Die Mithras-Mysterien - bei www.Graphisto.de.

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Die Mithras-Mysterien - bei www.Graphisto.de.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
TEIL I
1.1 Historisches
1.1.Alter Orient
1.2. Griechenland
1.3. Rom
2. Ikonographie
3. Mythos
3.1.Petrogenesie
3.2. Wasserwunder
3.3. Mithras und der Stier
4. Soziologisches
4.1. Die Anhänger
4.2. Die Weihegrade
5. Lehren
6. Mithras und Christus
TEIL II
7. Kompatibilität oder Exklusivität von Mysterienkulten
8. Integration in die regionale Religionspraxis
9. Geheimhaltung und Sanktionen
10. Ausbreitung und «Mission»
11. Individualisierung versus «Gemeindebildung»
12. Konversion - «Apostasie»
13. Struktur der Jenseitserwartungen
14. «Vergeltungstheologie»
15. «Orientalische» Herkunft
16. Gottesvorstellungen der Mysterien
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UNIVERSITÄT TÜBINGEN — SEMINAR FÜR RELIGIONSWISSENSCHAFT
Seminar: Antike Mysterienreligionen — WiSe 2000 / 2001
Leitung: Burkhard Gladigow
Referent: MF — 10.01.2001
Antike Mysterienreligionen
Die Mithras-Mysterien
Einleitung
Die Religion des Mithras ist für uns dank vieler archäologischer Zeugnisse ikonographisch sehr gut
greifbar. Das heißt aber nicht, daß wir sehr viel über diese Religion wüßten, denn wir haben zwar
viele Bilder gefunden, aber leider praktisch keine Texte [Merkelbach 188, nPauly 288]. Dies schlägt sich
auch in der umfangreichen Literatur über Mithras nieder, in der zwar über die Beschreibung der erhaltenen Bilder weitgehend Konsens besteht, bei der Interpretation derselben aber gehen die Meinungen teilweise weit auseinander - und: Sicherheit ist hierbei schwerlich zu erreichen.
Dem werde ich in diesem Referat dadurch Rechnung tragen, daß ich im ersten Teil das Material
über die Religion des Mithras vorstellen will, das auf uns gekommen ist. Ich werde dabei nicht besonders detailversessen vorgehen können, da Mithras im Rahmen dieses Seminars nur eines von
vielen Beispielen für die eher strukturell ausgerichtete Untersuchung antiker Mysterienreligionen
im allgemeinen ist. Vor allem werde ich mich irgendwelcher Interpretationsversuche der archäologischen Zeugnisse weitgehend enthalten; daß das meinen Vortrag nicht eben spannender macht, ist
mir klar. Im zweiten Teil werde ich mich dann der Beantwortung derjenigen Fragen zuwenden, die
für dieses Seminar als Leitfragen gelten.
Teil I
1. Historisches
Es ist wissenschaftlich klar erwiesen, daß der Mithras-Kult als eine ursprünglich orientalische Religion aus dem persisch-iranischen (auch indischen) Raum anzusehen ist. Ich werde aber den Ursprung dieser Religion hier nur gleichsam im Vorbeigehen bearbeiten, denn das Hauptinteresse dieses Seminars liegt sicher bei der Ausübung des Kultes in graeco-romanischer Zeit. Ob und in wie
fern der römische Kult überhaupt noch etwas mit der altpersischen Religion zu tun hat, ist ausgesprochen unsicher. Die für uns greifbare Blütezeit des Mithraskultes ist zweifellos im Rom der Kaiserzeit zu suchen.
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1. 1. Alter Orient
Mithras ist eine alte Figur aus jenem Götterpantheon, welches man in Nordindien und im iranischen
Bereich antrifft [Clauss 13]. Greifbar wird Mithras als eine Mittlerfigur in der dualistischen AhuraMazda-Religion der altiranischen Zeit. Er war ein wichtiger Gott für Vertragsabschlüsse.1 Über seine weiteren Funktionen sind die Quellen etwas vage, aber er scheint auf jeden Fall in einer gewissen
positiven Verbindung zum Licht der Sonne, zum Sonnengott, gestanden zu haben. Die Angaben
hierbei schwanken von Mithras als einem Begleiter der Sonne bis hin zur Gleichsetzung mit ihr. In
wie weit die Reform des Zoroaster „die Geltung des Mithras geändert hat, ist noch völlig ungeklärt.“
[Pauly 2132]
- ganz abgesehen davon, daß wir über Zoroaster und dessen Reform wohl ohnehin wenig
gesichertes Wissen haben.
Nachdem durch Alexanders Siege das persische Achaimenidenreich zerstört war, finden wir
Mithras in einigen hellenistischen Diadochenstaaten wieder. Besonders verehrt wurde er wohl in
Kommagene (Standbilder auf dem Nemrud Dagh [Merkelbach 51ff und Abbildungen 263-273]), Pontos
(wo sechs Könige mit dem Namen Mithradates regiert haben [Clauss 14, Merkelbach 43f]), Trapezunt
(Münzprägungen [Merkelbach 44]) und vielleicht bei den kilikischen Seeräubern [Merkelbach 45]. Überall scheint Mithras ein Gott des Vertrages gewesen zu sein, der in enger Verbindung zum Sonnengott gestanden hat.
