Flirten, Streiten und Reden übers Wetter – ganz diskret

Transcrição

Flirten, Streiten und Reden übers Wetter – ganz diskret
Essay
Prof. Dr. Nadine Rentel
Flirten, Streiten und Reden
übers Wetter – ganz diskret
4EVER
faik as far as i know / soweit
ich weiß afair as far as i remember / soweit
ch mich erinnere aight alright, in Ordnung aij Am I jesus? / Bin ich Jesus?
is as i said akla Alles klar? ALDI Am liebsten Dich ALDIR Alles Liebe Dir
AmO Hinterteil mit Ohren asap as soon as possible asl age sex location
Alter Geschlecht Ort aso achso AT Arbeitstag atm at the moment / im
2L8
moment
ayor at your own risk aza azad b* bitch b2t back to topic b4 beore B:-) Sonnenbrille über den Augen BaB Bussi auf´s Bauchi BABS Bin
uf Brautschau BaPBIDUNOWA
Bussi auf Pussy bb bye bye BBB bye-bye baby BBS
e back soon bd Bis dann! bDd bist du doof bddt Bis denn dann tschüss
GN8 bgnd bin grade nich da BGZ Bin gleich zurück! BIALZHA
g background
in allein zu Haus biba Bis bald bibabu bis bald bussi bidunowa bist Du
och wach? bigbedi bin gleich bei Dir hoba bis hoffentlich bald bimo bis
morgen BLBR Bussi links, Bussi rechts blh baby löwen herz ( kosena:@) bmdan bis morgen dan boeBBB
me) bmaw bist mir assi wichtig
böse boon
nfänger br best
regards brb be right back / bin gleich zurück brd bunZUMIOZUDI
esrepublik deutschland BS Bulshit bse bin so einsam btw by the way /
usserdem BULIBUR Bussi links, Bussi rechts bvid bin verliebt in Dich
ö böse c(_) Kaffeetasse / Teetasse (-pause) C=:-) Chef cb come back /
omm zurück COLA Come later - komme später cs Cyber Sex cu see you
:-)ss
(00)
Man sieht sich cul see you
later cya see ya / Man sieht sich oder cover
our ass / Pass auf dich auf cz because tbc to be continued / Fortsetzung
olgt TD Trau dich tds te dua shum tgif thank god, it´s friday thx thanks
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Flirten, Streiten und Reden übers Wetter – ganz diskret
Peter möchte seinen Freund Michael fragen, ob dieser am kommenden Wochenende Lust und
Zeit hat, mit ihm die Partie des heimischen Fußballvereins im Stadion anzuschauen. Es ist 22.30
Uhr am Donnerstagabend. Peter verfasst eine SMS mit dem Text „Lust am WE auf Stadion?
Habe Karte übrig. Bitte kurz melden, P.“
Warum hat Peter seinen langjährigen Freund nicht direkt angerufen? Dann hätte er umgehend
gewusst, ob dieser mitkommt oder bereits etwas anderes vorhat. Nun muss er warten, bis die
Antwort-SMS eintrifft oder bis er einen Rückruf seines Freundes erhält. Vermutlich wollte Peter
Michael um diese Uhrzeit nicht mehr stören, da er nicht sicher war, ob dieser seine Freundin
zu Besuch hatte oder bereits im Bett war – einen Anruf hätte er daher wohl als unberechtigtes
Eindringen in dessen Privatsphäre empfunden. Eine Störung spät am Abend, auch wenn es sich
um enge Freunde handelt, könnte den Angerufenen verärgern und für den Anrufer peinlich sein.
Die versandte SMS hingegen überschreitet diese Grenze nicht.
Gründe für den Siegeszug von SMS: der Vorläufer sozialer Netzwerke?
Seit seiner Kommerzialisierung zu Beginn der 90er Jahre erfreut sich der Versand von SMS
einer ständig wachsenden Beliebtheit. Dabei ist die Tatsache bemerkenswert, dass die Mobil­
funkunternehmen SMS (Short Message Service) ursprünglich nicht als primären Dienst konzipiert hatten, sondern die Kurznachrichten an ihre Kunden versandten, um diese über entgangene Anrufe oder Nachrichten auf ihrer Sprachbox zu informieren. Der Erfolg von SMS
als Kommunikationsform zwischen einzelnen Nutzern kam völlig unerwartet, so dass man aus
heutiger Perspektive sagen kann, dass der unter wirtschaftlichen Aspekten bedeutendste mobile
Dienst aus einem Nebenprodukt entstanden ist. In 2010 haben die Mobilfunkunternehmen
weltweit rund 105 Milliarden US-Dollar mit SMS-Diensten umgesetzt, was 80 Prozent der
Einnahmen aller Datenkommunikationsdienste entspricht. Für das Jahr 2015 werden weltweite
Einnahmen von rund 140 Milliarden US-Dollar durch den Versand von SMS prognostiziert1.
