Salle Fischermann - Friedrich-Ebert

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Salle Fischermann - Friedrich-Ebert
GESCHICHTE
LIVE
Vol. I
FES, Bonn, Godesberger Allee
28. Januar 2015
Salle
Fischermann
erzählt Schülern der Gesamtschule Kürten vom Überleben
im KZ und der Zeit danach
1 / 2015
Wie kam Salle
Fischermann in die FES?
von Filipe
Ist Schuld vererbbar? – Das ist eine Frage, die wir
uns allen nach der deutschen Vergangenheit, besonders im Bezug zum NS-Regime, gestellt haben sollten.
Ich kam vor einigen Tagen als Schülerpraktikant an
die Friedrich-Ebert Stiftung, ohne genau zu wissen, was mich erwartet. Nachdem ich im „Forum Jugend und Politik“ freundlich begrüßt und eingeführt
wurde, stellten mir die Mitarbeiter ihre Projekte vor.
Auch wenn alle sehr interessant und zukunftsorientiert klangen, stach ein Projekt besonders hervor: das
Zeitzeugengespräch mit Salle Fischermann, einem
ehemaligen Insassen des Konzentrationslagers Theresienstadt.
Die Vorbereitung beginnt: unter die Stühle von über
200 Schülern aus 7 Schulen müssen Stifte und Papier
gelegt werden, damit sie Salle Fischermann nach dem
Gespräch ihre Eindrücke und Empfindungen mitteilen können. Zudem müssen Namensschilder für den
Interviewer („Prof. Friedehelm Boll, Autor und Experte für die Geschichte der Konzentrationslager),
und den Interviewten (Salle Fischerman) aufgestellt
und Tagesabläufe und Hinweise überall in der Nähe
des großen Saales ausgehangen werden.
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Es ist soweit: Über 200 Schüler werden ruhig, als Ina
Koopmann nach einer kurzen Einführung das Wort
an Friedhelm Boll und Salle Fischermann übergibt.
Ich habe so eine Stimmung noch nie erlebt. Hunderte Schüler hören gespannt, gefasst, traurig und fasziniert zugleich dem Zeitzeugen zu, stellen ihm viele,
interessante Fragen, sehen sich einen seiner Dokumentarfilme über das KZ Theresienstadt an und denken über die Frage nach: Ist Schuld vererbbar?
Mein Kopf sagt mir nein, doch Schuld ist nichts, was
im Kopf geschieht.
Wie wurde Salle
Fischermann in das
KZ-Theresienstadt
deportiert?
von Julia und Vincent
Salle Fischermann wurde in Kopenhagen geboren,
seine Familie bestand aus sechs Kindern und den Eltern. 1943 wurden Mitglieder der Familie in das KZ
Theresienstadt deportiert. Bevor sie dorthin mussten,
hatten er und seine Familie ein wunderbares Leben.
Sein Vater hatte eine eigene Firma, bei welcher auch
der Bruder mitarbeitete. Salle und seine Geschwister
gingen jeden Tag zur Schule und spielten häufig gemeinsam. In Dänemark, 1940 von den Deutschen besetzt, bekamen sie bis 1943 nicht viel von dem Krieg
mit, weil das Land für die Nahrungsexporte auch
nach Deutschland wichtig war.
Doch dann kam es zu Generalstreiks und Sabotagen,
bis die Regierung zurücktrat. In dieser Zeit war Dänemark ohne eigene Verwaltung. Nun wurden auch
Juden von hier deportiert. Von ungefähr 7000 Juden
wurden 450 ins KZ Theresienstadt gebracht. Viele
Leute sind mit dem Schiff nach Schweden geflüchtet.
Salle Fischermanns Onkel, der Bruder seines Vater,
hörte in einer Synagoge, dass alle Juden fliehen sollten. Er hatte viele Geschäfte und gab einem Angestellten 15.000 Dänische Kronen mit der Bitte, er
solle zu seinem Bruder gehen und ihm das Geld geben, um Schifffahrt und Flucht zu bezahlen. Doch
diese Person kam niemals bei Salles Familie an.