1. 2. Griechenland
In Griechenland finden wir keinerlei Verehrung des Mithras.2 Man hat dafür gerne die plausible,
einfache und stringent anmutende Behauptung aufgestellt, daß die Griechen mit dem Gott ihres Erbfeindes Persien keine Verbindung eingehen wollten. Als ob die Griechen eine gewisse Scheu davor
gehabt hätten, damit gleichsam kulturimperialistische Interessen der Perser zu unterstützen. Diese
Begründung ist zwar einleuchtend, aber mit Sicherheit falsch. Tatsächlich haben die Griechen3 eine
ganze Menge persischer Vorstellungen angenommen, vom Herrscherkult angefangen bis hin zu
einzelnen Mysterienreligionen, denn wie wir aus unserer letzten Sitzung wissen, hatte beispielsweise Kybele solche Schwierigkeiten nicht. Es muß also einen anderen Grund dafür geben,
1 Der Name Mithras leitet sich vermutlich aus einer Wortwurzel her, die «(freundschaftliches) Band, Vertrag»
bedeutet [Pauly 2132, Clauss 13, Merkelbach 4]. Daß Mithras bei Vertragsabschlüssen angerufen wurde, ist sicher.
2 Das Heiligtum auf der Kykladeninsel Andros ist um die Wende vom 2./3. Jhd. nC von stadtrömischen Soldaten
erbaut worden [Clauss 46].
3 Im übrigen gab es auch in Rom antipersische Ressentiments: Man denke an Diokletians Gesetze gegen die Religion
des Mani, die der Kaiser damit begründete, daß es eine Religion der feindlichen Perser sei. Gleichwohl weihte
Diokletian dem Mithras wenig später einen Altar. Vielleicht sah er in Mithras bereits einen römischen und gar keinen
persischen Gott mehr?
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daß Mithras in Griechenland nie Fuß fassen konnte. So stimme ich auch dem ersten Teil des folgenden Zitats nicht zu, der zweite aber bleibt dikussionsfähig: „Der Gott ihrer [der Griechen] Erbfeinde
konnte die einheimischen Mysterien nicht verdrängen.“ [RGG 1021]
1. 3. Rom
Es ist zwar sicherlich ein spannendes, aber angesichts der Quellenlage wohl eher müßiges Unterfangen, wenn man nach dem verbindenden Element der Traditionslinien der persischen Mithrasverehrung bis hin zur Blütezeit des Mithraskultes im Rom des 2. und 3. Jahrhunderts nach Christus
sucht. Eine solche durchgehende Tradition gibt es nicht [Merkelbach 76, nPauly 288]. Es mag Elemente
in der Religionsausübung geben, die sich überschneiden, aber das heißt noch lange nicht, daß sich
hier ein Kult durch die Jahrtausende hindurch erhalten hat, sondern gibt eher ein beredtes Zeugnis
darüber ab, wie anpassungsfähig gewisse religiöse Vorstellungen sind. Schließlich finden wir
Schöpfungsmythen, Sonnensymbolik und Tieropfer bei vielen (allen?) alten Religionen aus dem
Mittelmeerraum und Kleinasien.
Der römische Mithraskult „ist in Rom oder Ostia entstanden.“ [Clauss 18, meine Hervorhebung, M. F.] Die
vielzitierte Vermutung von M. P. Nilsson, daß die römische Mithrasverehrung einem „unbekannten
religiösen Genie“ [nach Clauss 18, Merkelbach 49, 77] zu verdanken sei, ist zwar eine gute
Arbeitshypothese, aber als eine Hypothese natürlich auch ein deutliches Eingeständnis dessen, daß
wir über den Ursprung des römischen Mithraskultes schlechterdings nichts wissen. Die spannende
Frage ist also eher, wann der römische Mithraskult entstanden ist [RGG 1020].4
Mit dem Beginn des 2. Jahrhunderts nach Christus finden wir Zeugnisse der Mithrasverehrung im
römischen Reich. Diese hält sich bis zum Ende des 4. Jahrhunderts nach Christus, verschwindet
aber mit dem endgültigen (politischen) Sieg des Christentums schnell von der Bildfläche.
Zur Verbreitung der Mithrasreligion im römischen Reich, siehe die ausgegebene Karte [Clauss 34].*
2. Ikonographie
So wenig Texte uns zum Mithraskult auch überkommen haben - die besten Zeugnisse sind hierbei
wohl die pejorativen Äußerungen christlicher Schriftsteller - so vielfältig sind die bildlichen Zeugnisse der Mithras-Verehrung, die uns aus der Zeit des alten Rom verfügbar sind. Trotz zahlreicher
Varianten und Abweichungen in einzelnen Details hat sich eine gewisse «kanonische» Form der
4 Zur Datierung früher Zeugnisse siehe [Merkelbach 147]
* Eine Kopie dieser Karte liegt den Teilnehmern am Seminar vor.