Dieser p
­ rognostizierte Wachstumstrend ist umso erstaunlicher, als dass eine Vielzahl alternativer
Kommunikationsmöglichkeiten existiert, die es erlauben, technisch komfortabel multimedial zu
kommunizieren.
Die Vorteile gegenüber der Sprachtelefonie
Warum entscheiden sich also so viele Nutzer für den Versand einer SMS, statt mit dem Mobiltelefon zu telefonieren? In der Forschung besteht die Hypothese, dass dies in erster Linie durch
einen höheren Grad an Diskretion zu erklären ist, den eine SMS gewährleistet. Während man
bei einem Anruf nie sicher sein kann, ob der Gesprächspartner gerade disponibel, das heißt zu
einem Telefonat aufgelegt, ist, können SMS zwar rund um die Uhr empfangen werden – wann
man darauf antwortet, bleibt letztendlich aber jedem Einzelnen überlassen. Zudem ist der Sender
im Rahmen der SMS-Kommunikation, anders als beim Telefonat oder gar in der face-to-faceKommunikation, nicht unmittelbar mit der Reaktion des Empfängers konfrontiert. Dies wiederum ermöglicht ihm, sein Gesicht zu wahren – ein entscheidender Vorteil in der interpersonalen
Interaktion – und erklärt, weshalb man gerade bei heiklen Themen die SMS dem Telefonat vorzieht. Dazu gehört auch das Beendigen einer Beziehung, umgangssprachlich „Schluss machen“
genannt, wozu es aus der Welt der Prominenten zahlreiche Belege gibt.
1 Computerworld.ch; Merkur-online.de; blog.norberteder.com
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Die Vorteile gegenüber der E-Mail-Kommunikation und Sozialen Netzwerken
SMS stellen, im Vergleich zur Kommunikation in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter oder auch zum E-Mail-Versand, eine sehr einfache Art der Kommunikation dar. Man benötigt keine Passwörter, keine E-Mail-Adresse des Empfängers oder gar ein Zugangskonto, um
miteinander zu kommunizieren. Die regelmäßige Pflege zum Beispiel eines Facebook-Auftritts
beziehungsweise eines Twitter-Kanals erfordert zudem einen vergleichsweise hohen Aufwand.
Anders als auf der öffentlichen Plattform Facebook, deren dominierende Funktionen neben
der Pflege sozialer Kontakte in der positiven Selbstdarstellung der Kommunizierenden besteht,
handelt es sich bei SMS um eine privat-intime one-to-one-Kommunikation zwischen einzelnen
Individuen, die es ermöglicht, seinen Emotionen spontan Ausdruck zu verleihen. Bei sozialen
Netzwerken hingegen handelt es sich um massenmediale Kommunikation, da die Inhalte eines
Nutzerkontos häufig dem gesamten Netzwerk zugänglich sind. Will man zudem sichergehen,
dass eine Botschaft umgehend ihren Empfänger erreicht, wird man sich statt für die E-Mail oder
das soziale Netzwerk für den Versand einer SMS entscheiden, da für diese Kommunikationsform aufgrund der Semi- beziehungsweise Quasi-Synchronizität davon auszugehen ist, dass der
Empfänger binnen kurzer Zeit antworten wird. Der E-Mail-Posteingang hingegen wird nicht
permanent abgefragt, und auch ein Facebook-Account wird nicht unbedingt stündlich oder gar
­minütlich aktualisiert, weshalb sich diese Kommunikationsformen nicht für die Organisation des
Alltags oder die spontane emotionale Entlastung eignen. Beim SMS-Versand fällt die F
­ unktion
der Selbstdarstellung, die häufig in sozialen Netzwerken zu finden ist, weg; in SMS ist es möglich, ganz offen und ehrlich über negative Emotionen, Ängste und ähnliches zu kommunizieren.