Zu der Zeit war eine Cousine aus Norwegen zu Besuch, welche mit der Hilfe eines deutschen Soldaten erst nach Schweden und dann nach Dänemark
geflüchtet war. Bei der Cousine in Norwegen wurden nur die Männer deportiert. Am 2. Oktober 1943
klopfte es bei Salle Fischermann und seiner Familie
an der Tür. Es war klar, dass das die Polizei war. Salles Mutter ging mit ihrem Mann auf den Balkon, von
welchem er fliehen konnte. Danach machte sie die Tür
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auf, da sie davon ausging, dass wie in Norwegen nur
die Männer deportiert werden.
Als sie öffnete, traten drei Wehrmachtsmänner
und ein SS-Soldat ein. Der älteste Bruder und die
Schwester von Salle Fischermann waren um diese
Zeit arbeiten. Der SS-Soldat befahl der Familie, Kleidung und Essen für zwei Tage einzupacken. Sie wurden zu einem Lastwagen gebracht, mit dem sie zum
Hafen befördert wurden, wo sie auf ein Schiff umstiegen, welches sie weiter transportierte. Nachdem
die Schifffahrt beendet war, ging es in einem Viehwaggon weiter. Darin waren auch Menschen aus Altersheimen eingepfercht.
Die Reise dauerte zweieinhalb Tage. Bei der Ankunft im KZ Theresienstadt erhielt jeder einen eigenen Code. Salle Fischermanns Code war XXV/2/52.
XXV steht für Dänemark, 2 für den zweiten Transport und 52 war seine persönliche Nummer. In Theresienstadt wurden die dänischen Juden im Vergleich
zu anderen relativ gut behandelt aufgrund des Abkommens über Nahrungstransporte zwischen Dänemark und Deutschland. Alles in allem war auch dies
schrecklich genug.
Wie gestalteten
sich die Tage im KZ
Theresienstadt?
von Fabian und Mirco
Einen „typischen“ Tag gab es für Salle Fischermann
im KZ Theresienstadt nicht, jeder Tag war unterschiedlich aufgrund der besonderen Verhältnisse dort.
Der Tag begann für den damals 13-Jährigen um 7
Uhr morgen mit einer Tasse Kaffee oder wie er sagt,
mit etwas, das „aus einem großem Eimer schwarzen
Wassers“ geschöpft wurde. Danach hatte er verschiedene Arbeiten auszuführen.
Bis er 14 Jahre alt geworden war, ging Salle zu einer
geheimen Schule im KZ, da Bildung eigentlich verboten war. Jedoch konnte er wegen der Verhältnisse
nicht viel lernen. Als er dann 14 war, musste er raus
zum arbeiten. Er führte einfache Arbeiten aus wie
Wäsche einzusammeln, er musste aber auch helfen
beim Verladen von Kindern und anderen Häftlingen
für den Transport in ein anderes KZ, ein Vernichtungslager. Außerdem beschrieb er die Wagen, auf
denen die Menschen durch das KZ transportierten
wurden, die an Hunger und Krankheiten gestorben
waren. Die Toten wurden in zwei verschiedene Garagen gebracht – eine für Christen und eine für Juden.
Die Leichen wurden alle einzeln verbrannt, nachdem sie auf Goldzähne untersucht und diese herausgebrochen worden waren. Salle hatte immer Zugang
zu seiner Mutter und seinen drei Geschwistern, doch
schliefen sie getrennt voneinander.
Das KZ-Theresienstadt diente dazu, um das Leben
in den anderen KZs zu beschönigen. Es wurde besonders hergerichtet, um dort einen Propagandafilm
zu drehen. Ab diesem Zeitpunkt arbeitete Salle bei
dem Film mit, hielt das Licht und trug die Kabel. Als
das Internationale Rote Kreuz Theresienstadt dann
besuchte, bekamen Salle und seine Familie eine ge-
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meinsame Wohnung im KZ – mit Möbeln und „sogar mit echten Pflanzen“, wie er berichtete. Doch wie
er erzählte, war dies alles nur wegen des Filmes. Die
Wohnung durften sie nach Abschluss der Dreharbeiten behalten. Der Tag von Salle endete mit einem
kleinem Stück Brot, das er nur alle drei Tage erhielt.