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Darstellung des Gottes durchgehalten. Ich werde diese anhand des Reliefs aus Nersa, Italien, jetzt in
Rom im Thermenmuseum (Museo Nazionale delle Terme) vorstellen.*
Zunächst jedoch zum Aufbau eines Mithräums: Ein Mithräum war stets ein kleiner Ort, in dem sich
nur wenige Menschen (Männer) versammeln konnten. Immer war ein Mithräum einer Höhle nachempfunden (spelaeum): Es war ein - meist unterirdisches - Gewölbe, welches Platz für 20 bis 50
Leute bot. In der Mitte war ein Gang, rechts und links Platz für die Teilnehmer an der Feier und
dem Mahl. Auf der einen Seite des Ganges war der Eingang (meist im Osten), auf der anderen Seite
befand sich ein Relief des Mithras (also im Westen, aber der Blick des Gottes ging nach Osten),
meist eine Darstellung der Tauroktonie;5 oft war das Bild darüber hinaus drehbar und auf der Rückseite befand sich dann das Bild eines gemeinsamen Mahles. Man vergleiche zur Anlage die Rekonstruktion des Mithräums II in Budapest [Clauss 55].**
Das wichtigste Bild in der Mithrasreligion war sicherlich die Darstellung des den Stier tötenden
Gottes, die Tauroktonie. Die zentrale Figur ist Mithras - mit der persischen Mütze - der dem Stier
mit der Linken in die Nüstern faßt und mit der Rechten einen Dolch in die Halsschlagader des Tieres bohrt. Das linke Knie des Gottes zwingt den Stier (halbmondförmig) in die Knie, mit dem rechten Bein stützt sich der Gott ab (und verdeckt die in der Analogie zum Halbmond unpassenden Hinterbeine des Stiers). Sein Mantel bläht sich auf wie das Himmelsgewölbe; sein Blick ist nach hinten
oder in die Mitte (nach vorn, in den Raum des Mithräums) gerichtet, nie auf die Wunde hin.6 Der
Schwanz des Stiers verwandelt sich in eine Kornähre. Oben links befindet sich (mit der Peitsche
zum Antreiben der Zugtiere des Sonnenwagens) der Sonnengott, oben rechts die sich abwendende
Mondgöttin (der mondförmig gehörnte Stier ist ihr Tier). Unter dem Stier sind drei Tiere: Der Skorpion, welcher nach den Genitalien des Stieres ausgerichtet ist, eine Schlange und ein das Blut aus
der Wunde aufleckender Hund. Rechts und links von dieser Szene befinden sich die Dadophoren, 7
links Cautes mit erhobener, rechts Cautopates mit gesenkter Fackel. Zwischen dem Sonnengott und
Mithras befindet sich ein Rabe. Diese Elemente finden sich fast immer - und in etwa in dieser Anordnung - auf den Darstellungen des Gottes Mithras.
Auf diesem Relief sind noch zwei Seitenstreifen abgebildet. Der linke zeigt von oben nach unten die
Gigantomachie; Saturns Traum; die Geburt des Mithras aus einem Stein: Petrogenesie.8 Der rechte
*
5
**
6
Eine Kopie der Darstellung liegt den Seminarteilnehmern vor. Kopiert aus [Merkelbach 321].
Die Stiertötung: taàros = Stier, kte…nw = töten.
Auch diese Zeichnung liegt den Seminarteilnehmern vor.
Es gibt zwar solche Darstellungen, aber man kann davon ausgehen, daß sie sämtlicherweise falsch rekonstruiert worden sind [Merkelbach 316, 317]. Meines Wissen wurde bisher keine unversehrte Statue gefunden, bei der Mithras
auf die dem Stier von ihm zugefügte Wunde blickt.
7 Die Fackelträger: dvd…on = (dimin.) kleine Fackel, fšrw = tragen; dvdoforšw = Fackeln tragen. Daß diese Fackelträger den Morgenstern (FwsfÒros, lucifer = Cautes) und den Abendstern (“Esperos, Hesperus = Cautopates) symbolisieren sollen, ist natürlich sehr naheliegend. Die Namen sind aber etymologisch nicht geklärt [Merkelbach 109,
Anm. 1, Clauss 103].
8 Die Felsgeburt: pštra = Stein, Fels; g…gnomai = werden, entstehen; sie ist auch literarisch bezeugt.
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Seitenstreifen zeigt einen persischen (Mütze!) Reiter (auf einem Stier); zwei mit Dolchen
Bewaffnete, deren einer sich dem anderen unterzuordnen scheint; und wieder zwei Gestalten, von
denen diejenige mit der persischen Mütze wohl die übergeordnete ist.
Ich habe mich der Deutung dieser reichen Symbolik hier weitgehend enthalten - und das war meine
Absicht. Festzuhalten ist: Mithras ist kenntlich an der persischen Mütze; er tötet den Stier; Sonne
und Mond sind irgendwie involviert; Cautes und Cautopates, die Dadophoren sind immer dabei,
ebenso sieht man fast immer den Skorpion, die Schlange und den Hund. Ist ein solches Bild, mit all
diesen Elementen gegeben, darf man sich sicher sein, einer Darstellung des Mithras gegenüber zu
stehen. Angesichts dieser Bilderfülle drängt sich einem natürlich die Frage nach der Deutung, nach
dem mit Mithras verbundenen Mythos auf.
3. Mythos
Ich werde gleichsam genealogisch verfahren und also mit der Geburt des Mithras beginnen. Dennoch will ich gleich vorweg nehmen, daß ich in diesem Kapitel keine schöne und zusammenhängende Geschichte zu bieten in der Lage bin. Es gibt nicht den Mythos des Mithras.
3. 1. Petrogenesie
Abgesehen von einigen anderen Legenden scheint klar zu sein, daß die Geburt des Mithras eine
Geburt aus dem Felsen war. Was auch immer das bedeuten soll (Fels = das steinerne Himmelsgewölbe? [Merkelbach 113]), wir haben viele Darstellungen der Felsgeburt des Mithras: der Petrogenesie. Sicher ist wohl, daß das Geburtsdatum des Mithras die Wintersonnwende war. Astronomisch
(und damals auch astrologisch, denn diese Wissenschaftszweige waren noch nicht fein säuberlich
getrennt) ist das der Zeitpunkt, an dem die Sonne - im Gleichnis gesprochen - ihre Kraft wieder erlangt. Die längste Nacht des Jahres ist vorüber und die Sonne lebt auf, erstarkt. Die Christen feiern
das heute als Weihnachtsfest [Clauss 74].
