Nutzerfreundlichkeit von Internetseiten (Marlen Hupke, BGAG) 14:30 Uhr Physische Inaktivität an Arbeitsplätzen (Britta Weber, BGIA) 14:50 Uhr Diskussion 15:05 Uhr Zusammenfassung und Perspektive (Dr. Hanna Zieschang, BGAG; Dr. Rolf Ellegast, BGIA) 15:20 Uhr Schluss der Veranstaltung BGAG-Report 1/2008 220