Man kann daher auch sagen, dass SMS eine sehr einfache Form der sozialen Netzwerke darstellen, mit spezifischen Funktionen wie der Pflege privater Beziehungen oder der spontanen Koordination des Alltags, einem exakt bestimmbaren Adressatenkreis und einer dialogischen one-toone-Kommunikation. Auch wenn es mittlerweile möglich ist, eine SMS an mehrere Empfänger
gleichzeitig zu schicken, ist davon auszugehen, dass die one-to-one-Kommunikation überwiegt.
Und auch die Antwort ergeht in der Regel an einen einzelnen Empfänger, im Gegensatz zur
one-to-many- beziehungsweise massenmedialen Kommunikation mit dispersem Publikum via
Facebook oder Twitter.
Die drei zentralen Vorteile der SMS-Kommunikation gegenüber den sozialen Netzwerken bestehen somit in der technisch einfachen Bedienung und der damit verbundenen permanenten
Erreichbarkeit (Ubiquität), in der quasi-synchronen Kommunikation, die zeitnahe Reaktionen
ermöglicht, sowie in ihrem privaten, nicht-öffentlichen Charakter. Vermutlich macht eben diese
Kombination den Reiz von SMS aus – selbst gegenüber den sozialen Netzwerken, die doch mit
einer ganzen Reihe an Vorteilen, zum Beispiel der Integration von Audio- und Videodateien,
aufwarten.
Forschungsprojekt enthüllt die „Black Box“ SMS
Obwohl SMS unter den Datenkommunikationsdiensten der Haupt-Umsatzträger der
­Mobilfunkunternehmen sind, stellen sie für die Betreiber eine „Black Box“ dar: Es liegen keine
­gesicherten Erkenntnisse darüber vor, worüber in Kurznachrichten überhaupt kommuniziert
wird. Aussagen diesbezüglich basieren entweder auf der Intuition einzelner Personen oder auf
Probandenbefragungen. Hier stellt sich allerdings das Problem, dass die Befragten vermutlich nicht offen zugeben, worüber sie sich in ihren SMS austauschen. Obwohl SMS also täglich ­milliardenfach versendet werden – alleine die Deutschen versenden zirka 1.300 SMS pro
­Sekunde –, weiß niemand wirklich, was die Inhalte dieser Nachrichten sind.
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Um aber die Frage nach den Inhalten von SMS beantworten und einen Blick in die „Black Box“
werfen zu können, bedarf es einer ausreichend großen Sammlung authentischer sprachlicher
Daten. Ein solches Korpus lag für SMS bisher nicht vor.
In einem Forschungsprojekt, das an der Fakultät Sprachen der Westsächsischen ­Hochschule
­Zwickau angesiedelt ist, wird derzeit ein mehrsprachiges Korpus von SMS ausgewertet, die
­Nutzer am Computer verfasst und an Mobiltelefone weitergeleitet haben. Die Daten wurden
während eines Zeitraums von 24 Stunden vom Server eines Internetproviders aufgezeichnet und
für die weitere Auswertung anonymisiert, um die Privatsphäre der Nutzer zu wahren. Gelöscht
beziehungsweise ersetzt wurden auf diese Weise zum Beispiel Adressangaben, Telefonnummern,
E-Mail-Adressen und Bankdaten.
Aufgrund ihres Umfangs von zirka einer Million Nachrichten und der Authentizität der Daten
ist diese Materialsammlung bislang einzigartig. Die Verteilung auf die einzelnen Sprachen zeigt
die Tabelle.