3. 2. Wasserwunder
Es gibt zahlreiche Darstellungen des Wasserwunders: Man sieht Mithras (persische Mütze), der mit
dem Bogen auf einen Felsen zielt. Oft kniet eine andere Person mit einer auffangbereit gehaltenen
Wasserschale vor dem Felsen. Der Fels selbst ist teilweise ziemlich weit oben angebracht und könnte so auch als eine Analogie zum steinernen Himmelsgewölbe (deren Abbild wiederum das Gewöl-6-
be des Mithäums wäre) verstanden werden [Merkelbach 113]. Wie auch immer: Mithras schießt den
Pfeil gegen den Stein und schon sprudelt Wasser hervor.
3. 3. Mithras und der Stier
Die Geschichte mit dem Stier ist recht unsicher, aber anhand der gefundenen Bilder könnte man wenn man sie gleichsam als Comic-Strip liest - folgenden Ablauf rekonstruieren: Mithras findet den
Stier und bezwingt, zähmt ihn. Er trägt ihn zu einem besonderen Platz, doch der Stier ist unwillig
und bricht aus, versucht seine wilde Freiheit wieder zu erlangen (oder ist einfach nur bockig, unwillig). Der Gott will ihn daran hindern, versucht ihn einzufangen, wird vom Stier in wildem Galopp
fortgeschleppt. Wie auch immer, Mithras erlangt vom Sonnengott die Erlaubnis oder den Auftrag
den Stier zu töten und erledigt diesen Job auch - vielleicht widerwillig. Hier endet dann die Jagd auf
den Stier mit dem Stieropfer, der Tauroktonie. Hierbei muß folgendes festgehalten werden: „Es geht
bei der Tötung des Stieres nicht um Abtötung oder Vernichtung, sondern vielmehr um Verklärung und
Verwandlung.“ [Clauss 89, Merkelbach 17] Darauf deutet (unter anderem) deutlich die sich oftmals in ei-
ne Kornähre verwandelnde Schwanzspitze des Stieres hin.
Irgendwie bezwingt Mithras dann auch den Sonnengott und fährt wie jener im Sonnenwagen davon.
Oder so ähnlich. Ich für mein Teil wasche hier meine Hände nicht in Unschuld, sondern in Unwissenheit und will hierbei nichts Feststehendes und jeder Kritik Überhobenes behauptet haben.
4. Soziologisches
Hierbei ist grundsätzlich festzuhalten, daß man, wenn man über einen kleinen Teil der Anhängerschaft einer Religion Informationen hat, daraus nicht schließen kann, daß dieser Teil einen repräsentativen Querschnitt durch die ganze Anhängerschaft dieser Religion verkörpert. Es mag ein ganz
ausgefallener, regelrecht separierter Kreis von Anhängern sein, deren Namen und/oder gesellschaftliche Position sich per Inschriften der Nachwelt erhalten haben. Natürlich könnte es auch ein repräsentativer Kreis sein, muß es aber nicht.
4. 1. Anhänger
Zu den Anhängern des Mithras gibt es erstens ziemlich viele (und eine recht eindeutige Sprache
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sprechende) archäologische Befunde und zweitens eine ganze Menge an anregenden Rechenspielen.9 Zumindest ein Teil der Mithrasanhänger kann soziologisch recht gut eingeordnet werden, nämlich der wohlhabendere: Auf vielen dem Gott geweihten Darstellungen ist auch der Name und Rang
des jeweiligen Stifters verewigt. Dabei handelt es sich meistens um Soldaten höheren Ranges oder
um Sklaven in wichtigen staatlichen Funktionen, aber nicht um die römische Elite. 10 Nun konnte es
sich ein einfacher Soldat sicherlich kaum leisten, eine Standbild oder ähnliches in Auftrag zu geben;
aber man kann vermuten, daß mit den Offizieren einer militärischen Einheit auch die diesen Offizieren untergebenen Soldaten dem Mithraskult nahestanden. Für eine weite Verbreitung im römischen Heer spricht außerdem die geographische Lage der aufgefundenen Mithräen (vgl. die Karte
von [Clauss 34]): Abgesehen von der Hauptstadt Rom finden wir diese gehäuft in militärischen
Grenzgebieten. Dort aber lebten sicherlich hauptsächlich Soldaten und die mit dem Aufbau der
Verwaltung betrauten Sklaven. Allerdings: Nach Beendigung der Dienstzeit wurden aus Soldaten
Zivilisten und aus höheren Sklaven oft Freigelassene; die Zugehörigkeit zum Mithraskult konnte bei
dieser Veränderung natürlich aufrecht erhalten werden. So ließe sich erklären, daß [laut Clauss 45]
tatsächlich nie mehr als 20% der Mithrasanhänger aktive Soldaten waren. Außerdem mag der Kult
auch für Teile (Männer) der das Militärlager umsiedelnden Bevölkerung ansprechend gewesen sein.
Dazu paßt auch, daß im Mithraskult Frauen ausgeschlossen waren: Er war eine Angelegenheit von
untereinander solidarisch und loyal verbundenen Männern.11 Was aber nicht heißen soll, daß die
Standesschranken während der Kultausübung verwischt wurden; immerhin war der Mithraskult
hierarchisch aufgebaut, nämlich in sieben abgestufte Grade gegliedert.
4. 2. Die Weihegrade
Vermutlich gab es sieben aufeinander aufbauende Grade im Mithraskult. 12 Dies darf nicht nur aus
den archäologischen Zeugnissen geschlossen werden (die allerdings geographisch variieren [nPauly
290]),
es liegt auch ein Bericht des Kirchenvaters Hieronymus vor, der dabei folgende sieben Wei-
hegrade mit dem jeweiligen Namen nennt [Clauss 138]: Rabe (corax), Bräutigam (nymphus), Soldat
9 So versucht zum Beispiel Merkelbach in Anlehnung an F.Coarelli zu errechnen, wieviele Mithräen und Mithras-Anhänger es in Ostia und Rom zur Zeit des größten Blüte des Mithraskultes gegeben haben muß; hier seine Zahlen:
• Ostia: 30 Mithräen, 1200 Anhänger, d.h. 7,5% der Bevölkerung
• Rom: 750 ± 100 Mithräen [Merkelbach 184/185] (Also sehr grob 30000 Anhänger, 3% der Bevölkerung.)