Ein besonderer Tag, den Salle Fischermann im KZ
Theresienstadt erlebte, war der Tag der Befreiung. Einige Zeit davor erhielten die dänischen Juden einen
Brief, mit dem sie über die Befreiung informiert wurden. Alle sollten sich in einer Kaserne sammeln, um
von den Schweden aus dem KZ befreit zu werden.
Salle schöpfte durch diese Nachricht neue Hoffnung;
so ganz hatte er sie eh nie verloren. Er war von dem
Tag an, an dem er deportiert worden war, davon ausgegangen, dass er unbeschadet und mit seiner gesamten Familie das KZ verlassen würde. Dem war auch
so, denn Salle verließ Theresienstadt mit allen Familienmitgliedern, die mit ihm deportiert worden waren.
Am besagten Tag wurde von dänischen Häftlingen
am Horizont ein schwedischer Bus gesichtet, der alle
dänischen Juden aus dem KZ befreien sollte. Niemand konnte sie an der Ausreise hindern, denn der
Krieg war für die Deutschen verloren und die SS hatte keine Macht mehr über die Häftlinge.
Das war die Antwort, auf die Frage, welcher Tag ihm
besonders im Gedächtnis geblieben war.
Welche besondere
Rolle spielte das KZ
Theresienstadt?
von Jana und Larissa
Theresienstadt hatte eine Sonderrolle unter den Konzentrationslagern. Anders als Ausschwitz war es eine
Art Vorzeigelager. Theresienstadt wurde für die Öffentlichkeit hergerichtet, um den Schein eines guten
Lebens fernab von allen Kriegsangelegenheiten vorzuführen. Die Realität sah für die Inhaftierten allerdings anders aus. Theresienstadt war ein Durchgangslager, in dem insbesondere Menschen aus Ländern
festgehalten wurden, die wichtig für Deutschland
waren und somit nützlich für den Austausch von
Gefangenen sein konnten.
Es galt: Wer gebraucht wird, wird bevorzugt. Zum
Beispiel durften nur die Menschen aus Dänemark,
Norwegen oder Ländern mit vergleichbarem Stellenwert für Deutschland Pakete mit Essen bekommen.
Die Juden aus der Sowjetunion oder Polen waren in
den Augen der Nazis minderwertiger. Viele Paketempfänger teilten ihre Rationen mit den benachteiligten Mitgefangenen, in den Lagern herrschte Solidarität.
In Theresienstadt haben die Menschen Arbeit zugeteilt bekommen. Und um Platz für neue Insassen zu
schaffen, wurden immer wieder Gruppen von Menschen ins Vernichtungslager Ausschwitz gebracht –
mit ausgewählt vom Lagerältesten. Allen wurde erzählt, dass sie dort als Arbeitskraft gebraucht wurden
und ihren Angehörigen und Freunden Briefe schreiben könnten. Natürlich kam nie ein Brief an. Die
deportierten Menschen wurden vergast beziehungsweise anderweitig umgebracht.
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Die Lügen der SS haben bald nicht mehr gewirkt
auch wegen Merkwürdigkeiten –wie die Koffer, die
nicht mitgenommen und die auch nicht wie versprochen nachgeschickt wurden. Mit den Lügen wurden Aufstände und Unruhe während der Abtransporte vermieden.
Der Zeitzeuge Salle Fischermann nannte die Zahl
von 41.000 Menschen, die zwischen 1943 und 1945
auf diese Weise umgebracht. Ursprünglich waren
60.000 in Theresienstadt inhaftiert. Hunger, Seuchen
und schlechte Hygienebedingungen haben zur Dezimierung der Gefangenen beigetragen. Beispielsweise
wurde Gemüse von Häftlingen angebaut, um das vermeintlich reiche Nahrungsangebot vorzuzeigen. Dabei durften die Lebensmittel ausschließlich von der
SS verspeist werden.
Die Insassen in Theresienstadt hatten größtenteils
einen höheren Stellenwert für die Nazis, in Bezug auf
möglichen späteren Nutzens und hatten deshalb oft
eine, wenn auch geringfügig besseres Leben. Im Vergleich zu anderen Häftlingen in anderen Konzentrationslagern. Konzentrationslager und auch Zwangsarbeiterkasernen waren über das gesamte Deutschland
verteilt. Dass die Vernichtungslager alle im Osten
lagen, hat damit zu tun, dass man die Ermordung der
Juden auf Abstand halten wollte zu den „arischen“
Deutschen.