Sprache
Anzahl SMS
% Korpus
Deutsch
658.640
82,3%
Englisch
29.484
3,7%
Italienisch
11.105
1,4%
Französisch
1.780
0,22%
Spanisch
1.229
0,15%
98.075
12,25%
Andere (Rumänisch, Türkisch, Polnisch)
Kommunikationsanlässe in privaten SMS
Im Rahmen der Analyse wurde die Relevanz bestimmter Themenbereiche beziehungsweise Kommunikationsinhalte anhand der Häufigkeit von Schlüsselwörtern festgemacht. Nach einer ersten
Analyse ergibt sich, dass private SMS in der Tat mit dem Ziel verfasst werden, den Alltag zu
koordinieren – in diesem Kontext wird auch versucht, den Empfänger zu bestimmten Handlungen zu veranlassen – und soziale Beziehungen zu pflegen; dies wiederum prädestiniert SMS
für den Einsatz in sozialen Netzwerken. Geschäftliche Kommunikationsanlässe kommen in dem
Korpus nicht vor. Andererseits muss man sich aber auch die Frage stellen, weshalb vermutlich
in der geschäftlichen Kommunikation seltener SMS verschickt werden als in der privaten Interaktion. In der geschäftlichen Kommunikation greift man zum Telefon oder schickt eine E-Mail,
wenn Informationen mit dem Geschäftspartner ausgetauscht werden sollen. Der Versand einer
SMS hingegen würde als Eindringen in die Privatsphäre des Kommunikationspartners angesehen beziehungsweise von der kommunikativen Funktion her nicht angemessen sein, da nicht
die spontane Alltagsorganisation oder der Austausch von Emotionen im Zentrum stehen. Der
Vertrautheitsgrad zwischen den Beteiligten und die dadurch möglichen Kommunikationsinhalte
scheinen sich somit auf die Wahl der Kommunikationsform auszuwirken.
Im Folgenden werden exemplarisch vier Kategorien vorgestellt, die sich besonders häufig im Korpus nachweisen lassen. In allen bereits untersuchten Sprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch
und Spanisch) umfassen diese Kommunikationsinhalte zusammen genommen mehr als zwei
Drittel aller behandelten Themen:
• Organisieren des Alltags und Informationsaustausch (socio-coordinative): Bestätigen und
Ändern von Verabredungen, Frage nach dem Aufenthaltsort des Kommunikationspartners, Austausch von Telefonnummern.
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• Zuneigungsbekundungen und Beziehungspflege (affective): Erkundigen nach dem Befinden, Kundgabe über eigenes Befinden, Dank für eine vorhergegangene Nachricht.
• Phatische Kommunikation (phatic): Reden über das Wetter; Anbahnen und Aufrechterhalten einer sprachlichen Interaktion, Vermeiden von „Sendepausen“.
• Metakommunikation: Thematisierung der Kommunikationsform; häufig mit dem Zweck,
Kommunikationspausen zu vermeiden beziehungweise diese, wenn sie bereits entstanden sind,
zu erklären und zu entschuldigen; auf diese Weise soll das gute Funktionieren sozialer Beziehungen gewährleistet werden.
„Warum schreibst du mir nicht zurück?“ – „Sorry, Guthaben war alle“ –
Metakommunikation in SMS
Nach der quantitativen Analyse zeichnet sich die Tendenz ab, dass die als metakommunikativ klassifizierten Kommunikationsanlässe in allen bisher untersuchten Sprachen besonders
häufig auftreten. Als metakommunikativ werden SMS-Nachrichten bezeichnet, deren Thema
das ­Medium Mobiltelefon, die Kommunikationsform SMS und die damit verbundenen technischen, finanziellen und kommunikativen Rahmenbedingungen ist.
In den Beispielen (1) bis (4) werden Schwierigkeiten mit dem Kommunikationsmedium
­thematisiert. Ein Teil der Nutzer ist entweder mit der Bedienung von Mobiltelefonen überfordert oder möchte die Verantwortung für eine seit Längerem ausstehende Antwort auf technische
Aspekte zurückführen. In den Beispielen (5) bis (7) hingegen steht das aufgebrauchte Guthaben,
das heißt begrenzte finanzielle Ressourcen, im Zentrum. Beispiel (8) schließlich verweist auf
die begrenzte Textlänge beziehungsweise Zeichenanzahl, die es in einigen Fällen erfordert, eine
Mitteilung in mehrere Nachrichten aufzusplittern.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
„Ich hab jetzt mal versucht dir ne sms zu schicken wenn das klappt sag Bescheid. “
„Nun versuche ich dir ein sms zu schreiben antworte bitte ob es funktioniert.“
„Ich hoffe diese sms kommt an.“
„Ich weiß nicht ob du meine sms bekommen hast oder nicht.“
„Handykarte war leer.
„Hab leider kein Geld mehr auf der Karte.“
„Kann selber nicht texten kein Geld.“
„Winterliche Grüße aus Köln und eine längere sms in mehreren Teilen.“
Bedingt durch den hohen Grad an Dialogizität der SMS-Kommunikation weckt eine längere
zeitliche Distanz oder „Sendepause“ Misstrauen und provoziert Nachfragen und Entschuldigungen. Muss der Kommunikationspartner mehrere Stunden auf die Antwort warten, betrachtet
er die Kommunikation in der Regel als abgebrochen. Stark verspätete Reaktionen greifen daher
nicht das Gesprächsthema auf, sondern thematisieren die Verspätung. Der Verweis auf die hohen
Kosten kann hierbei sprachlich explizit als Entschuldigung oder Begründung verwendet werden
beziehungsweise tritt als Mutmaßung und/oder Vorwurf auf (Beispiele (9) bis (13)).