10 Ein Sklave war in der römischen Gesellschaft nicht automatisch ein nichtswürdiger und armseliger Niemand. Seine
soziale Stellung war wesentlich davon abhängig, wessen Sklave er war. Es gab durchaus Sklaven in sehr wichtigen
Positionen. Sehr instruktiv hierzu ist [Merkelbach 153-160]. Nicht die Elite: [nPauly 289]
11 Es gibt zwar ein Zeugnis des Porphyrius, welches es möglicherweise gestattet anzunehmen, daß auch Frauen (als
«Hyänen» oder «Löwinnen») Zugang zum Mithraskult hatten [Pauly 2144], aber die Stelle ist umstritten
[Merkelbach 253, Anm. 4]. Salomonische Lösung: „Frauen waren nicht als mýstai zugelassen.“ [nPauly 288]
12 Vergleiche hierzu die Tabelle der Grade [Kloft 77 aus Merkelbach 85] und die Zeichnung des Fußbodenmosaiks aus
Ostia [Clauss 56]. Beide Graphiken liegen den Seminarteilnehmern vor.
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(miles), Löwe (leo), Perser (perses), Sonnenläufer (heliodromus) und Vater (pater). Wie sich die Anhänger des Mithras auf diese Weihegrade verteilt haben, ob jeder Mithrasanhänger mindestens ein
Rabe (corax) sein mußte, oder ob dies die Weihegrade eines kleinen Teils der Anhängerschaft sind,
den wir dann als eine Art Priesterschaft annehmen dürfen, ist unklar. Des weiteren gibt es natürlich
viele Spekulationen über die Bedeutung dieser Weihegrade.
5. Lehren
„Da es fast nur archäologische Zeugnisse gibt, sind alle die Geschichte und die Doktrinen des Kults
betreffenden Fragen, insbesondere zur Soteriologie, umstritten.“ [nPauly 288, Merkelbach 188 Anm. 1]
Es gab (auch uns) wohlbekannte moralische und philosophische Lehrgebäude zu jener Zeit, als der
Mithraskult aktiv war. Ob irgendeines derselben innerhalb des Kultes Verbreitung fand, ist aber meiner Meinung nach - eine andere Frage und eine eher unsichere Sache. Es wird angenommen, daß
neuplatonisches Gedankengut und griechische Astronomie/Astrologie eine bedeutende Rolle im
Mithraskult gespielt haben. Dafür gibt es zwar viele Indizien (und natürlich ungezählte Möglichkeiten der Zuordnung von archäologisch gesicherter Symbolik zu etwa astronomischen Lehren der
Zeit, immerhin ist der Zodiakus oftmals abgebildet), aber andererseits halte ich es für ausgesprochen
fragwürdig, ob der durchschnittliche Mithrasanhänger besonders philosophisch gebildet war:
„Zweifellos waren nur die wenigsten Mithras-Anhänger in der Lage, die Schriften Platos zu lesen.“ [Clauss
27].
Möglicherweise wäre die vollständige Beantwortung der Frage nach der sozialen Herkunft der
Mithrasanhänger auch eine Antwort auf die Frage nach der Verbreitung von (in weitestem Sinne)
philosophischem Gedankengut unter diesen. Denn wenn uns auf den Inschriften eher die Namen der
sozial und kultisch hochgestellten Persönlichkeiten erhalten sind und wenn die Symbolik der Darstellungen philosophisch interpretiert werden muß, so heißt auch dies nur, daß sozusagen die Crème
der Mithrasanhänger über eine hinreichende philosophische Bildung verfügt hat. Das ist aber keine
umwerfende Einsicht - denn natürlich war die - um im Bilde zu bleiben - Crème der Römer
philosophisch gebildet. Ob aber zum Beispiel neuplatonische Gedanken im Mithraskult generell
eine große Rolle gespielt haben, ist zwar eine geradezu verführerisch interessante, aber, wie ich
glaube, reichlich ungesicherte Vermutung.13
Sehr viel wahrscheinlicher ist hingegen, daß der Mithraskult über ein mehr oder minder ausgefeiltes
13 Mir ist klar, daß es hier große Gemeinsamkeiten gibt - man denke an die ganze Lichtsymbolik, die Stufenleitern etc.
-, aber ich würde daraus keinesfalls weitreichende Folgerungen (wie etwa eine mithräische Reinkarnationslehre)
ziehen wollen. Denn: Es gibt wohl kaum eine religiöse Strömung dieser Zeit, die ohne Lichtsymbolik auskommt.
Überhaupt muß sich eine Religion, will sie in einer bestimmten Gesellschaft erfolgreich sein, mit den dortigen
philosophischen Lehren auseinandersetzen. Das heißt aber nicht, daß diese adaptiert werden müssen.
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System moralischer Lehren verfügte [Clauss 151]. Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang
die Wertschätzung der Vertragstreue: Darstellungen des Gottes Mithras, wie er anderen Personen
oder Göttern die rechte Hand reicht (dex…wsi$, [Syn]dexiosis), finden sich zu allen Zeiten der
Mithrasverehrung. Wenn die Mithrasanhängerschaft der römischen Kaiserzeit rechtmäßig als eine
Art «Männerbund» beschrieben werden kann, wird auch die Aufrichtigkeit untereinander eine große
Rolle gespielt haben. Außerdem sind uns Sätze überliefert, die an kultische Reinheit oder gar Sündenvergebung erinnern [Merkelbach 189, dort wird Porphyrius zitiert].