Was heißt
Durchgangslager?
von Kian
Weil immer neue Juden nach Theresienstadt deportiert wurden, musste eine bestimmte Anzahl von
Häftlingen weichen. Ausgewählte Juden wurden nach
Auschwitz gebracht. Die Schutz-Staffel (SS) unterdrückte die Häftlinge vehement, plante die Deportation nach Auschwitz detailliert und ließ die Häftlinge glauben, dass sie in ein anderes Lager versetzt
werden, in dem sie gebraucht werden. Durch Lügen konnte die SS den zurückgebliebenen Häftlingen
glaubwürdig machen, dass sie weiterhin mit den
Deportierten in Kontakt über den Postweg stehen
würden. Diese und viele weitere Lügen wurden nach
der Zeit aufgedeckt und die Häftlinge realisierten,
dass die Deportation aus Theresienstadt das Todes­
urteil bedeutete.
Wer nach Auschwitz musste, wurde von den Häftlingen selbst entschieden. Es existierte ein Häftlings-Bürgermeister, dieser wurde auch der Lagerälteste genannt. Er konnte unter Führung der
Schreibstube bestimmten, welche Häftlinge deportiert werden sollen. Wer in der Schreibstube saß,
hatte ein Mitbestimmungsrecht. In Theresienstadt
wurden diese Posten zumeist von tschechischen Häftlinge besetzt. Keiner der Häftlinge war vor der Deportation sicher, ob jung, alt, krank oder gesund, jeder konnte aussortiert werden.
Sogar bedeutende Persönlichkeiten, Wissenschaftler
oder Komponisten wurden nicht verschont. Mit diesem inhumanen Auswahlverfahren hatte die SS die
totale Gewalt über die Häftlinge und konnte somit
einen enormen Druck auf die Gefangenen ausüben.
Ihr Ziel war Ermordung aller europäischen Juden.
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Was erzählt ein
Propagandafilm über
das KZ?
von Anke und Lisa
Der Film beginnt mit glücklichen Kindern, die einen
rundum zufriedenen Eindruck machen. Kurzerhand
unterbricht Herr Fischermann die idyllische Szenerie.
Er berichtet, dass nur 6 von 2000 Kindern überlebten, nachdem diese in das Konzentrationslager Ausschwitz abtransportiert worden waren.
Es werden Felder gezeigt, auf denen Juden arbeiten.
Sie beschaffen sich angeblich ihre Nahrungsmittel eigenhändig. Doch die Arbeiter wurden zuvor damit
bedroht, sofort nach Ausschwitz transportiert zu werden, wenn sie es wagten, etwas mitgehen zu lassen.
Eine Familie sitzt am Esstisch und nimmt ihre mittägliche Mahlzeit zu sich, so erschafft der Film „Der
Führer schenkt den Juden eine Stadt“ die Illusion von
einem harmonischen Familienleben. Salle Fischermann erläutert, es seien einander Fremde, die Platz
an einem Tisch nahmen, ebenfalls nur für die Propaganda.
Weitere Szenen zeigen eine harmonische Umgebung, in der unzählige Blumen blühen und die Sonne strahlt, genauso wie diejenigen Menschen, die diese Ortschaft bewohnen. Dies war jedoch mehr Schein
als Sein, denn die gezeigten Bilder widersprechen
der Wirklichkeit, die die jüdischen Menschen täglich
durchlebten.
Die verfilmte Idylle verdeutlicht Hitlers Propagandapläne bezüglich des alltäglichen Lebens im Konzentrationslager Theresienstadt, während die Kommentare von Salle Fischermann die gepriesenen Zustände
widerlegen und somit die Wahrheit aufdecken.
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Salle Fischermann stellt in der 40-minütigen Dokumentation „Wenn lang die Bilder schon verblassen!
KZ Theresienstadt – Propagandafilm und Wirklichkeit“ die wahren Geschehnisse dem im Propagandastreifen idealisierten Leben im KZ entgegen. Der
damals 14-jährige Salle war gezwungen, an der Produktion des Films teilzunehmen. Wegen des Films
war zuvor ein halbes Jahr Zeit lang Theresienstadt
umgestaltet worden. Es entstanden Geschäfte, eine
Schule, unter anderem auch eine Bibliothek – als hätten die Häftlinge eine „perfekte“ Unterkunft!