Weiterhin lässt sich in den untersuchten SMS nachweisen, dass die Sender zwischen unterschiedlichen – traditionellen und modernen – Kommunikationsmedien wechseln (mode-switching).
Dabei kann die SMS der Ankündigung weiterer kommunikativer Handlungen dienen (Beispiel
(16), in dem der Versand eines klassischen Briefs in Aussicht gestellt wird; Beispiel (17), das
die Einladung zur Teilnahme am Chat enthält) oder auf vorhergegangene Interaktionen Bezug
nehmen (Beispiel (15)):
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19.„Ich hab so lange nicht geschrieben, weil ich fast kein Geld mehr drauf hatte.“
10.„Hat etwas länger gedauert denn ich hatte noch kein Guthaben.“
11.„Er meldet sich nicht mehr. Warum nur? Hat er kein Geld mehr drauf?“
12.„Bist Du schon im Bett oder schickst du mir keine sms weil du dein guthaben schonen willst?“
13.„Was ist los mit Dir? Warum antwortest Du nicht?“
14.„Lebst Du noch? Es ist sehr ungewöhnlich, so lange nichts von Dir zu hören!“
15.„Die Postkarte war cool. “
16.„Ich schicke Dir bald einen Brief.“
17.„Bin gleich wieder im Chat, wenn du vorbeischauen willst.“
„Kann ohne dich nicht leben“ – Liebesbekundungen und soziale Kontaktpflege
Im Rahmen von emotional-affektiv geprägten SMS teilen sich die Kommunikationspartner mit,
dass man sich liebt oder einander vermisst:
18.„Ich liebe Dich so, Julia.“
19.„Ich vermiss dich ganz doll.“
In Nachrichten dieses Typs wird die Funktion der sozialen Kontaktpflege par excellence erfüllt,
indem man sich versichert, dass die Beziehung trotz räumlicher Distanz reibungslos funktioniert.
SMS bieten hier eine ideale Plattform, um affektiv-emotionalen Kommunikationsbedürfnissen
nachzukommen.
„Mir geht’s total dreckig“ – Thematisieren der allgemeinen Befindlichkeit
Das Kommunizieren über das körperliche und/oder seelische Befinden der Interaktionspartner
ist, wie die Liebesbekundungen, der affektiv geprägten SMS-Kommunikation zuzurechnen. Aufgrund des dialogischen „Gesprächs“-Charakters von SMS auf Nachrichten wie in Beispiel (20)
und (21) ist ein Trost zu erwarten, was wiederum der Beziehungspflege dient.
20.„Mir geht es schlecht.“
21.„Bin krank.“
„Wo um alles in der Welt steckst du?“ – Thematisieren des Ortes
Bedingt durch die räumliche Distanz der SMS-Kommunikation kann der Kommunikationspartner nicht wissen, wo sich sein Gegenüber gerade befindet, Hierdurch entstehen Nachfragen
hinsichtlich des Aufenthaltsortes. Eine weitere Funktion von Ortsthematisierungen ist der Hinweis darauf, dass der Kommunikationspartner für einen bestimmten Zeitraum, bedingt durch
bestimmte Umstände wie Meeting, Discobesuch, Arztbesuch und andere, nicht uneingeschränkt
erreichbar ist (antizipierte Entschuldigung):
22.„Gehe gleich in den Schnee.“
23.„Ich gehe jetzt in die Disco. Ich kann jetzt nicht mehr sms schicken.“
24.„Hallo wo seid Ihr jetzt was sollen wir kochen?“
25.„In was für einem Land bist Du eigentlich?“
26.„Bist Du schon unterwegs? Wenn ja, wo bist Du schon?“
27.„Schöne Grüße hier aus Deutschland!“
28.„Wo bist Du?“
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Nachrichten dieser Kategorie erfüllen somit sozio-koordinative Funktionen. Dies gilt insbesondere für das iterative kommunikative Aushandeln von Verabredungen im Rahmen umfassender
SMS-Dialoge.