6. Mithras und Christus
Es ist naheliegend, auf die kultischen Parallelen zwischen den Mithrasmysterien und der christlichen Eucharistiefeier zu verweisen [Clauss 117]. Daß es dort Ähnlichkeiten gab, ist den frühen Christen sehr wohl klar gewesen und sie haben sich teilweise mit Verve in die Aufgabe gestürzt zu beweisen, daß der Kult des Mithras und das, was seine Anhänger dort in der dunklen Höhle treiben,
nichts anderes als eine teuflische Nachahmung der wahren christlichen Weisheit sei. Daß die Christen das Datum ihres Weihnachtsfestes mit voller Absicht auf die Wintersonnwende gelegt haben, ist
unumstritten [Clauss 74]. Man muß aber andererseits nicht so weit gehen, und die bei der Petrogenesie des Mithras oft dargestellten Anwesenden (Dadophoren?) als Hirten ansprechen wollen [Clauss
77].
Freilich: Die Kirchenväter behaupteten, daß die Mithrasdiener alles den Christen nachäffen
würden; mancher moderne Kirchenkritiker behauptet nun das Gegenteil.14 Es ist aber letztlich unklar, welche Religion von welcher welches Element entliehen hat [Clauss 118, Merkelbach 146]. Es gibt
Gemeinsamkeiten: Geweihte Brote, gemeinsames Essen, Lichtmetaphorik, eventuell Erlösungslehre; aber es ist für uns nicht entscheidbar, ob diese Gemeinsamkeiten einfach einer gemeinsamen
Grundlage entstammen, oder aber, ob sie das Produkt - höflich ausgedrückt: - gegenseitiger Befruchtung sind.
Daß der Mithraskult so jählings gegen Ende des 4. Jahrhunderts nC. ausstarb, 15 liegt sicherlich daran, daß das Christentum den Kampf um den politischen Einfluß im römischen Reich gewonnen hat.
Wenn die Soldaten, welche Mithras verehrten, mit diesem den Gott des Vertrages und der Treue gegen ihren Herrn verehrten, dann war dieser Kult ab dem Zeitpunkt obsolet, ab dem sich der Herr der
14 Lesenswert: Deschner, Karlheinz, Abermals krähte der Hahn, 11962, (Berlin?) 1987 S. 90f.
15 Der Mithraskult war eigentlich schon am Ende des ersten Viertels des 4. nachchristlichen Jahrhunderts besiegt; unter
der heidnischen Reaktion in Rom und Kaiser Julians lebte er noch einmal, in einer sehr synkretistischen Weise auf
und verflüchtigt sich dann mit dem endgültigen Sieg des Christentums nach dem Tod Julians 363 nC. Spätestens mit
der Thronbesteigung des Theodosius (379-395) verschärfte sich die antipagane Politik der Kaiser; 391 verbot ein
Edikt die heidnische Kultausübung und sogar den Besuch der Tempel [Clauss 40, 177].
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Soldaten, der Kaiser, gegen Mithras und für Christus entschieden hatte. Dem christlichen Ausschließlichkeitsanspruch, der christliche Intoleranz und Verfolgung Andersdenkender erlag der in
sich wenig strukturierte und fragmentierte Mithraskult dann sehr schnell [Merkelbach 245-250, Clauss
177-179].
Auf der anderen Seite gibt es - denke ich - kaum einen Grund (mit Ernest Renan) zu
glauben, daß die Welt mithrasgläubig geworden wäre, wenn das Christentum nicht gesiegt hätte.
Der Mithraskult war nicht als eine eifrig zu verbreitende Heilsbotschaft für alle Welt konzipiert.
Teil II
In diesem Teil will ich auf die systematischen Fragen eingehen, welche wir uns am Anfang des Seminars stellten, um sie anhand der Beispiele antiker Mysterienreligionen zu besprechen. Ich werde
sie der Reihe nach bearbeiten.
7. Kompatibilität oder Exklusivität von Mysterienkulten
Zumindest für die Spätphase des Mithraskultes ist klar belegt, daß er keineswegs exklusiv war, sondern sich mit wirklich allen anderen religiösen Strömungen - wenn diese ihm nicht feindlich begegneten - vertrug. Wir haben Inschriften, die dies bezeugen, etwa die des Praetextatus (aus dem letzten
Drittel des 4. nachchristlichen Jahrhunderts), dessen Titel lauten: Augur, pontifex Vestae, pontifex
Solis, …curialis Herculis, sacratus Libero et Eleusiniis, hierophanta, neocorus, tauroboliatus, pater patrum
[Merkelbach 247, ähnliches Beispiel bei Clauss 39].
Schon vorher aber gab es solche «Doppelämter», wie
eine Inschrift vom 15.04.313 nC. beweist [Merkelbach 245, Anm. 2]. Allgemein läßt sich vermuten, daß
es kaum einen guten Grund dafür gab, daß der Mithrasanhänger sich anderer religiöser Lehre enthalten sollte. Immerhin war er stets dem Herrscherkult der Kaiserzeit gegenüber solidarisch und außerdem finden sich oft Darstellungen anderer olympischer Götter auf den gefundenen Reliefs. Warum sollte der Mithraskult exklusiv gewesen sein? Vielleicht weil dort nur ein Gott verehrt wurde?