Wie verliefen
Befreiung und die
Zeit danach?
von Christina
Nach 18 Monaten Gefangenschaft im KZ sieht ein
Mitgefangener des damals 15- jährigen Salle Fischermann am Horizont einen schwedischen Bus. Während er den anderen Bescheid gibt, werden an die
dänischen Gefangenen Zettel verteilt – sie sollen sich
alle in der Kaserne zusammenfinden. Im Bewusstsein der kurz bevorstehenden Befreiung wird gesungen, getanzt und gelacht.
In den Bussen fahren sie, via Potsdam, in Richtung
der dänischen Grenze, wo die ehemaligen Inhaftierten willkommen geheißen werden und Schokolade
geschenkt bekommen. Auch während der Fahrt durch
Dänemark hören sie immer wieder „Willkommen zu
Hause“-Rufe. Weil der Krieg aber noch nicht zu Ende
ist – die Befreiung der dänischen Inhaftierten aus
Theresienstadt fand kurz vor Kriegsende statt –, durften die Befreiten nicht in Dänemark bleiben. Sie wurden weiter nach Schweden gefahren, in die Nähe von
Malmö, wo sie ihre Kleidung ablegen durften und
neue bekamen. In Schweden erhielten Salle Fischermann und die anderen Befreiten erstmals nach der
Gefangenschaft im Konzentrationslager wieder ein
richtiges Mittagsessen.
Drei Wochen später war der Krieg zu Ende, was es
Salle Fischermann, seiner Mutter und drei Geschwistern, die mit ihm im KZ gefangen waren, ermöglichte, nach Dänemark zurückzukehren. Erst nach
Kriegsende erfährt er, dass sein Vater und einer seiner Brüder während seinem Aufenthalt in Theresienstadt verstorben sind.
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In ihr früheres Zuhause kann die Familie nicht zurückkehren, jegliche Besitztümer wurden in ihrer
Abwesenheit geraubt. Nach vier Wochen bekommen
sie eine neue Wohnung, in der Salle Fischermanns
Mutter ihn und seine drei übrigen Geschwister alleine großzieht.
Heute ist Salle Fischermann glücklich verheiratet
und hat zwei Kinder. Kontakt zu anderen einstigen
KZ-Inhaftierten hat er als Vorsitzender des Vereins
der Überlebenden immer noch. Wie er selbst sagt,
empfindet er keinen Hass auf die Deutschen für das,
was ihm angetan wurde. Er lebt vielmehr nach dem
Motto: Behandle andere, wie du selbst behandelt werden möchtest.
Auf die Frage, warum er den Mut aufbringt und von
seinen Erlebnissen berichtet, erzählt er die Geschichte, wie er einst von einem Mann, dessen Nationalität
er auf Grund eines Versprechen nicht nennen möchte, gefragt wurde, ob der Holocaust denn wirklich so
schlimm gewesen wäre. Als er daraufhin seine Geschichte erzählt, war dieser zu Tränen gerührt.
Wie war das
Feedback?
von Sebastian
Nach dem Vortrag von Salle Fischermann wurden
alle Schüler dazu aufgefordert, ihre Eindrücke aus
dem Vortrag festzuhalten auf einem Zettel. Die interessierten Zuhörer beschrieben Herrn Fischermann als
selbstbewusste Person, welche sie durch seine Erzählungen beeindruckt hat. Besonders erstaunlich war
für viele, wie positiv Fischermann sein Leben rückblickend betrachtet – trotz seiner Zeit im KZ Theresienstadt. Die lebendige Weise, in der das Wissen
und die Erfahrungen von Fischermann im Interviews
und der Fragerunde vermittelt wurde, hat den meisten Anwesenden sehr gut gefallen. Die anschaulichen
Erzählungen von Fischermann sorgten für eine gespannte Atmosphäre und halfen dabei, den KZ-Alltag
zu verstehen.
