Nicht ohne Gebiss in den Straßenverkehr!

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Nicht ohne Gebiss in den Straßenverkehr!
Nicht ohne Gebiss in den Straßenverkehr!
Die rechtlichen Risiken beim gebisslosen Reiten, Fahren und Führen von Pferden im Straßenverkehr sind vielen
Pferdehaltern gar nicht bewusst. Doch selbst wenn die Haftpflichtversicherung Schäden auch bei Verkehrsteilnahme ohne Gebiss übernimmt, kann der Verursacher strafrechtlich verfolgt werden!
Strafrechtliche Folgen trägt
keine Versicherung
A
usgangspunkt für die Frage, wie
sich die Rechtslage beim Reiten,
Fahren und Führen von Pferden
im Straßenverkehr am Halfter oder mit einer gebisslosen Zäumung darstellt, ist
zunächst § 28 Straßenverkehrsordnung
(StVO).
Gemäß § 28 Abs. 1 StVO sind Haus- und
Stalltiere, die den Verkehr gefährden können, von der Straße fernzuhalten. Sie sind
dort nur zugelassen, wenn sie von geeigneten Personen begleitet sind, die ausreichend auf sie einwirken können. Entscheidend ist somit die Frage, ob – die
Eignung der Begleitperson vorausgesetzt
– mit Stallhalfter oder einer gebisslosen
Zäumung wie Sidepull, Bitless Bridle oder
etwas anderem ausreichend auf ein Pferd
eingewirkt werden kann. Da es sich bei
dem Begriff „ausreichend“ um einen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriff
handelt, bedarf dieser einer näheren Interpretation.
Hierzu gibt es in zwei rechtskräftige Gerichtsurteile, die jedem Reiter und Fahrer
zu denken geben sollten.
Am Halfter zu wenig
Einwirkung
In einem durch das Landgericht Gießen
entschiedenen Strafverfahren hatte ein
Pferdehalter zwei Pferde links und rechts
am Halfter auf einer öffentlichen Straße
zur Weide geführt. Ein Pferd erschrak, riss
sich los und verursachte einen Unfall, bei
dem ein anderer Verkehrsteilnehmer
schwer verletzt wurde. Zu der Frage, ob
dem Tierhalter ein Schuldvorwurf zu machen ist, weil er die beiden Pferde nur am
Halfter geführt hat, hat das Gericht – wie
in solchen Fällen üblich – ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der
durch das Gericht bestellte Sachverständige hat festgestellt, dass beim Führen
von Pferden im Straßenverkehr die
größtmögliche Sicherheit nur dann gegeben ist, wenn die Pferde aufgetrenst
sind und der Tierhalter die Pferde am Zügel führt. Der Pferdehalter wurde in diesem Fall wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 Strafgesetzbuch
(StGB) und wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr
gemäß § 315 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 StGB
zu einer Geldstrafe verurteilt. Wäre der
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jedoch nicht, dass sie nun vollkommen
wirkungslos wäre. Ohne Kinnkette wirkt
sie immer noch so wie eine als Zäumung
zulässige Trense.“ Die Trense wurde somit auch hier als Mindeststandard einer
zulässigen und geeigneten Einwirkungsmöglichkeit gesehen.
Wir alle holen unsere Pferde am Halfter aus der Weide. Kaum jemandem ist bewusst, dass er
im Falle eines Unfalls strafrechtlich belangt werden kann, weil nach Gutachtermeinung das
Halfter zu wenig Einwirkung ermöglicht. Ebenfalls rechtlich prekär: zwei ungekoppelte Pferde
zu führen, auf jeder Seite eines. Zwischen Praxis und Rechtsprechung liegen Welten.
andere Verkehrsteilnehmer nicht nur verletzt, sondern gar getötet worden, hätte
dies eine Verurteilung des Pferdehalters
wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222
StGB zur Folge gehabt.
Nach dieser Gerichtsentscheidung ist jeder Pferdehalter gut beraten, Pferde auf
öffentlichen Straßen mindestens mit
Trense zu führen beziehungsweise zu reiten, da der gerichtlich bestellte Sachverständige die ausreichende Einwirkungsmöglichkeit
auf
ein
Pferd
im
Straßenverkehr ohne Gebiss ausdrücklich
verneint hat und damit von fahrlässigem
Handeln des Pferdeführers ausging.
Mindestens Trense ist nötig
Ein weiteres Urteil beschäftigt sich mit der
Einwirkung auf Fahrpferde. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte in einem Zivilprozess über folgenden Sachverhalt zu
entscheiden: Der Beklagte führte gewerbliche Kutschfahrten durch. Am Unfalltag kam der Beklagte mit seinem
zweispännigen Wagen von einer gewerblichen Fahrt, der Kläger befand sich
auf der zum Personentransport umge-
bauten Ladepritsche des Pferdewagens.