Nun, der unbesiegte Sonnengott stand innerhalb der mythologischen Hierarchie des Kultes vermutlich über Iupiter; und es mag noch eine ganze Reihe anderer mehr oder minder regionaler Götter
gegeben haben, die sich für den Mithrasmysten seinem obersten Gott unterordnen mußten, aber dieser oberste Gott war kein eifersüchtiger Gott. Vielmehr scheint der unbesiegte Sonnengott geradezu
ein Inbegriff religiöser Integrationsfähigkeit gewesen zu sein.
Kurz und gut: Solange Mithras als der Gott der Verträge ein Gott unter vielen im göttlichen Pan- 11 -
theon war, war der Glaube an ihn sicherlich nicht exklusiv; als er zum obersten und unbesiegten
Sonnengott der kultischen Verehrung wurde, bestand wiederum kein Grund, weswegen es nicht
noch andere Götter neben ihm geben sollte. Jeder Mann konnte ohne Ansehen seiner Herkunft und
Religion ein Mithrasmyste werden.
8. Integration in die regionale Religionspraxis
Der Mithraskult wurde im römischen Reich sicherlich von der Obrigkeit mindestens geduldet - bis
diese christlich wurde. Wir wissen, daß die Römer sehr empfindlich gegen klandestine und potentiell staatsfeindliche Vereinigungen waren; daß ein Kult ohne Wissen der Obrigkeit ausgerechnet das
römische Heer unterwandert hat, ist angesichts dessen Aufbau über Loyalitätsbeziehungen zum jeweiligen Herrn unwahrscheinlich. Wir wissen, daß einige Kaiser (Gallienus, Diokletian, Severus,
Caracalla, Julian) dem Mithraskult wohlgesonnen waren. Und es ist klar, daß man nicht inmitten
Roms ein Mithräum bauen konnte, ohne eine entsprechende Genehmigung dafür zu haben [Merkelbach 176]: „Wie andere Kultgemeinschaften in der römischen Kaiserzeit bildeten die Mithras-Anhänger eine
Gemeinde im Sinne einer juristischen Person, eine Korporation mit Eigentumsrecht und geregelter Vermögensverwaltung.“ [Clauss 146] Vermutlich gab es außerdem öffentliche Feiern, vielleicht öffentliche
Opfer [Merkelbach 180ff]. Dennoch ist „der Mithras-Kult nie ein öffentlich staatlich geförderter Kult
geworden und hat nie eine Aufnahme in den staatlichen Festes- und Heereskalender gefunden […].“ [Clauss
36]
Man kann davon ausgehen, daß sich der Mithraskult im heidnischen römischen Reich unschwer in
die gängige regionale Religionspraxis integrierte. Er war offen für die unterschiedlichsten Gottheiten [Clauss 174].
9. Geheimhaltung und Sanktionen
Wenn etwas wirklich geheim gehalten wurde, dann wissen wir es nicht. Wenn es aber bekannt gewesen war, wissen wir es leider oftmals auch nicht, weil die Quellenlage während der Blütezeit des
Mithraskultes in der lateinisch-sprechenden Reichshälfte ausgesprochen schlecht ist - und in der
griechisch-sprechenden spielte Mithras kaum eine Rolle. Wir haben Reste von Porphyrius und Kelsus und natürlich einige durchaus interessante Polemiken von Seiten der Kirchenväter [Merkelbach
188, Anm. 1].
Gesichert ist, daß es Initiationsriten gab [Clauss 111] und wohl auch eine Art «Katechis-
mus», den der Einzuweihende vermutlich lernen mußte [Kloft 76]. Man kann davon ausgehen, daß
ein Eingeweihter nicht zu «Unwürdigen» über die Riten im Mithräum sprechen durfte - allein: mit
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solchen Platitüden ist nicht viel gewonnen. Mir ist kein explizites Schweigegelübde oder ähnliches
(zum Beispiel ein Strafkatalog für denjenigen, der das Schweigen nicht wahrte) bekannt, was natürlich nicht heißt, daß es keines gegeben hat.
10. Ausbreitung und «Mission»
Die Ausbreitung des Mithraskultes erfolgte hauptsächlich über das Heereswesen und einige Verwaltungseinheiten. Von einer regelrechten Mission ist mir nichts bekannt, und dies erschiene mir
auch als unwahrscheinlich, da der Mithraskult schwerlich eine Religion gewesen ist, in der die Meinung vertreten wurde, daß sie die alleinseligmachende sei. Kein Mysterienkult „verfolgte das Ziel, zur
allein gültigen Religion des Römischen Reiches aufzusteigen, da sie alle ein gänzlich individuelles Heil
verkündeten.“ [Clauss 175]
Der Kult wird sich durch das Vorbild der Vorgesetzten, durch die Sehnsucht nach echter Gemeinschaft in der Fremde und durch Mundpropaganda verbreitet haben.
11. Individualisierung versus «Gemeindebildung»
Gemeindebildung war für den Mithraskult fast konstitutiv. Über die engen Loyalitätsbeziehungen
habe ich schon gesprochen. Auffallend ist weiter, daß es nie ein wirklich großes Mithräum gegeben
zu haben scheint. Offenbar war die traute Gemeinsamkeit - in der praktisch jeder jeden kannte - in
der kleinen Höhle des Mithräums eine wichtige Angelegenheit für den Kult. Da man des weiteren
das gesellschaftliche und religiöse Umfeld akzeptierte, ist es unwahrscheinlich, daß der Mithraskult
Individualisierungstendenzen enthielt. Auf der anderen Seite und im Gegensatz zur (ehemaligen) offiziellen römischen Religion, bot der Mithraskult seinen Anhängern natürlich „die Möglichkeit einer
persönlichen religiösen Identität“ [nPauly 288] in Form eines Weihegrades. Aber diese Identität hatte
nur innerhalb des Bundes in der mithräischen Höhle eine auslebbare Gültigkeit. Man mochte sich
zwar seines eigenen Heils bewußt sein, aber wollte und konnte sich nicht vom gesellschaftlichen
Umfeld abkoppeln.