Viele der Anwesenden drückten ihre Bewunderung
für Salle Fischermanns Bemühungen aus, über den
Holocaust zu berichten und sich gegen die Unterdrückung und Fremdenhass einzusetzen. Häufig wurde die Stärke betont, die Herr Fischermann zeigt,
wenn er sich immer wieder mit der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte und auch seines eigenen Lebens beschäftigt und darüber berichtet. Auch
wenn ein paar Schüler den gezeigten Film als zu lang
und zäh bezeichneten, ist der überwiegende Teil der
Rückmeldung durchweg positiv ausgefallen.
Ein großer Teil der Zuhörer bezeichnet Salle Fischermann als bewundernswert, und viele freuten sich
über die Möglichkeit, mit einem Zeitzeugen zu reden
und bei dieser Gelegenheit, Geschichte mitzuerleben.
Ein Großteil der Anwesenden bedankt sich bei Salle Fischermann und besieht ihn und seine Familie mit
den besten Wünschen für das weitere Leben.
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Fragen für die
Zukunft
Welcher Umgang mit dem Erlebten?
Wie ging es weiter?
Wie verarbeiten Zeugen der NS-Zeit ihre Erlebnisse? Ich habe mir die Frage ausgesucht, weil ich gerne wissen möchte was im Kopf von den Menschen
vorgeht und was sie heute noch empfinden. Wie gehen Sie mit dem Thema um? Sagen sie, dass es ein
Tabuthema ist oder denken Sie, dass man diese Geschichte mit anderen teilen sollte? Werden sie oft an
die Erlebnisse erinnert oder können sie diese auch
mal vergessen? Es wäre spannend zu erfahren, wie
das Leben heute für die Zeitzeugen ist. Larissa
Was frage ich einen 88 Jahre alten Mann, der den
Krieg hautnah miterlebt und das Elend der Menschen
am eigenen Leib erfahren hat? Für mich wäre es interessant zu wissen, wie das Leben nach dem Krieg
gewesen ist, denn es war sicher nicht einfach, mit all
dem Elend zurecht zu kommen und dieses zu verarbeiten. Außerdem würde ich gerne wissen, wie das
Leben während des Krieges, als Soldat an der Ostfront abgelaufen ist. Wie die Lebensumstände waren
und welche Gedanken einem durch den Kopf gingen,
wenn man einen gegnerischen Soldaten vor sich hatte
und ihn, um selbst zu überleben, erschießen musste.
Doch diese Antwort werde ich wahrscheinlich nie bekommen, denn mein Ur-Opa spricht nicht gerne über
die Zeit des Krieges und hat die Eindrücke noch nicht
verarbeitet. Mirco
Was taten die Aufseher?
Gab es Aufseher, die helfen wollten und was geschah
mit ihnen? Wie war das Gefühl, die Grausamkeiten
der Aufseher mitansehen zu müssen und vielleicht
auch mitmachen zu müssen, ohne etwas tun zu können? Oder konnte man eingreifen? Diese Fragen finde
ich sehr interessant, weil die Perspektiven eines Aufsehers eine ganz andere ist, als die eines Inhaftierten
und somit einen völlig anderen Blickwinkel auf die
gesamte Situation werfen könnte. Jana
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Was erzählen die Täter?
Aufgrund des vergangenen Zeitzeugengesprächs,
würde mich interessieren, was die Nazis dazu bewegt
hat, Juden zu vernichten und vehement gegen sie zu
agieren. Außerdem würde ich in Erfahrung bringen
wollen, wie Nazis mit diesem Lebensabschnitt abschließen können und ob Sie ihr Gewissen weiterhin
plagt. Die oben genannten Aspekte, werfen weitere
Fragen auf, welche durch ein Treffen mit einem Zeitzeugen, der zu dieser Zeit in einem KZ als Aufseher
agierte, beantwortet werden könnten. Kian
Welche Rangordnung?
Wie leben mit dem Tod vor Augen?
Aus welchem Grund gab es eine Hierarchie unter den
jüdischen Häftlingen in Theresienstadt? Wieso hatten
beispielsweise dänische Gefangene einen „höheren
Wert“ im Gegensatz zu polnischen oder russischen
Juden? Diese Frage ist essentiell für das Verständnis
der Machenschaften des NS-Regimes. Von Interesse wäre auch die Frage, wie die Gefangenen für den
Transport nach Theresienstadt ausgewählt wurden.
Wie kam die sogenannte „Elite“ zustande?