„Schönes Wetter heute, oder?“ - Thematisieren des Wetters
Bei der Thematisierung der Wetterlage in SMS handelt es sich, wie beim Smalltalk im mündlichen Gespräch, um die Realisierung phatischer Kommunikation („Kommunizieren um des
Kommunizierens willen.“). Die Funktion solcher Mitteilungen besteht darin, im Rahmen der
sozialen Beziehungspflege Kontakte anzubahnen oder aufrechtzuerhalten. In SMS dient die Thematisierung des Wetters häufig dazu, den Einstieg in die Kommunikation zu finden oder nach
einer längeren Pause deren Fortsetzung zu initiieren.
Äußerungen dieser Art entstehen in der SMS-Kommunikation oft in Phasen der Langeweile, der
Nichtaktivität oder in Übergangsphasen (im Stau stehen, im Zug sitzen).
29.„Bei uns schneit es noch.“
30.„Es ist doch ein geiles Wetter draußen, oder?“
31.„Mir ist todlangweilig in der Vorlesung.“
Anwendungsperspektiven: Diensteoptimierung und Mobile Marketing
Die ersten Ergebnisse der Studie zeigen, dass die häufigsten Kommunikationsanlässe in SMS
die Alltagskoordination und die Beziehungspflege sind. Aus diesem Grund stellen SMS eine
einfache, aber auch sehr intime Form sozialer Netze dar. Dies eröffnet gerade in Märkten mit
einer noch geringen Smartphon-Penetration neue Anwendungsgebiete. Hier könnten nutzerfreundliche SMS-Dienste die Realisierung der oben genannten Kommunikationsanlässe weiter
unterstützen und erleichtern. Zusätzlich ließen sich die bekannten sozialen Netze und Dienste
wie beispielsweise Twitter um eine intimere Komponente, die insbesondere dem Zweck der Alltagskoordination und der Beziehungspflege dient, erweitern. Weitergehende Untersuchungen
des vorliegenden Korpus werden zeigen, ob eine detaillierte Kategorisierung der Kommunika­
tionsanlässe möglich ist.
Eine Ausweitung der Inhaltsanalyse von SMS erfordert natürlich, dass die Kunden im Vorfeld
einer Nutzung ihrer Daten, das heißt der regelmäßigen Auswertung der von ihnen v­ ersandten
SMS hinsichtlich ihrer Inhalte, zustimmen. Ist es im Rahmen des operativen Geschäfts, unter
Berücksichtigung und Schutz der Privatsphäre, möglich, einzelne SMS zu analysieren, können
die Kenntnisse über die Kommunikationsanlässe gezielt genutzt werden. Beispielsweise könnten
zielgruppen- beziehungsweise nutzerspezifische Werbebotschaften auch im Browser des Smartphones platziert werden (Mobile Marketing), die ganz auf die Bedürfnisse und Vorlieben individueller Mobilfunkkunden zugeschnitten sind. In Phasen der Langeweile könnten die Mobilfunk­
unternehmen den Kunden Vorschläge zur Freizeitgestaltung machen, ebenso im Kontext von
Ortsthematisierungen unter Nutzung von Geodaten. Lässt sich aus einer Nachricht entnehmen,
dass deren Sender krank ist, empfiehlt sich der Hinweis auf den nächstgelegenen Arzt beziehungsweise eine Apotheke. Steht die Koordination des Alltags im Zentrum, können auf der Basis
von Schlüsselwortanalysen passende Geschäfte in der näheren Umgebung empfohlen werden.
Sind die Nutzer hingegen nicht mit der Verwendung ihrer Kurznachrichten einverstanden, besteht immer noch die Möglichkeit, die bestehenden Forschungsergebnisse zu verwenden, um
signifikant häufig auftretende Inhaltskategorien zu identifizieren und die Dienste, ausgehend
von diesen Kommunikationsanlässen, situations- und überindividuell, zu optimieren. Um zum
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Beispiel die Sender längerer Nachrichten von einem expliziten Hinweis auf die Aufteilung ihrer
Botschaft zu entbinden, wäre es denkbar, in solchen Fällen automatisch generierte SMS mit
einem entsprechenden Hinweis zu verschicken, damit der Empfänger sich auf den sukzessiven
Empfang der Nachrichtenteile einstellen kann.