12. Konversion - «Apostasie»
Darüber läßt sich nicht viel sagen. Konversion wird unwichtig, wenn das religiöse Umfeld nicht abgelehnt wird. Dasselbe gilt für Apostasie. Ich weiß nicht, in wie weit es unter die Rubrik «Apostasie» fallen würde, wenn etwa ein Mithrasanhänger zum Christen wird. Denn da kommt natürlich der
christliche Ausschließlichkeitsanspruch ins Spiel. Ich weiß auch nicht, ob man Mithrasanhänger und
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gleichzeitig (halbherziger) Christ sein konnte. Es ist eine Frage der Perspektive: Vom Mithraskult
aus betrachtet spielen die Kategorien «Konversion» und «Apostasie» wohl kaum eine Rolle.
13. Struktur der Jenseitserwartungen
Darüber wird zwar viel spekuliert [Merkelbach 244], aber meiner Einschätzung nach wissen wir darüber praktisch nichts.16 Es gibt neben dem Versuch neuplatonische Jenseitserwartungen für den
Mithraskult nachzuweisen auch die Behauptung, daß Jenseitserwartungen dort überhaupt keine
Rolle gespielt hätten [Bremmer 97]. Es ist meiner Einschätzung nach beides sehr gut denkbar. Einerseits legt die uns überkommene Symbolik den Schluß nahe, daß im Kult Spekulationen über den
Fixsternhimmel, die Planeten, die Himmelssphären und den Ab- und Aufstieg der Seele en vogue
waren, andererseits läßt sich ein gemeinsamer Kult auch leicht durch den «Männerbund», die dort
geforderten Tugenden und vielleicht dem simplen Spaß an religiöser Symbolik von seiten der Kultleitenden erklären.
Es erscheint mir wichtig darauf hinzuweisen, daß die nichtchristlichen schriftlichen Zeugnisse für
den Mithraskult aus der Feder von zwei neuplatonischen Autoren stammen. Es hat daher für unser
Wissen des Kultes wenig Beweiskraft, wenn diese die Lehren des Mithraskultes im Licht ihrer
Weltanschauung darstellen.
14. «Vergeltungstheologie»
Darüber ist mir schlechterdings nichts bekannt. Wenn der Mithraskult neuplatonisch inspiriert war,
könnte man leicht eine Vergeltungstheologie aufbauen - wie das Platon ja getan hat (z. B. Gorgias
523a ff). Aber in einem eher weltlich ausgerichteten «Männerbund» wären solche Lehren wohl nicht
gerade notwendig gewesen; man hätte sie nicht gebraucht.
15. «Orientalische» Herkunft
Die steht für den Mithraskult außer Frage. Trefflich streiten läßt sich aber über die Tradierung. Ich
glaube, daß zwar die orientalische Bilderwelt den Kult auch in der Kaiserzeit stark beeinflußt hat was sich kaum leugnen läßt -, daß aber dennoch der Kult in Rom eine ziemlich römische Religion
gewesen ist [Merkelbach 233]. Inwieweit er dann zu dieser Zeit von neuplatonischen Gedanken durch16 Ich kann hier nur folgendes wiederholen: „Da es fast nur archäologische Zeugnisse gibt, sind alle die Geschichte und
die Doktrinen des Kults betreffenden Fragen, insbesondere zur Soteriologie, umstritten.“ [nPauly 288, meine Herv.]
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setzt war, erscheint mir ungewiß.
16. Gottesvorstellungen der Mysterien
Mithras war sol invictus, fautor imperii und der Stiertöter. Inwieweit das Stieropfer kosmogonische
Bedeutung hat, ist schwer zu ermitteln, aber naheliegend. Immerhin gibt es Zeugnisse, in denen
Mithras als «Schöpfer und Vater des Alls» und als «Kosmokrator» betitelt wird [Clauss 92]. Ob und
in wie weit die Anhänger des Mithras ihren Gott als einen allmächtigen, abstrakten Gott faßten, ist
meiner Meinung nach ungewiß. Allein die Tatsache, daß uns der Gott immer bei einer doch eher
weltlichen Beschäftigung (Tauroktonie) dargestellt wird, bedeutet nicht viel für das eigentliche
Gottesbild der Anhänger. Die Christen sahen in ihrem Gott ja auch immer mehr als nur einen leidenden Juden. Daß Mithras demgegenüber als ungleich aktiver und männlicher erscheint, wird seinen Anhängern sicherlich gefallen haben. Was sie aber sonst von ihrem Gott zu wissen glaubten,
war geheim oder ist der Zerstörung anheimgefallen und nun vom Mantel der Geschichte verdeckt.
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Bibliographie
BREMMER, Jan N., Götter, Mythen und Heiligtümer im antiken Griechenland, Berlin 1998
CLAUSS, Manfred, Mithras: Kult und Mysterien, München 1990 — [Clauss]
KLOFT, Hans, Mysterienkulte der Antike, München 1999 — [Kloft]
MERKELBACH, Reinhold, Mithras, Königstein/Ts. 1984 — [Merkelbach]
Lexika:
- Paulys Realencyclopädie der classischen Alterumswissenschaft, Stuttgart 1932 — [Pauly]
- Der neue Pauly, Stuttgart 2000 — [nPauly]
- Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 31960 — [RGG]
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