Der Weg führte durch einen Wald und
fiel in Fahrtrichtung des Beklagten zur
Kreuzung hin ab. Beide Pferde waren mit
Brustblattgeschirr angespannt und auf
Kandare gezäumt. Eine Kinnkette zur
Kandare hatte der Beklagte nicht angelegt. Der Beklagte fuhr im Schritt.
Auf der Gefällestrecke gingen beide Pferde durch, da sie durch einen streunenden
Schäferhund erschreckt wurden, der
plötzlich aus dem Wald auftauchte und
den Pferden in die Hinterbeine sprang.
Weil der Beklagte glaubte, die Pferde vor
der Kreuzung nicht mehr anhalten zu
können, rief er dem Kläger zu, er solle abspringen. Beide Parteien sprangen dann
vom Wagen ab. Dabei zog sich der Kläger einen Bruch der Halswirbelsäule mit
kompletter Querschnittslähmung zu.
Im Verfahren hat sich dem Gericht unter
anderem die Frage gestellt, ob der Kläger die Kinnkette zur Kandare hätte anlegen müssen. Das Gericht führt aus, dass
die Pferde nicht zwingend auf Kandare
hätten gezäumt werden müssen: „Fehlt
die Kinnkette, entfällt die typische Hebelwirkung der Kandare. Das bedeutet
Aufgrund der dargelegten Gerichtsentscheidungen besteht die Gefahr, dass die
Rechtsprechung bei Verwendung einer
gebisslosen Zäumung im Straßenverkehr
letztlich mithilfe eines gerichtlich bestellten Sachverständigen zu dem Ergebnis
kommt, die verwendete Zäumung habe
keine ausreichende Einwirkung auf das
Pferd ermöglicht. Damit liegt das volle
rechtliche Risiko beim Reiter, Fahrer oder
Führer des Pferdes, wenn er eine gebisslose Zäumung verwendet. Erschwerend
kommt hinzu, dass einem möglicherweise privat beigebrachten Gutachten, das
die ausreichende Einwirkungsmöglichkeit
im konkreten Schadensfall durch die gebisslose Zäumung attestiert (sofern man
überhaupt einen anerkannten Fachmann
findet, der dies schriftlich bestätigt), vor
Gericht eine wesentlich geringere Beweiskraft zukommt als dem Gutachten
eines gerichtlich bestellten Sachverständigen.
Im Hinblick auf das rechtliche Risiko, das
man damit eingeht, wenn man sich mit
einem Pferd ohne Gebiss in den Straßenverkehr begibt, ist ferner noch zwischen
der strafrechtlichen und der zivilrechtlichen Seite zu unterscheiden.
Manche
Tierhalterhaftpflichtversicherungen schließen ausdrücklich auch das
Reiten ohne Gebiss mit ein. Dies bedeutet jedoch lediglich, dass im Falle eines
Unfalles mit gebissloser Zäumung die
Tierhalterhaftpflicht-Versicherung grundsätzlich (natürlich abhängig von den
Umständen des konkreten Einzelfalles)
die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche, die der Verletzte gegenüber
dem Pferdehalter geltend macht, erfüllt.
Völlig anders stellt sich jedoch die strafrechtliche Seite – wie in der ersten Ge-
Ohne Kinnkette wirkt die Kandare immer
noch wie eine Trense – die Trense wird als
ausreichender Mindeststandard an Einwirkung angesehen.
richtsentscheidung aufgezeigt – dar. In
strafrechtlicher Hinsicht ist es völlig irrelevant, ob die Tierhalterhaftpflichtversicherung für den zivilrechtlichen Schaden
aufkommt. Im Strafrecht zählt alleine, ob
der Tierhalter nach Ansicht von Gutachter und Gericht durch die Verwendung einer gebisslosen Zäumung schuldhaft,
mindestens fahrlässig, gehandelt hat.
Gegen eine Verurteilung – in der Regel
zu einer Geldstrafe – wegen fahrlässiger
Körperverletzung oder gar fahrlässiger
Tötung kann man sich nicht versichern,
da sich der Versicherungsschutz ausschließlich auf die zivilrechtliche Seite bezieht.
Susanne Bauer
Zum Weiterlesen:
Bauer, Susanne/Heiner Natschack: Reitrecht. Juristische Grundlagen für Reiter,
Fahrer, Pferdehalter, Rechtsanwälte
und Gemeinden. msi-Verlag. ISBN 3937082-29-8. Bezug unter E-Mail [email protected]
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