Ich würde gern wissen, wie es in Auschwitz war. Wie
man sich gefühlt hat, wenn man jeden Moment sterben konnte? Was man denkt, wenn man weiß, dass
jeden Moment Leute sterben und man zusieht, wie
Menschen zur Tötung geführt werden? Weil ich mir
vorstellen kann, dass so etwas nicht spurlos an jemandem vorübergeht. Julia
Lisa und Anke
Wie reisen im Viehwaggon?
Ich würde gerne wissen, wie es ist, in einem Viehwaggon in ein KZ zu fahren. Wie es sich anfühlt,
nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Tier oder etwas Schlechtes behandelt zu werden. Weil ich mir
nicht vorstellen kann, dass jemand so grausam ist
und Menschen so behandeln kann? Vincent
Was war mit den Nicht-Juden?
Wussten sie, was mit ihren Nachbarn, Bekannten
oder Freunden geschah, nachdem sie verschwanden?
Trauerten sie oder bemerkten sie es kaum? Machten
sie sich auf die Suche nach Antworten oder nahmen
sie es einfach hin und glaubten den Propaganda-Videos? Oder gab es doch vereinzelte Versuche von
Nicht-Juden Häftlinge aus einem KZ zu befreien? Es
ist wichtig zu wissen, ob zumindest einige von den
Nicht-Juden ihre Solidarität zeigten und etwas unternahmen oder, ob alle, wissend was mit den Juden angerichtet wird, beide Augen zudrückten und es geschehen ließen. Filipe
Wie geht Verarbeitung?
Wie hat man es schaffen können all die schlimmen
Qualen im KZ zu überstehen und das Beste daraus
zu machen? Dies würde mich sehr interessieren. Mit
welchen Gedanken hat man sich früher rumschlagen
müssen? Wie hat man es geschafft, immer daran zu
glauben, dass man doch überlebt? Welchen geistigen
Willen muss man gehabt haben, um mit dieser Situation fertig zu werden? Ich finde die Zeitzeugen bewundernswert, da sie so offen über Dinge reden, die
sie erlebt und durchgemacht haben. Ich wüsste nicht,
ob ich das so offen könnte. Das zeigt den harten Willen den sie gehabt haben müssen, um zu überleben.
Fabian
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Was heißt dann Pegida?
Wie reagiert man als NS-Zeitzeuge auf Aktionen wie
die Pegida-Demonstrationen oder andere Äußerungen dieser Art? Kann man die Gedanken nachvollziehen? Fühlt man sich als Inhaftierter erinnert und
hat man Angst, dass es wieder so werden könnte wie
damals? Dieser Fragen interessieren mich sehr, weil
das Thema momentan leider wieder aktuell ist und
ich mir nur schwer vorstellen kann, wie ich darauf reagieren würde, wenn ich damals schon selbst dabei
gewesen wäre. Besonders, weil eigentlich jedem klar
sein sollte seitdem, wohin Fremdenfeindlichkeit führt,
fände ich es interessant zu erfahren, was ein Zeitzeuge davon hält. Christina
Wie kam Salle Fischermann zur FriedrichEbert-Stiftung? / Wie wurde Salle Fischermann in das KZ Theresienstadt deportiert?
/ Wie gestalteten sich die Tage im KZ
Theresienstadt? / Welche besondere Rolle
spielte das KZ Theresienstadt? / Was
heißt Durchgangslager? / Was erzählt ein
Propagandafilm über das KZ? / Wie verliefen
Befreiung und die Zeit danach? / Wie war das
Feedback? / Fragen für die Zukunft
© 2015 Geschichte live
herausgegeben von der Friedrich Ebert Stiftung, Bonn im Rahmen
des Forums Jugend und Politik ›Für Demokratie und Menschlichkeit
– Vergangenheit erinnern, Zukunft gestalten‹ anläßlich des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz
Verantwortliche Redakteure: Sebastian Dahl, Fabian Frank, Larissa
Friederichs, Filipe Sampaio e Castro, Kian Schall, Mirco Selbach,
Christina Wolff, Jana Backhaus, Anke Hoene, Lisa Ramünke,
Vincent Vonderbank, Julia Weber
Redaktionsassistenz: Matthias Dell / Gestaltung: Veronika de Haas

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