Diese würden aber vermutlich nur dann angenommen werden, wenn die Einfachheit der SMSKommunikation nicht in Frage gestellt wird. In jedem Fall gehen Prognosen davon aus, dass
der Versand von SMS auch in den kommenden Jahren weiter ansteigen wird2. Dies betrifft zum
einen den Versand privat-informeller SMS zwischen einzelnen Personen, zum anderen aber auch
die Verknüpfung von SMS mit weiteren Kommunikationsdiensten wie Twitter oder Facebook.
Ausblick: Medienkonvergenz
Die ohnehin komplexe Aufgabe, SMS und andere Kommunikationsformen voneinander abzugrenzen, wird durch die verstärkte Nutzung von Smartphones zusätzlich erschwert. Hat man
zu Beginn der E-Mail-Kommunikation sein Postfach vielleicht einmal pro Tag kontrolliert, werden die Nutzer von Smartphones nun permanent über eingehende Mails auf dem Laufenden
gehalten. Auch wird der Versand von E-Mails und SMS von Smartphones durch die im Vergleich
zu herkömmlichen Mobiltelefonen komfortable Tastatur erleichtert, so dass sich die kommunikativen Rahmenbedingungen des SMS- und E-Mail-Versands, insbesondere die Quasi-Synchronizität und damit Dialogizität, einander annähern beziehungsweise konvergieren. Dies wirkt sich
auf die Länge und auf die sprachliche Form der Nachrichten aus: Vom Smartphone versandte EMails können, ähnlich wie eine SMS, sehr kurz sein und beispielsweise lediglich einen Satz umfassen. Den einzigen Hinweis darauf, dass es sich um eine E-Mail und eben nicht um eine SMS
handelt, bekommt der Empfänger anhand metakommunikativer Hinweise des Typs „Sent from
my iphone“ oder „Sent from my Blackberry“. Umgekehrt könnten SMS, die vom Smartphone
aus versendet werden, aufgrund der Eingabemodalität den Charakter einer E-Mail annehmen.
Die Frage ist nun aber, ob sich die von Smartphones versandten SMS und E-Mails nicht doch
aufgrund ihrer funktionalen Komplementarität voneinander unterscheiden, das heißt, dass Nutzer gezielt eine SMS verfassen, wenn es um privat-intime Kommunikationsinhalte geht, und
tendenziell häufiger auf die E-Mail zurückgreifen, wenn die reine Informationsvermittlung im
Zentrum steht? Stehen die technischen Rahmenbedingungen im Hintergrund der Entscheidungsfindung, indem die Nutzer bewusst zwischen den beiden Kommunikationsbereichen trennen? Die Erkenntnisse aus der Materialauswertung scheinen zu bestätigen, dass es sich zumindest bei E-Mails und SMS um funktionale Varietäten mit eigenen inhaltlichen Schwerpunkten
handelt: Obwohl zwischen SMS, die vom Mobiltelefon verschickt werden und jenen, die am
Computer verfasst werden, auf der sprachlichen Ebene Unterschiede bestehen, konvergieren die
Kommunikationsinhalte. Es handelt sich keinesfalls um E-Mails.
Die Medienkonvergenz scheint sich somit nicht nachteilig auf die Verbreitung von SMS auszuwirken. Im Gegenteil: Der Siegeszug von SMS ist noch lange nicht beendet und wird vielleicht in
Zukunft verstärkt Einzug halten in die Kommunikation über soziale Netzwerke – ganz diskret.
Prof. Dr. Nadine Rentel ist Professorin für Romanische Sprachen mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsfranzösisch an der
Fakultät Sprachen der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Nach ihrem Studium der Romanistik und der Computerlinguistik an den Universitäten Duisburg und Poitiers (Frankreich) und ihrer Promotion zu Sprache-Bild-Relationen in
der französischen Anzeigenwerbung war sie vier Jahre lang als DAAD-Lektorin in Frankreich tätig, zuletzt an der Pariser
Sorbonne. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Wirtschafts- und Wissenschaftskommunikation, der Sprachund Kulturvergleich sowie die Besonderheiten der SMS-Kommunikation. Im Rahmen der Kooperation mit der Elitehochschule EHESS (École des Hautes Études en Sciences Sociales) in Paris veranstaltet sie regelmäßig ­internationale,
interdisziplinär ausgerichtete Konferenzen zur Interkulturellen Kommunikation.
2 Quelle: Informa Telecoms & Media
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